Paul Lafargue

 

Die Anfänge der Romantik

 

IV

Madame de Staël lebte jahrelang in unfreiwilliger Abgeschiedenheit in nächster Nachbarschaft der Alpen mit ihrem jungfräulichen Schnee, ihren geheimnisvollen Abgründen und Schluchten und ihren melancholischen Nadelwäldern. Und doch war sie von dieser gewaltigen Schönheit so wenig ergriffen, daß sie den oben erwähnten Ausspruch tat. Sie entdeckte die Schönheiten der Natur erst, nachdem sie Italien bereist und vor allem, nachdem sie sich wiederholt mit dem Studium der Kantschen Metaphysik [65] beschäftigt hatte, die man damals in Frankreich einführte, um sie dem philosophischen Materialismus entgegenzustellen, den man für alle Verbrechen und Schrecken der Revolution verantwortlich machte. Nie hätte ein Pariser aus der Zeit des Konsulats (*1799-1804) sich träumen lassen, daß ein Sonnenuntergang in Fontenay oder ein Mondaufgang in Saint-Cloud Schauspiele seien, die Interesse verdienten. Und doch entstand in jenen Tagen die Schwärmerei für Sonnen- und Mondaufgänge und für die Schönheiten der Natur. Aber die Natur, inmitten deren man lebte, die man tagtäglich sah, galt nicht für die wahre, die schöne Natur, die das Gemüt entzückte. Nur an einer neuen, einer unbekannten Natur konnte sich der Geist erheben. Von einer Inspiration des Genies geleitet, versetzte Chateaubriand in seiner Atala und seinem René die Leser jenseits des Atlantischen Ozeans, an die Ufer des Meschacébé – der Name Mississippi wäre ja zu bekannt, zu „alltäglich“ gewesen und hätte außerdem an die Mississippi-Spekulationen Laws [66] erinnert. Chateaubriand versetzte seine I,eser inmitten einer Natur, die eine wirkliche Natur war, weil man sie noch nie gesehen hatte und weil man sich keine Vorstellung von ihr machte. In die Fußstapfen von Bernardin de Saint-Pierre [67] tretend (dem Verfasser von Paul et Virginie [1784]) bepflanzte er seine Landschaft mit exotischen und unbekannten Pflanzen: mit Tulpenbäumen, Sykomoren, Azaleen, Feuerbohnen, Sassafrasbäumen. Volney hatte in seinen Ruinen [Les Ruines (*ou Méditations sur les révolutions des empires, Paris 1791)] „das melancholische Geheul der Schakale“ ertönen lassen. Der Verfasser von Atala bevölkert die einsamen Wälder und Prärien, die er schildert, mit einer ganzen Menagerie kläffender, brüllender, heulender Bestien: Vielfraße, Panther, kanadische Renntiere, Klapperschlangen und „von Weintrauben berauschte Bären“. In die Gewässer des Meschacébé ließ er „Bisons mit zottiger und majestätischer Mähne“ tauchen. Er lagerte „unter die Tamarinden Krokodile, die nach Ambra riechen“ und die beim Sonnenuntergang brüllen. (Eine Bemerkung nebenbei: sind die nach Ambra riechenden Krokodile – nach Moschus wäre richtiger – nicht Vorboten jener Literatur der Nase, welche Senancour und später Baudelaire [68] und Zola [69] zu so hoher Vollendung entwickeln sollten?) In der Zeit, wo Atala erschien, bevölkerte man den Pariser Jardin des Plantes mit wilden Tieren, die teils von Ägypten importiert, teils aus Holland entwendet wurden. [70] Diese Tiere erregten die höchste Neugier der Pariser In Menge strömten sie herbei, um die „fremden Gäste“ zu betrachten, zu beobachten. Eifrig lasen sie alle die Einzelheiten, welche die Zeitungen über die Gewohnheiten der Tiere, über ihre Anhänglichkeit an ihre Wärter usw. berichteten. Eine Broschüre, welche die Freundschaft zwischen einem aus Afrika stammenden Löwen und einem Hunde schilderte, erlebte mehrere Auflagen. Die Konzerte, die man für den musikliebenden Elefanten gab, den man aus den Gärten des Königs von Holland weggeführt hatte, wurden sehr zahlreich besucht. Die Leser fanden in Atala und in René die wilden Tiere wieder, für welche sie sich so lebhaft interessierten.

Obgleich Chateaubriand sich von der Welt abgewandt hatte, die

nur die mit den Tränen der Lebenden geknetete Asche der Toten ist [71],

interessierte er sich doch für die Tagesereignisse und trug der Aktualität Rechnung. René spricht z.B. von Griechenland, Italien, Schottland als von Ländern, die er besucht hat, und dies nicht nur um zu zeigen, daß er trotz seiner Armut die Welt wie ein Lord durchreiste, sondern auch, weil das Publikum damals ein lebhaftes Interesse für jene Länder hatte. Mit [*The Works of] Ossian (*1765) war Schottland in die Mode gekommen, und man sprach viel von Griechenland, dessen von Bonaparte in Italien geraubte Statuen nach Paris überführt wurden. Der Geschmack des Publikums wird treffend charakterisiert durch die damals sehr zahlreich veröffentlichten Beschreibungen von abenteuerlichen Fahrten, Forschungs- und Entdeckungsreisen usw. Das feine Erfassen des Aktuellen ist eine der charakteristischen Eigenschaften Chateaubriands und eine der Ursachen seines ungeheuren Erfolges. Zum Beweis für diese Behauptung greifen wir drei Beispiele aufs Geratewohl aus vielen heraus. Der Pater Aubry in dem Roman Atala besitzt einen Hund, der wie die Alpenhunde „die verirrten Wanderer aufspürt“. In den amerikanischen Urwäldern konnte der brave Hund dem guten Pater herzlich wenig nützen. Aber Bonaparte hatte damals gerade an der Spitze von 30.000 Mann die Alpen überstiegen, und alle Welt sprach von den Mönchen des Sankt Bernhard und von dem wunderbaren Spürsinn ihrer Hunde, die, wie man versicherte, vielen verschneiten Soldaten das Leben gerettet hatten. – René feiert in überschwenglicher Weise das Geläute der Glocken.

Oh, welches Herz, und wäre es noch so verhärtet, hat nicht beim Klange der Glocken gebebt [...] In den verzückten Träumen, in welche uns der Klang der Glocke der Heimat versenkt, finden wir alles wieder: Religion, Familie, Vaterland, die Wiege wie das Grab, die Vergangenheit wie die Zukunft.

In den Zeiten der Revolution war das kirchliche Geläut verboten worden, hatte man aus dem Metall der Glocken Kanonen gießen lassen. 1801 dagegen ging in Paris eine Petition herum, um

die Regierung zu veranlassen, ihre Einwilligung zu geben, daß le gros Bourdon, die große Glocke von Notre Dame, die öffentlichen Feste einläuten dürfe [...]. Es ist Zeit, unser Ohr die himmlische Harmonie genießen zu lassen, die in allen wahren Franzosen die süßesten Erznnerungen wachruft [...] Welches Glück, daß die große Glocke der Ächtung entgangen ist, die seit zehn Jahren auf allen Glocken der Republik lastet.

Eines Tages, erzählt René, befand ich mich auf dem Gipfel des Ätna [...] von Leidenschaft durchwühlt, saß ich am Krater jenes Vulkans, der inmitten einer Insel glüht.

Dem Leser von 1896 [*Erscheinungsdatum des Essays] wird dieser Satz ohne Zweifel lächerlich gesucht erscheinen. Im Jahre 1802 dagegen erinnerte er an aktuelle Ereignisse. Übrigens war der Satz nicht Chateaubriands Erfindung, er war von diesem vielmehr der Sprache des politischen Lebens entlehnt. Auf den Tribünen der Klubs und in den parlamentarischen Körperschaften donnerte man von „den Vulkanen, auf denen man ging [...] in denen es arbeitete, die Lava spieen“ usw. Le Bulletin de Paris (12. Thermidor, Jahr X [*1802] erklärte, daß

die Wünsche der Bürger Napoleon Bonaparte aufforderten, er möge für immer den Krater der Revolutionen versiegeln.

Man kann die Übertreibungen des die Puristen entsetzenden bilderreichen Stils Chateaubriands nicht begreifen, wenn man nicht eine Vorstellung von der Sprache besitzt, die zu seiner Zeit auf den Rednertribünen und in den Zeitungen gang und gäbe war. [72] Die Vulkane beschäftigten damals die Phantasie und die Gemüter. Im Jahre VIII (*1800) erschienen gleichzeitig zwei Übersetzungen von Kotzebues [73], Abenteuer meines Vaters, das im Theater einen Riesenerfolg errang. Der Verfasser erzählt, daß seine Mutter im fünften Monat ihrer Schwangerschaft Deutschland verläßt und nach Neapel reist, wo sie die Laune hat, den Vesuv zu besteigen. Am Krater des Vulkans stolpert sie und kommt vor der Zeit nieder: Kotzebue wird auf einem Vulkan geboren. Le Mercure (*de France) (16. Brumaire, Jahr X [*1802]) berichtet, daß zehn moderne Empedokles in den Krater des Vesuvs hinabgestiegen seien, was offenbar weit abenteuerlicher war als auf einem Vulkan geboren zu werden oder von Leidenschaft durchwühlt am Krater des Ätna zu sitzen. Fast zu jedem Satz in René und Atala könnte man einen historischen Kommentar schreiben, der erweisen würde, welch inniger Zusammenhang der Gefühle und Ideen zwischen Chateaubriand und seinem Publikum bestand. Aber nachweisen, daß der Schriftsteller von Talent seine Zeit reproduziert, heißt keineswegs mit Victor Hugo schlußfolgern, daß

die Zeiten nach dem Bilde der Dichter geformt sind. [74]

Die Romantiker von 1830 schworen auf ihre Dolche von Toledo, daß sie den Pegasus reiten und in den Himmel hinaufsteigen, um die Sterne herabzuholen und sich ins Ideal zu versenken, weit, o sehr weit entfernt von der Welt des Stofflichen, ihren armseligen Leidenschaften und ihren groben Interessen. Es haben sich Bourgeois gefunden, welche die maßlosen Hyperbeln von Victor Hugo und Genossen wörtlich nahmen und welche so naiv darauf hineinfielen, wie Morellet, dieses literarische Fossil aus der Zeit von 1789, der einer der eingefleischtesten Gegner der jungen Romantik war. Chateaubriands Neologismen und „das Übermaß des bilderreichen Stils“ verwirrten sein akademisches Hirn derart, daß er Chactas und Atala für Wilde hielt und daß er gar nicht merkte, welch gute Bekannte „der gute Herr Aubry“, „der fromme Chactas [...] dieser Wilde, der seine Schule durchgemacht“ hat, und die „Zaïre des Meschacébé“ seien. [75] Der Verfasser hatte sie mit fremdländischen Namen aufgeputzt, um der Mode zu genügen, welche Heldinnen verlangte, deren Namen auf „a“ endeten: Stella, Agatha, Camilla, Rosalba, Malwina, Lorada, Palmyra, Atala usw. Ein Spaßvogel ließ sich dadurch nicht hinter das Licht führen. Er zeigte an, daß die von den Toten auferstandene, nach Paris überführte und von Ärzten untersuchte Atala in einem Häuschen im Garten des Bürgers Chateaubriand wohne. Wenn man sich nicht, wie Morellet, durch das Gleißen der Namen und Worte und die Farbenpracht der exotischen Landschaften blenden, durch das Krächzen der „grünen Papageien“ betäuben und „das Gebrüll der Tiger und Krokodile“·, erschrecken läßt, so ist nichts leichter, als in dem Pater Aubry einen Priester zu entdecken, der vor den Verfolgungen zur Zeit der Revolution in die Wälder geflüchtet war, und in Chactas und Atala echte Pariser des Jahres 1801, die nie ihre Gesichter tätowiert, nie in ihre Haare Truthahnfedern geflochten und nie in die Nase Glasperlen gesteckt hatten.

Chateaubriand wohnte seit 1793 in England und studierte dessen Literatur. Es ist daher nicht überraschend, daß sein erster Roman die Spuren seiner englischen Lektüre trägt. Die Mythologie des Indianerstammes der Natchez ist Miltons Das verlorene Paradies [*Paradise lost (1667/1674)] [76] entlehnt, das Chateaubriand übersetzte. Aber er hätte nicht einmal Paris zu verlassen brauchen, um unter den Einfluß der Schriftsteller von jenseits des Kanals zu geraten. Denn seit der Revolution und bis zu den Jahren VII und VIII (*1798-99) – das heißt bis zur Zeit, wo die Überschwemmung mit Gedichten, Dramen, Romanen, ästhetischen und philosophischen Werken von jenseits des Rheins begann – herrschte in Frankreich die englische Literatur. Man las Shakespeare, man bewunderte Young [77] und Thomson [78] und man schwärmte für Macphersons Ossian, den man in Poesie und Prosa, in Romanen und Tragödien reproduzierte. Die Werke von Richardson [79], Goldsmith [80], Fielding, Smollet, Godwin, von Lady Radcliffe und Lady Edgeworth [81], kurz alle englischen Romane wurden fast unmittelbar nach ihrer Veröffentlichung in der Heimat ins Französische übersetzt. Die Spannung, mit der das Publikum die englischen Werke erwartete, war so groß, daß von dem Roman: „Rosa oder die Tochter als Bettlerin“ von Lady Bennett [82]

die einzelnen Druckbogen, sobald sie fertig geworden, von London nach Paris geschickt wurden, um dort sogleich übersetzt zu werden (La Decade [*philosophique], 20. Brumaire, Jahr VI [*10. November 1797]).

Eine Revue, La Bibliothèque britannique [Die Britische Bibliothek]), hielt durch sehr ausführliche Auszüge das Publikum über die Nuerscheinungen auf dem Gebiete der englischen Literatur auf dem laufenden. Die Schwärmerei für die englischen Werke war ungeheuerlich, französische Originalromane gaben sich für Übersetzungen aus dem Englischen aus, um Erfolg zu erzielen. [83] Die Mode der Bourgeoisie wies alles zurück, was französisch war. Sogar Molière erschien auf der französischen Bühne in der Travestie des Italieners Goldoni. [84] Das patriotische Empfinden erlosch, das in der Sturm-und-Drang-Zeit der Revolution so mächtig gewesen war. Die Idee des Vaterlands, deren die Männer des Konvents sich als eines Hebels bedient hatten, um die ganze Nation in Bewegung zu setzen und an die Grenzen zu werfen, war verdächtig geworden.

Hinter den Worten: „für sein Vaterland sterben“, schrieb Chateaubriand, sieht man nur Blut, Verbrechen und die Sprache des Konvents. [85]

Der Le Mercure [*de France]“ vom 3. Vendemiaire, Jahr XI (*1803), der das Wort „Patriotismus“ verwendet hatte, erklärte in einer Fußnote, daß er das Wort „in seiner ursprünglichen Bedeutung gebrauchte“, die es vor der Revolution hatte;

denn die Männer von 1792 besaßen keinen Patriotismus, obgleich sie sehr viel vom Vaterlande sprachen.

Einige Jahre später bewiesen die Bourgeois von Paris ihren Patriotismus, indem sie die Stiefel der von Blücher [86] geführten Preußen und der Kosaken des Zaren Alexander [87] leckten, die das besiegte Frankreich verwüsteten und plünderten. [88]

Richardsons beide Romane Clarissa Harlowen und Pamela hatten Paris vor und nach der Revolution begeistert. Man ahmte den ersteren nach, man brachte ihn auf die Bühne: im Monat Nivôse des Jahres V (*Jänner 1797) wurde der Lovelace français [Französische Lovelace] [89], Komödie in fünf Akten, aufgeführt. Der Name des Helden ging in die französische Sprache über. Atala ist eine französisierte und als Witwe verkleidete Clarissa Harlowe. Miß Atala ist durch und durch von dem britischen Hochmut erfüllt. Sie verachtet die Indianer, mit denen zu leben das Schicksal sie verurteilt hat. Bis zum Erscheinen Chactas’ fällt es ihr nicht schwer, unberührt das zu bewahren, was Dumas [90] „das Kapital des jungen Mädchens“ nennt. Theorien haben mitunter ein sonderbares Schicksal. Ein schottischer Pfaffe, Malthus, entdeckt ein sogenanntes Bevölkerungsgesetz, und sofort bilden sich Vereine anständiger, gutgesinnter Bourgeois, die das englische Volk die Kunst lehren, keine Kinder zu zeugen. Ohne Erfolg. In Frankreich betäubt man das Publikum mit moralischen Deklamationen gegen den Malthusianismus, und man praktiziert ihn in einem Umfange, daß die schwache Bevölkerungszunahme Statistiker und Politiker beunruhigt. Ein Pariser, der Notre Dame de Lorette verherrlicht hat, der Dichter der Kameliendame, entdeckt das Jungfräulichkeits-Kapital; aber es ist England, wo sich die Mädchen ohne Mitgift verheiraten, in Frankreich dagegen müssen sie ein Kapital in klingender Münze mitbringen, damit ihnen das andere Kapital abgenommen wird. Die jungen französischen Mädchen kümmern sich wenig um das, was nach Dumas ihr Kapital ist; es muß von Müttern, Tanten, Freundinnen und Bekannten in der Rolle der Tugenddrachen gehütet werden. Die englischen Misses tragen Sorge, selbst ihr Kapital zu behüten. Atala kommt aus ihrer Schule, sie wacht selber über sich.

Ich bemerkte um mich, erklärt sie mit hochmütig gezogener Lippe, nur Männer, die unwürdig waren, meine Hand zu erhalten [...],

„even to flirt with [die sogar unwürdig gewesen wären, mit ihnen zu flirten]“, würde sie hinzugesetzt haben, wenn sie englisch gesprochen hätte. Da taucht Chactas auf, und die Französin erwacht plötzlich in ihr: Sie fühlt, daß ihr ein Mann gegenübersteht, der imstande ist, eine Frau zu betören. Auf seinen Vorschlag, gemeinsame sentimentale Spaziergänge durch die Wälder zu unternehmen, antwortet sie:

Mein junger Freund, du hast die Sprache der Weißen gelernt, und es ist sehr leicht, eine junge Indianerin zu täuschen.

Trotz der englischen und indianischen Schminke erkennt man an dieser Antwort die gewitzigte Pariser Grisette [91], die weiß, daß das Fleisch schwach ist und das sanfte Geflüster sehr stark im Schatten der Wälder von Romainville. Eine Engländerin kennt keinerlei Furcht. Ein Kampf zwischen ihrem religiösen Gefühl und ihrer Liebe entbrennt nun in dem Herzen der sanften Atala, die ihrer Mutter hatte geloben müssen, ewig unvermählt zu bleiben. Eine echte Indianerin hätte nicht eine Minute gezaudert, die religiösen Gelübde zu vergessen und der Stimme des Herzens zu folgen.

Die Wilden leben ganz ihren Gefühlen, wenig den Erinnerungen und gar nicht der Hoffnung,

sagt Volney, der die Rothäute etwas weniger sentimental als Chateaubriand beobachtet hatte. [92]

Eine Demoiselle aus der Zeit der Fronde wäre über die Mauern von 20 Klöstern geklettert, um ihrem Herzen zu gehorchen. Madmoiselle de la Valliere ließ den Herrgott samt seinen Heiligen, die Jungfrau Maria und ihren Sohn Jesus im Stich, als ihr königlicher Geliebter ihr winkte. Eine empfindsame Malwina von 1801, die sich „in leichte Stoffe wie in eine durchsichtige Wolke hüllte, so daß das Auge gleichzeitig sowohl die Zartheit des Fleisches wie die Pracht des silbern schimmernden Stoffes erfaßte“, würde die Achsel gezuckt haben, falls jemand von ihr verlangt hätte, daß sie ihre Leidenschaften auf dem Altar der Religion opfern sollte. Als noch deutlichere Antwort hätte sie den Refrain des Liedes gesummt, das so populär gewesen war:

Man tat gut, die Hölle zu erfinden,
Um die Kanaille zu erschrecken

Aber Atala war nach englischem Muster gebildet. Ihre Eltern hatte sie nur über den Kanal geschickt, um zu verhindern, daß die Tochter die in Paris veröffentlichten Romane lese, welche um die Wette die Frauen lehrten,

daß man seinem Herzen nicht widerstehen kann, daß man unaufhörlich lieben muß, daß die Liebe die Quelle der Tugenden, der Freuden, des höchsten Glückes ist.

Ihr Erzieher, der sie nach dem Vorbild Clarissa Harlowes und Pamelas formte, erwartete nicht, daß sie in sich selbst die Widerstandskraft der englischen Heldinnen finden würde, und so rief er die Religion zu Hilfe: die Rücksicht auf das Gelöbnis der Mutter, die sie ewiger Jungfrauschaft geweiht, zügelt Atalas Leidenschaft. Allein ihr gallisches Temperament lehnt sich dagegen auf, und wie Beaumarchais’ [93] Rosine öffnet sie dem Verführer sperrangelweit die Tore ihres Herzens, sie läßt sich besiegen, ohne Widerstand zu leisten. Chactas, welcher in der Sache die Erfahrung eines Almaviva [94] besitzt, erzählt, daß er sie zitternd und bebend in seinen Armen hielt und den psychologischen Augenblick erwartete, wo

die Leidenschaft, die ihren Körper erschütterte, über ihre Tugend triumphieren würde.

Zum Unglück für die junge, leidenschaftdurchglühte Indianerin hatte der Bürger Chateaubriand seinem Mentor Fontanes versprochen, in Berquins [95] Fußstapfen zu treten und den französischen Frauen eine „gesunde Moral“ zu predigen. Er hatte sich jedoch von der Wahrheit so weit fortreißen lassen, daß ihm nur ein Ausweg offenblieb, um die gesunde Moral zu retten: der Tod der Heldin. Er läßt Atala Gift nehmen, aber in den Mund der Sterbenden legt er den Aufschrei der Natur: „Ich nehme das Bedauern mit mir, dir nicht angehört zu haben“. Dieser Aufschrei vernichtet die moralische Wirkung des Selbstmords der Jungfrau wider Willen. Indem Chateaubriand das Herz der von religiösen Bedenken besiegten Atala unter diesem Bedauern leiden ließ, trug er der Meinung seiner Zeit Rechnung, die jeden Widerstand gegen die Liebe als ein Verbrechen ansahen. Madame Cottin [96] läßt in ihrem ersten Roman, der 1798 erschien und ein halbes Jahrhundert lang gelesen und bewundert wurde – noch 1844 wurde eine Neuauflage veröffentlicht -, ihre Heldin, „die erhabenste, vorzüglichste der Frauen“, Claire d’Albe, ihrem Geliebten, dem Schützling ihres Gatten, der ihn wie einen Sohn behandelt, schreiben:

Das Bild des Glückes, das du von mir forderst, blendet meine Sinne und verwirrt meine Vernunft. Um es zu gewähren, achte ich das Leben, die Ehre und sogar mein Geschick in jener Welt für nichts. Dich glücklich machen und dann sterben ist alles für Claire, sie hat dann genug gelebt.

Sie gibt sich ihrem Geliebten hin,

von den Empfindungen überwältigt [...] am Ende des Gartens, im Schatten der Pappelbäume, welche die Urne ihres Vaters überragen und wo ihr frommes Gemüt der Gottheit einen Tempel geweiht hatte.

Man liebte es damals, die Liebe durch irgendeine Entweihung pikanter zu machen. Erst nachdem sie

im vollsten Maße das flüchtige Aufblitzen der Seligkeit genossen, die einzig und allein die Liebe empfinden kann, erst nachdem sie diesen köstlichen und einzigen Genuß gekannt,

denkt sie an die „verletzte eheliche Treue“ und stirbt. Die empfindsamen Malwinas, welche Madame Cottin und Chateaubriand lasen, sangen eine aus dem Jahre III (*1794) stammende Romanze: Lotte an Werthers Grab: die reuevolle Heldin Goethes wimmert in ihr das „mea culpa [*durch meine Schuld]“ in recht stümperhaften Versen:

[...] Ich verwerfe endlich den Zwang
Einer traurigen und grausamen Pflicht.

Die Liebe wurde damals für die alles beherrschende Leidenschaft erklärt, für die Leidenschaft, die alle anderen verdrängen und das Leben der Menschen ausfüllen werde. Aber diese Liebe war eine Leidenschaft neuer Art, wie sie die Menschheit noch nie vorher empfunden hatte. Die revolutionäre Bourgeoisie hatte alles revolutioniert: die Gesetze, die Sitten, die Leidenschaften. Allein als Siegerin erschrak sie derart vor ihrem eigenen Werke, daß sie die Erinnerung daran verwischen wollte. Sie stellte den Bourgeoismenschen mit seinen Leidenschaften, Lastern und Tugenden als unveränderlichen Typus der Gattung Mensch in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft hin. Die Romantiker, welche als beauftragte Diener der herrschenden und zahlenden Klasse deren intellektuelle Redürfnisse zu befriedigen hatten, behaupteten, in ihren Meisterwerken nur „den Menschen aller Zeiten“ zu schildern, „nur Leidenschaften des menschlichen Wesens, das sich durch die Jahrhunderte hindurch gleich bleibt“. Aber bis zu dieser Auffassung hatte man sich 1800 noch nicht entwickelt. Madame de Staël betont den neuen Charakter der Liebe. Nach ihr sind es

Rousseau, Werther, Szenen aus deutschen Tragödien, einige englische Dichter, Bruchstücke aus „Ossian“, welche die Empfindsamkeit in die Liebe eingeführt haben.

Sie entrüstet sich darüber, daß

starke Geister die Arbeiten des Gedankens, die der Menschheit geleisteten Dienste als allein der Achtung der Menschen wert betrachten [...] Aber wie viele Wesen können etwas Herrlicheres aufweisen, als durch ihre Persönlichkeit allein das Glück eines anderen zu sichern. Die strengen Moralisten fürchten die Verirrungen einer solchen Leidenschaft. Ach! Glücklich die Nation, glücklich die einzelnen, welche von Menschen abhängen, die fähig sind, sich von ihren Empfindungen fortreißen zu lassen. [97]

Die romantische Liebe war geboren.

Die Lebensweise jeder Klasse verleiht den menschlichen Gefühlen und Leidenschaften die ihnen eigentümliche Form. Der Mensch ist in Wirklichkeit keineswegs das unveränderliche Geschöpf der Romantiker und Moralisten, welches gelehrig die von den Nationalökonomen gehörte Lektion nachplappert. Und mit dem Hinweis auf diese behauptete Unveränderlichkeit des Typus Mensch begründen die gut bezahlten Verteidiger der kapitalistischen Vorrechte ihre unfehlbare Widerlegung der kommunistischen Theorien. Sie messen die Menschheit mit der kapitalistischen Elle und rufen triumphierend aus: „Der Mensch ist Egoist und wird ewig Egoist bleiben. Wenn das Privatinteresse nicht mehr der einzige Beweggrund seines Handelns sein kann, so zerstört ihr die Gesellschaft, so haltet ihr den Fortschritt auf, und wir fallen wieder in die Barbarei zurück“. Der Mensch ist aber, wie alles in der Natur, in einem Zustande beständiger Umwandlung begriffen, er erwirbt, entwickelt und verliert Laster und Tugenden, Gefühle und Leidenschaften. Der sich in den Beziehungen der Geschlechter offenbarende Egoismus, den zu verschleiern die Mission der gefühlsduseligen Überschwenglichkeiten der Romantik war, ist eine unvermeidliche Folge des kaltgrausamen Egoismus, der für den zivilisierten Menschen durch den Kampf ums Dasein in dem wirtschaftlichen Milieu der kapitalistischen Gesellschaft zur Notwendigkeit wird. Dieser Egoismus wird eine Umgestaltung erfahren, sobald das Privateigentum durch das kommunistische Eigentum ersetzt worden ist. So ist die fanatische, schrankenlose, aber engherzige Vaterlandsliebe des Bürgers der antiken Stadtgemeinde verschwunden, als der kollektive Familienbesitz sich auflöste und in Privateigentum umwandelte. Die Eifersucht der Liebenden, welche die Romanschreiber und Psychologen ähnlichen Schlages für so untrennbar vom Menschen erachten, wie den Blutkreislauf, ist in der Menschheit erst mit dem Auftreten des kollektiven Familieneigentums entstanden und hat sich mit dem Aufkommen des Privateigentums entwickelt und verschärft. Die Männer und Frauen der kommunistischen Stämme kannten die Eifersucht nicht.

Die Romantik, die erst im Jahre 1830 ihren berühmten Grundsatz formulierte: „Die Kunst um der Kunst willen [*l’art pour l’art]“ – einen Grundsatz, der erst unter dem zweiten Kaiserreich durch die parnassischen Dichter [98] zur Anwendung gelangte -, ist die Literatur einer Klasse. Allerdings haben die Romantiker das nie geahnt, obgleich gerade darin die geschichtliche Bedeutung der Romantik beruht. Trotz des auf den Schild erhobenen Grundsatzes war die Romantik nie an den politischen und sozialen Kämpfen desinteressiert. Vielmehr hat sie sich stets auf die Seite der Klasse der Bourgeois gestellt, welche die Ergebnisse der Revolution für sich zu monopolisieren bemüht war. Solange die Bourgeoisie noch vor einem Versuch der Aristokratie zitterte, sich ihre alte Machtstellung zurückzuerobern, traten die Romantiker in die Fußstapfen der liberalen Historiker: Sie wühlten und stöberten das Mittelalter durch, um die herrlichen Vorzüge der herrlichen Gegenwart durch düstere Gemälde aus der Vergangenheit ins Licht zu setzen. Sobald jedoch das Proletariat Zeichen bewußten Klassenlebens gab und als selbständige Klassenpartei, als unversöhnlicher Gegner der Bourgeoisie auf die Bühne trat, wendeten sie sich von den historischen Romanen und den Greueln der Feudalzeit ab, um den Kämpfen des Tages ihre Aufmerksamkeit zu schenken. Kaum waren die entsetzlichen Schlächtereien der blutigen Maiwoche [99] vorüber, so schilderte Zola in dem Assommoir [*Der Totschläger] die Arbeiterklasse in den abstoßendsten Zügen, um nur dem bürgerlichen Gewissen die geringsten Gewissensbisse wegen der verübten Racheorgien zu ersparen. Georges Ohnet [100] malte dagegen mit lakaienhafter Bereitwilligkeit die großmütige und edle Seele der Herren Hüttenbesitzer. Die jungen Maler aus der Zeit von 1830 verfolgten die Bourgeois mit unerbittlichem Spott. Aber mit dem Alter ist ihnen die Erkenntnis gekommen, daß das Geld Hochachtung verdient. Sie sind unter die Lakaien der Bourgeoisie gegangen und arbeiten nur noch, um die Billigung und Anerkennung des Parvenü zu verdienen, der ihre Gemälde kauft. [101]

Die Entwicklung der Philosophie hat im Anfang dieses Jahrhunderts mit der Entwicklung der Literatur Schritt gehalten. Die Bourgeoisie hatte sich des Skeptizismus und des Materialismus als Waffen gegen die Geistlichkeit bedient, welche gemeinsame Sache mit der – Aristokratie machte. Als sie jedoch zur politischen und sozialen Herrschaft gelangt war, wollte sie die Religion ihren Zwecken dienstbar machen und sie als Mittel benützen, die der Fronarbeit unterworfenen Massen in geduldiger Unterwerfung zu halten. Sie schärfte ihren Literaten und Philosophen ein,

die verabscheuungswürdige Philosophie des 18. Jahrhunderts zu bekämpfen, welche die Empörung gegen jede Autorität, das Vergessen aller Pflichten, die Verachtung aller sozialen Herrschaft gepredigt hatte [...] Sie hat die Ungeheuer gebildet und angefeuert, welche Frankreich verwüstet haben. Robespierre, Collot [...], Carrier waren Anhänger dieser Philosophie [102]

Die Romantik stellte sich, kaum daß sie geboren waren, unter das Banner des Katholizismus. Der Roman Atala, der nur als Vorrede zum Génie du Christianisme betrachtet werden kann, verherrlichte den Sieg der Religion über die Natur.

* * *

Die Menschen aus der Zeit von 1802 jubelten begeistert den beiden ersten Romanen Chateaubriands zu, die die Ära der Romantik des 19. Jahrhunderts einleiten, weil diese Romane in literarischer Form die Gefühle und Ideen widerspiegeln, die Herz und Hirn der Zeitgenossen bewegten und belebten. Das literarische Erzeugnis, auch wenn es keinen künstlerischen Wert besitzt, erhält eine hohe geschichtliche Bedeutung von dem Augenblick an, wo der Erfolg ihm zufällt. Die auf dem Boden der materialistischen Geschichtsauffassung stehende Kritik kann es in der Gewißheit untersuchen, daß es die Empfindungen und Anschauungen seiner Zeitgenosserr lebenswahr wiedergibt. Die Romantiker von 1830 und die Naturalisten der Zolaschen Schule, die in dem „Agamemnon“ [103] und dem „Titus“ [104] von Racine nicht die Höflinge von Versailles und in dem „Ruy Blas“ (*1838) und „Gennaro“ Victor Hugos nicht gute Pariser Bourgeois wiedererkannten, hielten am Scheine fest und ließen sich täuschen. Weder Racine noch Hugo wären jemals von ihren Zeitgenossen als große Genies gepriesen worden, wenn ihre Werke nicht, Spiegeln gleich, die Menschen ihres sozialen Milieus gezeigt hätten, ihre Art und Weise, zu sehen, zu fühlen, zu denken und zu sprechen.

Ein literarisches Meisterwerk ist ebensowenig „eine Abart des Wunders [...] eine Gottesgabe“ [105] als eine Moosrose oder ein zweiköpfiges Kalb. Der Schriftsteller ist an sein soziales Milieu geschmiedet, was er auch tut, er kann der ihn umgebenden Welt nicht entrinnen, noch sich von ihr loslösen. Unaufhörlich, unbewußt und gegen seinen Willen erfährt er ihren Einfluß. Ob er in die Tiefe der Vergangenheit taucht oder den Fernen der Zukunft zuschwebt, in der einen wie der anderen Richtung kann er nicht über seine Zeit hinausgehen. Wollte man Aischylos und Aristophanes, diese Giganten der Tragödie und des Lustspiels, von den Toten erwecken und nach dem Paris dieses Fin de siècle versetzen: sie wären genauso unfähig, die Theodora von Sardou [106] oder Le Plus heureux des trois [Der Glücklichste der Drei] von Labiche [107] zu schreiben, als Victor Hugo außerstande war, einen der verlorengegangenen Teile des [*Gefesselten] Prometheus [108] zu ersetzen oder Leconte de Lisle [109], dem Rolandslied oder einem anderen alten Heldengedicht einen Vers hinzuzufügen. Die Zeitgenossen sind es, welche dem Schriftsteller seine Ideen, seine Helden, seine Sprache, seine ihm eigentümliche literarische Form liefern. Und weil der Dichter inmitten des Wirbels der Sterblichen kreist und wie sie den Einfluß des nämlichen kosmischen und sozialen Milieus erleidet, vermag er der Menschheit Leidenschaften zu begreifen und zu schildern, vermag er die ihn umschwirrenden Gedanken zu fassen, die ihn umtönende Sprache festzuhalten und zu seinem persönlichen Gebrauch die literarische Form zurechtzukneten, welche durch die tägliche Reibung von Menschen und Dingen gegeben wird. Das Gehirn des genialen Künstlers ist nicht, um mit Victor Hugo zu reden, „der Dreifuß Gottes“, sondern der zauberhafte Schmelztiegel, in welchem im bunten, wirren Durcheinander die Tatsachen, Gefühle und Anschauungen der Gegenwart sich sammeln, mit den Erinnerungen an die Vergangenheit. Dort treffen die heterogensten Elemente zusammen, vermischen sich miteinander, verschmelzen und verschlingen sich, um endlich als gesprochenes, geschriebenes, gemaltes, in Marmor gehauenes oder gesungenes Kunstwerk vor die Welt zu treten. Und das aus dem geistigen Gärungs- und Schmelzprozeß geborene Werk ist reicher an Vorzügen als die einzelnen Elemente, die zu seiner Entstehung beigetragen haben. So weist ein Mischmetall andere Eigentümlichkeiten auf als die Metalle, aus denen es besteht.

 

 

Anmerkungen

65. * Immanuel Kant (1724-1804) ist jener Denker, mit dem die klassische deutsche Philosophie ihren Anfang nimmt. Er begründete einen kritischen oder transzendentalen Idealismus, der versuchte, Idealimus und Materialismus miteinander zu versöhnen.

66. * Der Schotte John Law (1671-1729) betrieb in Paris eine Privatbank und Kolonialgesellschaft, deren Blüte er über manipulierte Börsenkurse vortäuschte. Der Zusammenbruch dieser Firmengruppe 1720 führte zu einer Krise der französischen Staatsfinanzen (vgl. dazu Carl Colbot: Der Börsenschwindel des John Law, München 1927).

67. Bernardin de Saint-Pierre (1737-1814), französischer Schriftsteller, Freund Rousseaus und ebenso wie er glühender Anbeter der reinen Natur. Er hatte weite abenteuerliche Reisen auch in den Tropen gemacht und seine Erfahrungen in Naturschilderungen niedergelegt, deren Realititätstreue kein Geringerer als Alexander von Humboldt bezeugt (Kosmos, II, 67).

68. * Der Dichter, Kunstkritiker und Essayist Charles Baudelaire (1821-1868) markiert den Übergang von der Romantik zur Moderne.

69. * Siehe dazu Lafargues Essay Das Geld von Zola.

70. * Das 1795 von den Franzosen eroberte Holland wurde zur „Batavischen Republik“ umgewandelt und von „Patrioten“ verwaltet.

71. Atala, erste Auflage (*1801). Alle nacheinander erschienenen Auflagen sind umgearbeitet worden. * Die endgültige Fassung erschien 1805.

72. In einer Studie über Die französische Sprache vor und nach der Revolution, welche in der Ere nouvelle [*Neuen Zeit]“ erschienen ist, habe ich zahlreiche und interessante Beispiele davon gegeben. Ich verweise den Leser auf diese Arbeit.

73. * Der Schriftsteller August von Kotzebue (1761-1819) galt den deutschnationalen Burschenschaftern als Spion, nachdem er 1817 zum russischen Kulturattaché ernannt worden war, weshalb ihn der Student Karl Sand erdolchte. Zahlreiche geschickt aufgebaute, aber seichte Possen machten Kotzebue zum meistgespielten Dramatiker seiner Zeit.

74. Victor Hugo: William Shakespeare·(*1864). * Œuvres, Philosophie II, D/2, Paris 1937.

75. J.M. Chenier: Les nouveaux saints [*Die neuen Heiligen]. Diese sehr wenig satirische Satire erlebte trotz allem binnen vier Monaten fünf Auflagen.

76. * John Milton (1608-1674) kämpfte im englischen Bürgerkrieg auf Seiten Cromwells und wurde von ihm zum Staatssekretär im außenpolitischen Amt ernannt. Nach der Wiederherstellung des Königtums war er vorübergehend in Haft und zog sich dann auf sein dichterisches Schaffen zurück. In einem zehnbändigen Spätwerk Paradise lost deutet er den Sündenfall als Auflehnung gegen den göttlichen Schöpfungsplan.

77. * Edward Young (1683-1765) Schaffen umfaßt Verssatiren im Geiste der Aufklärung, geistliche Dichtungen und Dramen.

78. * Der schottische Dichter James Thomson (1700-1748) war ein Vertreter der beschreibenden Dichtung, besonders eindrucksvoll schilderte er Naturschönheiten und deren Wirkung auf Menschen.

79. In seinem vierbändigen Roman Geschichte der Pamela oder die belohnte Tugend eines Frauenzimmers (1740) schilderte Samuel Richardson (1689-1761) die moralische Integrität einer Dienstbotin. Mit diesem und den folgenden Romanen gab er dem Genre des Briefromans literarisches Gewicht.

80. * Bekanntestes Werk von Oliver Goldsmith (1728-1174) war der Familienroman Der Pfarrer von Wakefield (1766).

81. * Die Romane der irische Schriftstellerin Maria Edgeworth (1767-1849) spielen in der Welt des Landadels. Außerdem schrieb sie auch noch Geschichte für Kinder mit moralisierendem Grundton.

82. * Der Roman, den Anna Maria Bennett (1750-1808) 1797 vollendete hat den englischen Titel The beggar girl and her benefactor [Das Bettlerkind und sein Wohltäter]“.

83. Chateaubriand soll uns berichten, in welcher Weise die Engländer sich dafür erkenntlich erwiesen. „Als wir für unsere Nachbarn mit Begeisterung erfüllt waren“, sagt er, „als in Frankreich alles anglisiert war: Hunde, Pferde, Gärten und Bücher, wurden die Engländer aus dem Instinkt des Hasses gegen uns antifranzösisch. Je mehr wir uns ihnen näherten, um so mehr entfernten sie sich von uns. Dem allgemeinen Gelächter auf ihren Bühnen preisgegeben, sah man in allen Possen John Bulls einen mageren Franzosen in apfelgrünem Frack, den Hut unter dem Arm, mit dünnen Beinen, einem langen Frackschoß und dem Aussehen eines verhungerten Tanzmeisters oder Friseurs. Man zog ihn bei der Nase, und er aß Frösche. Auf unserem Theater ist der Engländer stets ein Mylord oder ein Offizier ein Held voll Gefühl und Großmut“ (Chateaubriand: Essai sur la littèrature anglaise).

* „John Bull [Hans Stier]“ Spitzname für die Engländer, der in der napoleonischen Ära zum Symbol des britischen Selbstbehauptungswillen wurde.

84. Carlo Goldoni (1707-1763) ging 1762 nach Paris, wo er das italienische Theater leitete, aber zum Großteil in französischer Sprache schrieb. In seinen Stücken ersetzte er die in der Thematik erschöpfte „Commedia dell’arte“ durch eine vor allem an Moliere geschulte Rokkokokomödie.

85. Le Génie du Christianisme, IV, 189, 1. edition.

86. * Der preußische Generalfeldmarschall Blücher (1742-1819) hatte den Spitznamen „Marschall Vorwärts“.

87. * Der Zar Alexander I. Pawlowitsch, der Rußland von 1777 bis 1825 regierte, war Begründer der „Heiligen Allianz“.

88. * Anspielung auf den Trimphzug der verbündeten europäischen reaktionären Armeen (Preußen, Österreich, Rußland) am 31. März 1814 in Paris nach der Völkerschlacht bei Leipzig. Eine provisorische Regierung unter Talleyrand setzte Napoleon ab und zwang ihn in die Verbannung auf die Insel Elba. Mit Ludwig XVIII. kehrten die Bourbonen wieder auf den Thron zurück.

89. * Lovelace ist der Held des Romans Clarissa Harlowe.

90. * Alexandre Dumas der Jüngere (1824-1895), der uneheliche Sohn von Dumas dem Älteren (1802-1870), war ein Moralist, der an Gesellschaft und Scheinmoral Kritik übte. Sein bekanntestes Werk ist die von Verdi vertonte Kameliendame.

91. * Spitzname für Näherinnen, Wäscherinnen und Putzmacherinnen, die zu Beginn des 19. Jahrhunderts oft einen gemeinsamen Haushalt („ménage“) mit einem nicht immer wohlhabenden Studenten, Maler oder Dichter führten. Henri Murgers Scènes de la vie Bohème und die darauf aufgebauten Opern von Giaccomo Puccini und Ruggiero Leoncavallo haben den Typ der Grisette (im Französischen: graue Volkstracht) romantisiert. Den Wandel von der Grisette zu Kokotte hat Lafargue in Sappho beschrieben.

92. (*Constantin François de Chassebeuf Comte de) Volney: Observations sur les Indiens de l’Amérique du Nord, Œuvres complètes, VII

93. * Der französische Dramatiker Pierre Augustin Caron de Beauchmarchais (1732-1799) schrieb u.a. den Barbier von Sevilla, den Gioacchino Rossini in der gleichnamigen Oper vertonte.

94. * Der korrupte Grand Seigneur Graf Almaviva ist die Hauptfigur von Beauchamais Stücken Der Barbier von Sevilla (1775) und Figaros Hochzeit (1778).

95. * Der Schriftsteller Arnaud Berquin (1747-1791) wurde durch belehrende Erzählungen für Kinder bekannt.

96. * Sophie Cottin (1770-1807), Gattin eines früh verstorbenen Bankiers verfaßte eine Vielzahl von Romanen, u.a. Malwina (1800) und Amèlie Mansfield (1805).

97. Madame de Staël: De l’influence des passions sur le bonheur des individues (*Über den Einfluß der Leidenschaften auf das Glück ganzer Nationen und einzelner Menschen), 1796 (édition de 1818), 146-I60

98. * Die „École parnassienne“ war eine französische Dichterschule in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, die von der Ästhetik des „l’art pour l’art“ bestimmt war. Vertreter waren Théophile Gautier, Ch.M. Leconte de Lisle, J.-M. de Heredia, C. Mendès u.a.; Baudelaire, Verlain und Malarmé standen zu dem Kreis in Kontakt.

99. Lafargue meint hier die Niederschlagung der Pariser Commune im Mai 1871. Zolas L’assommoir [Der Totschläger] erschien 1877 (Anmerkung des Herausgebers). * Der Held dieses Romans – ein Arbeiter – verfällt aufgrund seiner erblichen Belastung unrettbar der Trunksucht.

100. * Georges Ohnet (1848-1918), Romancier.

101. Der Bourgeois hat sich dafür gerächt. Jetzt ist die Reihe an ihm, die Künstler zu verachten, welche sich seinen Sitten und Anschauungen anpassen, seinen geschmacklosen Prunk und seine unkünstlerische Sucht nach Nippsachen und Trödelkram nachäffen. Die folgende Anekdote ist typisch: Die millionenreiche Madame Mackay, welche früher Dienstmädchen in einer Schenke einer Goldgräberstadt in Colorado gewesen war ließ für eine fabelhafte Summe ihr Portrait von Meissonnier malen. Sie fand es nicht nach ihrem Geschmack – der gewissenhafte Künstler hatte es ähnlich gemalt – und hängte das kostbare Gemälde in ihrem – Wasserklosett auf.

* Jean Louis Ernst Meissonier (1815-1891) malte kleinformatige Genrebilder und Historien.

102. Predigt, welche der Abbe Andrein im Monat Nivöse des Jahres V (*Dezember 1796) in Notre Dame hielt. – Sébastien Mercier, der im 18. Jahrhundert einer der Vorläufer der Romantik war, führte zur selben Zeit die Kantsche Metaphysik in Frankreich ein. Sein wirres Hirn faßte sie in verworrener Weise auf und stellte sie dem Materialismus der Enzyklopädisten entgegen, den Royer-Collard endgültig durch die seichte Philosophie des bürgerlichen „gesunden Menschenverstandes“ ersetzte, der durch den schottischen Pfaffen Thomas Reid zur Würde eines Universalkriteriums erhoben ward.

* Pierre Paul Royer-Collard (1763-1845), Philosoph, Abgeordneter, Girondist. Der Philosoph Thomas Reid (1710-1976) begründete die „schotttische Schule“. Er lehrte im Gegensatz zu Locke und Berkeley, daß der Mensch in intuitiver Weise die Wirklichkeit sinnlich wahrnimmt.

103. * Hauptfigur von Iphigénie (1674).

104. * Hauptfigur von Bérénicel (1670).

105. Victor Hugo: William Shakespeare·(*1864) – * Œuvres, Philosophie II, D/2, Paris 1937.

106. * Der Dramatiker Victorien Sardou (1831-1908) schrieb bühnenwirksame historische Dramen und Komödien, darunter La Tosca für die Oper von Giacomo Puccini.

107. * Der Dramatiker Eugène Labiche (1815-1888) verfaßte mehr als 100 bühnenwirksame Sittenkomödien.

108. * von Aischylos.

109. * Charles Marie Leconte de Lisle (1818-1894), hervorragender Vertreter der „Parnassiens“, wurde durch seine hervorragenden Übersetzungen griechischer Dichter berühmt.

 


Zuletzt aktualisiert am 16.8.2004