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Die französische Sprache vor und nach der Revolution |
Im 18. Jahrhundert wandelte sich die Sprache um. Sie verlor den aristokratischen Schliff, um die demokratischen Manieren des Bürgertums anzunehmen. So mancher Schriftsteller fing, dem Zorn der Akademie zum Trotz, an, seine Wörter und Ausdrücke kurzerhand in den Kneipen und auf der Straße einzusammeln. Diese Entwicklung hätte sich langsam, Schritt für Schritt weiter vollzogen, wenn ihr nicht die Revolution einen gewaltigen Stoß nach vorn versetzt hätte, der sie weit über das Ziel hinaus führte, das durch die gesellschaftliche Lage notwendig gegeben war.
Die Sprachumwälzung ging Hand in Hand mit der Entwicklung der Bourgeoisie. Um die Wurzeln des sprachlichen Geschehens bloßzulegen, müssen wir erst jene sozialen und politischen Ereignisse kennen und begreifen lernen, deren Ergebnis das sprachliche Geschehen nur ist. Die Bourgeoisie des 18. Jahrhunderts war reich, gebildet und übte einen wenn auch verborgenen Einfluß auf den Lauf der Staatsgeschäfte aus; sie kämpfte gegen den Adel, nicht mehr wie im Mittelalter, um Rechte für einzelne Stadtgemeinden zu erobern, sondern um die Macht im Staate mit ihm zu teilen und in Eigentum, Gesetzgebung und Finanzwesen die für ihr Vorwärtskommen unerläßlichen Reformen durchzuführen. Unter den starken Persönlichkeiten dieser Heldenzeit haben Mirabeau [104] und die Männer, die ihn inspirierten, klar das Ziel vorausgeahnt, das zu erreichen war: Sie wollten nicht die Monarchie stürzen, sondern sie in die konstitutionelle Form gießen, die Englands Größe und Gedeihen und die bewundernde Sehnsucht der Enzyklopädisten und Physiokraten [105] ausmachte. Nach den blutigen Kämpfen der Revolution mündete die Bewegung schließlich auch in eine konstitutionelle Monarchie und seit 1815 hat sich der Parlamentarismus unaufhörlich entwickelt, wenn auch unter den verschiedensten Regierungsformen und Bezeichnungen.
Die politischen und wirtschaftlichen Reformen bezweckten nicht die Unterdrückung des Adels als herrschende Klasse, sondern das Aufsteigen einer neuen, durch Reichtum und Wissen mächtigen Klasse neben ihm. Doch die Adeligen konnten nicht begreifen, daß die notwendigen Reformen, mochten sie auch ihre Eitelkeit verletzen und einige ihrer vielen Privilegien schädigen, den Wert ihres Grundbesitzes beträchtlich steigern mußten. Nachdem sie sich erst am 4. August [*1789] [106] durch eine Anwandlung von Begeisterung, wie sie dem französischen Volke so eigentümlich ist, hatten fortreißen lassen, wollten sie, unfähig, die Bewegung zu leiten, der bürgerlichen Entwicklung wieder Halt gebieten, statt sie ruhig ihren Gang gehen zu lassen. Aber das Bürgertum war schon zu stark, um nicht, einmal im Sattel, alle Hindernisse nieder zu rennen. Diese Entwicklung war für seine Existenz eine so zwingende Notwendigkeit, daß es vor nichts zurückschreckte, sie zu Ende zu führen. Die bluttriefenden Massenhinrichtungen, die Massenexpropriationen, die kolossalen Verschwendungen, die Gesetze zur Festsetzung der Maximalpreise, mit einem Wort die ganzen Ausnahmebestimmungen der Revolution, die dem bürgerlichen Empfinden ihrem Wesen nach so ganz fremd sind, sie hätten den revolutionären Führern, die sie ergreifen mußten, wohl ebenso mißfallen wie dem guten Taine, wären sie ihnen nicht durch Umstände aufgedrängt worden, die gänzlich unabhängig waren von menschlichem Wollen.
Um den Adel, der bei den Monarchien ganz Europas Schutz und Hilfe fand, zu meistern, mußte die Bourgeoisie die Volksmassen aufstacheln, die sie gar nicht hatte in die Bewegung mit hineinziehen wollen. Die Schriftsteller und Philosophen, die in den Köpfen die Revolution vorbereiteten, kümmerten sich bis auf ein paar seltene Ausnahmen herzlich wenig um das Los der Arbeiter. Sie wandten sich nur an Adel und Bürgertum.
Voltaire wollte, daß die Aufklärung nicht des guten Tones vergäße und daß die Philosophie allgemein geachtet sei,
bemerkt Madame de Staël. Aber die Volksmassen, einmal in Bewegung, verlangten nun ihrerseits wieder nach Reformen, sie wollten den leeren Deklamationen der Bourgeoisie eine reale Basis verleihen. Statt sich mit der bürgerlichen Gleichheit vor dem Gesetz zu begnügen, forderten sie auch wirtschaftliche Gleichheit gegenüber den Existenzmitteln. Einen Augenblick lang konnten sie ihre kommunistischen Tendenzen in Paris zur Geltung bringen, brüderliche Ausspeisungen einführen und an Agrarreform und Gemeineigentum denken. [107] Aber diese der bürgerlichen Revolution künstlich aufgepfropfte und vorzeitig in den Kämpfen zwischen Bürgertum und Adel aufgepäppelte Volksbewegung, mußte scheitern.
Solange die Bourgeoisie noch mit dem Adel zu kämpfen hatte, mußte sie den Forderungen des Volkes nachgeben: Sie mußte brennen lassen, was nicht zu löschen war, und Reformen versprechen, die ihr gegen den Strich gingen und die sie auch prompt zurücknahm, als sich die Lage zu lichten begann. Die Reaktion begann mit Robespierre und setzte sich, immer deutlicher sichtbar, unter dem Direktorium fort. Die Verfassung von 1793, die allgemeines Wahlrecht gewährte, kann als der Gipfelpunkt der Revolutionsbewegung gelten; am 23. Juni angenommen, wurde sie sofort suspendiert und durch die Verfassung vom Jahre III (* 1795) ersetzt, bevor sie noch je in die Praxis hätte umgesetzt werden können. [108]
Diese politische, vor- und rückschreitenden Flut traf mit ihren Wogen auch auf die Religion, die Kunst, die Sitten und die Sprache. Der Atheismus wurde zuerst zur Religion erhoben, galt aber bald wieder als Verbrechen; Gott, eben noch durch Volksbeschluß abgeschafft, wurde feierlichst wieder eingesetzt, und der Katholizismus wurde nach der Verehrung von Robespierres Höchstem Wesen [109] wieder Staatsreligion.Der Sensualismus [110] des 18. Jahrhunderts, der die Revolution eröffnet hatte, beherrschte während der Revolution die Pariser Kommune. Nachdem ihn Robespierre für verdächtig erklärt und er angeklagt worden war, „die Ausschreitungen und Verbrechen von 1793“ genährt zu haben, wurde er unter dem Direktorium durch die harmonische Kompensationsphilosophie von Azais verdrängt, diese wieder durch die Philosophie des gesunden Menschenverstandes, die Royer-Collardaus Schottland einführte, und diese endgültig durch Cousins phrasenhaften Eklektizismus. [111] Der Maler David, seine Schüler und Nebenbuhler [112], die die „Horiatier“ [113] und die „Psychen“ aufgegeben hatten, um die Dramen der Straße und die Kämpfe der republikanischen Soldaten realistisch zu verherrlichen [114], sie alle kehrten unter dem Direktorium reumütig zu ihrer Jugendliebe zurück, zu Römern und Sabinerinnen. Kleidung, Möbel. [115] Die herkömmlichsten gesellschaftlichen Gebräuche, alle bekamen die Wirkung der zwiefachen politischen Umwälzung zu spüren. Da der republikanische Kalender das Jahr mit dem 22. September (I. Vendémiaire) anfing, galt der 1. Januar als verdächtig; es wurde verboten, ihn als Neujahrstag weiter zu feiern. Ja, es wird behauptet, daß an diesem Tage Briefe auf der Post erbrochen wurden, um nachzusehen, ob sie nicht vielleicht Neujahrswünsche enthielten. Unter dem Direktorium, im Jahre V (1796/97), wurde die Feier des Neujahrsfestes wieder eingeführt.
Auch die Literatur entging nicht dem allgemeinen Schicksal, soweit man von Literatur überhaupt sprechen kann, die sich in so wirrer Zeit auf die Zeitungen, Flugschriften und politischen Diskussionen in den Klubs und den Parlamentstagungen beschränkte. Mit dem Beginn der Revolution wurde die Sprache des 18. Jahrhunderts zum alten Eisen geworfen, ohne jeden Übergang stürzte man sich in den Stil des Demagogentums. Unter dem Direktorium wurden die B...s und die F...s, die der Père Duchêne ressuscité [116] wieder zum Leben erwecken zu können geglaubt hatte, auf Befehl der Regierung geächtet,
als handgreifliche Beweise für eine Neigung zur Anarchie von 1793, die man schon im Keime zu Staub zermalmen müsse.
Der Adel spielte in der sprachlichen Revolution dieselbe Rolle wie früher in der philosophischen Bewegung. Er hatte durch seine Freude an den gewagtesten Paradoxen, die für ihn nur geistige Näschereien waren, viel zur Untergrabung seiner bevorzugten Stellung beigetragen. Die Emigranten, die an den Höfen Deutschlands, Italiens und Savoyens vor den revolutionären Proskriptionen Zuflucht suchten, waren von der oppositionellen Kritik der Philosophen dermaßen angesteckt, daß man sie für Revolutionäre hielt und sogar manchmal als solche auswies. Die adeligen Abgeordneten prunkten anfangs mit ihrem philosophischen Geiste, solange sie dachten, daß er keine Konsequenzen nach sich ziehe. Sie glaubten am 4. August [*1789] ihre Privilegien opfern und selbst auf ihre Adelstitel verzichten zu können, um sich gemeine, bürgerliche Namen beizulegen, ohne an ihrer Stellung etwas zu ändern, so sehr waren sie von ihrer Überlegenheit überzeugt und sich des unendlichen Abstandes bewußt, der sie vom Bürgerpack trennte, in dem sie nur Lieferanten und Schmarotzer unterschieden.
Der Adel trieb die literarische Revolution bis zum äußersten. In ihrer „Histoire de la société française pendant la Révolution et sous le Directoire [Geschichte der französischen Gesellschaft während der Revolution und unter dem Direktorium]“, einem Werk, das reich ist an originellen Untersuchungen, die leider entstellt werden durch stilistische Abgeschmacktheiten, bemerken die Gebrüder Edmond und Jules de Goncourt, daß die Aristokraten mit dem Stil der Straße den Anfang machten. So im Journal des Halles [Markthallenblatt], das als Motto den Spruch trug: „Wo Zwang herrscht, gibt es kein Vergnügen“. Die erste Nummer begann mit dem Satze: „J’entendons gueuler à nos oreilles des papiers [Ich höre Zeitungen vor unseren Ohren plärren].“ [117] Dieselbe Sprache führt die Chronique scandaleuse [Skandalchronik], das Journal de la cour et de la ville [Hof- und Stadtzeitung], das Journal à deux liards [Zweipfennigblättchen]. In all diesen Zeitungen
gingen sie den Revolutionären im gemeinen Pöbelstil voraus und fingen schon vor den Duchêne-Leuten an, die Sprache der Straße in den Dienst der Polemik zu stellen.
Der Adel und seine Verteidiger hatten den außergewöhnlichen Einfluß wohl vorausgeahnt, den die populäre Presse, die damals das Licht der Welt erblickte, zu erringen im Begriff stand. Lemaire [118] sagte:
Mit der Feder hat man die Federbüsche der Ritter in den Dreck gerissen; mit der Feder hat man die Dame Bastille Gavotte tanzen lassen; mit der Feder hat man die Throne der Tyrannen gestürzt, den Erdball aufgewiegelt und die Völker angestachelt, zur Freiheit zu marschieren. [119]
Der Adel hatte wohl gefühlt, wie notwendig es war, das Volk für sich zu gewinnen und es als Rammbock zur Niederwerfung der Bourgeoisie zu gebrauchen. Er gab daher, um es zu erobern, leichten Herzens die höfische Sprechweise zugunsten des Jargons der Marktweiber auf, die „trimant la galere [Galeerenarbeit verrichtend]“, „tirant le diable par la queue [den Teufel beim Schwanz ziehend, soviel wie sich mühselig durchschlagend]“, „ayant bien de la peine [sich entsetzlich abrackernd]“ verlangten, daß sie „deshalb doch nicht länger als bloße Nullen gelten wollten“ (Cahier des plaintes et doléances des dames de la halle et des marchés de Paris rédigé au grand salon des Porcherons, August 1789).
Der Adel verfolgte seine übliche Taktik. In den blutigen Bürgerkämpfen der Städte im Mittelalter hatte er oft Partei für die niederen Klassen ergriffen, für die Gesellen gegen die Meister und gegen die städtischen Adelsgeschlechter, für den „popolo minuto“ gegen den „popolo grosso“, wie die Florentiner zu Savanarolas [120] Zeiten so ausdrucksvoll sagten. Die englische Aristokratie versuchte im 19. Jahrhundert, um sich gegen die Eingriffe der Bourgeoisie zu wehren und um die Agitation der Antikornzoll-Liga zu parieren, das proletarische Element der Industriestädte für sich zu gewinnen, indem sie im Gegensatz zu den Liberalen vom Schlage der Cobden [121] und Bright [122]Gesetze für die Regelung der Arbeitszeit durchgehen ließ.
Die Revolution in der Literatur nahm, als der Adel einmal den Anstoß gegeben hatte, alsbald einen beträchtlichen Aufschwung. Zeitungen, Broschüren und Flugblätter begannen nur so niederzuprasseln: erst nur politische Waffen, wurden sie bald zu einem Mittel der Bereicherung.
Was ist das noch für ein Verdienst, Patriot zu sein, sagte Saint-Just [123] zu einem Buchhändler, wenn eine Broschüre euch Tausende von Franken einbringt.
Um den Leser zu fesseln, mußte man ihm im Markthallenton aufwarten. Um den Käufer zu ködern, wählte man sensationelle, überspannte, groteske, pöbelhafte, gemeine oder fürchterliche Titel. Hier ein paar Beispiele: La bouche de fer [Das Eisenmaul] vom Abbé Fauchet [124], den der „Anti-Jakobinus“ zum „Bischof von Gottes Zorn“ stempelte, Les Œufs de Pâques, œufs frais de Besançon [Die Ostereier, frisch aus Besancon], Le Rocambole des journaux, ou Histoire aristo-capucino-comique de la Révolution [Der Rocambole [125] der Zeitungen oder aristo-kapuzino-komische Geschichte der Revolution], ferner die schon erwähnten Lettres bougrement patriotiques du père Duchêne mit dem Motto: „Kauft das für zwei Sous, und ihr lacht für vier!“, und die Lettres bougrement patriotiques de la mère Duchêne [der Mutter Duchêne], Le Plumpudding, ou Récréation des écuyers du roi [Der Plumpudding oder die Belustigung der königlichen Junker] Je m’en fous [Ich scheiß drauf] mit der “Überschrift: „Freiheit, libertas, zum Henker!“ Mit der fünften Nummer wechselt das Blatt seinen Namen und heißt nun: Jean Bart, ou suite de je m’en fous [Jean Bart [126] oder Fortsetzung des Ich scheiß drauf], Journal de la Rapée ou Ça ira, ça ira! [Rapéezeitung oder Es wird schon gehen, es wird schon gehen!] [127], das mit den Worten anfing: „Wir sind ja doch nur einen Scheißdreck wert“, Le Tailleur patriote, ou les Habits de Jean Foutre [Der patriotische Schneider oder die Kleider von Hans Arsch], A deux liards mon journal! Le journal de l’autre monde, ou Conversation vraiment fraternelle du diable avec saint Pierre [Eine Zeitung für zwei Heller! Die Zeitung aus der anderen Welt oder Die wahrhaft brüderliche Unterhaltung des Teufels mit dem heiligen Petrus], die als Kopf den Halsausschnitt einer Guillotine führt, bekränzt mit abgehackten Köpfen, und die Inschrift trägt: „Abbildung aus der Naturgeschichte des Teufels. Warnung für Intriganten“.
Die Horden der „Camelots“ [128], der Zeitungsverkäufer – damals hießen sie „Proclamateurs“ –, riefen diese Namen aus und stellten auch zuweilen an den Straßenecken die Artikel oder Sensationsnachrichten des Blattes, das sie verkauften, mimisch dar.
Zu Hunderten lockten Flugschriften und Broschüren den Käufer mit ebenso schreienden Titeln: Si je me trompe qu’on me pende! [Ich laß mich hängen, wenn ich nicht recht habe!], Prenez votre petit verre [Nehmt euer kleines Gläschen!], Le Parchemin en culottes [Das Pergament in Kniehosen], Bon Dieu! qu’ils sont donc betes, ces Francais! [Herr du meine Güte, wie dumm sind doch die Franzosen!], Les Demoiselles du Palais-Royal aux Etats généraux [Die Fräulein vom Palais-Royal in den Generalständen], La Mouche cantharide nationale contre le clergé [Die nationale spanische Fliege gegen die Pfaffen], Lettre de Rabelais, vol-au-vent aux décrets de l’assemblée, boudin à la Barnave [129], dindon à la Robespierre [Ein Brief von Rabelais, Pastete aus Beschlüssen der Nationalversammlung, Blutwurst à la Barnave, Truthahn à la Robespierre], Le Dernier Cri du monstre [Der letzte Schrei des Untiers], La Botte de foin ou Mort tragique du sieur Foulon [130] [Das Bündel Heu oder Tragischer Tod des Monsieur Foulon], L’Audience aux enfers de Messieurs de Launay, Flesselles, Foulon et Sauvigny [Die Audienz der Messieurs de Launay, Flesselles, Foulon und Sauvigny in der Hölle] [131], Le Coup de grâces des aristocrates [Der Gnadenstoß der Aristokratie], Gebete für die Sterbenden mit einer Totenmesse, die also anhebt: „Hol der Teufel die Aristokratie“, Adresse de remerciement de Monseigneur Belzébuth pour l’envoi des traîtres le 14 et 22 juillet [Dankadresse von seiner Durchlaucht Beelzebub für die Übersendung der Verräter vom 14. und 22. Juli]. [132]
Die leidenschaftliche, heftige Sprache der Zeitungen und Flugschriften war geboren: ihre vom Augenblick geschmiedeten Ausdrücke machten mächtigen Eindruck; wie Keulenschläge sausten diese von einer neuen Redekunst geschwellten Sätze auf den Gegner nieder. Die beiden Goncourts , die literarische Feinheit mit wirklichem Wissen verbanden, machen zwar aus ihren royalistischen Gefühlen in den obenerwähnten zwei Bänden kein Hehl, sie können aber doch dem literarischen Talent der revolutionären Schriftsteller ihre Anerkennung nicht verweigern. Sie sagen von diesen:
Sie antworten [den Aristokraten] im Tone der Markthallen, in einer Sprache, die sie im Rinnstein auflesen und der sie Biegsamkeit verleihen, ohne ihr etwas von ihrer Kraft zu nehmen, die sie fügsam und schmiegsam machen, ohne ihrer gesunden Farbe, ihrem kernigen, starken Wesen Abbruch zu tun. Man darf sich durch den ersten Anblick dieser Zeitungen, durch all die B... und F... nicht täuschen lassen, denn diese bilden eigentlich nur so eine Art Interpunktion in jenen: überwindet man seinen Widerwillen dagegen, so entdeckt man bald neben dieser Sprechweise vom Quai de la Rapée eine geschickte Taktik, eine gewandte Art, die Volksmasse anzulocken, ihr Regierungsgrundsätze und abstrakte politische Lehren mundgerecht zu machen. Man findet da eine starke, gesunde, kraftvolle, eines Rabelais würdige Sprechweise, der jeden Augenblick ein treffender Witz oder eine Grobheit zu Gebote steht; einen sehr beweglichen Geist, eine starke Dialektik, einen groben, vierschrötigen, plebejerhaften, aber gesunden Menschenverstand [...].Es wird die Zeit kommen, wo man Geist, Originalität, ja vielleicht sogar Beredsamkeit, die einzig wirkliche Beredsamkeit der Revolution im Père Duchêne und besonders bei Hébert [133] finden wird.
Die Waffe, die die Aristokraten zuerst geführt hatten, wurde ihrer Hand entrissen und gegen sie gerichtet. Ihre Zeitungen erfreuten sich nur geringer Verbreitung und mußten des öfteren aus Mangel an Lesern ihr Erscheinen einstellen, während „die kraftvollen Vadés [134] der Revolution“ eine unerhörte Popularität belohnte.
Der Erfolg des Père Duchêne und sein weitreichender Einfluß auf den Gang der Ereignisse darf uns nicht vergessen lassen, daß die Royalisten die ersten waren, die ihre Blätter mit der „Blüte der Pöbelsprache“ schmückten. Diese Vergeßlichkeit zu üben war eine Hauptsorge des Ausschusses des Institut national, der Fortsetzung der 1793 aufgehobenen Akademie, in seinem Rapport sur la continuation du Dictionnaire de la langue francaise [Bericht über die Fortführung des Wörterbuches der französischen Sprache] vom Jahre IX [1800/01].
Im Verlauf der Revolution, ist hier zu lesen, hat die Übertriebenheit der Ideen auch zu einer Übertriebenheit der Wörter geführt. Merkwürdige Verknüpfungen unzusammenhängender Ausdrücke hat man für Beredsamkeit genommen. Menschen, die gar keine oder nur eine schlechte Bildung genossen hatten, glaubten sich zu Rednern, zu Dichtern, zu Schriftstellern berufen Sie wollten die Aufmerksamkeit auf sich ziehen, und da sie das mit vernünftigen Mitteln nicht zuwege brachten, die der Geschmack hätte gutheißen können, so suchten sie ihr Heil in einer Keckheit der Sprache, die nur zu gut zu der ihres Benehmens paßte. Sie haben barbarische Wörter und übertriebene Redensarten geschaffen und haben nur zu viel Nachäffer gefunden, die Schwulst für Größe, sinnlose Gewagtheiten für gelungene Kühnheiten nahmen.
Das Institut nahm die Angriffe wieder auf, die sich damals [1800] von allen Seiten gegen
die zahllosen Schwätzer richteten, die die Revolution ausgebrütet hat und die uns aus ganz Frankreich all die Schreckensausdrücke und -redensarten beschert haben, die heute die Sprache eines Racine und Buffon beschmutzen (Décade philosophique [135] vom 30. Fructidor des Jahres X,1802).
Die Literaten erfreuten sich dazumal großer Verachtung,
da sie aus den Reihen jenes unendlichen Haufens von Journalisten hervorgegangen sind, die die Revolution in die Welt gesetzt hat: junge Beamte ohne Beschäftigung, Kleriker, die aus dem Seminar entlaufen waren, haben da versucht, ihre Witze für einen Groschen die Spalte zu verkaufen, und die verschiedensten Parteien haben sie besoldet, vom Père Duchêne bis zum Courrier de la cour [Hofkurier] (Bulletin de Paris, 7. Messidor des Jahres X [* 1802]).
Man begreift, daß so furchtsame Schriftsteller wie ein Laharpe und ein Morellet über die demagogische Sprache der revolutionären Blätter empört waren. Sie verstieß zu sehr gegen ihre akademischen Gepflogenheiten und ihre Feinheit. Ein Politiker jedoch oder ein Historiker, der Verständnis für die Aufgaben hat, die jenen Journalisten durch die Ereignisse aufgebürdet wurden, der weiß, daß sie die Aufmerksamkeit eines literarisch vollkommen unkultivierten Publikums zu fesseln, seine Leidenschaften zu entflammen und seine Unterstützung für die von ihnen erwählte Sache zu gewinnen hatten – er wird verstehen, daß ihr Stil allein den herrschenden Verhältnissen angemessen war, und staunen, daß sich so viele begabte Schriftsteller fanden, die sich dieser als veraltet geltenden Sprache bedienten, um „die lumpenhafte Bewunderung der tiefsten Niedrigkeit“ zu gewinnen. Der revolutionäre Zeitungs- und Flugschriftenschreiber ist kein Professor der Rhetorik, der nur auf seine sprachliche Fehlerlosigkeit zu achten hat; statt an grammatische und stilistische Regeln zu denken, hat er wie der Dramatiker in erster Linie darauf bedacht zu sein, die Masse, an die er sich wendet, mit sich fortzureißen. Er ist Polemiker und hat sich vor der Sprache, dem Geschmack, den Gewohnheiten und dem Bildungsgrad seiner Leser zu beugen.
Die mit deftigen Flüchen gespickte Sprache der Volksmassen, die Bürger und Adelige vorübergehend wie eine faschingsmäßige Maskerade angenommen hatten, mußte also bald verpönt werden, sobald die Schlacht für die Bourgeoisie gewonnen war. Die feierliche Aussprechung des Bannfluches über die Bougres und Foutres des Père Duchêne, von der wir schon weiter oben gesprochen, war nur der erste Schritt, den man zur Säuberung der Revolutionssprache tat. Lauter Protest erhob sich gegen
die Einführung oder den Gebrauch neuer Redensarten, die weder notwendig noch entschuldbar sind, [...] gegen diese neumodischen Wendungen, diese Verkupplungen von Wörtern, die eins sich übers andere wundern [...] Sie verdanken ihre Einführung nur dem vollständigen Vergessen jeglichen Anstandes, der absoluten Verwirrung aller gesellschaftlichen Abstufungen, jenen tollen, zügellosen Zeiten, die aus der Albernheit einen Anspruch auf die Macht ableiteten, dem Bedürfnis, sich zu erniedrigen, um Verfolgungen zu entgehen (Mercure de France [136], Thermidor des Jahres VIII, 1800).
Das Institut von Frankreich [137], das sich ebenso zum Sprachzensor berufen fühlte wie zuvor die Akademie, beanspruchte für sich das Vorrecht, die oberste Anstalt zur Säuberung der Sprache von Revolutionswörtern sein zu dürfen. „Am Institut liegt es, wieder Ordnung in die französische Sprache zu bringen“, heißt es im vorerwähnten Bericht. Die Décade vom 20. Messidor des Jahres IX (1801) verkündet, daß der Institutsausschuß, der mit dem Wörterbuch beauftragt war, seine erste Sitzung der Aufgabe gewidmet habe,
die Wörter zu prüfen, die während zehn oder zwölf Jahren neu in die Sprache eingeführt seien, um nur jene zu behalten, die für notwendig, ordnungsgemäß und wohlklingend befunden seien, sowie jene, die langer Gebrauch geweiht habe.
Die Jagd auf Wörter und Redensarten, die nun einsetzte, war kein harmloser Literatenzeitvertreib, sondern ein ernstes politisches Werk. Man trachtete danach, in der Sprache wie auch in Philosophie, Religion und Lebensweise jede Spur der Revolution zu verwischen. Wie ein Alp lastete sie auf allen, die vor ihr gezittert hatten und jetzt nur ans Genießen dachten. In einer Untersuchung dieser Geistesrichtung sagt Madame de Staël:
Jedesmal, wenn uns unser Ideengang dazu bringt, über das Schicksal des Menschen nachzudenken, taucht die Revolution vor uns auf. Vergebens sucht man seinen Geist an den Gestaden der Vergangenheit zu erheben; [...] wenn in diesen metaphysischen Regionen ein Wort nur in uns Erinnerungen erweckt, so gewinnen die Gemütsbewegungen die Oberhand. Der Gedanke hat alsdann nicht mehr die Kraft, uns aufrechtzuerhalten. [138]
Man ließ es jedoch bei der Ächtung der Flüche aus dem Père Duchêne nicht bewenden, man machte jetzt auf die anständigsten, farblosesten Ausdrücke aus der Revolutionszeit Jagd. Der Mercure [* de France], für den Fontanes [139], Chateaubriand [140] und die Männer der Katholischen Partei schrieben, geriet schon in Harnisch über den Gebrauch von Wörtern wie „nouveauté [Neuheit]“, „enrichissement [Bereicherung]“, „étroitesse [Enge]“, „hommes verveux [Enthusiasten]“, „plume libérale [freigeistige Feder]“. Er er nannte das „haarsträubende Sprachwidrigkeit [barbarisme monstrueux]“ (I. Vendemiaire des Jahres X, 1801 ). Der „Décade philosophique“ versuchte man aus ihrem Titel einen Strick zu drehen und riet ihr, ihn zu ändern; sie erwiderte schüchtern (in jenen Zeiten war es nicht angezeigt, als revolutionär zu gelten):·
Wenn man das Wort „décade“ während der Revolution gebraucht hat, muß man es darum ächten? Wir können es verstehen, daß man die Namen, die die verschiedenen Parteien bezeichneten, nicht ohne Unbehagen hört, es sind beschmutzte Worte, wir wünschen, daß sie, wenn möglich, vergessen werden möchten. Aber das Wort „décade“ kann man nicht dazu zählen. Es bedeutet nur die Einteilung des Monats in Zeiträume von je zehn Tagen. Die „décadis“ [141] sind als Feiertage unterdrückt worden, aber nicht die Dekaden (10. Thermidor des Jahres X, 1802).
Unter den Worthenkern tat sich besonders Laharpe hervor. Er schrieb eine Broschüre, um seinen Abscheu gegen das Duzen zu verkünden, das ihm im Jahre 1793 aufgezwungen worden war, und einen Band von über 100 Seiten, um die französische Sprache von der revolutionären Schmutzkruste rein zu waschen.
Früher, sagte er, lieferten die „Beinhausschreiber [ecrivains des charniers [142]]“ einem jeden nach Begehr Neujahrs-, Liebes- und Schmähbriefe. Es gab da einen Stil zu 10, 20 und 30 Sous. Den einen für das niedere Volk, das nicht schreiben noch lesen konnte, den andern für die, so beides gelernt hatten; den dritten endlich für stutzerhafte Ladenschwengel. Dieser letztere war ein blumenreicher Stil: für 30 Sous bekam man schon Geist und Ausdruck. Ebenso war es mit der Rangordnung der „revolutionären Schöngeisterei“ bestellt. Sie hat vielleicht fünf, sechs Schriftsteller und ebensoviel Redner vom Berge [143] hervorgebracht, die sich bis zum Dreißigsousstil emporgeschwungen haben [...] Diese Koryphäen verachten im besten Glauben von der Welt ihre Zehnsouskollegen. Die armen Leute haben keine Ahnung, daß einst der Tag kommt, da man sie alle ohne Unterschied über einen Kamm scheren wird, so wie wir es heute mit unseren alten Beinhausschreibern tun.
Nachdem er solcherart die Schriftsteller in die Pfanne gehauen, säbelt er die Wörter nieder:
„Démocratiser [demokratisch machen]“, schreit er, auch eins von den Wörtern, die die Revolution geschmiedet hat. „Moraliser“ ist ein intransitives Verbum. Es hat nie bedeutet: jemanden moralisch machen, sondern nur: von Moral sprechen, Moral predigen; „démoraliser“ sollte demnach bedeuten: aufhören von Moral zu sprechen. „Fanatiser“ ist nicht minder barbarisch, es widerspricht allen Regeln der Wortbildung, ebenso wie es dem Sprachgeist widerspräche, wollte man „authentiser“ oder „héroiser“ sagen für authentisch oder heroisch machen usw. Kein Adjektiv auf -que (fanatique, authentique, héroique) kann ein Verbum auf -iser bilden. [144]
Man gab ihm zu bedenken, daß man doch auch „électriser“ (von électrique), „tyranniser (von tyrannique)“, „dogmatiser“ (von dogmatique), „canoniser“ (von canonique) sage, ja daß er selbst diese Wörter gebraucht habe.
Marie-Joseph Chenier [145] warf sich zum Schützer der verpönten Wörter auf:
Viele Leute hassen in den neuen Wörtern vielleicht nur die neuen Ideen und Institutionen. Dabei muß man indes vorsichtig sein; denn so manches Wort, von dem man glaubt, es sei mit der französischen Republik zusammen entstanden, gehört schon der Zeit der Monarchie an [...] Viele möchte gerne „civique [bürgerlich]“ und „citoyen [Bürger]“ als neuerungsverdächtig geächtet sehen, es sind aber alte Wörter.
Das Alter eines Wortes machte wenig aus. War es einmal von den Revolutionären gebraucht worden, so wurde es schon verdächtigt, verurteilt und verdammt. Der Mercure [* de France] vom 3. Vendemiaire des Jahres XI (1802) entschuldigte sich, das Wort „patriotisme“ gebraucht zu haben, das hier in seiner ursprünglichen Bedeutung zu verstehen sei, denn
die Leute von 1793 hatten keinen Patriotismus, mochten sie auch das Vaterland im Munde führen.
Chateaubriand behauptete, man bliebe
kalt gegenüber den Szenen der Horatier, denn hinter all diesen Worten: „Was! ihr wollet mich beweinen, der ich sterbe für mein Vaterland!“ sieht man nichts als Blut, Verbrechen und die Sprache der Konventstribüne. [146]
Trotz dieser tollen Jagd auf Wörter und Redensarten erhielt sich nichtsdestoweniger eine ganze Menge von ihnen in der Sprache, die durch die Bresche der Revolution eingedrungen waren: Der ohnmächtige Zorn der Sprachforscher und Puristen diente nur dazu, offiziell die Geburt der Bourgeoissprache zu konstatieren. Es handelt sich für uns darum, diese Spracherneuerung in Ursache und Wirkung zu untersuchen.
Die Revolution berief eine neue Klasse ins politische Leben, das sie gleichzeitig schuf: die Staatsgeschäfte, die bis dahin in der Stille des königlichen Kabinetts ihre Erledigung gefunden hatten, wurden nun in aller Öffentlichkeit in Zeitungen und Parlamentssitzungen diskutiert. Die öffentliche Meinung wurde zu einer Macht, an sie mußte sich eine Partei wenden, sich ihrer Hilfe versichern, wollte sie sich im Staate behaupten. Die neuen politischen Verhältnisse verlangten eine ebenso neue Sprache, die aus der politischen Sphäre allmählich auf das rein literarische Gebiet hinübergleiten mußte. [147]
Die Männer, die während der Revolution mit den Staatsgeschäften betraut waren und sie auf der Rednerbühne und in der Presse diskutierten, kamen aus den verschiedensten Provinzen und waren fern vom Hof und dem Einfluß der Akademien und Salons erzogen worden. Andere, die wie Talleyrand eine aristokratische Bildung genossen hatten, waren sich der Unzulänglichkeiten der Sprache wohl bewußt. [148] Die, welche sie in ihrem Hause, ihrem Laden, ihrer Kanzlei sprachen, war die Sprache der Bourgeois, ihrer Freunde und Kunden und nicht die der Höflinge von Versailles und der akademischen Schriftsteller. Diese, immer in Berührung mit der feinen Welt, um deren Beifall sie buhlten, hatten sich redliche Mühe gegeben, nur deren gefeilte Sprache zu gebrauchen. Aber die Journalisten und Redner der Revolution hatten es mit einem anderen Publikum zu tun; selbst Bourgeois, trachteten sie danach, Bourgeois zu überzeugen und zu gewinnen. Sie sprachen und schrieben natürlich die Sprache, die sie um sich, in ihrem sozialen Milieu hörten, ebenso wie es ein Rabelais, Montaigne und Calvin [149] getan, die „Väter unserer Sprache“, von deren Wörtern und Ausdrücken sie viele zu neuem Leben erweckten. Die politischen Ereignisse, in deren Strudel sie sich warfen, spielten sich so unerwartet und überstürzt ab, daß sie, gezwungen, unter dem Eindruck des Augenblicks zu schreiben und zu sprechen, gar nicht Zeit und Lust hatten, sich akademischen Regeln anzupassen, sich ihre Ausdrücke sorgfältigst auszusuchen oder auch nur den elementarsten Regeln der Grammatik zu folgen. Und dann waren sie ja dazu berufen, Einrichtungen einer Gesellschaft über den Haufen zu werfen, die die Entwicklung ihrer Klasse verhinderten. Wie hätten sie da vor der Sprache und den Gepflogenheiten der literarischen Clique Respekt haben sollen, die sich zu ihrer Beschützerin aufgeworfen hatte? Die Auflösung der Akademie, „dieser letzten Zuflucht aller Aristokraten“ [150], war die logische Folge der Ereignisse.
Unbekümmert um alle Tradition in Sprache und Schrift durchbrachen sie den engen Kreis, der die feine Sprache gefangenhielt; ohne es zu ahnen und zu wollen, zerstörten sie im Handumdrehen das Werk des Hôtels Rambouillet und des Jahrhunderts Ludwigs XIV. Sie bedienten sich ganz ungeniert der ungezwungenen Wörter und Redensarten, deren Kraft und Verwendbarkeit ihnen der tägliche Gebrauch überzeugend bewiesen hatte, ohne daran zu denken, daß sie bei Hofe und in den Salons auf die schwarze Liste gesetzt waren: sie brachten Dialektausdrücke aus ihren Heimatorten mit. Sie gebrauchten die Ausdrücke aus ihrem Fache oder Geschäft, schmiedeten neue Wörter, wenn ihnen passende fehlten, und gaben anderen einen neuen Sinn, wenn ihnen der alte nicht mehr behagte. Die Revolution war wahrhaft schöpferisch, in der Sprache wie auf politischem Gebiet, und mit Recht konnte Mercier sagen, „die Mundart des Konvents war ebenso neu wie die Lage Frankreichs“.
Ich habe an verschiedenen Zitaten das wütende Bestreben Voltaires und der Puristen vor und nach der Revolution dargestellt, ihr Bestreben, koste es, was es wolle, die aus der Mode gekommene Sprache des 17. Jahrhunderts zu behaupten. Um ein Bild von der plötzlichen Sprachrevolution zu geben, die sich zwischen 1789 und 1794 vollzog, will ich ein paar sehr unvollständige Verzeichnisse neuer und alter Wörter wiedergeben, die sich die Sprache damals zu eigen machte. Sie werden trotzdem den Leser ausreichend erkennen lassen, daß die neuen Wörter, die seither in Gebrauch kamen, schon in diesen wenigen Revolutionsjahren geschaffen wurden.
Man hat die Sätze durch neue Wörter kürzer machen wollen, die den Stil jeder Anmut entkleiden, ohne ihm dafür mehr Genauigkeit zu geben,
sagte Madame de Staël, und sie zitierte zum Beweis: „utiliser [nutzbar machen]“, „°préciser [präzisieren]“, „°activer [beschleunigen]“ [151] Die unvergleichliche Genauigkeit der Sprache des 18. Jahrhunderts, die die moderne bei ihrer Überladenheit mit allen möglichen Bildern und glänzenden, aber für gewöhnlich ungenauen Vergleichen niemals erreichen wird, war nicht die Eigenschaft, die die Revolutionäre von einer Sprache verlangten. Sie brauchten eine Sprache reich an wirkungsvollen Bildern und Ausdrücken. Da es in der aristokratischen an Zeitwörtern fehlte, so wandelten sie einfach Hauptwörter in Zeitwörter um, ohne sich viel um ihre grammatische Regelmäßigkeit und die vollkommene Genauigkeit ihrer Bedeutung zu scheren. In der Aufzählung von Wörtern, die die Revolution eingeführt oder geschaffen hat, und in den anderen, die ich weiterhin noch anführe, erwähne ich bis auf ein paar Ausnahmen nur Wörter, die trotz des akademischen Scherbengerichtes durch den Gebrauch angenommen wurden.
„°Républicaniser [republikanisch machen]“, „pactiser [einen Vertrag schließen]“, „centraliser“, „°réquisitionner [Anträge stellen]“, „°légiférer [Gesetze geben]“, „égaliser [gleichmachen; Linguet [152]: ‚Die Bastille und der Tod machen alles gleich, was sie verschlingen‘;]“, „°journaliser [für Zeitungen schreiben]“, „élire [wählen]
Das Wort war kaum bekannt vor der Revolution, das Volk verstümmelte es bei den ersten Wahlen, die stattfanden, und man hörte oft ehrenwerte Mitglieder sagen: „On a eli [statt elu] monsieur un tel président [Man hat Herrn Soundso zum Präsidenten gewählt]“ (Mercier: Dictionnaire néologique).
„ordonnancer [zur Bezahlung anweisen]“, „°pamphlétiser“, „°radier [streichen: von der Liste der Emigranten zum Beispiel]“, „°baser [gründen, basieren]“
ein schwerfälliger, unnützer Schmarotzer, ist das Wort die unglückseligste Schöpfung moderner Sprachneuerung: bisher sagte man dafür fonder, établir ... mag es den Volksrednern erhalten bleiben wie den Advokaten die Ausdrücke der Gerichtspraxis (Mercure vom 1. Germinal X [*1802]).
„°scélératiser [Verbrechen begehen]“, „°juillettiser [sich benehmen wie am 14. Juli 1789, dem Tage der Eroberung der Bastille]“;
wenn also die Völker nach dem Beispiel von Paris die Bastillen stürzen und den Julitag erneuern werden [renverseront les bastilles et juillettiseront],
„°caméléoner [seine Ansicht häufig wechseln]“, „°mobiliser“, „°démarquiser [einem den Titel Marquis nehmen]“, „°démocratiser“, „°déprêtriser [der Priesterwürde entsetzen;
der Pariser Gemeinderat beschließt, ein Register aufzulegen zur Einschreibung der Erklärungen all der Bürger, die sich ‘entpriestern’ lassen wollten,
„détiarer [entpapsten]“, „religionner [religiös machen]“, „athéiser [atheistisch machen]“, „°messer [Messe lesen: messer une messe en quatre temps: eine Messe im Viervierteltakt lesen]“.
„Domestiquer [zum Haustier machen]“, „°esclaver [zu Sklaven machen; eine Nation zum Beispiel]“, „héroïser [zum Helden machen]“, „révigorer [wieder kräftigen]“, „°viriliser [zum Manne machen]“, „°enjuponner [Unterrock anziehen]“, „°gigantifier [ins Ungemessene steigern; zum Beispiel die Gefahr]“, „°abominer [verabscheuen]“, „°soporifier [einschläfern]“.
„Fabuliser [ausschmücken; zum Beispiel Nachrichten]“, „féruler [aufpeitschen; zum Beispiel eine Versammlung]“, „°paroler [ Worte machen]“, „°forcener [ins Toben bringen; zum Beispiel seine Sprache in Raserei versetzen wie Collot d’Herbois]“ [153], „paôner [stolzieren wie ein Pfau]“, „léoniser [zu Löwen machen]“.
Die Revolution gibt den Gemütern jene Wut, die die Völker zu Löwen macht, stark genug, die Tyrannen zu verschlingen (Mandar [154]),
„girouetter [sich wie eine Wetterfahne (girouette) drehen, ein gerade in diesen Zeiten so notwendiges Wort, wo man so oft seine Anschauungen wechselte, daß das Lexikon der Zeitgenossen bezeichnenderweise das >Dictionnaire des girouettes (Lexikon der Wetterfahnen)< hieß]“, fanger [schmutzig machen; zum Beispiel durch die Korruption der Städte, wie Restif de la Bretonne [155] sagt, einer der eifrigsten Sprachneuerer]“, „ligaturer [unterbinden; zum Beispiel ein Volk]“, „juvenaliser [beißend schreiben wie Juvenal [156]]“, „°machiavelliser“, „°cromwelliser“, „°don quichotter“, „°avocasser [ Winkeladvokat sein]“, „°convulser [krampfhaft verzerren]“, „°coquiner [ein liederliches Leben führen]“, „°désexualiser [desexualisieren] [157]“, „°diamanter [mit Diamanten verzieren]“, „enceinturer [schwanger machen]“, „‚pyramider [eine Pyramide bilden] eine Verrücktheit, die uns aus Ägypten kommt, aber schon Diderot hatte geschrieben: ‚Ce groupe pyramide bien (Diese Gruppe bildet eine schöne Pyramide)‘“, „pantoufler [in den Tag hinein reden oder behaglich ohne Zwang plaudern, wie man es zu Hause tut, im Schlafrock und Pantoffeln]“.
Die Nationalversammlung hat den König Coco darauf beschränkt, mit der Königin über Politik zu schwätzen" [ a pantoufler avec la reine etc.].
Madame de Sévigné hatte gesagt: „Wir sind jetzt so traulich beisammen und können nun nach Herzenslust pantouflieren“. „°Ebêtir [dumm machen]“, „° deshumaniser [entmenschlichen]“, „°impressionner [Eindruck machen]“, „imager [ausschmücken; zum Beispiel seine Sprache]“, „°expressionner [Ausdruck verleihen; zum Beispiel durch Betonung]“, „°gester [Gebärden machen: Lekain [158] gestierte mit edlem Ausdruck]“.
„Historiser [erzählen]“, „°éditer [ein Buch herausgeben]“, „ tomer [ein Buch in Teile teilen; zum Beispiel in mehr Teile teilen, als es der Stoff erlaubt]“.
„Mystifier [mystifizieren, hinters Licht führen]“, „°agrémenter [verzieren]“, „°susurrer [flüstern]“, „°futiliser [wertlos machen]“, „°moderniser [modernisieren]“ , „°fanfarer [Reklame machen]“, „° melodier [vertonen oder singen, wie die Vögel]“, „°odorer [riechen, wittern]“, „subodorer [von weitem riechen]“, „hameçonner [angeln]“, „naufrager [scheitern]“, „frugaliser [sich einschränken, >aus Liebe zur Republik<]“, „stériliser l’industrie [159] [die Industrie lahmlegen]“, „°ajourner [vor Gericht laden, vertagen“, „°moduler [modulieren]“, „° urbaniser une assemblée [160] [eine Versammlung städtisch machen]“, „°pologniser [polonisieren]“, „°germaniser [germanisieren]“, „°épingler [mit Nadeln anstecken; das Fehlen diese Wortes entschuldigt die Umschreibung von Delille]“. [161]
„Substantiver [im wesentlichen darstellen]“, „°éduquer [erziehen]“, „° idéaliser [idealisieren]“, „°égoiser [zu viel von sich selbst reden]“.
Man kann dem Verfasser der berühmten Memoiren [Necker] nicht vorwerfen, zu wenig „egoisiert“ zu haben.
Ebenso wie Zeitwörter brauchten die Revolutionäre auch neue Haupt- und Beiwörter. Sie setzten alte Wörter neu in Umlauf, die seit Madame de Sévigné [162] und La Fontaine verschollen waren Manche von ihnen sind wiederum außer Gebrauch gekommen, aber viel mehr werden täglich heute noch angewandt trotz der Prophezeiung des „Mercure [* de France]“, der sich zum Echo der Sprachforscher und Puristen vom Jahre X [*1802] aufgeworfen hatte und spöttisch nach Wörtern suchte,
die Ronsard, du Bellay [163], du Bartas [164] und so viele andere geschmiedet. Was ist aus den Wörtern geworden, die ein Ménage [165] im folgenden Jahrhundert gewagt?
Der Spott ging daneben: Ronsard, Baïf [166] und ihre Freunde von der Pléiade hatten in der Poesie das Lateinische durch das Französische ersetzen wollen, das die Schriftgelehrten des 15. und 16. Jahrhunderts noch
für barbarisch und regellos hielten und für unfähig jener Feinheit und Fülle, die im Griechischen und Römischen steckt; um so mehr, wie sie sagten, als es nicht seine Deklinationen, Maße und Numeri hat wie jene beiden anderen Sprachen. [167]
Anstatt Villon [168] nachzuahmen und frischweg in der Volkssprache zu dichten, hatten jene frühen französischen Dichter ein Kompromiß geschlossen und Metrik und Wörter dem Griechischen und Lateinischen entnommen, indem sie sie französisierten. Sie hatten Glück mit ihrer Revolution. Sie stürzten das Lateinische so gründlich, daß sogar ihre eigenen Wörter antiken Ursprungs in den allgemeinen Zusammenbruch mit hineingerissen wurden. Die Revolutionäre des 18. Jahrhunderts dagegen führten in die Aristokratensprache nur Wörter populären Ursprungs ein; und gerade diese Wörter haben eine staunenswerte Lebenszähigkeit, während die von den Gebildeten und Gelehrten geborenen nur ein ungewisses Eintagsdasein führen. [169]
104. Honoré Comte de Mirabeau (1749-1791) versuchte als Präsident der Nationalversammlung 1791 das Königtum zu retten. Bekannter ist er heute wegen seiner pornographischen Romane.
105. Erstes geschlossenen volkswirtschaftliches System, in Frankreich von Turgot und Quesnay begründet.
106. In einer Nachtsitzung am 4. August 1789 schaffte die Nationalversammlung sämtliche Feudalrechte ab: „Männer vornehmen Standes riefen allgemeinen Beifall hervor, als sie die Abschaffung der Feudalordnung und die Wiederherstellung der Rechte des Volkes vorschlugen [...] Dieser Beifall war eine Art Tribut, der tagtäglich auf nur wohlklingen Phrasen errichtet wird und dem man patriotischen Gefühle nicht verweigern durfte“ (Mirabeau an seine Wähler über die Nacht des 4. August; in: Walter Markov: Revolution im Zeugenstand Frankreich 1789-1799, Frankfurt 1987, 2, 95).
107. * Vgl dazu: Freiheit und Brot! Adresse vom Frühjahr 1793; Einspruch gegen die Aufteilung des Gemeindelandes vom 6. April 1793; Eigentum ist kein Naturrecht – Brief Babeufs vom 7. Mai 1793; Macht alle gleich! – Adresse der Sektion Sans-Culottes vom 2. September 1793; Lebensmittel und Macht dem Gesetz – Petition der Bürger von Paris vom 5. September 1793; Petition um ein Gesetz gegen die Tyrannei der Hausbesitzer zu erwirken vom 5. Oktober 1793; in: Markov (siehe Anm. 550) 2, 358ff.
108. * Die der sogenannte „Jakobinerverfassung“ vorangestellten Menschen- und Bürgerrechte gingen viel weiter als 1789 bzw. 1791 (nach Markov [siehe Anm. 550], 1, 324ff):
109. * Am 8. Juni 1794 erklärte Robespierre beim Fest des Höchsten Wesens: „Alles was gut ist, ist sein Werk oder ist das Höchste Wesen selbst. [...] So werden wir der Welt das Beispiel republikanischer Tugenden geben, und auch das will heißen, daß wir die Gottheit ehren“ (zit. nach: Markov [siehe Anm. 550], 1, 613).
110. * Erkenntnistheoretische bzw. psychologische Richtung, die alle Erkenntnisse aus Sinneswahrnehmungen ableitete. Etienne Bonnot de Condillac (1715-1780) war der Hauptvertreter des französischen Sensualismus.
111. Pierre-Hyacinthe Azaïs (1766-1845) brachte es durch seine Philosophie der „Compensations“ zu einer gewissen Tagesberühmtheit; sogar Napoleon, der sonst wenig für die Ideologen übrig hatte, stand seiner Lehre, die die Resignation predigte, sympathisch gegenüber. Azaïs lehrte, daß Gutes und Schlechtes in der Welt gleichmäßig verteilt sind und sich in der Summe aller Menschen gegenseitig aufheben. – (*Pierre Paul) Royer-Collard (1763-1843), oppositioneller Abgeordneter unter der Restauration, führte die schottische Philosophie von Hume und Hamilton, die die Metaphysik verwarfen, in Frankreich ein. – Victor Cousin (1792-1867) wurde der Begründer des eklektischen Spiritualismus in Frankreich. Er suchte zwischen den Schotten und der deutschen Schule (Schelling und Hegel, seinen „deux illustres amis [* zwei berühmten Freunden]“), dem absoluten Idealismus, der die Metaphysik a priori konstruierte, zu vermitteln. Wertvoller sind seine Arbeiten zur Geschichte der Philosophie (Anmerkung des Übersetzers).
* David Hume (1711-1776), schottischer Philosoph, Historiker und Diplomat lehrte, daß es keine aus Vernunft gewonnene Erkenntnis, sondern nur wiederholte Erfahrungen derselben Art gibt. William Hamilton (1788-1821), verband Humes Ideen mit Kantianischen Gedankengängen.
112. * François Gérard (1770-1837), Antoine Jean Gos (1771-1835), Jean Auguste Dominique Ingres (1780-1867), Pierre Paul Prudhon (1758-1823) ...
113. * Die Karriere des Malers Jacques Louis David (1748-1825) begann unter dem „ancien régime [alten Regime]“. In jungen Jahren zu einigen Ruhm gelangt, wurde er 1784 von der königlichen Akademie zur Hebung der Moral des militärischen Führungsstabes mit der Herstellung eines Bildes der Horatier beauftragt, das die Einschwörung dreier Söhne durch den Vater auf einen Kampf um Leben und Tod zeigt.
114. * Nach der Revolution wurde David Mitglied der Jakobiner und ist mit der Organisation und Gestaltung zahlreicher Feste der Revolution betraut. 1792 zum Mitglied des Nationalkonvents gewählt stimmte er als Anhänger des Montagne für den Tod des Königs und war mitverantwortlich für alle Maßnahmen des Wohlfahrtsausschuß ab 1793. Er war feder- und redeführend bei der Entwicklung, Planung und Ausarbeitung der meisten offizielen Kunstwerke der Revolution. 1793 schuf er das berühmte Bildnis des toten Marat, den er als „ami du peuple [Volksfreund]“ darstellte.
115. * David war einer der wenigen Jakobiner im engeren Kreis um Robespierre, die den Thermidor überlebten. Er wurde einige Monate inhaftiert, beklagte sich nur über das Verbot Besuche zu empfangen und den Mangel an Modellen. 1799 vollendete er die „Sabinerinnen“, das einzige große Historienbild, das er während der Regierung des Direktoriums hervorbrachte (die Tugend der Friedfertigkeit, die er in der Gestalt der Sabinerin „Hersilia“ propagierte, sollte die kämpfenden Parteien um der Nation wegen motivieren, den Streit einzustellen). Schon ein Jahr später wurde David Mitglied des Napoleonischen Hofstaates, der Napoleon und nichts als Napoleon malte.
116. B.... und F..., die Anfangsbuchstaben für zwei gemeine französische Flüche (bougre und foutre), die eine bedeutende Rolle in dem von dem anarchistelnden Schriftsteller Hébert (* Jacques René (1757-1794/ hingerichtet) gegründeten Blatt Père Duchêne spielten, das sich erfolgreich bemühte, den Ton der unteren Volksschichten zu treffen. Näheres über den Charakter Héberts und seine Zeitung siehe in Heinrich Cunow: Die revolutionäre Zeitungsliteratur Frankreichs [* während der Jahre 1789-1794], 1908, 289ff. (Anmerkung des Übersetzers).
* Die zweite Auflage von Cunows Buch erschien 1912 unter dem Titel Die Parteien der Großen Französischen Revolution und ihre Presse.
117. Es war unter den Hofleuten des 16. Jahrhunderts Mode gewesen, die erste Person Singularis: ich mit der ersten Pluralis des Verbums zu verbinden (was sich deutsch kaum wiedergeben läßt), zum Beispiel j’avons (ich haben), j’aimons (ich lieben) usw (Anmerkung des Übersetzers).
118. Ein früherer Postbeamter, der seit 1790 in Paris die Lettres bougrement patriotiques du père Duchêne [Saumäßig patriotische Briefe des Vaters Duchêne] herausgab. Vgl. Cunow, a.a.O., 290. (Anmerkung des Übersetzers).
119. Lettres bougrement patriotiques du père Duchêne (Saumäßig patriotische Briefe des Vaters Duchêne), No.199
120. * Der Dominikanermönch Girolamo Savanarola (1452-1498) versuchte im Florenz der Medicis eine „Diktatur Gottes“ zu errichten: Verbrennung „irdischer Nichtigkeiten“, Predigt von Askese, Kinderpolizei gegen das „Sündenbabel“.
121. * Der Unternehmer, Wirtschaftspolitiker und engagierte Vertreter eines Manchester-Liberalismus Richard Cobden (1804-1864) gründete die Anti-Corn-Law-League.
122. * Der Parlamentarier und Handelsminister John Bright (1811-1889) war ebenfalls ein Vorkämpfer des Freihandels.
123. * Antoine de Saint-Just (1767-1794/ hingerichtet), Jakobiner aus dem Kreis um Robespierre, Mitglied des Wohlfahrtsausschusses.
124. * Der Bischof Claude Fauche (1744-1793/ hingerichtet), war ein Anhänger der Aufklärung, der vor der Bastille seine Feuertaufe erhielt. Er wurde Feldprobst der Nationalgarde und gründete 1790 einen „Cercle social“, der nach dem Urteil von Karl Marx „die kommunistische Idee hervorgetrieben“ hat (MEW, 2, 126).
125. Rocambole, eine komische Theaterfigur (Anmerkung des Übersetzers). * Wörtlich übersetzt „Perlzwiebel“.
126. Jean Bart (1651-1702), berühmter französischer Seeheld, der als Führer eines Korsarenschiffes den Engländern und Holländern so großen Schaden zufügte, daß er trotz seiner niedrigen Herkunft – sein Vater war Fischer – von Ludwig XIV. an die Spitze eines Geschwaders gestellt wurde. Anstatt sich zu bedanken, sagte er nur: „Sire, das ist gescheit von Ihnen“ (Anmerkung des Übersetzers).
127. „La Rapée“, ein Kai im 12. Arrondissement von Paris. Von alters her befand sich dort der Weinhafen von Paris, infolgedessen wimmelte es natürlich in jener Gegend von Kneipen. „Ça ira“, der berühmte Refrain eines alten Revolutionsliedes aus dem Jahr 1789. Vollständig: „Ah, ça ira, ça ira, ça ira! Les aristocrates à la laterne!“ Freiligrath hat ein paar Revolutionsgedichte aus dem Jahr 1848 unter dem Titel Ça ira! vereinigt (Anmerkung des Übersetzers).
128. * Camelot bedeutet „kleiner Händler von wertlosem Zeug“.
129. * Der Advokat Antoine Barnave (1761-1793/ hingerichtet) war Delegierter in der Generalversammlung 1789. Sein Einfluß war mit dem Mirabeaus vergleichbar. Nachdem er beauftragt worden war, Louis XVI nach der „Affäre von Varennes“ nach Paris zurückzubringen, spielte er bei ihr die zuvor von Mirabeau innegehabte Rolle des heimlichen Beraters, was seine Verurteilung zum Tode unter der Terreur zur Folge hatte.
130. Joseph François Foulon (1717-1789) war einer der reichsten und schlimmsten Blutsauger des „ancien régime [alten Regimes]“. Man erzählt von ihm die Äußerung, die Franzosen seien nicht besser als die Pferde, und wenn sie kein Brot hätten, sollten sie Heu fressen. Als er nach Neckers Entlassung (11. Juli 1789) zu dessen Nachfolger bestimmt wurde, richtete sich die ganze Wut des Volkes gegen ihn. Er wurde am 22. Juli als eines der ersten Opfer der französischen Revolution an der Laterne aufgeknüpft (Anmerkung des Übersetzers).
131. (* Bernd Jordan) de Launay (*1740-1789), der Kommandant der Bastille, und (* Jacques de) Flesselles (*1721-1789), der verräterische Bürgermeister von Paris, fanden bei dem 14. Juli 1789 nach dem Bastillesturm von unbekannter Hand den Tod; Sauvigny fiel zugleich mit seinem Schwiegervater Foulon als Intendant von Paris der Volkswut zum Opfer (Anmerkung des Übersetzers).
132. * 14. Juli 1789 – Sturm auf die Bastille; nach dem 22. Juli 1789 erzeugten Wirtschaftskrise und Agrarrevolte in Frankreich unzählige Gerüchtewellen über ein Aristokratenkomplott, plündernde Räuber- und Diebshaufen usw.
133. * Der Revolutionär und Journalist Jacques René Hébert (1757-1794), Herausgeber des Père Duchêne, war ein Führer des radikalen Flügels der Bergpartei nach dem Sturz der Girondisten 1793. Er wurde auf Veranlassung Robespierres hingerichtet.
134. Jean Joseph Vadé (1720-1757), französischer Liederdichter, hatte das „genre poissard [Marktweibergenre]“, eine Vaudevillegattung in der Sprache der Masse, in die französische Literatur eingeführt und sich dadurch bei den Aristokraten starken Beifall errungen. (Anmerkung des Übersetzers).
* Nach dem normanischen Tal Vau de Vire werden in Frankreich Gassenhauer und burleske Singspiele bezeichnet.
135. Die Décade philosophique ist eine französische Zeitschrift (1794-1807) (Anmerkung des Übersetzers).
136. * Literatur- und Kulturzeitschrift, von Jean Donneau de Visé (1638-1710) als Mercure galant 1672 gegründet.
137. Das Institut von Frankreich, „L’institut de France“, wurde 1795 vom Direktorium begründet, um die 1793 aufgehobenen alten Akademien zu ersetzen und fortzusetzen (Anmerkung des Übersetzers).
138. Madame de Staël: De la littérature etc., I. Teil, Kapitel IX (* Ueber die Litteratur [siehe Anm. 454], I, 165).
139. Louis Marquis de Fontanes (1757-1821), französischer Dichter und Staatsmann, ein Gegner der Revolution, wurde 1804 zum Präsidenten der gesetzgebenden Körperschaft gewählt. Unter Napoleon wurde er Großmeister der Universität, Senator und Marquis. Trotzdem schlug er sich während der Restauration unbedenklich auf Ludwigs XVIII. Seite, der ihn zum Pair und Mitglied des Staatsrats ernannte (Anmerkung des Übersetzers).
140. * Obwohl aus einer adeligen Familie stammend, sympathisierte der Schriftsteller René de Chateaubriand (1768-1848) mit der Revolution. Sein Eintreten für den König zwang ihn zur Emigration, wo er sich zum Katholizismus bekehrte. Bis 1804 stand er in den Diensten Napoleons. Seine eigentliche politische Karriere begann mit der Niederlage Napoleons. Ludwig XVIII. machte ihn 1815 zum Minister, 1821 zum Pair, 1822 zum Außenminister. Im Dienste der Restauration organisierte er 1823 den Feldzug gegen das aufständische Spanien.
141. Decadi, der zehnte Tag der Dekade, der Sonntag des republikanischen Kalenders. (Anmerkung des Übersetzers).
142. Charniers des Saints-Innocents hießen bedeckte Galerien rings um den Friedhof des Innocents in Paris, wo sich gerne arme Schrifsteller aufhielten. 1786 wurden die Galerien zerstört (Anmerkung des Übersetzers).
143. Der „Berg [montagne]“, die Linke im französischen Konvent (1793) im Gegensatz zur „Ebene [plaine]“ oder zum „Sumpf [marais]“, wie die gemäßigten Parteien genannt wurden (Anmerkung des Übersetzers).
144. (* Jean François de) Laharpe: Le Fanatisme dans la langue révolutionnaire, Œuvres completes, Band V, Ausgabe von 1820
145. * M(*arie) J(*oseph) Chenier (1764 -1811 ), Dramatiker der französischen Revolution, zeigte sich in seinen Stücken als Fortsetzer von Voltaires Tendenztragik. Sein Karl IX., in dem die Bartholomäusnacht gebrandmarkt wurde, schlug dem Königtum am Vorabend der Revolution (1789) eine tiefe Wunde. Sein Bruder Andre (1762 -1794) vertrat die elegische Seite der Revolution, er verewigte den Schmerz dieser großen Zeit in wunderbar innigen, zarten Gedichten. 1794 fiel er unter der Guillotine, drei Tage vor Robespierres Sturz (Anmerkung des Übersetzers).
146. Chateaubriand: Le Génie du christianisme (* ou beautés de la religion chrétienne – Genie des Christentums oder Schönheiten der christlichen Religion), erste Auflage, 1802, 4, 189
147. Madame de Staël spricht in ihrer blinden und etwas künstliche Begeisterung für ihren Vater, Jacques Necker, ihm die Ehre zu, er sei „der erste und bis jetzt unübertroffene Meister in der Kunst zu schreiben für Staatsmänner", gewesen (De la littérature, II. Teil, Kapitel VII; hier zit. nach: Ueber die Literatur [siehe Anm. 454], 2, 190-91). – Neckers sentimentaler, schwülstiger Stil ist viel eher ein Muster jener schönen Literatur, die die Finanzleute in ihren Reklamen lieben, wo sie sich gleichzeitig für sechs Prozent und für Moral, für die Interessen des Familienvaters und die hohen Erträge eines Bergwerkes begeistern. Der Brief, den er am 23. Juli 1789 von Genf aus an Ludwig XVI. schrieb, ist eine auserlesene Stichprobe seiner Schreibweise:
„Ich nehme mir nur Zeit, Majestät, die Tränen zu trocknen, die mir Ihr Brief erpreßt hat, und fliege, mich in Ihren Dienst zu stellen. Mein Herz kann ich Ihnen nicht bringen, da es bereits auf Grund von tausend Ansprüchen ganz Ihnen gehört und ich kein Recht mehr darauf habe. Ungeduldig erwarte ich den Augenblick und suche ihn zu beschleunigen, in dem es notwendig wird, Ihnen den letzten Tropfen meines Blutes darzubieten usw. [...]“.
148. „Unsere Sprache“, sagt Talleyrand, „hat eine Menge Wörter verloren, die ein eher schwächlicher denn feiner Geschmack verbannt hat; sie müssen ihr wiedergegeben werden. Die alten und auch manche von den neuen Sprachen sind reich an kraftvollen Ausdrücken, kühnen Wendungen, die einer neuen Lebensweise vollkommen entsprechen; solcher müssen wir uns bemächtigen“ (zitiert bei Mercier: Néologie, s.v. „synonymique“).
149. * Johannes Calvin (1509-1564), Reformator Genfs, lehrte strengste Kirchenzucht und den Vorrang der Kirche vor dem Staat.
150. Bericht von David, dem Abgeordneten des Departements Paris, von der Konventstribüne am 8. August 1793 verlesen (* Über die Notwendigkeit die Akademien aufzulösen; in: Markov [siehe Anm. 550], 2, 468).
151. De la littérature, II. Teil, Kapitel VII, Du Style. Die hier und später mit einem ° bezeichneten Wörter stehen nicht in dem Dictionnaire de l’Académie [Wörterbuch der Akademie] von 1835, wenn sie sich auch in den Büchern einzelner Akademiker finden.
152. Simon Linguet ( 1736 -1794), französischer Schriftsteller und Advokat, kannte die Bastille aus seiner eigenen Anschauung, denn er hatte zwei Jahre in ihr gesessen. Das Schreckensregiment schickte ihn 1794 als verdächtig auf die Guillotine (Anmerkung des Übersetzers).
153. Jean Marie Collot d’Herbois (1751-1796), französischer Revolutionär und „Schreckensmann“, wurde nach dem 9. Thermidor nach Cayenne deportiert, wo er starb (Anmerkung des Übersetzers).
154. Michel-Philippe Mandar (1759-1823), französischer Publizist und Revolutionär (Anmerkung des Übersetzers).
155. Nicolas Edme Restif de la Bretonne (1734-1806), französischer Romanschriftsteller von großer Fruchtbarkeit und Pornograph. Als Sohn eines armen Bauern hatte er das tiefste Elend kennengelernt; in manchen seiner Romane wie in der Utopie La Decouverte australe entwickelt er ein durchgearbeitetes kommunistisches System, das im wesentlichen auf den bäuerlichen Hausgemeinschaften Frankreichs beruhte. Näheres siehe in den Vorläufern des Neueren Sozialismus, 1895, I. Band, S.849. (Anmerkung des Übersetzers).
156. * Decimius Junius Juvenalis (gest. um 127 n.u.Z.), römischer Satirker, ergoß seinen Spott vor allem aber über die vornehme Gesellschaft.
157. * In der deutschen Version nicht übersetzt.
158. Henry-Louis Lekain (1728-1778), französischer Schauspieler und Mitglied der Comedie Francaise. Voltaire nannte ihn den einzigen wahrhaft tragischen Schauspieler (Anmerkung des Übersetzers).
159. „l’industrie“ in der deutschen Version fehlend.
160. „un assemblément“ in der deutschen Version fehlend.
161. * Jacques Delille (1738-1813) war mit seiner bukollischen Dichtung ein namhafter Vertreter des Neoklassizismus. Er war berühmt für seine Verwendung von „Periphrasen [Begriffsumschreibungen]“.
162. * Marie de Rabutin-Chantal Marquis de Sévigné (1626-1696), Schriftstellerin mit Kontakten zur preziösen Pariser Salonkultur.
163. * Joachim Du Bellay (1522-1560) formulierte in seinem Manifest Défense et illustration de la langue française (1548), einer Verteidigung des Französischen gegenüber dem Lateinischen, das Programm der Pléiade.
164. Guillaume de Salluste du Bartas (1544-1590), französischer Hugenottendichter, schrieb eine poetische Darstellung der Schöpfungsgeschichte, La Semaine. Er fiel in der Schlacht bei Ivry, wo Heinrich IV. die Liga besiegte (Anmerkung des Übersetzers).
165. Gilles Ménage (Aegidius Menagius [1613-1692]), französischer Sprachgelehrter, eine der Koryphäen des Hôtel Rambouillet. Aus Opposition gegen die Akademie, die ihm die Aufnahme versagte, stiftete er die gelehrte Gesellschaft der Mercuriales. Moliere hat ihn als Vadius in den [*Les] Femmes savantes [* Die gelehrten Frauen (1672)] lächerlich gemacht. Sein Hauptwerk ist der Dictionnaire etymologique (Anmerkung des Übersetzers).
166. * Jean Antoine de Baïf (1532-1589) bemühte sich um eine Reform der französischen Orthographie und Metrik.
167. J(*oachim) du Bellay: La Defense de la langue, Buch I, Kapitel IX. Ronsard empfahl seinen Freunden und Schülern testamentarisch, die alten französischen Ausdrücke nicht verlorengehen zu lassen und sie „zu verteidigen gegen die Lumpen, die nur das für fein halten, was aus dem Lateinischen oder Italienischen herausgeschunden worden ist“.
168. François Villon (1431-?), der erste wirklich moderne Dichter Frankreichs, der erste, der auf alle Rhetorik und Allegorien verzichtet und dem natürlichen Empfinden zu seinem Rechte verhilft. Er machte ein wüstes Leben durch, wegen Diebstahls wurde er zum Galgen verurteilt, und nur seine Ballade„Les pendus [Die Gehenkten] rettete ihn vor dem Strick. Sein ferneres Schicksal, sein Tod sind unbekannt (Anmerkung des Übersetzers).
169. Ein bemerkenswertes Beispiel bietet uns das Lateinische. Die Wörter der Schriftsprache sterben in dem sinkenden Kaisertum aus, während die der Volkssprache noch heute in den Wörtern leben, die sie im Italienischen, Provencalischen, Spanischen und Französischen haben bilden helfen.
Deutsch |
Schriftlatein |
Volkslatein |
Italienisch |
Spanisch |
Französisch |
---|---|---|---|---|---|
Pferd |
Equus |
caballus |
cavallo |
caballo |
cheval |
Schlacht |
Pugna |
batalla |
battaglia |
batalla |
bataille |
Küssen |
Osculari |
basiare |
baciare |
besar |
baiser |
Mund |
Os |
bucca |
bocca |
boca |
bouche |
Katze |
Felis |
catus |
gatto |
gato |
chat |
Stadt |
Urbs |
villa |
villa |
villa |
ville |
Feuer |
Ignis |
focus |
fuoco |
fuego |
feu |
Recht |
Jus |
directus |
dritto |
derecho |
droit |
Zuletzt aktualisiert am 21.8.2004