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Die französische Sprache vor und nach der Revolution |
Das Wörterbuch der Akademie vom Jahre VI (1797), dessen Herausgabe der Konvent dekretiert hatte, gewährte 336 neuen Wörtern Bürgerrecht in seinem Ergänzungsband. Das heißt den Raum doch ein wenig beengen, denn gerade damals kamen alle die Ausdrücke der Parlamentssprache in Schwang:
„Organisateur [Organisator]“, „°désorganisateur [Zerstörer]“, „réorganisation“, „agitateur [Aufwiegler]“, „°agitable ([erregbar]“, „°modérantisme [gemäßigte Gesinnung]“, „députation [Abordnung]“, „député [Abgeordneter]“ , „civisme [Bürgersinn]“, „incivisme [Mangel an Bürgersinn], „propagande [Propaganda)“, „°propagandiste [Propagandist], „°réractaire [eidverweigernder Priester [170] später ersetzt durch >insermenté<]“, „citoyenne [Bürgerin]“,„ °flagellateur des abus [171] [Geißler von Mißbräuchen]“, „suspect , personne soupçonnée de aristocratisme [172] [Verdächtiger, Leute, die des ‚Aristokratismus‘ [173] verdächtigt waren]“, „°fraternisation des peuples [174] [Verbrüderung von Völkern]“, „°tyrranicide [Tyrannenmörder]“, „°légicide [Gesetzesmörder]“, „°liberticide [Freiheitsmörder]“, „°journalisme [Journalismus]“, „°journaillon [Tintenkuli]“, „°désabonnement [Zurücktreten vom Abonnement]“, „logographe [einer, der so schnell schreibt, wie gesprochen wird, Name einer Zeitung (1791/92), die die Parlamentsberichte brachte]“, „°ingouvernable [unregierbar]“, „bureaucratie [Bürokratie]“, „°bureaucrate [Bürokrat]“, „aristocrate [Parteigänger des ‚ancien régime (alten Regime)‘]“. „Aristocratie [Aristokratie]“,
die Kaste der ehemaligen Adligen und Privilegierten, im allgemeinen der Feinde der Regierung (Definition im Wörterbuch der Akademie vom Jahre VI [*1797]).
Démocrate
im Gegensatz zu Aristokrat einer, der sich der Sache der Revolution geweiht hat.
Aber die Zeitung „Les Actes des apôtres“ von 1789 trug als Untertitel: „Freiheit, Freude, königliche Demokratie“.
„°Négricide [Negermörder]“, „°négrophilisme [der Titel einer Broschüre vom Jahre X [*1802], in der die Wiedereinführung des Menschenhandels und der Sklaverei gefordert wurde. Eine Menge reaktionärer und katholischer Publikationen predigte damals die Sklaverei]“. „°Moutonnaille [Haufen blinder Nachäffer, der kühnen Führern wie eine Hammelherde folgt]“.
°Salariat, salarié (Lohnarbeit, Lohnarbeiter),
Ich kenne nur drei Existenzmöglichkeiten in der heutigen Gesellschaft, entweder Bettler, Dieb oder Lohnarbeiter zu sein (Mirabeau).
°Théophage [Gottesfresser; den Protestanten entlehntes Schimpfwort auf die Katholiken, die an die Transsubstantiation – die Umwandung von Brot und Wein in Fleisch und Blut Christi – glaubten: für die Revolutionäre bedeutete es so viel wie Messeleser]“, „croque-Dieu [Gottesnäscher]“, „capucinade [Kapuziner- (*=Straf-) predigt]“, „°capucinage [Kapuzinertum [175]]“, „gobe-Dieu [Gottverschlinger, Frömmler]“.
„Agio [Aufgeld, zum Beispiel Betrag, um den ein Wertpapier über dem Nennwert liegt]“, „agioteur [Börsenmakler]“, „faiseur [jemand, der ein geplantes übles Unternehmen durchführt]“, „fricoteur [Börsenwucherer]“, „fricasseur d’affaires [176] [schwindelhafter Bankrotteur]“, „spéculateur [Spekulant]“, „soumissionaire [Submittent]“.
Capitaliste:
Das Wort ist fast nur in Paris bekannt. Es bezeichnet ein Geldungeheuer, einen Menschen mit ehernem Herzen, der nur metallische Neigungen hat. Spricht man von Grundsteuer, so macht er sich darüber lustig, er nennt nicht ein Zoll breit Erde sein eigen. Wie soll man ihn besteuern? Ebenso wie Araber in der Wüste, wenn sie eine Karawane geplündert haben, ihr Gold vergraben, aus Furcht, andere Räuber möchten über sie kommen, so halten die Kapitalisten unser Geld verscharrt (Dictionnaire anecdotique).
Die Revolutionäre schufen Wörter für den Augenblick: „Sansculottes“, „sansculottides [die fünf Schalttage im Jahre]“, „°vendémiairiste [Vendemiairemann (Teilnehmer am Aufstand der revolutionären Sektionen von Paris gegen den Konvent am 13. Vendemiaire des Jahres IV [l5.Oktober 1795], den Bonaparte in den Straßen von Paris mit Kartätschen erstickte]“, „°fructidorien [Teilnehmer am Staatsstreich vom 18. Fructidor des Jahres V (5. September 1797), durch den das Direktorium die Republik vor den Royalisten rettete]“, „thermidorien [Thermidorianer, Gegner Robespierres, der am 9. Thermidor des Jahres II (27. Juli 1794) gestürzt und guillotiniert wurde]“, „°septembrisade [Septembermord, Ermordung verdächtiger Gefangener im September 1792, als die preußische Armee in Frankreich vorrückte]“, „°septembriseur“,„ terrorisme“, „terroriste“; „vandalisme“, „Grégoire [177] brauchte das Wort zum ersten Male in einem Bericht an den Konvent: „Ich schuf das Wort, um der Sache ein Ende zu machen“, sagt er in seinen Memoiren. Die Sprache war damals eine Zerstörungswaffe. In seiner Verteidigung der Künstler, denen man eine Gewerbesteuer auferlegen wollte, sagte Mercier:
Um die Verhältnisse besser über den Haufen werfen zu können, hat man die Sprache umgeworfen" (Tribune publique, Oktober 1796).
Télègraphe
diese seit der Revolution erfundene Maschine ist eine Art von Luftzeitung, deren Alphabet die soziale Regierung kennt.
„Lèse-peuple [Volksbeleidigung, „Attentat, schlimmer als Majestätsbeleidigung (lese-majeste)]“.
Die Sprache wird um ungezählte notwendige und malerische Wörter reicher: „Enleveur [Entführer]“, „ossu [knochig]“, „°ossature [Knochengerüst]“, „°inabordé [unbetreten]“, „°infranchissable [unüberschreitbar]“, „acrimonie [Schärfe, Bitterkeit]“, „inanité [Leere, Eitelkeit]“, „classement [Einteilung]“, „classification [Einordnung, Einstufung]“, „°classificateur [Klassifikateur]“, „°classifier [klassifizieren]“, „gloriole [armseliger Ruhm]“, „°élogieux [lobend]“, „inconsistant [haltlos]“, „inéluctable [unvermeidlich]“, „°imprevoyable [nicht vorherzusehen]“, „fortitude [Standhaftigkeit]“,„ °ingéniosité [Scharfsinnigkeit]“, „hébêtement [Dummachen]“, „°engloutissement [Verschlingen]“, „°imagerie [Bilderhandel, -fabrik]“, „°effarement [Bestürzung]“, „vulgarité [Gemeinheit; Madame de Staël behauptet, das Wort zuerst gebraucht zu haben]“.
„La famosite [traurige Berühmtheit]“; die „Famosität“ dieses Submissionslieferanten ist mit Buchstaben von Blut geschrieben.
„°Brûlement [Verbrennen; ein Brulement von alten Papieren der >robinocratie (Talarherrschaft, das heißt der Juristen)<]“, „logo-diarrhée [Mauldiarrhöe, Voltaire hatte schon das Wort, allerdings nur in einem Privatbrief, gebraucht]“,„oiseux [faul; von Massillon [178] gebraucht, dem man vorwarf, ein Sprachneuerer zu sein; so wurde er schon dafür getadelt, daß er >contempteur des lois (Gesetzesverächter)< gesagt hatte]“.
Das Wort naguère (unlängst, das verpönt und durch „il n’y a pas longtemps“ oder „depuis peu“ ersetzt war), wurde wieder aufgenommen, ebenso „certes [gewiß]“, über dessen Verschwinden sich schon Labruyére [179] beklagt hatte. Das Hôtel de Rambouillet hatte einen Feldzug gegen das Wörtchen „car [denn]“ geführt, Gomberville [180] rühmte sich, es in den vier Bänden seines Romans „Polexandre“ nicht ein einziges Mal gebraucht zu haben.
Die Philosophie und die Wissenschaften gewannen eine Menge von Ausdrücken:
„Idéaliser [verklären, idealisieren]“, „°idéalisme [Idealismus]“, „°idéaliste [Idealist]“, „°idéalisation [Idealisierung]“, „°idéalité [Idealheit], „indifférentisme [Gleichgültigkeit in Glaubenssachen]“, „perfectionnement [Vervollkommnung]“, „perfectibilité [Fähigkeit, sich zu vervollkommnen]“. „Etre suprême [das höchste Wesen]“.
Es gefiel Robespierre, das Höchste Wesen der Republik zu proklamieren, das nichts mit dem lieben Gott zu tun hatte [...] Ein Sansculotte sagte:„Es gibt keinen Gott mehr, es gibt nur noch ein Höchstes Wesen“ (Laharpe):.
Man versuchte, das Wort „sciencé [gelehrt]“ einzuführen, es war jedoch unnötig, da man bereits seit dem Mittelalter „savant“ dafür hatte. Die Engländer, denen das Wort fehlt, sind um eine Bezeichnung für den Gelehrten verlegen, sie nennen ihn Forscher (student) unter Beifügung seiner besonderen Wissenschaft „student of sanscrit, student of philosophy usw.“. Schließlich haben sie das französische Wort „savant“ übernommen und den neuen Ausdruck „scientist“ geschaffen.
Neuerdings wieder in der Sprache aufgekommene Wörter waren schon während der Revolution gebräuchlich gewesen:
„°Modernisme [Modernisieren]“, „naturalisme [Naturalismus in religiösem Sinne genommen, Naturreligion]“, „°sélection [Auswahl, Zuchtwahl; aus dem Englischen wieder eingeführt von Madame Clémence Royer in ihrer Vorrede zur Übersetzung von Darwins Buch)“, „°rieniste“, „°nihiliste [die Bildung des Wortes Nihilist wird gewöhnlich Turgenew [181] zugeschrieben; H. Castille [182], der über einen reichen Schatz von Wörtern verfügte, hat es aber schon 1853 in seinem Buche über Les hommes et les mœurs du régne de Louis-Philippe (Die Menschen und das Leben unter Louis-Philippe), 1853, gebraucht].
Alte Wörter erhielten neue Bedeutungen:
„Lanterner [vor der Revolution: fackeln, unentschlossen zögern]“; : „der Kardinal de Retz fackelte sehr während der letzten sechs Tage [183])“; nach der Revolution: an der Laterne aufknüpfen, „moralité [vor der Revolution: sittliche Betrachtung, sittliche Lehre, in das Gewand irgendeiner Fabel gehüllt; nach der Revolution: sittlicher Charakter eines Menschen, seine Sittlichkeit, seine Grundsätze (Wörterbuch der Akademie vom Jahre VI -*1797)]“, „niveleur [vor der Revolution: mit der Wasserwaage (niveau) abmessen]“, „niveleur [Vermesser; nach der Revolution gleichmachen]“, „niveleur [Gleichmacher, >der die Vermögen und die Verteilung des Bodens gleichzumachen trachtet<]“, „égalité (vor der Revolution Übereinstimmung, Parität, Verhältnis gleicher Dinge; nach der Revolution Gleichheit der Rechte, dasselbe Gesetz für alle, mag es schützen oder strafen]“, „patente [vor der Revolution Kanzlei- und Finanzausdruck, der nur in bestimmten Redensarten zur Anwendung kam: >lettres patentes (Regierungsbefehl, offenes Handschreiben)<; nach der Revolution: eine Art Patent oder Konzession, die man bei der Regierung kaufen mußte, um ein Gewerbe betreiben oder einen Handel anfangen zu dürfen]“, „juré [vor der Revolution Vereidigter, der den für Erlangung des Meisterrechts in seinem Beruf erforderlichen Schwur geleistet hat: vereidigter Chirurg, Geflügelhändler usw. – in den Handwerkerkorporationen heißen so die Zunftmeister, die dazu bestellt sind, die Ausführung der Statuten zu überwachen; nach der Revolution Geschworener, einfacher Bürger, der einer Kommission zur Feststellung angezeigter Verbrechen angehört]“, „spéculer [das Wort, das den erhabensten Äußerungen philosophischen und mathematischen Denkens vorbehalten gewesen war, ging im Laufe der Revolution in den Jargon der Finanzwelt über]“, „souverain [nach der Revolution ein Kollektivbegriff: >Die Gesamtheit der Bürger ist der Souverän<]“.
Die Literatur des 18. Jahrhunderts zeichnete sich neben anderen Vorzügen durch die Schärfe und Klarheit ihrer Sprache und durch die Knappheit und feine Auswahl ihrer Bilder aus. Ihre Eigenschaft als Kampfliteratur hatte ihr diese Eigenschaften aufgezwungen. Romane, Erzählungen und Tragödien entwickelten philosophische Lehren. Die trockensten Polemiken, wie solche über den Kornhandel, gewannen Leben und Farbe durch ihren Esprit. Gegnerische Ideen wurden mit Lächerlichkeit überschüttet, der Gegner mit Vernunftgründen zu Boden geschmettert. Die Sprache mußte notwendig scharf, knapp an Bildern und arm an Wörtern sein, um die Diskussion nicht in falsche Bahnen zu leiten. Von Descartes ab war der kritische Geist der philosophische Geist im wahrsten Sinne des Wortes. Die Philosophen der cartesianischen Schule empfahlen, zu Beginn der Diskussion erst einmal die strittigen Begriffe zu definieren, und die Enzyklopädisten legten nicht minderen Wert auf eine genaue Definition der Wörter: Diderot behauptete, Kontroversen zögen sich deswegen oft so unendlich in die Länge, weil die beiden Gegner dieselben Ausdrücke in verschiedenem Sinne gebrauchten. Condillac [184] hielt die Sprache für ein Mittel philosophischer Untersuchung; die Worte waren für ihn Gedankenträger, also war das wichtigste Werkzeug für die Kunst zu denken eine Sprache, exakt wie die Mathematik, mit scharf definierten und klassifizierten Wörtern.
Die Vernunft, die die Mitglieder der Pariser Commune des Jahres 1793 zur Gottheit erheben sollten, war die souveräne Meisterin der Enzyklopädisten. Nichts nahmen sie auf das Wort einer Autorität hin an; nichts ließen sie gelten, mochte es auch durch die Tradition geheiligt sein, nichts duldeten sie, mochte es auch gesellschaftliche Konvention für unentbehrlich halten. Alles wurde kritisiert: soziale und politische Einrichtungen, religiöse Glaubensbekenntnisse, philosophische Systeme, weltliche Vorurteile – alle mußten sie zumal vor dem Richterstuhl der Vernunft antreten und ihre Daseinsberechtigung nachweisen. Alles wurde zergliedert, in seinen Teilen analysiert und in seinen Elementen gewogen; nach Hegels malerischem Ausdruck „ging der Mensch damals auf dem Kopfe“ (Vorlesungen über die Geschichte der Philopsophie?). [185]
Aber neben den Enzyklopädisten traten andere Schriftsteller auf den Plan, die die Macht der philosophischen Untersuchung in Frage stellten, das auf Gründe der Vernunft aufgebaute Denken in Zweifel zogen und der Vernunft das Gefühl gegenüberstellten.
Was auch die Moralisten dazu sagen mögen, die Urteilskraft verdankt den Leidenschaften viel, die ihr nach allgemeiner Anschauung ebenfalls viel verdanken: durch ihre Tätigkeit vervollkommnet sich unsere Vernunft,
schrieb Rousseau in seinem „Discours sur l’inégalité parmi les hommes [Abhandlung über die Ungleichheit unter den Menschen]“ [186], einem der hervorragendsten Meisterwerke des 18. Jahrhunderts. An einer anderen Stelle derselben Abhandlung wagte er hinzuzusetzen:
Ich wage fast zu behaupten, daß das Stadium des Nachdenkens unnatürlich ist und daß ein Mensch, der nachdenkt, nur ein entartetes Tier ist.
Zu Bernardin de Saint-Pierre [187] sagte er:
Wenn der Mensch anfängt, Vernunftschlüsse zu ziehen, hört er auf zu fühlen.
Das Gefühl entthronte die Vernunft, das Herz trat an Stelle des Kopfes.
Die Fermente, die die Gesellschaft des 18. Jahrhunderts zum Gären brachten, mußten nicht nur zu einer Umwälzung der politischen Ordnung führen, sondern auch zu einer Umwandlung der Neigungen und Leidenschaften des sozialen Menschen.
Der Adel verachtete die Natur und verließ seine Landgüter, um sie mit dem Hofe und den Ziergärten von Versailles zu vertauschen. Im Gegensatz dazu erwachte die Neigung zur Natur so urplötzlich in der Seele der bürgerlichen Stadtmenschen, daß sie in ihrer Naivität die Natur ebenso zu entdecken glaubten wie einst Christoph Columbus Amerika. Niemand hatte sie vor ihnen gekannt und beschrieben.
Die Poesie, die wir die beschreibende nennen, sagt Chateaubriand in seinem Génie du christianisme [Geist des Christentums], war seit dem Altertum unbekannt geblieben [...] Hesiod [188], Theokrit [189] und Virgil [190] haben uns zweifelsohne wundervolle Gemälde der bäuerlichen Arbeiten, des bäuerlichen Lebens und Glückes hinterlassen; was jedoch die Beschreibungen der Gegenden, der Himmelserscheinungen und der Jahreszeiten anbelangt, die die moderne Muse schmücken, so findet man in ihren Schriften kaum ein paar Andeutungen davon.
Die neue Literatur wollte sich nicht mit der Landarbeit und dem Landleben beschäftigen, sondern mit der Natur vom romantischen, malerischen, sentimentalen Standpunkt aus: man begabte die Natur mit einer fühlenden Seele. Ein Schweizer Naturforscher, Bonnet [191], der erst spät in seinem Leben zum Philosophieren kam, entdeckte ein paar Jahre vor der Revolution eine unsterbliche Seele in den Pflanzen und richtete ein himmlisches Paradies für Lastgäule und Maultiere ein, die auf Erden hart zu arbeiten verdammt sind, zweifellos weil sie im irdischen Paradies von verbotenem Hafer genascht hatten.
Die Liebe, eine Leidenschaft, die während der aristokratischen Zeit unterdrückt, gefesselt und all den Regeln der Politik und der Konvention der Gesellschaft unter-
worfen gewesen war, empörte sich und beanspruchte das Meisterrecht über den Menschen und die Herrschaft über sein Fühlen und Handeln.
Voltaires knappe Sprache war nicht imstande, diesen neu aufkommenden Neigungen und Leidenschaften Ausdruck zu geben.
Die Kunst, die Natur wiederzugeben, sagt Sainte-Beuve [192], ist so neu, daß sogar die Ausdrücke dafür noch nicht erfunden sind, [...] um die Verschiedenheit der buckligen, runden, langgezogenen, abgeplatteten, überhängenden Formen eines Berges zu beschreiben, muß man Umschreibungen benutzen; dieselbe Schwierigkeit trifft für Ebenen und Täler zu. Hätte man einen Palast zu beschreiben, so herrscht nicht mehr dieselbe Verlegenheit [...] Man findet kein Gesims, das nicht seinen eigenen Namen hätte. [193]
Die Politik hatte die Parlamentssprache geschaffen; der Sinn für Natur, Liebe und Empfindsamkeit sollte nun seinerseits eine Sprache für seine Zwecke bilden.
Die Hofsitte machte den Adeligen zum Stoiker. Sie zwang den Höfling, alle Seelenängste und körperlichen Schmerzen unter einer lächelnden Miene und tadellosen Haltung zu verbergen. Daher hält sich die aristokratische Literatur nicht damit auf, Seelenkämpfe zu schildern. Das Wort „larmoyer [bitterlich weinen]“, das schon im 17. Jahrhundert verschwunden war, kommt nach der Revolution wieder ans Tageslicht. Denn in der bürgerlichen Literatur
mußte der Schmerz den höchsten Wirkungen des Talentes dienen (Madame de Staël),
die Nerven begannen jetzt eine wichtige Rolle zu spielen. Man verpaßte der Sprache einen reichlichen Einlauf von sentimentalen Wörtern: „endolorir [Schmerzen machen]„“, „°énervation [Entnervung, Schwächung]“, „°alanguissement [Erschlaffung]“.
eine empfindliche Erschlaffung schwächt all meine Kräfte (Rousseau).
„°désespérance [Verzweiflung]“, „°appalir [bleich machen, erbleichen]“, „°vaporer – avoir des vapeurs [hysterische Launen haben]“, „°enamourer [verliebt machen]“, „désaimer [sich entlieben]“.
Warum sollen die Franzosen nicht sagen: sich entlieben, wenn sie sich doch so schnell verlieben und ebenso schnell wieder entlieben, je nach der Laune des Augenblickes? (Mercier)
„°tendrifier [weich machen; ein Herz weich machen wie eine gutgekochte Hammelkeule (comme un gigot de cordon bleu)]“.
Der Mensch gab sich keine Mühe mehr, sich bis zum Denken aufzuschwingen, er überließ sich ganz dem Gefühl und der Empfindung, er steckte die philosophische Überlegung und die geistige Kritik auf und ließ sich
von der Poesie der Bilder fortreißen, die den Menschen wie der Klang der Musik dazu führen, sich dem nebelhaften Unbestimmten der Träumerei zu überlassen (Madame de Staël).
Ein seltsamer Kontrast: Der Sensualist Condillac schachtelte den Geist in eine Sprache ein, trocken und abstrakt wie die Mathematik; der Spiritualist [194] Malebranche [195] „versucht,“
in seinen metaphysischen Essays die Bilder mit den Ideen zu vereinen.
Während der Revolutionszeit wurden der schrankenlose Vorliebe für prunkende Adjektive, für Vergleiche, Metaphern und Antithesen keinerlei Schranken gesetzt. Unterstützt von einem schlechten Geschmack, führte sie zu einer Geschwollenheit der Sprache, die nur mit der unheimlichen pathetischen Wortfülle zu vergleichen ist, die zu Petrons Zeiten [196] aus Asien nach Athen wanderte und die auch die ausgelassensten Extravaganzen der Romantiker nicht zu übertrumpfen vermochten.
Damals bekam man auf der Tribüne der Versammlungen und Klubs so manches zu hören und in den Zeitungen und Broschüren Ausbrüche zu lesen – zum Beispiel Folgendes:
Die entsetzliche Hydra der Aristokratie wird unaufhörlich aus ihren Verlusten neu geboren; sie ist es, die die gesunde Vernunft und die richtige Ordnung aus dem Lande jagt (Révolutions de Paris [197], Nr.IV vom 2. August 1789).
Später verwandelt sich dann die Hydra der Aristokratie in die der Anarchie:
Die Hydra der Anarchie kann aus ihrer Asche wieder auferstehen: wachen wir, um dem Scheusal den Garaus zu machen und es auf ewig zu vernichten (Révolutions de Paris, Nr.VII).
Die Hydra wandelt sich in einen Phönix, um verjüngt aus der Asche emporzusteigen:
Die Aristokratie schmiedet sich Waffen in der Werkstatt der Freiheit (Révolutions de Paris, Nr. IV).
Die Wucherer werden dem wachsamen Auge der Menschheit, das sie verfolgt, nicht entgehen (Révolutions de Paris, Nr. III).
Vertrauen, Freiheit und Sicherheit sind die Quellen staatlichen Gedeihens (Zirkular des Versorgungsausschusses von Paris).
Loustalot [198] nennt diesen Galimathias [199] „ein erhabenes Prinzip“. „Die Öffentlichkeit ist die Beschützerin der Völker“ (Bailly [200]: Er hatte die Ehre. einige denkwürdige Wörter zu bilden, die man Joseph Prud’homme zuschrieb). Calonne [201] zeichnet Necker in einer Mémoire sur les subsistances [Denkschrift über die Lebensmittel] folgendermaßen: Er hat
das Gespenst der Teuerung zum Leibwächter und stützt sich auf das feurige Schwert des Aufruhrs.
Der Geist der Freiheit erwacht, er erhebt sich und gießt über beide Hemisphären sein göttliches Licht und sein lebenspendendes Feuer (Fauchet, Éloge civique de B. Franklin). [202]
Die Dolche der Verleumdung haben sich vervielfacht (Tagesbefehl von Lafayette [203], 31. Juli 1789).
Wenn die Nation sich aus dem Nichts der Knechtschaft zur Schöpfung der Freiheit hindurchringt (Mirabeau).
Die Revolution hatte das Blut Laharpes [204], dieses kalten Pedanten, dermaßen in Wallung, daß er, die rote Jakobinermütze auf dem Kopfe, deklamierte:
Der Stahl! – Er trinkt das Blut; Das Blut nährt seine Wut, Und die Wut bringt Tod. Das Volk kann die Freiheit nur dadurch unwiderruflich besiegeln, daß es die Urkunde, die sie bestätigt, mit den Spitzen seiner Bajonette unterschreibt (Billaud-Varenne [205], Rede,19. Dezember 1792).
Die Wünsche der Bürger fordern von Napoleon Bonaparte, er möge den Krater der Revolution auf ewig verschließen (Bulletin de Paris, 12. Thermidor des Jahres X [* 1802]).
Schriftsteller, Söhne des revolutionären Sturzbaches.
Dreifach gekochte Galle umgibt sein Herz wie ein Kiesel. Wenn der Feuerstahl der Anarchie die Faser seines Herzens trifft, so gibt er Funken (Fauchet, Journal des Amis).Das Unglück ist der Schmelztiegel, in dem Gott die Seele stählt (Bulletin de Paris). Die Tragödie ist der Koloß des moralischen Menschen (Décade philosophique, Thermidor des Jahres VIII).
Gott ist der ewige Unvermählte der Welten (Chateaubriand, Genie du christianisme). [206]
Die geheimnisvolle Keuschheit des Mondes in den kühlen Räumen der Nacht (a.a.O.).
Atalas sterbender Mund öffnete sich halb, und ihre Zunge suchte nach dem Gotte, den ihr die Hand des Priesters bot (Atala).
Die Literatur malte nach der Revolution die Hoffnungslosigkeit und Eitelkeit der menschlichen Größe.
Die Erde ist nur ein Aschenhaufen von Toten, befeuchtet von den Tränen der Lebendigen (Atala).
Der Ruhm ist nur die Trauer des Glückes (Madame de Staël).
Durch den Tod ist die Sittlichkeit zur Welt gekommen (Genie du christianisme).
Der Tod ist wie ein Halbnichts, dazu erfunden, um den Sünder den Schrecken des völligen Nichts fühlen zu lassen (a.a.O.).
Man erhob den Galimathias zur dritten Potenz.
Um ermessen zu können, wie sehr dieser mit Beiwörtern, Metaphern und Antithesen überladene Stil der Sprache des 18. Jahrhunderts zuwider war, braucht man sich nur an Voltaires Klagen zu erinnern: wie jammerte er über die ungeschickte Französisierung englischer Wörter: „redingote [Überzieher]“ von „riding-coat [Reitkleid]“, „boulingrin [Rasenplatz]“ von „bowling-green [Grasplatz zum Ballspielen]“ usw, wie empört war er über bildliche Ausdrücke wie zum Beispiel „die Fackel der Empörung entzünden; mein Verstand gibt Funken; der Thron hat seine eigenen Sitten; das Schicksal schüttet Geheimnisse aus; die Ritter stiegen ins Grab, wobei sie ihre siegreichen Feinde hineinstürzten“. Morellet, der als ein vor Empörung stummer Zuschauer all diesen metaphorischen und antithetischen Orgien der Revolution hatte beiwohnen müssen, barg noch genug Purismus in seinem alten Herzen, um sich gegen diesen Atala-Stil zu empören und sich zu fragen, „was aus dem französischen Geschmack, der französischen Sprache und Literatur werden solle“, wenn man Ausdrücke dulde wie
die Zauberei von seinen Lippen trinken; die Feuermonde; die Stimmen der Einsamkeit erlöschen; der feuchte Boden murmelte; das Geschrei der Flüsse; die Leichen der Tannen und Eichen; die Rauchsäulen, die Wolken belagernd, die ihre Blitze ausbrechen usw.. [207]
Die Leser jener Zeit, die noch an ganz anderes gewohnt waren, konnten Voltaires und Morellets Zorn kaum begreifen.
Aber alle Kritik war nutzlos: Die moderne Literatursprache hatte sich endgültig durchgesetzt mit all ihren Fehlern und Vorzügen, noch bevor dem 18. Jahrhundert sein letztes Stündlein schlug. Auf der Parlamentstribüne, in den Spalten der politischen Zeitungen und Broschüren gezeugt, wurde sie großgesäugt und wuchs empor in den Romanen, die nach Robespierres Sturz wie Pilze aus der Erde schossen, und in den Dramen, die auf dringlich ihr Recht auf Dasein in Anspruch nahmen. Sie wartete nur auf begabte Künstler, die sie glatt und geschmeidig machen, zur Vollendung bringen und zur Verfassung von Meisterwerken gebrauchen sollten. Chateaubriand machte sich die neue Sprache zu eigen, die von den verknöcherten Geistern einer verflossenen Gesellschaft und all jenen Schriftstellern verachtet wurde, die sich einbildeten, in der schönen Literatur etwas zu bedeuten. Er meisterte sie mit der Virtuosität des Genies. Der Roman Atala (erschienen 1801), das erste romantische Werk des 19. Jahrhunderts, eröffnete eine neue literarische Ära, verspottet von den zünftigen Schriftgelehrten, vom Publikum mit unbeschreiblichem Enthusiasmus aufgenommen, ähnlich wie zwanzig Jahre später Lamartines „Méditations [* poétiques – Auserlesene Gedichte]“. [208] Nachdem sich die Revolutionssprache ihre rhetorische Oberhoheit in der Prosa gesichert hatte, konnte sie Lamartine, Vigny [209], Victor Hugo und seine romantische Schule auch in der Poesie zum Siege führen.
Als sich die Hitze des politischen Kampfes ein wenig gelegt hatte, da ging von neuem der literarische Streit los, der vor der Revolution ausgebrochen war: Man teilte sich in zwei Lager, die Klassiker und Romantiker, wie sie sich später nannten.
Ein Teil der Literaten bewundert nur Ausländisches (vor allem Shakespeare, den sie über Corneille und Racine stellen), während der andere krampfhaft an der alten Schule festhält. Nach der Ansicht der einen haben die Schriftsteller aus der Zeit Ludwigs des Großen ( XIV. ) zu wenig Bewegtheit im Stil und vor allem zu wenig Gedanken. Nach der der anderen bedeutet diese ganze angebliche Bewegtheit, dieses ganze heutige Streben nach Gedanken nur Dekadenz und Verderbtheit (Mercure [* de France], 25. Prairial des Jahres X [*1802]).
Schon ein paar Jahre vorher war das Feuer eröffnet worden; im Jahre VIII [*1800] klagte der Mercure darüber, daß
Racine rühmen hieß, als Feind der Republik, Kurzsichtiger und Fanatiker zu gelten, der die alten Einrichtungen wieder eingeführt sehen möchte (Fructidor des Jahres VIII [*1800]).
Fontanes, der Chateaubriand in London entdeckte, wo dieser im Elend lebte, und der ihn vom Atheismus zum Katholizismus bekehrte, gab Voltaires Angriffe gegen Shakespeare neu heraus und versicherte, jener
habe es im Alter bitter bereut, den schlechten Geschmack dazu ermuntert zu haben, das Ungeheuer auf den Altar eines Sophokles [210] und Racine zu stellen (Mercure [* de France], Messidor des Jahres VIII [*1800]).
Chateaubriand übertrieb noch diese Anschauungen seines Beschützers und verglich
die Kritiker, die sich auf die Natur berufen, um Shakespeare zu loben, mit den Politikern, die den Staat in die Barbarei zurücksinken lassen, nur um die sozialen Unterschiede aufzuheben (Mercure, 5. Prairial des Jahres X [*1802]).
Der politische Kampf ging hier in literarischer Form weiter. Die Revolutionäre hielten es mit Shakespeare, die Reaktionäre mit Racine. In diesen wilden Tagen war die Verwirrung so groß, daß sich gerade jene zu Verteidigern der Sprache des „ancien regime [alten Regime]“ aufwarfen, die an den philosophischen Ideen und politischen Prinzipien von 1789 festhielten; andererseits gebrauchten Chateaubriand und seine Freunde die Revolutionssprache, um die von den Enzyklopädisten so verspottete katholische Religion wieder zu Ehren und die von den Männern von 1793 verfolgten Priester wieder ans Ruder zu bringen. Das Ende vom Liede war also das, daß der Sieg der Revolutionssprache eben durch jene Elemente gesichert wurde, die sich als Gegner der revolutionären Ideen fühlten.
Die Sprache, die zwischen 1789 und 1794 aufkam, war nicht neu. Wollte man die Werke der alten Autoren und der Schriftsteller durchblättern, die als Libertins und Gossendichter berüchtigt gewesen waren, so würde man viele der neu eingeführten Wörter wiederfinden, mit Ausnahme vielleicht einer kleinen Anzahl, die für den Augenblick geschmiedet waren; bei vielen dieser Literaten würde man denselben bilderreichen Stilunfug, denselben Schwulst finden, die noch heutzutage die Schriften von Romanschreibern zieren, die sich auch Antiromantiker nennen. [211] Das Wirken der Revolution in der Sprache hatte sich schließlich darauf beschränken müssen, die Aristokratensprache zu entthronen und die Sprache wieder zum Vorschein zu bringen, die von der Bourgeoisie gesprochen wurde und auch schon in literarischen Werken benutzt worden war Dieser Umschwung begann sich schon vor 1789 bemerkbar zu machen, die Revolution gab ihm krachend einen kräftigen Stoß nach vorwärts.
Die aristokratische oder klassische Sprache und die romantische oder bürgerliche Sprache, die Literatursprachen Frankreichs seit vier Jahrhunderten, sind beide der Volkssprache entnommen, dem gemeinsamen Urgrund, aus dem die Schriftsteller aller Zeiten ihre Wörter, Wendungen und Redensarten geschöpft haben.
Die Zentralisation der Monarchie, die im 14. Jahrhundert ihren Anfang nahm, brachte den Dialekt der Ile-de-France (der Gegend um Paris herum – der Übersetzer) und des zur Hauptstadt gewordenen Paris zu überwiegender Geltung auf Kosten der Mundarten der anderen Provinzen, die es seit der Bildung der großen Feudalherrschaften zu eigenen Schriftsprachen gebracht hatten. Der um den König gescharte Adel konnte damals durch Läuterung der Volkssprache seine klassische Sprache schaffen und sie den Schriftstellern aufzwingen, die zu seiner Unterhaltung reimten und Prosa schrieben. Littré [212] fragt sich in der bemerkenswerten Vorrede zu seinem Dictionnaire [Wörterbuch], die man oft ohne Namensnennung nachgedruckt hat,
wieso sich das 17. Jahrhundert dazu ermächtigt glaubte, eine so umfassende, biegsame Sprache [wie die des 16. Jahrhunderts] zu säubern, ein so wundervoll brauchbares Werkzeug zu verbessern?
Der unermüdlich forschende Lexikograph, der den Parallelismus in der Entwicklung der Sprache und der aristokratischen Zentralisierung aufdeckt, übersieht, daß das Leben am Hofe und im Salon eine weniger reiche, aber dafür raffiniertere Sprache verlangte als die der kraftvollen Haudegen des 15. und 16. Jahrhunderts.
Die Bourgeoisie, die seit der Entdeckung Amerikas rasch an Reichtum und verborgener Kraft zunahm, schnitt sich ihrerseits ihre romantische Sprache, wenn auch in breiterem Maße, aus der Volkssprache. Und als sie 1789 zur Herrschaft kam, da machte sie ihre Sprache zur offiziellen Sprache von Frankreich. Die Schriftsteller, die nach Ruhm strebten und ihr Glück machen wollten, mußten sie wohl oder übel annehmen. Die klassische Sprache sank mit der feudalen Monarchie in Trümmer; die romantische Sprache, auf der Rednerbühne der Parlamentssitzungen gezeugt, wird dauern, solange der Parlamentarismus dauert.
170. * Am 12. Juli 1790 nahm die konstituierende Versammlung die Zivilverfassung des Klerus an. Um den Widerstand der von Papst Pius VI. unterstützen Mehrheit des Episkopats dagegen zu brechen forderte der Nationalkonvent am 27. November 1790 allen amtierenden Priestern einen Treueid auf die Nation und die Verfassung ab (Dekret über den Priestereid; in: Markov [siehe Anm. 550], 2, 149ff.).
171. * „des abus“ in der deutschen Fassung fehlend.
172. * Ab „personne“ in der deutschen Fassung fehlend.
173. * „Ein Aristokrat ist derjenige, der sich aus Mißachtung oder Gleichgültigkeit nicht in die Liste der Nationalgarden eintragen ließ und den Bürgereid nicht geleistet hat. [...] Vor allem derjenige, der durch seine Haltung, seine Tätigkeit, seine Reden, seinen Schriften und seine Verbindungen den Beweis geliefert hat, daß er der alten Ordnung nachtrauert [...] Derjenige, der durch sein Verhalten Anlaß zu der Vermutung gegeben hat, daß er den Emigranten Geld schickt oder sich der feindlichen Armee anschließen würde [...]“ (Begriffsbestimmung, was ein Gemäßigter, ein Feuillant, ein Aristokrat ist; in: Markov [siehe Anm. 550], 2, 415).
174. „des peuples“ in der deutschen Fassung fehlend.
175. * Die Kapuziner sind ein Teil der Franziskaner, ein katholischer Bettelorden.
176. * „d’affaires“ in der deutschen Fassung fehlend.
177. Henri Gregoire, Bischof von Blois (1750-1831), legte als erster von allen republikanischen Geistlichen den Bürgereid ab. Als leidenschaftlicher Jansenist und volksfreundliches Mitglied der Konstituante und des Konvents wurde er von der Geistlichkeit, namentlich nach der zweiten Restauration, mit unversöhnlichem Haß verfolgt, selbst die Sterbesakramente wurden ihm verweigert (Anmerkung des Übersetzers).
178. Jean-Baptiste Massillon (1663-1742), berühmter französischer Kanzelredner. Bekannt ist sein Petit Carême [Kleine Fastenzeit], seine Fastenpredigt für den neunjährigen Ludwig XV. (Anmerkung des Übersetzers).
* Voltaire nannte ihn – ohne zu spotten – „den Racine der Kanzel“.
179. Jean de Labruyére ( 1645 -1696), berühmter französischer Sittenschilderer, vor allem bekannt durch seine Caractères de Théophraste, in denen er in klassischer Form die Sitten und Charaktere seiner Zeit beschreibt (Anmerkung des Übersetzers).
180. Marin Le Roy de Gomberville (1599-1674), französischer Romanschriftsteller, eines der ersten Mitglieder der Akademie. In seinen sämtlichen Werken, galanten Poesien und Romanen entschlüpfte ihm nur dreimal das verpönte „car [denn]“. Voiture wandte sich in einem Brief dagegen, den er keck mit „car“ begann. (Anmerkung des Übersetzers).
* Vicent Voiture (1598-1648) war ein wichtiger Vertreter der Literatur der „préciosité“.
181. * Ivan Sergejewitsch Turgenew (1818-1883) bezeichnete in seinem Roman Väter und Söhne (1862) die russischen Anarchisten als „Nihilisten“; diese übernahmen die Etikettierung und machten sie populär.
182. * Hippolyte Castille (1820-1886), Romancier und Publizist.
183. Jean François Paul de Gondi, Kardinal von Retz (1614 -1679), der berühmte Führer der Fronde (Anmerkung des Übersetzers).
184. Etienne Bonnot de Mably de Condillac (1715 -1780), französischer Philosoph, der Begründer des Sensualismus. Er macht die äußeren Wahrnehmungen durch unsere Sinne zur Quelle aller unserer Vorstellungen, das Ich ist ihm die Gesamtheit aller gehabten Sensationen. Er war jedoch Gegner des Materialismus und hielt an einer gewissen Einfachheit der Seele im Gegensatz zur teilbaren Materie fest. In den Zeiten der Revolution und des ersten Kaiserreichs war seine Philosophie, die „Ideologie“, die herrschende in ganz Frankreich; „Ideologe“ war gleichbedeutend mit Philosoph (Anmerkung des Übersetzers).
185. * Ähnlich: „Die Aufklärung“ ist „die Eitelkeit des Geistes“ (Vorlesung über die Philosophie der Religion; in: Werke, Stuttgart – Bad Canstatt 1965, 2, 353).
186. * Siehe dazu Lafargues Essay Rousseau und die Gleichheit.
187. Bernardin de Saint-Pierre (1737-1814), französischer Schriftsteller, Freund Rousseaus und ebenso wie er glühender Anbeter der reinen Natur. Er hatte weite abenteuerliche Reisen auch in den Tropen gemacht und seine Erfahrungen in Naturschilderungen niedergelegt, deren wunderbare Treue kein Geringerer als Alexander v. Humboldt bezeugt (Kosmos, II, 67). Allgemein bekannt ist das Idyll Paul et Virginie, „ein Werk, wie es kaum eine andere Literatur aufzuweisen hat“ (Anmerkung des Übersetzers).
188. Hesiod (700 v.u.Z. [?]) beschäftigte sich – anders als Homer – nicht mit der Welt der Adeligen, sondern der Bauern.
189. * Theokrit (3. Jhd. v.u.Z.), Idyllendichter.
190. * Der römische Dichter Virgil (70-19/ eigentlich Publius Vergilius Maro) verfaßte neben der Ænëis auch Georgica [Landbau].
191. Charles de Bonnet (1720-1793), Naturforscher und Philosoph. Er entdeckte die parthenogenetische Fortpflanzung der Blattläuse und arbeitete über den Bau der Bandwürmer. Durch ein Augenleiden vom Mikroskopieren abgehalten, gab er sich spekulativen Betrachtungen hin. Wie Condillac Sensualist, betonte er noch stärker als dieser die Selbständigkeit der Seele und die Einheit des Bewußtseins, für die sinnliche Reize nur Gelegenheitsursachen zur Betätigung sind (Anmerkung des Übersetzers).
192. Charles Sainte-Beuve (1804-1869), französischer Dichter und berühmter Kritiker und Literaturhistoriker (Anmerkung des Übersetzers).
193. (* Charles) Sainte-Beuve: Étude sur Bernardin de Saint-Pierre, an der Spitze von Paul et Virginie veröffentlicht. Ausgabe mit Illustrationen von Furne.
194. * Andere Bezeichnung für Idealismus.
195. Nicolas Malebranche (1638-1715), französischer Philosoph, „der zweitgrößte Metaphysiker Frankreichs“. Er bildet den Übergang von Descartes zu Spinoza. Nach ihm erkennen wir alles nur durch die davon in unserer Seele ruhende Idee. Die Idee ist aber in Gott, daher schauen wir auch alles in Gott (vision en Dieu) als dem Urgrund alles Denkens und Seins. Bei Malebranche paaren sich Rationalismus und Mystik, nur überwiegt bei ihm diese, im Gegensatz zu dem „Atheisten“, dem „miserablen“ Spinoza. Dieser erblickte Gott im Universum, wie Malebranche einmal sagt, er selbst dagegen das Universum in Gott (Anmerkung des Übersetzers).
196. Petron, Satyricon: „Nuper ventosa isthaec et enormis loquacitas Athenas ex Asia commigravit [Seit kurzem wanderte jene windige und ungeheure Schwatzhaftigkeit von Asien nach Athen]“ (Kapitel II).
* Petronius Arbiter (?-66/ Selbstmord), römischer Lebemann und Günstling Kaiser Neros schrieb ein Sittenbild seiner Zeit.
197. * Tageszeitung, 1789-1794 herausgegeben von Louis Prudhomme (1752-1831), nach dem 2. Juni 1793 als verdächtig festgenommen, freigelassen, verläßt bis zum 9. Thermidor Paris, schreibt 1816 ein Pamphlet gegen die Revolution und Napoleon.
198. Elisée Loustalot, Journalist der französischen Revolution, Redakteur der Révolution de Paris ( 1789). „Der herbe Loustalot, dessen Kraft bitter ist wie der Saft junger Schlehen, wird niemals reif werden“ (Carlyle: Französische Revolution, Band II, Kapitel IV – vgl. Cunow, a.a.O., 54) (Anmerkung des Übersetzers).
199. * Sinnloses, verworrenes Gerede.
200. * Jean-Sylvaine Bailly (1736-1793/ hingerichtet), Astronom, Mitglied der Akademie, Vertreter des dritten Standes von Paris in den Generalständen, 1789-1791 Bürgermeister von Paris; Exponent der liberalen, konstitutionellen Bourgoisie.
201. Charles Alexandre de Calonne (1734-1802) war Generalkontrolleur unter Ludwig XVI. Er beschönigte lange Zeit den katastrophalen Zustand der Staatsfinanzen.
202. * Benjamin Franklin (1706-1790) war 1778-1785 Gesandter in Paris. Die Unterstützung Frankreichs im amerikanischen Unabhängigkeitskrieg vergrößerte die Schuldenlast des Staates.
203. * Marie Joseph Marquis de Lafayette (1757-1829), Offizier, Teilnehmer am amerikanischen Unabhängigkeitskrieg, nach dem 14. Juli 1789 Kommandant der Nationalgarde in Paris, 1792 Kommando in der Armee, läuft nach dem Sturm auf die Tullerien am 10. August zu den Österreichern über, unter der Restauration liberaler Oppositioneller.
204. Jean François de Laharpe ( 1739-1803), französischer Kritiker und Dichter, berühmt wegen seines eleganten, feinen Stils. 1786 -1798 war er Literaturprofessor an dem neugegründeten Lycée (Anmerkung des Übersetzers).
205. * Der Revolutionär Jean Nicolas Billaud Varenne (1756-1819) war Mitglied der Commune von Paris und nach dem 10. August 1792 (Sturm der Pariser auf die Tulerien) ein berühmter Redner des Jakobiner-Clubs. Er wurde 1795 nach Santo Domingo deportiert und starb auf Haiti.
206. Die Zitate aus Chateaubriand entstammen der ersten Auflage seiner Atala und seines Génie du christianisme. In ihr offenbart sich die revolutionäre Rhetorik in ihrer ganzen Ursprünglichkeit. Die folgenden Auflagen sind immer mehr umgearbeitet worden.
207. A (*ndrè) Morellet: Observations critiques sur le roman intitulé Atala, Jahr IX (* 1801).
208. * In seinen 1820 zunächst anonym erschienenen Méditations poétiques [Poetische Betrachtungen] beschwört der romantische Dichter Alphonse Lamartine (1790-1869) in elegischen Gedichten die schmerzliche Erinnerung an eine verstorbene Geliebte. Nach der Niederlage Napoleons machte er sich zum Sprachrohr einer Generation, die das „Ich, das ausschließliche, in sich selbst zurückgezogene, geheimnisvolle Ich“ zum zentralen Thema erhob.
209. Chatterton von Alfred de Vigny (1797-1863) gilt als schönste lyrische Drama der Romantik.
210. * Sophokles (496-406), griechischer Tragödiendichter (Antigone, König Ödipus).
211. Die Gebrüder Goncourt schreiben in einem von ihnen sorgsam aufbewahrten Brief an Michelet (* Jules [1798-1874]), Historiker, der eine Geschichte der französischen Revolution verfaßte], daß die Bible de l’Humanité [Die Bibel der Menschheit,1864; Michelet sucht in ihr aus verschiedenen arischen und semitischen Religionen ein moralisches Ideal herauszuschälen, das die neue Menschheit zu geistiger Freiheit führen soll. Der Übersetzer] vergleichbar sei der „indischen Bibel: sie hat die Muster des Kaschmirschals und die Weite des Zeltes [...] Man findet in ihr lichtvolle Sätze, sonnige Blätter, Beiwörter, die man einatmet, Gedanken, die an dem Schafte der Worte rauschen usw“. – Claretie druckt diesen Brief ab (Temps, 30. Januar 1885) und ruft dann aus: „Was aber dann, wenn man euch sagte, der Naturalismus sei aus der Romantik entsprungen!“ Die naturalistischen Schriftsteller können der Romantik nicht aus dem Wege gehen; Zola muß sie anerkennen: mögen sie auch das abgenützte Mittelalter zugunsten unserer Zeit aufgeben, die ihrerseits auch bald wieder veraltet sein wird, Romantiker bleiben sie doch.
* Léo Claretie (1862-1924), Dichter und Verfasser einer Geschichte der französischen Revolution.
212. Emile Littré (1801-1881), französischer Philosoph, Mediziner und Sprachforscher, einer der umfassendsten Gelehrten seiner Zeit. Anfangs als Spitalarzt tätig, warf er sich bald auf die Philosophie und Philologie. Sein Hauptwerk ist der monumentale Dictionnaire de la langue française (1862), das auch die Etymologie und Geschichte der Wörter behandelt. Als Politiker stand er von Anfang an zu den Republikanern, 1830 focht er mit Auszeichnung auf den Barrikaden mit, zog sich jedoch nach 1848 von der Politik zurück, seiner alten Gesinnung treu bleibend (Anmerkung des Übersetzers).
Zuletzt aktualisiert am 21.8.2004