MIA > Deutsch > Marxisten > Lafargue > Victor Hugo
Paul LafargueDie Legende von Victor Hugo |
Die Revolution von 1830 brachte Victor Hugo aus der Fassung, hielt ihn aber nicht davon ab, so wie bis dahin seine so ehrenhaft verdienten 3.000 Francs Pension einzustreifen. Im Vorwort der 1831 veröffentlichten Feuilles d’automne [*Herbstblätter] erlebt man ihn zögernd. Er hatte mit jungen und begeisterten Republikanern Beziehungen geknüpft, welche ihm schmeichelten, um ihn anzuziehen. So heißt es in der Biographie des contemporains [Biographie von Zeitgenossen] von Rabbe,
Hugo besang die drei Tage in den schönsten Versen, die sie je inspirierten.
Aber wenn republikanische Doktrinen nicht durch Sondervergütungen besonderes Gewicht erhielten, drangen sie nur schwer in sein Gehirn ein: er brauchte nicht, wie die Gestalt des Marius in den Misérables, auf die Barrikaden zu steigen und dort Verletzungen davonzutragen, um von seinem Neorepublikanismus geheilt zu werden. Sobald er begreift, daß der Thron von Louis-Philippe [81] nicht mehr wackelt, erklärt er
wir brauchen die Sache „Republik“ und das Wort „Monarchie“. [82]
Dieser Satz, der klingt wie ein Plagiat der historischen Aussage Bérangers [83], ist ein Bekenntnis: Er bedeutet, daß er die Gunst und die Gewogenheit der Monarchie akzeptieren wollte, während er in seinem tiefsten Inneren Republikaner blieb. Unter Ludwig XVIII. und Karl X. verehrte er Napoleon in seinem Herzen und beschimpfte ihn in seinen veröffentlichten Gedichten, um seinen legitimistischen Schutzherrn zu gefallen. Der Republikaner schmeichelte Louis-Philippe, um Mitglied der Kammer zu werden, so wie der Napoleon-Anhänger den Bourbonen nach dem Mund redete, um ihnen Pensionen zu entreißen.
Am 21. Juli 1842 hatte er den Mut, Louis-Philippe Sätze von folgendem Kaliber ins Gesicht zu schleudern:
Sire, Sie sind der erhabene und unermüdliche Hüter der Nationalität und der Zivilisation [...]. Ihr Blut ist das Blut des Landes, Ihre Familie und Frankreich haben das selbe Herz [...]. Sire, Sie werden noch lange leben, denn Gott und Frankreich brauchen Sie.
Victor Hugo war immer Kosmopolit. Er verband alle europäischen Könige in seiner Speichelleckerei. Später, nach 1848, sollte er von den Vereinigten Staaten Europas sprechen. Aber zuvor hatte er „die Thronbesteigung der Königin Victoria [84] gesegnet“ und Zar Nikolaus [85] gefeiert, diesen „edlen und frommen Kaiser“. [86] 1846 bat er Baron Humboldt [87],
seinem erhabenen König [88], für den sie meine Sympathie und meine Bewunderung kennen
eine seiner Reden an der Akademie zu überreichen.
Diese so bewunderte Majestät war Wilhelm IV., König von Preußen und Bruder des in Versailles gekrönten deutschen Kaisers. [89] Man erfährt allerdings nicht, ob der Dichter von den Vereinten Majestäten Europas Vergütungen erhielt.
Endlich kommt der große Tag: Hugo erobert sich seine Gedankenfreiheit zurück, er ist nicht mehr gezwungen, öffentlich den Königen zu schmeicheln und in seinem Inneren die Republik zu lieben. Die Revolution des Jahres 1848 verjagt „den erhabenen Hüter der Zivilisation“ und bringt die Republikaner des National [90] an die Macht. Einen Moment lang glaubt man an die Möglichkeit einer Regentschaft, Victor Hugo beeilt sich, diese am Place des Vosges zu verlangen. Die Republik wird ausgerufen. Victor Hugo verliert keine Minute und verwandelt sich in einen Republikaner. Leute, die nur auf Äußerlichkeiten achten, beschuldigen ihn der Wankelmütigkeit, weil er nacheinander Bonapartist, Legitimist, Orléanist, Republikaner war. Eine etwas genauere Untersuchung zeigt jedoch im Gegenteil, daß er unter all diesen Regimen nie sein Verhalten änderte, daß er immer, ohne sich von Antritt oder Sturz einer Regierung ablenken zu lassen, einen einzigen Zweck verfolgte, sein persönliches Interesse, daß er immer „hugoistisch“ blieb, was schlimmer ist als egoistisch, wie dieser erbarmungslose Spötter Heine [91] sagte, den Hugo, unfähig ein Genie zu würdigen, nicht riechen konnte.
Kann denn dieser arme Mann etwas dafür, daß er alle diese Kokarden an seinen Hut stecken mußte, um zu Reichtum zu gelangen, was schließlich das ernsthafte Ziel eines bürgerlichen Daseins ist? Wenn jemand die Schuld trägt, so ist es die Bourgeoisie, die nacheinander alle diese Regierungen bejubelte und dann stürzte. Hugo mußte diese politischen Variationen büßen: Bis 1830 mußte er seine glühende Bewunderung für Napoleon unterdrücken; und bis 1848 mußte er sein Republikanertum unter Schmeicheleien für den König begraben, so wie Harmodios [92] seinen Dolch zum Tyrannenmord unter Blumen versteckte.
Jene, die in Hugo einen Mann sehen, der sich ganz der Verwirklichung einer Idee widmet, verstehen ihn schlecht: denn dann wäre sein Leben ein Gewebe aus unzerreißbaren Widersprüchen. Er überließ diese Rolle den Ideologen, den verträumten Wirrköpfen; er begnügte sich damit ein vernünftiger Mann zu sein, der sich weder um das Bild auf seinen Cent Sous-Geldstücken, noch um die Methoden der Regierung kümmert, die für Ordnung auf der Straße sorgt, den Handel ankurbelt und Pensionen und Posten verteilt. In seiner Autobiographie erklärt er ausdrücklich, daß „ihm die Regierungsform zweitrangig scheint“. Im Vorwort zu Voix intérieures wählte er 1837 als Devise:
Zu allen Parteien zu gehören, was deren großherzige Seiten betrifft (das heißt, wo es etwas zu holen gibt); zu keiner zu gehören, was deren schlechte Seiten betrifft (das heißt die Verluste bringen können). [93]
Hugo liebte die Ordnung. Nie verschwor er sich gegen eine Regierung, ausgenommen die Napoleon III. Er akzeptierte und unterstützte sie mit Feder und Wort und ließ sie erst am Tag nach ihrem Sturz fallen. Sein Verhalten ist das eines tüchtigen Kaufmanns: ein Unternehmen blüht nur dann, wenn sein Besitzer seine politischen Vorlieben opfert und die Tatsachen akzeptiert. Haben sich die Dollfus [94], Koechlin [95], Scheurer-Kestner [96], diese vorbildlichen Republikaner aus Mühlausen, bis 1793 eine freie Stadt, nicht mit allen Regimen arrangiert, die seit fast einem Jahrhundert im Elsaß aufeinander folgten? Erhielten sie nicht Subventionen vom Empire und verlangten sie von diesem nicht Zollfreiheit für ihre Industrie und Unterdrückungsmaßnahmen gegen ihre Arbeiter? Zuerst das Geschäft, dann die Politik.
Von 1848 bis 1885 benahm sich Hugo wie ein „ehrlicher und gemäßigter Republikaner“ und man kann seine Gegner getrost auffordern, in diesen langen Jahren auch nur einen Moment des Versagens zu entdecken.
1848 erklärten sich die kompromittiertesten Konservativen und Reaktionäre für die soeben verkündete Republik: Victor Hugo zögerte keine Minute und folgte ihrem noblen Beispiel.
Ich bin bereit, sagte er in seinem Wahlprogramm, mein Leben der Festigung der Republik zu widmen, welche Eisenbahnen bauen [...] den Wert des Bodens vervielfachen [...] Krawalle auflösen [...] für Ordnung, das Gesetz der Bürger sorgen [...] Frankreichs Ansehen vergrößern, die Welt erobern, mit einem Wort die majestätische Umarmung der Menschheit vor den Augen eines zufriedenen Gottes sein wird.
Bei dieser Republik handelt es sich um die gute, die wahre, die Republik der Geschäfte, die den „großherzigen Seiten“ seiner Devise des Jahres 1837 entspricht.
Ich bin bereit, fährt er fort, mein Leben zu weihen,
der Verhinderung einer Republik:
die die Trikolore durch die rote Fahne verdrängt,
die große Summen mit der Säule [97] kassiert,
Napoleons Statue stürzt und dafür die Statue Marats [98] errichtet,
das Institut, die Ecole Polytechnique und die Ehrenlegion zerstört;
die der berühmten Devise „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ den düsteren Zusatz „oder Tod“ hinzufügt;
die Bankrott macht, die Reichen ruiniert ohne die Armen reicher zu machen, Kredit und Arbeit vernichtet, welche doch Vermögen und Brot für alle bedeuten, die Besitz und Familie abschafft,
abgeschlagene Köpfe auf Lanzen spießt und zur Schau stellt,
die Gefängnisse durch Verdächtigungen füllt und sie durch Massaker wieder entleert,
die Europa in Brand steckt und die Zivilisation in Asche legt,
die aus Frankreich den Hort der Dunkelheit macht,
die Freiheit niedermetzelt, die Künste erstickt, dem Geist den Kopf abschlägt, Gott verleugnet.
Diese Republik ist die soziale Republik.
Victor Hugo hat loyal sein Wort gehalten. Er gehörte zu jenen, die die „Ateliers Nationaux [Nationalwerkstätten]“ schlossen, die Arbeiter auf die Straße warfen, um die sozialistischen Ideen im Blut zu ersäufen, die die Aufständischen des Juni (* 1848) beschossen und deportierten, die für die Verfolgung der des Sozialismus verdächtigen Abgeordneten stimmten, die den Prinz Napoleon [99] unterstützten, die eine starke Macht wollten um die Massen in Schach zu halten, die Sozialisten zu terrorisieren, die Bourgeois zu beruhigen und Familie, Religion und Besitz vor den Kommunisten, diesen Barbaren, zu schützen. Mit heroischem Mut, der von keinerlei Mitleid für die Besiegten, keinerlei Gefühl für die Gerechtigkeit ihres Anliegens erschüttert wurde, stimmte Victor Hugo, würdiger Sohn des Brutus Hugo von 1793, mit der Mehrheit, die die Macht besaß. Seine glorreichen Stimmabgaben und seine ausdrucksvollen Worte sind wohl bekannt; sie wurden in die Annalen der Reaktion aufgenommen, die das Empire gebar. Was man aber nicht kennt, ist die nicht weniger bewundernswerte Haltung seiner am 30. Juli 1848 mithilfe Vacqueries, Théophile Gautiers [100] und seiner Söhne gegründeten Zeitung l’Evénement [*Das Ereignis]; sie verdient es, daß man sie bekannt macht.
L’Evénement wählte als Devise, die nach Juni [*1848] gerade paßte: „Haß der Anarchie – zarte und tiefe Liebe zum Volk“. Und damit man sich über den Sinn des zweiten Satzes nur ja nicht täusche, hieß es in der Probenummer, daß l’Evénement
zu den Armen von den Rechten der Reichen, zu Jedem über seine Pflichten sprechen wird.
Die Nummer vom ersten November kündigte an,
daß es gut ist, wenn der National, der sich an die Aristokratie der Republik wendet, für 15 Centimes abgegeben wird, und l’Evénement, der zu den Armen sprechen will, für einen Sou verkauft wird.
Der Dichter fing an zu begreifen, daß sich in den mageren Börsen der Armen bessere Renten als in den Geheimfonds der Regierungen und in den Geldschränken der Reichen befanden.
Dem Beispiel der Thiers aus der Rue de Poitiers folgend, denn Victor Hugo imitierte immer jemanden, belehrt l’Evénemen“ das Volk, verbreitet in den Arbeitermassen die gesunden und tröstlichen Theorien der politischen Ökonomie, widerlegt Proudhon, bekämpft
die Sprache derer, die dem Volk schmeicheln und es falsch darstellen. Das Volk hört lieber auf die, die sich mit ihm über Prinzipien und Pflichten unterhalten, als auf jene, die ihm von seinen Interessen und seinen Rechten sprechen. (Nummer vom 1. November)
Er macht sich zum Apostel des Liberalismus, dieser bourgeoisen Religion, die das Volk mit Prinzipien ergötzt, ihm Pflichten eintrichtert und es von seinen Interessen und Rechten ablenkt; damit es das Gewonnene losläßt und dafür einem Schatten nachjagt.
Nach dem Juni-Aufstand (*1848) blieb laut Hugo nur ein Mittel, um die Republik zu retten: „Sie ihren Feinden auszuliefern“. Genauso dachte Thiers nach der Commune. Die Réforme [101], unfähig sich zum Begreifen dieser machiavellischen Taktik aufzuschwingen, beklagte, daß
die Republikaner auf den Index gesetzt werden. Man wendet sich von ihnen ab, verleugnet sie, während es keine noch so verschrienen Legitimisten und Orléanisten gibt, die man nicht unterstützt und um jeden Preis zu rehabilitieren versucht.
L’Evénement blieb ihr mit seiner Meinung keine Antwort schuldig:
Wenn die Republikaner derart suspekt sind, ist das denn nicht die Schuld der Republikaner? [...] Das Christentum war erst dann wirklich mächtig, als die Priester seine Führung verloren hatten. (Nummer vom 1. August [*1848])
Und um die Republik vor den Republikanern zu schützen, zieht das Blatt Victor Hugos gegen Caussidière [102] ins Feld, weil er „nicht der Kopf, sondern die Hand“ ist; gegen Louis Blanc, dessen
Verbrechen aus seinen Ideen, seinen Büchern, seinen Reden besteht; seine Komplizen sind seine 300.000 Zuhörer! (Nummer vom 27. August);
gegen Proudhon, weil er „ein kleiner Mann und gewöhnliche Figur“ ist; ein „miserabler Anwalt des Volkes“; gegen Ledru-Rollin [103], weil
seine Rundschreiben die Zivilisation in einen viertägigen Bürgerkrieg stürzten. Vom 24. Februar bis zum 24. Juni war Ledru-Rollin einer von jenen, die am meisten dazu beitrugen, den Weg in den Abgrund zu ebnen. (Nummer vom 6. August [*1848])
Aber das volle Maß seiner tiefen Liebe für die Republik zeigt l’Evénement, wenn der die Besiegten des Junis (*1848) mit Beschimpfungen, Wutausbrüchen und Denunziationen verfolgt. Hört, hier spricht der Autor der Châtiments [*Die Züchtigungen] [104]:
Gestern folgte auf das Ende der allerschmerzlichsten Korruption die Entfesselung der Habsucht: jene welche arm gewesen waren, hatten nur noch einen Gedanken, die Reichen auszuplündern. Man wollte nicht ihr Leben, sondern ihre Börse. Besitz galt als Diebstahl. Der Staat wurde aufgefordert, den Müßiggang mit großem Aufwand zu finanzieren; die erste Bestrebung der Regierenden bestand in der Aufteilung nicht der Macht des Königs, sondern der Millionen seiner Dotierung, und darin, zum Volk nicht etwa von Intelligenz und Geist zu sprechen, sondern von Ernährung und Bauch [...] Ja, wir sind an einem Punkt angelangt, wo alle anständigen Leute, betrübten Herzens und mit bleicher Stirn, dazu genötigt sind, die permanenten Kriegsgerichte, die Verschickungen in weite Ferne, die Schließung der Clubs, die Suspendierung der Zeitungen und die Anklageerhebung gegen Volksvertreter zuzulassen (Nummer vom 28. August [*1848]).
Die harte Notwendigkeit, die das Herz der anständigen Leute betrübte und es für eine unbarmherzige Repression verhärtete, zwang Hugo dazu, schamlos zu lügen.
Am 28. August 1848, bezeichnet Victor Hugo, um die Kriegsgerichte zu gnadenlosen Verurteilungen anzustacheln, die Besiegten als „Arme, die nur eines im Sinn hatten: die Reichen auszuplündern“. Zwei Monate vorher waren die Juni-Plünderer in sein Haus eingedrungen. Sie wußten, er war
einer der 60 Kommissare, die von der Konstituante zur Niederschlagung des Aufstands und Anführung der Angriffskolonnen aufgestellt waren.
Sie durchsuchten die Gemächer nach Waffen. An der Wand sahen sie
einen türkischen Jatagan [105], dessen Griff und Scheide aus massivem Silber waren [...] auf einem Tisch lagen Schmuckstücke, kostbare Siegel aus Gold und Silber... als sie gegangen waren, stellte man fest [...] daß diese vom Pulver geschwärzten Hände nichts von all dem angerührt hatten. Kein einziger Wertgegenstand fehlte.
Es handelt sich hier um die eigenen Worte von Victor Hugo bei der Schilderung der Verwüstung seines Hauses durch die Plünderer des Juni (*1848). Aber um die Szene zu schildern, wartete er, bis die Kriegsgerichte ihr Repressionswerk beendet hatten; er befand sich dann im Exil. Victor Hugo bleibt immer der gleiche und seien die Umstände auch noch so verschieden: unter der legitimistischen Restauration beschimpft er Napoleon, der ihn begeistert. Unter der bürgerlichen Reaktionsperiode verleumdet er die Aufständischen, deren peinliche Redlichkeit er bewundert.
Ein seltsames Verhängnis lastete auf Victor Hugo. Sein ganzes Leben war er dazu verurteilt, das Gegenteil von dem zu sagen und zu schreiben, was er dachte und fühlte.
Um seiner Umgebung zu gefallen, schwang er im Exil Reden über die Presse-, Rede- und noch viele andere Freiheiten. Dabei haßte er nichts mehr als diese Freiheit, welche es
fanatischen Demagogen [ermöglicht], in der Seele des Volkes verrückte Träume, hinterlistige Theorien [...] und Gedanken der Revolte zu wecken (Evénement vom 3. November [*1848]).
Nach Niederschlagung des Aufstandes stimmte die Kammer für die Kautionspflicht [106], die „Den Armen das Schweigen!“ gebot, wie Lamennais [107] es ausdrückte. L’Evénement beeilte sich, ebenso wie Débats [*Debatten], Constitutionnel und Siècle [*Jahrhundert], dieser
der seriösen Presse so zuträglichen Maßnahme [zuzustimmen]. Wir betrachten sie [...] als notwendig [...] die Gesellschaft hatte eine von Krebs befallene Freiheit. Die Kautionspflicht, dieser gefürchtete Chirurg, hat nun die soziale Gemeinschaft operiert (Nummer vom 11. August [*1848]).
Der libertäre Hugo war keiner, der vor der Amputation jeglicher Freiheit zurückschreckt, die die besitzende Klasse beunruhigt und die Börsenkurse durcheinanderbringt.
Victor Hugo machte dann den großen Schnitzer seines politischen Lebens. Er hielt den Prinz Napoleon für einen Dummkopf, der ihm als Steigbügelhalter dienen sollte. Das war übrigens die generelle Meinung der Politiker über den, der von Rochefort [108] den Beinamen „melancholischer Papagei“ erhalten sollte. Denn selbst wenn er einen Fehler beging, war Hugo nicht originell. Selbst wenn er sich irrte, imitierte er jemanden. Er war vom Wunsch, in einem bonapartistischen Ministerium unterzukommen, so beseelt, daß er nicht bemerkte, daß die Morny [109], die Persigny [110] und die anderen Cassagnac [111] von der Bande, den Dummkopf an sich gerissen hatten und vorhatten, seine Ausbeutung ganz für sich zu reservieren. Mit einer Unverfrorenheit, die ihn äußerst erstaunte und zutiefst schockierte, schickten ihn diese Herren zum Tratschen in seine kleine Filiale der Rue de Poitiers und stibitzten ihm vor der Nase das so heiß begehrte Ministerium. Statt seine Enttäuschung zu schlucken und seine Empörung zu beherrschen, wie er es gewöhnlich tat, vergaß er sich und stürzte sich ungestüm in die Opposition. Die Republikaner der Kammer, denen es an Männern fehlte, nahmen ihn trotz seiner kompromittierenden Vergangenheit in ihre Reihen auf und krönten ihn zum Chef. Berauscht träumte er von der Präsidentschaft.
Der Staatsstreich, der die republikanischen Chefs im Schlaf überraschte, störte seine Pläne. Er mußte seinen Anhängern ins Exil folgen, da er zu ihrem Chef aufgestiegen war. Die Strolche, die sich unversehens der Regierung bemächtigt hatten, waren so verrufen, ihre Macht schien so ungewiß, daß die aus Frankreich weggefegten Republikaner nicht an die Dauer des Empire glaubten. Wochen- und monatelang schlugen sie jeden Morgen vor Erregung zitternd ihre Zeitung auf, um dort vom Sturz der Dezember-Regierung und ihrer triumphalen Rückberufung zu lesen. Ihre Koffer waren für die Reise gepackt. Diese bürgerlichen Republikaner, nachdem sie massenhaft die Arbeiter massakriert und deportiert hatten, die naiv genug gewesen waren, soziale Reformen zu verlangen um jene drei elenden Monate im Dienste der Republik abzugelten, verstanden nicht, daß der 2. Dezember (*1851) die logische Konsequenz der Juni-Tage (*1848) war. Sie hatten noch nicht bemerkt, daß sie, im Glauben nur Kommunisten und Arbeiter niederzumähen, die energischesten Verteidiger ihrer Republik getötet hatten. Victor Hugo, der unfähig war eine politische Situation klar zu sehen, teilte ihre Verblendung. Er beschimpfte in Prosa und Versen das Volk, weil es nicht auf der Stelle das Empire stürzte, das er und seine Freunde gegründet und im Blut des Volkes gefestigt hatten.
Aus seinen ehrgeizigen Träumen aufgerüttelt und fiebrig durch das ständige Warten auf den sofortigen Fall Napoleons III., läßt Hugo das erste und einzige Mal in seinem Leben den wilden Leidenschaften freien Lauf, die sein Herz peinigten. Da er in seinem persönlichen Ehrgeiz enttäuscht ist, greift er wütend Personen an, die Rouher [112], die Maupas [113], die Troplong [114], die seine Pläne über den Haufen geworfen haben: Er packt sie, bespuckt sie, beißt sie, schlägt sie, wirft sie zu Boden, tritt sie mit epileptischer Raserei. Der Dichter ist in den Châtiments aufrichtig. Das ist ganz er, mit seiner verletzten Eitelkeit, seinem getäuschten Ehrgeiz, seinem eifersüchtigen Zorn und seinem wütenden Neid. Seine Verse, die durch überflüssige Übertreibungen und betäubende Vergleiche normalerweise so kalt wirken, erhalten Leben und vibrieren vor Leidenschaft. Man kann darin unter Wagenladungen von romantischem Plunder Verse herausschälen, so scharf geschliffen wie Dolche und so brennend wie glühende Eisen; Verse die von der Geschichte aufgegriffen werden. Die Châtiments [Züchtigungen], das populärste Werk Victor Hugos, lehrte die Jugend des Empires Haß und Verachtung für die Männer des Empires.
Es gibt in der guten Gesellschaft Hugo-Anbeter, Monarchisten und sogar Republikaner, die bei dem Geschimpfe der Châtiments in Bestürzung geraten: Sie sprechen nie von ihnen oder wenn sie sie manchmal erwähnen, so ist es mit oratorischen Vorkehrungen und unendlichem Widerstreben. Ihre Prüderie hindert sie daran, anzuerkennen welchen Dienst dieses wütende Pamphlet den Konservativen aller Richtungen leistete und noch immer leistet. Hugo überhäuft die Canrobert [115] und die Saint-Arnaud [116] von der bonapartistischen Dezember-Truppe mit Grobheiten; aber er schießt nicht einen einzigen Vers gegen die Cavaignac [117], die Bréa und die Clément Thomas [118] von der bürgerlichen Juni-Bande. Sozialisten im Arbeitskittel zu massakrieren scheint ihm zum Lauf der Dinge zu gehören, aber auf dem Boulevard Montmarte dreinzuschlagen, das Haus Sallandrouze zu stürmen, einige Bourgeois mit Frack und Zylinder abzuknallen! Oh! Das schlimmste aller Verbrechen! Die Châtiments ignorieren den Juni (* 848) und prangern nur den Dezember (*1851) an: indem sie den ganzen Haß auf Dezember konzentrieren, lassen sie den Juni in Vergessenheit geraten. [119]
In seinen Vorwort zum 18. Brumaire [des Louis Bonaparte] sagte Karl Marx übrigens über Napoleon den Kleinen [120]:
„Victor Hugo beschränkt sich auf bittere und geistreiche Invektive gegen den verantwortlichen Herausgeber des Staatsstreiches. Das Ereignis selbst erscheint ihm wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Er sieht darin die Gewalttat eines einzelnen Individuum. Er merkt nicht, daß er dieses Individuum groß statt klein macht, wenn er ihm eine persönliche Gewalt der Initiative vorschreibt, wie sie beispiellos in der Weltgeschichte dastehen würde“ [121]
Durch die unbewußte Verherrlichung von Napoleon dem Kleinen in Napoleon dem Großen, durch die Beladung seines Haupts mit den Verbrechen der bürgerlichen Klasse, rechtfertigt Hugo die bürgerlichen Republikaner, die das Empire vorbereiteten und entschuldigt die sozialen Institutionen, die den Klassengegensatz schaffen, den Bürgerkrieg schüren, Gewaltstreiche gegen die Sozialisten fordern und Staatsstreiche gegen die parlamentarische Bourgeoisie ermöglichen. Indem er die Wut auf Individuen, auf Napoleon und seine Komplizen häuft, lenkt er die Aufmerksamkeit des Volkes von der Suche nach der Ursache des sozialen Elends ab – die da ist das Ansichreissen des sozialen Reichtums durch die kapitalistische Klasse; er lenkt die Aktion des Volkes von ihrem revolutionären Ziel weg – das da ist Enteignung der kapitalistischen Klasse und die Sozialisierung der Produktionsmittel. Nur wenige Bücher waren der besitzenden Klasse nützlicher als Napoléon-le-petit und Châtiments.
Andere Hugo-Anbeter, ungeschickte Lobredner, nehmen des Dichters Erklärungen der Hingabe und Uneigennützigkeit ernst und präsentieren ihn als Helden der Entsagung Durch diese Vereinfachung nehmen sie ihm sein bürgerliches Prestige. Wenn man sie anhört, so wäre er einer dieser gefährlichen Besessenen gewesen, so vernarrt in soziale und politische Ideen, daß er ihnen materielle Vorteile opferte. Sie würden ihn gern mit diesem Blanqui [122], diesem Garibaldi [123], diesem Verlin gleichstellen, diesen Verrückten, die nur ein Ziel im Leben hatten: die Verwirklichung ihres Ideals. Nein! Victor Hugo war nie dumm genug auch nur einige tausend Francs von seinen Millionen in den Dienst der republikanischen Propaganda zu stellen. Wenn er irgend etwas für seine Ideen geopfert hätte, dann hätte ihn kein Gefolge von so zahlreichen Bourgeois ins Pantheon geleitet; dann hätte ihn Jules Ferry [124] als er ihm zwei Jahre vor seinem Tod zum Namenstag gratulierte, nicht mit der Anrede „Maitre [*Meister]“ gegrüßt. Wenn Victor Hugo ein solch draufgängerische Politik gemacht hätte, dann hätte er die bürgerliche Tradition verlassen. Denn die Eigenart der politischen Entwicklung in den zivilisierten Ländern ist es, die Politik von den Gefahren, die sie mit sich bringt und von den Opfern, die sie früher verlangte, zu befreien. In Frankreich, in England, in den Vereinigten Staaten ruinieren sich die Minister im Amt und die Gewählten der Kammer und der Gemeinderäte nicht mehr, sondern sie bereichern sich. In diesen Ländern verurteilt man keine Minister mehr wegen Börsenschwindel, Finanzveruntreuung und Machtmißbrauch.
Die parlamentarische Verantwortung deckt ihre Fehler und schützt sie gegen jede Strafverfolgung. Das republikanische Frankreich gab ein erinnerungswürdiges Beispiel für diese vernünftige und angenehme Politik als sie die Herren Broglie [125] und Beffat in den Rang von Senatoren hob, um sie für ihren mißglückten monarchistischen Staatsstreich zu trösten. Die parlamentarische Politik ist eine gewinnbringende Karriere. Sie bringt keine finanziellen Risiken wie etwa Handel und Industrie mit sich. Ein kleines Grundkapital, ein reicher Vorrat an gutem Mundwerk, ein Quentchen Glück und viel Gewandtheit sichern den Erfolg. Hugo kannte nur diese positive Politik. Sobald er sich überzeugt hatte, daß die Existenz des Empires für lange Zeit gesichert war, löschte er seine lodernden Blitze der Gerechtigkeit und konzentrierte seine ganze Tätigkeit auf seinen Handel mit Adjektiven und Sätzen in Reim und Rhythmus.
In seinem blindwütigen Aufbrausen hatte er so kategorische Erklärungen abgegeben und zu seinem Unglück hatten sie ein so beträchtliches Echo. Er hatte die Männer des Staatsstreichs so glühend gebrandmarkt, daß es unmöglich war, dies vergessen zu machen. So mußte er Republikaner bleiben und der Politik entsagen. Er entschied, daß es besser war, tapfer die Märtyrerrolle der Republik, des Opfers der Pflicht zu übernehmen. Diese Rolle schmeichelte seiner Eitelkeit. Wenn er schon nicht auf einer Insel geboren wurde wie Napoleon, so würde er eben so wie dieser im Exil auf einer Insel leben. Napoleon zu imitieren, der Napoleon der Literatur zu werden, war der Ehrgeiz seines ganzen Lebens.
Verbannte kommen mit jeglichem Elend in Berührung, sagte der große Florentiner; aber Hugo war intelligenter als Dante. [126] Mit einer Kunst die Barnum [127] nie erreichte, verwandelte er das Exil in die aufsehenerregendste Reklame. Exil war das marktschreierische und blendende Firmenschild, das an seinem Buchladen im Hauteville House [auf der Kanalinsel Guernsey] prangte. Die Könige hatten ihm nur eine Rente von 3.000 Francs gewährt. Seine bürgerliche Kundschaft brachte ihm 50.000 Francs pro Jahr. Er war durch den Wechsel also keinen Verlust eingegangen. Er fand, daß das Empire auch etwas Gutes hatte: „Napoleon hat mir Reichtum gebracht“, gestand er in einem dieser seltenen Augenblicke, in denen er seine Dornenkrone ablegte. Wie soll die bourgeoisierende Bourgeoisie nicht vor diesem Mann in Ekstase geraten, der das Exil so sanft und so profitabel zu gestalten verstand? Renommierte Genies finden im Exil nur Schmerz, den Händlern, die nach Senegal, Indien, diese Länder voll Fieber und Hepatitis, auswandern, gelingt es nach 10 oder 20 Jahren Exil nur, einige Hunderttausend Francs anzuhäufen, wenn der Wind für sie günstig weht; und er, Victor Hugo, der moderne Prometheus [128], lebt auf einer entzückenden Insel, auf die Ärzte ihre Kranken zur Genesung schicken, er umgibt sich mit einem Hof von eifrigen Schmeichlern, die ihn überschwenglich loben, er reist ruhig in Europa herum, er hortet Millionen und erhält die Märtyrerpalme! ... [129]
Freunde und Feinde Victor Hugos haben manches unbedachte Urteil über ihn in Umlauf gebracht, das auf Bewunderung oder Furcht beruhte. Im Interesse seines Ruhmes müssen wir sie revidieren.
Der tönenden Phraseologie des Hugo der letzten 35 Jahre erzeugte ein Gruseln bei den Hasenfüßen, die sich durch Worte einschüchtern lassen, und bei den Philistern, für die jeder politische Jongleur, der mit den Worten Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, Humanität, Kosmopolitismus, Vereinigte Staaten von Europa und anderen glänzenden Spielbällen des Liberalismus geschickt um sich zu werfen versteht, als ein Revolutionär erscheint, ein Sozialist, den man ins Loch stecken, wenn nicht erschießen sollte. Aber Hugo – und darin besteht sein festbegründeter Anspruch auf unsere Bewunderung – wußte seine Worte und Taten in so schroffen Widerspruch zu setzen, daß es ihm besser als irgendeinem Politiker in Europa oder Amerika gelungen ist, die völlig Harmlosigkeit der überschwenglichen Phrasen des Liberalismus offenzulegen.
Wie gewöhnliche Menschenkinder von Brot und Fleisch nährt sich Hugo von Humanität und Brüderlichkeit. Am 18. August 1848, acht Tage, nachdem der erste Transport mit 581 zur Deportation verurteilten Aufständischen abgegangen war, gründete er neben dem Klub der Rue de Poitiers den „Klub der Brüderlichkeit [*Réunion de la fraternité]“. Die Furcht, durch den Aufstand ihr teures Geld zu verlieren, das die Pereire und Mirès [130] der kaiserlichen Finanz binnen kurzem so munter konfiszieren sollten, hatte die französischen Kleinbürger 1848 rasend gemacht. Die honette und gemäßigte Presse erzählte über die Aufständischen des Juni (*1848) die schauerlichsten Räuberpistolen von geplünderten Häusern, von Nationalgardisten, die man zwischen zwei Brettern zersägt hatte, und von Totenschädeln, aus denen die Aufständischen bei ihren Orgien Wein tranken... Hugo wußte, daß die Aufständischen die Häuser nicht plünderten, wenn sie in sie eindrangen; er hatte gesehen, wie heldenhaft sie sich geschlagen hatten. Schon aus Menschlichkeit mußte er gegen die schwachsinnigen Verleumdungen protestieren, mit denen man sie überhäufte, und er mußte versuchen, die Bourgeois zu beruhigen, die in ihrer Angst ein gnadenloses Vorgehen gegen die Besiegten verlangten. Aber die Brüderlichkeit Hugos war nicht so human zusammengesetzt, sie verstand es nicht als ihre Aufgabe, das Wüten der Kriegsgerichte zu verhindern, sondern bloß
dem Auge des Richters durch die Tränen des Bruders einen milderen Ausdruck zu verleihen [...] und zu versuchen, selbst in der Bestrafung die brüderliche Gesinnung der Nationalversammlung merkbar zu machen (l’Evénement [*Das Ereignis], Nr.14).
Und fast in jeder Nummer hetzte das l’Evénement gegen die Besiegten. [131]
Die Freiheit war auch ein Pegasus [132], den Hugo gerne ritt. Aber man mußte ein Philister zur dritten Potenz sein, um nicht zu sehen, daß Hugos Pegasus zu sehr bloß mit Wind gefüttert wurde, um auszuschlagen und mit dem Reiter durchzugehen. Die anscheinend so feurige Freiheit Hugos war in Wirklichkeit ein frommer Karrengaul, den er in jedem Regierungsstall einstellte. Seit der unsterblichen Revolution von 1789 ist die Freiheit, die ach so teure Freiheit, groß in Mode. Jeder Politiker von Polignac [133] bis Napoleon hat dieses Wort bei jeder Gelegenheit im Mund. Hugo sang das Lob der Freiheit aus voller Kehle, wenn er die Einführung der Zeitungskautionen befürwortete, die die „brandige Pressefreiheit“ vom sozialen Körper amputierte.
Hugo hißte in seinen Versen die rote Fahne der Gleichheit. Aber zwischen Gleichheit und Gleichheit ist ein Unterschied wie zwischen Dichtern und Dichtern. [134] Es gibt ebenso viele Spielarten der Gleichheit wie der Moral.
Jede Klasse, jeder soziale Körper schafft für den Gebrauch seiner Mitglieder eine besondere Moral [135]:
Der Tod macht in seiner Weise alle gleich. Ein andere Sorte Gleichheit führt Syphilis und Blattern herbei. Die gesellschaftliche Ungleichheit hat zwei Arten von Gleichheit hervorgerufen, die Gleichheit im Himmel, die den gläubigen Christen für die Ungleichheit auf Erden entschädigt, und die bürgerliche Gleichheit, diese Errungenschaft der Revolution, die den gleichen Zweck erfüllen soll. Diese bürgerliche Gleichheit, die dem Rothschild den Besitz seiner Millionen und Hirschgehege garantiert, und dem Bettler den Besitz seiner Lumpen und Läuse, ist die einzige Gleichheit, die Hugo kennt. Er liebt seine Renten und die Antithesen zu sehr, um eine Gleichheit zu wünschen, die ihm ebenso seine Millionen wie die naheliegendsten und wirksamsten Kontraste seiner Poesie genommen hätte.
Im Gegenteil. l’Evénement vom 9. November 1848 ergriff Partei für den „Luxus, den die falsche Philanthropie unserer Tage so arg verleumdet“, und verwies triumphierend auf die Notwendigkeit des Elends zur Erhaltung des sozialen Gleichgewichts.
Der Überfluß des Müßigen ist der beste Freund des fleißigen Armen, belehrt uns das Blatt Hugos. Wer liefert dem Reichtum jenen verderblichen, gekünstelten und nutzlosen Überfluß, aus dem sich Mode und Vergnügen zusammensetzen? Die Arbeit, die Industrie, die Kunst. mit einem Wort, die Armut. Der Luxus ist das sicherste Almosen, ein unfreiwilliges Almosen. Die Launen des Reichen sind die beste Einkommensquelle des Armen. Je mehr Verschwendung in den Salons, desto größerer Wohlstand in der Werkstatt. Ein geheimnisvolles Gleichgewicht, bei dem die schwerlastenden Notwendigkeiten auf der einen Seite ihr Gegengewicht finden in den leichtsinnige Frivolitäten der andern. Ein seltsames Gleichgewicht zwischen den Launen der Oberen und den Bedürfnissen der Unteren! Je mehr Blumen und Spitzen in der leichten Waagschale, desto mehr Brot in der schweren!
Die unnützeste und lächerlichste Verschwendung wird so bei Hugo zu einem geheimnisvollen Mittel der göttlichen Vorsehung, die soziale Harmonie herzustellen, die auf fleißiger Armut und müßigem Reichtum beruht. Niemals ist der Luxus überschwenglicher glorifiziert worden. Als l’Evénement, dieses Organ der Brüderlichkeit Hugos, den Luxus pries, waren kaum zwei Monate seit dem Juniaufstand (*1848) vergangen, diesem „Protest des Elends“, und das Straßenpflaster war noch rot vom Blut des Bürgerkrieges.
Die Worte, um die Hugo sein Wörterbuch nach 1848 bereicherte, schadeten ihm in den Augen der Philister und flößten diesen solches Entsetzen ein, daß sie seine Verse für Laternenpfähle hielten, um die Reichen daran aufzuhängen, und den Dichter für einen Sozialisten, einen Umverteiler. Victor Hugo, ein Umverteiler! ... Bevor er was immer mit wem immer geteilt hätte, hätte er seine Freunde mit eigener Hand geschlachtet – sogar die Freunde, die er zu seinen Testamentvollstreckern bestimmt hatte, den vielgeliebten Vacqueries eingeschlossen, der, da er sich nicht auf Hugos Grab töten konnte, wie es die Diener eines antiken Helden auf dessen Scheiterhaufen taten, als Bildnis in des Meisters Grab eingeschlossen zu werden wünschte. Der Dichter war einer solchen Aufopferung würdig: er war in der Tat ein Heros der Phrase.
Die Revolution von 1848 fügte in die der Sprache der honetten und anständigen Leute neue Worte ein. Seit der literarischen Reaktion unter dem Konsulat am Anfang unseren Jahrhunderts [137] überwinterten diese Worte in den Flugschriften, Zeitungen und Proklamationen der großen revolutionären Epoche und wurden in der Umgangssprache nur zögernd verwendet. Die Maulhelden der Romantik, die Janin und Gautier, schreckten sich vor ihnen. Victor Hugo hingegen, ohne auch nur mit einer Wimper zu zucken, faßte die furchtbare Substantiva und Adjektiva kühn an, die in die Schriftsprache durch die Zeitungen und durch die Reden auf den Tribünen der Volksversammlungen hineindrängelte. Und als ausgezeichneter Taschenspieler wußte er die verblüffendsten Kunststücke mit den unsterblichen Prinzipien von 1789 und den Worten aufzuführen, auf denen noch das Blut der Adeligen und Pfaffen klebte. Er öffnete so für die Romantik eine Karriereleiter, den nur er alleine erklimmen sollte; seine literarischen Gefährten von 1832, furchtsamer als die Bourgeois, über die sie sich lustig machten, wagten es nicht, ihm, den sie ihren Meister nannten, zu folgen.
Victor Hugo selbst scheint vor den revolutionären Ausdrücken Angst gehabt zu haben, deren er sich bediente, ohne sie recht zu verstehen. Er wollte sich vergewissern, ob er nicht, wenn auch unwissentlich und nur in Gedanken, sich der Sünde des Sozialismus schuldig gemacht habe. Er erforschte in seiner Autobiographie sein Gewissen und überzeugte sich, daß er, der über die armen Leute, das Elend und ähnliche Sujets der dichterischen Gestaltung schrieb – Tiraden, mit denen man das Palais Bourbon [138] pflastern könnte [139] – , nur eine einzige soziale Reform verlangt habe, die Abschaffung der Todesstrafe – „vielleicht die wichtigste von allen“. [140] Und er durfte sich sagen,
Ein Sozialismus, der sich auf nur eine soziale Reform beschränkt, die Abschaffung der Todesstrafe, wird niemanden beunruhigen, als höchsten die Henker, deren wohlerworbene Rechte er bedroht. Kein Wunder also, daß Hugos „Bibel des Sozialismus“, sein Roman Les Misérables [*Die Elenden], bei niemanden Anstoß erregte, ausgenommen bei dem alt gewordenen Lamartine [142], der sich darüber ärgerte, daß 30 Jahre nach Eugène Sue [143] „der einzige, der, wie Théodore de Banville [144] meint, etwas zu sagen habe“, es wagt, einen Mann zu bemitleiden, den man auf die Galeeren geschickt hat, weil er ein Stück Brot gestohlen hat, und für ein armes Mädchen Rührung zu empfinden, das sich prostituiert, um ihr Kind zu ernähren, dessen Vater, ein Bourgeois, sie verlassen hatte, als sie schwanger wurde. Aber sich darüber zu ärgern war tatsächlich greisenhaft kindisch. Schlagend bewies Victor Hugo seine bürgerliche Denkweise in diesem Roman, indem er diese beiden Institutionen jeder bürgerlichen Gesellschaft, die Polizei und die Ausbeutung, in zwei lächerlichen Typen personifizierte: im tugendhaften Javert, die zum Polizeispitzel wird, und Jean Valjean, dem Galeerensträfling, der sich dadurch rehabilitiert, daß er in wenigen Jahren aus seinen Arbeitern ein Vermögen herausschindet. Reichtum löscht alle Makel und ersetzt jede Tugend. Victor Hugo kann sich, wie alle anderen Bourgeois, eine Gesellschaft ohne Polizei und ohne Ausbeutung der Arbeitskraft einfach nicht vorstellen. [145]
Die Verehrung des Gottes Reichtum – das ist die Religion Victor Hugos. In seine Augen war die Beschlagnahme der Güter der Familie Orléans eines der scheußlichen Verbrechen Napoleon III. Wäre er Mitglied der Nationalversammlung in Versailles gewesen, er hätte aus Hochachtung für das Eigentum dem Antrag des Monsieur Thiers zugestimmt, den Orléans eine Entschädigung von 50 Millionen zu zahlen. Er haßte die Sozialisten so sehr, daß in seiner Aufzählung der Wesen, die die Gesellschaft beunruhigen, der Kommunist Babeuf nur eine Stufe höher steht, als der Mörder Lacenaire [146], der die unterste Stufe einnimmt. [147]
Es gehört die abscheulichste Bösartigkeit, entschuldbar höchstens durch Unwissenheit und Vergeßlichkeit, dazu, daß der Mann, der im November 1848 geschrieben hat
Der Juniaufstand ist ein Verbrechen und wird von der Geschichte verurteilt werden. wie ihn die Gesellschaft verurteilt [...] Wenn er gelungen wäre, hätte er nicht die Arbeit, sondern die Plünderung zu Ehren gebracht (l’Evénement, Nr.94)
daß dieser Mann die Sache des Eigentums verlassen und die Erhebung vom 18. März 1871 (* den Pariser Communeaufstand) gutgeheißen habe. Anlaß für diese Annahme war, daß er sein Haus in Brüssel für die Flüchtlingen der Commune öffnete. Aber hat er nicht in seinem Brief, um den er so viel Lärm machte [148] – bei Hugo dient alles der Reklame –, und später in seinem L’année terrible [*Das furchtbare Jahr] [149] mit Entrüstung gegen die Kriegsführung der Communarden protestiert? Hat er nicht die Communarden ebenso geschmäht, wie zuvor die Bonapartisten? Hat er sie nicht gebrandmarkt, indem er sie die Henker fünzehnjähriger Kinder nannte, Diebe, Mörder, Brandstifter? Freilich, die Radikalen, darunter der Hugoschwärmer Camille Pelletan [150], mußten herausfinden, daß Victor Hugo sie durch seine maßlosen Beschimpfungen und Verleumdungen der Besiegten der blutigen Maiwochen kompromittiert.
Welchen Grund hatten also die Schreiberlinge [151] der Versailler Presse sich über Victor Hugo so aufzuregen? Haben nicht – trotz der dringendsten Gesuche der Messieurs Thiers und Favre [152] die Minister der Königin Victoria und des Königs Amadeus [153] ihre Staaten den Besiegten geöffnet, ohne diese jemals so zu beschimpfen, wie es Victor Hugo tat? Niemandem wird es deshalb einfallen, diese Staatsmänner zu beschuldigen, sie stünden im Bündnis mit den Sozialisten und den Feinden des Eigentums. In der Schweiz, in Belgien, in England, überall haben Bourgeois ihre Geldbörsen gezückt, um die brotlosen und arbeitslosen Flüchtlinge zu unterstützen – was der Exflüchtling und Millionär Victor Hugo nie getan hat.
* * *
Nichts ist natürlicher, als daß die Legitimisten, die Victor Hugo großgezogen, gehätschelt, gepriesen und dekoriert haben, den jungen Ausreißer bitter hassen, der sie an dem Tag sitzen ließ, an dem die Revolution von 1830 ihnen die Schlüssel zu Pensionskasse entriß. Wenn sie ihn der Desertion, des Verrates beschuldigen, haben sie völlig recht. Der Pair von Frankreich der orléanistischen Monarchie, der seinen Royalismus auf seine Mutter schob, konnte sich aber seinen Orléanismus mit seinem sittlichen Ernst erklären und ihnen sagen: „Pflichtgetreu, wie ich immer gewesen bin, mußte ich den Geboten einer sittlichen Pflicht folgen, die höher steht als die Dankbarkeit – den Geboten der praktischen Moral; diese sagt: kein Geld, kein Schweizer [*Söldner] und auch kein Dichter“. Aber die ehemaligen Gönner des Dichters verlieren jedes Maß, wenn sie ihn verleumden und einen Verächter der Religion nennen, um den Absatz seiner Ware beim frommen Volk zu schädigen. Nichts ist unrichtiger, als das.
Victor Hugo hatte das Unglück, von gottlosen Eltern abzustammen und unter gottlosen Menschen aufzuwachsen. Seine Mutter erlaubte ihm nicht einmal, zum heiligen Abendmahl zu gehen [154]; dafür gab sie ihm ungläubige Priester, die Brevier und Soutane während der Revolution weggeschmissen hatte, als Lehrer. Und trotzdem entwickelte sich plötzlich ein inbrünstiger Glaube in seiner Seele, an dem Tag, an dem Thron und Altar, die die Revolution umgeworfen hatte, wieder auf ihre Füße gestellt wurden. Er erwürgte nun seinen Voltairianertum und besangt die katholische Religion, ihre Feste und ihre Pensionen. [155] Erkennen die Legitimisten darin nicht die sicheren Zeichen eines aus dem Innersten kommenden opportunistischen Glaubens? Aber sie überfordern ihn entschieden, wenn sie verlangen, dieser Paradekatholizismus hätte die Ursachen, die ihn hervorriefen, überdauern sollen. Wären sie am Ruder gelieben, Victor Hugo hätte den Priesterglauben bis zu seinem dreiundachtzigsten Jahr bewahrt. Wie konnte er aber weiterhin einen Gott verehren, der aufhörte, ihm seine Existenz durch die Zuteilung von Pensionen zu sichern? Er handelte wie ein Bankier, der einem ruinierten und nach Belgien geflüchteten Klienten den Kredit sperrt.
Die Revolution von 1830 brachte Voltaire und das Freidenkertum wieder in Mode. Victor Hugo, diese Sonnenblume, die ihren natürlichen Anlagen nach dazu verdammt war, sich stets der Sonne zuzuwenden, legte seinen Legitimismus und Modekatholizismus wieder ab, wie eine Köchin ihre Schürze. Er betete nun zu Bérangers „Gott der guten Menschen“ und verbrannte Jahve, diesen grausamen und furchtbaren Gott, der jedoch seinem romantischen Hirn besser gefiel. Dieser Wechsel der Götter bewies die Aufrichtigkeit seines Deismus. Er mußte um jeden Preis einen Gott haben, schon aus persönlichen Rücksichten – um ein Prophet, ein Orakel sein zu können. [156]
Ohne Schwierigkeiten erhob er sich sogar bis auf das Niveau der landläufigen Irreligiosität seiner Leser. Man verlangte von ihm nicht, daß er jene seichten Gefühle opfere, die die Romantik aus der Gottesidee und der christlichen Liebestätigkeit zog und auf welche die Freidenker die Sorge abladen, die Miseren zu lindern, die ihre Ausbeutung geschaffen hat. Er konnte sogar weiterhin Priester und Nonne besingen, diese Moralgendarmen, die von der Bourgeoisie bezahlt werden, um das Werk der Repression von Sergeant und Soldat zu ergänzen. [157]
Victor Hugo ist ohne Priester, ohne Gebet gestorben, ohne Beichte und Kommunion zum Ärgernis der Katholiken. Aber die Leute, die bloß an ein irgendein höheres Wesen glauben, können ihm nicht vorwerfen, er habe je einen gottlosen Gedanken gehabt. Sein gigantisches Hirn blieb für die zerstörerische Kritik der Enzyklopädisten ebenso verschlossen, wie für die Theorien der modernen Wissenschaft. Im Jahr 1831 erregte ein wissenschaftlicher Streit das intellektuelle Europa: Cuvier und Geoffroy Saint Hilaire [158] diskutierten über die Entstehung und Bildung der Geschöpfe und der Menschheit. Der alte Goethe, den Victor Hugo geringschätzig „den Dichter der Gleichgültigkeit“ nennt, verfolgte den Streit der beiden Genies voller Enthusiasmus [159] – Hugo, voller Gleichgültigkeit für Philosophie und Wissenschaft, verwendete seinen
riesenhaften Geist, der in seiner Unendlichkeit das Sichtbare und das Unsichtbare umfaßte, das Ideale und das Reale, die Ungeheuer des Meeres und die Geschöpfe der Erde,
dazu, Versfüße abzuzählen und „Nombril [*Nabel]“ und „Avril [*April]“ zu reimen, „Juif [*Jude]“ und „Suif [*Talg]“, „Gouine [*Lesbierin]“ und „Baragouine [*Kauderwelsch]“, „Marengo [*Kammgarnstoff, auch Ort an dem Napoleon 1800 ein österreichisches Heer besiegte]“ und „Lumbago [*Hexenschuß]“.
30 Jahre später nahm Charles Darwin [160] die Theorie Geoffroy Saint Hilaires und Lamarcks [161], seines Meisters wieder auf; er befruchtete sie mit seinem ausgedehnten Wissen und seinen genialen Entdeckungen, er führte sie triumphierend in die Naturwissenschaft ein und wälzte die Anschauungen der Menschen über die Schöpfung um. Hugo, „der Dichter des 19. Jahrhunderts“, das seine Verehrer „das Jahrhundert Hugos“ nennen, Hugo, in dessen Kopf die „Idee der Menschheit“ wohnte, verhielt sich gegenüber einer so wunderbaren geistigen Umwälzung indifferent. Der „poeta sovrano [Dichterfürst]“, der die größte Zeit seines Lebens damit zubrachte, Buchhändlerkataloge, historische und geographische Nachschlagewerke nach wohlklingenden Reimen zu durchstöbern, geruhte nicht zu entdecken, daß „Lamarckisms [*Lamarckismus]“, „Darwinisme [*Darwinismus]“ und „Transformisme [*Evolutionstheorie]“ sich besser reimen als „j’ai faim [*Ich habe Hunger]“ und „génovéfain [*Einwohner von Genf]“
Nächster Teil | Anfang der Seite
81. * Louis Philippe von Orléan (1773–1850), Bürgerkönig von Frankreich 1830–1848.
82. Victor Hugo: Philosophie et littérature mêlées, 1834, Journal d’un révolutionnaire de 1830) (*einbändiger Reprint in: Œuvres, G/1, Paris 1934, Philosophie I).
83. * Pierre Jean de Béranger (1740–1857) war der erfolgreichste und volkstümlichste Chansondichter Frankreichs. Er verfaßte Spottlieder auf die Bourbonen.
84. * Queen Victoria (1819–1901) Königin von Großbritannien und Irland (seit 1837) sowie Kaiserin von Indien (seit 1876).
85. Nikolaus I. Pawlewitsch (1796–1855) unterdrückte als Zar 1825 den Dekabristenaufstand, warf 1830/31 den Polenaufstand nieder und veranlaßte den Krimkrieg.
86. Victor Hugo: Le Rhin, Band III, 288, 331 (*Œuvres, Paris 1906, D/1
87. Alexander von Humboldt (1769–1859), Naturforscher und Geograph.
88. Friedrich Wilhelm IV. wurde 1858 wegen seiner Geisteskrankheit als Regent von seinem Bruder Wilhelm I. ersetzt.
89. Diese Einzelheiten, die Victor Hugo in unangebrachter Bescheidenheit in der seiner Frau diktierten Autobiographie wegließ, wurden in der sehr gelehrten und sehr geistreich verfaßten Studie von M. Ed. Biré wieder aufgegriffen: Victor Hugo avant 1830 [Victor Hugo vor 1830], Verlag J. Gervais, 1883. Den Hugo-Anbetern, die ihren Helden ganz genau kennen wollen, kann man diese Lektüre nur empfehlen. – * Wilhelm I. (1797–1888) war von 1871 bis 1888 deutscher Kaiser, setzte die Hegemonie Preußens über das von ihm gegründete Deutsche Reich durch. Sein leitender Staatsmann war Bismarck.
90. Das 1830 von Thiers gegründete politische Journal war ein Organ der Opposition gegen die Royalisten.
91. * Der Dichter Heinrich Heine (1797–1856) lebte seit 1831 als Emigrant in Paris.
92. * Harmodios und Aristogeiton ermordeten 514 v.u.Z. den Sohn des Tyrannen Pesistratos, Hipparch.
93. * Voix interieurs, in: Œuvres, Paris 1909, B/2, 359
94. * Die Familiendynastie der Dollfus’ stand in Mühlhausen an der Spitze eines Textilunternehmens.
95. * Der Industrielle Andre Koechlin (1789–1875) erzeugte Maschinen für die Textilproduktion und Lokomotiven.
96. * Auguste Scheuer-Kestner (1833–1899), Industrieller und liberaler Politiker (Abgeordneter, Senator).
97. * Gemeint ist die Säule auf dem Place Vendôme in Paris, die nach der Schlacht bei Austerlitz für die Grand Armée errichtet wurde. An die Spitze stellte man 1810 die Figur von Napoleon als Imperator. Während des Commune-Aufstandes stürzten die Communards die Säule.
98. * Jean Paul Marat (1743–1793), Abgeordneter von Paris im Konvent, Herausgeber des Ami du Peuple, am 13. Juli 1793 von Charlotte de Corday ermordet.
99. * Napoleon III. regierte von 1852–1870.
100. * Über Jules Janin (1804–1874) und Théophile Gautier (1811–1872) siehe die Studie Die Anfänge der Romantik.
101. * Zeitung von Ledru-Rollin, die sich für das allgemeine Wahlrecht einsetzte.
102. * Marc Caussidière (1808–1861) übernahm nach den Barrikadenkämpfen des Februar 1848 die Funktion eines Präfekten der Polizei. Im Mai der Meuterei eingeklagt flüchtete er im Juni aus Frankreich.
103. * Alexandre Auguste Ledru-Rollin (1807–1874) war Anwalt in den politischen Prozessen 1834–1835, 1848 republikanischer Abgeordneter und Innenminister. 1849 mußte er nach England flüchten.
104. * Mit diesem Gedichtzyklus machte sich Victor Hugo zum Sprachrohr der Oppositionellen gegen Napoleon III., indem er sein Regime als „Kloake“ und „Paradies des Schweins“ charakterisierte.
105. * Krummsäbel
106. * Wie schon zuvor unter Louis Philippe wurde 1848 eine zwangsläufig zu leistende Kaution bei Herausgabe einer Zeitung beschlossen, deren Höhe sich nach der Häufigkeit des Erscheinens und der Verbreitung richtete. Als Abgeordneter stimmte Victor Hugo am 9. August 1848 dieser Maßnahme zu.
107. * Der Theologe Hugues Lamenais (1782–1854) versuchte die katholische Kirche zu einer Volkskirche umzugestalten. Am 11. Juli 1848 kündigte er das Ende seiner Zeitung Le peuple Constituant mit den Worten „Für die Armen das Schweigen!“ an.
108. * Der radikale Republikaner Henri Rochefort (1830–1930), der noch 1870 wegen seiner Sympathie für die Commune aus Frankreich verbannt wurde, wandelte sich später zu einem fanatischen Nationalisten.
109. * Charles Duc de Morny (1811–1865) spielte eine entscheidende Rolle beim Staatsstreich seines Halbbruders Napoleon III.
110. * Jean Gilbert Victor Fiaun Duc de Persigny (1808–1872) leitet 1830 einen Aufstandsversuch gegen die Royalisten; später Anhänger Napoleons III.
111. * Bernd Granier de Cassagnac (1842–1904), Publizist.
112. * Der republikanische Abgeordnete Eugène Rouher (1814–1888) brachte es unter Napoleon zum Unterrichts- und Justizminister.
113. * Charlemagne Emilie de Maupas (1818–1888) war Präfekt von Toulon. Zur Vorbereitung des Staatstreiches Napoleons wurde er nach Paris versetzt. Nach dessen Gelingen avancierte er zum Innenminister und Senator.
114. * Der Jurist Raymond Théodore Troplong (1795–1869) nahm ebenfalls am Staatstreich Napoleons teil und brachte es in der Folge zum Präsidenten des „cour de cassation“.
115. * Der Marschall François Certan Canrobert (1809–1895) war Teilnehmer am Staatsstreich Napoleon III.
116. * Der Marschall Achille Leroy de Saint-Arnaud (1798–1854) war Teilnehmer am Staatsstreich Napoleon III.
117. * Der General Louis Eugène Cavaignac (1802–1851) schlug den Juni-Aufstand 1848 nieder und wurde mit exekutiven Vollmachten ausgestattet, deren Fortschreibung ein diktatorisches Regime befürchten ließ.
118. * Clément Thomas (1809–1871) war 1848 Kommandant der Pariser Nationalgarde.
119. * In der deutschen Fassung fehlt der vorstehende Teil des IV. Kapitels völlig.
120. * Hugos Pamphlet Napoléon-le-petit erschien 1852 in London.
121. * Vorwort vom 23. Juni 1869; in: MEW8, 559
122. * Louis-Auguste Blanqui (1805–1881) war Held und Legende der direkten Aktion: Beinahe ein halbes Jahrhundert lang stand er im Zentrum aller Pariser Verschwörungen und Aufstandsversuche. Er war Rekordhalter in Todesurteilen und Arrest-Aufenthalten und deshalb weithin als „l’enfermé [der Eingesperrte]“ bekannt.
123. * Der Freischarführer Guiseppe Garibaldi (1807–1882) kämpfte ab 1852 für die Einigung Italiens.
124. * Der linke Republikaner François Camille Jules Ferry (1832–1899) war 1870 Mitglied der Regierung Thiers, danach oftmaliger Ministerpräsident.
125. * Albert Victor Duc de Broglie (1821–1901) war Vertreter eines konstitutionellen Liberalismus.
126. * Dante Alighieri (1265–1321), italienischer Nationaldichter.
127. * Der Schausteller Barnum, eigentlich Phineas Taylor (1810–1899), machte das Amerikanische Museum in New York zu einer Weltattraktion.
128. * Brachte nach der griechischen Überlieferung den Menschen das Feuer und wurde aus Rache dafür von Zeus an den Felsen geschmiedet.
129. Die vorstehenden fünf Absätze fehlen in der deutschen Fassung.
130. Mirès [*Jules Isaac (1809–1871)] und die Gebrüder Pereire [Jacob Emile (1800–1875), Isaac (1806–1880)] waren Bankiers, die unter den Auspizien Napoleons III. durch großartige, von ihnen gegründete Schwindelgesellschaften (die Pereire durch die „Crédit mobilier“, Mirès durch die „Caisse des chemins de fer“) sich während des „wirtschaftlichen Aufschwunges“ der fünfziger Jahre durch die tollsten Gründungen bereicherten und den „kleinen Leuten“ das Geld aus den Taschen zogen. – D. Übers.
131. Diese weinerliche Brüderlichkeit des Krokodils denunzierte einen Dichter, der sich niemals dazu herabließ, die Gitarre der sentimentalen Philanthropie zu zupfen, Alfred de Musset (*1810–1857), weil dieser den „Opfern des Juni“ [*1848] 1.300 Francs übersandte, die er als Preis von der Akademie erhalten hatte. Das l’Evénement vom 23. August schrieb darüber: „Es sei uns gestattet, Monsieur de Musset zu bemerken, daß seine Gabe nicht dem Zweck entspricht, den der Graf de Latour-Laundry mit dem von ihm ausgesetzten Preis verfolgte. Dieser sollte einem vom Glück wenig begünstigten Dichter zufallen und nicht einem patriotischen Zweck“. * Alfred de Musset gehörte der von Hugo begründeten Dichtervereinigung „Cénacle [Kreis]“ an.
132. * Geflügeltes Roß, Sinnbild der dichterischen Phantasie.
133. * Jules August Armand Marie Polignac (1780–1840) war ein ultrareaktionärer Politiker, der auch an einem Anschlag gegen Napoleon beteiligt war. 1820 wurde er vom Papst in den Fürstenstand erhoben. 1830 unterzeichnete er die Ordonnanzen, die den Volksaufstand auslösten.
134. * Zweiter Satzteil in der deutschen Fassung fehlend.
135. * Ab diesem Satz fehlt der ganze Absatz in der deutschen Fassung.
136. * Genesis 3, 19
137. * Der Staatsstreich Napoleon Bonapartes gegen das Direktorium am 9. November 1799 führte zu einer Konsularverfassung.
138. * Sitz des Parlaments.
139. * Satzteil in der deutschen Fassung fehlend.
140. Victor Hugo raconté, II (*Seitenangabe fehlend)
141. * Der Historiker François Guizot (1787–1874) war ein führender Vertreter der Theorie vom „juste milieu [goldener Mitte]“. Als Politiker brachte er es unter Louis Philippe zum Innen- (1830), Erziehungs- (1832–1837), Außenminister (1840–1848) und schließlich zum Ministerpräsidenten (1847–1848).
142. * Über Alphonse Lamartine (1790–1869) siehe die Studie Die Anfänge der Romantik.
143. * Eugène Sue (1804–1857), 1848 ein Anhänger der radikalen Republikaner, schuf den ersten Zeitungs-Fortsetzungsroman (Geheimnisse von Paris).
144. * Théodore de Banville (1823–1891), Mitglied des Dichterkreises „Parnassiens“, bekannt für seine virtuose Handhabung vom Metrum und Reim.
145. * Im Zuge der Volksfrontpolitik wurde von den Kommunisten eine völlige Neubewertung des Gesamtwerkes Victor Hugos, insbesondere aber von Die Elenden vorgenommen. „[...] die Weltfriedensbewegung bekennt sich zum Erben des großen Dichter und Humanisten“, schrieb etwa Hans Mayer in einem 1958 in Berlin (Ost) veröffentlichten Vorwort zu Die Elenden und erklärte weiters: „Der Dichter hat im Laufe seine Lebens mehrfach geirrt, aber er war stets ehrlich genug gewesen, seine Fehler einzusehen“ (598, 609).
146. * Der Hugo als Vorbild für seine Romanfigur dienende Massenmörder Pierre François Lacenaire (1800–1836) wurde nach seiner Hinrichtung von den Romantikern gefeiert. Seine posthum veröffentlichten Mémoires et révélations [Erinnerungen und Enthüllungen]“ entwickelten sich dadurch zum Verkaufsschlager.
147. „Tiefer noch als Marat, tiefer als Babeuf liegt die unterste Höhle, aus der Lacenaire hervorsteigt“ (Les Miserables, VI., 61-62). – * François Noel Gracchus Babeuf (1764–1797) gehörte während der französischen Revolution dem linken Flügel der radikal-demokratischen Bewegung an. Unter dem Direktorium organisierte er die „Verschwörung der Gleichen“, einen Versuch, die kommunistische Gesellschaft durch einen von Verschwörern organisierten Aufstand aufzubauen.
148. Hugo richtete am 26. Mai 1871 einen Aufsehen erregenden Brief an den Redakteur der Independance belge, in dem er den flüchtigen Communarden seine Gastfreundschaft antrug. – D. Übers.
149. * Œuvres, B/8, Paris 1914 (Original 1872).
150. * Camille Pelletan (1846–1915), Politiker der Radikal-Sozialisten.
151. * Im Original „pessards“. Hector Pessard war ein übel beleumundeter Redakteur der Zeitschrift Le National.
152. * Neben Thiers war Jules Favre (1809–1890) einer der Führer der republikanischen Opposition gegen Napoleon III. In der dritten Republik avancierte er 1870 zum Außenminister.
153. * Amadeus, Herzog von Aosta (1845–1890), 1870–1873 italienischer König. Er konnte sich gegen die Karlisten und Republikaner nicht durchsetzen und dankte ab.
154. „Die ‚Brigantin der Vendée‘ war eine entschiedene Anhängerin Voltaires. In Madrid sandte sie ihre Kinder in die Adelsschule, weigerte sich aber hartnäckig, trotz der dringendsten Vorstellungen der Priester, ihre Kinder bei der Messe ministrieren zu lassen, wie die anderen Schüler, und verbot sogar, daß man sie zur Beichte oder Kommunion führe.“ (Hugo raconté, I, 194)
155. In einem Brief in Versen aus dem Jahr 1818, der aber erst 1863 veröffentlicht wurde, sagt Hugo von sich selbst: „[...] Ich bin nun 16 Jahre alt [...] ich lese den Geist der Gesetze und bewundere Voltaire.“ (Hugo raconté, I, 308).
156. „Der Dichter selbst ist ein Dreifuß; er ist ein Dreifuß Gottes“ (Victor Hugo: William Shakespeare, 53). (Die delphische Pythia orakelte von einem Dreifuß herab. – D. Übers.). *Œuvres, G/2, Paris 1937.
157. „Nichts vereinigt und vermischt sich leichter, als ein alter Priester und ein alter Soldat. Im Grunde sind beide dasselbe. Der eine hat sich dem Vaterland hier unten, der andere dem Vaterland dort oben geweiht; das ist der ganze Unterschied“ (Victor Hugo: Les Misérables).
„Es gibt vielfach kein erhabeneres Werk als das, dem diese Seelen (die Nonnen) sich weihen. Und wir dürfen hinzufügen, es gibt keine nützlichere Arbeit. Diejenigen, die beten, sind höchst notwendig für jene, die niemals beten“ (Victor Hugo: Les Misérables). – * Die letzten beiden Sätze fehlen teilweise in der deutschen Fassung, teilweise wird in der Kautskyschen Übersetzung die antireligiöse Schärfe genommen.
158. * Georges Baron de Cuvier (1769–1832) war Begründer der wissenschaftlichen Paläontologie und vergleichenden Anatomie. Im Gegensatz zum Zoologen Etienne Geoffroy de Saint Hilaire (1722–1844), der – ähnlich wie später Lamarck – einen einzigen Bauplan für die Artenbildung annahm, verfocht Cuvier eine Katastrophentheorie, die von der Annahme ausging, alles Leben würde in periodischen Abständen vernichtet.
159. * Siehe Principes de Philosophie Zoologique – Discutés en Mars 1830 au sein de l’académie royale de sciences par Mr. Geoffroy de Saint Hilaire, Paris 1830; in: Goethes Naturwissenschaftliche Schriften, hrsgg. von Julius Schuster (Werke 15/3), Wien o.J., 262ff.
160. * Charles Robert Darwin (1809–1882) begründete die moderne Evolutionstheorie.
161. * Jean Baptiste Antoine Pierre de Monet Chevalier de Lamarck (1744–1829) stellte in seiner Philosophie zoologique (1809) die Unveränderlichkeit der Arten in Frage.
Zuletzt aktualisiert am 2.2.2004