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Der Jesuitenstaat in Paraguay |
II. Die wilden Völkerschaften Paraguays und die Eroberung des Landes durch die Spanier |
Paraguay war 1536, zur Zeit seiner Eroberung durch Alvaro Nuñez [16], von mehreren wilden Völkerschaften bewohnt, die sich hauptsächlich durch die Sprache unterschieden. Das Volk der Guaranís, das bei weitem zahlreichste von allen, bewohnte einen sehr ausgedehnten Landstrich, der sich von Guayana im Norden bis zur Mündung des Rio de la Plata im Süden erstreckte, im Osten vom Atlantischen Ozean, von den Anden im Westen begrenzt wurde. Die Guaranís bevölkerten Brasilien, und mehrere andere Völker wohnten in ihrer Mitte. Azara bemerkte, „daß man ganz Brasilien bereisen, nach Paraguay kommen, bis nach Buenos Aires gehen und nach Peru hinaufsteigen könne, ohne daß man die Sprache zu wechseln brauche“.
Die guaranísche Nation bestand aus einer unendlichen Anzahl einzelner Clans, die über diesen weiten Landstrich verstreut leben. Viele Clans wohnten in Dörfern, die am Rande der Wälder und längs der Flüsse gelegen waren. Ihre Angehörigen bestritten ihren Lebensunterhalt durch Jagd und Fischfang, durch das Einsammeln des massenhaft vorhandenen Honigs der wilden Bienen und durch einen Ackerbau, der noch in seinen ersten Anfängen steckte. Sie pflanzten Maniok [17], sie bauten Mais und ernteten nach Charlevoix zwei Mal im Jahr. Sie züchteten Hühner, Gänse, Enten, Papageien, Schweine und Hunde. Sie bedienten sich als Waffen der dreikantigen Keule, Makana genannt, des Bogens, der wegen seiner Länge von sechs Fuß und der geringen Biegsamkeit des Holzes, aus dem er bestand, gespannt werden mußte, indem man das eine seiner Enden in den Boden steckte; mit großer Kraft schleuderten sie vier Fuß lange Wurfspieße und Tonkugeln (Bodoguen) von der Größe einer Nuß, welche hart gebrannt wurden und in einem Netz lagen. Auf eine Entfernung von 30 Metern zerschmetterten sie mir ihren Kugeln ein Männerbein, sie töten mit ihnen die Vögel im Fluge. Azara, der von 1781 bis 1801 in den Urwäldern Brasiliens und Paraguays lebte, kam in Berührung mit verkommenen Stämmen von Wilden, die von den Portugiesen und Spaniern verfolgt und gehetzt wurden. Er hat eine sehr geringschätzige Meinung von den Guranís, die in Freiheit in den Wäldern leben, und versichert, sie ständen in geistiger Beziehung so tief, daß sie nicht über vier hinaus zählten könnten. Charlevoix behauptet hingegen, daß sie bis zu zwanzig zählten, was darüber war, bezeichneten sie als „viel“. [18] Azara empfand die guaranísche Sprache als wortarm, guttural und mißtönend. Montoya, einer der ersten Missionare in Paraguay, der diese Sprache vollkommen beherrschte, meinte im Gegenteil, „daß sie sich mit den reichsten europäischen Sprachen messen könne an Harmonie der schönen und wohlklingenden Worte und der großen Präzision der Ausdrücke: Jede Bezeichnung war eine Definition und ergab ein Bild“. Die Guaranís hatten eine leidenschaftliche Vorliebe für die Redekunst. Der sprachgewaltigste unter den Kriegern konnte immer sicher sein, daß seine Meinung triumphieren würde.
Azaras schildert die Guaranís, die er kennenlernte, als furchtsam. Sogar, wenn zehn von Ihnen beieinander waren, wagten sie nicht, einem einzelnen Mann eines anderen Stammes gegenüberzutreten. Demersay [19] bestätigt diese Ansicht, denn er versichert, daß sie, um den Verfolgungen der M’hayas zu entgehen, vor denen sie entsetzliche Furcht empfanden, weder Hunde noch Hühner züchteten, damit ihr Bellen beziehungsweise Gackern ihre Zufluchtsorte nicht verrate. Die Missionare des 18. Jahrhundert rühmten hingegen den Mut der Guaranís, den sie sehr geschickt auszunutzen verstanden. Wären sie vor der Eroberung des Landes durch die Spanier und Portugiesen tatsächlich so hasenherzig gewesen, wie Azara und Demersay schildern, so hätten sie sich niemals über ein so ausgedehntes Gebiet verbreiten und gegen die anderen Stämme behaupten können, die neben ihnen und in ihrer Mitte wohnten, und deren Kühnheit von keinem Reisenden bestritten wird. Die moralische Entartung, welche die zivilisierten oder wieder in Wildheit versunkenen Guaranís charakterisiert, gereicht dem zivilisatorischen Wirken der spanischen und portugiesischen Eroberer keinesfalls zum Ruhme.
Es steht fest, daß zu der Zeit, als Paraguay erobert wurde, die Guaranís das höchstentwickelte Volk der Gegend waren. Mehrere ihrer Stämme waren seßhaft und trieben einen primitiven Ackerbau. Diese Höhe der sozialen Entwicklung ermöglichte es, sie zur Arbeit anzuhalten und zu versklaven. Deshalb konnten die Portugiesen ihre guaraníschen Gefangenen zu Sklaven machen. Die M’hayas ließen sich hingegen lieber ausrotten, als daß sie sich unter das Joch der Zwangsarbeit gebeugt hätten. Binnen weniger Jahre gelang es den Portugiesen, alle Brasilien bewohnen Guaranís der Zwangsarbeit zu unterwerfen. Die Spanier sammelten in ebenso kurzer Zeit die Guaranís von Paraguay in vierzig „pueblos [bewohnten Orten]“ und zwangen sie, häusliche und landwirtschaftliche Arbeiten zu verrichten, „während“, wie Azara berichtet, „niemand die übrigen Indianer unterwerfen und in Niederlassungen sammeln konnte“. Sogar die Wilden hatten die Befähigung der Guaranís zur Arbeit ausgenutzt. Die M’hayas, die sich für „die tapferste Nation der Welt hielten und auch für die edelste, großmütigste und treueste, wenn es sich darum handelte, ein gegebenes Wort zu halten“, und die die Europäer gründlich verachteten, ließen ihre Ländereien durch die Guaranís bestellen. „Allerdings war diese Sklaverei nicht hart“, bemerkt Azara, „der Guaraní unterwirft sich ihr freiwillig und nimmt seine Freiheit zurück, wenn es ihm paßt. Die M’hayas erteilen ihren Dienern nie Befehle: Sie bedienen sich ihnen gegenüber nie eines schreienden oder befehlenden Tones [...], sie verlassen sich auf ihren guten Willen, begnügen sich mit dem, was sie aus eigenem Antrieb tun wollen, und teilen mit ihnen alles, was sie besitzen. [...] Ich habe gesehen, wie ein vor Kälte zitternde M’haya seinem guaraníschen Sklaven die Decke überließ, die dieser ihm genommen hatte, ja er ließ sich nicht einmal anmerken, daß er gern selbst die Decke gehabt hätte. [...] Kein Kriegsgefangener will die M’hayas verlassen, obwohl sie zu Sklaven gemacht werden, nicht einmal die gefangenen spanischen Frauen, obwohl viele von ihnen zur Zeit der Entführung bereits erwachsen waren und Kinder hatten“.
Das so sanfte und lenkbare Volk sollte in den christlichen „Missionen“ eine weit härtere Sklaverei kennenlernen. Jedoch war die Behandlung, die die Guaranís durch die Spanier und die Jesuiten in Paraguay erfuhren, noch milde im Vergleich mit der Vorgangsweise der Portugiesen in Brasilien.
Die christlichen Zivilisatoren hatten ihr zartes Gewissen durch die Erklärung beruhigt, daß die Indianer „gentes sîn razon [Menschen ohne Vernunft]“ seien und Zwischenglieder zwischen Mensch und Tier bildeten. Der Bischof von Santa Marta, Franzisco Ortiz, meinte in einer Denkschrift an den Hof von Madrid, „daß er aufgrund seiner Erfahrung, die er aus einem langjährigen Umgang mit den Rothäuten geschöpft habe, diese als dumme Geschöpfe betrachte, die unfähig seien, die christliche Religion zu begreifen und ihre Vorschriften zu befolgen“. Dank der Energie und Hingabe von Las Casas [20] erkannte Papst Paul III. [21] in seiner Bulle vom Jahr 1537 die Indianer als Menschen an. [22] Trotzdem trat 1583 in Lima ein Konzil zusammen, um die Frage des Menschentums der Rothäute nochmals zu erörtern. [23] Die Ansichten darüber waren geteilt, doch wollte die Majorität gütigst gelten lassen, daß die Indianer genug Vernunft besäßen, um an den Sakramenten der Kirche teilnehmen zu können. Da aber zur Zeit des Todes Christi der Herrgott noch keine Ahnung von der Existenz Amerikas hatte, das ja Columbus erst 15 Jahrhunderte später entdecken sollte, so hat er auch keine Apostel dorthin senden können, um die Völkerschaften des neuen Weltteils zum Christentum zu bekehren. Der Kasus war schwierig. Man zog sich durch die Annahme aus der Verlegenheit, daß der heilige Thomas [24] von Indien aus nach Amerika gelangt sei, wo man zahlreiche Spuren seines apostolischen Wirkens entdeckt haben wollte. Nachdem die Kirche das entscheidende Wort gesprochen hatte, bemühte sich der spanische Hof in sehr lobenswerter Weise, zu verhindern, daß die Indianer als Lasttiere behandelt und ausgerottet würden, wie dies das Los der Eingeborenen von Peru gewesen war. Die katholische Kirche trägt zum Teil mit die Verantwortlichkeit für die unmenschliche Grausamkeit der „conquistadores [spanische Eroberer von Amerika]“; sie gab ihr einen Schein von Berechtigung, indem sie lange zögerte, die Rothäute als Menschen anzuerkennen.
Die Eroberer von Paraguay und den Ländereien am Rio de la Plata metzelten die Wilden nicht nieder, sondern unterwarfen sie einer milden Sklaverei. Sie bestimmten, daß jeder Indianerstamm, der ein spanisches Lager angreifen oder ihm irgendwelchen Schaden zufügen würde, zur Knechtschaft verurteilt sei. Alle seine Angehörigen müßten zeitlebens den Siegern dienen und eine „comendaria de yanaconas“ bilden, das heißt sie wurden eine Art von Sklaven, die, an einen bestimmten Ort gefesselt, zu persönlichen Dienstleistungen verpflichtet waren. Aber die „comendarias“ der Spanier [25] unterschieden sich wesentlich von denen der Portugiesen, denn bei den Spaniern war es verboten, die Indianer zu verkaufen, zu mißhandeln, ja sogar sie wegen ihrer Führung, wegen Krankheit oder Alter fortzuschicken. Der Herr der „yanacona“ war verpflichtet, seine Sklaven zu kleiden, zu ernähren, zu pflegen, sie in der christlichen Religion zu unterweisen und ihnen ein Handwerk zu lehren. Man sieht daraus, daß die spanische Regierung die Absicht hatte, die Indianer zu zivilisieren und gleichzeitig dem Zivilsator einen Vorteil zu verschaffen. Alle Jahre besuchten Inspektoren die „comendarias“, ließen sich die Klagen der Indianer vortragen und untersuchten, ob die königlichen Vorschriften und Erlässe (* „cédulas“) befolgt würden. [26].
Wenn die Wilden nicht freiwillig einen festen Wohnsitz wählten und die spanische Oberhoheit anerkannten, so zwang man sie, wenn dies möglich war, einen Ort innerhalb ihres eigenen Gebietes zu wählen und dort ein „pueblo [bewohnter Ort]“, das nach europäischem Muster organisiert wurde. [27] Der Kazike [28], der Kriegshäuptling des Clans, wurde zum „corregidor“ oder obersten Beamten; der „alcalde [Bürgermeister, Ortsvorsteher]“ und die übrigen Mitglieder des „cabildo [Gemeinderates]“ wurden durch Wahl zu ihrem Amt bestimmt. Die in „pueblos“ lebenden Indianer wurden „mitayos“ [29] genannt, die nur zwei Monate jährlich den Spaniern dienen mußten, die übrige Zeit waren sie frei und jeder Arbeit für ihre Herren enthoben. Frauen, junge Leute unter 18 Jahre und mehr als 50-jährige Personen, ebenso wie der Kazike, sein ältester Sohn und die Mitglieder des „cabildo“ waren zu keinerlei Dienstleistungen verpflichtet. Die „comendarias de yanaconas“ und „mitayos [* Fronarbeiter]“ wurden an Spanier vergeben, die man für ihre der Krone oder der Kolonie geleisteten Dienste belohnen wollte. Sie gleichen den „Benefizen [Lehen]“, die die feudalen Heerführer und Fürsten ihren Getreuen zuteilten.
Don Martínez de Irala [30], der in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhundert Statthalter (* „gobernador“) von Paraguay war, wollte das besondere Wohlgefallen der spanischen Krone gewinnen, deren Wünsche dahin gingen, daß die Zivilisation der Wilden, das heißt ihre Ansiedlung in „pueblos“, deren Verhältnisse nach europäischem Vorbild geordnet wurden, beschleunigt werden sollte. Er hat deshalb den sinnreichen Einfall, jedem einzelnen das Recht zuzugestehen, auf eigene Kosten neue „pueblos“ zu gründen oder den bereits bestehenden bis dahin noch frei gebliebene Indianer eingliedern zu dürfen. Die Dienste der Eingeborenen, die jemand derart auf eigene Rechnung und Gefahr ansiedelt, sollten ihm auf Lebenszeit gehören, aber mit seinem Tod erlangten die Einwohner der Niederlassung ihre Freiheit zurück und hatten nur an den Staatsschatz eine Abgabe zu entrichten. Die Spanier veranstalteten nun wahre Jagden auf Wilde, wie die Portugiesen und die „mamulucos“ von São Paulo, ein Sammelsurium von europäischen Banditen aller Nationen und Mestizen, die auf einem Felsen ein unzugängliches Räubernest erbaut und befestigt hatten, von dem aus sie in die Gegend einfielen, die Indianer raubten, Männer und Kinder verkauften und einen Teil der Frauen als Konkubinen zurückhielten. [31] Die gehetzten und mißhandelten Wilden flohen in die Wälder, um sich der Macht der grausamen Zivilisatoren zu entziehen, und diese konnten, trotz der eifrigsten Bemühungen, in Paraguay nur 40 „comendarias“ gründen, deren Bestand nur durch eine Schreckensherrschaft ohnegleichen erhalten wurde und in denen häufig Aufstände ausbrachen. Die Wilden nutzten jede Gelegenheit, um zurück in die Wälder zu fliehen, wo sie ihre wiedergewonnene Freiheit energisch verteidigten.
Die Jesuiten kamen gegen Ende des 16. Jahrhunderts nach Paraguay, gerade zu einer Zeit, als die Menschenjagd in voller Blüte stand. Sie wurden die Verteidiger und Beschützer der Indianer. Offen und rücksichtslos kritisierten sie die Handlungsweise der Spanier, klagten sie an, die Befehle der Krone zu mißachten und die Indianer in den „comendarias“ als ihre Sklaven zu betrachten, die sie ihrer Freiheit beraubten, mit Arbeit überhäuften, zugrunde richteten und mißhandelten. Sie trugen ihre Anklagen sogar dem König von Spanien selbst vor, dem ein Jesuit als Beichtvater zur Seiten stand. Sie schilderten ihm die barbarischen Akte, die gegen die Wilden verübt wurden, denen jede religiöse Belehrung vorenthalten blieb; die schamlosen Sitten der Europäer, die Härte und Grausamkeit ihrer Herrschaft, die die Rothäute zugrunde richtete oder zur Revolte und Flucht trieb. Sie erklärten, daß die verübten Brutalitäten die Bekehrung der Indianer verhinderten, daß für diese schon das bloße Wort Spanier ein Greuel sei, und daß sie sich lieber selbst umbrächten, bevor sie sich unter der Herrschaft der Kolonialregierung in „pueblos“ ansiedelten. Die Jesuiten boten an, die Wilden durch Sanftmut und Überredung zu bekehren und in Dörfern seßhaft zu machen.
Die Jesuiten zogen sich durch ihr mutiges Eingreifen zugunsten der Eingeborenen den Haß und die Feindschaft aller europäischer Ansiedler zu. Diese untersagten ihnen, ihre Dörfer zu betreten, und verweigerten ihnen alle Nahrungsmittel, selbst in der größten Bedrängnis. Die Missionare der Gesellschaft Jesu, die die guaranísche Sprache erlernten – was vor ihnen noch kein katholischer Geistlicher getan hatte – begaben sich in die Wälder und lebten inmitten der Indianer, die erfahren hatten, mit welchem Wohlwollen die Patres sich ihrer annahmen. Als Freunde wurden sie von den Wilden empfangen, die ansonsten vor den Europäern flohen und jeden aus ihrem eigenen Stamm töteten, der ihnen als Dolmetscher diente. Die beiden ersten Missionare, Mazeta und Cataldino [32], lebten in den Wäldern unter den Guaranís und rieten ihnen, sich zusammenzuschließen, um zu einer Macht zu werden, die fähig ist, ihren Verfolgern Widerstand zu leisten und ihre Freiheit zu verteidigen. Die beiden Männer boten alles auf, um das Vertrauen und die Sympathie der Rothäute zu gewinnen. Da sie deren leidenschaftliche Liebe für Musik kannten [33], fuhren sie unter Gesängen durch die Ströme, die Indianer begleiteten ihre Prioge [34] am Ufer oder schwammen hinterher. Hatten sie auf diese Weise eine größere Anzahl von Eingeborenen versammelt, legten die Missionare ihr Schiff an und erklärten die Wahrheiten der christlichen Religion – so melden wenigstens die „erbaulichen Briefe“. Wahrscheinlich ist es jedoch, daß sie zu den Guaranís von der schlechten Behandlung sprachen, der sie ausgeliefert waren; vom Glück, daß sie unter ihrer väterlichen Leitung genießen würden, und daß sie die Wunder rühmten, die sie selbst vollbringen konnten. „Der Glaube“, sagt Charlevoix [35], „erneuerte in diesen barbarischen Gegenden die Wunder, die die Fabeln von Amphion [36] und Orpheus [37] berichten“.
Die Missionare bemühten sich die Kaziken und Häuptlinge der Stämme durch Geschenke und Versprechungen zu gewinnen [38] und sie dadurch in ihren Bann zu ziehen, daß sie ihnen eine heilsame Flucht vor ihrer geheimnisvollen Macht einflößten. Charlevoix erzählt mit ganz außergewöhnlicher Naivität, daß ein Kazike, der die Taufe empfangen hatte, aber sich weigerte, den Vorstellungen und Ermahnungen der beiden Jesuitenpatres Gehorsam zu leiten, und seine Nebenfrauen wieder zu sich nahm, eine exemplarische Strafe erhielt. „Er verbrannte lebendig in seiner Hütte und lehrte dadurch die neuen Christen, daß es im Himmel einen starken, eifrigen Gott gibt und daß man nicht ungestraft die Mahnungen verachtet, die uns seine Diener in seinem Namen erteilten“. Wahrscheinlich war der hier wiedergegebene Satz von den Jesuiten Mazeta und Cataldino anläßlich dieses Ereignisses gesprochen und ausgelegt worden. Um die Indianer einzuschüchtern, hatten sie ohne Zweifel den unglücklichen Kaziken berauscht und ermordet, um ihn dann zu größeren Ehre Gottes zu schmoren. Es ist doch ziemlich unwahrscheinlich, daß ein kräftiger, gewandter Wilder nicht aus einer kleinen brennenden Hütte hätte entkommen können. Der Dechant der Kathedrale von Córdoba konnte mit Recht sagen, daß die Jesuiten im Sinne und Geist der Lehren des Neuen Testaments wirkten. In den Wäldern der Neuen Welt veranstalteten sie eine Neuauflage des Wunders, durch welches der heilige Petrus Hananias und seine Frau Saphira,bestrafte, die, weil „sie den heiligen Geist belogen und von dem Erlös des Grundstückes“ [39] etwas für sich behielten, vom Zorn Gottes getötet, das heißt umgebracht wurden. „Da kam große Furcht über die Gemeinde und alle, die davon hörten“ [40], fügt, wie Charlevoix, der Verfasser der Apostelgeschichte hinzu.
Die Gesellschaft Jesu triumphierte über alle Widerstände, den ihr die Spanier in den Kolonien entgegensetzten. Françisco Alfaro, Statthalter von Paraguay, proklamierte im Jahr 1611 einen Erlaß, der strikt verbot, Indianer zu jagen, um sie in „pueblos“ anzusiedeln, und erklärte, daß in Zukunft keine „comendarias“ mehr verliehen werden würden. [41] Aber schon zwei Jahre vorher waren die Jesuiten die Herren der Situation geworden und hatten den Grundstein zu ihrem Reich gelegt, indem sie an die Stelle der weltlichen Häupter und Beamten in einer großen Anzahl von „comendarias“ getreten waren, an deren Umgestaltung sie sich nun machten.
16. * Alvaro Nuñez de Vera Cabeza de Vaca war der erste vom spanischen König ernannte Statthalter.
17. * Die Knollen des in den Tropen kultivierten Maniok-Strauches sind den Kartoffeln ähnlich. Im deutschen Text folgt der Nebensatz „aus dem sie Kassawa bereiteten“, der keinen Sinn macht, da „Kassawa“ das indianisch-spanische Wort für „Maniok“ ist.
18. Die Guaranís zählten, wie alle Naturvölker, an Fingern und Zehen; „petei“ bezeichnete einen Finger, „mokoi“ zwei, „m’bohapi“ drei, „yrundi“ vier, „peteipo“ fünf oder eine Hand; „mokoipo“ zehn oder zwei Hände. * Charlevoix (siehe Anm.10), 220.
19. Alfred Demersay: Histoire (* physique, économique et politique) du Paraguay, Paris 1860. * Demersay war Mitglied einer wissenschaftlichen Mission in Südamerika.
20. * Bartholomé de las Casas (1474-1566), Bischof von Chiapas in Kolumbien, gilt als „Apostel der Indianer“. Vgl. Bartholomé de las Casas: Brevissima relacion de la destruyción de las Indias, Linz 1993 (Reprint).
21. * Der von 1534-1549 amtierende Renaissancepapst Paul III. bemühte sich um eine Kirchenreform.
22. * In der Bulle Veritas ipsa wandte er sich scharf gegen die Ansicht der Conquistadoren, daß die „Indianer keine wahrhafften Menschen, vielmehr verstandlose Tiere seyen, weder mit vernünftigen Seelen begabt, noch um des ewigen Lebens willen geschaffen“ (zit. nach Joseph Stöcklein[Hrsg.]: Der Neue Welt-Bott – Mit allerhand Nachrichten deren Missionaiorum Soc. Jesu, Augsburg und Graz 1726-1736, 14, 89).
23. * Das dritte Konzil von Lima 1583 nannte sie „personæ miserabilis“, Kinder, Barbaren, der Vernunft nicht zugänglich, weshalb sie auch keine geistigen (z.B. Exkommunikation, sondern nur körperliche Strafen erhalten sollten („Prudenter novis orbis Antistenes [...] stuerunt in has [...] minime perspicaces Indorum gentes, ab excommunicatione ceterisque censuris esse abstinendum“ [Session 2a, Kapitel 19, zit. nach Pablo Hernández: Organización Social de las Doctrinas Guaranies de la Compañia de Jesús, Barcelona 1913 – Dokumentenhang, 1, 62]).
24. * Nach frühchristlichen Quellen war der Apostel Thomas bei seinen Missionsreisen bis Persien und Indien gelangt.
25. * Vgl. Charlevoix (siehe Anm.10), 198ff.
26. * Zum Schutz der Eingeborenen wurden von den spanischen Königen, die von Papst Alexander VI. in der Bulle „Inter cetera divinæ majestatis“ vom 4. Mai 1493 zum „Vicarius Christi“ für die neuentdeckten Länder ernannt worden waren, außerdem ein „Protector de Indios“ und ein „Visitator“ ernannt.
27. * Nach dem Muster der spanischen Stadtverfassungen räumten die „Leyes de Indias [Indianer-Gesetze]“ den „pueblos“ erhebliche Maß an Selbstverwaltung ein.
28. * Kazike hießen die Häuptlinge auf den Antillen. Der Name wurde von den Spaniern fälschlicherweise auch für die Stammesoberen – tubichá – der Guaraní verwendet.
29. * Im deutschen Text findet sich hier ein offenbar vom Übersetzer eingefügter Hinweis, daß es sich dabei um das spanischen Ausdruck für das französische „metayer [Halbpächter]“ handelt. Mit „mita“ bezeichneten die Spanier jedoch zunächst die Arbeitsdienstverpflichtung unter den Inkas, später den Frondienst bei den Kolonisatoren.
30. * Don Martinez de Irala (1506-1577) unternahm 1536 die erste Expedition in das Gebiet des Rio Paraná; später putschte er gegen den vom spanischen König eingesetzten Statthalter Alvaro Nuñez de Vera Cabeza de Vaca.
31. * Die Spanier bezeichneten die aus Tupi-Inidianer und Mestizen bestehenden Hilfstruppen der Portugiesen als „mamlucos [Mamelucken]“ und verglichen sie damit mit den für ihre Grausamkeit berüchtigten Leibwächtern orientalischer Herrscher, die oft aus gefangenen Europäern bestanden. Auf ihren „bandeiras“ genannten Kriegszügen fielen die „mamelucos“ 1618 auch in die Missionsgebiete der Jesuiten ein, um sich aus ihren am oberen Paraná gelegenen Reduktionen mit Indianer zu versorgen. Die Jesuiten sahen sich schließlich gezwungen, Guairá zu räumen und errichteten im Gebiet der heutigen argentinischen Provinz Misiones neue Siedlungen.
32. * Im September 1610 hatten Cataldino und Maceta die Reduktionen Loreto am Paranapane und San Ignacio-Mini am Pirapo gegründet.
33. * Vgl. Welt-Bott (siehe Anm.22), 3, 30.
34. * Ein Baum mit Plankenaufsatz.
35. * Charlevoix (siehe Anm.10), 288.
36. * Die Zwillingsbrüder Amphion und Zetos, Kinder des Zeus und der Antiope, regierten in Theben. Amphion transportierte mit der Musik seiner Leier die Steine der neu errichteten Stadtmauer.
37. * Orpheus bezauberte durch seine Gesänge selbst Tiere, Bäume und Steine.
38. * „In Wahrheit kann gesprochen werden: Zeige diesen Heiden ein Messer, ein Spiegel, ein gläsernes Küglein, eine Nadel, einen Angel oder einen andern Kindertand, so kannst Du dieselben wie eine Schar Geißen mit Salzschnitten führen, wohin es Dir belieben wird“ (Welt-Bott [siehe Anm.22], 14, 71).
39. * Apostelgeschichte 5, 3.
40. * Apostelgeschichte 5, 11.
41. * In Durchführung einer königlichen Cédula Real vom 21. November 1601 (Indianer sollten zukünftig „[...] los indios vivau [...] sin notas de esclavitud ni de otra sujeción más de la que como naturales vasallos deben [...] [ohne eine Spur von Sklaverei und andere Unterwerfung leben, die über die von natürlichen Vasallen geschuldete hinausgehe]“) erließ Alfaro 84 bis ins Detail gehende Bestimmungen über die Behandlung von Eingeborenen. Diese „Ordenanzas de Alfaro“ wurden in zuungusten der Indianer veränderter Form 1618 in die „Leyes de Indias“ aufgenommen (zit. nach Hernández [siehe Anm.23] , 2, 97/2 Anhang 56/ 2, Anhang 57).
Zuletzt aktualisiert am 25.6.2004.