Geschrieben: Workers International News, August 1943, übersetzt nach dem Nachdruck in Bulletin of Marxist Studies, Frühjahr 1986, S. 13-16
HTML: Maarten Vanheuverswyn
Die Entlassung Mussolinis zeigt eine neue Epoche in der Entwicklung der Revolution und dem Niedergang des Zerfall des Imperialismus auf dem europäischen Kontinent an. Um die Strömungen und Entwicklungen auf der italienischen Halbinsel zu bewerten, ist es notwendig, die Ursachen zu verstehen, die Italien dazu führten, als erstes unter allen Völkern in Europa den Weg der faschistischen Barbarei zu gehen und sich jetzt als erstes Land im Krieg der Revolution zuzuwenden.
Italien war immer eines der rückständigsten Länder unter den Großmächten. Die Bauernschaft wurde wie in Russland mit den Abgaben für die Großgrundbesitzer belastet. Das verarmte Proletariat baute sogar vor dem letzten Krieg eine mächtige sozialistische Bewegung als Mittel für den Kampf gegen die Bourgeoisie auf. Italiens Beteiligung im letzten Krieg war wesentlich die einer zweitrangigen Macht, und obwohl es dem Namen nach auf der Seite der Sieger war, waren die Gewinne im letzten Krieg vernachlässigbar. Die geschwächte italienische Bourgeoisie stand vor dem Ruin der italienischen Wirtschaft und versuchte die Lasten des ‘Wiederaufbaus’ den italienischen Massen aufzuladen, wie sie es schon mit denen des Krieges gemacht hatte.
Als Antwort auf diese Offensive der Bourgeoisie starteten die italienischen ArbeiterInnen und BäuerInnen die Gegenoffensive mit brillantem Erfolg. Die Jahre 1918-20 stellten die Periode der ‘Anarchie’ für den italienischen Kapitalismus dar. Die Arbeiterklasse und in ihrem Gefolge die Bauernschaft erzwang gewaltige Zugeständnisse von der herrschenden Klasse. Im September 1920 hatten die italienischen ArbeiterInnen die Fabriken und Industrien besetzt und die BäuerInnen hatten das Land besetzt. Die wirkliche Macht lag nicht mehr in den Händen der Kapitalisten, die vor Furcht gelähmt waren, sondern in den Händen der Arbeiterklasse, notwendig war eine bolschewistische Partei, um die Schlussfolgerungen daraus für die Massen zu ziehen und die ArbeiterInnen zum Machteroberung zu leiten.
Die reformistische Führung der Arbeiterklasse war unfähig, die Lehren zu ziehen. Blind und ohnmächtig verrieten sie die Bewegung und leiteten sie in die Kanäle der ‘Verfassungsmäßigkeit’ zurück. So bereiteten sie den Weg für die Zerstörung der Arbeiterbewegung
Die Bourgeoisie, die wegen der Arbeiterbewegung Todesängste ausgestanden hatte, gab ihr vorübergehen ein paar Zugeständnisse. Aber die Wirtschaftskrise ging weiter. Die italienische Bourgeoisie konnte ohne Reserven, ohne rieche Kolonien und mit einer schwachen wirtschaftlichen Basis nicht hoffen, mit den mächtigeren Bourgeoisien der Entente auf dem Weltmarkt zu konkurrieren. Folglich waren sie gezwungen, die Ausbeutung der italienischen bei strafe von Zusammenbruch und Vernichtung zu intensivieren.
Die heldenhaften Versuche des Proletariats, auf dem Weg der sozialistischen Revolution einen Ausweg zu finden, wurden von der Sabotage der reformistischen Führung blockiert. Die Bourgeoisie suchte nach einer Lösung für die unerträgliche Krise, in der ‘Recht und Ordnung’ errichtet werden konnten. Die Wirtschaftskrise wurde durch den Nachkriegszusammenbruch weiter verstärkt. Die Mittelschicht wurde völlig ruiniert und der Verzweiflung überlassen. Große Teile waren der Führung der ArbeiterInnen bei der Unterstützung der Sozialistischen Partei in der revolutionären Nachkriegswelle gefolgt. Der Kern des Kleinbürgertums hätte durch eine kühne Politik von Seiten des Proletariats gewonnen werden können.
Aber in blanker Verzweiflung begann das Kleinbürgertum nach einer anderen Lösung zu suchen. So kam die faschistische Bewegung als Ausdruck der Verzweiflung der Mittelschicht auf. Die Großindustriellen finanzierten Mussolini freigebig. Der Faschismus begann, seine Banden von durchgedrehten Kleinbürgern und Lumpenproletariern zu organisieren, um die Führer und die Organisationen des Proletariats physisch zu vernichten. Diese Banden von Halsaufschlitzern zogen durch Italien und griffen die Genossenschaften, Gewerkschaften, sozialistisch regierte Gemeinden etc. unter dem Schutz der bürgerlichen Polizei an. 1922 wurde Mussolini von den Grundeigentümern, Industriellen, Kirche und Monarchie an die Macht gestellt, als einziges Mittel, um ihre Interessen zu bewahren.
In den ersten paar Jahren seiner Herrschaft versuchte er, seine unsichere Herrschaft zu festigen.
Der Mord an Matteotti rief eine Welle des Abscheus in ganz Italien hervor und die Arbeiterklasse brauchte nur eine revolutionäre Führung, um das faschistische Regime zu stürzen. Aber die Sozialisten klammerten sich immer noch an ‘legale’ Methoden. Mussolini überlebte die Krise und machte systematisch mit der Zerstörung der Organisationen der Arbeiterklasse weiter. Die Desillusionierung und Demoralisierung der Arbeiterklasse über den Verrat ihrer Organisationen brachte sie in eine Lage der Erschöpfung und Teilnahmslosigkeit. Der Faschismus befestigte sich an der Macht.
Aber sobald er an der Macht ist, beginnt der Faschismus seine Basis in der Mittelschicht zu verlieren. Die Verarmung und der Ruin des Kleinbürgertums wird nicht angehalten, sondern erhält im Gegenteil durch den Sieg des Faschismus einen neuen Anstoß. Die konterrevolutionären Wahnvorstellungen des Kleinbürgertums werden durch die kalte Wirklichkeit des faschistischen Staates bald vertrieben und die Unterstützung für den Faschismus ebbt ab. Das faschistische Regime verliert völlig seine gesellschaftliche Basis und wird eine gewöhnliche bürokratische Militär- und Polizeidiktatur. Das war die Lage von Mussolinis Diktatur. Und doch hat sie über zwei Jahrzehnte gedauert!
Das Geheimnis der langen Periode der faschistischen Herrschaft liegt überhaupt nicht in der Stärke des Regimes, sondern in Weltereignissen auf der einen Seite und der Teilnahmslosigkeit der italienischen Massen auf der anderen Seite, die durch den Verrat ihrer Organisationen alle Perspektiven verloren hatten. Der Sieg Hitlers, die Niederlage der französischen und italienischen ArbeiterInnen, der weitere Niedergang und Zusammenbruch der Arbeiterbewegung, die Stärkung der Reaktion im Weltmaßstab, mussten das italienische Proletariat weiter demoralisieren und in düstere Gleichgültigkeit und Hoffnungslosigkeit für die Zukunft stoßen.
Aber die Krise, die das Regime überschattete, zwang die italienische Bourgeoisie, Ausdehnung nach außen zu versuchen, um sich vor dem Sturz zu bewahren. Das äthiopische Abenteuer und der Krieg, den Mussolini gegen die spanischen ArbeiterInnen führte, waren Anzeichen für die Verzweiflung des italienischen Faschismus. Aber sie lösten keineswegs etwas, sondern vergrößerten bloß das Elend der ArbeiterInnen und BäuerInnen und vergrößerten den Druck auf das Regime. Nach dem Fall Frankreichs nutzten die italienischen Kapitalisten begierig die Gelegenheit, die sich ihnen in ihrer Einbildung bot, um sich billig ein Kolonialreich zu sichern.
Aber die Kalkulationen der Bourgeoisie wurden durch die Ereignisse völlig widerlegt. Nie in der Geschichte hat eine Armee mit weniger Kampfmoral und Vertrauen in ihre Sache gekämpft als die Armee des faschistischen Italiens! De groben Witzeleien der britischen herrschenden Klasse über die ‘feigen’ Italiener gehen völlig am Punkt vorbei. Die italienische Armee besteht wie die des zaristischen Russlands hauptsächlich aus Bauern. Sie werden von den Grundeigentümern ausgebeutet und unterdrückt, von den faschistischen Schlägern misshandelt und terrorisiert, wenn sie an den ‘Feind’ dachten, war es nicht die Armee auf der anderen Seite, sondern die Grundherren in den Dörfern, die gut davon leben, von ihnen zu schmarotzen, während ihre eigenen Frauen und Kinder hungerten. Sie dachten an die Steuerlast, um die aufgeblähte unwissende faschistische Miliz aufrechtzuerhalten. Sie hatten keines Kampfeswillen. Mussolini konnte nicht einmal die Griechen besiegen! In Afrika verschwand das Kolonialreich, während die italienischen Soldaten zu Zehntausenden kapitulierten und nur andeutungsweise Widerstand leisteten. Nach zwanzig Jahren Faschismus war das Regime von oben bis unten morsch. Es gab im ganzen Apparat kein lebendiges Element, weder in der Armee noch den Unterdrückungsmitteln zu Hause. Darüber hinaus besaß Italien als rückständiges und nur halb industrialisiertes Land nicht die Technik für moderne Kriege, die sein faschistischer Zwilling Deutschland zu seinem Glück in Form beispielloser Technologie und erstklassiger industrieller Ausrüstung besaß. Durch die Verbindung all dieser Faktoren wurde die Niederlage Italiens unausweichlich.
Trotzki hatte mit unfehlbarer Voraussicht und tiefgreifendem Verständnis für die Massen und den geschichtlichen Prozess bei der Analyse der Probleme der Revolution in den faschistischen Ländern gezeigt, dass es ein paar scharfe Schocks brauchen würde, um die Massen aus ihrer Interesselosigkeit und Benommenheit aufzuwecken, damit sie den Weg der Massenopposition und des Massenkampfes gegen das totalitäre Regime aufnahmen; ein Schock, der durch militärische Niederlagen oder den Sieg der Revolution in einer der Demokratien geliefert werden konnte.
Die Niederlagen des Regimes waren die endgültige Enthüllung seines Bankrotts; seine Korruption und sein Verfall lieferten die Mittel für das Wiedererwachen des italienischen Proletariats. Die molekularen Prozesse der Erholung und Wiederbelebung gingen hinter der äußeren Fassade der Stärke und Stabilität des Regimes vonstatten. Das Kräfteverhältnis im Land begann sich zu ändern. Zum ersten Mal hatten in den Städten Massenstreiks gegen die unerträgliche Erhöhung der Lebenshaltungskosten und die unerträgliche Steuerbelastung der faschistischen Beamten stattgefunden und Meutereien in der Armee waren ein bedrohliches Zeichen für die Stimmung der Truppen. Schon im Krieg gegen Griechenland gab es Berichte über gefangengenommene Einheiten, die ‘Bandiera Rossa’ (Die rote Fahne) sangen.
Die Bourgeoisie und die Grundeigentümer konnten fühlen, wie der Boden unter ihren Füßen wankte. Wie immer in der modernen Gesellschaft gingen dem Herannahen der Revolution Spannungen in allen Schichten der Gesellschaft voraus, innerhalb der herrschenden Klasse ebenso wie innerhalb der ArbeiterInnen, innerhalb des Kleinbürgertums ebenso wie in den Rehen der faschistischen Bürokratie und des Staatsapparats. Der Druck von unten erzeugte Spaltungen und Ungewissheit, Streitereien und Konflikte innerhalb der einstmals festen Reihen der herrschenden Klasse. Sie beginnen, einen Weg aus der Sackgasse zu suchen, ein Mittel, der ansteigenden Flut der Revolte zu entkommen, die sie zu verschlingen droht. Sie beginnen, den ‘Führer’ nicht mehr als Retter vor den Massen zu betrachten, sondern als Quelle ihrer Übel, dessen ‘Fehler’ sie in eine unmögliche Lage gebracht haben. Machtmißbrauch des Herrschers und seiner unmittelbaren Mitarbeiterclique wird durch Verschwörungen und Diskussionen über einen Staatsstreich, eine Palastrevolte ersetzt, die in einem günstigen Augenblick von oben die Bewegung von unten verhindern und im Keime ersticken wird. Die bestehenden Beziehungen zwischen den Klassen sind unerträglich geworden und die Lage kann nicht andauern. Die herrschende Klasse sucht nach Mitteln zu ihrer Rettung. Sie können sich nicht mit dem Untergang abfinden, von dem sie fühlen, dass er bevorsteht und sie überwältigen wird, wenn sie ihm nicht durch irgendwelche Mittel vorbeugen können.
So war es im zaristischen Russland vor der Februarrevolution. So war es im faschistischen Italien vor dem Fall von Mussolini. Eine noch bessere Parallele war vielleicht die Entfernung Primo de Riveras, des Militärdiktators in Spanien durch Alfonso als Versuch, die Monarchie zu retten. Morgen werden wir den selben Prozess in Hitlers Deutschland beobachten. Aber all diese Schritte der herrschenden Klasse werden die Revolution keineswegs verhindern, sondern sind das dialektische Mittel zu ihrer Vorbereitung. Die Bewegung von oben erzeugt ein mächtiges Echo in der Bewegung von unten. So wurde Mussolini in Italien von der herrschenden Klasse weggeworfen, um ihren Sturz zu verhindern. Aber wie immer in der Geschichte haben sie nur das erste Kapitel der Revolution aufgeschlagen.
Was immer das Schicksal der italienischen Revolution sein wird, sie hat im vorbeigehen den Feiglingen und Abtrünnigen aus der Arbeiterbewegung, Ex-’Marxisten’ wie James Burnham in den Vereinigten Staaten und C A Smith in Großbritannien und der ganzen Sippschaft kleinbürgerlicher Intellektueller und Skeptiker einen tödlichen Schlag versetzt, die das Proletariat und den Kampf für Sozialismus mit Ironie und Skepsis betrachtet haben. Dieser kurzsichtige lärmende Haufen betrachtete den äußeren Lack des Faschismus als die Entwicklung einer neuen Gesellschaftsform mit einer herrschenden Klasse, die weder bürgerlich noch proletarisch ist! Für sie war die träge Haltung de Proletariats in Italien und Deutschland, das angesichts der faschistischen Tyrannei den Kopf passiv beugte, Beweis für die Unfähigkeit des Proletariats und Beweis für eine neue Gesellschaft.
Sie waren unfähig, die Dialektik der Gesellschaftsentwicklung zu verstehen und betrachteten die Bemühungen des Proletariats mit Ironie, Herablassung und Verachtung. Im Fall von C A Smith war das nur eine Brücke, um den Übergang ins Lager der Bourgeoisie zu rechtfertigen. Aber sie waren nicht allein. Die Verräter des Stalinismus und der Arbeiterbürokratie versuchten, ihren eigenen Verrat zu rechtfertigen, indem sie der ‘Unfähigkeit’ des Proletariats und der mangelnden Reife für die sozialistische Revolution (die sie in die Jahrzehnte entfernte Zukunft verlegt haben) die Schuld für die Passivität der Massen gaben. Wie mitleiderweckend ist der Stalinismus, der am Vorabend des Falls von Mussolini die Kommunistische Internationale aufgelöst hat, wie mitleiderweckend ist die vansittartistische Arbeiterbürokratie und der Stalinismus, die die Schuld für Hitler dem deutschen Proletariat aufladen, das Hitler ‘duldet’. In Wirklichkeit sind es die endlosen Niederlagen der letzten zwei Jahrzehnte, die durch genau diese ‘Führer’ und ihre gegenwärtige Politik verursacht wurden, die wie ein Leichentuch über dem Proletariat der ganzen Welt gelegen haben und die Stimmung von Frustration und Verzweiflung, Demoralisierung und Zerfall, Mangel an Vertrauen in sich selbst und seine eigene Zukunft erzeugt haben. Dies ist es in der Tat, was zur Verlängerung des Krieges und seiner Fortsetzung über vier Alptraum-Jahre vor der ersten Bewegung des Proletariats geführt hat. Alle diese Kräfte und Stimmungen waren bloß das Ergebnis der Reaktion, die sie selbst hervorgebracht hatten.
Von allen Strömungen in der Arbeiterbewegungen hielten allein die TrotzkistInnen das Vertrauen in die Arbeiterklasse und in sich selbst aufrecht. Selbst in der dunkelsten Tiefe der Reaktion behielten sie das Banner des internationalen Sozialismus und der internationalen Revolution bei und behielten ihren Glauben und ihr Vertrauen ins Proletariat. Und das war auch kein Zufall. Sie hatten die Gründe für die Niederlagen untersucht und vorhergesehen und verstanden die Grundlage für die Wendung zur Reaktion und verstanden natürlich die Ursachen, die nicht im Proletariat lagen, sondern in der Führung des Proletariats, sie konnten mit dem sicheren Vertrauen ins Proletariat weitermachen, das ihnen durch das Verständnis des Marxismus gegeben wurde. Alle andren Strömungen waren blind. Sie hatten die Niederlagen verursacht und waren unfähig, den Weg aus der Sackgasse zu verstehen.
Die Krise in Italien spitzte sich mit der Invasion in Sizilien zu. Der beispiellose Mangel an Unterstützung für das Regime wurde durch die Tatsache enthüllt, dass die italienischen Soldaten selbst auf ihrem ‘eigenen’ Boden keine große Kampfbegierde zeigten.. Ihr Widerstand war nicht energischer und herzhafter als an der Küste Afrikas jenseits des Meeres. Trotz der Übertreibungen der alliierten Propaganda scheint es klar, dass die ausländischen Invasoren in Palermo und anderen Städten mit keiner großen Feindseligkeit betrachtet wurden. Sicherlich ein seltenes Vorkommen in der Geschichte! Die Haltung der BewohnerInnen der Insel war, dass es schlimmer als Mussolini nicht mehr kommen könne. Das Regime war so verfault und so abscheulich, dass die breiten Massen es als nicht viel besser als einen ausländischen Eroberer betrachteten. Zu dieser Katastrophe hatte Mussolinis Bragadoccio und Bombasmus Italien gebracht! Eine Leere und ein Gefühl des Entsetzens muss durch die Herzen der herrschenden Klasse in Italien gegangen sein. Die Lösung des Knotens ließ nicht lange auf sich warten. Aus Furcht vor der Bewegung der Massen und in der Erkenntnis, dass der Krieg für den italienischen Imperialismus endgültig verloren war, versuchte die herrschende lasse, etwas aus dem Schiffbruch zu retten. Von Deutschland, das schon hart unter Druck gesetzt ist und vor einer fast sicheren Niederlage in der Zukunft steht, konnten sie nicht mehr Hilfe erwarten als die Herabstufung Italiens auf den Status Frankreichs oder der Satellitenstaaten auf dem Balkan, selbst im Fall eines zweifelhaften Sieges. Und sie hatten die Gewissheit, dass die ‘demokratischen Alliierten in diesem Fall noch größere Entschädigungen und Tribute herauspressen würden. Mussolini war ihnen nicht mehr von Nutzen. Sie fürchteten die Invasion der Alliierten. Sie fürchteten ihren mächtigeren ‘Verbündeten’. In verzweifelter Panik, in der Falle unüberwindlicher Widersprüche, warf die schändliche herrschende Klasse Italiens Mussolini verächtlich auf den Sdchrotthaufen der Geschichte.
Aber die Bourgeoisie hat alle Perspektiven für die Zukunft verloren. Die Monarchie und der Generalstab bildeten sich ein, dass sie Mussolini fallen lassen und wie bisher weitermachen könnten, wenn sie den Massen gnädig Mussolinis Versteck verraten und ihn zum Sündenbock für ihre Verbrechen machen. Sicherlich wird Badoglios Verkündung des Kriegsrecht in der Geschichte als Paradebeispiel für die Illusionen eines Regimes dienen, das von der Geschichte zur Zerstörung verurteilt ist. Der Entlassung Mussolinis folgte die Erklärung eines strengen Kriegsrechts. Aber diese Verordnung blieb nur auf dem Papier. Badoglio hatte nicht die Ressourcen, es durchzuführen, trotz der Illusionen des Generalstabs.
Der Fall Mussolinis wirkte wie ein Elektroschock für die italienischen ArbeiterInnen. Als die Nachricht über Funk verbreitet wurde, strömten während der Verdunkelung Hunderttausende von einem gemeinsamen Impuls bewegt auf die Straßen, um ihre Erleichterung und ihre Freude kundzutun. Der Prozess hatte begonnen, dessen Entwicklung Trotzki als Kennzeichen des Falls des Faschismus erwartet hatte. (Als die Nachrichten durchsickerten, musste man einfach an den Alten denken und das Wunder seines unfehlbaren Instinktes und tiefgreifenden Verständnisses, das im Voraus fast genau die Stufen vorhersagen konnte, durch die die Revolution gehen würde.)
Nach zwanzig Jahren Faschismus ist das jetzt durch Terror und Verfolgung gehärtete Proletariat gekräftigt und frisch auf die Bühne getreten, wie ein Riese, der aus einem langen schlaf erwacht. Massenstreiks brachen in allen Industriestädten, Mailand, Turin, Genua etc., binnen 24 Stunden aus. Die Eisenbahnen in ganz Norditalien lagen innerhalb weniger Tage lahm. Die Gefängnisse wurde von den ArbeiterInnen gestürmt und die politischen Gefangenen befreit. Die faschistischen Zentralen in den großen Städten wurden geplündert und die faschistischen Druckereien wurden in Mailand und anderen Gebieten von den ArbeiterInnen übernommen. Einen Tag nach dem Verschwinden Mussolinis war in Italien jeder, der faschistische Symbole trug, in Gefahr gelyncht zu werden. Der Faschismus verschwand über Nacht. Der verspätete Erlass, der die faschistische Partei auflöste, anerkannte bloß eine Tatsache, die von den ArbeiterInnen und Soldaten selbst schon unwiderruflich klargestellt worden war. In Mailand, das wieder einmal als ‘Rotes Mailand’ stolz die Führung übernommen hatte, wurde von den empörten ArbeiterInnen mit den Mördern von Matteotti kurzer Prozess gemacht. Auch in andren Regionen wurden die verhasstesten faschistischen Bosse schnell von den ArbeiterInnen erledigt. In Turin wurden ‘zwei faschistische Millionäre’ von den ArbeiterInnen hingerichtet. Straßen in Mailand wurden zu Ehren Matteottis und anderer von den Faschisten ermordeter Arbeiterführer umbenannt. Der Versuch, die Soldaten gegen die demonstrierenden Massen in Mailand einzusetzen, führte dazu, dass die Soldaten auf die Seite der ArbeiterInnen übergingen.
Über Nacht hatte die Arbeiterklasse ihre Lebendigkeit und Stärke gezeigt, als ob es den Faschismus nie gegeben hätte. Arbeiterkomitees wurden in den Fabriken der Industriestädte errichtet. Auch der stalinistische ‘Daily Worker’ muss auf Grund der in der bürgerlichen Presse veröffentlichen Nachrichten berichten:
"Das Radio (Schweiz) berichtet, dass in Mailand, dem Zentrum des industriellen Nordens, ein Bürgerkomitee aus VertreterInnen der IndustriearbeiterInnen, Soldaten und BäuerInnen errichtet wurde…
eine Mehrheit der Truppen in der Mailänder Garnison haben laut Berichten dem Komitee die Treue geschworen. Am Samstag wurden die verbotene kommunistische Zeitung La Roscossa und die liberale Zeitung La Mundo wieder herausgegeben — gedruckt in früheren faschistischen Druckereien.
Ähnliche Maßnahmen wurden im Radio von Turin, Varese, Brescia und Vercelli berichtet.
In Brescia haben sich — laut Schweizer Rundfunk die ArbeiterInnen aus Armeemagazinen bewaffnet und eine Arbeitermiliz errichtet, die die Polizeigewalt übernahm — ohne dass die Polizei sich viel eingemischt hätte."
Was sind diese ‘Bürgerkomitees’ anderes als Sowjets, vor deren Anerkennung sich die feigen und verräterischen Stalinisten gegenwärtig fürchten? Sie sind der lebendige Beweis, dass die italienische Revolution begonnen hat.
Was auch immer die Wechselfälle der italienischen Revolution in der nächsten Periode sein werden, alle Zaghaften und Abtrünnigen, alle Feiglinge und Skeptiker wurden Lügen gestraft. Die wundervolle Unverwüstlichkeit und Spannkraft, die gewaltige Erneuerungs- und Erholungsfähigkeit der Arbeiterklasse, der einzig durch und durch fortschrittlichen Klasse in der modernen Gesellschaft wurde gezeigt. Es hat sich gezeigt, dass die Siege der Reaktion Auf Treibsand gebaut sind. Nach jeder Niederlage erholt sich das Proletariat von seinen Wunden und erhebt sich erneut mit noch größerer Kraft, um seinen Feind zu besiegen.
Alle diese Ereignisse waren in den kurzen Zeitraum einer einzigen Woche gedrängt! Die erste Stufe hat das ganze Industrieproletariat Italiens auf dem Marsch gesehen. Gegenwärtig sind die BäuerInnen ruhig. Es wird Zeit brauchen, bis die Bedeutung der Ereignisse in den Städten in die Dörfer dringt. Aber sobald er zu verstehen beginnt, wird sich der Bauer gegen seine Feinde wenden. Der Fall des Faschismus wird von ihm als der Anfang vom Ende des Grundherrn verstanden werden, den die Beamten vertreten. Die BäuerInnen werden anfangen, in isolierten Regionen vereinzelt Land zu besetzen. Gegen die Steuern und den Grundherrn! Das wird der Kampfruf der BäuerInnen sein.
Alle Faktoren, die die sozialistische Revolution ausmachen, kristallisieren sich heraus. Die Arbeiterklasse bildet ihre Sowjets und Arbeitermilizen. Die Soldaten (meistens Bauern in Uniform) laufen auf die Seite der ArbeiterInnen über. Die BäuerInnen werden vorwärts gehen. Die BäuerInnen werden vorwärts gehen. Die Mittelschicht in den Städten wendet sich auf der Suche nach Führung zu den ArbeiterInnen. Alle objektiven Bedingungen für eine sozialistische Revolution sind vorhanden. Und die Machtübernahme der italienischen ArbeiterInnen würde sofort den Sturz Hitlers hervorrufen und die sozialistische Revolution in ganz Europa einleiten. Alle Bedingungen? Nein. Die subjektiven Bedingungen für die Revolution sind noch nicht vorhanden. Instinktiv und fast automatisch hat die italienische Arbeiterklasse die richtigen Schritte auf dem Weg zur Arbeitermacht ergriffen. Aber die Sozialisten und Stalinisten bereiten schon den Verrat der Bewegung vor, indem sie sie in die Kanäle der bürgerlichen ‘Demokratie’ leiten.
Inzwischen betrachten die ‘Alliierten’ die Entwicklungen in Italien nicht ohne gemischte Gefühle. Churchills Rede ist eine Enthüllung der Ängste und Vorahnungen der herrschenden Klasse angesichts der Revolution. Sein Hinweis auf die Schwierigkeit, ein Land Meile für Meile zu erobern und die Notwendigkeit, Herrschaft durch Konzentrationslager und Erschießungskommandos zu vermeiden, kommt nicht aus irgend einer Zärtlichkeit für die italienischen ArbeiterInnen, sondern aus Angst vor solchen Maßnahmen. Der alte Fuchs der herrschenden Klasse erinnert sich mit Grauen der Katastrophe der Intervention gegen die Russische Revolution nach dem letzten Krieg. Er möchte eine Wiederholung der selben Erfahrung nach Möglichkeit vermeiden. Die herrschende Klasse breitet ein Abkommen mit der Monarchie und den besitzenden Klassen in Italien vor. Sie hoffen, die Revolution durch eine militärische Besatzung im Keime zu ersticken, bevor sie Zeit hat, sich zu entwickeln.
Was auch immer die Entwicklungen in der nächsten Periode waren, selbst wenn die militärischen Ereignisse sich schneller als die politischen Entwicklungen auf der italienischen Halbinsel bewegen, Europa und die Welt werden nie wieder die selben sein. Der Fall Mussolinis ist nur die Generalprobe für den Fall Hitlers. Die Nachrichten aus der Schweiz erklären, dass der Fall Mussolinis von Demonstrationen der italienischen ArbeiterInnen in Berlin begrüßt wurde, die Bilder von Mussolini und alle Symbole des Faschismus in Freudenfeuern verbrannten. Und was wichtig ist, war die Reaktion der deutschen ArbeiterInnen. In den Fabriken, in denen die ItalienerInnen arbeiten, solidarisierten sie sich mit ihnen und nahmen an den Demonstrationen teil und warfen Bilder von Hitler und Nazifahnen mit in die Freudenfeuer. Die Polizei ergriff keine aktiven Maßnahmen gegen sie. Dies ist nur ein Symptom für die Lage in Deutschland, die in einer Revolution zum Ausbruch kommen muss.
Aber es ist nicht nur eine Frage von Deutschland. Die ganze europäische Gesellschaft hat während dem Krieg explosive Potentiale entwickelt. Die Widersprüche, die sich seit mehr als zwei Jahrzehnten aufgebaut haben, haben ihre äußerste Grenze erreicht; es braucht nur ein oder zwei weitere scharfe Schocks, damit die Widersprüche in einer Revolution explodieren. Die Nachricht von Mussolinis Fall hatte unmittelbare Rückwirkungen in ganz Europa. Gewaltige Streiks werden aus Portugal berichtet. Franco hielt Sondersitzungen seiner Regierung, weil er fühlte, dass der Boden unter seinen Füßen wankte. Boris von Bulgarien wartete voller Furcht, ob die Revolution beginnen würde. Die Balkanländer sind überreif für die Revolution. Aber es nicht eine Frage von diesem oder jenem Land. Es ist der ganze Kontinent von Europa, der nur auf einen Beginn wartet, um von einem Ende zum nächsten in eine Revolte auszubrechen.
Das schwankende Kriegsglück hat die phantastische Lage erzeugt, wo es mit der Niederlage Deutschlands kein einziges kriegführendes Land geben wird, das praktisch gesehen nicht besiegt sein wird. 1918 spielten die herrschenden Klassen mühsam die kleineren Mächte des Balkans gegeneinander aus. Die italienische und besonders die französische Armee waren zwar zerbrechlich, blieben aber Säulen von ‘Recht und Ordnung’, die die Länder, in denen die Revolution ausbrach, wettmachen konnten. Heute werden Giraud in Nordafrika und die Türken als Armeen der Konterrevolution aufgebaut. Aber die sind schwaches Schilf, auf das man sich nicht stützen kann. Mit dem Zusammenbruch der Nazi-Armeen wird es keine einzige Armee in Europa geben, auf die sich die Imperialisten zum Zweck der Konterrevolution stützen können. Es steht außer Frage, dass die Rote Armee zu diesem Zweck genutzt werden könnte. Tatsächlich wäre die kommende Revolution im Westen der Anfang vom Ende von Stalin und der Bürokratie. Sie könnte auch den Beginn der politischen Revolution in Russland bedeuten. Die britische Armee wäre kein zuverlässiges Instrument zur Zerschlagung der Revolution, sondern würde in dem Prozess Brüche erleiden. Nur der amerikanische Imperialismus hat eine ziemlich stabile Grundlage und eine rückständige Armee, auf die er sich verlassen kann. Aber für wie lange in der rotglühenden Atmosphäre Europas? Die amerikanische Armee würde auch zerfallen und sich zersetzen. Wir sind am Rand einer revolutionären Welle in Europa, die Jahre dauern wurde und sich durch ihren großartigen Schwung auf die ganze Welt auswirken wird.
Die Lage in Italien muss vor diesem Hintergrund gesehen werden. Selbst im schlimmsten Falle — dem der Niederlage der Revolution und militärischer Besatzung — ist dies der erste Aufstand in Europa. Eine alliierte oder eine deutsche Besatzung in Italien kann die Bewegung vorübergehend zerschlagen. Aber in einem Krieg einmarschieren und gegen eine Revolution zu intervenieren, sind zwei verschiedene Aufgaben. Die Stalinisten und Sozialdemokraten werden versuchen, im Interesse des alliierten Imperialismus die Bewegung in Volksfrontkanäle zu leiten. Die spanische Tragödie ist eine Warnung an die italienischen ArbeiterInnen, wohin solch eine Politik die italienische Arbeiterklasse führen wird.
Die italienischen Massen haben sich an die Spitze der revolutionären Erhebung ganz Europas gestellt. Die ehre, die dem russischen Proletariat im letzen Krieg zufiel, fällt ihnen heute zu. Aber Russland hatte eine bolschewistische Partei und eine bolschewistische Führung. Dies allein garantierte den Sieg. Es wird die Aufgabe der fortgeschrittenen ArbeiterInnen in Italien sein, solch eine Partei im Feuer der Ereignisse zu schmieden. Zehntausende heldenhafte KämpferInnen, die den Kampf gegen den Faschismus trotz allem fortsetzten, sind tatsächlich TrotzkistInnen, obwohl die Mehrheit vielleicht nie diesen Namen gehört ha. Sie werden den Weg zum Programm des internationalen Sozialismus finden.
Mit der frischen Brise der Revolution, die vom Mittelmeer herüberweht, muss eine neue Begeisterung und Entschlossenheit die Tätigkeit der fortgeschrittenen ArbeiterInnen in Großbritannien erfüllen. Unsere Aufgaben sind kompliziert. Großbritannien ist einer der Schlüssel, wenn nicht der Schlüssel, zur Revolution in Europa. Die Hauptaufgabe der RevolutionärInnen besteht jetzt darin, den italienischen ArbeiterInnen im Kampf gegen die Revolution in Italien zu helfen. Die Presse des widerlichen Stalinismus über die italienische Lage zu lesen, muss in allen bewussten ArbeiterInnen ein Ekelgefühl hervorrufen. Gegen diese Verräter! Für die Revolution in Italien! Kein Eingreifen des britischen Imperialismus! muss der Schlachtruf der Arbeiterklasse sein.