Moses Heß

 

Socialismus und Communismus

Vom Verfasser der Europäischen Triarchie

(1843)


Ursprünglich veröffentlicht: Georg Herwegh (Hrsg.): Einundzwanzig Bogen aus der Schweiz, Zürich u. Winterthur 1843, S. 74–91.
Sies Version: Georg Herwegh (Hrsg.): Einundzwanzig Bogen aus der Schweiz, Leipzig 1989, S.157-177.
Transkription/HTML-Markierung: Einde O’Callaghan für das Marxists’ Internet Archive.


– Wenn es wahr ist, daß unsere Zeit noch immer an dem Gegensatze von Theorie und Praxis leidet, daß die objektive Welt, welche.der Gegenwart aus der Vorzeit überkommen ist, mit der subjektiven unserer modernen Gefühle und Ideen im Widerspruche steht: so ist in keinem civilisirten Lande diese Krankheit gefährlicher, dieser Widerspruch schneidender, als in Deutschland. – Zu welcher Tiefe der Empfindung, zu welcher Klarheit des Bewußtseins haben die Herren der deutschen Literatur Geist und Gemüth ihrer Landsleute herangebildet? Im Himmel unserer Ideen herrscht kein Vorurtheil, keine Art von Haß mehr – da wird die Würde des Menschen aufs Vollständigste anerkannt, da werden seine ewigen Rechte proklamirt; da sind alle Menschen Brüder und Genossen Einer Familie, da existiren keine dem blinden Egoismus barbarischer Zeiten entsprungene Institutionen mehr, ja, da herrscht die absoluteste Gleichheit – und welche Sophismen auch der in unserer Außenwelt verkörperte Egoismus gegen diese absolute Gleichheit der Menschen vorbringen, wie sehr er sich abmühen mag, das Wesentliche am Menschen mit dem Zufälligen an ihm, das Normale mit dem Abnormen, kurz, die wahre; Natur des Menschen, den Geist, mit seiner noch unwahren, rohen Natur zu vermengen und zu verwechseln, um am Ende zu dem Schlüsse zu gelangen, es gebe eben so viele verschiedene Menschennaturen, als es verschiedene Individuen gibt: in unserm tiefsten Innern sind wir doch Von der wesentlichen Gleichheit aller Menschen überzeugt. Wir fühlen dies mit unsern größten Dichtern, wir erkennen es mit unsern erhabensten Denkern. Ja, Deutschland ist in der Theorie am weitesten – aber leider auch nur in der Theorie. Der Deutsche ist zu geistig) zu allgemein, um auf bestimmte, concrete Lebensverhältnisse einzugehen. Er ist so eminent unpraktisch, daß er nicht einmal den Versuch wagt, seine Ideen ins Leben einzuführen. Seine edelsten Gefühle, seine erhabensten Gedanken betrachtet er als schöne Träume, als „Ideale“, und während andere Nationen durch ihre Thaten oft ihre eigenen Ideen überflügeln – wie z. B. die französische in der ersten Revolution – wagt es die deutsche nicht, den Saum ihrer Gefühle und Gedanken mit praktischen Händen zu erfassen. Während wir so dis freiesten Menschen, die reinsten Demokraten, die radikalsten Com-munisten sind, ertragen wir daneben die Zerrissenheit unserer Wirklichkeit ganz friedlich. Wir dulden. Alles und sehen von unserm erhabenen philosophischen Standpunkte oder gär mit religiöser“ Resignation auf die schlechte Wirklichkeit herab. Indem wir uns nicht zutrauen, unsefe Ideen ins Leben einzuführen, wenden wir unsere Augen von der Gegenwart ab, dem Jenseits der Zukunft zu. Nirgends hat die Religion des Jenseits einen bessern Böden gefunden, als in Deutschland. Nirgends hat gegenwärtig die Philosophie der That mit größern Hindernissen zu kämpfen, als bei uns, die wir noch immer an der mittelalterlichen Weltkrankheit, an dem Gegensatze von Praxis und Theorie, von Politik und Religion, von Diesseits und Jenseits laboriren.

Und doch kann die Philosophie der That ihr Prinzip nur von Deutschland erhalten. Nur da, wo die Philosophie überhaupt es bis zu ihrem Culminationspunkt gebracht hat, kann sie über sich selbst hinaus und zur That übergehen. Der nur im Geiste und durch den Geist entstandene Gegensatz von Diesseits und Jenseits kann prinzipiell auch nur im Geiste durch den Geist wieder überwunden werden. – Wirklich ist die deutsche Philosophie bereits zum Prinzip der Neuzeit durchgedrungen und Philosophie der That geworden; aber noch stehen wir erst am Anfange dieses wichtigen, geistigen Prozesses, noch sind es nur Wenige, die den Muth haben, die Schärfe des Gedankenschwertes der Außenwelt zuzukehren. Einige abstrahiren noch ganz und gar vom Leben; Andere, die es schon zu nahe ah sich heran kommen ließen, um es ignoriren zu können, suchen sich, so gilt es eben gehen will, mit demselben abzufinden, und da sie zu schwach sind, die Wirklichkeit dem Selbstbewußtsein gemäß zu gestalten, kehren sie ihre Waffe gegen sich selbst und machen den selbstmörderischen Versuch, ihr eigenes Bewußtsein nach der schlechten Wirklichkeit zu modeln. Zu den Letztern gehört Stein [1], dessen Bestrebungen über eine tief in das Wesen der tnödernen Welt eingreifende Erscheinung ein richtiges Unheil zu gewinnen, hier näher beleuchtet werden sollen. Hierzu aber müssen wir vorab uns selbst über das Wesen dieser Erscheinung, so wie über deren innere Beziehung zur Philosophie und zum modernen Geistesleben überhaupt ein richtiges Unheil zu verschaffen suchen.

Das vorige Jahrhundert ist noch nicht bis zum Grundprinzip der Neuzeit hindurch gedrungen, obgleich es diesem Prinzipe, der absoluten Einheit alles Lebens, den Weg zu den Culturstaaten Europa’s dadurch bahnte, daß es sich polemisch und kritisch gegen die mittelalterliche Gestaltung des socialen Lebens, gegen Staat und Kirche verhielt. Indem es aber über Religion und Politik Aufklärung verbreitete, ließ es doch die Basis, dieser Doppelerscheinung unangetastet und begnügte sich damit, die „Mißbräuche“, die sich in Kirche und Staat – wie es wähnte, aus Böswilligkeit oder Dummheit der Lenker dieser Institute – eingeschlichen haben, zu beleuchten und dagegen eine „vernünftige“ Religion und „rechtliche“ Politik zu empfehlen. – Wie die Aufgabe des vorigen Jahrhunderts eine doppelte war, sich einem doppelten Zwecke zuwandte, einem religiösen und einem politischen, so theilten sich auch zwei Nationen in diese Arbeit: die deutsche warf sich hauptsächlich auf das religiöse, die französische vorzüglich auf das politische Gebiet. Dort bildet Kant, hier die Revolution das Ziel und Ende des vorigen Jahrhunderts. Von nun an beginnt in der Geschichte der Neuzeit eine neue Periode. Das vorige Jahrhundert wollte einen neuen Staat, den Rechtsstaat, und eine neue Religion, die Vernunftreligion, gründen. Doch, kaum hatte es seinen negativen Zweck, den Umsturz der alten Religion und Politik, in der Wirklichkeit erreicht, so zeigte sich auch schön der innere Widerspruch seiner weitern Bestrebungen. Jede Politik, sie mag eine absolutistische, aristokratische oder demokratische sein, muß nothwendig, ihrer Selbsterhaltung wegen, den Gegensatz von Herrschaft und Knechtschaft aufrecht erhalten; sie hat ein Interesse an den Gegensätzen, denn ihnen verdankt sie ihr Dasein – so wie mit der himmlischen Politik, mit der Religion, nicht mit dieser oder jener, sondern mit der Religion überhaupt, die Geistesknechtschaft nothwendig verknüpft ist; denn auch sie kann den Menschen nicht zur Freiheit (des Geistes) kommen lassen, ohne sich selbst zu negiren, auch sie hat ein Interesse daran, daß das Göttliche, die Sittlichkeit, dem Menschen ein Jenseitiges, ein Aeußerliches bleibe, daß er im Streben nach diesem Ziele verharre, da mit der Erreichung desselben ihr eigenes Dasein aufhört. – Nun negirte zwar das vorige Jahrhundert den alten Staat, aber nicht den Begriff des Staates überhaupt, nicht den Gegensatz der auseinandergehenden, abstrakten Persönlichkeiten mit ihrem ganzen egoistischen Anhängsel, somit nicht die Notwendigkeit einer äußerlichen Regierung oder Beherrschung derselben. Man suchte das Uebel des Staates, wie der Religion, nicht im Wesen dieser Institute, sondern in der zufälligen Form derselben, oder in der Bosheit oder Dummheit der Staatsgewalten und Kirchenhäupter – und als man nun den „Rechtsstaat“ und die „Vernunftreligion“ gründen wollte, erschrack man nicht wenig, hinter der ganzen scharfen und scharfsinnigen Verstandeskritik keinen einzigen positiven, organischen Gedanken zu erblicken. Die Religion war „aufgeklärt“, aber die Vernunft sträubte sich auch gegen jede neue Religionsform; die Politik des ancien regime, die alte Regierungsform war gestürzt, aber kein neuer „Rechtsstaat“ wollte sich consolidiren. Seit Kant und der französischen Revolution suchte man vergebens nach einer vernünftigen und gerechten Basis für Staat und Kirche – aus dem sehr einfachen Grunde, weil diese mittelalterlichen Formen des socialen Lebens Weder auf Vernunft, noch auf Gerechtigkeit gegründet, sondern ganz naturwüchsig aus den blinden Kämpfen des Egoismus und dem Bedürfniß des egoistischen Individuums entstanden sind. – Während man inzwischen im öffentlichen Leben vergebens nach neuen Formen der gestürzten mittelalterlichen Institutionen strebte und eine Form die andere verdrängte, ohne daß die letzte dem modernen Geiste mehr Befriedigung bot, als die erste, bildeten sich im Stillen, und in der That ganz polizeiwidrig, neue Ideen aus, die sich nicht nur kritisch der Vergangenheit, sondern auch organisirend der Zukunft gegenüber verhielten. Man fing an, sich dem Grundprinzip der modernen Welt zuzuwenden. In Deutschland sprach Fichte zuerst, freilkh noch etwas roh und wild, die Autonomie des Geistes aus; in Frankreich sehen wir in Baboeuf die eiste und daher ebenfalls noch rohe Gestalt eines einheitlichen Sociallebens auftauchen. Oder, populär ausgedrückt: Von Fichte datirt in Deutschland der Atheismus – von Baboeuf in Frankreich der Communismus, oder, wie jetzt Proudhon sich präziser ausdrückt, die Anarchie, d. h. die Negation jeder politischen Herrschaft, die Negation des Begriffes Staat oder Politik.

Es ist hier das wesentlich neue Element hervor zu heben; welches mit Fichte und Baboeuf in Deutschland und Frankreich sich .zu entwickeln begann. Während das allgemeine’ Bewußtsein von nun an nur noch an der Errungenschaft des vorigen Jahrhunderts zehrt, so daß noch heute in Deutschland Alles, mit wenigen Ausnahmen, unbewußt oder bewußt nach den Kantischen Verstandeskategorien denkt und die „Religion innerhalb der Gränzen der reinen Vernunft“ (des abstrakten Verstandes) noch immer als das große Strebeziel der Zeit betrachtet wird – in Frankreich dagegen Nichts populärer ist, als der „Rechtsstaat“ mit seiher „Volksvertretung“, seiner „Gleichheit vor dem Gesetze“ und seinen sonstigen Fiktionen – während dessen, sagen wir, entwickelt sich auf beiden Seiten des Rheines – in Deutschland und Frankreich – ganz im Stillen das Prinzip der Zukunft. – Man betrachtet gewöhnlich irrthümlicherweise Kant als den Begründer der deutschen Philosophie und ein geistreicher Poet-Philosoph, Heinrich Heine, zog sogar eine Parallele zwischen den verschiedenen Phasen der französischen Revolution und der deutschen Philosophie, wo er Kant und Robespierre, Fichte und Napoleon, Schelling uad die Restauration, Hegel und die Julirevolution als analoge Erscheinung neben einander stellte. Der wahre Begründer der deutschen Philosophie aber, wenn man nun einmal einen persönlichen Repräsentanten für den Zeitgeist genannt haben will, ist kein Anderer, als derjenige, dessen Weltanschauung eben so sehr der französischen Socialphilosophie zu Grunde liegt – Spinoza – und was die Heinesche Analogie betrifft, so sind nur Kant und Robespierre, d. h. die religiöse Revolution, analoge Erscheinungen. Die deutsche Philosophie aber, die positive Entwickelung der Geistesfreiheit, dieser Prozeß, der mit Fichte begann und mit Hegel endete, hat mit den weitern Experimenten der französischen Politik so wenig Gemeinschaftliches im Prinzip, daß in der That die Phantasie eines Dichters dazu gehört, um hier Analogien heraus zu finden. Desto analoger aber, ja wesentlich identisch ist die deutsche Philosophie, die bis Hegel nur eine esoterische Wissenschaft war und erst jetzt, als spekulativer Atheismus ihre Wirkung aufs Leben auszuüben beginnt, und die französische Socialphilosophie, die in gleicher Weise erst jetzt, nach St. Simon und Fourier, sich von der Schule befreit und als wissenschaftlicher Commünismus ins Volk einzudringen anfängt. Die Aehnlichkeit zwischen diesen beiden Erscheinungen ist keine poetische, sondern eine philosophisch nachweisbare. Nachdem nämlich der Baboeuf’sche Communismus und der Fichtesche Idealismus sich durch ihren eignen Nihilismus zu Grunde gerichtet hatten, sehen wir in Deutschland Schelling und Hegel, in Frankreich St. Simon und Fourier erstehen. Das Prinzip der Neuzeit, die absolute Einheit alles Lebens, welches sich in Deutschland als abstrakter Idealismus, in Frankreich als abstrakter Communismus manifestirt hätte, treibt nun seinen concreten Inhalt aus sich heraus. Schelling und St. Simon gelangen als Gefühlsmenschen durch unmittelbare Anschauung zu ihren Resultaten und geben sie als solche, ohne sie zuerst durch die Dialektik der Spekulation zu vergeistigen, der erstaunten Welt preis, welche mehr durch Ueberredung, als durch Ueberzeugung für dieselben gewonnen wird; es ist aber eben darum noch nicht das wahre, weil es noch nicht das auf wissenschaftlichem Wege gewonnene Resultat ist. Das Prinzip der Neuzeit gewinnt zwar jetzt schon in den verschiedenen Gebieten, die es in Deutschland und Frankreich betritt, einen festen Boden – es wird eine Macht und vor ihrem belebenden Hauche verschwinden die todten, starren Gegensätze der schlechten Wirklichkeit, hier im socialen Leben, dort in der Natur. Aber diese Macht hat, noch nicht ihre Berechtigung gewonnen, sie hat sich noch nicht vor dem Geiste gerechtfertigt – und obgleich sie, eben ihrer Unmittelbarkeit wegen, die Herzen schneller hinreißt und bei der für alles Gute und Große empfänglichen Jugend raschern Anklang findet, als die gleichzeitig auftauchenden, in strengwissenschaftlicher Form aufgestellten Lehren Hegels und Fouriers, so muß sie doch am Ende der höhern Macht der Wissenschaft das Feld räumen. – Wenn man die Schriften jener auf scheinbar ganz verschiedenen Gebieten arbeitenden und in keinerlei äußern Beziehung stehenden Schriftsteller, so wie die Schicksale ihrer Theorien vergleicht, ist man erstaunt über die Aehnlichkeit derselben. Diese Aehnlichkeit erstreckt sich bei Hegel und Fourier bis auf die Bildung neuer Wörter und Wortfügungen, und von St. Simon, der freilich nicht, wie sein deutscher Geistesge-nosse Schelling, sich selbst, überlebte, darf man kühn behaupten, daß, wenn er heute noch fortvegetirte, er eben so, wie Schelling, sich den Conservativen anschließen würde, wie das ja auch bei seinen vorzüglichsten Schülern, z. B. Michel Chevalier, wirklich der Fall ist. – Es ist eine wesentlich gleiche Arbeit, die der deutsche und französische Geist über sich genommen, und wem noch ein Zweifel über das einige Grundprinzip übrig bleibt, aus dem in Deutschland die Lehre von der absoluten Geistesfreiheit, in Frankreich jene der absoluten socialen Gleichheit mit allen, ihren Consequenzen entstanden, der gehe einen Schritt weiter, als diese Theorien, der Verfolge noch die praktischen Wirkungen derselben, wie sie sich eben jetzt und gerade hier auf der Gränze zwischen Deutschland und Frankreich manifestiren — und auch der letzte Zweifel über die gleichen Bestrebungen Deutschlands und Frankreichs muß, wie Nebel vor der Sonne, dahin schwinden.

Die heutigen Socialtheorien Frankreichs nähern sich zwar, sofern sie praktisch ins Leben einzugreifen beginnen, wieder dem Baboeuf’schen Communismus, aber sie sind ihrem Wesen nach wirklich eben so weit über Baboeuf hinaus, wie die heutige deutsche Philosophie, die in ihrer Energie und Thatenlust ebenfalls wieder mehr an den Fichte’schen Atheismus anknüpft, wesentlich doch über diesen hinaus ist. Denn zwischen dem Baboeuf sehen Communismus und dem heutigen liegt die ganze Fülle der französischen Socialphilosophie, wie zwischen dem Fichte’schen und dem heutigen Atheismus die ganze Dialektik der deutschen Philosophie liegt. Die große Idee Fouriers, der den Organismus der Arbeit auf die vollkommenste Freiheit der Bewegung aller Neigungen gründete, ist für den heutigen Communismus nicht verloren – und obgleich die Concessionen, welche Fourier, wie Hegel, dem Bestehenden gemacht hat und die auch deren Systeme ästhetisch, moralisch und intellektuell verunstalten, ein näheres Anschließen an Fpurier und Hegel unmöglich machen, so erhält doch gerade im Communismus, im Zustande der Gemeinschaft, die Fourier’sche Hauptidee erst ihre wahre Bedeutung und praktische Ausführbarkeit, wie andrerseits die Hegel’sche Idee der „absoluten Persönlichkeit“ erst im Atheismus ihren rechten Sinn erhält und vor falschen Deutungen bewahrt wird.

Durch Fourier und Hegel wurde der französische und deutsche Geist zu dem absoluten Standpunkte erhoben, auf welchem die unendliche Berechtigung des Subjekts, die persönliche Freiheit oder die absolut freie Persönlichkeit, und das Gesetz der nicht minder berechtigten objektiven Welt, die absolute Gleichheit aller Personen in der Gesellschaft, keine Gegensätze mehr, sondern die beiden sich gegenseitig ergänzenden Momente eines und desselben Prinzips sind, des Prinzips der absoluten Einheit alles Lebens. – Der sehr populäre Einwurf, der dem Communismus bisher, namentlich vom französischen Geiste gemacht wurde, daß nämlich der Zustand der Gemeinschaft, in welcher die absoluteste Freiheit aller Menschen und jeder Thätigkeit herrschen soll, ohne daß ein äußeres Gesetz, eine Regierung irgend welcher Art, diese Freiheit vor Willkür schütze – daß ein solcher sozialer Zustand ein „idealer“ sei und keine Menschen, sondern „Engel“ voraussetze, dieser sehr verständige Einwurf ist hier beseitigt. Fourier und Hegel haben erkannt, daß es nur Eine menschliche Natur, wie überhaupt nur Ein Prinzip des Lebens gibt, nicht aber ein gutes und ein böses, Engel und Teufel, tugendhafte und lasterhafte Menschen – und indem Fourier mit dieser höhern Lebensanschauung an die socialen Zustände herantrat und es auf dieselben anwandte, fand er, daß jede Neigung gut ist, wenn sie nur nicht durch äußere Hindernisse gehemmt oder umgekehrt auch durch Reaktion krankhaft gereizt wird, sondern vollkommen frei hervortreten und ihre Thätigkeit ap-pliziren kann. – Es ist dies, das Geheimniß, welches Spinoza schon in seiner Ethik ausgesprochen hat, das aber erst durch Fourier seine Bedeutung für die objektive Welt der menschlichen Gesellschaft, wie es andrerseits durch Hegel erst seine wahre Bedeutung für die subjektive Welt des menschlichen Geistes gewonnen hat. Wie nämlich Fourier das Problem der socialen Gleichheit gelöst und den populär-verständigen Einwurf, als setze die absolute Gleichheit „Engel“ voraus, beseitigte, ohne daß er selbst den großen Dienst, den er dem Communismus hierdurch geleistet hatte, zu ahnen schien – da er sich ja ausdrücklich gegen die Negation des Eigenthums verwährte – so hat Hegel das Problem der persönlichen Freiheit gelöst und hierdurch – eben so unwillkürlich, wie es scheint – einen ändern Einwurf beseitigt. Der noch nicht durchgebildete deutsche Geist nämlich sträubte sich gegen eine Gesellschaft, in weither jedes persönliche Eigenthum und somit auch, wie er wähnte, jede persönliche Freiheit vernichtet sei. Durch Hegel kam aber der deutsche Geist zu der Erkenntniß, daß die Freiheit der Person nicht in der Eigentümlichkeit des Einzelnen, sondern in dem allen Menschen Gemeinschaftlichen zu suchen sei. Jeder Besitz, der nicht ein allgemein menschlicher, ein allgemeines Gut ist, kann meine persönliche Freiheit nicht fördern – ja, nur dasjenige ist wahrhaft mein eignes, unverletzliches Eigenthum, welches zugleich ein allgemeines Gut ist. Ein besonderer, individueller Besitz muß mir nothwendig wieder einmal geraubt werden, wie er mir selbst nur durch Beraubung aller Anderen eigentümlich sein kann. – Proudhon hatte den Nagel auf den Kopf getroffen, wenn er auf die Frage: qu’est ce que c’est la propriété? antwortete: la propriété, c’est le vol. – Der französische und deutsche Geist haben das Grundprinzip der Neuzeit zur Wahrheit gemacht. Um aber auch diese Wahrheit im Leben zu verwirklichen müssen sich jene beiden Momente derselben, die persönliche Freiheit und die sociale Gleichheit, wieder vereinigen. Ohne die absolute Gleichheit, ohne den französischen Communismus einerseits, andrerseits aber ohne die absolute Freiheit, ohne den deutschen Atheismus, kann weder die persönliche Freiheit noch die soziale Gleichheit eine wirkliche Wahrheit werden. So lange der Zustand der Gegensätzlichkeit und Abhängigkeit in der objektiven Welt noch Erkennung findet, so lange noch die Politik die Welt beherrscht, ist auch eine Befreiung derselben von den Fesseln der himmlischen Politik nicht denkbar. Religion und Politik stehen und fallen mit einander, denn die innere Unfreiheit der Geister, die himmlische Politik, stützt die äußere, und diese wiederum jene. So wie im Communismus, im Zustand der Gemeinschaft, keine Religion denkbar ist, weil sie, das Prinzip der Gegensätzlichkeit und Unfreiheit, nothwendig zur Negation des Com-munismus treibt – eben so ist umgekehrt im Atheismus, im Zustande der Geistesfreiheit, keine, Politik denkbar. Als Robespierre an die Stelle der gestürzten alten, compakten Politik das Phantom einer „freien Politik“ setzen wollte, mußte er vor allen Dingen dekretiren, daß der Convent die Existenz eines „höchsten Wesens“ anerkenne, d. h. er konnte das Phantom eines „Rechtsstaates“ nicht ohne das Phantom einer „Vernunftreligion“ ins Leben führen.

Gehen wir nun, nachdem wir das Wesen des französischen Communismus und seine innere Beziehung einerseits zum deutschen Atheismus, andrerseits zum Grundprinzip der modernen Welt aufgefaßt haben, an die Steinsche Darstellung dieser Erscheinung und sehen zu, was er aus dieser Erscheinung gemacht hat!

Stein fühlte, daß Socialismus und Communismus, wie sehr sie auch in mancherlei Beziehung und namentlich darin aus einander gehen, daß jener mehr eine Theorie ist, während dieser unmittelbarer ins praktische Leben eingreift, ferner, darin, daß der Socialismus sich im Grunde nur auf die Organisation der Arbeit bezieht, während der Communismus das ganze soziale Leben umfaßt und in ihm eine Radikalreform, die Aufhebung des Privateigenthums, so wie jeder Herrschaft erstrebt – er fühlte, sagen wir, daß trotz dieser Verschiedenheit in den Resultaten des Communismus und Socialismus doch das Grundprinzip beider identisch sei. Theils ihre gleichzeitige historische Entstehung und Fortbildung, theils ihre unverkennbare innere Beziehung zu einander, da sie beide ihr Hauptaugenmerk auf das Proletariat richten, mußte Stein nöthigen, einen gemeinsamen Grund für beide Erscheinungen zu suchen. Diesen Grund fand er nun in dem demokratischen Geiste, der sich schon vor der Revolution in Frankreich zeigte, mit ihr ins Leben trat, und in und nach derselben sich immer entschiedener ausbildete. Man muß diesem richtigen Instinkte Steins Gerechtigkeit widerfahren lassen. Ein Anderer hätte vielleicht, statt der Gleichheit, die Freiheit als das Prinzip der heutigen Geistesrichtung in Frankreich aufgestellt und durch diese irrige Auffassung gerade das Charakteristische, was Frankreich den allgemeinen Zeitbestrebungen und namentlich Deutschland gegenüber eigenthümlich ist, ganz aus den Augen verloren. Es ist ganz richtig: die Gleichheit ist das spezifische Element des modernen Frankreichs, und es war nicht zufällig, daß’ Philipp von Orleans sich den Namen Egalite beilegte. Daß aber dieser Grund nicht allein ausreicht, um die Erscheinungen im socialen Leben des heutigen Frankreichs zu erklären; daß es überhaupt kein letzter Grund, kein Prinzip, sondern nur ein Moment des großen Prinzips ist, welches die moderne Welt bewegt – wenn auch, wie wir bereits zugegeben haben, dieses bestimmte Moment gerade in „Frankreich prävalirt; – daß mithin die socialen Bewegungen Frankreichs seit der Revolution keinen zureichenden Grund in ihm haben: das hätte schon ein Blick auf das Wesen der Gleichheit selbst, die ohne Freiheit und Einheit gar nicht denkbar ist, dann aber wiederum ein Blick auf die Revolutionsgeschichte zeigen können, welche zwar die Egalite als ihren Mittel- und Schwerpunkt in den Vordergrund stellte, däneben aber auch die Freiheit und Einheit nie vergaß. Die Liberté, Egalité und Unité bilden überall in der Revolutionsgeschichte die heilige Trias, welche die Herzen entflammte in dem Kampfe gegen Unterdrückung, Ungerechtigkeit und Lüge aller Art. – Stein verschloß seine Augen gegen diese Erkenntniß, weil er sich überhaupt der ganzen Bewegung der Zeit gegenüber nicht als ein Erkennender verhält. Wir dürfen es eben nicht anders als einen glücklichen Instinkt nennen, wenn Stein gerade die Egalite so sehr betont; er fühlte sich von jener demokratischen Bewegung, in deren Mitte er sein Buch schrieb, gleichsam erdrückt – er athmete ihre Luft ein und diese Luft preßt ihm ängstliche Seufzer aus der Brust. Ja, Stein sieht den hereinbrechenden Sturm, der die Grundfesten der Gesellschaft erschüttern wird, voraus, aber nicht, weil er die geistigen Elemente kennt, sondern weil er mit ihnen, wie das Thier mit den natürlichen Elementen, in unmittelbarer Berührung steht; die Zukunft erleuchtet ihn daher auch nicht, sondern sie erschreckt ihn nur. Das „Prinzip“, von dem er spricht, hat, für ihn wenigstens, keinen soliden Boden; er hat es, wie gesagt, aus der Luft gegriffen oder vielmehr er ist von der Luft, die in Frankreich mit dem Elemente der Gleichheit geschwängert ist, ergriffen worden. – Das wahre Prinzip der französischen Geistesrichtung liegt tiefer. Die Wahrheit, die sich einerseits als subjektive Freiheit, andrerseits als objektive Gleichheit oder Gerechtigkeit manife-stirt, die Wahrheit, deren wesentliches Merkmal die Einheit, das ist das eigentliche Prinzip der französischen, wie der deutschen, modernen Geistesrichtung. Der gute Stein hat dieses Prinzip ganz und gar verkannt, deshalb erschien ihm die französische Geistesrichtung als eine einseitige. Einseitig ist sie allerdings, sie verfolgt eine bestimmte Seite der Wahrheit, die Seite der Gerechtigkeit, weil sie eben mehr zur That, als zur Idee berufen ist. Aber ein Irrthum ist darum diese Richtung keineswegs. Sie hat eine entschieden ausgesprochene Beziehung zu ihrem Gegensatze; sie ist sich dieser Beziehung bewußt, weil ihr eben das Mittelglied, die Wahrheit oder das Prinzip der Einheit nicht fehlt. Freilich schwebt nach Stein’s Darstellung die Egalité in der Luft; man weiß nicht, woher sie gekommen, daher auch nicht, wo es eigentlich mit ihr hinaus soll. Aber was kann Frankreich dazu, daß ein deutscher „Doktor der Rechte“ nicht zum Verständniß dessen kommen kann, was den französischen Geist bewegt? – Das ganze Stein’sche Buch ist im Grunde nichts als ein langer Seufzer – wie man deren so häufig von jenen vernimmt, die den positiven Gehalt unsrer modernen Bestrebungen nicht zu erfassen vermögen, und die dennoch über diesen Bestrebungen zu stehen vermeinen – die darum die „negativen“ Tendenzen der Zeit bejammern, weil sie nicht im Stande sind, ihren positiven Inhalt zu begreifen.

Der grobe Irrthum, zu dem Stein zunächst durch seine schiefe Auffassung des französischen Geistes fortgetrieben wird, besteht darin, daß er in dem Streben nach Gleichheit nur die rein äußerliche, materielle Richtung auf den Genuß hin erblickt. – Während er selbst den sogenannten Materialismus unsrer Zeit entschuldigt, indem er darin nur die erste Arbeit der abstrakten Persönlichkeit sieht, sich einen concreten Inhalt zu geben, findet er im Communismus nur das Streben des Proletariats, sich einen gleichen Genuß mit den Besitzern zu verschaffen. Es ist aber gerade einer der Hauptvorzüge des Communismus, daß in ihm der Gegensatz von Genuß und Arbeit verschwindet. Nur im Zustande des getrennten Besitzes ist der Genuß von der Arbeit unterschieden. Der Zustand der Gemeinschaft ist die praktische Verwirklichung der philosophischen Ethik, welche in der freien Thätigkeit den wahren und einzigen Genuß, das sogenannte höchste Gut erkennt – so wie umgekehrt der Zustand des getrennten Besitzes die praktische Verwirklichung des Egoismus und der Unsittlichkeit ist, welche einerseits die freie Thätigkeit negirt und sie zur Arbeit des Sklaven herabwürdigt, andrerseits an die Stelle des höchsten Gutes des Menschen den thierischerl Genuß setzt als das würdige Ziel jener eben so thierischen Arbeit. – Stein steckt noch mitten in diesen Abstraktionen von Arbeit und Genuß, während der Communismus längst darüber hinaus und – versteht sich, im Geiste seiner ersten Repräsentanten – bereits das geworden ist, was, er einst ta der Wirklichkeit sein soll: Die praktische Ethik. – Stein kennt den Communismus nur in seiner ersten, rohesten Gestalt; was seit Baboeuf mit der Idee des Communismus vorgegangen ist, die socialistischen Lehren St. Simons, Fouriers, Proudhons u.s.w. betrachtet er nicht als Entwickelungs- und Durchgangsstufen jener Idee, sondern isolirt als selbstständige Erscheinungen, deren Zusammenhang mit der allgemeinen Idee der Egalité er wohl ahnt, deren specielle Beziehung auf den Communismus ihm aber so wenig zum Be wußtsein gekommen ist, daß er z. B. Proudhon neben Lamennais gruppirt, und ihn, weil er eben nicht weiß, wo er ihn hinstellen soll, zu einem „nebengeordneten Schriftsteller“ macht! Ein Communist ist ihm Proudhon nicht, obgleich er das persönliche oder Privateigenthum in der schärfsten Weise kritisirt und negirt. Nach dem Bilde freilich, welches er, Stein, sich vom Communismus gemacht hat, kann Proudhon kein Communist sein, denn Proudhon ist wissenschaftlich! Er kann aber auch kein Socialist in dem Sinne Steinssein, denn er negirt ja das Privateigenthum. Ergo ist er ein „nebengeordneter Schriftsteller“! – Den eigentlichen Socialismus trennt Stein ganz und gar vom Communismus; er gibt eine magere Abstraktion von St. Simons und Fouriers Theorieen, die sich in bereits erschienenen deutschen Uebersetzungen und vereinzelten Darstellungen mindestens eben so gut vorfinden; aber vom wesentlichen Zusammenhang dieser und der communistischen Theorieen keine Spur. – Mit seiner armseligen Kategorie der Egalité glaubt er Alles abgemacht zu haben. Abgesehen hievon ist das ganze Buch eine ideenlose Compilation, ein Nebeneinanderaufstellen von St. Simon, Fourier, Leroux, Lamennais, Proudhon, Baboeuf, Capet u.s.w., welche alle in einer gewissen Ordnung, in Reihe und Glied, Mann neben Mann, wie preußische Kamaschenhelden aufgepflanzt stehen. – Nach der Einleitung hätte Stein seine Darstellung mit Baboeuf beginnen müssen. Diese erste Gestalt des Communismus ging unmittelbar aus dem Sansculottismus hervor. Die Gleichheit, welche Baboeuf im Auge hatte, war daher eine Sansculottengleichheit, eine Gleichheit der Armuth. Reichthum, Luxus, Künste und Wissenschaften sollten abgeschafft, die Städte zerstört werden; der Rousseau’sche Naturzustand war das Phantom, das damals in den Köpfen spuckte. Das große Feld der Industrie war diesem Communismus noch eine terra incognita. Es war der abstrakteste Communismus; die Gleichheit sollte auf negativem Wege, durch die Ertödtung jeder Lust erzielt werden. Es war ein mönchischer, ein christlicher Communismus, aber ohne Jenseits, ohne Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Nur die Naturbedürfnisse wurden als wirkliche anerkannt, aber gewiß auch nur aus Noth. Hätte man sich den Menschen ohne Leib machen können, so würde man auch diesen negirt haben. Da dies nicht anging, ließ man den Ackerbau bestehen als ein Mittel, die leiblichen Bedürfnisse zu befriedigen. Diese ärmste Gestalt des Communismus konnte ihr Leben nicht in der Theorie fristen, da sie selbst alle Wissenschaft negirte; sie mußte sogleich praktisch werden. Aber die Wirklichkeit war schon auf einer viel höhern Stufe, als dieser Naturzustand, weshalb er denn auch den Kürzern zog. – Die Ursachen, welche zur Zeit des Kaiserreichs und der Restauration die Entwickelung des demokratischen Geistes äußerlich hemmten, dagegen um so stärker im Innern der Gesellschaft den Gegensatz zwischen Bourgeoisie und Proletariat ausbildeten, wodurch eben jener Geist sich dergestalt kräftigte, daß er nach der Julirevolution in reichster Mannigfaltigkeit hervortreten konnte – werden von Stein mit einer Klarheit und Einfachheit nachgewiesen, die um so wohlthuender, je unerquicklicher im Uebrigen die doctrinäre Breite, verbunden mit häufigen Wiederholungen, dem Leser entgegentreten. Was den letztern Umstand betrifft, so wird z. B. der Zusammenhang des Communismus mit dem Proletariat bis zum Ueberdrusse wiederholt. Es ist dies die einzige lebensvolle Seite, welche Stein dem Commuhismus abzugewinnen vermag. Wo es sich dagegen um die Berechtigung der Ansprüche des Proletariats handelt, da schlüpft er mit einigen philosophischen Floskeln darüber hinweg, Und man sieht an der Haltungslosigkeit seines Raisonnements die Unfähigkeit, hier zu einem Verständniß zu gelangen. Dieses Verständniß konnte ihm freilich nur durch die Einsicht in den Zusammenhang des Comrnunismus mit dem Socialismus und der Wissenschaft aufgehen, eine Einsicht, die ihm, wie gesagt, ganz und gar mangelt.

Wie sich eigentlich Stein die Lösung des socialen Problems, dessen Wichtigkeit er anerkennt, — wie er sich die endliche Versöhnung des Proletariats und der Bourgeoisie oder des Gegensatzes von Geldaristokratie und Pauperismus denkt, läßt sich aus seinem Buche, wo zwar über diesen Punkt viel hin und her raisonnirt wird, nicht mit Bestimmtheit ersehen. So viel ist gewiß, im Communismus, den er nicht begreift, sieht er nur ein Schreckbild, aber keine Versöhnung. Er muß also eine Vermittlung der Gegensätze im Zustande der Gegensätzlichkeit für möglich halten. Er hat dies auch durch einige allgemein gehaltene Phrasen leise angedeutet und sich hiedurcht so wie andrerseits durch seine Polemik gegen die „negativen“ Tendenzen in Deutschland seinen Platz unter den „Vermittlern“ angewiesen. – In der That ist aber an Vermittelung der Gegensätze im Zustande der Gegensätzlichkeit nicht zu denken. Stein bringt zwar auch den trivialen Satz vor, daß ja, nachdem die Standesunterschiede aufgehört haben, ein Jeder sich Besitz erwerben könne; aber er erkennt es doch auch anderseits wieder an, daß dieses „Recht“ des Erwerbes nur ein illusorisches sei, da überall, wo der erworbene oder ererbte Besitz sich mit dem „Recht“ der abstrakten Persönlichkeit, mit dem Talent und der Arbeit verbindet, er nothwendig den Sieg über das bloße „Recht“, über das mittellose Talent davon tragen müsse. Es scheint, daß Stein einen Ausweg in der Aufhebung der Erblichkeit des Besitzes findet, obgleich er dies nirgends ausspricht. Es gibt aber hier, wie überall, wo es sich um Prinzipien handelt, keine Vermittlung zwischen zwei entgegengesetzten. Das Prinzip des Privateigenthums involvirt, daß Jeder mit dem Seihigen nach Belieben schalten und walten kann; ich kann mein Eigenthum vererben und verschenken, sonst ist es eben nicht mein Eigenthum, und ich werde es in der Regel meinen Kindern oder meinen nächsten Anverwandten oder auch meinen Freunden, aber nicht dem Staate, nicht dem Allgemeinen hinterlassen. Soll die Erblichkeit aufgehoben werden, wie es die St. Simonisten wollten, so ist eben damit das Privateigentum aufgehoben, und es kommt dann nur noch darauf an, das Wesen des Communismus zu begreifen. Baboeuf begriff dieses Wesen nicht, wie wir sahen. St. Simon begriff es ebenfalls nicht; er hatte nur die Ordnung, aber nicht die Freiheit im Auge; er wollte eine Hierarchie, die schlimmste aller Regierungsformen, weil die consequenteste. Wo aber die Freiheit vernichtet ist, kann auch keine Gleichheit, keine Gerechtigkeit bestehen. St. Simon wollte die Gleichheit ohne die Freiheit, Fourier dagegen wollte die Freiheit ohne die Gleichheit; wie jener zu neuerungssüchtig war und in seinem praktischen Eifer die Theorie vernachläßigte, so war dieser zu conservativ und wollte eine ganz neue und wahrhaft originelle Idee, jene der absolut freien Arbeit, mit dem Bestehenden vermitteln. Die neuesten Socialreformer und Communisten sind endlich dahin gelangt, den Begriff des Communismus in seiner ganzen Schärfe und Tiefe zu fassen. – Nur durch die absolute Freiheit, nicht nur der „Arbeit“ in dem engern, bornirtern Sinne, sondern jeder menschlichen Neigung und Thätigkeit überhaupt – ist auch die absolute Gleichheit oder vielmehr Gemeinschaft aller erdenklichen „Güter“ möglich, so wie umgekehrt nur in dieser Gemeinschaft wiederum jene Freiheit denkbar ist. Die Arbeit, die Gesellschaft überhaupt soll nicht organisirt werden, sondern sie organisirt sich von selbst, indem Jeder thut, was er nicht lassen kann, und unterläßt, was er nicht thun kann. – Zu irgend einer Thätigkeit, ja zu sehr verschiedenartiger Thätigkeit hat jeder Mensch Lust – und aus der Mannigfaltigkeit der freien menschlichen Neigungen oder Thätigkeiten besteht der freie, nicht todte, gemachte, sondern lebendige, ewig junge Organismus der freien menschlichen Gesellschaft, der freien menschlichen Beschäftigungen, die hier aufhören, eine „Arbeit“ zu sein, die hier vielmehr mit dem „Genuß“ durchaus identisch sind.

Von einer „Vermittelung“ des Communismus und des Prinzips des persönlichen Eigenthums kann keine Rede mehr sein. Von nun an beginnt der wahre, der bewußte Prinzipienkampf. Die bisherige Geschichte hat das Prinzip des persönlichen Eigenthums keineswegs rein durchgeführt; je mehr wir uns der Neuzeit nähern, desto mehr finden wir, daß jenes Prinzip seinem Gegner, dem Communismus, Concessionen macht. Die bisherige Geschichte war nur ein blinder, naturwüchsiger Kampf zwischen dem abstrakt Allgemeinen, dem Staate, und dem Egoismus der Einzelnen, der bürgerlichen Gesellschaft. Nur in der bürgerlichen Gesellschaft herrscht das Prinzip des persönlichen Eigenthums in seiner Reinheit. Das Eigenthumsrecht schlug aber mit dem Prinzip der abstrakten persönlichen Freiheit in sein Gegentheil um; das persönliche Eigenthumsrecht brachte zunächst die Sklaverei hervor. Es bedurfte der Arbeit von Jahrtausenden, um dem abstrakten Rechtsstaäte den Sieg zu verschaffen. Er selbst mußte sodann, weil er die bürgerliche Gesellschaft noch als feindlichen Gegensatz hatte, ebenfalls in sein Gegentheil umschlagen. Das Recht des Allgemeinen wird im Zustände der Gegensätzlichkeit und des Egoismus zum Unrechte Aller. Der Rechtsstaat, auf seiner höchsten Spitze angelangt, ist entweder das Recht des Einzelnen, der den Staat in sich concentrirt und von sich sagt: l’état c’est moi; oder er ist die Volkssouverainetät. Aber nicht nur in diesen beiden Formen, sondern auch in dem Zwitterding der „constitutionellen Monarchie“, in dem Jostemilieu zwischen Monarchie und Republik, hat der abstrakte Rechtsstaat sich bereits geschichtlich durch seine eigne Dialektik negirt. – Nehmen wir nur das Eine Beispiel, die Republik, weil diese noch der Liebling vieler deutschen Philosophen ist. Der Rechtsstaat soll also dem Volke die Souverainetät geben; aber indem er die abstrakte persönliche Freiheit, das persönliche Eigenthum, zu garan-tiren berufen ist, muß er, die abstrakte Einheit oder Allgemeinheit der verschiedenen Persönlichkeiten, sich über dieselben und ihnen gegenüber stellen. Es entsteht somit der Widerspruch, daß das Volk, welches sich selbst beherrschen will, in Regierer – Herrschaft – und Regierte – Knechtschaft – aus einander geht. Das Recht der Gesetzgebung, welches dem ganzen Volke gehören sollte, wird nothwendig nur von einem Theile desselben ausgeübt, und zwar jederzeit von dem Theile des Volkes, der es versteht, durch Gewalt oder List die Macht an sich zu reißen. – Die Höflinge oder Regierungsschmeichler haben in so fern Recht, wenn sie sagen, die Regierungsform im Staate sei ganz gleichgültig. Der positive Rechtsstaat, wie er in Nordamerika schon seit der letzten Hälfte des vorigen Jahrhunderts, in Europa seit der französischen Revolution theilweise besteht, ist allerdings ein Fortschritt über den feudalistischen, theokratischen und despotischen, d. h. über den noch mit der Naturbestimmtheit des Eigenthums, der Abstammung, Nationalität, Religion u.s.w. behafteten Staat, obgleich der Rechtsstaat, der ja ebenfalls die Naturbestimmtheiten noch nicht überwunden, sondern nur beseitigt hat, diesen bestimmten menschlichen Gesellschaften näher steht, als der absoluten menschlichen Gesellschaft, dem Communismus – wie ja auch der Protestantismus ein Fortschritt über den Katholizismus ist, obgleich er ebenfalls diesem näher steht, als dem Atheismus – und wenn ich die Wahl hätte zwischen Nordamerika und Rußland oder zwischen der französischen und österreichischen Politik, so würde ich erstere eben so gewiß, als die protestantische der katholischen Religion vorziehen. Aber prinzipiell ist die Regierungsform allerdings gleichgültig – jede ist der absoluten Freiheit und Gleichheit ihrem Wesen nach entgegen und von der Despotie bis zur Republik, von dem Erbkönigthum, das unmittelbar aus der bürgerlichen Gesellschaft hervorgegangen ist, bis zur Wahlregierung durch Stimmenmehrheit, die das Naturelement des persönlichen Eigenthums in der Staatsform überwunden hat, gibt es doch noch immer Herrschaft und Knechtschaft. Im besten Falle wird die kleinere durch die größere Zahl beherrscht. Aber das Repräsentativsystem, welches in unsern großen Staaten eine Notwendigkeit ist, macht es zu gleicher Zeit nothwendig, daß selbst bei dem radikalsten Wahlgesetz die Herrschaft der Majorität eine illusorische ist; sie schlägt nothwendig in die der Minorität um – die Minorität regiert, kann nur regieren. Aber diese hat auch nur eine illusorische Macht; sobald sie dem Volke fühlbar, d. h., sobald sie eine wirkliche Macht wird, wird sie gestürzt, um – das Spiel so lange zu wiederholen, bis der Staat, der Zustand der Gegensätzlichkeit, sich dialektisch vernichtet und dem einigen socialen Leben, dem Zustande der Gemeinschaft, Platz gemacht hat.

Einem Werke, das auf diese Weise die historische Entwik-kelung des Communismus darstellt; haben wir noch entgegen zu harren. Stein’s Buch läßt in dieser Beziehung nicht Vieles, sondern Alles zu wünschen übrig.

Wir wollen schließlich noch das Verhältniß Stein’s, als eines Hegelianers der Mitte, zum Communismus bezeichnen. – Stein ist ein politischer Rationalist, daher nicht nur in Bezug auf den politischen Atheismus, d. h. in Bezug auf den Communismus, sondern auch in Betreff des positiven Rechtsstaates, über welchem er nur scheinbar steht, zu einem klaren Urtheil unfähig und jeden Augenblick dem Mißgeschick ausgesetzt, in reaktionäre Tendenzen zu verfallen, weil er dem Phantom eines Rechtsstaates, dem „Vernunftstaate“ nachjagt, der nirgend als in dem Gehirne der politischen Rationalisten existirt, so wie die „Vernunftreligion“ nur eine Fiktion der religiösen Rationalisten ist. – Die Sache ist nämlich diese: Hegel hat den Staat als die wirkliche Vernunft aufgefaßt haben wollen. Als solcher umfaßt er nicht nur die Rechtssphäre, sondern das ganze Leben des Menschen. In dieser Auffassung fällt der Begriff „Staat“ mit jenem der absoluten menschlichen Gesellschaft zusammen. Die absolute menschliche Gesellschaft aber kann nicht an irgend einem bestimmten Orte oder in irgend einer bestimmten Zeit fixirt gedacht werden; das Leben der menschlichen Gesellschaft ist das Leben der Weltgeschichte. In der Weltgeschichte aber ist der Staat, aufgehoben. – Es erging Hegel mit dem Staate, wie mit der Religion; indem er Beiden das Absolute unterschob, um ihnen eine „ewige“ Basis zu geben, hob er sie eben damit auf. – Stein gehört nun zu denjenigen Hegelianern, die ihren Lehrer „mißverstanden“ haben, die noch von einem „absoluten“, von einem „vernünftigen“ Staate (und von einer „vernünftigen, absoluten“ Religion) träumen, und dadurch sich selbst eine Blöße und ihren Gegnern eine Waffe geben. – Man hat diese Hegelianer mit ihrem „Vernunftstaate“ verhöhnt und man konnte dies in der That mit demselben Rechte, mit welchem Bruno Bauer den „beinernen Esel Isaschar“ vom Standpunkte des Glaubens aus verhöhnt und vernichtet. – Die noch keine politische Atheisten, sondern politische Rationalisten sind, legen den Maßstab der Kritik nicht an den Staat überhaupt, sondern an diesen und jenen Staat, an diese und jene Regierungsform, und indem das Phantom eines „Vernunftstaates“ oder einer „vernünftigen“ Regierung noch in ihren Köpfen spukt, setzen sie die Abhängigkeit des Menschen in demselben Augenblick voraus, wo sie seine Selbstständigkeit, seine Freiheit in Anspruch nehmen. Ihre Liberalität ist eine Fiktion; sie sind nur in einer Sphäre liberal, die keine Wirklichkeit hat, keine Wirklichkeit haben kann. Der „Vernunftstaat“ ist entweder kein Staat, oder nicht die Wirklichkeit der Vernunft, denn diese negirt die Bestimmtheit des Eigenthums, der Religion, der Nationalität, der Regierung, kurz, den ganzen Inhalt des Staates, ohne welchen er eben überflüssig wäre; sie erkennt nur die absolute Freiheit des Menschen an, eine Freiheit, die nur in der absoluten, aber nicht in dieser oder jener, nicht in einer noch mit Naturbestimmtheiten behafteten, menschlichen Gesellschaft realisirbar ist. Da aber die rationalistischen Politiker eine solche bestimmte menschliche Gesellschaft, einen Staat als das Absolute setzen, so kommen sie nie zur Wirklichkeit der Vernunft. Wo sie aber zur Wirklichkeit des Lebens hinabsteigen, werden sie reaktionär. In dieser, d. h. in der Praxis, gibt es bis jetzt noch keine menschliche Gesellschaft, die ihrem Begriffe entspricht. Es gibt nur Staaten, d. h. Gesellschaften, die noch mit den erwähnten Naturbestimmtheiten behaftet sind. Als solche haben sie nicht den Beruf, die absolute Freiheit zu verwirklichen, sondern denjenigen Grad von Freiheit, denjenigen Grad von Vernünftigkeit, der ihrem Standpunkte entspricht. Denn es gibt allerdings höhere und niedere Stufen der Staats- oder Regierüngsform. Das Kasten- und Ständewesen ist z. B. gegenwärtig überwunden; wir haben wirkliche Staaten, welche die Naturbestimmtheiten als Staaten wenigstens, wenn auch noch nicht als menschliche Gesellschaften, überwunden haben; wir haben wirkliche Staaten, welche sich rein in der Rechtssphäre bewegen und Alles, was außerhalb derselben fällt, wie z. B. die Religion, die Abstammung, das persönliche Eigenthum, d. h. das Privatrecht, zwar nicht überwunden, aber doch, wie schon gesagt, beseitigt, d. h. als nicht zu ihrem Bereiche gehörig, von sich, dem Staatsrechte, getrennt haben; wir haben wirkliche Staaten, welche diese Trennung, z. B. von Staat und Kirche, als Prinzip aufstellen. – Die am weitesten fortgeschrittenen, modernen Staaten huldigen diesem Grundsätze; andere gibt es, wo diese freiem Prinzipien noch nicht ins Leben geführt, wo sie noch nicht wirklich, positiv, aber doch möglich sind, weil das Bewußtsein des Volkes diese liberalern Prinzipien bereits in sich aufgenommen hat. Die rationalistischen Politiker wollen aber von diesen liberalern Prinzipien nichts wissen; sie wollen ihren „Vernunftstaat“, und da dieser eine Fiktion ist, so wollen sie in der Wirklichkeit keine liberalen Prinzipien – und es darf uns daher keineswegs wundern, wenn einer von diesen Hegeischen (politischen) Rationalisten z. B. die Behauptung aufstellte, Protestanten, Katholiken und Juden hätten kein Recht, im Staate gleichgestellt zu werden, weil sie keine „vernünftigen“ Staatsbürger sein können, so lange sie keine Menschen, d. h. Atheisten, sondern eben noch Protestanten u.s.w. sind – oder auch, wenn diejenigen, die jetzt die „Lehrfreiheit“ in Anspruch nehmen, doch keineswegs Ernst damit machen und den Grundsatz der Trennung von Schule und Staat anerkennen möchten. Ueber diese und ähnliche reaktionäre Schritte brauchte man sich nicht zu wundern, denn die politischen Rationalisten wissen eben so wenig dem positiven Rechtsstaate, als der absoluten menschlichen Gesellschaft ihr Recht widerfahren zu lassen. Sie sind weder in der Theorie, noch in der Praxis, sondern, nur in der Fiktion ihres „Vernunftstaates“ liberal. Stein gehört noch obendrein auch in religiöser Hinsicht zu den Hegelianern der Mitte, und wir dürfen uns bei ihm am wenigsten wundern, daß er weder das Positive der gegenwärtigen Verhältnisse, noch die theoretische Wahrheit des Communismus zu erfassen vermag, sondern überall pure „Negation“ und „destruktive Tendenzen“ sieht und bejammert.




Fußnote

1. Siehe s. Buch: Der Socialismus und Communismus des heutigen Frankreichs. Ein Beitrag zur Zeitgeschichte von L. Stein, Dr. der Rechte. Leipzig, bei Otto Wigand.

 


Zuletzt aktualisiert am 4. April 2020