Bruno Bauer


Die Gattung und die Masse

(September 1844)



Die Gattung und die Masse: Allgemeine Literaturzeitung, Monatsschrift, hg. v. Bruno Bauer, Charlottenburg (Verlag v. Eckbert Bauer) September 1844 (Nr. 10); S. 42-4.
Abgedruckt in Bruno Bauer, Feldzüge der reinen Kritik, Nachwort von Hans-Martin Sass, Frankfurt/M, Suhrkamp Verlag, 1968, S. 213-223.
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Um doch etwas Großes zu haben, hat man neuerlich die Masse auf das Schild gehoben.

Man will sie zu sich heraufheben: als ob sie dann wunder wie hoch, als ob sie dann aus ihrem Element, der Massenhaftigkeit, der unorganischen Form der Menge herausgehoben würde! Es ist derselbe Fall wie mit den Juden vor zwei Jahren, von denen man auch behauptete, daß sie ohne Weiteres das Geschenk der Freiheit in die Hand nehmen könnten, weil man mit ihnen noch dieselben Vorurteile gemeinschaftlich hegte. Man entzieht die Masse der Kritik, weil man ihr sich selbst entziehen möchte; man benutzt sie als Mittel gegen den Geist; man macht sie zum Gegenstand eines Kultus, um eine neue Beschönigung für alten Egoismus zu haben.

Die Masse, sagt man, hat keine Vorurteile – ihre Vorurteile sind vielmehr die dumpfesten, da die Atome, die zu ihr gehören, nicht den großen Bewegungskreis haben, in welchem die atomistischen Punkte der obern, leitenden Menge umhergetrieben werden und Übersicht, Vergleichungskraft, die Fähigkeit gewinnen, ihre Irrtümer zu berichtigen und selbst zum Bewußtsein ihres Egoismus zu gelangen.

Die Masse in ihrer Bestimmtheit als Proletariat ist das Abbild und das Resultat vom Verfall des Gegensatzes, der ihr gegenübersteht – ihr unorganischer Haufe ist nur möglich, wenn die gemeinsamen, Standesinteressen in das reine Interesse, in die Unendlichkeit der konkurrierenden Interessen sich aufgelöst haben. Hüben wie drüben, oben wie unten herrscht also die Vereinzelung: wenn dieselbe aber oben, in den weiteren Kreisen der gesellschaftlichen Bewegung selbst wider ihren Willen sich in Kombinationen fügen muß, welche die vereinzelte Arbeit zu einer Art von System verbinden und ihr den Anschein des Gedankens und der Spekulation geben, ist sie unten auf eine besondere, unveränderte Beschäftigung und Hantierung sinnlich beschränkt und die Möglichkeit einer Art von Vergeistigung ihr genommen. Der Sklave der reinen Handarbeit hat nicht einmal die Ahnung der geistigen Sklaverei der allgemeinen Konkurrenz, er fühlt nur elementarisch ihren Druck, ohne sich ihn deuten und erklären zu können – was er nicht ahnden, sich nicht zum Bewußtsein bringen kann, ist er auch nicht imstande zu bekämpfen.

Nun, dann muß der Geist, der sich im Kampf der oberen Interessen entwickelt und doch vielleicht noch endlich den Plan einer Ordnung finden wird, in welcher alle Interessen befriedigt werden und keines mehr die Schlachtopfer seiner egoistischen Vereinzelung verlangt, die Menge von der Wahrheit seiner Ideen überzeugen – er muß ihr den Kampf ersparen – er wird sie ruhig und sicher auf den Standpunkt der allgemeinen Arbeit erheben, und sie wird sich leicht und gern von den Fesseln der beschränkten, sich ewig wiederholenden Handarbeit befreien lassen.

So? Wenn jene Idee – sie mag sein, welche es wolle – von vornherein nicht ohne Kampf möglich ist, wenn sie nur aus der Reibung der großen und geistigen Interessenmassen hervorgehen kann, aus einer Reibung, die einen ungeheuren Zusammenstoß herbeiführen muß, so soll die Masse ohne Widerstreben von ihrer Wahrheit sich überzeugen lassen? Nur oben soll Kampf und unten wird lauter Friede sein? Nur oben, wo das Bewußtsein des Zwiespalts die Geister angespannt erhält und allerdings auch nur eigentlich gekämpft werden kann, wird die Sache abgemacht, und unten wird sie von vornherein als ausgemacht gelten und willkommen geheißen werden? Unten ist vielmehr ein Kampf nur schwer einzuleiten, aber nicht unnötig, nicht unmöglich – nur deshalb hat man an einen Kampf mit der Masse nicht gedacht, weil man die neue Wendung des Kampfes, die nach dem Verfall der Parteien eingetreten ist, nicht kennt und nicht kennen kann – kurz, weil man von der „Höhe der Partei“ selbst zur Masse herabgesunken ist und sich selbst es doch nicht zugestehen darf, daß man die Wahrheit, falls sie nur dargeboten wird, nicht annehmen werde.

Indessen ist der Kampf längst eingeleitet; man hat ihn längst, ohne es fast zu merken, angenommen, und auch die Menge, die man als eine Gemeinde von vorurteilslosen Tugend-Märtyrern zur Anerkennung bringen möchte, wird die Stellung einnehmen, die ihr gebührt. Als Resultat von der Geistlosigkeit des Zustandes, den sie in matter und verworrener Gestalt widerspiegelt, wird sie diese Geistlosigkeit auch tatsächlich gegen die Entwicklung richten. Sklave ihrer Ratlosigkeit, Trägheit, Furcht und Beschränkung auf den Punkt, an welchen sie ihr Bedürfnis und ihre Arbeit fesselt, ist sie zunächst für eine allgemeine Idee sehr schwer zugänglich – die Verbündeten aber, die sie nach dem Fall der Parteien gewonnen hat, werden ihrer Furcht eine größere Kraft geben, ihrer Trägheit auf die Beine helfen, ihren Haß gegen den Geist in Bewegung setzen. Die Masse als solche ist eine Erscheinung, die erst eintreten konnte, nachdem die spezifischen Unterschiede, in welchen sich die Gattung bisher dargestellt hatte, erblaßt waren. Sie ist der Verfall der Gattung in die Menge der einzelnen Atome, die Auflösung der besonderen Schranken, welche die Individuen bisher zwar trennten, aber auch verbanden und in eine mannigfaltige Beziehung setzten; sie ist ein bloß elementarischer Stoff, der Niederschlag einer zersetzten organischen Gestalt. Wie wäre es also, wenn man den Versuch machte, die Gattung wieder zur Anerkennung zu bringen und die erschlafften, die in ihrer Mattigkeit haltlos und zügellos gewordenen Individuen dadurch wieder zu stärken, also auch zu vereinigen, daß man ihnen in der Gattung eine höhere und ihnen allen gemeinsame Macht zeigt? Sollte die Masse nicht wieder aufzuheben, die Gattung nicht zu restaurieren sein?

In derselben Zeit, als man in Frankreich Systeme schuf zur Organisation der Masse, wurde jener Versuch, die Gattung wieder zu allen ihren Ehren zu bringen, von einer Richtung der deutschen Kritik unternommen – von der Richtung, welche Feuerbach eingeschlagen hatte.

Dieser Kritiker geht davon aus, daß die Religion, deren „Wesen“ er erklären will, den Begriff der Gattung erschüttert hatte, indem sie die Seligkeit des Einzelnen zum Zweck jener Ordnung machte, die schon vor der Schöpfung der Welt im ewigen Ratschluß entworfen war. Dagegen müsse der Mensch sich wieder seinem „Maß, Gesetz und Kriterium“ unterwerfen. Dies „absolute Maß“ ist das Maß der Gattung. „Was ich denke im Maß der Gattung, das denke ich, wie es der Mensch überhaupt nur denken kann und folglich der Einzelne denken muß, wenn er normal, gesetzmäßig und folglich wahr denken will“. „Wahr ist, was mit dem Wesen der Gattung übereinstimmt.“ „Der Mensch kann und soll sich nur erheben über die Schranken seiner Individualität, aber nicht über die Gesetze, die positiven Wesensbestimmungen seiner Gattung; der Mensch kann kein anderes Wesen als absolutes Wesen denken, vorstellen, fühlen, glauben, wollen, lieben und verehren als das Wesen der menschlichen Natur.“ Was ist nun das Wesen, die „eigentliche Menschheit im Menschen“? „Die Vernunft, der Wille, das Herz.“ „Vernunft, Liebe, Willenskraft sind die Vollkommenheiten des menschlichen Wesens, ja absolute Wesensvollkommenheiten, die höchsten Kräfte, das absolute Wesen des Menschen als solchen, der Grund seines Daseins. Sie sind göttliche, absolute Mächte, die sein Wesen, welches er weder hat noch macht, konstituierenden Mächte.“

Dann sind sie aber vielmehr seine Schwäche. Das Wesen, welches er nicht macht – das Wesen, welches sich seiner schöpferischen Kraft entzieht oder welches vielmehr die Voraussetzung ist, daß er für seine höchsten, ja für seine eigenen Menschlichen Angelegenheiten keine hervorbringende Kraft habe –, ist vielmehr der Ausdruck seiner Ohnmacht. Das eigentlich menschliche in ihm wäre demnach eine Schranke, die ihm sogar unerreichbar ist, und seine Vollkommenheiten, die ihm als Hypostasen oder als Dogmen gegenüberstehen, könnten höchstens nur der Gegenstand eines Kultus und eines Glaubens sein, welchen die absolute Unvollkommenheit nötig macht, zu der sie ihn von ihrem jenseitigen Thron aus verdammen. Dasjenige Verhältnis, welches er kritisieren wollte, hat Feuerbach im Wesen bestehenlassen. In der Form der Substanz ist es nur noch fester geworden. Indem er es zu dem Verhältnis des menschlichen Wesens zu dem Menschen umgewandelt hat, hat er es nur noch härter gemacht.

Wenn nämlich, wie Feuerbach als Axiom hinstellt, „jedes Wesen sich selbst genug ist, kein Wesen sich, d. h. seine Wesenheit negieren kann, kein Wesen sich selbst ein beschränktes, jedes vielmehr in sich und für sich unendlich ist“, so ist dem Menschen sein Wesen eine Madu, die er der Kritik nicht unterwerfen darf, nicht einmal unterwerfen kann. Er ist sich mit seinem Wesen nur deshalb unendlich und selbst genug, weil er wie die Raupe, die sich in demselben Sinne selbst genug und unendlich ist, seine Schranke nicht erreichen kann, oder mit andern Worten, weil seine Schranke ihn so fest einschließt, daß diesseits und jenseits derselben sein Denken und Wollen untergegangen ist. Diese Selbstbespiegelung des Menschen, der in seinem Wesen seine Unendlichkeit anschaut, aber eine Unendlichkeit, die seinem Einfluß und seiner Tätigkeit schlechthin entzogen ist, eine Unendlichkeit, die ihn und die nicht er hat, muß zur Resignation, Apathie und Ergebung in die bestimmte Beschränktheit führen, die jedem Einzelnen zugemessen ist. Die Gattung ist nur dadurch wiederhergestellt, daß die Schmerzen der Auflösung lautlos gemacht, die brutalen Triebe der Masse äußerlich gefesselt und die Widersprüche, in welche sich die Geschichte verlaufen hat, vertuscht sind. Das Wesen hat die Gebrechen nicht heilen können – zum Ersatz breitet es seinen Mantel über die Wunden aus. Es ist umsonst. Die Verzweiflung stößt die Hülle hinweg. Die Selbstsucht will sich nicht zufriedengeben, und die Heilkraft, die noch vorhanden ist, will sich nicht unterm Totenmantel ersticken lassen.

Was Feuerbach fordert, ist ein Kunstwerk, ein Schein, der einen Augenblick ausdauern und als persönliche Virtuosität einmal erscheinen kann, aber vor der Glut der Leidenschaften, die die Wirklichkeit bewegen, verschwindet.

Liegt es nicht gerade im Begriff der Gattung, daß sie sich in spezifischen Unterschieden zur Erscheinung bringt? Ist es nicht die Macht der Gattung, die jene Abstufung der Kräfte und Gaben erzeugt, aus welchen endlich der allgemeine Kampf aller Einzelnen hervorgeht? Ist es nicht die Ohnmacht der Gattung, daß zahllose Keime in der Geburt erstickt werden und eine Menge Individuen nur eine verkümmerte Existenz gewinnen? Ist das erwachende Bewußtsein der Schwachen und Krüppel nicht bereits ein Zweifel an der Gattung, das Erlöschen der spezifischen Unterschiede nicht ein Zeichen von der Erschöpfung der Gattung? Ist die Geschichte, die endlich kritisch betrachtet wird, nicht der Beweis, wie weit es die Gattung als solche bringt, und die Kritik der Beweis, daß das Wesen, welches sich in dieser Geschichte dargestellt hat, eine Bestimmtheit ist, die den Menschen keineswegs so umschließt, wie das Wesen der Raupe diesem kriechenden Dinge das Blatt zur einzigen und höchsten Welt macht?

„Ergebung! Resignation!“ sagt Feuerbach dagegen, wenn auch mit andern Worten.

Er sagt: „wer etwas Tüchtiges in seinem Stande, seiner Kunst ist, wer, wie man im Leben sagt, seinen Posten ausfüllt, mit Leib und Leben seinem Berufe ergeben ist, der denkt sich auch seinen Beruf als den höchsten und schönsten. Wie sollte er in seinem Geiste verleugnen, in seinem Denken erniedrigen, was er durch die Tat zelebriert, indem er mit Freuden demselben seine Kräfte weiht? Muß ich dennoch, so ist meine Tätigkeit eine unglückliche, denn ich bin zerfallen mit mir selbst. Arbeiten ist Dienen. Wie kann ich aber einem Gegenstande dienen, wenn er mir nicht im Geiste hochsteht?“ Die bestimmte Arbeit muß aber hoch stehen, fährt Feuerbach fort, weil sie zugleich Arbeit und Sein für die Gattung ist. „Wer daher in dem Bewußtsein der Gattung als einer Realität lebt, der hält sein Sein für Andere, sein öffentliches, gemeinnütziges Sein für das Sein, welches eins ist mit dem Sein seines Wesens.“ Der bestimmte Beruf aber, den der Arbeiter schon als solchen für den höchsten und schönsten hält, ist seine Schranke, die ihm die Aussicht auf die übrige Gesamtarbeit der Gattung versperrt und die Vergleichung mit den Leistungen anderer erschwert. Wenn Arbeiten ferner Dienen ist – und gewöhnlich verliert die Arbeit den Charakter des Kampfes und der Beherrschung kann es nicht zur Sklaverei werden, zur Sklaverei unter dem sinnlichen und einzelnen Bedürfnis und zur Sklaverei des beschränktesten Mechanismus? Der Gedanke an die Gattung soll für diesen Mechanismus der niedrigsten Art trösten, und ist es nicht gerade die Gattung, die Arbeiten nötig macht, welche den Gedanken eines weiteren Zusammenhanges und einer höheren Allgemeinheit ersticken? Erwacht dagegen die Kraft der Vergleichung der beschränkten Arbeitssphäre, in welche der Sklave mit seiner besten Kraft gebannt ist, und eines höheren Lebenskreises – führt diese Vergleichung, wenn sie richtig verfolgt wird, nicht zu einer Kritik des Gattungswesens, welches diesen Zwiespalt bedingt?

Soll das Gefühl des Unglücks und der Zerfallenheit wiederum so beseitigt werden, daß es im Feuer der Arbeit zur Vergessenheit gebracht wird?

Es gibt bekanntlich Insekten, die mit dem Blatt, welches sie nährt und ihre Welt bildet, so gleichfarbig und gleichgebildet sind, daß sie kaum von ihm unterschieden werden. Mit solchen Blattinsekten, zu welchen die Arbeiter nach Feuerbach werden müßten, um jedem Gefühl des Zwiespalts zu entgehen, hat Fourier die Welt bevölkern wollen. Es ist nicht zu leugnen, sagt man auf einer andern Seite, die Haushaltung der Gattung hat bisher so viele Opfer in ihrem Gefolge gehabt, weil sie nicht recht mit Bewußtsein geführt wurde. Die Arbeit ist notwendig, aber sie war bisher sich selbst überlassen, und sie mußte sich in ihrer Isolierung abäschern; die Ausgleichung des Bedürfnisses und der Produktion war nicht erreichbar, weil sie demselben Zufall überlassen war, welcher in der Natur z. B. bestimmt, wie viel Keime zur Erhaltung einer Spezies den tausend Arten von Zerstörung entgehen sollen. Die Regierung, sagt daher eine Fraktion derjenigen, die für die „Organisation der Arbeit“ sprechen, muß als die höchste Ordnerin der Produktion auftreten. Man bekleide sie mit einer größeren Gewalt, damit sie kraft ihrer Weisheit und Übersicht das wieder gut mache und für die Zukunft verhüte, was der elementarische Kampf der verschiedenen Spezies der Gattung bisher Verderbliches zur Folge gehabt hatte. Man gebe ihr die Mittel, damit sie die Konkurrenz der kleinen isolierten Kapitale durch ein Kapital, welches alle anderen zu verschlingen imstande ist, vernichte.

Dieser Vorschlag ist aus der Verzweiflung hervorgegangen, die der Gattung auch in der jetzigen Krisis nicht mehr die Kraft zutraut, daß aus dem Kampf der konkurrierenden Mächte freiatmende menschliche Gestalten hervorgehen könnten. Den letzten Rest von Selbständigkeit will diese Ansicht in eine Region zusammentun, in welcher das Denken, Wollen und die ordnende Kraft fortan allein ihren Sitz haben, die also die isolierte Spitze über der ungeheueren Ebene der arbeitenden Gesellschaft bilden soll.

Vernunft, Wille und Charakter bleiben auch nach dieser Ansicht die jenseitigen Mächte, die sie z. B. auf dem Standpunkt Feuerbachs sind. Sie bilden das Wesen einer Gesellschaft, welche dieses Wesen weder hat noch macht, sondern rein und allein von ihm konstituiert wird. Das Gattungsverhältnis ist geblieben und nur einengender geworden, da die allgemeine Macht der Gattung sich zu einer Behörde organisiert hat, welche den Versuch der Arbeiter-Sklaven, sich um etwas mehr als das ihnen zugewiesene Arbeitspensum zu bekümmern, auf das strengste ahnden müßte.

Vom Geist und Selbstbewußtsein weiß dieser Vorschlag nichts – nichts wenigstens, so weit es nicht darauf ankommt, jener industriellen Behörde die anordnende Klugheit und die List, die zur Vernichtung aller Konkurrenz nötig ist, als Prärogativ zuzuweisen.

Ist denn aber die einzelne und einzeln bleibende Arbeit die Bestimmung, die der unendlichen Majorität, ja der gesamten Menschheit – die industriellen Behörden ausgenommen, die aber auch nur mit dem Summieren und Verteilen der einzelnen Arbeit beschäftigt bleiben – gegeben ist? Kommt es nicht vielmehr darauf an, die niederdrückende und vereinzelnde Kraft der Arbeit aufzuheben? Ist nur die Konkurrenz der Kapitalien und der Arbeit zu schlagen? Hat der Geist nicht auch die Kraft, zu konkurrieren, und wenn er in dieser Krisis der Gattung eingeschlummert sein sollte, wird ihn der vermehrte Druck der Arbeit nicht um so mehr erwecken?

Die Ermattung, die auf die Illusionen der Aufklärung gefolgt ist, macht die Ausbildung einer unbeschränkt gebietenden. und, alles Denken und Wollen umfassenden industriellen Behörde, wie sie der erwähnte Vorschlag im Sinne hat, sehr wahrscheinlich, ja gewiß. Die Kritik bringt die aufgeklärten Biedermänner, die bereits die ganze Welt erkannt hatten, also auch der Herrschaft vollkommen gewiß waren, um ihr illusorisches Selbstgefühl, und sie ruft zugleich die Reaktion hervor, die allgemein und umfassend werden muß, da sie sich durch die irregewordenen Aufklärer verstärkt, welche die Kritik ihr in die Arme und zu Füßen wirft. Die Konkurrenz führt zu einseitigen Ansammlung von Kapitalien, die sich zuletzt einem einzigen werden unterwerfen müssen, und die Masse, die nichts Höheres kennt als ihre sinnliche Existenz – wird sie zögern, sich dem Kapital zu unterordnen, welches ihr Beschäftigung und das Leben sichert?

Die Konkurrenz ist dann vereinfacht – das Selbstbewußtsein wird sich mit seinem konzentrierten, spezifischen Gegensatz, dem Vorrecht, der vollendeten Reaktion ins reine setzen. Die Sache nimmt dann eine neue, eine reine Wendung. Eine andere Hypothese – die des französischen Kommunismus – führt zu demselben Ziel. Wenn die Konstituierung jener industriellen Behörde von der Voraussetzung ausgeht, daß die in der Konkurrenz sich selbst bekämpfende und vollends entnervende Masse nicht mehr die Kraft habe, sich selbst zu helfen, so geht die kommunistische Ansicht von einem Dogma aus, welches ausschließlicher ist als alle Dogmen, die jemals den Menschen geleitet haben – vom Dogma, daß „die Arbeiter alles hervorbringen, also auch ein Recht auf alles haben“. Nach dieser Ansicht ist es nur ein Teil des Organismus, welcher leidet, und befindet sich das ganze übrige System – diesen einen Teil ausgenommen – im vollkommensten Wohlergehen: dieser sonderbaren pathologischen Ansicht entspricht dann das Heilverfahren: der leidende Teil soll dadurch geheilt werden, daß eine tüchtige Amputation vorgenommen und der ganze übrige Organismus von ihm abgesondert wird. Das Radikalmittel besteht darin, daß alles außer der Masse der nützlichen Arbeiter negiert und durch seine Negation ersetzt wird. An die Stelle des Staats tritt kurzweg der Nicht-Staat, an die Stelle der Regierung die Regierungslosigkeit, und die Einheit, Bruderliebe, Freiheit, und Gleichheit treten an die Stelle der amputierten Unterschiede – aber nur für einen Augenblick, nur als Chimäre, denn diese rohe Negation ist gezwungen, sich sogleich ebenso roh wieder aufzuheben und diese Heilmethode als erfolglos bloßzustellen. Die Masse von freien Brüdern kann ihre Freiheit und Gleichheit nur durch eine Verfassung sichern, die „dem Prinzip nach alle Fragen entscheidet, welche die Nahrung, Kleidung, Wohnung, Ehe, Familie, Arbeit betreffen“ – kurz, durch eine Verfassung, die die Freiheit auch in den kleinsten Dingen aufhebt. In dieser Gesellschaft wird es nur deshalb „keine Verbrechen und Prozesse geben“, weil sie aus Wesen besteht, die keinen Willen mehr haben. Die Einheit der Gesellschaft wird nicht mehr gestört, weil es nur ein Dogma in ihr geben wird und dieses Dogma als Ausdruck der ganzen Wahrheit alle Brüder in gleicher Weise beherrscht. Denn „die Wahrheit ist unteilbar, sie allein darf die Vernunft der Menschen leiten, und darum muß man sie ganz und allenthalben auf eine passende Weise verkünden“. Die Seligkeit dieser neuen Brüdergemeinde wird endlich vollends durch den Gedanken des Widerspruchs, der im Begriff der Gattung liegt, aufgehoben. Die massenhafte Vereinigung der arbeitenden und einem ausschließlichen Dogma wie einer despotischen Verfassung unterworfenen Atome tröstet sich nämlich vergeblich mit dem Satze: „dem Menschen ist nichts angeboren, weder Idee noch Geschmack noch Neigung noch Geschicklichkeiten, weil man sonst annehmen müßte, daß es zwei verschiedene menschliche Gattungen gebe“ – sie kann es sich nicht verbergen, daß ihre Existenz nur durch die Ausschließung des Geistes möglich ist und also die Unterschiede der Gattung voraussetzt und wider ihren Willen anerkennen muß. Der Widerspruch der Gattung – die Unterbrechung der Einheit durch den spezifischen Unterschied – erhält sich also auch in diesem Reich der unterschiedslosen Masse, in welche die Gattung zusammengesunken ist – er erhält sich als eine drohende Gewalt, als eine notwendige Ergänzung, ja als eine Bestimmtheit der Masse, die das Wesen der Gattung nicht verleugnen kann.

Alle diese Versuche endigen also in einem unausbleiblichen Krieg der Menge gegen den Geist und das Selbstbewußtsein, und die Bedeutung dieses Krieges ist keine geringere als die, daß in ihm die Sache der Kritik gegen die Gattung entschieden wird.



Zuletzt aktualisiert am 20.5.2009