Bruno Bauer


Die Fähigkeit der heutigen Juden und Christen, frei zu werden

(1843)



Die Fähigkeit der heutigen Juden und Christen, frei zu sein: einundzwanzig Bogen aus der Schweiz, hg. v. Georg Herwegh, Zürich u. Winterthur 1843, S. 56-71.
Abgedruckt in Bruno Bauer, Feldzüge der reinen Kritik, Nachwort von Hans-Martin Sass, Frankfurt/M, Suhrkamp Verlag, 1968, S. 175-195.
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Die Emanzipationsfrage ist eine allgemeine: Juden wie Christen wollen emanzipiert werden. Wenigstens muß und wird die Geschichte, deren Endzweck die Freiheit ist, darauf hinarbeiten, daß beide, sowohl Juden und Christen, in dem Verlangen und Streben nach Emanzipation zusammentreffen, da zwischen beiden kein Unterschied vorhanden ist und vor dem wahren Wesen des Menschen, vor der Freiheit, beide in gleicher Weise sich als Sklaven bekennen müssen. Der Jude wird dazu beschnitten und der Christ getauft, damit sie beide ihr Wesen nicht in der Menschheit sehen sollen, vielmehr der Menschheit entsagen und sich als Leibeigene eines fremden Wesens bekennen und zeitlebens, in allen Angelegenheiten ihres Lebens, aufführen.

Wenn wir sagen, beide müssen in dem Verlangen nach Emanzipation zusammentreffen und sich vereinigen, so wollen wir damit nicht etwa den Gemeinsatz aussprechen, daß die vereinte Kraft stärker ist als die zersplitterte, noch viel weniger den Satz, daß die Bewegungen und Diskussionen, zu denen das Verlangen der Juden nach Emanzipation Anlaß gegeben hat, dazu gedient hätten, auch in den Christen das Verlangen nach Freiheit zu erwecken, oder gar, daß die Christen auf die Agitation und Hilfe der Juden rechnen müßten und dürften, wenn sie sich würdig machen und von der Bevormundung, in der sie bisher gelebt haben, befreien wollten: sondern einzig und allein wollen wir damit sagen, daß das Werk der Emanzipation, aber der Emanzipation als solcher, der Emanzipation überhaupt, erst möglich ist, aber auch gewiß ausgeführt werden wird, wenn allgemein anerkannt ist, daß das Wesen des Menschen nicht die Beschneidung, nicht die Taufe, sondern die Freiheit ist. Wir beabsichtigen vielmehr in diesem Augenblicke, zu untersuchen, in welchem Verhältnisse die Juden zu dem Endzweck stehen, welchen die Geschichte sich mit der Entschiedenheit des „entweder – oder“, also so, daß es heißt: „jetzt oder nie“, zu setzen beginnt, ob sie dazu beigetragen haben, daß die Geschichte zu dieser Entschiedenheit Mut gefaßt hat, ob sie der Freiheit näher stehen als die Christen, oder ob es ihnen noch schwerer fallen muß als diesen, freie Menschen und zum Leben in dieser Welt und im Staate fähig zu werden. Berufen sich die Juden auf die Trefflichkeit ihrer religiösen Sittenlehre, d. h. ihres geoffenbarten Gesetzes, um zu beweisen, daß sie fähig seien, gute Bürger zu werden, und ein Recht auf die Teilnahme an allen öffentlichen Staatsangelegenheiten hätten, so hat für den Kritiker dieses ihr Verlangen nach Freiheit keine andere Bedeutung als das Verlangen des Mohren, weiß zu werden, oder noch weniger Bedeutung: es ist das Verlangen, unfrei zu bleiben. Wer den Juden als Juden emanzipiert wissen will, nimmt sich nicht nur dieselbe unnütze Mühe, als wenn er einen Mohren weiß waschen wollte, sondern er täuscht sich selbst bei seiner unnützen Quälerei : indem er den Mohren einzuseifen meint, wäscht er ihn mit einem trockenen Schwämme. Er macht ihn nicht einmal naß.

Gut! sagt man, und der Jude sagt es selbst, der Jude soll auch nicht als Jude, nicht weil er Jude ist, nicht weil er ein so treffliches, allgemein menschliches Prinzip der Sittlichkeit hat, emanzipiert werden, der Jude wird vielmehr selbst hinter den Staatsbürger zurücktreten und Staatsbürger sein, trotz dem. daß er Jude ist und Jude bleiben will; d. h. er ist und bleibt Jude, trotz dem, daß er Staatsbürger ist und in allgemein menschlichen Verhältnissen lebt: sein jüdisches und beschränktes Wesen trägt immer und zuletzt über seine menschlichen und politischen Verpflichtungen den Sieg davon. Das Vorurteil bleibt trotz dem, daß es von allgemeinen Grundsätzen überflügelt ist. Wenn es aber bleibt, so überflügelt es vielmehr alles andere.

Nur sophistisch, dem Scheine nach, würde der Jude im Staatsleben Jude bleiben können; der bloße Schein würde also, wenn er Jude bleiben wollte, das Wesentliche sein und den Sieg davontragen, d. h. sein Leben im Staat würde nur Schein oder eine momentane Ausnahme gegen das Wesen und die Regel sein. Die Juden haben sich z. B. darauf berufen, daß ihr Gesetz sie nicht daran gehindert habe, in den Befreiungskriegen mit den Christen gleiche Dienste zu leisten und auch am Sabbath zu fechten. Es ist wahr, sie haben, trotz ihrem Gesetze, Kriegsdienste geleistet und gefochten; ihre Synagoge und der Rabbiner haben ihnen sogar ausdrücklich die Erlaubnis gegeben, sich allen Verpflichtungen des Kriegsdienstes zu unterziehen, auch wenn sie mit den Geboten des Gesetzes in Widerspruch ständen; damit ist aber auch ausgesprochen, daß die Arbeit oder Aufopferung für den Staat am Sabbath diesmal nur ausnahmsweise gestattet sei, und die Synagoge und diese Rabbiner, die in diesem Falle einmal die Erlaubnis ausnahmsweise gegeben haben, stehen im Grunde über dem Staate, der diesmal nur eine prekäre Vergünstigung erhält, die ihm nach dem obersten, dem göttlichen Gesetze eigentlich nicht gewährt werden dürfte. Ein Dienst, der dem Staate mit einem Gewissen geleistet wird, welches in ihm eigentlich eine Sünde sehen sollte, und diesmal nur darum keine Sünde sieht, weil der Rabbiner Dispens gegeben und gesagt hat – was er aber ein andermal nicht zu sagen braucht, weil er es eigentlich niemals sagen dürfte –, daß es diesmal keine Sünde sei, diesen Dienst zu leisten: ein solcher Dienst ist unsittlich, weil ihn das Gewissen desavouiert; er ist prekär, weil ihn das Gesetz verbietet, also auch jeden Augenblick wirklich verbieten kann, und müßte also auch in jedem sittlichen Gemeinwesen desavouiert werden. Nur eine Zeit, die über sich selber unklar ist, kann ihn für etwas Besonderes ausgeben: eine Zeit, die endlich einmal wieder ganze und volle Menschen kennt und haben will, wird ihn als eine tausendfache Heuchelei zurückweisen, und diejenigen, die von ihm viel Rühmens machen, wenn sie sich nicht von der Hohlheit ihrer Sache überzeugen wollen, nur als unglückliche Überbleibsel und Opfer einer innerlich durch und durch falschen Vergangenheit bemitleiden können.

Was haben nun die Juden getan, um sich über einen Standpunkt zu erheben, der ihnen die Heuchelei notwendig macht, und um die Kluft auszufüllen, die ihnen den Zugang zur Höhe der wahren und freien Menschlichkeit abschneidet? Nichts haben sie dafür getan, solange sie Juden bleiben wollen und der Meinung leben, sie könnten als solche freie Menschen werden. Wie haben sie sich zu der Kritik verhalten, welche die Christen gegen die Religion überhaupt gerichtet haben, um die Menschheit von der gefährlichsten Selbsttäuschung, von dem Urirrtum zu befreien? Sie haben gemeint, dieser Kampf gehe nur das Christentum an, und da sie nur daran dachten, welche Leiden und Qualen die Herrschaft des Evangeliums ihnen bereitet habe, so haben sie sich unendlich gekitzelt, wenn die Kritik – seit Lessing, d. h. seitdem sie etwas von ihren Taten zu hören anfingen – über das Christentum herging. Sie waren so beschränkt, daß sie in ihrer Schadenfreude nicht merkten, daß, wenn das Christentum, das vollendete Judentum fällt, durch ihre Religion fallen muß; sie wissen jetzt noch nicht, was in diesem Augenblick um sie herum vorgeht; sie sind so apathisch und teilnahmslos gegen die allgemeine Angelegenheit der Religion und der Menschheit, daß sie nichts gegen die Kritik tun, und so knechtisch in der religiösen Täuschung befangen, daß sie noch nie in den Heeren, die gegen die Hierarchie und die Religion zu Felde gezogen sind, mitgefochten haben. Kein Jude hat etwas Entscheidendes in der Kritik geleistet, keiner etwas dagegen. Die christlichen Eiferer, die Himmel und Erde gegen die Kritik beschwören, sind menschlichere Figuren als der Jude, der sich nur kitzelt, wenn er von weitem hört, daß es wieder einmal über das Christentum hergegangen sei, und ihr Gegensatz gegen die Kritik beweist, daß sie im Grunde selbst mit ihr verwickelt, wenn auch gespannt sind; sie glauben, gegen sie kämpfen zu müssen, weil sie fühlen, daß es sich in diesem Kampfe um die Sache der Menschheit handelt; der Jude aber glaubt sich in seinem Egoismus geborgen, denkt nur an seinen Feind, das Christentum, und hat doch noch nie etwas Entscheidendes gegen ihn vollbracht.

Er konnte gegen das Christentum nichts vollbringen, weil ihm die schöpferische Kraft fehlt, die zu diesem Kampfe gehört. Gegen die vollendete Religion kann nur diejenige Macht kämpfen, die imstande ist, an ihre Stelle die Anerkennung des wahren, vollen Menschen zu stellen. Gegen das Christentum kann nur er selbst kämpfen, weil es den allgemeinen Begriff des menschlichen Wesens, also seinen eigenen Feind, wenn auch allerdings in religiöser Form, enthält. Das Judentum hat nicht den vollen Menschen, das entwickelte Selbstbewußtsein, d. h. den Geist, der in nichts mehr eine ihn beengende Schranke sieht, sondern das befangene Bewußtsein, welches mit seiner Schranke, und zumal nur einer sinnlichen, natürlichen Schranke, noch kämpft, zum Inhalt der Religion gemacht. Das Christentum sagt: der Mensch ist Alles, ist Gott, ist das Allumfassende und Allmächtige, und drückt diese Wahrheit nur noch religiös aus, wenn es sagt: Nur Einer, Christus ist der Mensch, der Alles ist. Das Judentum befriedigt dagegen nur den Menschen, der es immer mit einer Außenwelt, mit der Natur, zu tun hat, und befriedigt eben in religiöser Form sein Bedürfnis, wenn es sagt, die Außenwelt sei dem Bewußtsein Untertan, d. h. Gott hat die Welt geschaffen. Das Christentum befriedigt den Menschen, der sich in allem, im allgemeinen Wesen aller Dinge – religiös ausgedrückt – auch in Gott, wieder sehen will; das Judentum den Menschen, der sich nur von der Natur unabhängig sehen will.

Der Kampf gegen das Christentum war also nur von christlicher Seite her möglich, weil es selbst, und nur es allein, den Menschen, das Bewußtsein, als das Wesen aller Dinge gefaßt hatte, und es nur darauf ankam, diese religiöse Vorstellung vom Menschen, eine Vorstellung, welche eigentlich die ganze Menschheit vernichtete, weil nach ihr nur Einer Alles ist, aufzulösen. Der Jude war dagegen mit der Befriedigung seines noch natürlichen Bedürfnisses, welches ihm seine sinnlichen, religiösen Beschäftigungen, seine Waschungen, Reinigungen, seine religiöse Auswählung und Reinigung der täglichen Speisen zur Pflicht machte, viel zu sehr beschäftigt, als daß er daran denken konnte, was der Mensch überhaupt sei. Er konnte nicht gegen das Christentum kämpfen, weil er nicht einmal wußte, worauf es bei diesem Kampfe ankam.

Jede Religion ist notwendig mit Heuchelei und Jesuitismus verbunden : sie gebietet dem Menschen, das, was er eigentlich ist, als Gegenstand der Anbetung, als etwas Fremdes zu betrachten, also so zu tun, als ob er nichts dergleichen, d. h. nichts gar nichts in sich wäre; die Menschlichkeit aber läßt sich nicht vollständig unterdrücken und sucht sich nun auf Kosten des angebeteten Gegenstandes, der aber doch noch immer in seiner Geltung bestehen bleiben soll, geltend zu machen. Aber wie verschieden muß nun nach dem, was soeben über den Inhalt beider Religionen gesagt ist, der christliche und der jüdische, zumal der jüdische Jesuitismus der Gegenwart sein! Der christliche Jesuitismus ist eine allgemein menschliche Tat und hat die jetzige Freiheit erzeugen helfen; der jüdische Jesuitismus, der neben dem Christentum bestand, ist von vornherein borniert, ohne alle Folgen für die Geschichte und die Menschheit überhaupt, und nur die Marotte einer beiseits lebenden Sekte.

Der Jude sieht in der Religion die Befriedigung seines Bedürfnisses und die Freiheit von der Natur; am Sabbath soll seine religiöse Anschauung auch Tat werden oder seine Freiheit und Abgezogenheit von der Natur zur wirklichen Anschauung kommen: da aber seine Bedürfnisse in der Religion doch nicht wahrhaft befriedigt sind, also auch am Sabbath ihn beunruhigen, das wirkliche, prosaische und bedürfnisvolle Leben und das ideale Leben, in welchem er sich um die Befriedigung seiner Bedürfnisse nicht mehr bekümmern sollte, in Widerspruch stehen, so muß er auf Mittel und Auswege sinnen, um seine Bedürfnisse zu befriedigen, ohne den Schein, daß er das Gesetz befolge, d. h. über den Bedürfnissen erhaben stehe, zu verletzen. Der jüdische Jesuitismus ist die bloße Schlauheit des sinnlichen Egoismus, gemeine Pfiffigkeit, und bei allem dem, weil er es immer mit ganz natürlichen, sinnlichen Bedürfnissen zu tun hat, rohe, plumpe Heuchelei. Er ist so plump und widerlich, daß man sich nur mit Ekel von ihm abwenden, aber ihn nicht einmal ernsthaft bestreiten kann. Wenn z. B. der Jude am Sabbath von einem christlichen Dienstboten oder Nachbar sich das Licht anzünden läßt und zufrieden ist, wenn er es nur nicht selbst getan hat, obwohl sein Schein doch ihm allein zugute kommt, wenn er von dem fremden Dienstboten das Zimmer heizen läßt, um nicht zu erfrieren, obwohl das göttliche Gebot, daß er am Sabbath kein Feuer anmachen solle, ihn vor dem Frieren und Erfrieren schlechthin sicherstellen müßte; wenn er das Sabbathsgesetz nicht zu übertreten meint, sobald er an der Börse sich nur mit passiven Geschäften begnügt, als ob er sie nicht zu aktiven machte, wenn er, um ihnen zu begegnen, auf die Börse geht und sich überhaupt auf sie einläßt; wenn er endlich christliche Compagnons oder Commis hat, die für ihn am Sabbath die Geschäfte führen, als ob deren Arbeit nicht seiner Firma und seinem Säckel zugute kämen – : so ist das eine Heuchelei, gegen die ein anständiger Mensch nicht einmal besonders kämpfen kann.

Wenn aber der Christ den Begriff des Geistes und das Selbstbewußtsein religiös fassen, also verkehrt fassen muß und das wirkliche Selbstbewußtsein gegen diese Verkehrtheit reagiert, ohne sie aufheben zu dürfen, so ist der Jesuitismus, der daraus entsteht, etwas ganz anderes, so ist ein wissenschaftlicher Kampf nicht nur möglich, sondern auch notwendig und sogar die Voraussetzung von der Geburt und dem Aufgange der höchsten, menschlichen Freiheit.

Der jüdische Jesuitismus ist die Schlauheit, mit welcher sich das sinnlichste Bedürfnis befriedigt, weil es an der vorgespiegelten und gesetzlich gebotenen Befriedigung nicht genug haben kann. Er ist nur tierische List. Der christliche Jesuitismus dagegen ist die theoretische Höllenarbeit des nach seiner Freiheit ringenden Geistes, der Kampf der wirklichen Freiheit mit der entstellten, vorgeheuchelten, d. h. mit der Unfreiheit, ein Kampf, in welchem zwar die kämpfende, wirkliche Freiheit, solange sie kämpft, und zumal noch religiös und theologisch kämpft, sich selbst immer wieder zur Unfreiheit herabwürdigt; aber dieses grausame und fürchterliche Spiel weckt doch endlich die Menschheit auf und reizt sie, ihre wirkliche Freiheit ernstlich zu erobern.

Selbst der eigentliche Jesuitismus, der Jesuitismus des kirchlichen Ordens, war ein Kampf gegen die religiösen Satzungen, der Spott der Frivolität, eine Tat der Aufklärung, und nur deshalb widerlich und sogar schmutzig, weil die Aufklärung und Frivolität in rein kirchlicher, nicht in freier, menschlicher Form auftraten.

Wenn der jüdische Kasuist, der Rabbiner, fragt, ob es erlaubt sei, das Ei zu essen, welches ein Huhn am Sabbath gelegt habe, so ist das simple Narrheit und schimpfliche Konsequenz der religiösen Befangenheit.

Wenn die Scholastiker dagegen fragten, ob Gott, wie er im Schoß der Jungfrau Mensch wurde, auch z. B. ein Kürbis werden könnte, wenn Lutheraner und Reformierte sich darüber stritten, ob der Leib des Gottmenschen zu gleicher Zeit an allen Orten gegenwärtig sein könne: so ist das zwar lächerlich, aber nur deshalb, weites der Streit über den Pantheismus in religiöser und kirchlicher Form war.

Die Christen stehen also deshalb höher, weil sie den religiösen Jesuitismus, diese sich selbst abwürgende Unfreiheit, bis dahin entwickelt haben, wo alles auf dem Spiele steht, wo die Unfreiheit alles umfaßt und die Freiheit und Aufrichtigkeit die notwendige Folge ihrer Alleinherrschaft sein mußten. Die Juden stehen tief unter dieser Höhe der religiösen Heuchelei, also auch tief unter dieser Möglichkeit der Freiheit. Das Christentum entstand, als der männliche Geist der griechischen Philosophie und klassischen Bildung in einer schwachen Stunde sich mit dem brünstigen Judentum vermischt hatte. Das Judentum, welches Judentum blieb, hat diese Vermischung und Liebesumarmung, nachdem es ihre Frucht geboren hatte, vergessen. Es wollte nicht einmal seine Frucht anerkennen. Das Judentum dagegen, welches die herrliche Gestalt der gottlosen und weltlichen Philosophie beständig in der Erinnerung und lieb behielt, sie nie vergessen konnte und sich immer mit dem Gedanken an die schöne menschliche Gestalt des gottlosen Kerls herumtrug, bis es an der Erinnerung starb und an seiner Stelle die wirkliche Philosophie wieder dastand – dieses an seiner heidnischen Liebe und Vermischung gestorbene Judentum ist das Christentum.

Daß im Christentum die Unmenschlichkeit höher getrieben ist als in jeder andern Religion, ja auf ihren höchsten Gipfel getrieben ist, kommt nur daher und war nur deshalb möglich, weil es den schrankenlosesten Begriff der Menschheit gefaßt hatte und ihn in der religiösen Fassung nur verkehrte, entstellte, das menschliche Wesen unmenschlich machen mußte. Im Judentum ist die Unmenschlichkeit noch nicht so hoch getrieben; der Jude als Jude hat z. B. die religiöse Pflicht, der Familie, dem Stamme, der Nation anzugehören, d. h. für bestimmte menschliche Interessen zu leben; dieser Vorzug ist aber nur scheinbar und nur in dem Mangel begründet, daß der Mensch in seinem allgemeinen Wesen, nämlich der Mensch, der mehr ist als nur Glied der Familie, des Stammes oder der Nation, dem Judentum noch nicht bekannt war. Die Aufklärung hat daher ihren wahren Sitz im Christentum. Hier kann sie die tiefste Wurzel schlagen, hier ist sie entscheidend, und zwar, nachdem auch die Griechen und Römer ihre Aufklärung gehabt hatten, aber durch die Auflösung ihrer Religion nur zur Geburt einer neuen Religion den Anlaß geben mußten, für alle Zeiten, für die ganze Menschheit entscheidend. Die Aufklärung der Griechen und Römer konnte nur eine bestimmte, eine noch unvollkommene Religion, d. h. eine Religion stürzen, die noch nicht durch und durch Religion und vielmehr noch mit politischen, patriotischen, künstlerischen und sozusagen humanen Interessen vermischt war. Das Christentum ist vollendete, reine Religion, nichts als Religion; die Aufklärung, die es erzeugt und von der es gestürzt, wird, entscheidet daher die Sache der Religion und der Menschheit überhaupt. Es mußte aber aus beiden Gründen, die eigentlich nur ein einziger Grund sind, diese entscheidende Aufklärung erzeugen, weil es der Gipfel der Unmenschlichkeit und die religiöse Vorstellung von der reinen, unbeschränkten, allumfassenden Menschlichkeit ist. Aus demselben Grunde erklärt es sich, daß eine so lange Reihe von Jahrhunderten nötig war, ehe die Aufklärung und Kritik die Vollendung und Reinheit erreichen konnten, in welcher sie fähig waren, wirklich eine neue Epoche der Geschichte der Menschheit zu machen. Eben deshalb, weil das Christentum eine so umfassende Vorstellung von der Menschlichkeit enthält, konnte es so lange den Angriffen auf seine Unmenschlichkeit widerstehen. Die Angriffe waren so schwierig, so zaghaft, so halb – noch jetzt sind sie es in manchen Regionen der Aufklärung, wo man noch von dem christlichen Gebot der allgemeinen Menschenliebe, vom christlichen Gesetz der Freiheit und Gleichheit viel Rühmens macht –, weil man sich von dem religiösen Gebot der Bruderliebe imponieren ließ und nur schwer dahinterkommen konnte, daß eben dasselbe Gebot, weil es religiös ist, die Liebe also durch den Glauben beschränkt und aufhebt, den Haß, die Verfolgungswut erzeugt, das Schwert in Bewegung gesetzt und die Scheiterhaufen angezündet hat. Untergeordnete Religionen konnten eher fallen, weil die Hindernisse, die sie der Entwicklung der Menschheit entgegensetzten, sich eher fühlbar machten, d. h., weil sie von vornherein auf einer beschränkten Auffassung des menschlichen Wesens beruhen und die Aufklärung viel früher reizten, irreligiös zu werden. Aber diese Aufklärung war noch nicht für die Religion überhaupt entscheidend, da sie nur eine bestimmte, nur eine Schranke umstieß, nicht die Schranke, nicht die Beschränktheit und Unfreiheit überhaupt. Diese Aufklärung war auch deshalb nicht entscheidend, weil sie nicht einmal die bestimmte, noch unvollkommene Religion in der Art auflösen konnte, daß sie die Illusion, den Ursprung und die menschliche Entstehung derselben richtig erklärte. Nur die Aufklärung, welche die Illusion überhaupt, die Religion schlechthin erklärt und auflöst, wird auch die Illusion und den Ursprung der untergeordneten Religionsformen richtig erklären.

Das Christentum selbst hat für diesen Satz einen Beleg geliefert. Für den Katholiken war es leichter als für den Protestan-184

ten, sich von der religiösen Bevormundung zu befreien, aber schwerer und fast unmöglich, die Religion überhaupt aufzulösen und ihren Ursprung richtig zu erklären. Die religiöse Bevormundung war roher, äußerlicher, bot also auch endlich für den Angriff bequemere, äußere Handhaben und konnte, weil sie nicht bis in das Innerste eingedrungen war und noch nicht den ganzen Menschen umfaßte, leichter abgeworfen oder zurückgewiesen werden. Aber sie wurde zugleich falsch erklärt, als roher, verständiger Betrug angeklagt; die wahre Quelle der Religion, die Illusion, die Selbsttäuschung der Bevormundeten blieb dabei bestehen, konnte wenigstens bestehen bleiben und den Aufgeklärten, der sich nur von einer bestimmten Illusion und nicht einmal von dieser richtig befreit hatte, sich wieder unterwerfen und selbst in seiner Aufklärung irreführen. Im Protestantismus dagegen ist die Illusion vollständig und allmächtig geworden, weil sie den ganzen Menschen einnimmt und ihn nicht von außen durch priesterliche, hierarchische oder kirchliche Gewalt überhaupt, sondern von seinem eigenen Innern aus beherrscht. Im Protestantismus ist das Abhängigkeitsgefühl als solches und in seiner Reinheit und weitesten Allgemeinheit, d. h. in seiner totalen und absoluten Beschränktheit, zum Prinzip erhoben. Hier, wo es das Wesen des Menschen bildet und der Mensch außer dem, daß er religiöser ist, nicht noch etwas anderes, z. B. Politiker, Künstler, Philosoph ist, wenigstens nicht sein darf, hier dauert es am längsten, daß der Mensch es wagt, sein eignes und von ihm bis dahin als sein einziges, wahrhaftes Wesen anerkanntes Wesen anzugreifen und vielmehr als sein Unwesen von sich abzustoßen und zu vernichten. Aber wenn es einmal geschieht, so geschieht es gründlich, für alle Zeiten, für die ganze Menschheit, so daß die Sache für immer abgemacht ist und der Kampf nie wieder aufgenommen zu werden braucht: vor allem aber geschieht es richtig, indem die religiöse Illusion nicht mehr auf den bloßen Betrug einer Priesterkaste zurückgeführt, sondern als die allgemeine Illusion der Menschheit überhaupt begriffen wird. Der Protestantismus hat jetzt das Höchste geleistet, was er leisten kann und – was seine höchste Bestimmung ist; er hat sich selbst und mit sich zugleich die Religion überhaupt aufgelöst. Er hat sich zum Besten der Freiheit der Menschheit aufgeopfert. Was hat nun das Judentum geleistet? Oder vielmehr: was hilft es, wenn der Jude sein Gesetz nicht einmal auflöst, sondern übertritt und, wenn es sein Bedürfnis und Vorteil erfordert, für nichtig erklärt? Was es hilft? Nichts für die Menschheit, sondern nur der ungehinderten Befriedigung eines beschränkten, sinnlichen Bedürfnisses. Wenn der Protestantismus, und in ihm das Christentum, sich auflöst, so steht der volle, freie Mensch, die schöpferische und für ihre höchsten Schöpfungen nicht mehr gehinderte Menschheit auf dem Platze: wenn der Jude sein Gesetz übertritt, so kann ein einzelner Mensch oder eine gewisse Anzahl von Menschen ungehindert den Geschäften des Verkehrs nachgehen, essen und trinken, was die Natur gibt, ein Licht anbrennen, wenn es finster wird, Feuer anzünden, auch wenn es Sabbath ist.

Aufgeklärte Juden hat es eher gegeben, als es aufgeklärte Protestanten oder gar Christen gab, weil es leichter war, ein Gesetz zu annullieren, was nur mit den himmlischen Bedürfnissen im Kampfe liegt, als ein Abhängigkeitsgefühl aufzulösen, dessen Herrschaft in der Entwicklung der menschlichen Natur begründet ist und nur gestürzt werden konnte, als der Mensch zur Erkenntnis seines wahren Wesens sich erhoben hatte. Es ist leichter, das sinnliche Bedürfnis trotz einem Gesetze, das als göttlich gilt, zu befriedigen, als eine neue und zumal die wahre Auffassung von dem Wesen des Menschen, die mit der gesamten bisherigen Ansicht der Menschheit von ihr selbst im Gegensatz steht und in einen Kampf auf Tod und Leben sich setzen muß, zu gründen und durchzusetzen.

Der Jude gibt der Menschheit nichts, wenn er sein beschränktes Gesetz für sich mißachtet: der Christ, wenn er sein christliches Wesen auflöst, gibt der Menschheit alles, was sie nur in Empfang nehmen kann: er gibt ihr sie selbst: er bringt sie zu sich selbst wieder, nachdem sie sich bis jetzt verloren und nie in der Tat besessen hatte. Der Jude kann nicht einmal ruhig sein und ein gutes Gewissen haben, wenn er in seiner Weise, d. h. nur des sinnlichen Bedürfnisses halber, sein göttliches Gesetz umgeht: die Menschheit, die sich nach ihrem religiösen Verlust wiedergewonnen, besitzt sich mit ruhigem Gewissen und hat erst ihre wahre Reinheit und Lauterkeit gewonnen. Wer ein beschränktes Gesetz zu seinem Besten aufhebt, gewinnt durch den Kampf, weil er leicht beendigt ist, keinen Zuwachs an Kräften: ein Kampf dagegen, der gegen die Unfreiheit überhaupt und gegen den Urirrtum durchgesetzt ist, gibt der Menschheit alle ihre Kräfte und zwar mit einer Elastizität zurück, die unwiderstehlich ist und alle Schranken, die sie bisher einengten, über den Haufen wirft.

„Es wird also von eurer Seite her gar nicht anerkannt werden, wie viel die christliche Bildung, selbst die christliche Aufklärung den Juden verdankt? Und wollt ihr auch nicht einmal anerkennen, daß euer Streben nach politischer Freiheit durch das Verlangen der Juden nach Emanzipation mächtig angeregt ist und unterstützt wird?“

Kann auch die Axt zu dem, der sie schwingt, sagen, sie schwinge ihn?

Es ist nicht wahr, daß die Juden auf die Aufklärung des vorigen Jahrhunderts Einfluß gehabt oder gar schöpferisch in sie eingegriffen hätten. Was sie in diesem Gebiete geleistet haben, steht tief unter den Leistungen der christlichen Kritiker, ist für die Entwicklung der Geschichte nicht von Bedeutung gewesen und war nur das Erzeugnis einer Anregung, die von der christlichen oder aus der christlichen Welt hervorgegangenen antichristlichen Aufklärung auf sie übergegangen war. Man wird uns wahrlich nicht den Vorwurf zu machen wagen, daß wir uns von Parteilichkeit für das Christentum bestimmen und leiten ließen: man wird uns hoffentlich mit diesem Vorwurfe auch nicht beschwerlich fallen, wenn wir es verneinen, daß das Judentum das Streben der neueren Zeit nach Freiheit angeregt oder unterstützt habe. Man hat auf beiden Seiten, auf jüdischer und christlicher, einen gewaltigen Fehlgriff sich zuschulden kommen lassen, wenn man die Judenfrage von der allgemeinen Frage der Zeit trennte und nicht daran dachte, daß nicht nur die Juden, sondern auch wir emanzipiert werden wollen.

Die Juden können nur die Emanzipation verlangen, weil die ganze Zeit danach verlangt. Sie werden von dem allgemeinen Trieb und Streben der Zeit mit fortgerissen. Es wäre die lächerlichste Übertreibung, wenn man mit Ernst behaupten wollte, die Juden hätten mit ihrem Verlangen nach Emanzipation eine Frage angeregt und unterstützt, welche das ganze achtzehnte Jahrhundert in Bewegung gesetzt hatte und in der französischen Revolution ziemlich ernsthaft verhandelt und entschieden war.

Wenn wir überall, wo es dem Fortschritt gilt, die christliche Welt an der Spitze finden, das Christentum also sich als der Trieb zum Fortschritt beweist, so heißt das nicht: das Christentum als solches, das Christentum für sich habe den Fortschritt gewollt und bewirkt. Im Gegenteil: käme es wirklich auf dasselbe an, so wäre der Fortschritt unmöglich. Es reizt vielmehr nur deshalb so mächtig zum Fortschritt, weil es ihn schlechthin unmöglich machen will; es ist der Trieb zur Entwicklung der wahren Menschlichkeit, weil es die reine, die höchste, die vollendetste Unmenschlichkeit ist. Nicht das Christentum als solches hat die Geister im achtzehnten Jahrhundert befreit und die Fesseln des Privilegiums und Monopols zersprengt; sondern die Menschheit hat es getan, die innerhalb des Christentums an der Spitze der Zivilisation stand, wo sie innerhalb dieses geschlossenen Kreises sich in den tiefsten Widerspruch gegen sich selbst und ihre Bestimmung versetzt hatte; die Menschheit hat es getan, die alles überflügeln mußte, wenn sie die Schranken durchbrach, die sie sich in ihrer religiösen Befangenheit im Christentum gesetzt hatte. Die Juden wurden von dieser reißenden Bewegung nur nachgeschleppt, sie sind nur die Nachzügler, nicht die Vordermänner und Führer des Fortschritts, und sie ständen nicht einmal da, wo sie jetzt stehen, wenn sie hätten darauf warten wollen, daß sie die Auflösung ihrer Satzungen mitten in die Bewegung der neueren Kultur versetzen sollte. Um sich in dieser zu befinden, mußten sie sich erst von dem alles zersetzenden Gift der christlichen oder, wenn man so sagen will, der antichristlichen Bildung und Aufklärung gleichsam anstecken lassen.

Das Judentum und Christentum sind schon in ihnen selbst, als Religion, eine Form der Aufklärung und Kritik, und wenn es ihre Bestimmung war, die Menschheit zu beherrschen, so war es auch ihr Los, an ihnen selbst, an der Aufklärung, die sie enthielten, unterzugehen und die Aufklärung, die in ihnen religiös paralysiert war, in ihrem Untergange freizulassen. Oder mit andern Worten: die Aufklärung, die sie in religiöser Form waren, zerstörte sie, indem sie die religiöse Form zerbrach, um wirkliche, vernünftige Aufklärung zu werden. Natürlich wird auch unter diesem Gesichtspunkte das Christentum wieder an der Spitze stehen, da es selbst nichts anderes als das an seiner eigenen Aufklärung untergegangene Judentum, d. h. die religiöse Vollendung der Aufklärung ist, welche das Judentum enthielt.

Der Mensch wird als Glied eines Volkes geboren und ist dazu bestimmt, Bürger des Staats zu werden, dem er durch seine Geburt angehört; seine Bestimmung als Mensch geht aber weiter als die Grenze des Staats, in dem er geboren ist. Die Aufklärung, die den Menschen über die Einfriedigung in das Staatsleben erhebt und mit dem einzelnen und allen einzelnen Staaten entzweit, drückte das Judentum in der religiösen Form aus, daß es hasse; alle Staaten und Völker sind vor dem Einen, vor Jehova, unberechtigt und haben kein Recht zu bestehen. Nur gegen sich selbst, gegen das eine Volk, wollte das Judentum mit dieser Aufklärung nicht Ernst machen: Ein Volk ließ es als das einzig berechtigte bestehen und stiftete damit gerade das beschränkteste und abenteuerlichste Volks- und Staatsleben.

Das Christentum führte die religiöse Aufklärung, welche das Judentum begonnen hatte, zuende: es strich auch das eine noch stehen gebliebene Volk aus der Liste der Völker, erklärte es geradezu für das verworfene Volk, hob alle Volks- und Staatsverhältnisse auf und proklamierte die Freiheit und Gleichheit aller Menschen.

Die Proklamation, mit der es auftrat, ist also dieselbe, mit welcher das Werk der neueren Aufklärung und zugleich der Schöpfer derselben, das freie und unendliche Selbstbewußtsein, sich der Welt ankündigt und allen Schranken und Privilegien den Krieg ansagt. Das Selbstbewußtsein ist weder der Bauer noch Bürger noch Edelmann, vor ihm sind Juden und Heiden gleich, es ist weder nur deutsch noch nur französisch; es kann nicht zugeben, daß es etwas geben könne, was von ihm schlechthin getrennt sei oder über ihm stehe, es ist die Kriegserklärung und der Krieg selbst, ja, wenn es sich zum wirklichen Selbstbewußtsein vollendet hat, der Sieg über alles, was als Monopol, als Privilegium und ausschließlich für sich gelten will. Klagt also nicht über seine zerstörende Gewalt, es will und wirkt, was das Christentum, für welches ihr kämpft, auch wollte und nur falsch ausführte, weil es dasselbe in religiöser Form ausführen wollte.

Die religiöse Aufhebung ist immer oberflächlich, weil sie die Verhältnisse, die sie auflöst, nicht von innen, durch ihre eigene Dialektik und durch den wissenschaftlichen, theoretischen Beweis, sondern nur dadurch auflöst, daß sie sich einfach über sie erhebt, sie roh und kurzweg leugnet, also im Grunde noch bestehen und schlecht genug bestehen läßt, ja sich so wenig von ihnen losreißen kann, daß sie dieselben doch wieder, aber freilich in einer abenteuerlichen Form herstellt. Sie ist die Erhebung in die Luft, ins Phantastische, und ist demnach die phantastische Widerspiegelung dessen, worüber sie sich weit erhaben dünkt. So ist das eheliche Verhältnis, welches das Christentum auflöst, als die Ehe der Gemeinde mit ihrem Herrn oder im Verhältnis der Himmelsbraut zu dem Himmel, oder in der Schwärmerei des Mönchs für die himmlische Jungfrau und der Nonne für den Bräutigam, dem sie sich gelobt hat, wiederhergestellt. Die Ständeunterschiede leben wieder auf in den Ständen der nur Berufenen, der Auserwählten und derjenigen, die nach dem unerforschlichen und willkürlichen Ratschlüsse des Allerhöchsten verdammt sind: die religiösen Stände beruhen ebenso auf der Natur wie die politischen, nur aber auf einer chimärischen Natur. Der Staat, und zwar der despotische Staat, erscheint wieder in der Herde, die für sich willenlos ihrem einen Herrn unterworfen ist, sogar der Gegensatz der Staaten und Reiche ist wieder erwacht in dem Gegensatz, in welchem das Himmelreich zu dem Reiche dieser Welt steht, die Fürsten liefern sich noch Schlachten, wenn der Himmelsfürst und der Fürst dieser Welt sich unaufhörlich und an allen Orten bekämpfen, und der Haß und die Feindschaft der Völker sind wieder angefacht, wenn die Schafherde und die Schar der Böcke, die linke und die rechte Seite sich gegenüberstehen und sich gegenseitig als schlechthin fremd, als den reinen Gegensatz betrachten müssen.

Die Religion ist der Widerspruch, daß sie alles, wonach ihr Wille trachtet, verneinen, was sie verneinen will, chimärisch befestigen und, was sie zu geben verheißt, versagen muß. Sie verneint die natürlichen Unterschiede der Stände und Völker und macht sie nur phantastisch, sie verneint das Privilegium und stellt es in der ausschließlichen Herrschaft des Einen und in dem Vorrecht der willkürlich Auserwählten wieder her; sie verneint die Sünde und schließt alles unter die Sünde, sie erlöst von der Sünde und macht alle Menschen zu Sündern; sie will Freiheit und Gleichheit geben und versagt sie, ja stiftet eine Ökonomie der Ungleichheit und Unfreiheit. Sie kann nicht wirklich aufheben, was sie verneinen will, weil sie sich nicht mit dem wirklichen Selbstbewußtsein, sondern mit einem voreiligen, exaltierten, also ohnmächtigen Willen und mit der Phantasie dagegen richtet. Sie kann nicht wirklich geben, was sie zu geben verspricht, weil sie es eben nur geben, aber nicht erarbeiten, erobern will. Gleichheit und Freiheit, die nur gegeben, nicht erarbeitet werden, sind die Ungleichheit und Unfreiheit selbst, weil sie das Privilegium und die Knechtschaft nicht durch die Arbeit, durch wirklichen Kampf aufgehoben werden, also vielmehr bestehen lassen. An diesem Widerspruch geht die vollendete Religion unter. Sie reizt das Verlangen nach Gleichheit, welches gegen die Privilegien zu Felde ziehen will, aber stillt es nicht, indem sie den Feldzug nicht einmal zugibt und den Feind der Gleichheit vielmehr unsterblich und göttlich macht. Sie will Freiheit geben, aber gibt sie nicht nur nicht, sondern vielmehr die Ketten der Sklaverei.

Was sie will und wozu sie reizt, ist aber der Wille der Menschheit und der Gegenstand ihres Verlangens. Die Religion muß also, wenn er endlich ausgeführt wird, nach ihrem eigenen Willen untergehen. Die Ausführung ihres Willens ist aber die Aufklärung, die Kritik, das befreite Selbstbewußtsein, welches nicht flieht, wie sie, sich nicht in die phantastische Widerspiegelung dieser Welt erhebt, sondern sich durch die Welt durchschlägt und den Kampf mit den Schranken und Privilegien wirklich durchführt.

Das Christentum ist diejenige Religion, die der Menschheit das meiste, nämlich alles, verheißen, aber auch das meiste, nämlich wiederum alles, versagt hat. Es ist demnach die Geburtsstätte der höchsten Freiheit, wie es die Macht der größten Knechtschaft war. Seine Auflösung durch die Kritik, d. h. die Auflösung seiner Widersprüche ist die Geburt der Freiheit und selbst der erste Akt dieser höchsten Freiheit, die sich die Menschheit erobert, erobern mußte und nur im Kampfe gegen die Vollendung der Religion erobern konnte.

Das Christentum steht demnach weit über dem Judentum, der Christ weit über dem Juden, und seine Fähigkeit, frei zu werden, ist bei weitem größer als die des Juden, da die Menschheit auf dem Standpunkte, wo er sich als Christ befindet, an dem Punkte angelangt ist, wo eine durchgreifende Revolution alle Schäden, die die Religion überhaupt angestiftet hat, heilen wird und die Elastizität der Kraft, die sie dieser Revolution entgegenführt, unendlich ist.

Der Jude steht tief unter diesem Standpunkte, also auch tief unter dieser Möglichkeit der Freiheit und einer Revolution, welche das Geschick der gesamten Menschheit entscheidet, weil seine Religion nicht durch sich selbst für die Geschichte bedeutend ist und in die Weltgeschichte eingreifen kann, sondern nur durch ihre Auflösung und Vollendung im Christentum praktisch und weltgeschichtlich werden konnte. Der Jude will frei werden: daraus folgt aber nicht, daß er Christ werden muß, um der Möglichkeit der Freiheit näherzukommen. Knechte und Leibeigene sind sie beide, der Jude wie der Christ, und wenn die Aufklärung dahintergekommen ist, daß das Judentum wie das Christentum die Leibeigenschaft des Geistes sind, dann ist es zu spät: dann ist die Einbildung und Selbsttäuschung, daß der Jude durch die Taufe zum freien Manne und zum Staatsbürger werden könne, nicht mehr möglich, wenigstens kann sie nicht mehr aufrichtig sein. Er vertauscht nur den einen privilegierten Stand mit dem andern, den einen, der mit mehr Plackereien verbunden ist, mit dem andern, der vorteilhafter scheint, aber ihm die Freiheit und Staatsrechte, weil sie der christliche Staat selbst nicht kennt, nicht erteilen kann. Der größere Vorteil, der mit dem privilegierten Stand des Christen verbunden ist, kann manchen Juden dazu bewegen, sich der Taufe zu bedienen, um seine Stellung im christlichen Staat für sich vorteilhafter zu machen; aber die Taufe macht ihn nicht frei, und wenn sämtliche Juden das christliche Glaubensbekenntnis ablegen wollten, so würde die Macht des Christentums daraus keinen Zuwachs erhalten.^ Es ist zu spät. Das Christentum wird keine Eroberungen mehr machen, die auch im entferntesten wichtig und bedeutend genannt werden können. Die Zeit der weltgeschichtlichen Eroberungen, die ihm ganze Völker gewannen, ist für immer vorüber, da es den Glauben an sich selbst verloren und seine geschichtliche Aufgabe vollständig erfüllt hat. Wenn sie frei werden wollen, so dürfen sich die Juden nicht zum Christentum bekennen, sondern zum aufgelösten Christentum, zur aufgelösten Religion überhaupt, d. h. zur Aufklärung, Kritik und ihrem Resultate, der freien Menschlichkeit.

Die geschichtliche Bewegung, welche die Auflösung des Christentums und der Religion überhaupt als eine vollendete Tatsache anerkennen und der Menschheit den Sieg über die Religion sichern wird, kann nicht mehr lange ausbleiben, da das Selbstbewußtsein der Freiheit sich allen bestehenden Verhältnissen entzogen hat, in totalem Widerspruch mit denselben steht und die ungeschickten und ohnmächtigen Maßregeln, die man von Seite des Bestehenden gegen dasselbe ergreift, ihm nur immer neue Siege und Eroberungen gewinnen. Die Völker, die sich an die Spitze dieser Bewegung stellen werden, werden nicht mehr das Evangelium von dem Einen, der alle Menschen unter die Sünde beschlossen hat, sondern die Botschaft von der Menschlichkeit und befreiten Menschheit den andern noch gefangengehaltenen Völkern und Weltteilen bringen. Die Kreise und Völker, die sich dieser Bewegung nicht anschließen und den Glauben an die Menschheit nicht annehmen wollen, werden sich selbst bestrafen, indem sie sich bald überflügelt, außerhalb der Geschichte gestellt und auf die Stufe der Barbaren und der Parias versetzt sehen werden, Wenn das am grünen Holz geschieht, was wird am dürren geschehen? Wenn die Zukunft der Christen, die im Christentume stehenbleiben wollen, also auch von der Entwickelung der Menschheit unendlich überholt werden, von der Beschaffenheit und so trübe ist, was kann die Zukunft der Juden sein, die auf einem noch untergeordneten Standpunkte stehen und auf ihm stehenbleiben wollen?

Sie mögen selber zusehen: sie werden sich selber ihr Geschick bestimmen; die Geschichte aber läßt mit sich nicht spotten. Die Pflicht des Christen ist es, das Resultat der Entwicklung des Christentums, die Auflösung desselben und die Erhebung des Menschen über den Christen, aufrichtig anzuerkennen, d. h. aufzuhören, Christ zu sein, um Mensch und frei zu werden. Der Jude dagegen muß das chimärische Privilegium seiner Nationalität, sein phantastisches, bodenloses Gesetz – so schwer ihm das Opfer fallen mag, da er sich ganz und gar aufgeben und den Juden verneinen muß – der Menschheit, dem Resultat der Entwicklung und Auflösung des Christentums, zum Opfer – bringen. Er braucht sich nicht mehr das Dementi zu geben, daß er seine Religion einer andern aufopfert. Was er aber zu tun hat, ist mehr und schwerer, als nur eine Religion mit der andern zu vertauschen.

Der Christ und der Jude müssen mit ihrem ganzen Wesen brechen: aber dieser Bruch liegt dem Christen näher, da er aus der Entwicklung seines bisherigen Wesens unmittelbar als seine Aufgabe hervorgeht; der Jude dagegen hat nicht nur mit seinem jüdischen Wesen, sondern auch mit der Entwicklung der Vollendung seiner Religion zu brechen, mit einer Entwicklung, die ihm fremd geblieben ist und zu der er nichts beigetragen hat, so wie er auch die Vollendung seiner Religion als Jude weder herbeigeführt noch anerkannt hat. Der Christ hat nur eine Stufe, nämlich seine Religion zu übersteigen, um die Religion überhaupt aufzugeben; der Jude hat es schwerer, wenn er zur Freiheit sich erheben will. Vor dem Menschen ist aber nichts unmöglich.



Zuletzt aktualisiert am 20.5.2009