G.W.F. Hegel

Philosophische Propädeutik

Erster Kursus. Unterklasse. Rechts-, Pflichten-, und Religionslehre.

 

 

Erläuterungen zur Einleitung[1*]

§ 1

Die Gegenstände sind das Besondere, was sie sind, durch ihre Bestimmung; ein sinnlicher Gegenstand z. B. durch seine Ge­stalt, Größe, Schwere, Farbe, durch den mehr oder weniger festen Zusammenhang seiner Teile, durch den Zweck, zu dem er gebraucht wird u. s. f. Lässt man nun die Bestimmungen von einem Gegenstand in der Vorstellung weg, so heißt man dies: abstrahieren. Es bleibt ein weniger bestimmter Gegenstand oder ein abstraktes Objekt übrig. Nehme ich aber in der Vorstellung nur eine einzelne solche Bestimmung heraus, so ist auch dies eine abstrakte Vorstellung. Der Gegenstand, in der Vollständig­keit seiner Bestimmungen belassen, heißt ein konkreter Gegen­stand. Abstrahlte ich von allen Bestimmungen, so bleibt mir bloß die Vorstellung des ganz abstrakten Objekts übrig. Wenn man sagt: Ding, so meint man wohl etwas Bestimmtes, aber man spricht von etwas ganz Unbestimmtem, da es unser Ge­danke ist, der ein wirkliches Ding zu dieser Abstraktion eines bloßen Dinges macht.

Die sinnliche Wahrnehmung ist teils äußerliche, teils inner­liche. Durch die äußerliche nehmen wir Dinge wahr, welche räumlich und zeitlich außer uns sind und die wir zugleich von uns unterscheiden. Durch die innerliche sinnliche Wahrneh­mung bemerken wir Zustände teils unseres Körpers, teils unserer Seele. Ein Teil der sinnlichen Welt enthält solche Ge­genstände und ihre Bestimmungen, wie z. B. die Farben, denen das Sinnliche zu Grunde liegt und die eine geistige Form erhal­ten haben. Wenn ich sage: dieser Tisch ist schwarz, so spreche ich erstens von diesem einzigen konkreten Gegenstande; zwei­tens, das Prädikat schwarz, das ich von ihm aussage, ist ein all­gemeines, das nicht mehr bloß von diesem einzigen gilt, sondern mehreren Gegenständen zukommt. Das Schwarze ist eine ein­fache Vorstellung. — Von einem eigentlichen konkreten Gegen­stande wissen wir unmittelbar. Das unmittelbare Bewusstwer­den ist die Anschauung. Eine allgemeine abstrakte Vorstellung hingegen ist eine vermittelte Vorstellung, weil ich von ihr ver­mittelst einer andern weiß, nämlich durch die Abstraktion oder das Weglassen anderer Bestimmungen, die im Konkreten damit verbunden sind. — Eine konkrete Vorstellung wird analysiert, indem man die Bestimmungen auslegt, die im Konkreten ver­einigt sind. Die intelligible Welt erhält aus dem Geist ihren In­halt, überhaupt reine allgemeine Vorstellungen, z. B. Sein, Nichts, Eigenschaft, Wesen u. dgl. m.

§2

Die erste Quelle unserer Erkenntnis ist die Erfahrung. Zur Er­fahrung gehört überhaupt, dass wir etwas selbst wahrgenom­men haben. Es muss aber auch ein Unterschied gemacht werden zwischen Wahrnehmung und Erfahrung. Die Wahrnehmung enthält zunächst nur einen einzigen Gegenstand, der jetzt zu­fällig so, ein anderes Mal anders beschaffen sein kann. Wenn ich nun die Wahrnehmung wiederhole und in der wiederholten Wahrnehmung dasjenige bemerke und festhalte, was in allen diesen Wahrnehmungen sich gleich bleibt, so ist dies eine Er­fahrung. Die Erfahrung enthält vornämlich Gesetze, d. h. eine Verknüpfung von zwei Erscheinungen so, dass, wenn die eine vorhanden ist, allemal auch die andere erfolgt. Die Erfahrung enthält aber nur die Allgemeinheit einer solchen Erscheinung, nicht aber die Notwendigkeit des Zusammenhanges. Die Erfahrung lehrt nur, dass etwas so und wie es geschieht oder vorhanden ist, aber noch nicht die Gründe oder das Warum.

Da es sehr viele Gegenstände gibt, über welche wir nicht selbst die Erfahrung machen können, z. B. die Vergangenheit, so müs­sen wir uns auch auf die Autorität Anderer verlassen. Auch die­jenigen Gegenstände, die wir auf die Autorität Anderer für wahr halten, sind Erfahrungsgegenstände. Wir glauben das auf die Autorität Anderer, was wahrscheinlich ist. Wir halten oft für wahrscheinlich, was wirklich unwahrscheinlich ist, aber ge­rade das Unwahrscheinliche ist oft das Wahre. — (Eine Begeben­heit bewährt sich vorzüglich durch die Folgen und durch den mannigfaltigen Zusammenhang von Umständen, von denen wir die Erfahrung selbst gemacht haben. Die Männer, welche etwas erzählen, müssen Glaubwürdigkeit haben, d. h. unter sol­chen Umständen gewesen sein, Kenntnis von der Sache haben zu können. Aus dem Tone derselben können wir auf ihre Red­lichkeit schließen, ob es ihnen Ernst ist oder ob sie irgend ein Interesse dabei haben. Wenn Schriftsteller unter der Regierung eines Tyrannen schreiben und sie machen ihm Lobeserhebun­gen, so sehen wir, dass dies Schmeicheleien sind. Wenn wir Je­mand von etwas erzählen hören, worin er selbst mit eingefloch­ten ist, so wird man wohl hören, dass er zu seinem Vorteil er­zählt. Wenn Jemand aber von seinem Feinde eine gute Eigen­schaft oder Handlung sehr rühmt, so müssen wir das Gesagte eher glauben.)

Die Erfahrung lehrt also nur, wie die Gegenstände beschaffen sind, nicht, wie sie sein müssen, noch wie sie sein sollen. Diese Erkenntnis geht nur aus dem Wesen oder dem Begriff der Sache hervor. Sie allein ist die wahrhaftige. Da wir aus dem Begriff die Gründe des Gegenstandes erkennen lernen, so müssen wir auch von den rechtlichen, moralischen und religiösen Bestimmungen die Begriffe erkennen.

Bei den Bestimmungen, was recht und gut ist, können wir uns zunächst an die Erfahrung überhaupt halten und zwar fürs Erste an die äußerliche, nämlich an den Weltlauf. Wir können sehen, was als recht und gut gilt oder was sich als recht und gut bewährt. Hierüber ist zu bemerken: 1) dass, um zu wissen, wel­che Handlungen recht oder gut und welche unrecht oder böse sind, man schon zum Voraus den Begriff des Rechten und Guten haben müsse; 2) wenn man sich also daran halten wollte, was der Weltlauf auch als geltend zeigt, so würde sich darüber nichts Bestimmtes ergeben. Es käme in Ansehung der Resultate oder der Erfahrung, die man macht, auf die Ansicht an, die man mit­bringt. In dem Weltlauf, weil er selbst dieses verschiedenartige Geschehen ist, kann Jeder für seine subjektive Ansicht, sie mag noch so verschieden sein, Bestätigung finden. Es gibt aber auch zweitens eine innerliche Erfahrung über das Rechte, Gute und Religiöse. Wir urteilen durch unser Gemüt oder Gefühl, dass etwas von dieser Handlungsweise gut oder böse ist; auch haben wir ein Gefühl von Religion; wir werden religiös affiziert. Was das Gefühl als eine Billigung oder Missbilligung desselben sagt, enthält bloß den unmittelbaren Aus­spruch oder die Versicherung, dass etwas so ist oder nicht so ist. Das Gefühl gibt keine Gründe an und spricht nicht nach Grün­den. Was für ein Gefühl wir haben, der Billigung oder Missbilligung, ist auch bloße Erfahrung des Gemüts. — Das Gefühl aber ist überhaupt unbeständig und veränderlich. Es ist zu einer Zeit so beschaffen, zu einer anderen anders. Das Gefühl ist über­haupt etwas Subjektives. Wie ein Gegenstand im Gefühl ist, so ist er bloß in mir als besonderem Individuum. Wenn ich sage: ich fühle etwas so; oder: so ist etwas in meinem Gemüt; so sage ich damit, dass es nur in mir so ist. Ich lasse unentschieden, ob es in Anderen auch so ist. Wenn ich bei etwas mich bloß auf mein Gefühl berufe, so will ich nicht auf Gründe eingehen, somit nicht auf das Allgemeine. Ich ziehe mich dann auf mich zurück und drücke nur aus, wie die Sache in mir, nicht wie sie an und für sich objektiv und allgemein ist. Das Objektive oder das Allgemeine ist das Verständige oder der Begriff. Wenn man wahrhaft erkennen will, was eine Rose, Nelke, Eiche u. s. f. ist, oder ihren Begriff auffassen will, so muss man zuvör­derst den höheren Begriff, der ihnen zu Grunde liegt, auffassen, also hier den Begriff einer Pflanze; und um wieder den Begriff der Pflanze aufzufassen, muss man wieder den höheren Begriff auffassen, wovon der Begriff Pflanze abhängt und dies ist der Begriff eines organischen Körpers. — Um die Vorstellung von Körpern, Flächen, Linien und Punkten zu haben, muss man die Vorstellung des Raumes haben, weil der Raum das Allgemeine ist; hingegen Körper, Fläche u. s. w. sind nur besondere Bestim­mungen am Raum. So setzt Zukunft, Vergangenheit und Ge­genwart die Zeit als ihren allgemeinen Grund voraus und so ist es denn auch mit dem Recht, mit der Pflicht und Religion, näm­lich sie sind besondere Bestimmungen von dem Bewusstsein, welches ihr allgemeiner Grund ist.

§3

Beim Bewusstsein haben wir gewöhnlich den Gegenstand vor uns, oder wir wissen nur von dem Gegenstande und wissen nicht von uns. Aber es ist wesentlich in diesen Dingen vorhan­den Ich. Insofern wir uns überhaupt nur einen Gegenstand vor­stellen, so haben wir ein Bewusstsein und zwar vom Gegen­stand. Insofern wir uns das Bewusstsein vorstellen, sind wir uns des Bewusstseins bewusst oder haben wir ein Bewusstsein des Bewusstseins. — In unserem gewöhnlichen Leben haben wir ein Bewusstsein, aber wir sind uns nicht bewusst, dass wir Bewusstsein sind; wir haben Vieles, auch schon Körperliches, bewusstlos; z. B. die Lebensverrichtungen, die zu unserer Selbsterhal­tung gehören, besitzen wir, ohne darum von ihrer genaueren Beschaffenheit auch schon ein Bewusstsein zu haben, das wir erst in der Wissenschaft erwerben. Auch geistiger Weise sind wir Vieles, was wir nicht wissen. — Die äußeren Gegenstände unse­res Bewusstseins sind solche, die wir von uns unterscheiden und denen wir eine von uns unabhängige Existenz zuschreiben. Die inneren Gegenstände hingegen sind Bestimmungen oder Ver­mögen, Kräfte des Ich. Sie bestehen nicht außer einander, son­dern das, worin sie bestehen, ist Ich. — Das Bewusstsein verhält sich entweder theoretisch oder praktisch.

§4

Das theoretische Bewusstsein betrachtet das, was ist und lässt es, wie es ist. Das praktische hingegen ist das tätige Bewusstsein, welches das, was ist, nicht so lässt, sondern Veränderungen dar­in hervorbringt und aus sich Bestimmungen und Gegenstände erzeugt. — Im Bewusstsein ist also zweierlei vorhanden, Ich und der Gegenstand, Ich durch den Gegenstand oder der Gegenstand durch mich bestimmt. — Im erstem Falle verhalte ich mich theo­retisch. Ich nehme die Bestimmungen des Gegenstandes in mich auf, wie sie sind. Ich lasse den Gegenstand, wie er ist, und suche meine Vorstellungen ihm gemäß zu machen. Ich habe Bestim­mungen in mir und der Gegenstand hat auch Bestimmungen in sich. Der Inhalt meines Vorstellens soll, wie der Gegenstand ist, beschaffen sein. Die Bestimmungen des Gegenstandes an sich sind Regeln für mich. Die Wahrheit meiner Vorstellungen besteht darin, dass sie mit der Beschaffenheit und den Bestimmun­gen des Gegenstandes selbst übereinstimmen. Das Gesetz für unser Bewusstsein, inwiefern es theoretisch ist, ist nicht voll­kommen passiv, sondern es muss seine Tätigkeit darauf rich­ten, das Gegenständliche zu empfangen. Es kann etwas Gegen­stand für unsere Wahrnehmung sein, ohne dass wir deswegen ein Bewusstsein davon haben, wenn wir unsere Tätigkeit nicht darauf richten. Diese Tätigkeit im Empfangen ist die Aufmerksamkeit.

§5

Die Vorstellungen, welche wir uns durch die Aufmerksamkeit erwerben, bewegen wir in uns durch die Einbildungskraft, deren Tätigkeit darin besteht, dass sie uns bei der Anschauung eines Gegenstandes das Bild eines anderen Gegenstandes herbeiruft, der mit dem ersteren auf irgend eine Weise verknüpft ist oder war. Es ist nicht notwendig, dass der Gegenstand, an welchen die Einbildungskraft das Bild eines andern knüpft, gegenwärtig ist, sondern er kann auch bloß in der Vorstellung gegenwärtig sein. Das ausgedehnteste Werk der Einbildungskraft ist die Sprache. Die Sprache besteht in äußerlichen Zeichen und Tönen, wodurch man das, was man denkt, fühlt oder empfindet, zu er­kennen gibt. Die Sprache besteht in Worten, welche nichts An­deres, als Zeichen von Gedanken sind. Für diese Zeichen gibt die Schrift in den Buchstaben wiederum Zeichen. Sie gibt unsere Gedanken zu erkennen, ohne dass wir dabei zu sprechen nötig haben. — Die Hieroglyphenschrift unterscheidet sich von der Buchstabenschrift dadurch, dass sie unmittelbar ganze Gedanken in sich fasst. — In der Rede ist ein gewisser Ton sinnlich gegen­wärtig. Wir haben darin die Anschauung eines Tons. Bei die­sem Eindruck bleiben wir nicht stehen, sondern unsere Einbil­dungskraft knüpft daran die Vorstellung von einem nicht ge­genwärtigen Gegenstand. Es ist hier also zweierlei vorhanden, eine sinnliche Bestimmung und eine daran angeknüpfte andere Vorstellung. Die Vorstellung gilt hier lediglich als das Wesen und als die Bedeutung von dem sinnlich Gegenwärtigen, wel­ches hierdurch ein bloßes Zeichen ist. Der gegebene Inhalt steht einem Inhalt, der durch uns hervorgebracht ist, entgegen.

§6

Im gemeinen Leben verwechselt man Vorstellung und Denken und wir nennen auch dasjenige Denken, was nur Vorstellung der Einbildungskraft ist. In der Vorstellung haben wir eine Sache vor uns auch nach ihrem äußerlichen unwesentlichen Da­sein. Im Denken hingegen sondern wir von der Sache das Äußerliche bloß Unwesentliche ab und heben die Sache nur in ihrem Wesen hervor. Das Denken dringt durch die äußerliche Erscheinung durch zur Innern Natur der Sache und macht sie zu seinem Gegenstand. Es lässt das Zufällige einer Sache weg. Es nimmt eine Sache nicht, wie sie als unmittelbare Erscheinung ist, sondern scheidet das Unwesentliche von dem Wesentlichen ab und abstrahiert also von demselben. — In der Anschauung haben wir einzelne Gegenstände vor uns. Das Denken bezieht dieselben auf einander oder vergleicht sie. In der Vergleichung hebt es, was sie mit einander gemeinschaftlich haben, heraus und lässt dasjenige, wodurch sie von einander sich unterschei­den, weg und erhält dadurch allgemeine Vorstellungen. — Die allgemeine Vorstellung enthält weniger Bestimmtheit als der einzelne Gegenstand, der unter dieses Allgemeine gehört, weil man eben das Allgemeine nur durch Weglassen des Einzelnen erhält. Dagegen umfasst das Allgemeine mehr unter sich oder hat einen weit größeren Umfang. Insofern das Denken einen allgemeinen Gegenstand hervorbringt, kommt ihm die Tätigkeit des Abstrahierens zu und damit die Form der Allgemeinheit, wie z. B. in dem allgemeinen Gegenstande, Mensch. Aber der Inhalt des allgemeinen Gegenstandes kommt ihm, als Abstrahieren, nicht zu, sondern ist dem Denken gegeben und unabhängig von ihm für sich vorhanden.

Dem Denken kommen noch vielfache Bestimmungen zu, die einen Zusammenhang zwischen den mannigfaltigen Erschei­nungen ausdrücken, welcher allgemein und notwendig ist. Der Zusammenhang, wie er in der sinnlichen Anschauung ist, ist nur ein äußerlicher oder zufälliger, der so sein oder auch nicht so sein kann. Ein Stein z. B. macht durch sein Herunterfallen einen Eindruck in eine weiche Masse. In der sinnlichen Anschauung liegt das Herunterfallen des Steins und dass hierauf, in der Zeit, eine Aushöhlung in der Masse vorhanden ist, wo der Stein sie berührte. Diese beiden Erscheinungen, das Herunterfallen des Steins und die Aushöhlung der Masse, haben sich in der Zeit succedirt. Allein dieser Zusammenhang enthält noch keine Notwendigkeit, sondern es könnte, dem Ausdruck nach, unter denselben Bedingungen, das eine geschehen und das andere nicht darauf folgen. Wenn hingegen die Beziehung dieser zwei Erscheinungen auf einander sich als ein Zusammenhang von Ursache und Wirkung bestimmt oder als Kausalität, so ist dieser Zusammenhang notwendig oder ein Zusammenhang des Ver­standes. Es liegt darin, dass, wenn unter denselben Bedingungen das eine geschieht, das andere darin enthalten ist. Diese Bestimmungen sind Formen des Denkens. Der Geist setzt sie nur aus sich seihst, aber es sind zugleich Bestimmungen des Seienden. Wir kommen erst durch das Nachdenken darauf, was Grund und Folge, Inneres und Äußeres, was wesentlich oder unwesentlich ist. Der Geist ist sich dabei nicht bewusst, dass er diese Bestimmungen willkürlich setzt, sondern er spricht darin etwas aus, was ohne sein Zutun für sich vorhanden ist.

§7

Es wird überhaupt, insofern davon die Rede ist, dass der Geist Bestimmungen erhalte, die Unbestimmtheit des Ich oder des Geistes vorausgesetzt. Die Bestimmungen des Geistes gehören ihm an, auch wenn er sie von anderen Gegenständen erhalten hat. Insofern etwas darin ist, was, als ein von ihm unabhängi­ger Inhalt, nicht von ihm herkommt, gehört ihm dabei doch immer die Form an; z. B. bei der Einbildungskraft kommt der Stoff zwar von der Anschauung her, aber die Form besteht in der Art, wie dieser Stoff anders verknüpft worden ist, als er in der Anschauung ursprünglich vorhanden war. In einer reinen Vorstellung, z. B. der des Tieres, gehört der bestimmte Inhalt der Erfahrung an, aber das Allgemeine darin ist die Form, die vom Geist herkommt.

Diese Form ist also das eigene Bestimmen des Geistes. Beim theoretischen Vermögen macht es nun den wesentlichen Unter­schied aus, dass nur die Form im Bestimmen des Geistes liegt, hingegen beim praktischen der Inhalt auch vom Geist her­kommt. Im Recht z. B. ist der Inhalt die persönliche Freiheit. Diese gehört dem Geist an. Das praktische Vermögen erkennt Bestimmungen als die seinigen, insofern es sie überhaupt will. Wenn sie auch als fremde Bestimmungen oder als gegebene erscheinen, so müssen sie aufhören, fremde Bestimmungen zu sein, insofern ich sie will. Ich verwandle den Inhalt zu mir, setze ihn durch mich.

§8

Das theoretische Vermögen fängt von einem Daseienden, Vor­handenen, Äußerlichen an und macht es zu einer Vorstellung. Das praktische hingegen fängt bei einer innerlichen Bestim­mung an. Diese heißt Entschluss, Vorsatz, Leitung, und macht das Innerliche wirklich äußerlich, gibt diesem ein Dasein. Dies Übergehen von einer innerlichen Bestimmung zur Äußerlichkeit heißt Handeln.

§9

Das Handeln ist überhaupt eine Vereinigung des Inneren und Äußeren. Die innerliche Bestimmung, von der es anfängt, soll der Form nach, nämlich eine bloß innerliche zu sein, aufgehoben und äußerlich werden; der Inhalt dieser Bestimmung soll dabei bleiben; z. B. der Vorsatz, ein Haus zu bauen, ist eine innerliche Bestimmung, deren Form darin besteht, nur erst Vorsatz zu sein; der Inhalt begreift den Plan des Hauses. Wenn hier nun die Form aufgehoben wird, so bleibt doch der Inhalt. Das Haus, welches, dem Vorsatz nach, gebaut werden soll, und das, wel­ches, dem Plan nach, gebaut wird, sind dasselbe Haus. Umgekehrt ist das Handeln eben so ein Aufheben vom Äußerlichen, wie es unmittelbar vorhanden ist; z. B. zum Bau eines Hauses werden der Boden, Steine, Holz und die übrigen Mate­rialien auf mannigfaltige Weise verändert. Die Gestalt des Äußerlichen wird anders gemacht. Es wird in eine ganz andere Verbindung gebracht, als es vorher war. Diese Veränderung ge­schieht einem Zwecke, nämlich dem Plan des Hauses, gemäß, mit welchem Innerlichen also das Äußerliche übereinstimmend gemacht wird.

§10

Auch die Tiere haben ein praktisches Verhalten zu dem, was ihnen äußerlich ist. Sie handeln aus Instinkt zweckmäßig, also vernünftig. Da sie es aber unbewusst tun, so kann von einem Handeln nur uneigentlich bei ihnen die Rede sein. Sie haben Begierde und Trieb, aber keinen vernünftigen Willen. Beim Menschen sagt man von seinem Trieb oder seinem Begehren auch Willen. Genauer gesprochen aber unterscheidet man den Willen von der Begierde; der Wille, im Unterschied von der eigentlichen Begierde, wird alsdann das höhere Begehrungsver­mögen genannt. — Bei den Tieren ist von ihren Trieben und Begierden selbst der Instinkt unterschieden, denn Instinkt ist zwar ein Tun aus Begierde oder Trieb, das aber mit seiner unmittelbaren Äußerung nicht beschlossen ist, sondern noch eine weitere, für das Tier gleichfalls notwendige Folge hat. Es ist ein Tun, worin eine Beziehung auch auf etwas Anderes liegt; z. B. das Zusammenschleppen von Körnern durch viele Tiere. Dies ist noch nicht die ganze Handlung, sondern es liegt noch weiter hinaus ein Zweck darin, nämlich ihre Nahrung für die Zukunft.

Der Trieb ist fürs Erste etwas Innerliches, etwas, das eine Be­wegung von sich selbst anfängt oder eine Veränderung aus sich hervorbringt. Der Trieb geht von sich aus. Durch äußere Um­stände erwacht er zwar, aber dessen ungeachtet war er schon vorhanden. Er wird dadurch nicht hervorgebracht. Mechanische Ursachen bringen bloß äußerliche oder mechanische Wirkungen hervor, die vollkommen durch ihre Ursachen bestimmt sind, in denen also nichts enthalten ist, was nicht in der Ursache schon vorhanden ist; z. B. wenn ich einem Körper Bewegung gebe, so ist in demselben nichts, als die mitgeteilte Bewegung. Oder wenn ich einen Körper färbe, so hat er nichts weiter mehr, als die mitgeteilte Farbe. Hingegen wenn ich auf ein lebendiges Wesen einwirke, so macht diese Einwirkung aus ihm noch ganz etwas Anderes, als es unmittelbar ist. Die Wirksamkeit des lebendigen Wesens wird dadurch erregt, sich aus sich in ihrer Eigentümlichkeit zu zeigen.

Fürs Zweite ist der Trieb 1) dem Inhalt nach beschränkt; 2) nach der Seite seiner Befriedigung als von äußerlichen Umstän­den abhängig zufällig. Der Trieb geht nicht über seinen Zweck hinaus und heißt insofern blind. Er befriedigt sich, die Folgen mögen sein, welche sie wollen.

Der Mensch setzt insofern seine Triebe nicht selbst, sondern hat sie unmittelbar oder sie gehören seiner Natur an. Die Natur aber ist der Notwendigkeit unterworfen, weil Alles in ihr be­schränkt, relativ oder schlechthin nur in Beziehung auf etwas Anderes ist. Was aber in Beziehung auf etwas Anderes ist, das ist nicht für sich selbst, sondern abhängig vom Andern. Es hat seinen Grund darin und ist ein Notwendiges. Insofern der Mensch unmittelbar bestimmte Triebe hat, ist er der Natur unterworfen und verhält sich als ein notwendiges und unfreies Wesen.

§11

Allein der Mensch kann als denkender auf seine Triebe, die an sich für ihn Notwendigkeit haben, reflektieren. Reflexion heißt überhaupt Abkürzung vom Unmittelbaren. Die Reflexion des Lichts besteht darin, dass seine Strahlen, die für sich in gerader Linie sich fortpflanzen würden, von dieser Richtung abgelenkt werden. — Der Geist hat Reflexion. Er ist nicht an das Unmittel­bare gebunden, sondern vermag darüber zu etwas Anderem hinauszugehen; z. B. von einer Begebenheit zur Vorstellung ihrer Folge oder einer ähnlichen Begebenheit oder auch ihrer Ursache. Indem der Geist auf etwas Unmittelbares hinausgeht, hat er dasselbe von sich entfernt. Er hat sich in sich reflektiert. Er ist in sich gegangen. Er hat das Unmittelbare, insofern er ihm ein Anderes entgegensetzt, als ein Beschränktes erkannt. Es ist daher ein sehr großer Unterschied, ob man etwas bloß ist oder hat, oder ob man auch weiß, dass man dies ist oder hat; z. B. Un­wissenheit oder Rohheit der Gesinnungen oder des Betragens, sind Beschränkungen, die man haben kann, ohne zu wissen, dass man sie hat. Insofern man darauf reflektiert oder von ihnen weiß, muss man von ihrem Gegenteil wissen. Die Reflexion auf sie ist schon ein erster Schritt über sie hinaus. Die Triebe als natürliche Bestimmungen sind Beschränkungen. Durch die Reflexion auf sie fängt der Mensch überhaupt an, über sie hinauszugehen. Die erste Reflexion betrifft hier die Mittel, ob sie dem Triebe angemessen sind, ob der Trieb dadurch befriedigt wird; ferner ob auch die Mittel nicht zu wichtig sind, um sie für diesen Trieb aufzuopfern.

Die Reflexion vergleicht die verschiedenen Triebe und ihre Zwecke mit dem Grundzweck des Wesens. Die Zwecke der be­sonderen Triebe sind beschränkt, tragen aber, jeder in seiner Art, dazu bei, dass der Grundzweck erreicht wird. Diesem ist jedoch der eine näher verwandt als der andere. Die Reflexion hat also die Triebe zu vergleichen, ob sie mit dem Grundzweck verwandt sind und derselbe durch ihre Befriedigung mehr be­fördert wird. In der Reflexion fängt der Übergang an von dem niedrigen Begehrungsvermögen zum höheren. Der Mensch ist darin nicht mehr bloßes Naturwesen oder steht nicht mehr in der Sphäre der Notwendigkeit. Notwendig ist etwas, insofern nur dies und nicht etwas Anderes geschehen kann. Vor der Re­flexion steht nicht nur der eine unmittelbare Gegenstand, son­dern auch ein anderer oder sein Gegenteil.

§12

Diese so eben beschriebene Reflexion ist jedoch eigentlich eine nur relative. Sie geht zwar über etwas Endliches hinaus, kommt aber immer wieder zu etwas Endlichem; z. B. wenn wir über einen Ort im Raum hinausgehen, so stellt sich uns ein anderer größerer vor, aber es ist immer ein begrenzter Raum oder Ort und so geht es fort bis ins Unendliche. Eben so wenn wir über die gegenwärtige Zeit in die vergangene zurückgehen, so kön­nen wir uns eine Periode von zehn- oder auch von dreißigtau­send Jahren vorstellen. Solche Reflexion geht nun zwar aus einem bestimmten Punkt im Raum, in der Zeit zu einem ande­ren fort, aber aus dem Raum oder aus der Zeit selbst kommt sie nicht heraus. So ist es auch der Fall in der praktisch-relativen Reflexion. Sie verlässt eine unmittelbare Neigung, Begierde oder Trieb und geht zu einem anderen Trieb, Begierde oder Neigung, verlässt auch diese wieder u. s. f. Insofern sie relativ ist, fällt sie nur immer wieder in einen Trieb, treibt sich nur in Begierden herum und erhebt sich nicht über diese ganze Sphäre der Triebe.

Die praktische absolute Reflexion aber erhebt sich über diese ganze Sphäre des Endlichen oder verlässt die Sphäre des niede­ren Begehrungsvermögens, worin der Mensch durch die Natur bestimmt ist und vom Äußeren abhängt. Endlichkeit besteht überhaupt darin, dass etwas eine Grenze hat, d. h. dass hier sein Nichtsein gesetzt ist oder dass es hier aufhört, dass es sich hier­mit also auf etwas Anderes bezieht. Die unendliche Reflexion aber besteht darin, dass ich mich nicht mehr auf etwas Anderes, sondern auf mich selbst beziehe oder mir selbst Gegenstand bin. Diese reine Beziehung auf mich selbst ist das Ich, die Wurzel des unendlichen Wesens selbst. Es ist die völlige Abstraktion von Allem, was endlich ist. Das Ich als solches hat keinen durch die Natur gegebenen oder unmittelbaren Inhalt, sondern hat nur sich selbst zum Inhalt. Diese reine Form ist sich zugleich ihr In­halt. Jeder von der Natur gegebene Inhalt ist 1) etwas Be­schränktes : das Ich aber ist unbeschränkt; 2) ist der Inhalt der Natur unmittelbar: das reine Ich aber hat keinen unmittelbaren Inhalt, weil es nur ist vermittelst der Abstraktion von allem Andern.

§13

Zuerst ist das Ich das rein unbestimmte. Es kann aber durch seine Reflexion von der Unbestimmtheit übergehen zur Be­stimmtheit, z. B. zum Sehen, Hören u. s. f. In dieser Bestimmt­heit ist es sich ungleich geworden, aber es ist zugleich in seiner Unbestimmtheit geblieben, d. h. es kann, indem es sich in sie begibt, wieder zurückkehren in sich selbst. Hierher gehört auch das Entschließen, denn es geht ihm die Reflexion vorher und besteht darin, dass ich mehrere Bestimmtheiten vor mir habe, in unbestimmter Menge, welche aber doch wenigstens diese zwei sein müssen, nämlich irgend eine Bestimmung von etwas oder auch dieses nicht. Der Entschluss hebt die Reflexion, das Her­über- und Hinübergehen von einem zum andern, auf, macht eine Bestimmtheit fest und macht sie zur seinigen. Die Grund­bedingung des Beschließens, der Möglichkeit, sich zu entschlie­ßen oder vor dem Handeln zu reflektieren, ist die absolute Un­bestimmtheit des Ich.

§14

Die Freiheit des Willens ist die Freiheit im Allgemeinen und alle andern Freiheiten sind bloß Arten davon. Wenn man sagt: Freiheit des Willens, so ist nicht gemeint, als ob es außer dem Willen noch eine Kraft, Eigenschaft, Vermögen gäbe, das auch Freiheit hätte. Gerade wie, wenn man von der Allmacht Gottes spricht, man dabei nicht versteht, als ob es dabei noch andere Wesen gäbe außer ihm, die Allmacht hätten. Es gibt also bür­gerliche Freiheit, Pressfreiheit, politische, religiöse Freiheit. Diese Arten von Freiheit sind der allgemeine Freiheitsbegriff, inso­fern er angewandt ist auf besondere Verhältnisse oder Gegen­stände. Die Religionsfreiheit besteht darin, dass religiöse Vor­stellungen, religiöse Handlungen, mir nicht aufgedrungen wer­den, d. h. nur solche Bestimmungen in ihr sind, die ich als die meinigen anerkenne, sie zu den meinigen mache. Eine Religion, die mir aufgedrungen wird oder in Rücksicht welcher ich mich nicht als freies Wesen verhalte, ist nicht die meinige, sondern bleibt immer eine fremde für mich. — Die politische Freiheit eines Volkes bestellt darin, einen eigenen Staat auszumachen und, was als allgemeiner Nationalwille gilt, entweder durch das ganze Volk selbst zu entscheiden oder durch solche, die dem Volk angehören und die es, indem jeder andere Bürger mit ihnen gleiche Rechte hat, als die Seinigen anerkennen kann.

§15

Man drückt sich wohl so aus: mein Wille ist von diesen Beweg­gründen, Umständen, Reizungen und Antrieben bestimmt worden. Dieser Ausdruck enthält zunächst, dass ich mich dabei passiv verhalten habe. In Wahrheit aber habe ich mich nicht nur passiv, sondern auch wesentlich aktiv dabei verhalten, darin nämlich, dass mein Wille diese Umstände als Beweggründe auf­genommen hat, sie als Beweggründe gelten lässt. Das Kausalitätsverhältnis findet hierbei nicht statt. Die Umstände verhal­ten sich nicht als Ursachen und mein Wille nicht als Wirkung derselben. Nach diesem Verhältnis muss, was in der Ursache liegt, notwendig erfolgen. Als Reflexion aber kann ich über jede Bestimmung hinausgehen, welche durch die Umstände ge­setzt ist. Insofern der Mensch sich darauf beruft, dass er durch Umstände, Reizungen u. s. f. verführt worden sei, so will er damit die Handlung gleichsam von sich wegschieben, setzt sich aber damit nur zu einem unfreien oder Naturwesen herab, wäh­rend seine Handlung in Wahrheit immer seine eigene, nicht die eines Anderen oder nicht die Wirkung von etwas außer ihm ist. Die Umstände oder Beweggründe haben nur so viel Herrschaft über den Menschen, als er selbst ihnen einräumt. Die Bestimmungen des niederen Begehrungsvermögens sind Naturbestimmungen. Insofern scheint es weder nötig noch möglich zu sein, dass der Mensch sie zu den seinigen mache. Allein eben als Naturbestimmungen gehören sie noch nicht sei­nem Willen oder seiner Freiheit an, denn das Wesen seines Wil­lens ist, dass nichts in ihm sei, was er nicht selbst zu dem Seini­gen gemacht habe. Er vermag also das, was zu seiner Natur gehört, als etwas Fremdes zu betrachten, so dass es mithin nur in ihm ist, ihm nur angehört, insofern er es zum Seinigen macht oder mit Entschluss seinen Naturtrieben folgt.

§16

Einem Menschen die Schuld einer Handlung beimessen, heißt sie ihm imputieren oder zurechnen. Kindern, die noch im Stande der Natur sind, kann man noch keine Handlung imputieren; sie sind noch nicht imputationsfähig; eben so auch Verrückte oder Blödsinnige.

§17

In dem Unterschied von Tat und Handlung liegt der Unter­schied der Begriffe von Schuld, wie sie vorkommen in den tra­gischen Darstellungen der Alten und in unsern Begriffen. In den ersteren wird Tat nach ihrem ganzen Umfang dem Men­schen zugeschrieben. Er hat für das Ganze zu büßen und es wird nicht der Unterschied gemacht, dass er nur eine Seite der Tat gewusst habe, die anderen aber nicht. Er wird hier darge­stellt als ein absolutes Wissen überhaupt, nicht bloß als ein relatives und zufälliges oder das, was er tut, wird überhaupt als seine Tat betrachtet. Es wird nicht ein Teil von ihm ab und auf ein anderes Wesen gewälzt; z. B. Ajax[2*]; als er die Rinder und Schafe der Griechen im Wahnsinn des Zorns, dass er die Waffen Achills nicht erhalten hatte, tötete, schob nicht die Schuld auf seinen Wahnsinn, als ob er darin ein anderes Wesen gewesen wäre, sondern er nahm die ganze Handlung auf sich als den Täter und entleibte sich aus Scham.

§18

Wenn der Wille nicht ein allgemeiner wäre, so würden keine eigentlichen Gesetze statt finden, nichts, was Alle wahrhaft ver­pflichten könnte. Jeder könnte nach seinem Belieben handeln und würde die Willkür eines Andern nicht respektieren. Dass der Wille ein allgemeiner ist, fließt aus dem Begriff seiner Freiheit. Die Menschen, nach ihrer Erscheinung betrachtet, zeigen sich als sehr verschieden in Rücksicht des Willens überhaupt, nach Charakter, Sitte, Neigung, besondern Anlagen. Sie sind inso­fern besondere Individuen und unterscheiden sich durch die Na­tur von einander. Jedes hat Anlagen und Bestimmungen in sich, die dem andern fehlen. Diese Unterschiede der Individuen ge­hen den Willen an sich nichts an, weil er frei ist. Die Freiheit besteht eben in der Unbestimmtheit des Willens oder dass er keine Naturbestimmtheit in sich hat. Der Wille an sich ist also ein allgemeiner Wille. Die Besonderheit oder Einzelheit des Menschen steht der Allgemeinheit des Willens nicht im Wege, sondern ist ihr untergeordnet. Eine Handlung, die rechtlich oder moralisch oder sonst vortrefflich ist, wird zwar von einem Ein­zelnen getan, alle aber stimmen ihr bei. Sie erkennen also sich selbst oder ihren eigenen Willen darinnen. — Es ist hier der­selbe Fall, wie bei Kunstwerken. Auch diejenigen, die kein sol­ches Werk hätten zu Stande bringen können, finden ihr eigenes Wesen darin ausgedrückt. Ein solches Werk zeigt sich also als wahrhaft allgemeines. Es erhält um so größeren Beifall, je mehr das Besondere des Urhebers daraus verschwunden ist.

Es kann der Fall sein, dass man sich seines allgemeinen Willens nicht bewusst ist. Der Mensch kann glauben, es gehe etwas voll­kommen gegen seinen Willen, ob es gleich doch sein Wille ist. Der Verbrecher, der bestraft wird, kann allerdings wünschen, dass die Strafe von ihm abgewendet werde: aber der allgemeine Wille bringt es mit sich, dass das Verbrechen bestraft wird. Es muss also angenommen werden, dass es im absoluten Willen des Verbrechers selbst liegt, dass er bestraft werde. Insofern er be­straft wird, ist die Forderung vorhanden, dass er auch einsehe, er werde gerecht bestraft, und wenn er es einsieht, kann er zwar wünschen, dass er von der Strafe als einem äußerlichen Leiden befreit sei, aber insofern er zugibt, dass er gerecht bestraft werde, stimmt sein allgemeiner Wille der Strafe bei.

§19

Die Willkür ist Freiheit, aber sie ist formelle Freiheit oder Frei­heit, insofern sich mein Wille auf etwas Beschränktes bezieht. Man muss dabei zwei Seiten unterscheiden: 1) insofern der Wille dabei nicht in der Gleichheit mit sich selbst bleibt und 2) inwiefern er in der Gleichheit mit sich selbst bleibt ad 1) Insofern der Wille etwas will, so hat er einen bestimmten, beschränkten Inhalt. Er ist also insofern ungleich mit sich selbst, weil er hier wirklich bestimmt, an und für sich aber unbestimmt ist. Das Beschränkte, das er in sich aufgenommen hat, ist also etwas Anderes, als er selbst; 2. B. wenn ich gehen oder sehen will, so bin ich ein Gehender oder Sehender. Ich verhalte mich also ungleich mit mir selbst, weil das Gehen oder Sehen etwas Beschränktes ist und nicht gleich ist dem Ich. ad 2) Aber ich verhalte mich der Form nach darin auch in Gleichheit mit mir selbst oder frei, weil ich, indem ich so be­stimmt bin, mich zugleich als etwas Fremdes ansehe oder dies Bestimmtsein von mir, dem Ich, unterscheide, weil, so zu gehen, zu sehen, nicht von Natur in mir ist, sondern weil ich es selbst in meinen Willen gesetzt habe. Insofern ist es offenbar zugleich auch kein Fremdes, weil ich es zu dem Meinigen gemacht und darin meinen Willen für mich habe.

Diese Freiheit ist nun eine formelle Freiheit, weil bei der Gleich­heit mit mir selbst zugleich auch Ungleichheit mit mir vorhan­den oder ein Beschränktes in mir ist. Wenn wir im gemeinen Leben von Freiheit sprechen, so verstehen wir gewöhnlich dar­unter die Willkür oder relative Freiheit, dass ich irgend etwas tun oder auch unterlassen kann. — Bei beschränktem Willen können wir formelle Freiheit haben, inwiefern wir dies Be­stimmte von uns unterscheiden oder darauf reflektieren, d. h. dass wir auch darüber hinaus sind. — Wenn wir in Leidenschaft sind oder durch die Natur getrieben handeln, so haben wir keine for­melle Freiheit. Weil unser Ich ganz in diese Empfindung auf­geht, scheint sie uns nicht etwas Beschränktes zu sein. Unser Ich ist nicht auch zugleich heraus, unterscheidet sich nicht von ihr.

§20

Der absolut freie Wille unterscheidet sich vom relativ freien oder der Willkür dadurch, dass der absolute nur sich selbst, der relative aber etwas Beschränktes zum Gegenstand hat. Dem relativen Willen, z. B. der Begierde, ist es bloß um den Gegen­stand zu tun. Der absolute unterscheidet sich aber auch vom Eigensinn. Dieser hat mit dem absoluten Willen gemeinschaft­lich, dass es ihm nicht sowohl um die Sache zu tun ist, sondern vielmehr um den Willen als Willen, dass eben sein Wille respektiert werde. Beide sind wohl zu unterscheiden. Der Eigensinnige bleibt bei seinem Willen bloß, weil dies sein Wille ist, ohne einen vernünftigen Grund dafür zu haben, d. h. ohne dass sein Wille etwas Allgemeingültiges ist. — So notwendig es ist, Stärke des Willens zu haben, der bei einem vernünftigen Zweck beharrt, so widrig ist der Eigensinn, weil er das ganz Einzelne und Ausschließende gegen Andere ist. Der wahrhaft freie Wille hat keinen zufälligen Inhalt. Nicht zufällig ist nur er selbst.

§21

Dem reinen Willen ist es nicht um irgend eine Besonderheit zu tun. Insofern dies der Fall beim Willen ist, insofern ist er Will­kür, denn diese hat ein beschränktes Interesse und nimmt ihre Bestimmungen her aus natürlichen Trieben und Neigungen. Ein solcher Inhalt ist ein gegebener und nicht absolut durch den Willen gesetzt. Der Grundsatz des Willens ist also, dass seine Freiheit zu Stande komme und erhalten werde. Außerdem will er zwar noch mancherlei Bestimmungen. Er hat noch vielerlei bestimmte Zwecke, Einrichtungen, Zustände u. s. w., aber diese sind nicht Zwecke des Willens an und für sich, sondern sie sind Zwecke, weil sie Mittel und Bedingungen sind zur Realisierung der Freiheit des Willens, welche Einrichtungen und Ge­setze notwendig macht zur Beschränkung der Willkür, der Nei­gungen und des bloßen Beliebens, überhaupt der Triebe und Begierden, die sich bloß auf Naturzwecke beziehen; z. B. die Erziehung hat den Zweck, den Menschen zu einem selbständi­gen Wesen zu machen, d. h. zu einem Wesen von freiem Willen. Zu dieser Absicht werden den Kindern vielerlei Einschränkun­gen ihrer Lust auferlegt. Sie müssen gehorchen lernen, damit ihr einzelner oder eigener Wille, ferner die Abhängigkeit von sinnlichen Neigungen und Begierden, aufgehoben und ihr Wille also befreit werde.

§22

Der Mensch ist ein freies Wesen. Dies macht die Grundbestim­mung seiner Natur aus. Außerdem aber hat er noch andere notwendige Bedürfnisse, besondere Zwecke und Triebe, z. B. den Trieb zum Erkennen, zur Erhaltung seines Lebens, seiner Gesundheit u. s. f. Das Recht hat den Menschen nicht zum Ge­genstand nach diesen besondern Bestimmungen. Es hat nicht den Zweck, ihn nach denselben zu fördern oder ihm eine beson­dere Hülfe darüber zu leisten.

Zweitens. Das Recht hängt nicht ab von der Absicht, die man dabei hat. Man kann etwas tun mit einer sehr guten Absicht, aber die Handlung wird dadurch nicht rechtlich, sondern kann demohngeachtet widerrechtlich sein. Auf der anderen Seite kann eine Handlung, z. B. die Behauptung meines Eigentums, voll­kommen rechtlich und doch eine böse Absicht dabei sein, indem es mir nicht bloß um das Recht zu tun ist, sondern vielmehr darum, dem Anderen zu schaden. Auf das Recht als solches hat diese Absicht keinen Einfluss.

Drittens. Es kommt nicht auf die Überzeugung an, ob das, was ich zu leisten habe, recht oder unrecht sei. Dies ist besonders der Fall bei der Strafe. Man sucht den Verbrecher wohl zu überzeu­gen, dass ihm Recht widerfahre. Doch hat diese Überzeugung oder Nichtüberzeugung keinen Einfluss auf das Recht, das ihm angetan wird. —

Endlich kommt es dem Recht auch nicht auf die Gesinnung an, mit der etwas vollbracht wird. Es ist sehr oft der Fall, dass man das Recht bloß tut aus Furcht vor der Strafe oder aus Furcht vor anderen unangenehmen Folgen überhaupt, z. B. seinen gu­ten Ruf, seinen Credit zu verlieren. Oder man kann auch, sein Recht erfüllend, die Gesinnung dabei haben, im anderen Leben dafür belohnt zu werden. Das Recht aber als solches ist von die­sen Gesinnungen unabhängig.

§23

Recht und Moral sind von einander unterschieden. Es kann, dem Rechte nach, etwas sehr wohl erlaubt sein, was die Moral verbietet. Das Recht z. B. erlaubt mir die Disposition über mein Vermögen auf ganz unbestimmte Weise, allein die Moral ent­hält Bestimmungen, welche dieselbe einschränken. Es kann scheinen, als ob die Moral Vieles erlaubt, was das Recht nicht erlaubt, allein die Moral fordert nicht nur die Beobachtung des Rechts gegen Andere, sondern setzt zum Recht vielmehr die Ge­sinnung hinzu, das Recht um des Rechtes willen zu respektieren. Die Moral fordert selbst, dass zuerst das Recht beobachtet werde und da, wo es aufhört, treten moralische Bestimmungen ein. Damit eine Handlung moralischen Werth habe, ist die Einsicht notwendig, ob sie recht oder unrecht, gut oder böse sei. Was man Unschuld der Kinder oder unzivilisierter Nationen nennt, ist noch nicht Moralität. Kinder oder solche Nationen unterlas­sen eine Menge böser Handlungen, weil sie noch keine Vorstel­lung davon haben, weil überhaupt noch nicht die Verhältnisse vorhanden sind, unter welchen allein solche Handlungen mög­lich werden; solches Unterlassen böser Handlungen hat keinen moralischen Werth. Sie tun aber auch Handlungen, die der Moral gemäß und deswegen doch nicht gerade moralisch sind, insofern sie keine Einsicht in die Natur der Handlung haben, ob sie gut oder böse.

Der eigenen Überzeugung steht der bloße Glaube auf die Auto­rität Anderer entgegen. Wenn meine Handlung moralischen Werth haben soll, so muss meine Überzeugung damit verknüpft sein. Die Handlung muss im ganzen Sinn die meinige sein. Handle ich aber auf die Autorität Anderer, so ist sie nicht völlig die meinige; es handelt eine fremde Überzeugung aus mir. Es gibt aber auch Verhältnisse, in denen es die moralische Seite ist, gerade aus Gehorsam und nach Autorität Anderer zu han­deln. Ursprünglich folgt der Mensch seinen natürlichen Neigun­gen ohne Überlegung oder mit noch einseitigen, schiefen und unrichtigen, selbst unter der Herrschaft der Sinnlichkeit stehen­den Reflexionen. In diesem Zustand muss er gehorchen lernen, weil sein Wille noch nicht der vernünftige ist. Durch dies Ge­horchen kommt das Negative zu Stande, dass er auf die sinnliche Begierde Verzicht tun lernt und nur durch diesen Gehorsam gelangt der Mensch zur Selbstständigkeit. Er folgt in dieser Sphäre immer einem Anderen, ebensosehr, wenn er seinem eigenen, im Ganzen noch sinnlichen Willen, oder dem Willen eines Anderen gehorcht. Als Naturwesen steht er eines Teils unter der Herrschaft äußerlicher Dinge, andererseits aber sind diese Neigungen und Begierden etwas Unmittelbares, Be­schränktes, Unfreies oder ein Anderes, als sein wahrhafter Wille. Der Gehorsam gegen das Gesetz der Vernunft ist Gehor­sam in Beziehung auf meine unwesentliche Natur, welche unter der Herrschaft eines für sie Anderen steht. Allein auf der ande­ren Seite ist er selbstständige Bestimmung aus sich selbst, denn eben dieses Gesetz hat seine Wurzel in meinem Wesen. Die Gesinnung ist also bei der Moral ein wesentliches Moment. Sie besteht darin, dass man die Pflicht tut, weil es sich so ge­hört. Es ist also eine unmoralische Gesinnung, etwas aus Furcht vor der Strafe oder deshalb zu tun, um bei Andern eine gute Meinung von sich zu erhalten. Dies ist ein heterogener, d. i. fremdartiger Beweggrund, denn es ist nicht der Grund der Sache selbst oder man betrachtet alsdann das Recht nicht als etwas, das an und für sich selbst ist, sondern als etwas, das von äußerlichen Bestimmungen abhängig ist.

Dennoch ist die Betrachtung, ob Strafen oder Belohnungen auf eine Handlung gesetzt sind, wenn gleich die Folgen nicht den Werth der Handlung ausmachen, von Wichtigkeit. Die Folgen einer guten Handlung können oft vieles Üble nach sich ziehen, eine böse Handlung hingegen kann unter ihren Folgen auch gute haben. — Überhaupt aber an die Folgen der Handlung zu denken, ist deswegen wichtig, weil man dadurch nicht bei dem unmittelbaren Gesichtspunkte stehen bleibt, sondern darüber hinausgeht. Durch ihre mehrseitige Betrachtung wird man auch auf die Natur der Handlungen geleitet.

Nach dem Recht ist der Mensch dem Menschen Gegenstand als ein absolut freies Wesen; nach der Moral hingegen als ein ein­zelnes nach seinem besonderen Dasein als Familienglied, als Freund, als ein solcher Charakter u. s. f. Wenn die äußeren Um­stände, in denen der Mensch mit Anderen steht, so beschaffen sind, dass er seine Bestimmung erfüllt, so ist das sein Glück. Eines Teils steht dieses Wohl in der Macht seines Willens, andern Teils hängt es von äußeren Umständen und anderen Menschen ab. Die Moral hat den Menschen auch nach seinem besonderen Dasein oder nach seinem Wohl zum Gegenstande und fordert nicht nur, dass der Mensch in seiner abstrakten Frei­heit gelassen, sondern auch dass sein Wohl befördert werde. — Das Wohlsein als die Angemessenheit des Äußeren zu unserm Inneren nennen wir auch Vergnügen. Glückseligkeit ist nicht nur ein einzelnes Vergnügen, sondern ein fortdauernder Zu­stand, zum Teil des wirklichen Vergnügens selbst, zum Teil auch der Umstände und Mittel, wodurch man immer die Mög­lichkeit hat, sich, wenn man will, Vergnügen zu schaffen. Das Letztere ist also das Vergnügen der Vorstellung. In der Glück­seligkeit aber wie im Vergnügen liegt der Begriff des Glückes, dass es zufällig ist, ob die äußeren Umstände den inneren Be­stimmungen der Triebe angemessen sind. Die Seligkeit hinge­gen besteht darin, dass kein Glück in ihr ist, d. h., dass in ihr die Angemessenheit des äußeren Daseins zum inneren Verlangen nicht zufällig ist. Seligkeit kann nur von Gott gesagt werden, in welchem Wollen und Vollbringen seiner absoluten Macht dasselbe ist. Für den Menschen aber ist die Übereinstimmung des Äußeren zu seinem Inneren beschränkt und zufällig. Er ist darin abhängig.

§25[3*]

Der moralische Wille in Rücksicht auf die Gesinnung ist unvollkommen. Er ist ein Wille, der das Ziel der Vollkommenheit hat, aber: 1) wird er zur Erreichung desselben auch durch die Trieb­feder der Sinnlichkeit und Einzelheit getrieben; 2) hat er die Mittel nicht in seiner Macht und ist daher, das Wohl Anderer zu Stande zu bringen, beschränkt. In der Religion hingegen be­trachtet man das göttliche Wesen, die Vollendung des Willens, nach seinen beiden Seiten, nämlich nach der Vollkommenheit der Gesinnung, die keine fremdartigen Triebfedern mehr in sich hat, und alsdann nach der Vollkommenheit der Macht, die heili­gen Zwecke zu erreichen.

 

Anmerkungen der Herausgeber

[1*]Die Nummern derselben laufen unabhängig von der Zahl der vorigen Para­graphen fort.

[2*] Bei Homer der tapferste Grieche des Trojanischen Krieges nach Achilleus. Die er­wähnte Geschichte findet sich erst in der Kleinen Ilias des Lesches (7. Jh.), ferner bei Aischylos, Sophokles und Ovid, Met. 13.

[3*] §24 fehlt im Original.

 


Zuletzt aktualisiert am 15.11.2007