Clara Zetkin

 

Der Kampf der kommunistischen Parteien gegen Kriegsgefahr und Krieg

(Teil 2)

 

[Abrüstungskonferenzen]

Die Finger beider Hände reichen nicht hin, um all die Konferenzen aufzuzählen, die seit Kriegsende stattgefunden haben, um national und international die kapitalistische Wirtschaft wieder in „normalen“ Gang zu bringen und trotzdem den Frieden zu sichern – Konferenzen von Staatsweisen und Staatsgewaltigen, von klug rechnenden Industriefürsten, verwegen spekulierenden Finanztechnikern und pazifistischen Träumern. Alle diese Zusammenkünfte und Beratungen sind ergebnislos geblieben. Ihr Ausgang war in dem Schicksal des Völkerbundes vorgezeichnet. Während des Krieges wurde er als Erretter von allen politischen Kindern und Bettlern gepriesen, die hoffnungsvolle Narren sind. Die hervorragendsten Gewerkschaftsführer aller Länder schworen auf ihn, um den Sozialismus und das Proletariat verraten und der Bourgeoisie dienen zu können. Karl Kautsky gab Marx preis, bekannte sich zu Wilson und erklärte Lenin in den Bann. Heute ist kaum noch jemand über das imperialistische Wesen und die völlige pazifistische Ohnmacht dieser politischen Spottgeburt im Zweifel. Der Oberste Rat der Alliierten, der Ententeimperialismus, hat unbeschränkt das Wort.

In jüngster Zeit war die Washingtoner Konferenz das abschreckende Beispiel für die Wertlosigkeit der üblichen Wiederaufbau- und Abrüstungskonferenzen. Monatelang war Washington das Mekka aller Friedenssehnsüchtigen und Friedensgläubigen. Die Pazifisten organisierten mit höchster Energie, mit leidenschaftlichem Eifer Kampagnen, nutzten jede Gelegenheit, um das von der Konferenz erhoffte Friedenswerk zu fördern. Nachdem die Berge gekreißt hatten, wurde eine Maus geboren, eine sehr kleine Maus.

Was sollte die Washingtoner Konferenz schaffen? Eine Verständigung der drei Mächte – Englands, der Vereinigten Staaten und Japans -, für die es im Wettbewerb um Ausbeutung und Herrschaft in Ostasien immer unaufhaltsamer hart auf hart gegeneinander gehen wird. Die Konferenz hatte „die ostasiatischen Fragen“ zu regeln, mit anderen Worten Ostasien als Beute zwischen den drei Mächten aufzuteilen. Sie sollte in Verbindung damit eine erhebliche Abrüstung herbeiführen, von der eine günstige Einwirkung auf den Wiederaufbau des Kapitalismus in Europa erwartet wurde. Die Abrüstung würde dafür – so wurde gerechnet – in England und namentlich in der nordamerikanischen Union größte Mittel flüssig machen. Was ist bei der Konferenz herausgekommen ? Es ist schwer genau zu sagen. Die vielwöchigen Beratungen, die Beschlussfassungen verteilten sich auf öffentliche Sitzungen und geheime Kommissionsberatungen. Die Presse veröffentlichte weit mehr Meinungsäußerungen einzelner Staatsmänner und Politiker, Mutmaßungen, Auslegungen, Prophezeiungen über die Konferenz als positive genaue Ergebnisse ihrer Arbeit. Nach Berichten und Artikeln aus den letzten Tagen dürfte sich das Ergebnis also zusammenfassen lassen:

Obgleich Frankreich keine unmittelbaren Interessen in den umstrittenen Ausbeutungsgebieten Ostasiens hat, nahm Briand an den Washingtoner Verhandlungen teil. England wie die Vereinigten Staaten mussten danach trachten, den französischen Imperialismus zu binden, zu verhindern, dass er im Falle eines Konfliktes zwischen ihnen sich als Bundesgenosse auf die eine oder die andere Seite schlagen würde. So kam es zu einem Viermächtevertrag über Ostasien, der später durch den Anschluss Italiens zu einem Fünfmächtevertrag geworden ist, und zu einem Neunmächteabkommen über China. Der Vierbeziehungsweise Fünfmächtevertrag sichert den beteiligten Staaten ihren bisherigen Besitzstand in Ostasien und gilt für die Dauer von zehn Jahren. Falls einer der Vertragsmächte während dieser Zeit in Ostasien ein Konflikt droht, sollen alle Vertragsstaaten zu Beratungen zusammentreten und den Konflikt zu verhindern suchen. Nach dem Neunmächteabkommen soll Japan Schandung an China zurückgeben und China Japan die Schandungbahn abkaufen.

Beide Abkommen sind reichlich unbestimmt, sie wurden in Wirklichkeit ohne Chinas entscheidende Mitwirkung abgeschlossen und ohne dass Sowjetrussland und die Fernöstlichen Republiken zu den Beratungen hinzugezogen worden wären, obgleich doch in Ostsibirien ihre Interessen gegen die Erringungsund Beutegelüste des imperialistischen Japans stehen. Höchstwahrscheinlich existieren neben ihnen Geheimverträge zwischen England und Japan – das alte Bündnis musste offiziell gelöst werden – wie zwischen Frankreich und Japan. Die Abkommen verraten wie die Furcht der großkapitalistischen Staaten vor den künftigen Weltkriegen so ihre Ohnmacht, sie zu bannen. Sie werden wie Spinngewebe zerrissen, wenn das Ringen um Macht und Gold in Ostasien die Vertragschließenden in Riesenmetzeleien gegeneinander und gegen die Völker treibt, die sie sich ausbeutungspflichtig machen wollen.

Denn was ist’s mit der Abrüstung? Auf die Dauer von zehn Jahren sollen in den fünf Vertragsstaaten keine Großkampfschiffe gebaut werden. Der Gesamttonnengehalt der Großkampfschiffe ist für jeden der fünf Staaten festgesetzt. Es müssen zerstören: England und Japan je 24 Schlachtschiffe, die Vereinigten Staaten 30. Offen scheint die Frage zu sein, wie viel Schiffe Frankreich und Italien zu vernichten haben, und zwar erst von 1930 und 1931 an. Dem Stärkeverhältnis für künftige Neubauten von Großkampfschiffen soll dieser Schlüssel zugrunde liegen: England 5, die Vereinigten Staaten 5, Japan 3, Frankreich 1,75 und Italien 1,75. Großkampfschiffe von mehr als 31.000 Tonnen dürfen nicht mehr gebaut werden. Von der Verständigung über einige unwesentliche Einzelheiten abgesehen, kam die Konferenz zu keiner Einigung über die Einschränkung des Bestandes und des Baues der Unterseeboote. Aber das gerade ist für das äußerst dürftige Ergebnis der Seekriegabrüstung entscheidend.

Die Zerstörung und der eingeschränkte Bau von Großkampfschiffen besagen nicht viel angesichts der Tatsache, dass angesehenste Fachmänner einmütig der Auffassung sind, die Zeit der Dreadnoughts sei vorüber. In den Seekriegen der Zukunft werde das Großkampfschiff eine verschwindende Bedeutung haben, ausschlaggebend würden vielmehr sein das Unterseeboot und technisch höchstwertige Mord- und Vernichtungswerkzeuge ähnlicher Art, die zum Teil schon erfunden seien oder deren Erfindung bevorstehe. Es war Briand, der sich mit äußerster Energie einer Einschränkung der Unterseeboote widersetzte. Die furchtbare Seerüstung Frankreichs, die er als unabweisbare „Sicherheitsmaßregel“ erklärte, wird in England allgemein als schwerste Bedrohung empfunden, als Gefahr eines Überfalls auf seine Küsten.

An Briands Widerstand scheiterte auch der schüchterne Versuch zu einer Herabminderung der Heeresbestände. Der französische Imperialismus, der Imperialismus überhaupt besteht auf seinem Schein. Auch die Luftrüstungen wurden nicht eingeschränkt. Und das, obgleich kein Zweifel daran ist, dass der Luftkrieg künftig alles Dagewesene an Schrecken und Barbarei überbieten wird. Von Luftfahrzeugen aus können mit einem Schlag fliegende Torpedos ganze Städte zerstören, können furchtbare Kriegsgifte und Kriegsgase viele Zehntausende Männer, Frauen und Kinder morden, blühende Landstriche in Wüsteneien verwandeln. In den chemischen Staatslaboratorien der nordamerikanischen Union sind entsprechende Erfindungen gemacht worden so teuflischer Art, dass das Blut stockt, wenn man über ihre Wirkungen liest. Das nennt sich „Errungenschaften“ der Wissenschaft und Technik! Die Washingtoner Konferenz hat gehalten, was Hughes ihr als Weisung gab: keine Ermutigung für den radikalen Pazifismus zu sein. Sie hat bestätigt, was alle Konferenzen und Verständigungen kapitalistischer Staaten vor ihr lehren: Die Abkommen und Verträge zwischen den Imperialisten verschiedener Länder sind keineswegs Friedensbürgschaften, sie sind Kriegsdrohungen und Kriegsvorbereitungen.

Genossinnen und Genossen! Eine weitere internationale Konferenz liegt vor uns: die Wirtschaftskonferenz zu Genua. Sie soll die Frage des Wiederaufbaus und des Friedens der kapitalistischen Welt gleichsam vom anderen Ende her anpacken. Auf der Tagesordnung steht nicht die Friedens- und Abrüstungsfrage, sondern die Frage des Aufbaus der Wirtschaft Europas. Doch der innere Zusammenhang der Dinge liegt auf der Hand. Ohne Frieden keine Aufbaumöglichkeit. Das Wirtschaftliche schlägt in das Politische um. Die Verständigung der Staaten über die Wiederherstellung der kapitalistischen Wirtschaft, über ihr internationales Zusammenwirken zu diesem Ziel, bedingt auch politisches Handinhandgehen. Die Konferenz zu Genua soll vom Kapitalismus das Geschick abwenden: Weltkrieg oder proletarische Weltrevolution. Die weltwirtschaftlichen und weltpolitischen Gegensätze zwischen Siegern und Besiegten im letzten Kriege, zwischen Frankreich und England, zwischen den kapitalistischen Staaten Europas überhaupt sollen zurücktreten hinter dem großen gemeinsamen Interesse der in ihnen ausbeutenden und herrschenden Bourgeoisie, den dahinsiechenden Kapitalismus wieder lebenskräftig, blühend auf die Beine zu stellen. Die Konferenz zu Genua hat die Aufgabe, zu diesem Zwecke die in den europäischen Staaten vorhandenen nationalen Kräfte, einheitlich und planmäßig organisiert, international zusammenzufassen. Um den Zweck zu erreichen, soll auch die politische Blockade gegen den „Bolschewismus“ aufgehoben werden. Sowjetrussland wird an den Genueser Beratungen teilnehmen, denn ohne seine Eingliederung in die Wirtschaft Europas ist deren Gesundung unmöglich. Davon haben sich die Lloyd George und Poincare überzeugen müssen. Gelingt in Genua die Verständigung über den wirtschaftlichen Aufbau zwischen den Staaten Europas, so hofft man, dass ihn die in Reichtum erstickende amerikanische Union durch Riesenanleihen usw. unterstützen wird.

Die nackte Tatsache, dass die Konferenz einberufen wurde, hat ihren Wert. Mit welch tönenden Phrasen es auch verhüllt wird, die Einberufung ist das unfreiwillige Eingeständnis, dass der Pakt zu Versailles, dass alle Verträge, die den Weltkrieg beendet haben, nicht Friedensverträge sind, sondern „Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln“. Sie verfolgen die Ziele, die er verfolgt hat. Deshalb ist es ein Ding der Unmöglichkeit, dass sie den Wiederaufbau der Wirtschaft in Europa sichern. Umgekehrt: Sie tragen zu deren weiterer Zerrüttung und Verarmung bei. Die wirtschaftliche und finanzielle Lage aller europäischen Staaten ist der Beweis dafür. Die Verträge sind unhaltbar geworden.

Die Einberufung der Konferenz ist weiter das Eingeständnis, dass die Bourgeoisie der einzelnen Länder außerstande ist, aus dem vom Krieg hinterlassenen Trümmerhaufen der Wirtschaft einen klug gefügten, festen Bau aufzurichten. Die Riesenhaftigkeit der Aufgabe und die dabei in Betracht kommenden wirtschaftlichen Verknüpfungen schließen allein schon das aus. In Frankreich wie in England, in Deutschland wie in der Tschechoslowakei usw., auch in den neutralen Staaten sind die Anläufe vergeblich, dem Leben in Wirtschaft und Staat den geordneten Gang der Vorkriegszeit zurückzugeben. Geringe oder gar sinkende Produktivität der Wirtschaft, wütende oder drohende Krise, Teuerungspreise, Papiergeldfluten, tolle Valutaschwankungen, der Pleitegeier über den öffentlichen Kassen, der Abbau sozialer Einrichtungen; dazu darbende Arbeiter und Angestellte, ins Proletariat versinkende Beamte, Mittelbürger jeder Art, Arbeitslose, Obdachlose und das Gegenstück: schlemmende Schieber und Protzen – das sind in fast allen Staaten Europas die Zeichen der Zeit. Der Bau der bürgerlichen Ordnung bricht noch nicht, jedoch er kracht.

Die Vernichtung und Verwüstung zu überwinden, die der Krieg geschaffen; die Wirtschaft Europas vollkommen, reicher aufzubauen, als sie war, ein Ausdruck erhöhter sozialer Einsicht und Verantwortlichkeit, gewaltigeren Könnens, kurz, fortgeschrittener Kultur: das ist ein Titanenwerk, das auch bei weitem die Kräfte der vereinigten Bourgeoisie von Europa und den Vereinigten Staaten übersteigt. Der Verlauf und das Ergebnis der Konferenz zu Genua werden helles Licht darauf werfen. Denn die Aufbaubestrebungen der bürgerlichen Regierungen dort werden darauf gerichtet sein, die kapitalistische Wirtschaft als Grundlage der Bourgeoisherrschaft zu erhalten: Kapitalismus und Bourgeoisherrschaft besagen aber Fesselung, Lähmung, Vergeudung und Verwüstung gesellschaftlicher Kräfte. Vorbedingung für einen kulturwürdigen gesellschaftlichen Aufbau ist, dass das Proletariat aller kapitalistischen Staaten in revolutionärem Kampfe die Klassenherrschaft der Bourgeoisie niederwirft. Indem es die Ketten seiner Lohnsklaverei bricht, sich von kapitalistischer Ausbeutung und Herrschaft befreit, entfesselt es alle heute gebundenen Kräfte der Hand- und Kopfarbeit zertrümmert es die Schranken, die die kapitalistische Profitwirtschaft ihrem Ausleben wie der Auswirkung der verfügbaren gewaltigen sachlichen Produktivkräfte setzt.

Seit dem Sommer 1921 hat sich die Weltwirtschaftslage, wie sie in den Thesen des III. Weltkongresses der Kommunistischen Internationale umrissen worden ist, im wesentlichen nicht geändert. Zwar haben sich in den Vereinigten Staaten und anderwärts einige Industriezweige etwas belebt, so die Baumwollwarenfabrikation, die Roheisenproduktion usw. Dafür ist in anderen Wirtschaftszweigen der Pulsschlag noch schwächer unregelmäßiger geworden. Alles in allem ist die große Krise des Weltkapitalismus nicht überwunden. In den Vereinigten Staaten gibt es noch immer sechs Millionen Arbeitslose, Aussperrungen und Streiks bald in dem, bald in jenem Erwerbsgebiet, eine rasch wachsende Farmerbewegung, die ihre Spitze gegen das Großkapital richtet. Die politischen Hüter der Bourgeoisherrschaft in England zittern vor dem Zweimillionenheer der Arbeitslosen, vor den Erschütterungen der Wirtschaft durch Aussperrungen und Ausstände. Die Arbeitslosen machen mit ihren Familien gegen fünf Millionen der Bevölkerung aus. Das besagt, dass mehr als ein Achtel davon auf Unterstützung angewiesen ist. Die Finanzkrise Frankreichs verschärft sich unaufhörlich. In Deutschland lebt die ausbeutende Minderheit zwar in unerhörtem Luxus und häuft Reichtümer über Reichtümer an, aber der Ertrag der Wirtschaft ist nicht groß genug, um neben dieser Leistung den Reparationsforderungen des Ententeimperialismus zu genügen, akkumulieren zu lassen und die Lohnsklaven des Kapitals nach dem standard of life der Vorkriegszeit zu erhalten; er ist nicht groß genug, um in der gewohnten Weise die Kosten des Staatshaushalts zu decken. Der Eisenbahnerstreik war das unzweideutige Anzeichen, dass das bürgerliche Deutschland seinen Staatssklaven nicht mehr den „standesgemäßen“ Lebensunterhalt zu sichern vermag. Dem Weltkapitalismus als Ganzem ist es seit dem formalen Kriegsende nicht gelungen, sich wirtschaftlich zu befestigen.

Auf einem Boden, der zerklüftet, schwankend und mit Ruinen besät ist, soll die Konferenz zu Genua die Wirtschaft Europas wiederherstellen, festigen und verbessern. Dazu gehört vor allem, dass ihr ein Kunststück gelingt: die Beziehungen zwischen Deutschland und der Entente so zu regeln, dass der französische Imperialismus der deutschen Wirtschaft nach Bedürfnis Blut abzapfen kann und dass diese Wirtschaft trotzdem lebenskräftig, blutvoll genug bleibt, um keine Schmutzkonkurrentin der englischen Industrie, sondern die vielkaufende, zahlungsfähige Abnehmerin zu werden. Die Lloyd George, Poincaré und ihre „Fachmänner“ dürften sich in Genua mit Wirth, Rathenau und Stinnes über die Lösung der Aufgabe „verständigen“. Die Kapitalisten Deutschlands und der Entente werden gemeinsam in Internationalität der Ausbeutung „das Geschäft des Wiederaufbaus machen“ – auf Kosten der deutschen Proletarier, der Proletarier aller Länder. Denn diese sind in einer unlösbaren Schicksalsgemeinschaft miteinander verbunden. Das deutsche Proletariat kann nicht durch verschärfte Ausbeutung und Unterdrückung in die tiefsten Tiefen des Elends, der Kulturarmut gestoßen werden, ohne dass sein Los auch den Absturz seiner Brüder in den anderen Ländern nach sich zieht. Kulilöhne der deutschen Arbeiter und Arbeiterinnen führen zur Schmälerung des Brotes der ausländischen Brüder und Schwestern, schlagen vielen von ihnen das Brot ganz aus der Hand.

Dies entspricht nur kapitalistischem Wesen, dass die Lasten des Wirtschaftsaufbaus mit den Proletariern der ganzen Welt zusammen der einzige Staat der Welt tragen soll, in dem die Proletariat die politische Macht der Bourgeoisie niedergeworfen haben. Diesen Preis muss Sowjetrussland für seine Kühnheit zahlen, die ersten großen siegreichen Schlachten der proletarischen Weltrevolution geschlagen zuhaben; lange muss es dafür opfern, dass die Proletarier der kapitalistisch fortgeschrittenen Länder ihre Befreiung von der ausbeutenden Bourgeoisherrschaft bis nun nicht zu wollen, nicht zu erkämpfen wagten. Es kann nicht als abgeschlossener Staat bestehen, es bedarf für das ungeheure beispiellose Werk seines wirtschaftlichen Aufbaus des Zusammenwirkens mit internationalen Kräften, der Unterstützung durch Produktionsmächte, die über der Entwicklungsstufe seiner eigenen Gütererzeugung stehen.

Ohne Sowjetordnung in anderen Ländern bedeutet Räterusslands Wiedereingliederung in die Weltwirtschaft: Wiedereingliederung in die Weltwirtschaft des Kapitalismus. Dieser aber wäre nicht er selbst, wenn er das vorliegende Problem von höchster geschichtlicher und kultureller Tragweite unter einem anderen Gesichtswinkel betrachten würde als dem des nackten Profits, des Gewinns. Im Hintergrunde lauern die Hoffnung, der Wille der internationalen Bourgeoisie weiter, auf wirtschaftlichem Wege zu versuchen, was bisher auf militärischem misslungen ist: nämlich die Vernichtung des „Bolschewismus“, der Rätemacht, Herabdrückung Sowjetrusslands zu einem Kolonialgebiet internationaler kapitalistischer Ausbeutung. Das wäre das Ideal der Bourgeoisie aller Länder, die sich für das „Selbstbestimmungsrecht“ der Nationen begeistert.

Wirtschaftlich findet das Sinnen und Trachten des Weltkapitalismus nach der „Erschließung“ Sowjetrusslands, das heißt nach seiner Ausplünderung, in der Frage ihren Ausdruck: Soll ein einziges internationales Mammutsyndikat von Kapitalisten sich am Aufbau der russischen Wirtschaft beteiligen, oder sollen an ihm mehrere, viele internationale Kapitalistenorganisationen mitwirken? Politisch kommt es in der Formel zum Ausdruck Soll die Sowjetregierung von den Regierungen der großen kapitalistischen Staaten in aller Form anerkannt werden? Wie immer die Antwort darauf lautet, sie wird gegeben werden von Wegelagerern, die sich darüber verständigen wollen, wie sie das auserkorene Opfer ausrauben, wie sie untereinander die Beute verteilen. Und darüber ist noch keine Einigkeit vorhanden.

Wohl ist die Bourgeoisie Europas einig in der Absicht, ihre weltpolitischen und weltwirtschaftlichen Interessenkonflikte auf Kosten Sowjetrusslands auszugleichen als eines neuen, gemeinsamen Koloniallandes. Jedoch so groß sind diese Interessenkonflikte, dass sie immer wieder aufs neue die Einigkeit des Weltkapitalismus gefährden und sprengen. Das lassen die Vorbereitungen der Konferenz zu Genua deutlich erkennen, die Gutachten der Sachverständigen verschiedener Nationalität, die Reden der Staatsmänner und Regierungshäupter, die Meinungen und Mutmaßungen in der Presse und die Ränke „einflussreicher Kreise“ vor und hinter den Kulissen. Insbesondere die Gegensätze zwischen dem französischen und dem englischen Imperialismus in der russischen Frage treten mit jedem Tage schärfer hervor. Wenn heute eine Verständigung und Annäherung zwischen den Ansichten von Lloyd George und Poincaré in der Stellungnahme zu Sowjetrussland gemeldet wird, so verzeichnen die Blätter morgen schon neue Meinungsverschiedenheiten.

Kennzeichnend für die widerspruchsvolle Lage ist auch die Stellung der deutschen Regierung. Sogar vom Standpunkt rein kapitalistischer Interessen aus wäre eine selbständige Politik Deutschlands gegenüber Sowjetrussland ein erheblicher Vorteil, ja mehr noch: eine dringende Notwendigkeit. Aber aus den Gründen, die weiter oben angeführt worden sind, schreckt die deutsche Regierung vor einer solchen Politik zurück. Beim Wiederaufbau der russischen Wirtschaft tritt sie als der getreue, eifrige Handlanger Englands auf. Die Regierung Wirth setzt damit die Tradition ihrer Vorgängerinnen seit dem Novemberumsturz von 1918 fort. Diese waren mit ihrer Auslandspolitik nie etwas anderes als die winselnden und hoffenden Nachläufer der Entente. Unter Berufung auf Kautskys Autorität schlug die Revolutionsregierung der sechs Volksbeauftragten, mit dem Unabhängigen Haase in ihrer Mitte, mit der gepanzerten Faust nach Sowjetrussland und kroch vor dem Ententeimperialismus. In Genua wird Deutschland die Quittung für die Politik der Schwäche und Kurzsichtigkeit seiner Regierung erhalten. Es wird für die Ententeimperialisten nichts sein als ein Objekt der Verhandlungen. Seine Vertreter werden nicht einmal den Mut aufbringen, die Frage einer Revision des Friedensvertrages zu Versailles aufzurollen, obgleich sonnenklar ist, dass ohne eine solche Revision die Wirtschaft Europas auch nicht auf kapitalistischer Grundlage wieder aufgebaut werden kann.

Ungeachtet der Armut und Zerrüttung seiner Wirtschaft tritt Sowjetrussland bei weitem stärker als das ökonomisch überlegene Deutschland an den Verhandlungstisch zu Genua. Die Gegensätze, die in der russischen Frage zwischen den Bourgeoisien, den Regierungen von England, Frankreich usw. bestehen, besagen Schwächung gegenüber Sowjetrussland. Die Frage der Anerkennung der Räteregierung wird die Gegensätze noch vertiefen, die Stellung der kapitalistischen Staaten weiter schwächen. De facto ist die Sowjetregierung bereits anerkannt durch die Einladung zur internationalen Wirtschaftskonferenz wie durch die Handelsverträge mit England und anderen Staaten. De facto bedarf sie keiner Legitimation. Sie ist durch Besseres, Machtvolleres anerkannt als durch irgendwelches Pergament, von Ministern und Diplomaten irgendwelcher kapitalistischer Länder unterzeichnet. Sie hat ihre Legitimität erhalten durch die Revolution, geschrieben mit dem Blut Zehntausender und Zehntausender russischer Arbeiter und Bauern, die im Kampfe für die Aufrichtung des Sowjetstaates und für seine Verteidigung wider die internationale Gegenrevolution gefallen sind.

Die Frage der Anerkennung der Sowjetregierung de jure durch die kapitalistischen Staaten Europas ist keine Frage der Lebensnotwendigkeit für Sowjetrussland. Allein, diese Anerkennung ist nicht ganz belanglos. Sie würde die Wiederherstellung der Wirtschafts- und Handelsbeziehungen zwischen Sowjetrussland und dem Ausland erleichtern, die Neigung der europäischen Kapitalisten zu Geschäften mit der Räteordnung steigern. Die Auseinandersetzungen der kapitalistischen Gutachter und Politiker über die Anerkennung der Sowjetregierung übertönt bestimmender als alle juristischen, politischen und sonstigen Gründe das wirtschaftliche Gebot der Stunde. Das aber fordert die Anerkennung.

Die Wiedereingliederung Sowjetrusslands in die Weltwirtschaft ist nicht nur dringende Notwendigkeit für die junge Arbeiter- und Bauernrepublik, sondern nicht minder für die Weltwirtschaft selbst. Ohne Aufbau, ohne Entwicklung der russischen Wirtschaft keine Aufbaumöglichkeit für die Wirtschaft Europas, für die Wiederherstellung des Weltmarkts. Das ist die Erkenntnis der sich die Kapitalisten Europas und der Vereinigten Staaten nicht zu entziehen vermögen. „Der Ludergeruch der Revolution“, von dem einst Friedrich Wilhelm IV. von Preußen gesprochen hat, mag der Weltbourgeoisie an Sowjetrussland noch so peinlich auf die Nerven fallen, sie kann des Riesenreiches als Käufer von Industrieerzeugnissen und Produktionsmitteln, als Verkäufer von Lebensmitteln und Rohstoffen, als Verleiher von Konzessionen für Kapitalanlagen nicht länger entraten, sie muss sich mit den „Bolschewisten“ verständigen, die sie noch gestern verfemte.

Die Vertreter Sowjetrusslands wissen genau, was es bedeutet, dass sie unter den Vertretern kapitalistischer Regierungen sitzen werden. Sie kommen daher ohne alle Illusionen als Männer, die mit den europäischen, den internationalen Kapitalisten Handelsgeschäfte abschließen wollen und nüchtern die Bedingungen dafür wägen. Sie sind dabei nicht wie ihre Gegenspieler durch den Zwiespalt imperialistischer Interessen an den verschiedensten Stellen der Erdkugel gefesselt. Da Sowjetrussland selbst frei von imperialistischen Tendenzen ist, kann es nach Möglichkeit die weltwirtschaftlichen und weltpolitischen Gegensätze der anderen Staaten ausnutzen. Und dieses ist letzten Endes das Entscheidende: Sowjetrussland hat für sich die Macht der proletarischen Revolution. Sie hat die Rote Armee aus dem Boden gestampft, die erst jetzt wieder im Karelischen Feldzug ihre siegreiche Kraft mit einem Heldenmut bewährte, der hinter den glänzenden Taten zur Niederwerfung Wrangels nicht zurücksteht. Sie wird bewirken, dass der Rätestaat auch den wirtschaftlichen Ansturm des Weltkapitalismus erfolgreich zurückschlägt.

Über Sowjetrussland werden die kapitalistischen Regierungen nicht wie über Deutschland verhandeln können, sie werden mit seinen Vertretern verhandeln müssen. Für das Verhandeln aber brauchen diese nicht den Preis von Demütigungen der Räterepublik zu zahlen, Sowjetrussland kann ruhiger als jeder andere Staat der Möglichkeit entgegensehen, dass die Genueser Konferenz nicht zustande kommt oder „auffliegt“. Sein Geschick hängt nicht von dieser Tagung und ihren Beschlüssen ab. Es wird bestimmt durch die Kraft der Selbstbehauptung der Sowjetmacht im Ringen mit dem Kapitalismus auf dem heimischen Boden und durch das Fortschreiten der proletarischen Weltrevolution. Weltkrieg oder proletarische Weltrevolution, das ist die Frage, die die Konferenz von Genua nicht von der Tagesordnung der Geschichte zu streichen vermag, auch wenn dank internationaler Verständigung der Kapitalismus eine „Atempause“ erhalten sollte.
 

[Bürgerlicher Pazifismus]

In der gegebenen geschichtlichen Lage könnte eine Bewegung praktische Bedeutung gewinnen, die von den weitaus meisten Politikern bisher als reine Wolkenkuckucksheimerei eingeschätzt worden ist. Es ist der bürgerliche Pazifismus und Antimilitarismus. In der Vorkriegszeit war er die einflusslose Ideologie kleiner bürgerlicher Kreise, meist von Intellektuellen, die über die Philosophie, die Frauenrechtlerei, die Sozialreform oder auch über die Enttäuschungen der „Parteipolitik“ zu den Forderungen des „ewigen Friedens“ gelangten. Ist es ein Zufall, dass der bürgerliche Pazifismus heute zu seinen Vorkämpfern nicht bloß angesehene „Einzelgänger“ zählt, sondern Sozialpolitiker, Finanzmänner, Schriftsteller von Ruf und mit wachsender Gefolgschaft in bürgerlichen und auch in proletarischen Kreisen? Es sei erinnert an Norman Laue Angell, Keynes, Caillaux, Nitti, Vanderlip und viele andere. In dem Umschwung offenbart sich mehr als die psychische, die moralische Reaktion gegen die Verbrechen und die Barbarei des Krieges. Offenbart sich die instinktive oder bewusste Sorge um den Fortbestand der bürgerlichen Ordnung.

Nachdem die nationale Ideologie des kapitalistischen Staates, der bürgerlichen Klassenherrschaft durch den imperialistischen Krieg, seine Begleit- und Folgeerscheinungen, erwiesen hat, dass sie heute nicht gesellschaftserhaltend, vielmehr gesellschaftszerstörend wirkt, würde die Verwirklichung des Pazifismus einen letzten Versuch darstellen, mittels der internationalen Zusammenfassung und Organisierung der gesellschaftlichen Kräfte die bürgerliche Ordnung zu retten. Nach der Auffassung der Pazifisten soll die Ausschaltung und Aufhebung der wirtschaftlichen und politischen nationalen Gegensätze durch kluge und gerechte internationale Organisation, durch Abrüstung und internationale Schiedsgerichte eine feste materielle und kulturelle Grundlage schaffen, auf der sich durch Sozialreform und Volksbildung auch die Klassengegensätze kampflos ausgleichen und überwinden lassen würden. Vorausgesetzt die Kleinigkeit, dass die Besitzenden ohne Rücksicht auf den kapitalistischen Profit „weise und billig“ in Ausnutzung ihrer Ausbeutungs- und Herrschaftsmacht sind und die Proletarier „vernünftig und mäßig“ in ihren Forderungen auf Freiheit und Gleichberechtigung.

Die Gesetze der kapitalistischen Wirtschaft, der geschichtlichen Entwicklung widersprechen diesem Ideal. Nehmen wir an, es würde gelingen, durch internationale Organisation der gesellschaftlichen Kräfte die Grenzen der Produktion zu erweitern, durch Rüstungs- und Kriegsersparnisse die bürgerliche Ordnung etwas wohnlicher für die Ausgebeuteten zu gestalten. Wenn das Privateigentum die Grundlage der Wirtschaft und der kapitalistische Profit die treibende Kraft der Produktion bleiben, so würden auch dann die Widersprüche des Kapitalismus weiter bestehen, die die Klassengegensätze und Klassenkämpfe, die Gegensätze und Kämpfe zwischen den bürgerlichen Nationalstaaten erzeugen; würden auch dann die gewaltig entfesselten Produktivkräfte wider die Schranken der Produktion rennen und in einer furchtbaren Krise diese Schranken zertrümmern Dem Kapitalismus ist keine Rettung gegeben.

Allein, es fragt sich, ob internationale Abrüstung und Schiedsgerichte, ob internationale Verständigung über die Annullierung aller Kriegsanleihen und Kriegsschulden, über den Wiederaufbau der zerstörten Gebiete und die Wiederherstellung der Wirtschaft usw. nicht jetzt Mittel sein könnten, die Lasten und Leiden des letzten Krieges zu mildern, den Lasten und Leiden neuer Kriege vorzubeugen, die durcheinander geworfenen, zerrütteten wirtschaftlichen und sozialen Beziehungen der einzelnen Staaten, der kapitalistischen Welt wiederherzustellen? Der Pazifismus wird diese Frage unbedingt bejahen. Er rechnet nur mit der Logik menschlicher Gedanken und nicht mit den Widersprüchen der harten Dinge, der wirtschaftlichen, sozialen Tatsachen. Die kurz hervorgehobenen inneren Widersprüche des Kapitalismus, die aufgezeigten Gegensätze zwischen den Kapitalistengruppen der einzelnen Länder, verschärft in den Gegensätzen zwischen den wenigen Siegerstaaten des Weltkrieges und den von ihnen ausgepressten unterlegenen Ländern, lassen sich nicht durch Resolutionen und Beschlüsse versöhnen. An ihnen werden auch die ersten unsicheren Schritte zur Verwirklichung pazifistischer Forderungen scheitern ...

Der Pazifismus ist seinem Wesen nach bürgerliche Sozialreform, ist eine spezifische Form bürgerlicher Sozialreform und ebenso ohnmächtig wie diese, die Widersprüche, Gegensätze und Übel des Kapitalismus zu überwinden. Die Aufrollung seiner Forderungen führt aber zu einer Schwächung des Klassenfeindes der Proletarier, der Bourgeoisie. Sie trägt Unruhe, Gärung, Zwiespalt und Unsicherheit in deren Reihen, unter den Massen der Bauern, der Klein- und Mittelbürger.

Die Kommunisten haben diese mögliche Schwächung der Bourgeoisie energisch auszunützen. Obgleich sie wissen, dass Lohnerhöhungen, gesetzlicher Achtstundentag und andere Reformen die Klassenausbeutung und Klassenknechtung des Proletariats durch Bourgeoisie nicht abschaffen, so führen sie doch die Arbeiter in Kämpfe für Lohn- und Reformforderungen, um proletarische Gegenwartsinteressen zu verteidigen und die entscheidenden proletarischen Zukunftskämpfe um die Macht vorzubereiten. Ebenso müssen die Kommunisten pazifistische Anläufe in der bürgerlichen Gesellschaft zum Anlass nehmen, um die Proletarier in den Kampf zu führen, dessen wichtigstes Ergebnis sein wird, sie von jeder pazifistischen Selbsttäuschung zu befreien und dadurch dem Geist des Kommunistischen Manifestes getreu – die Vereinigung des Proletariats als Klasse mit größerer Reife der Erkenntnis, des Willens und der Kampffähigkeit zu schaffen. Nicht der Ausgangspunkt des Kampfes, vielmehr dieses sein wertvollstes, sein positives Ergebnis muss für uns bestimmend sein.

Genossinnen und Genossen! Je bestechender nach den Furchtbarkeiten und Verbrechen des letzten Krieges pazifistische Ziele großen Massen erscheinen können, um so dringender ist es, dass diese durch den Anschauungsunterricht des Kampfes über den Pazifismus belehrt werden. Seine Propaganda trägt die schwere Gefahr in sich, die revolutionäre Kampfenergie Proletariats durch Illusionen zu entnerven und zu lähmen. Ihr gilt es zu begegnen. Der Kampf für einzelne Forderungen der Pazifisten, wie Einschränkung der Rüstungen, internationale Annullierung der Kriegsschulden usw., muss ein Mittel dazu sein, alle pazifistischen Illusionen der schaffenden Massen zu zerstören. Diese und wesensähnliche Forderungen stehen übrigens auch im Programm der Kommunisten. Es kommt darauf an, dass wir sie kämpfend in die richtige geschichtliche Beleuchtung rücken, dass wir die Massen lehren, scharf zwischen bürgerlicher und kommunistischer Wertung zu unterscheiden.

Das Proletariat muss sich klar darüber sein, dass sogar diese bescheidenen Reformforderungen nur durch seinen energischen Klassenkampf erzwungen werden. Solange der Kapitalismus herrscht und ausbeutet, wird das kapitalistische Profit- und Machtinteresse, die Vernunft und Friedensliebe bürgerlicher Kreise in die Knie zwingen. Ohne den kraftvollsten proletarischen Klassenkampf; ohne den Sturz der Bourgeoisherrschaft, des Kapitalismus, durch die Revolution können Militarismus und Imperialismus nicht überwunden, können Kriegsrüstungen, Kriegsgefahr und Kriegsverwüstung nicht von der stöhnenden Menschheit genommen werden.

Das Proletariat darf deshalb nun und nimmer unter dem Einfluss gefühlsseliger pazifistischer Gedankengänge abrüsten, umgekehrt, es muss mit höchster Energie weiterrüsten, es muss mit opferbereiter Entschlossenheit weiterkämpfen. Es muss sich der Tatsache bewusst bleiben, dass die Bourgeoisie herrscht und ausbeutet, weil ihr die Verfügungsgewalt eignet über die Produktionsmittel des Lebens und über die Produktionsmittel des Todes. Ihre Herrschaft über die Produktionsmittel des Lebens hält sie aufrecht, weil sie auch Herrin ist über die Produktionsmittel des Todes. Wenn die Ausgebeuteten und Enterbten ihre Hand ausstrecken nach den Produktionsmitteln des Lebens, ja, auch wenn sie nur einen größeren Anteil von deren Früchten fordern, so wirft die Bourgeoisie ihr Begehren nieder, indem sie die Produktionsmittel des Todes spielen lässt.

Aber, Genossinnen und Genossen, vergessen wir nicht, dass die Bourgeoisie die Produktionsmittel des Lebens und die Produktionsmittel des Todes nur ausnutzen kann, wenn Proletarierhände sie bedienen. Die Proletarierköpfe, die die Proletarierhände lenken, müssen richtig denken lernen. Um sich von der Ausbeutung und Unterdrückung zu befreien, muss die Arbeiterklasse der Bourgeoisie nicht bloß die Produktionsmittel des Lebens entreißen, sondern auch die Produktionsmittel des Todes. Mit Waffengewalt sucht die Bourgeoisie ihre Herrschaftsstellung zu verteidigen, den Werktätigen Freiheit und volles Menschentum vorzuenthalten. Mit Waffengewalt müssen diese daher ihre Lebens- und Menschenrechte erkämpfen.

Gewalt lässt sich nicht wegdisputieren und nicht wegbeten. Gewalt kann nur durch Gewalt gebrochen werden. Das sprechen wir Kommunisten offen aus, nicht weil wir „Anbeter der Gewalt“ sind, wie sanfte bürgerliche und sozialdemokratische pazifistische Gemüter uns beschuldigen. Nein, wir beten die Gewalt nicht an, jedoch wir rechnen mit ihr, weil wir mit ihr rechnen müssen. Sie ist da und spielt ihre geschichtliche Rolle, ob wir wollen oder nicht. Es fragt sich nur, ob wir sie widerstandslos erdulden oder ob wir sie kämpfend überwinden wollen. Die schönsten moralischen und philosophischen Erwägungen ändern an diesem brutalen Tatbestand nichts. Es ist Phrase, dass Gewalt stets und immer ein reaktionärer Faktor in der Geschichte war. Gewalt ist Gewalt, ist weder revolutionär noch reaktionär. Gewalt wirkt aber reaktionär oder revolutionär den geschichtlichen Umständen entsprechend, je nach der Klasse, von der sie gebraucht, und dem Ziel, an das sie gesetzt wird. Die Gewalt wird ein revolutionärer, ein befreiender Faktor in den Händen des Proletariats, das sie gebraucht, um die Gewaltherrschaft der Bourgeoisie zu zerschmettern.

Zu diesem Zwecke muss es wie den politischen, so auch den militärischen Machtapparat den Besitzenden entreißen. Allein, seine Freiheit zu erobern und zu behaupten, genügt es nicht, dass es den einen wie den anderen mit starker Faust ergreift. Das Proletariat muss vielmehr zu diesem Zwecke den militärischen wie den politischen Machtapparat seinen eigenen Bedürfnissen gemäß umformen und gebrauchen. Die Sowjetordnung und ihre Rote Armee sind das klassische geschichtliche Beispiel dafür. In der Tat! Was wäre Sowjetrussland ohne seine Rote Armee? Eine Vergangenheit, nicht lebensvolle, kämpfende Gegenwart.

Die Geschichte der russischen Revolution erweist aber auch schlagend das Illusionäre, die Haltlosigkeit jener bürgerlich pazifistischen Auffassung, die auf proletarische Kreise übergegriffen hat, dass der bürgerliche Antimilitarismus höchst revolutionär, eine Vorbereitung der Revolution sei, dass bürgerlich antimilitaristische Gesinnung Massen über Nacht in geschlossene, gerüstete, schlagkräftige revolutionäre Kämpferheere verwandeln könne. Bei bürgerlich-antimilitaristischer Einstellung hätte das Proletariat Petrograds und Moskaus nie unter Führung der Bolschewiki zu siegen und die Sowjetordnung zu begründen vermocht. Die russische Revolution geht jedoch noch über diese Lehre hinaus. Sie widerlegt den Pazifismus überhaupt.

„Frieden“ war das erste Wort der Sowjetrepublik, ihre erste Tat war die Demobilisation. Was hat das kapitalistische Europa darauf geantwortet? Deutschland ließ seine Truppen, darunter viele Tausende klassenbewusster Proletarier – das sozialdemokratische Programm oder auch Kautskys Verherrlichung des „Völkerbundes“ im Tornister – gegen Petrograd marschieren, ließ sie zur Verteidigung der Versklavungs- und Auswucherungsmacht von Junkern, Fabrikanten und Bankiers in den Ostseegebieten, in Finnland und der Ukraine friedens- und freiheitssehnsüchtige Bauern und Arbeiter niederschlagen. Der Ententeimperialismus zahlte dafür, dass weißgardistische Heere und Banden Sowjetrussland verwüsteten. Mit der Schärfe des Schwertes musste der Arbeiter-und-Bauern-Staat seine Existenz verteidigen. Nicht antimilitaristische, pazifistische Deklamation! Die Rote Armee wird auch künftig Sowjetrussland schützen.

Genossinnen und Genossen! Die dargelegte Auffassung macht es uns zur Pflicht, mit aller Schärfe und Bestimmtheit der antimilitaristischen pazifistischen Propaganda entgegenzutreten, wie sie in Frankreich zum Teil auch innerhalb der Kommunistischen Partei betrieben wird. Auf der Frauenkonferenz und dem Kongress der Kommunistischen Partei zu Marseille zeigte sich deutlich, wie verwirrend, wie verseuchend sie wirkt. Die antimilitaristische Propaganda mancher unserer französischen Freunde gebärdet sich sehr revolutionär und geschieht in dem ehrlichen Glauben, wirklich revolutionär zu sein. Bei Licht betrachtet entpuppt sie sich jedoch als gut bürgerlichen Wesens und gut bürgerlicher Wirkung ...

Erklärlich ist, dass diese gerade in Frankreich in den werktätigen Massen und auch unter wirklich revolutionär gesinnten Proletariern Wurzel fassen. Infolge des Zweikindersystems hat Frankreich schwerer als jedes andere am Weltkrieg beteiligte Land unter den himmelschreienden Blutopfern des imperialistischen Mordens gelitten. Die Bevölkerung Frankreichs ist in den zehn Jahren, 1911 bis 1921, um 2,1 Millionen zurückgegangen. 1,5 Millionen Männer sind im Kriege gefallen. Sogar wenn man die Bevölkerung des zurückgewonnenen Elsaß-Lothringens mitrechnet, hat Frankreich 1921 noch fast 400000 Einwohner weniger als 1911. Zu den 1,5 Millionen, die der Krieg gemordet, kommen vielen Hunderttausende Krüppel und Kranke, die er hinterlassen hat. Vergegenwärtigen wir uns die Wirkung dieses Tatbestandes auf die wirtschaftlichen Verhältnisse des schaffenden Volkes in Frankreich, zumal auf die Kleinbauern. Bei dem Zweikindersystem bedeutet der Tod, die Verkrüppelung des Sohnes oder Schwiegersohnes – von dem seelischen Schmerz abgesehen – den wirtschaftlichen Ruin vieler Kleinbauernfamilien. Die wichtigste, wertvollste Arbeitskraft ist dahin. Dazu die riesigen Steuerlasten, die die Rüstungen dem schaffenden Volk auferlegen. Endlich die unbeschreiblichen Verwüstungen, die entsetzlichen Notstände in den Gebieten, in denen der Krieg, der deutsche Militarismus verbrecherisch gehaust haben. In keinem Staate Europas aber ist der Imperialismus gleich kriegerisch eroberungs- und abenteuertoll, also gleich gefahrdrohend wie in Frankreich.

Ist es da ein Wunder, dass den antimilitaristischen, pazifistischen Tendenzen große Kraft eignet? Es ist kennzeichnend, dass Antimilitarismus und Pazifismus nicht nur in anarchistischen, syndikalistischen und opportunistischen Elementen der Arbeiterbewegung leidenschaftliche Vorkämpfer finden, sondern auch bei kommunistischen Organisationen in überwiegend ländlichen Departements. Die Kommunistische Partei Frankreichs hat die Aufgabe, die Tatsachen und Stimmungen, aus denen Antimilitarismus und Pazifismus ihre Kraft saugen, politisch auszunutzen und sie für den revolutionären Kampf des Proletariats fruchtbar zu machen. Sie muss in den werktätigen Massen die antimilitaristischen und pazifistischen Illusionen in ihr Nichts auflösen und die Erkenntnis klären und festigen, dass Militarismus und Imperialismus einzig und allein durch den rücksichtslosesten revolutionären Kampf des Proletariats gegen den Kapitalismus vernichtet werden können. Die drohende Gefahr einer Verwirrung und Abstumpfung des proletarischen Klassenkampfes muss zum starken Ansporn gesteigerter Kampftüchtigkeit und Kampfkraft werden.
 

[Arbeiterbewegung und Krieg]

Genossinnen und Genossen, Zum Schluss muss ich Ihre Aufmerksamkeit noch auf einen bedeutsamen Vorgang in der Arbeiterbewegung lenken. Die geschichtliche Stunde voller Kriegsnot und Kriegsdrohung scheint Kräfte zu mobilisieren, die wir bisher nicht auf dem Blachfelde des revolutionären Kampfes gegen den Imperialismus fanden. In der Gefolgschaft der Amsterdamer Gewerkschaftsinternationale rumort es revolutionär. Große Arbeiterverbände, die ihr angegliedert sind, rufen nach dem Generalstreik, beschließen den Generalstreik als Mittel, Kriegsrüstungen und Kriege zu verhindern. Am 15. und 16. November 1921 hat in Amsterdam, einberufen von der Leitung des internationalen Gewerkschaftsbundes, eine Abrüstungskonferenz der internationalen Verbände der Metall-, Berg- und Transportarbeiter getagt, also der organisierten Proletarier, die besonders berufen sind, mit einem entschlossenen Ruck den Gang der kapitalistischen Wirtschaft zum Stillstand zu bringen. Und diese Abrüstungskonferenz war ausdrücklich veranstaltet worden als proletarisches Gegenstück zur Washingtoner Konferenz der bürgerlichen Regierungen.

Samuel Gompers, eine Prachtsäule des amerikanischen Imperialismus unter der Arbeiterschaft, hatte vorgeschlagen, die Amsterdamer Gewerkschaftsinternationale möge sich darum bemühen, dass die Regierungen in ihre Delegationen zur Washingtoner Abrüstungskonferenz auch Gewerkschaftsvertreter aufnehmen sollten. Der Internationale Gewerkschaftsbund lehnte die geforderte offene, burgfriedliche Zusammenwirken der organisierten Arbeiter mit den Imperialisten Harding, Briand und Lloyd George ab. Seine Leitung erklärte, kein Vertrauen zu der Tagung der Admirale, Generale und Präsidenten zu haben, sie werde ihre eigene „Abrüstungskonferenz“ einberufen, die gleichzeitig mit der Washingtoner eröffnet werden solle. Diese Stellungnahme entsprach dem Beschluss, den die er der Amsterdamer Gewerkschaftsinternationale im November 1920 in London gefasst hatten. Er besagte, dass die Gewerkschaftsbewegung „neben ihrer gewöhnlichen Aktion für Verbesserung der Arbeitsbedingungen, national und international, den Kampf führt gegen Kapitalismus und Imperialismus“. Dieser Kampf habe sich vor allem zu richten „gegen Militarismus in allen seinen Formen“, und in ihm sei „die Waffe des Massenstreiks und des internationalen Boykotts ... als wirksames und zweckentsprechendes Mittel ... anzuwenden. Die Londoner Konferenz der Amsterdamer warnte ausdrücklich vor der Verwechslung der „Bekämpfung aller Kriege durch die internationale organisierte Arbeiterschaft ... mit dem Pazifismus der kapitalistischen Bourgeoisie“. [1] Die „Abrüstungskonferenz“ vom November 1921 hat im Geiste dieses Beschlusses beraten und entschieden. Zusammen mit den Leitern des Internationalen Gewerkschaftsbundes nahmen die Vertreter der international organisierten Metall-, Berg- und Transportarbeiter einstimmig diese Resolution an:

„In Anbetracht der Tatsache, dass die reaktionären und militärischen Bestrebungen in der ganzen Welt im Zunehmen sind und ein neuer Krieg unausweichlich ist, wenn nicht die Arbeiterklasse aller Länder in voller Einheit und Einmütigkeit Front macht gegen die von der kapitalistischen Klasse drohende Gefahr, richtet die Konferenz an die Arbeiter aller Länder den dringenden Appell, neben dem gegen die Verschlechterung der Arbeitsbedingungen gerichteten Abwehrkampf ihre Aufmerksamkeit und alle ihre Energie vor allem der Bekämpfung des Kapitalismus selbst und dem mit ihm unlöslich verbundenen Militarismus zuzuwenden.

Mit Berufung auf die von den internationalen Arbeiterkongressen aufgenommenen diesbezüglichen Resolutionen erwartet die Konferenz von allen dem Internationalen Gewerkschaftsbund angeschlossenen Organisationen, dass sie in ihrem eigenen Lande und unter den eigenen Berufsgenossen stärker und mit größerem Nachdruck als je die Propaganda und Aktion gegen den Militarismus und für die allgemeine Abrüstung führen werden.

Im Hinblick auf diesen Zweck appelliert die Konferenz an die Arbeiter aller Länder, sich zu einer Macht zusammenzuschließen, die imstande ist, im Falle drohender Kriegsgefahr unter der Leitung des Internationalen Gewerkschaftsbundes durch sofortige Proklamation des internationalen Generalstreiks den Ausbruch des Krieges zu verhindern.

In Erwägung der Tatsache, dass ein Krieg ohne das Funktionieren der Transportbetriebe, des Bergbaues und der Metallindustrie nicht geführt werden kann, ist die Konferenz der Meinung, dass es in erster Linie Pflicht der Arbeiter dieser Industriegruppen ist, die Propaganda gegen Reaktion und Militarismus unter dem ganzen Aufgebot ihrer Kräfte zu führen und ihre ganze wirtschaftliche Macht aufzuwenden, um eine Wiederholung der Menschenschlächterei in der Welt zu verhindern.“ [2]

Von dem Beschluss der Amsterdamer Abrüstungskonferenz sagten wir: „Gut gebrüllt, Löwe!“ Jedoch die Proletarier dürfen nicht bloß das Gebrüll des stolzen Wüstenkönigs hören, sie müssen sich diesen selbst ansehen. Sie müssen sich vor der Enttäuschung bewahren, dass es wie in Shakespeares lebenssprühendem Lustspiel eines Tages den internationalen Imperialisten entgegenklingt: Fürchtet Euch nicht, liebe Leute, lauft nicht davon. Ich bin kein Löwe, auch keines Löwen Weib. Trotz des Londoner Beschlusses über Massenstreik, internationalen Boykott und bürgerlichen Pazifismus ließen sich im April 1921 drei Amsterdamer Gewerkschaftsführer in die Abrüstungskommission des Völkerbundes delegieren, die sicher um kein Jota besser ist als die Washingtoner Konferenz, dazu aber noch von unübertrefflicher Einflusslosigkeit.

Auf dem Jahreskongress der englischen Gewerkschaft zu Cardiff forderte J.H. Thomas, Vorsitzender des Amsterdamer Internationalen Gewerkschaftsbundes, dass die organisierte Arbeiterschaft Großbritanniens auf der Washingtoner Konferenz vertreten werde. Er begründete es damit, dass diese Tagung berufen sei, eine Verständigung zwischen den drei größten kapitalistischen Staaten der Welt herbeizuführen und der Menschheit den Frieden zu schenken. Der Kongress beschloss dieser Auffassung entsprechend. Nach dem Bericht des „Vorwärts“ wurde anerkannt, dass ein internationaler Streik des Proletariats bei Kriegserklärungen nichts fruchten werde; im Augenblick könne sich die Arbeiterschaft nicht mächtig genug fühlen, durch einen Generalstreik gegen den internationalen Imperialismus etwas auszurichten. Diese Stellungnahme erfolgte auf Anregung des Vorsitzenden der Amsterdamer Gewerkschaftsinternationale fast zur selben Zeit, da diese eine Vertretung der Gewerkschaften in Washington ablehnte. Das ist nicht alles.

Anfang November wurde dem englischen Unterhaus eine Interpellation und Entschließung vorgelegt, die Washingtoner Abrüstungskonferenz betreffend. In ihr heißt es: „Dieses Haus begrüßt aufs wärmste die internationale Washingtoner Konferenz und hofft, dass die äußerste Anstrengung gemacht werden wird, um Maßnahmen zu vereinbaren, die eine wesentliche und fortschreitende Herabminderung der erdrückenden Rüstungslasten gestatten.“ Die Interpellation wurde eingebracht von Clynes, dem Führer der Gasarbeiter und der parlamentarischen Arbeiterpartei, im Namen seiner Fraktion, der auch Thomas angehört, der Vorsitzende des Internationalen Gewerkschaftsbundes. Vier Tage bevor in Amsterdam die gewerkschaftliche Abrüstungskonferenz zusammentraf, sandte die „Dritte Internationale Arbeitskonferenz zu Genf“ dem Präsidenten der Vereinigten Staaten „ihren ehrerbietigsten Gruß“ und sprach die Hoffnung aus, „dass durch Anwendung der Methode internationaler Zusammenarbeit die Washingtoner Konferenz ein dauerndes und haltbares Werk schaffen kann, um endlich den Weltfrieden herbeizuführen“. Das Telegramm war unter anderem unterzeichnet von Jouhaux, dem Vizevorsitzenden des Internationalen Gewerkschaftsbundes, der eine eigene „Abrüstungskonferenz“ einberief, weil man in den Arbeiterkreisen der Washingtoner Tagung „mit starkem Pessimismus entgegensehe“.

Die Amsterdamer Abrüstungskonferenz der Gewerkschaft hat ihre Fortsetzung gefunden. Das Zentralkomitee des internationalen Metallarbeiterbundes, das Ende Januar in Wien zu Sitzungen zusammentrat, verhandelte auch über die Stellung zu „Krieg und Kriegsrüstungen“. Es beschloss, dem bevorstehenden internationalen Gewerkschaftskongress zu Rom folgende Resolution vorzulegen:

„Der Kongress des Internationalen Gewerkschaftsbundes vom 20. April und die folgenden Tage in Rom beschließt neuerdings, dass die Gewerkschaftsorganisationen alle Kräfte einzusetzen haben, um den Militarismus zu bekämpfen und kriegerische Aktionen und Kriege zu verhindern.

Im besonderen beschließt der Kongress:

1. Kriege sind durch allgemeine Arbeitsniederlegung zu verhindern.

2. Die internationalen Berufsorganisationen werden aufgefordert, in kürzester Frist in ihren angeschlossenen Landesorganisationen nachstehende Bestimmungen durch Kongressbeschlüsse oder Urabstimmung für alle Mitglieder als verbindlich zu erklären.

a) Die Gewerkschaftsmitglieder, die den internationalen Berufsverbänden und dem Internationalen Gewerkschaftsbund mit dem Sitz in Amsterdam angeschlossen sind, haben im Kriegsfall die Arbeit niederzulegen und dadurch die Kriegführung unmöglich zu machen.

b) Die Landesorganisationen und die internationalen Berufsorganisationen haben überall die Kontrolle über Waffen- und Kriegsfabrikation aller Art für Militär- und Zivilgebrauch durchzuführen und die Fabrikation einzuschränken und, wenn nur möglich, auf das Minimum für Zivilgebrauch zu reduzieren.

c) Zur Durchführung der in a) und b) enthaltenen Bestimmungen wird eine internationale Kommission eingesetzt, die die näheren Ausführungsbestimmungen aufzustellen hat und die über die jeweilige Arbeitsniederlegung entscheidet.

d) In dieser Kommission sollen möglichst alle Berufsorganisationen und das Büro des Internationalen Gewerkschaftsbundes vertreten sein.“

Die Frankfurter Zeitung erklärte dazu: „Das Gewicht dieser Resolution ... erleidet freilich von vornherein eine erhebliche Verminderung dadurch, dass der englische Vertreter sie abzulehnen empfahl, weil sie praktisch undurchführbar und überdies der Zustimmung der englischen Arbeiterschaft keineswegs sicher sei. Großbritannien, bemerkte Brownlie, besitzt sechs Regierungswerften, auf denen ausschließlich Kriegsschiffe gebaut werden. Andere Fabriken erzeugen ausschließlich Waffen. Außerdem gibt es Unternehmungen, die mit Kriegsschiffen beschäftigt sind. Viele Werften bauen heute Handelsschiffe und morgen Kriegsschiffe.“

Genossinnen und Genossen, trotz dieser „erheblichen Verminderung des Gewichts der Resolution“ bleibt diese beachtenswert.

Sie ist ein Anzeichen des Gärungs- und Umwandlungsprozesses, der sich in den organisierten Arbeitermassen vollzieht, die dem Internationalen Gewerkschaftsbund angehören. Gewiss, dieser Prozess des geistigen, des politischen Reifens ist noch nicht der Reife der gesellschaftlichen Verhältnisse entsprechend weit genug fortgeschritten. Wäre er es, so würden die organisierten Arbeitermassen besseres tun, als Beschlüsse fassen. Sie würden in Deutschland, Österreich und England, in Frankreich und Italien und anderen Ländern mit ihren Ausbeutern und Herren „russisch reden“. Aber immerhin hat sich die Einstellung der organisierten proletarischen Massen zum Kapitalismus und seinen Wesensäußerungen so weit geändert, dass die Gewerkschaften, die Gewerkschaftsführer der „radikalen Stimmung“ in Beschlüssen Rechnung tragen müssen.

Verflogen ist der nationalistische Rausch der „Landesverteidigung“ und der „heiligen Einheit“, der vier Jahre lang die Proletarier bestimmte, zu Nutz und Frommen des eroberungssüchtigen Imperialismus die Waffen gegeneinander zu kehren, statt sie zum Sturz des Kapitalismus zu verwenden. Zu weichen beginnt auch die Dumpfheit und Stumpfheit dieser Jahre der Kriegszeit. Die Bourgeoisie, für die es um Sein oder Nichtsein ihrer Klassenherrschaft geht, peitscht durch ihre Generaloffensive zur Steigerung der kapitalistischen Ausbeutung und Knechtschaft die Massen auf. Sie fangen an, sich auf sich selbst zu besinnen, als vom Kapitalismus Ausgebeutete und Unterdrückte, sie fangen an, die Notwendigkeit schärfsten Klassenkampfes zu empfinden. Die sich „radikalisierenden“ Massen der Organisierten treiben ihre Führer, wenigstens mit Beschlüssen voranzugehen. Jedoch, vergessen wir nicht, was die schönsten Beschlüsse wert sind, wenn sie auf dem Papier bleiben. Die Spuren schrecken! Die II. Internationale hat auf ihren Kongressen zu Stuttgart, Kopenhagen und namentlich zu Basel treffliche Beschlüsse gefasst, dass das Proletariat aller Länder sich vereint mit höchster Entschiedenheit drohender Kriegsgefahr entgegenwerfen müsse. Illusionsreichen Führern und Massen dünkte es, dass der ewige Friede eingeläutet wurde, als die Vertreter des internationalen Sozialismus unter Glockenschall in das mystische Halbdunkel des Baseler Münsters einzogen. Eine kurze Spanne Zeit und es stellte sich heraus, dass in Basel die Totenglocke der II. Internationale erklungen war. Es kam der August 1914. Die selben Männer, die in Basel heilige Eide geschworen hatten, bei Kriegsausbruch das Proletariat zum Kampf aufzurufen, schworen nun mit heiligen Eiden die Pflicht der „Landesverteidigung“, spannten die Arbeiter vier Jahre lang vor den blut- und schmutztriefenden Kriegswagen des Imperialismus.

Genossinnen und Genossen! Der Amsterdamer Internationale Gewerkschaftsbund, unter dessen Banner jetzt Beschlüsse vom Generalstreik usw. gefasst wurden, ist Fleisch vom Fleisch und Geist vom Geist der II. Internationale, die die revolutionäre Einheitsfront der Proletarier aller Länder zerschlug, damit die Ausgebeuteten die nationale Einheitsfront mit der ausbeutenden Bourgeoisie schlossen. Lassen wir uns daher nicht an der erfreulichen Tatsache genügen, dass die sich „radikalisierenden“ organisierten Massen ihre Führer zu radikalen Beschlüssen vorwärtstreiben. Tun wir unsere Pflicht, die proletarischen Massen weiter zu „radikalisieren“, ihre Erkenntnis zu klären, damit sie vorandrängen, reif werden, die Beschlüsse in Taten umzusetzen. Die begeisterte revolutionäre Stimmung allein – so hoch ich sie werte, so unentbehrlich sie für den proletarischen Befreiungskampf ist, tut es ebenso wenig wie der papierene Beschluss. Die proletarischen Massen müssen vielmehr ideologisch und organisatorisch planmäßig auf den Kampf gegen Kriegsgefahr und Krieg vorbereitet werden. Entscheidungsschwere Stunden müssen sie gerüstet finden. Nur wenn das der Fall ist, werden selbst die schlauesten Führer nicht mehr „Bremser“, nicht mehr Irreführer und Verführer sein können, werden aber auch die breiten Massen nicht versagen und enttäuschen. Führer und Massen werden einander ebenbürtig sein und als eine fest verbundene Einheit im Kampf gegen Kriegsgefahr und Krieg aufnehmen und mit äußerster Entschlossenheit durchführen.
 

[Weltkrieg oder Weltrevolution]

Die Massen der Werktätigen ideologisch und organisatorisch auf diesen Kampf vorzubereiten ist Aufgabe der kommunistischen Parteien, der III. Internationale. Der feste Boden dieser unserer vorbereitenden Tätigkeit ist die Erkenntnis, dass der einzige wirksame Schutz gegen die drohenden Kriege die proletarische Revolution ist. Denn sie stürzt den Kapitalismus und sichert damit einen Aufbau der gesellschaftlichen Wirtschaft, der wie die Gegensätze zwischen den Klassen so auch die Interessengegensätze zwischen den Staaten aufhebt. Die Geschichte stellt vor die Menschheit die Frage: Weltkrieg oder Weltrevolution? Die Antwort darauf muss das Proletariat geben. Diese Erkenntnis müssen wir den Massen vermitteln, ins Bewusstsein einhämmern, damit sie unerschütterlicher Willen und schrankenlose Hingabe wird, den revolutionären Klassenkampf ohne Scheu vor Opfern und ohne Furcht vor Gefahren zu führen. Um die breiten proletarischen Massen für den schärfsten revolutionären Klassenkampf zur Abwendung von Kriegen geistig, politisch wie organisatorisch zu rüsten, schlage ich die folgenden Mittel vor:

  1. Eine planmäßige Aufklärung der werktätigen Massen, namentlich der Jugend, über Ursachen, Charakter usw. der Kriege.
  2. Das Hinaustragen aller Fragen und Entscheidungen der auswärtigen Politik, über Rüstungen usw. vor die breitesten Massen.
  3. Eine aufklärende, gut organisierte legale und illegale Propaganda unter dem Militär und den bewaffneten Formationen aller Art.
  4. Die Einstellung des Willens der Proletarier, im Falle ausbrechender imperialistischer Kriege die Transporte von Heeresbedarf und Truppen mit allen Mitteln und um jeden Preis zu verhindern.
  5. Die Stärkung des revolutionären Willens der breitesten Massen, sich einem ausbrechenden imperialistischen Krieg mit allen sonst noch verfügbaren Mitteln entgegenzuwerfen: mit Straßenkundgebungen, Generalstreik und bewaffnetem Aufstand.
  6. Die Schaffung legaler und illegaler Organe, die für die Durchführung dieser Aufgaben wirken.
  7. Die Schaffung legaler und illegaler Organe und Einrichtungen, die ein einheitliches, energisches internationales Zusammenwirken der Kommunisten jener Länder sichern, unter die Gegensätze am schärfsten sind.

Es scheint mir nach den vorausgegangenen Darlegungen überflüssig, diese Forderungen im einzelnen zu begründen. Die Diskussion und Kommissionsberatung werden sie ergänzen und verbessern. Nur dreierlei sei unterstrichen. Die Werktätigen – zum Teil auch die reformistisch eingestellten Gewerkschaften – stehen den weltwirtschaftlichen und weltpolitischen Fragen häufig mit der kleinbürgerlichen Auffassung gegenüber, es gehe sie nichts an, „wenn hinten in der Türkei die Völker aufeinanderschlagen“; das sei „hohe Politik“, bei der sie nicht mitzusprechen hätten. Diese Auffassung gilt es auszurotten. Die Massen müssen begreifen lernen, dass Fragen der äußeren Politik auch Fragen der inneren Politik sind, ihre ureigensten Angelegenheiten, weil sie in der Auswirkung in ihr Leben eingreifen. Deshalb müssen wir alle wichtigen Fragen und Erscheinungen der äußeren Politik aus den Dunkelkammern der Regierungen und Diplomaten und den Diskutierklubs parlamentarischer Ausschüsse und Sitzungen herausholen und vor die breitesten Massen tragen. Die Massen müssen darüber urteilen und entscheiden können, denn sie sind es, die für die Kosten der Entscheidungen zahlen. Marx hat in seiner Inauguraladresse der 1. Internationale ausdrücklich gefordert, dass das Proletariat die auswärtige Politik nicht länger der Bourgeoisie und ihren Regierungen überlasse, sondern mit kräftiger Faust entscheidend eingreife. [3]

Die deutsche Sozialdemokratie hat in der Vorkriegszeit jede besondere „Kasernenagitation“ abgelehnt und erst recht die Durchführung solcher Propaganda mit illegalen Mitteln. Die ihr wesensverwandten Parteien der II. Internationale teilten überwiegend diesen Standpunkt. Die leitenden Gedanken der in der III. Internationale zusammengefassten kommunistischen Parteien können nicht der verkörperte Respekt vor der bürgerlichen Gesetzlichkeit sein. Die geschichtlichen Umstände, unter denen sie leben, das heißt arbeiten und kämpfen, verbieten ihnen das. Diese Umstände stehen im Zeichen der Revolution, die Klassenfeinde – Proletariat und Bourgeoisie – stoßen hart miteinander zusammen. Die Bourgeoisie selbst ist es, die den Boden ihrer eigenen Gesetzlichkeit zertrümmert, wenn das Proletariat ihn für seinen Kampf voll ausnutzt. Das Proletariat hat wahrlich keinen Grund, gesetzlicher zu sein als seine Feinde. Gewiss: Es nutzt den Boden der bürgerlichen Gesetzlichkeit bis zur äußerer Grenze der Möglichkeit aus, jedoch es lässt sich durch diese Grenze nicht von dem geschichtlich Notwendigen absperren.

Es darf nicht vergessen, dass die Gesetzlichkeit des Bourgeoisstaats, auch wenn sie einen demokratischen Mantel trägt, nichts ist als in Formen kristallisierte Macht der Besitzenden und Ausbeutenden, die den Ausgebeuteten heilig sein soll, weil sie zum Nutzen jener geschaffen worden ist. Aug in Auge mit dieser Macht hat sich das Proletariat zu berufen auf sein historisches Recht und seine historische Pflicht zur Revolution, die eine neue Gesetzlichkeit entstehen lässt, die sich im Kampfe vorbereitet. Soll damit – auf die vorliegende Frage angewendet – etwa gesagt sein, dass die Kommunisten wahl- und planlos „Verschwörer spielen“, Geheimgesellschaften gründen und in M.P.-Organisierung [4] schwelgen sollen, wie sie unter dem Einfluss des Krieges und des Novemberumsturzes eine Zeitlang in Deutschland Kräfte der revolutionären Vorhut des Proletariats sinn- und nutzlos aufgerieben hat? Keineswegs. Aber die Kommunisten werden bei ihrer Aufklärungs- und Schulungsarbeit unter dem Militär und den bewaffneten Formationen aller Art auch nicht vor jedem Polizeibeamten und jedem Gesetzesparagraphen erstarren, als hätten sie das Haupt der Medusa geschaut. Sie werden ihre Aufgabe auf dem breiten legalen Wege erfüllen, soweit und solange es möglich ist, und sie werden die engen Pfade der Illegalität betreten, wenn das zur Notwendigkeit wird.

Unser revolutionärer Kampf gegen den Krieg heischt dringend, dass besondere internationale Organe und Einrichtungen zur Durchführung geschaffen werden. Es ist nicht ausreichend, Genossinnen und Genossen, dass periodisch internationale Kongresse und Konferenzen der kommunistischen Parteien stattfinden, die gute, die vorzügliche Thesen aufstellen und klingende Beschlüsse fassen, dass ab und zu Kommunistenführer aus den einzelnen Ländern sich über bestimmte Maßnahmen verständigen. Nein, international muss planmäßig dauernd gearbeitet werden, damit in den einzelnen Ländern gewaltige Massen Werktätiger mobilisiert werden, um, statt in den Krieg zu ziehen, in der Revolution vorzustürmen. Das ist unmöglich ohne eigene Organe, die diese Arbeit leisten, und ohne Maßnahmen, die auf Grund internationaler Verständigung gemeinsam verwirklicht werden. Das engste, organisierte internationale Zusammenarbeiten zwischen den Kommunisten tut zumal in den Ländern bitter Not, in denen die Interessenkonflikte der Bourgeoisie und damit die Kriegsgefahren besonders groß sind. Sie ist ferner von höchster Bedeutung in den großen Zentren an der West- und Südostgrenze Deutschlands, wo die kontinentale, ja die europäische Wirtschaft ungeheure Mengen von Urstoffen ihrer Produktion gewinnt, wo internationale Knotenpunkte dieser Wirtschaft liegen. Die Feuerblume der revolutionären Solidarität der Proletarier erwächst aus dem nämlichen historischen Erdreich, das unter den elementaren Stößen der Klassengegensätze zwischen Ausbeutern und Ausgebeuteten, der nationalen Kämpfe um Profit und Macht der Bourgeoisie abgrundtief auseinander gerissen wird. Kriegswille und Kriegsfurcht der internationalen Bourgeoisie spielen miteinander diplomatisch bis in den vulkanischen wirtschaftlichen Tiefen der bürgerlichen Gesellschaft sich der Widerstreit der Kräfte in furchtbaren Weltkriegskatastrophen entlädt. Das Proletariat hat dem frivolen Spiel und der sich ankündenden Gefahr seinen ernsten und ehernen Willen zur Revolution entgegenzustellen. Und dieser Wille schließt Revolutionsfurcht wie Revolutionsspielerei aus. Er muss, international fest zusammengeballt, entschlossene Kampfbereitschaft sein.

Genossinnen und Genossen! Die Weltbourgeoisie fordert das Weltproletariat heraus, seine Kampfbereitschaft zu erproben. Auf der Konferenz zu Genua will sie die internationale Einheitsfront schließen für den Wiederaufbau der kapitalistischen Wirtschaft, das besagt: gegen das Proletariat. Das Proletariat muss der Konferenz seine eigene internationale revolutionäre Einheitsfront entgegenstellen. Aufgabe der Kommunisten ist es, die breitesten Massen der Werktätigen aller Länder aufzurufen, diese Einheitsfront zu schließen und selbst wegweisend, richtunggebend in ihr zu stehen. Wiederaufbau der kapitalistischen Wirtschaft! Was begreift das in sich? Kriegsrüstungen und Kriege. Abwälzung der Riesenlasten des letzten Krieges und der Riesenkosten des Wiederaufbaus auf das schaffende Volk allen Ländern und den einzigen Staat des schaffenden Volkes: Sowjetrussland – also Steigerung der Ausbeutung der Massen bis zu ihrem Versinken in das tiefste Elend; also Verschärfung ihrer Unterdrückung bis zur höchsten Sklaverei; also rücksichtsloseste, gewalttätige Klassendiktatur der Bourgeoisie über das Proletariat.

Angesichts dieser Lage muss das Proletariat international in gewaltigen Kundgebungen zum Ausdruck bringen, dass es der Weltbourgeoisie und ihren Regierungen die Fähigkeit und den Willen abspricht, einen höheren, vollkommeneren Wirtschafts- und Gesellschaftsbau aufzurichten, in dem die Menschheit in Kultur und Frieden wohnt. Es muss seine unerschütterliche Entschlossenheit bekunden, durch den schärfsten Klassenkampf sich selbst und Sowjetrussland gegen die Beute- und Machtgier des internationalen Kapitalismus zu schützen. Meines Dafürhaltens sollten folgende fünf Forderungen die Ausgebeuteten und Enterbten aller Länder über die Schranken der Partei- und Gewerkschaftsorganisationen hinweg zum Kampf gegen Rüstungen und Krieg in proletarischer Einheitsfront gegen Genua zusammenfügen:

  1. Aufhebung aller Verträge, die den imperialistischen Krieg von 1914 bis 1918 beendet haben.
  2. Einschränkung der Rüstungen jeder Art.
  3. Abwälzung der Lasten des Krieges, der Reparationen und des Wiederaufbaus auf die Bourgeoisie allein.
  4. Hände weg von der Selbständigkeit Sowjetrusslands und Herstellung normaler Beziehungen zu ihm.
  5. Weitestgehende Unterstützung des wirtschaftlichen Aufbaus von Sowjetrussland durch private Unternehmungen wie durch den Staat.

Auch diese Forderungen sind – so meine ich – bereits genügend begründet. Ich beschränke mich daher darauf, ihnen das Folgende hinzuzufügen:

Das Begehren: Aufhebung der Friedensverträge von Versailles, Saint-Germain, Trianon, Sèvres, Neuilly bedeutet keineswegs Preisgabe des Wiederaufbaus der im Weltkrieg zerstörten Gebiete. In Verbindung mit den anderen Forderungen – Einschränkung der Rüstungen und Abwälzung der Lasten des Krieges, der Reparationen und des Wiederaufbaus auf die Besitzenden allein – bedeutet es die Möglichkeit, reichere Mittel, beste soziale Kräfte an den Wiederaufbau zu setzen. Der Weltkapitalismus, der bisher Nutznießer des verwüstenden imperialistischen Krieges war, soll sühnen, was er verbrochen. Den Kriegsgewinnlern und Kriegswucherern dürfen nicht Wiederaufbaugewinnler und Wiederaufbauwucherer folgen. Ein anderes ist festzuhalten. Mit Sowjetrussland verteidigt das internationale Proletariat sich selbst. Das Schicksal der Ausgebeuteten aller Länder ist unlöslich mit Sowjetrussland verknüpft. Die Weltrevolution schmiedet sie zusammen. Ihr Fortschreiten muss in lebendigster Wechselwirkung gemeinsames Werk sein, gemeinsamer Kampf wider den Weltkapitalismus, gemeinsamer Sieg über ihn. Sowjetrusslands Proletariat hat die Erkenntnis dieses Verknüpftseins mit bewunderungswürdigem Opfersinn und Heldenmut kämpfend zur Tat gemacht. Es war bis jetzt der glorreiche Preisfechter der proletarischen Weltrevolution, bewusst vorwärtstreibende Kraft der Geschichte. Das Proletariat der noch kapitalistischen Welt darf nicht länger die Schmach tragen, nur duldendes Objekt der Geschichte zu sein, ein dürrer, wirrer Blätterhaufen, mit dem die Wolken und Winde der bürgerlichen Klassenherrschaft, des Kapitalismus, spielen. Es muss endlich an Sowjetrusslands Seite treten und seine Pflicht zur Weltrevolution erfüllen. Sein Handeln für die Weltrevolution wird das Zeugnis seiner geschichtlichen Reife für sie sein.

Genossen, an diesem großen Ziel gemessen, sind es bescheidene Forderungen, mit denen die Proletarier aller Länder ihre Schilde gegen Genua erheben sollen und denen im Hinblick auf den wirtschaftlichen Aufbau noch andere hinzuzufügen sind. Die Bedeutung der Forderungen wird beruhen in dem einheitlichen, geschlossenen internationalen Aufmarsch der Ausgebeuteten wider die Weltbourgeoisie, in der internationalen Gemeinsamkeit drängenden Kampfwillens. Die Weltbourgeoisie wird daher diese Gemeinsamkeit des Kampfes mehr fürchten als Forderungen, so unannehmbar auch sie ihr sind. Sie weiß es, der Kampfwille muss über seine Gegenwartsforderungen hinaustreiben, der Weltrevolution entgegen, und die internationale proletarische Einheitsfront wird ihn unwiderstehlich, siegreich machen.

Allein, ist es nicht Verbrechen oder Narrheit, in diesem Augenblick den Willen der proletarischen Massen einzustellen auf die Weltrevolution, also auf die Eroberung der Staatsgewalt und die Aufrichtung der proletarischen Diktatur? Die reformistischen Führer aller Schattierungen und aller Nationalitäten versichern es tagtäglich, in Deutschland nicht am wenigsten laut die reuigen Heimkehrer der Kommunistischen Arbeitsgemeinschaft [5] zur Unabhängigen Sozialdemokratie. Nicht dass sie die Revolution abgeschworen hätten. Sie verwahren sich entschieden dagegen. Sie erblicken die Revolution. Aber wie? In weiter Ferne des geschichtlichen Weltraums, ein schwach blinzelndes Sternlein, das nicht recht leuchten und wärmen kann. Es verblasst vollends vor der aufsteigenden Morgenröte des Kapitalismus. Wir Kommunisten sind außerstande, mit den reformistischen oder reformistelnden Herren an die Gesundung und Lebenskraft der kapitalistischen Wirtschaft und bürgerlichen Ordnung zu glauben. Was ändert es an dem Gesamtbild des Verfalls, dass in diesem oder jenem Land, in dem einen oder anderen Industriezweig die Züge des Kapitalismus weniger hippokratisch sind als vor Monaten? Anderswo verzerren sie sich dafür um so furchtbarer, qualvoller im Wehren des Kapitalismus gegen den Auflösungsprozess. Wohl hat die Bourgeoisie ihre Herrschaft sozial befestigt, trotzdem: Der Weltkapitalismus ist reif für seinen Untergang. Er zeigt nur diese Perspektiven: Weltkrieg oder proletarische Weltrevolution.

Weltkrieg oder proletarische Weltrevolution, nicht etwa als akademische Doktorfrage, als Frage grauer Theorie, über die wir in Gemütsruhe diskutieren und philosophieren dürften. Nein, Genossinnen und Genossen! Als brennende praktische Tagesfrage, für die wir handeln müssen, als Alpha und Omega unseres Aktionsprogramms, das an alle Gegenwartsnöte der Ausgebeuteten anknüpft, aber über sie und ihre Linderung hinauszielen muss.

Der Kampf gegen Kriegsgefahr und Krieg, in den wir die proletarischen Massen führen müssen, ist ein wesentlicher, bedeutsamer Teil des Kampfes gegen den Kapitalismus, ist ein entscheidender Schritt vorwärts zur Weltrevolution Der revolutionäre Klassenkampf des Proletariats ist die Vorfrucht des Weltfriedens. Nur der Sturz des Kapitalismus kann die Menschheit vor der Kriegsfurie retten. Nur die Weltrevolution führt die Menschheit dem Frieden entgegen. Handeln wir, kämpfen wir! Rüsten wir die Massen für den Kampf!

 

Anmerkungen

1. Bericht über den außerordentlichen Internationalen Gewerkschaftskongress. Abgehalten in London vom 12. bis 27. November 1920“, Amsterdam 1920, S.73.

2. Freiheit, 21. November 1921.

3. Siehe Karl Marx, Inauguraladresse der Internationalen Arbeiter-Assoziation.

4. Militär-Politische Organisierung.

5. Kommunistische Arbeitsgemeinschaft (KAG): Im Ergebnis der Auseinandersetzungen über die Märzaktion 1921 schieden nach dem Parteitag der KPD in Jena einige Reichstagsabgeordnete (darunter Levi, Däumig, A. Hoffmann) aus der Partei und gründeten die KAG, die sich im Februar 1922 der USPD anschloss.

 


Zuletzt aktualisiert am 19.7.2008