Clara Zetkin

 

Den politischen Massenstreik diskutieren

Aus dem Redebeitrag auf dem Parteitag der
Sozialdemokratischen Partei Deutschlands in Bremen

(20. September 1904)


Protokoll über die Verhandlungen des Parteitags der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands,
abgehalten in Bremen vom 18. bis 24. September 1904, S. 196–198, hier S. 196 f.
Der zweite Teil des Redebeitrags befasste sich mit der Frage des Alkoholismus.
Kopiert mit Dank von der Webseite Sozialistische Klassiker 2.0.
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Genossen und Genossinnen, ich halte es für das beste, wenn man zur Festsetzung der Tagesordnung des nächsten Parteitages dem Parteivorstande freie Hand lässt (Sehr richtig!) und nicht jetzt schon Beschlüsse fasst, welche ihn verpflichten, diese oder jene Frage unter allen Umständen auf die Tagesordnung setzen zu müssen. Andererseits muss ich erklären, dass ich allerdings der Ansicht bin, dass eine ausführliche und gründliche Erörterung der Idee des politischen Massenstreiks zu einer unabweisbaren Notwendigkeit für die Partei geworden ist. Sie wird nicht bewirken, die Begriffe zu verwirren, nein umgekehrt, sie wird die Verwirrung, die vorhanden ist, klären und beseitigen. Wir müssen unbedingt zu einer Klärung kommen der Konfusion, die in den Köpfen vieler Parteigenossen existiert bezüglich des Unterschiedes zwischen politischem Massenstreik und dem anarchistischen oder anarchistelnden Generalstreik als dem einen, ja einzigen und vorzüglichsten Mittel zur Herbeiführung der sozialen Revolution. Wir müssen Klarheit schaffen, dass der politische Massenstreik von dem Generalstreik nicht nur grundverschieden ist, sondern dass der politische Massenstreik auch nicht in Betracht kommen kann, wie es Friedeberg vorschlägt, als ein Mittel, um den Parlamentarismus zu ersetzen oder überflüssig zu machen, gewissermaßen als ein Surrogat für den Parlamentarismus. Nein, der politische Massenstreik kann nur unter bestimmten geschichtlichen Umständen in Betracht kommen gerade als ein Mittel, die parlamentarische Aktion des Proletariats zu erhalten und sie vielleicht erst möglich zu machen, besonders auch, um ihr durch den Massentritt der Arbeiterbataillone immer mehr Nachdruck zu geben, durch jenen Druck der Massen von außen her, von dem der verstorbene Genosse Liebknecht so oft gesprochen hat. Über alle die verschiedenen Fragen, die hier in Betracht kommen, muss Klarheit geschaffen werden, und so sehr ich mich in meiner Auffassung und B des politischen Massenstreiks in stärkster weise grundsätzlich von der Auffassung des Genossen Friedeberg unterscheide, genauso unterscheide ich mich, und geniere mich gar nicht, das zu erklären, von denjenigen, die mit dem Worte „Generalstreik ist Generalunsinn“ die ganze Frage ein für allemal erledigt wähnen. Geschichtliche Umstände können uns zwingen, den politischen Massenstreik nicht a priori aus der Reihe der möglichen, vielleicht absolut notwendigen Kampfes- und Aktionsmittel auszuscheiden, Freilich eins müssen wir dabei betonen: Dass der politische Massenstreik nie und nimmer das Mittel sein kann, die kleine mühselige Tagesarbeit in Agitation und Organisation auf gewerkschaftlichem und auf politischem Gebiet zu ersetzen und überflüssig zu machen: Nein, im Gegenteil, die Bedingungen, unter denen ein Massenstreik ausgeführt werden kann, erfordern ein ungemein große Summe Organisation, Zielbewusstsein und vor allen Dingen von fester Selbstdisziplin, die sich nicht einschüchtern, aber auch nicht unklug provozieren lässt. Daraus geht hervor, dass die bloße Idee des politischen Massenstreiks unauflösbar verbunden ist mit der intensivsten und nachdrücklichsten Arbeit für die Aufklärung der Massen und ganz besonders für ihre gewerkschaftliche und politische Organisation.

 


Zuletzt aktualisiert am 1. September 2024