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Quelle: Die Gleichheit. Zeitschrift für die Interessen der
Arbeiterinnen, Nr. 14, 8. Juli 1896.
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Die Entscheidung über die privatrechtliche Stellung der deutschen Frau ist im Reichstage gefallen, und wie von dessen Majorität zu erwarten war, ist sie zu Ungunsten der Frauen gefallen. In der zweiten, der entscheidenden Lesung des Entwurfs zu einem neuen bürgerlichen Gesetzbuch wurden die Paragraphen angenommen, welche das Mundium des Mannes über die Frau in der Ehe festlegen. Dem Manne steht die Entscheidung zu über alle das gemeinsame eheliche Leben betreffenden Angelegenheiten. Er ist, dafern nicht ein besonderer Ehekontrakt eingegangen wird, der Verwalter und Nutznießer des Vermögens der Frau. Das sind die beiden wesentlichen allgemeinen Bestimmungen, aus denen die übrigen folgern, welche bestimmte Einzelheiten die unterbürtige Stellung der Frau in der Ehe zu einer „rechtlichen“ machen.
Gewiss, dass das neue bürgerliche Gesetzbuch etwelche Bestimmungen enthält, welche die Stellung der Frau in der Ehe und Familie ein Weniges gegen früher heben. Aber dieselben sind dem Gesamtcharakter der einschlägigen Paragraphen gegenüber recht beiläufiger Natur und fallen nur wenig ins Gewicht. Nichts ändern sie an dem allgemeinen, wesentlichen Zuschnitt der privatrechtlichen Stellung der verheirateten Frau, welche nach dem Gesetz auch fürderhin nicht als Gleichberechtigte neben dem Gatten steht, sondern als in den meisten Hinsichten Rechtlose unter ihm. Dass die Majorität des Reichstags kein Verständnis zeigen würde gegenüber den durch die moderne wirtschaftliche Entwicklung für Millionen von Frauen und Ehen gründlich umgewälzten materiellen Verhältnissen und den aus ihnen hervorwachsenden Bedürfnissen der Neuzeit: das stand für jeden fest, der die Arbeiten der parlamentarischen Kommission zur Vorberatung des Gesetzentwurfs verfolgt hatte, dass die Majorität weder Beachtung hatte für die Petitionen und Resolutionen der Frauenrechtlerinnen, noch für die energisch vertretenen Forderungen der Sozialdemokratie, wird Niemand Wunder nehmen, der weiß, mit welcher berufsmäßigen Nichtachtung die reaktionäre Mehrheit unserer Gesetzgeber zur Tagesordnung über alles weggeht, was jenseits ihres Verständnisses liegt, d. h. den weitaus meisten Fällen jenseits der kurzsichtigen Augenblicksinteressen der herrschenden Minderheit.
Doch so groß das Armutszeugnis ist, mit welchem die reaktionäre Majorität ihr Verständnis für Zeitforderungen bedachte; so tief die deutschen Frauen durch die Beschlüsse des Reichstags geschädigt und zu kraftvoller Gegenaktion herausgefordert werden, eins ist sicher: ist immer hin eine kleine Bresche gelegt in den unsere bürgerlichen Gesetzgeber bisher alleinseligmachenden Wahnglauben von der Unterbürtigkeit des weiblichen Geschlechts und seiner – im Namen der göttlichen, sittlichen und natürlichen Ordnung und eines halben Dutzend zu Prinzipien geschlagenen Gemeinplatze – für nötig erachteten Bevormundung durch den Mann. Allerdings befürwortete außer Bebel niemand den sozialdemokratischen Antrag nicht bloß § 1337 zu streichen, welcher dem Manne die Vorherrschaft in der Ehe gesetzlich zusichert, sondern ausdrücklich im Gesetz zu erklären, dass beide Ehegatten in allen das gemeinschaftliche Leben betreffenden Angelegenheiten gleichberechtigt seien. Aber immerhin traten die Freisinnigen Träger und Rickert mit großer Wärme für die Streichung des § 1337 ein. Und noch mehr Anwälte und Stimmen fand der sozialdemokratische Antrag, Gütertrennung und selbständige Verwaltung des eigenen Vermögens für jeden der beiden Ehegatten festzulegen, bzw. der ihm verwandte, aber weniger weit gehende Antrag Stumm, beim Fehlen eines Ehevertrags die Gütertrennung und das selbständige Verwaltungsrecht der Frau gesetzlich einzuführen. Noch nie wohl ist im deutschen Reichstage von bürgerlicher, wenn auch noch vereinzelt dastehender Seite so unumwunden die Gleichberechtigung der Geschlechter in der Ehe und Familie gefordert worden, als in den Debatten, welche um die angezogenen Anträge kreisten. Aber charakteristischer noch als die Ausführungen der wenigen bürgerlichen Freunde einer neuzeitlichen, würdigen Stellung der Frau in Ehe und Familie sind die Gründe, mit welchen die Gegner einer solchen ihre Haltung zu rechtfertigen suchten. Geheimrat Planck, der als einer der Väter des Entwurfs diesen zu verteidigen hatte, griff zu diesem Behufe nicht einmal in das gewöhnliche Arsenal jener hochtönenden Phrasen von der geistigen und sittlichen Überlegenheit des Mannes und der Minderwertigkeit der Frau. Vielmehr leitete er die Herrschaftsstellung des Mannes aus „dem Wesen und den Interessen der Ehe“ her, aus der „natürlichen Auffassung und der deutschen Auffassung darüber, die auch die richtige sei“. Wir überlassen es Herrn Geheimrat Planck sich mit dem Kulturhistoriker abzufinden über die Richtigkeit seiner Behauptung von der deutschen Auffassung vom Wesen der Ehe, mit jedem vorurteilslos Denkenden über das zutreffende der Köhlermeinung von der richtigen und natürlichen Auffassung.
Aber bezeichnend und begrifflich genug: Die ersten äußerst schwächlichen Ansätze zur rechtlichen Gleichstellung der Geschlechter in Familie und Ehe, die ersten vereinzelten und zaghaften Anläufe bürgerlicher Politiker, eine solche zu vertreten: sie gelten in der Hauptsache nicht der Frau als Person, als menschlicher Individualität, sondern der Frau als Erzeugerin und Besitzerin von Eigentum. Die einschlägigen Bestimmungen im neuen bürgerlichen Recht, wie die Verhandlung derselben im Reichstage, erweist das klärlich. Die Tatsache erhellt schon daraus, dass das Gesetz die Person der Frau bedingungslos unter die Vormundschaft des Mannes stellt, das Vermögen der Frau aber unter bestimmten Bedingungen seiner Verwaltung entzieht, mehr Rücksichtnahme kennt auf den toten Besitz als auf die lebendige Individualität. Und aus Rücksicht auf das Privateigentum, in wessen Händen es sich auch befinden – hat auch Herr v. Stumm den Fünffünftelsaft seines energischen Eintretens für die Interessen der Frau um Punkte des Güterechts destilliert. Der nämliche Herr v. Stumm, der so wenig Achtung vor der Frau als Person kennt, dass er die Forderung ihrer politischen Gleichberechtigung als einen Gräuel und Scheuel in die siebente Hölle verbannt, dass er sein gewichtiges Wort und seine Stimme nicht zu Gunsten der Anträge in die Waagschale warf, welche durch Streichung des § 1337 die Frau als Person von der Vormundschaft des Mannes befreien wollte: er wurde beredt, er wurde begeistert, als es sich darum handelt, das Privateigentum der Frau sicherzustellen. Der Kampf um die rechtliche Gleichstellung der Geschlechter in der Ehe ist eben in letzter Linie nicht als ein Kampf um die Gleichstellung des Privatbesitzes, ein Ausdruck der geschichtlichen Tatsache, das in der Gesellschaft des Privateigentums der Mensch unter der Herrschaft des Eigentums steht.
Mit Händen zu greifen war aus den Verhandlungen, dass es die vollzogene, tief in die Familie hineingreifende wirtschaftliche Revolutionierung unserer sozialen Verhältnisse ist, die durch sie bedingte veränderte wirtschaftliche Lage von Millionen von Frauen, welche das altersgraue Vorurteil von der nötigen Bevormundung der Frau durch den Mann in der Ehe ins wanken bringt. Und dem Wind und Meer dieser Revolutionierung vermag auch der mit dem stärksten Zopf bewehrte deutsche Spießbürger nicht Halt zu gebieten. Trotz aller Beschwörungen und Wünsche vollzieht sie sich immer schneller, immer machtvoller, legt alle überkommenen gesellschaftlichen Einrichtungen in Trümmer und lässt neues Leben aus den Ruinen sprießen. Langsam aber sicher räumt sie auch mit der Herrschaftsstellung des Mannes in der Familie und der Gesellschaft auf, allen Gesetzesbuchstaben zum Trotz. An den Frauen [liegt es], die Konsequenzen der Revolutionierung ihrer wirtschaftlichen Lage zu ziehen bezüglich ihrer Stellung dem Manne gegenüber in Wirklichkeit und vor dem Gesetz. Der Protest, mit welchem die deutsche Frauenwelt die rechtliche Festlegung ihrer Unterbürtigkeit der Herrschaftsstellung des Mannes in der Familie beantworten wird, er darf nicht verstummen, er darf an Kraft nicht einbüßen, er muss so lange und so energisch erhoben werden, bis der Frau als Mensch – und nicht bloß als Besitzerin von Eigentum – das Recht wird, das ihr im privaten und im öffentlichen Leben gebührt.
Zuletzt aktualisiert am 12. August 2024