Clara Zetkin

Die eheherrliche Vogtei des Mannes
über die Frau im neuen bürgerlichen Recht

(24. Juni 1896)


Quelle: Die Gleichheit, Zeitschrift für die Interessen der Arbeiterinnen, Nr. 13, 24. Juni 1896.
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„Und er soll Dein Herr sein“, dieser Bibelspruch hätte – wie die Genossen Stadthagen und Frohme in den Kommissionsberatungen des Entwurfs eines neuen bürgerlichen Rechtes treffend bemerkten – als Titel, als Motto über den Paragraphen stehen sollen, welche die privatrechtliche Stellung der verheirateten Frau künftighin zu regeln bestimmt sind. In der Tat: der Grundsatz „Und er soll Dein Herr sein“ ist das Leitmotiv, das in unverfälschter Reinheit in all den Bestimmungen wiederkehrt, welche sich auf die Stellung der Frau in der Familie beziehen. Die Auffassung, dass der Mann das Haupt, der Herrscher in der Familie sei, dass nur sei Wille gelte, dass die Frau unter seiner Vormundschaft steht und ihm Gehorsam schulde: liegt all den einschlägigen gesetzlichen Festlegungen zu Grunde.

Zwar hält der Entwurf diese Auffassung nicht so unverhüllt fest wie das französische Zivilgesetz, welches erklärt: „Die Frau schuldet ihrem Ehemanne Gehorsam“. Er hat sie auch nicht so brutal formuliert, das kurbayerische Landrecht, welches besagt, dass die Frau ihrem Manne zu Diensten verpflichtet sei und hierzu „von ihrem Manne der Gebühr nach angehalten und benötigtenfalls gezüchtigt werden kann.“ Aber wenn auch im Entwurf die eheherrliche Vogtei des Mannes in etwas milderer Form festgelegt ist, so ist doch an ihrem Wesen selbst nichts geändert worden. Das Mundium, die Vormundschaft des Ehemannes über die Ehefrau, besteht in vollem Umfange und mit aller Strenge weiter. Durch die wenigen Verbesserungen welche der Entwurf für die Stellung der Frau im Familienrecht bringt, wird der Kern ihrer Unterwerfung unter den Willen ihres Gatten in nichts berührt. Dies um so weniger, als etliche dieser Verbesserungen nur Scheinverbesserungen sind, der Frau Scheinrechte einräumen, deren Umsetzung in tatsächliches Recht abhängig ist von dem Belieben des Ehegatten oder von dem Ermessen des Richters. So hat der Letztere z. B. darüber zu bestimmen, ob der Mann sein Recht der Entscheidung in allen das gemeinsame eheliche Leben betreffende Angelegenheiten missbraucht hat oder nicht. Es ist dies die logische Folge der Auffassung, dass die Frau dem Ehemanne gegenüber überhaupt kein Recht hat. Sie ist deshalb vorkommenden Falles darauf beschränkt, sich gegen den Missbrauch des eheherrlichen Rechtes seitens ihres Mannes zu wehren. Sie muss den Beweis erbringen, dass der Gatte dieses Recht missbraucht hat, und der Richter, ein Geschlechtsgenosse des Mannes, befindet darüber, ob sie den Nachweis zu erbringen vermocht hat.

Paragraph 1337 des Entwurfs legt die eheherrliche Vogtei des Mannes über die Frau gesetzlich fest. Er lautet: „Dem Manne steht die Entscheidung in allen das gemeinschaftliche eheliche Leben betreffenden Angelegenheiten zu: er bestimmt insbesondere Wohnort und Wohnung. Die Frau ist nicht verpflichtet, der Entscheidung des Mannes Folge zu leisten, wenn sich die Entscheidung als Missbrauch seines Rechtes darstellt.“ Der Inhalt und die Wirkungen diese Paragraphen gipfeln darin dass die Frau verpflichtet ist, dem Manne zu gehorchen, dass sie nichts tun darf, was gegen seinen Willen ist.

Um ja keinen Zweifel über das Herrenrecht des Gatten aufkommen zu lassen, haben die Gesetzesfabrikanten in den Motiven des Entwurf nicht bloß auf das preußische Landrecht verwiesen, das in der Sache ähnlich wie § 1337 lautet: „Der Mann ist das Haupt der eheliche Gesellschaft; und seine Entscheidung gibt in gemeinschaftlichen Angelegenheiten den Ausschlag.“ Vielmehr auch auf das sächsische seiner Ehefrau gehorsam, ingleichen Dienstleistungen zur Förderung seines Hauswesens und seines Gewerbes zu verlangen.“ Ferner auf die österreichischen Bestimmungen, welche erklären: „Der Ehemann ist das Haupt in der Familie. In dieser Eigenschaft steht ihm vorzüglich das Recht zu, das Hauswesen zu leiten.“ Schließlich auf das französische Zivilrecht, das kurzer Hand sagt: „Die Frau schuldet dem Mann Gehorsam.“ Und ein weiterer ungemein bezeichnender Zug für den „Geist“ der Väter des Entwurfs. Die Herren konnten nicht umhin, der Frau das Verfügungsrecht zuzuerkennen über das, was sie durch ihre Arbeit erwirbt, und was auch im Falle der Verwaltungsgemeinschaft von Mann und Frau Vorbehaltungsgut der Frau sein soll. Für diesen nicht zu umgehenden Eingriff in das Herrenrecht des Mannes jammern sie in den Motiven gleichsam um Entschuldigung und deuten an, wie der Mann trotz der freventlichen Bestimmung Verfügungsrecht über das erlangen kann, was die Frau durch ihre Arbeit erwirbt. In den Motiven heißt es nämlich: „Denn da die Ehefrau sich ohne die Einwilligung ihres Ehemannes zu persönliche Diensten nicht verpflichten kann ... so hat der Ehemann es in der Regel in der Hand, den eigenen Erwerb der Ehefrau durch ihre Arbeit zu verhindern bzw. seine Einwilligung davon abhängig zu machen, dass der Erwerb durch ihre Arbeit ganz oder zum Teil ihm oder dem Ehegute zufalle.“ Bestände das Mundium des Mannes über die Frau nicht, welches ihm das Recht gibt, seiner Gattin die Erwerbsarbeit nach Belieben zu verbieten oder gnädigst zu gestatten, so wäre das von den Gesetzgebern mit zarter Aufmerksamkeit für etwaige Gelüste des Mannes gezeichnete Vorgehen desselben einfach eine „Erpressung“ im Sinne des Strafgesetzes. Dank des Prinzips des Mundiums ist es jedoch nur die Ausübung der eheherrlichen Gewalt „von Rechts wegen“.

Der Grundsatz des Mundiums, der Bevormundung der Frau durch den Mann, ihrer Behandlung als einer Minderjährigen, einer Geschäftsunkundigen und Geschäftunfähigen, tritt mit aller Schärfe in Erscheinung bei den Bestimmungen über „die Wirkungen der Ehe im Allgemeinen“, über „das Güterrecht“, über „die elterliche Gewalt“, bzw. das Vormundschaftsrecht der Frau. Den einschlägigen Paragraphen liegt in ihrer Gesamtheit das Prinzip zu Grunde, dass dem Manne als Ehemann ein Herrschaftsrecht über die Frau als Ehefrau zusteht. Und zwar bedeutsam genug: ein unbeschränktes Herrschaftsrecht über ihre Person, dagegen ein eventuell durch gewisse Bestimmungen beschränktes über ihr Vermögen. Das Gesetz kennt also mehr Rücksicht auf den Besitz als auf die Person. Den Respekt, den es vor der Person, dem Menschenwesen nicht hat, den bringt es dem Vermögen, dem toten Eigentum entgegen, auch wenn dieses sich in der Hand der sonst gesetzlich unmündigen und minderwertig geachteten Frau befindet. Der Besitz heiligt eben auch das „niedere Gefäß“. Nicht was die Frau ist, verleiht ihr vor dem Privatrecht eine gewisse Bewegungsfreiheit, sondern was sie hat. Es ist nicht zufällig. Es entspricht vielmehr dem ureigensten Wesen des bürgerlichen Rechts, welches das Recht der Besitzenden ist, sich um das Privateigentum als um das A und O aller gesellschaftlichen Einrichtungen und Verhältnisse dreht.

Mit dem im Gesetz formulierten Paragraphen ist übrigens die praktische Bedeutung der gesetzlich festgelegten Vormundschaft des Gatten über die Gattin bei weitem noch nicht erschöpft. Die eheliche Lebensgemeinschaft zeitigt eine Menge verschiedenster Fragen, die sich im Voraus durch allgemeine Vorschriften nicht regeln lassen, für die es aber eine Norm geben muss, nach welcher die Gerichte im Streitfall entscheiden. Für die Entscheidung in solchen Fragen wird, wie Justizrat Bulling treffend hervorhebt (Die deutsche Frau und das bürgerliche Gesetzbuch), das Mundium maßgebend sein, weil es den gesetzlichen Bestimmungen über das Eherecht zu Grunde liegt: „Die fehlende Norm ist nach der Absicht des Gesetzgebers zu bestimmen, und es kann nicht angenommen werden, dass er für die unentschieden gelassenen Fragen auf ein anderes Recht hat hinweisen wollen als dasjenige, was er selbst in den von ihm getroffenen Bestimmungen als für die Ehe Platz greifend zur Anwendung gebracht hat. Die Praxis ist über diesen Punkt einverstanden.“

Damit wird der gesamte Lebenszuschnitt der verheirateten Frau von Rechtswegen in das Belieben des Mannes gestellt, seinen Interessen untergeordnet ohne Rücksicht auf Nutz und Frommen, Sehnen, Wünschen und Wollen der Gattin. In einem folgenden Artikel werden wir die Gründe erörtern, durch welche die Förderer und Lobredner der Hörigkeit der Frau in der Familie Bestimmungen zu rechtfertigen suchen, welche mit elender Falschmünzerei in Worten und Begriffen schreiendes Unrecht als Recht erklären.


Zuletzt aktualisiert am 12. August 2024