Clara Zetkin

Die Arbeiterinnen- und Frauenfrage der Gegenwart

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II. Die Frau und das öffentliche Leben

[Mit der wachsenden Tätigkeit in der Gesellschaft muss die Frau auch Einfluss
auf das öffentliche Leben und die Politik erstreben, von denen sie immer abhängiger wird]

Die Frau konnte ohne großen Schaden für sich und die Gesellschaft vom öffentlichen Leben abgeschlossen werden, so lange die gesellschaftlichen Beziehungen unentwickelte, innerhalb enger Grenzen sich bewegende waren, so lange das Individuum und dessen Lebensverhältnisse nur von den nächstliegenden Einflüssen berührt und bestimmt wurden.

Nicht nur die Frau, auch der Mann musste damals einen beschränkten Kreis von Interessen haben, aber innerhalb des engen Kreises, in dem sich dieselben bewegten, nahm auch die Frau mehr oder weniger am öffentlichen Leben teil, sie war auf dem Laufenden über die Verhältnisse, welche die Existenz ihrer Familie beeinflussten, in manchen Gegenden hatte sie auch ihr Wort in der Gemeindeverwaltung mitzureden. Der Zwergwirtschaft und dem Lokalmarkte, der Kirchturmproduktion entsprach auch die Kirchturmpolitik, für den Mann so gut wie für die Frau.

Sowie die Entwicklung der neuen Produktionsverhältnisse die wirtschaftlichen Beziehungen der Gesellschaft von kleinen lokalen zu großen, nationalen und internationalen machte, musste auch der Charakter des öffentlichen Lebens dem gleichen Entwicklungsgange folgen. Der Partikularismus musste dem Nationalismus weichen, wie dieser seinerseits gezwungen war, dem Kosmopolitismus Platz zu machen. Sowie der Einzelne nicht mehr für den Lokal-, sondern für den Weltmarkt produzierte, mussten ihn auch alle gesellschaftlichen Beziehungen und Verhältnisse interessieren, welche die Verhältnisse des Weltmarktes beeinflussen und schaffen, er musste danach streben, dieselben und die Produktionsbedingungen möglichst in Gemäßheit seines Interesses beeinflussen zu können.

Das Ziel ist erreicht, soweit es unter der Herrschaft der Klassengegensätze und des Konkurrenzkampfes möglich ist.

Die Bourgeoisie hat sich durch Revolutionen, durch Besitzergreifung der politischen Macht das Recht verschafft, Produktions- und Machtverhältnisse zu ihrem Nutz und Frommen zu regeln.

Das Proletariat ist zwar dem Namen nach, mehr oder weniger unvollkommen, für politisch frei erklärt, aber in Folge seiner wirtschaftlichen Abhängigkeit entbehrt es der Macht, die gesellschaftlichen Beziehungen nach seinem Interesse zu gestalten. Widerwillig genug musste die Bourgeoisie zulassen, was sie nicht hindern konnte, nämlich, dass der Arbeiter durch die Verhältnisse, in denen er lebt, Interesse an dem öffentlichen Leben nahm, dass er Einblick in das politisch-soziale Gebiet gewann, das in sein Dasein fördernd oder hemmend eingriff, dass er sich eine Meinung, ein Urteil über die öffentlichen Ereignisse und Einrichtungen bildete und in Folge dessen dort ein Wort mitzureden verlangte, wo seine Existenzbedingungen in Frage, wo seine Tätigkeit die Grundlage des Bestehenden war.

Allerdings ward alles getan, sein Urteil über die sozialen Beziehungen zu fälschen, es so zu gestalten, dass es nicht der Wirklichkeit und seinem eigenen Interesse entsprach, sondern nur dem Vorteile der bürgerlichen Machthaber, der Erhaltung der bestehenden Verhältnisse. Kirche, Schule, Presse und sonstige so genannte Bildungsanstalten erwiesen sich in der Hand des Klassenstaats als treffliche Instrumente, das Proletariat zu blenden und zu täuschen.

Und was die aktive Teilnahme des Arbeiters am öffentlichen Leben anbetrifft, so war und ist sie noch himmelweit davon entfernt, im Verhältnisse zu der Rolle zu stehen, welche derselbe im wirtschaftlichen Leben spielt; sie beschränkt sich noch heutzutage auf das berühmte „Steuerzahlen und Maulhalten“. Aber im Prinzip wenigstens ist die Teilnahme der Männerwelt an dem öffentlichen Leben anerkannt, hier ist in gewissem Maße die politische Entwicklung der Entwicklung der Produktionsverhältnisse gefolgt.

Anders die Frau. Ihre Stellung weist einen schneidenden Widerspruch auf zwischen ihrer wirtschaftlichen Bedeutung und ihrer gesellschaftlichen, beziehungsweise politischen Rechten. Ihr sind nicht einmal die kümmerlichen Scheinkonzessionen eingeräumt, mit denen das Proletariat abgespeist wurde; rechtlich und politisch bilden die Frauen einen fünften Stand der heutigen Gesellschaft. Während ihre ökonomische Tätigkeit sich den neuen Produktionsbedingungen anpasste und eine immer ausgedehntere wurde, blieben ihr ihre sozialen Rechte in Gemäßheit derjenigen gesellschaftlichen Verhältnisse zugemessen, welche die Klein- resp. Hausproduktion zur Voraussetzung hatten.

Von dem Tage an, an dem die Großproduktion die Kleinproduktion verdrängte, wo die Frau die Bedarfsartikel für den Familiengebrauch nicht mehr selbst herstellte, von dem Tage an ward auch ihr Interesse aus der Familie in die Gesellschaft verlegt. Sogar in dem Falle, dass die Frau unter den neuen Produktionsbedingungen nicht selbst produktiv tätig war, geriet sie indirekt, durch Vermittlung des nach den neuen Bedingungen produzierenden Massen in durchaus veränderte Beziehungen zur außerhalb der Familie gelegenen Welt. Die Lebensverhältnisse der Familie werden nicht mehr überwiegend vom individuellen Willen des Familienoberhauptes bestimmt, sondern in letzter Linie durch die Marktverhältnisse, von der gesamten Wirtschaftslage draußen im sozialen Leben, die ihrerseits von den politischen Ereignissen und Zuständen beeinflusst wurden. Die Höhe des Verdienstes, der den Unterhalt sicherte, die Länge der Arbeitszeit, vielfach auch die Art der Beschäftigung, die Feierstunden und Feiertage, die ganze Gründung und Gestaltung des Familienlebens hing nicht mehr vom Willen des Mannes, sondern von der Laune des Kapitalisten, von den Notwendigkeiten der Produktion und des Marktes ab. Die Preise der Bedarfsartikel für den Haushalt wurden durch Einflüsse bestimmt, die nicht im Bereiche der Familie, sondern oft in weiter Ferne in verwickelten öffentlichen Verhältnissen und politischen Maßregeln lagen. Die Konkurrenz beschwor Kolonialkriege und Schutzzölle herauf, welche bald den bald jenen Bedarf für den Haushalt verteuerten. Eine neue Produktionsverbesserung warf heute den Vater, morgen den Mann brotlos aufs Pflaster. Kriege mit dem Auslande behufs Gewinnung oder Erhaltung der politischen, industriellen und kommerziellen Vorherrschaft, Bürgerkriege im Innern um die bestehende Gesellschaftsordnung rissen erbarmungslos Vater, Sohn und Bruder aus der Familie, töteten den Ernährer oder schickten ihn als hilflosen Krüppel zurück. Ein großer Teil des zum Unterhalt der Familie bestimmten Verdientes geht zur Zahlung der direkten und indirekten Steuern verloren, um die Kosten der Kriegsunternehmungen des kolossalen Regierungs- und Polizeiapparates zu decken. Gesetzgebende und ausführende Gewalten erlassen Vorschriften, welche die wirtschaftlichen Existenzverhältnisse der Familie ruinieren, die Familienglieder auseinander reißen, den Einzelnen in das Elend jagen. Die Kinder können sich nicht nach Maßgabe ihrer Anlagen und Fähigkeiten entwickeln, auch hier sind wiederum nicht die inneren Verhältnisse der Familie, sondern die äußeren Verhältnisse der Gesellschaft bestimmend; der größte Teil der Bildungsanstalten ist den Kindern der Mittellosen verschlossen, und wenn der Eintritt durch de- und wehmütige Bettelei offen steht, hält doch die Sorge um den länger zu gewährenden Unterhalt seitens der Familie von der Benutzung ab. Die Erwerbsverhältnisse machen es dem Vater zur Notwendigkeit, darauf zu halten, dass kein „unnützer Esser“ im Hause ist, dass das Kind so früh als möglich verdient.

Kurz, die Frau wird als Gattin, als Haushälterin, als Mutter stets und überall auf außerhalb der Familie bestehende gesellschaftliche Mächte und Einrichtungen hingewiesen, welche ihr ganzes Leben und das der Ihrigen beherrschen und bestimmen.

Und da will man ihr nicht erlauben, sich für das außerhalb des Hauses pulsierende Leben zu interessieren, von dem ihr Wohl und Wehe ganz anders abhängt wie von ihrer Kochkunst und den sonstigen Fertigkeiten der „Hausfrau“ alten Stiles?

Die gesellschaftlichen Beziehungen bürden ihr neue und schwere Lasten auf, treffen sie in ihren innigsten Empfindungen, in ihrem Wünschen und Handeln, und sie soll nicht nach dem Wie und Warum dieser Beziehungen fragen, sie soll nicht ihre Rechte fordern, wo man ihr maßlose Pflichten zuerteilt? Sie soll nicht fragen, warum ihr Blümchenkaffee, ihr geschrotetes Brot, das zähe Fleisch perlsüchtiger Kühe, das dünne Baumwollfähnchen teurer geworden, warum ihr Liebster zum Krüppel geschossen, warum ihr Mann brotlos durch das Land streicht, warum ihr Kind nach einer freudlosen Jugend ein mühseliges Alter verleben soll, warum der Wochenlohn des Mannes mit jedem Jahr geringer ausfällt, während sein Arbeitstag immer länger, die Feierzeit kürzer und kürzer wird? Sie soll keine Antwort auf die tausend und abertausend Fragen suchen, welche ihr aus ihrer und der Ihrigen Existenz unheimlich entgegenstarren, sie soll sich mit den Tatsachen abfinden, die ihr das Leben wie herabziehende Mühlsteine an den Hals hängt, ohne dieselbe in ihren Ursachen zu verstehen zu suchen?

Noch weit deutlicher fühlt ihre Abhängigkeit, ihre Wechselbeziehung zu dem gesellschaftlichen Leben diejenige Frau, welche „Arbeitskraft“ geblieben ist, welche aber, in Gemäßheit der neuen Bedingungen, nicht mehr für die Familie, sondern für die Gesellschaft produziert, welche ökonomisch vom Manne unabhängig, hingegen vom Kapitalisten abhängig geworden ist. Für sie ist das Interesse, die Teilnahme am öffentlichen Leben eine Notwendigkeit, auf welche sie zehnmal am Tage hingewiesen wird, eine Pflicht und ein Recht, die ihr nur eine von der Wurzel bis zum Gipfel ungerechte Gesellschaftsordnung vorenthalten kann.

Die industrielle Arbeiterin wird unmittelbar von allen Maßregeln betroffen, welche Staat und Gesellschaft ergreifen. Wie jeder andre Beteiligte muss sie also auch direkt mit diesen Gewalten in Berührung stehen, direkt ihren Einfluss, ihre Ansprüche, ihre Proteste geltend machen können. Es muss ihr vor allem möglich sein, am öffentlichen Leben Anteil zu nehmen, ihre Stimme bei Wahlen u. s. w. als maßgebend in die Waagschale zu werfen. Sie befindet sich den sozialpolitischen Zuständen gegenüber in ganz und gar derselben Lage wie jeder männliche Arbeiter. Wie will man also das geringere Maß an Rechten erklären, das ihr zuerteilt ist?

Der Stand der Arbeiterschutz- und Gewerbegesetzgebung ist für Arbeiterin wie Arbeiter von der höchsten Wichtigkeit. Ob Freizügigkeit oder Aufenthaltsbeschränkung herrscht, kann ihr nicht gleichgültig sein, denn hiervon kann eventuell eine Verbesserung ihrer Lage abhängen, das Aufsuchen lohnender Arbeit kann ihr dadurch erleichtert oder erschwert werden. Es hat seine Wichtigkeit für sie, ob sich der Staat ausschließlich als Vertreter der herrschenden Klassen, der Bourgeois-Interessen erweist, oder ob er wenigstens notdürftig die Interessen der arbeitenden Massen zu wahren sucht, ob er dementsprechend den Kapitalisten unbeschränkte Ausnutzungsfreiheit gewährt oder deren Profitsucht durch Schutzgesetze gewisse Zügel anlegt. Es ist von tief greifender Bedeutung für sie, ob der Kapitalist sie gesetzlich Sonn- und Feiertags unbestimmt lange Stunden ausnutzen kann, ob sie Nacht- und Überarbeit leisten, ihr Leben durch die Beschäftigung in ungesunden Industriezweigen um Jahre verkürzen muss, oder ob sie einen Normalarbeitstag von acht Stunden beschäftigt ist, ob sie Feiertage und Nachtschlaf kennt. Soll es sie etwa nichts angehen, wenn der Arbeitsherr ihren Lohn stetig tiefer herunterdrückt, oder wenn er stattdessen gezwungen ist, sich an einen Minimallohn zu halten, der ihr wenigstens die notwendigsten Existenzbedingungen garantiert? Die Gesetze über die Beobachtung von hygienischen und Sicherheitsmaßregeln, über Kranken-, Alters- und Invalidenkassen sind für die Industriearbeiterin von nicht geringerer Tragweite wie für den männlichen Proletarier, denn auch sie kann jederzeit als Opfer auf dem industriellen Schlachtfelde fallen und erwerbsunfähig werden, ohne dass ihr die Verhältnisse vorher erlauben, ihre Tage für diesen Fall sicher zu stellen.

Die Bestimmungen über Versammlungs- und Vereinigungsrecht haben auch für ihr Leben die gleiche Wichtigkeit wie für den Mann; ihre Fassung und Handhabung ermöglicht ihr entweder einen gewissen Widerstand gegen die Übermacht des Kapitals oder liefert sie mit gebundenen Händen und Füßen an dieselbe aus. Das Versammlungsrecht gibt ihr die Möglichkeit, sich im Verein mit ihresgleichen über die gemeinschaftlichen Interessen klar zu werden, ihre Forderungen zu stellen. Das Koalitionsrecht setzt sie in den Stand, sich durch vereinte Kraft in ökonomischer Beziehung gegen die gröbsten Ausschreitungen des Kapitalismus zu verteidigen, den Kampf für die volle Freihit der weiblichen Arbeit anzubahnen.

Was die übrigen Gesetze, staatlichen und sozialen Beziehungen anbetrifft, so drücken dieselben ebenso fühlbar auf die Existenz der Arbeiterin wie auf die des Arbeiters. Steuern und Abgaben belasten sie als Produzentin und als Konsumentin, der kapitalistische Staat und der einzelne Kapitalist finden tausendfältige Gelegenheit, ihr sogar von dem abzunehmen, was zur Erhaltung ihrer Existenz unentbehrlich notwendig ist. Auf der einen Seite wird ihr der Verdienst geschmälert, auf der andren Seite werden ihr die Bedürfnisse verteuert, und wenn ihr Budget mit einem klaffenden Defizit abschließt, so stellt ihr die Gesellschaft großmütig und moralisch die Prostitution frei, das „Sicherheitsventil der bestehenden Ordnung“, vorausgesetzt, dass sie auch hier ihren Zehnten an Schmarotzer und Ausbeuter, oft sogar an den Staat und die Gemeinde entrichtet. Jeder diplomatische Schachzug, jedes Börsenmanöver macht eventuell ihren Lohn sinken oder raubt ihr ganz die Beschäftigung. Die durch zügellose Spekulation heraufbeschworenen Krisen werfen sie zu Tausenden aufs Pflaster, treiben sie in das Spital, in den Tod, ins Bordell, Kriege legen das industrielle Leben und damit ihren Verdienst auf Jahre hinaus brach. Es gibt kein Verhältnis ihrer Existenz, in dem sie sich nicht in der engsten Abhängigkeit von der Gesellschaft und deren Einrichtungen fühlte.

Wie kann man da verlangen, dass sie mit geschlossenen Augen, mit zugehaltenen Ohren, mit in den Schoß gelegten Händen dem öffentlichen Leben gegenüberstehe, dass sie nicht da ihr Pfund an Rechten fordern solle, wo sie ihren Zentner an Pflichten darbringen muss? Der industriellen Arbeiterin, die mit ihrem Blut und Schweiß den Nationalwohlstand und für sich selbst den Bettelstab schafft, der soll nicht einmal das armselige Recht zustehen, sich in Versammlungen über ihre Interessen zu beraten, und solche Vertreter derselben in die gesetzgeberischen und ausführenden Körperschaften zu wählen, von denen sie die Überzeugung hat, dass dieselben das wirkliche Volkswohl im Auge haben?

Wie die Frauen mit ihrer produktiven Tätigkeit aus der Familie herausgeschleudert worden sind, so müssen sie auch mit ihrem Denken und Empfinden aus den eng beschränkten Kreis der Häuslichkeit herausgerissen, sie müssen aus der Familie in die Menschheit verpflanzt werden. Die Frau darf sich nicht länger hinter den häuslichen Herd verkriechen, sie muss in der Gesellschaft leben, an die Stelle der einseitigen, engherzigen, tief egoistischen Familienliebe muss das allgemeine Solidaritätsgefühl treten, das der Frau jetzt so sehr mangelt.

Der wirtschaftlichen Bedeutung der Frau als Produktivkraft müssen auch endlich ihre politischen und sozialen Rechte entsprechen. Das politische Bürgerrecht noch länger von den alten Reminiszenzen an die antiken Kriegerrepubliken abhängig machen, und es der Frau versagen, weil sie nicht Militärdienst leistet, ist eine ganz vorsintflutliche Anschauung, die von dem Tage an in die Rumpelkammer gehörte, wo die Nationalökonomie nachwies, dass alle gesellschaftlich nützliche und notwendige Arbeit gleichwertig ist. Die Frauenarbeit von geringerem Wert als die Männerarbeit zu erklären, ist noch ein Zopf des alten hierarchischen Geistes, welcher die verschiedenen gesellschaftlichen Arbeiten in „hohe“ und „niedere“, „edle“ und „gemeine“ Arbeiten einteilte und als höchste, edelste – und einträglichste Arbeit von allen die des Kuponabschneidens an die Spitze der gesellschaftlichen Leiter stellte.

In die Rumpelkammer auch mit dem alten abgedroschenen Einwand, der Frau fehle das Verständnis, „die Reife“ für das politische Leben Die Teilnahme daran erfordert nur einen gesunden Menschenverstand, praktischen Sinn, klare Einsicht in das eigene Interesse und in dessen innigen Zusammenhang mit dem Allgemeinwohl. Die politische und ökonomische Schulung kann die Frau nicht durch das Hinter-dem-Ofen-Hocken erwerben, sie ist eine Folge der Belehrung, der Erfahrung und Beobachtung, die aus dem Leben gewonnen, und die sich die Frau bei ihrer großen Bildungsfähigkeit leicht aneignen wird.

Bis jetzt hat der Teilnahme des weiblichen Geschlechts am öffentlichen Leben der Gewohnheitsschlendrian und der Egoismus des Mannes ebenso sehr im Wege gestanden wie die Gleichgültigkeit der Frau. Aber die zwingende Logik der Tatsachen stößt letztere durch fortwährende Berührung mit ökonomischen, mit sozialpolitischen Fragen darauf hin, auch politisch und gesellschaftlich ihre Rechte zu fordern, mittels deren sie auf die Produktionsbedingungen, auf ihr Schicksal Einfluss üben kann.

Und kraft der Rolle, welche sie in der heutigen Produktion spielt und die mit jedem Tage bedeutender werden muss, wird sie ihre sozialpolitischen Rechte erhalten mit oder gegen den Willen der Männer, ja sogar gegen ihren eigenen Willen.

 


Zulatzt aktualisiert am 2 August 2024