Leo Trotzki

 

Verteidigung des Marxismus

 

Wissenschaft und Stil

 

23. Februar 1940

Ich habe Burnhams Wissenschaft und Stil erhalten. Das Geschwür ist offen, und das ist ein wichtiger politischer Vorteil. Die theoretische Rückständigkeit der amerikanischen „radikalen“ Meinung drückt sich darin aus, daß Burnham lediglich das wiederholt – mit einigen „modernisierten“ Beispielen, was Struve in Rußland vor mehr als 40 Jahren schrieb und in großem Maße, was Dühring der deutschen Sozialdemokratie vor einem dreiviertel Jahrhundert beizubringen versuchte. So viel vom Standpunkt der „Wissenschaft“. Was den „Stil“ betrifft, ziehe ich, ehrlich gesagt, Eastman vor.

Das Interesse an dieser Schrift trägt keineswegs theoretischen Charakter: Die 1001. professorale Widerlegung der Dialektik ist nicht mehr wert als alle ihre Vorläufer. Aber vom politischen Standpunkt ist die Wichtigkeit dieser Schrift unbestreitbar. Sie zeigt, daß der theoretische Inspirator der Opposition dem wissenschaftlichen Sozialismus durchaus nicht näher steht als Muste, der frühere Bundesgenosse Aberns. Shachtman erwähnte Bogdanows Philosophie. Aber es ist absolut unmöglich, sich Bogdanows Unterschrift unter solch einem Dokument vorzustellen, nicht einmal nach seinem endgültigen Bruch mit dem Bolschewismus. Meiner Meinung nach sollte die Partei die Genossen Abern und Shachtman fragen, wie ich es in diesem Augenblick tue: Was halten Sie von Burnhams „Wissenschaft“ und was von Burnhams „Stil“? Die Frage Finnlands ist wichtig, aber sie ist schließlich nur eine Episode, und die Veränderung in der internationalen Situation, die die wahren Umstände der Ereignisse enthüllt, kann Meinungsverschiedenheiten über diese konkrete Streitfrage sofort lösen. Aber können die Genossen Abern und Shachtman nun, nach Erscheinen von Wissenschaft und Stil, weiterhin auch nur die geringste Verantwortung tragen, nicht für die armselige Schrift als solche, sondern für Burnhams ganze Auffassung von Wissenschaft, Marxismus, Politik und „Moral“. Diese Leute von der Minderheit, die sich auf eine Spaltung vorbereiten, sollten bedenken, daß sie nicht für eine Woche und nicht für die Dauer des sowjetisch-finnischen Krieges, sondern jahrelang mit dem „Führer“ in Verbindung gebracht werden, der in seiner ganzen Konzeption nichts mit der proletarischen Revolution gemein hat.

Das Geschwür ist offen. Abern und Shachtman können nicht länger wiederholen, daß sie nur über Finnland und ein wenig über Cannon diskutieren wollen. Sie können mit dem Marxismus und der Vierten Internationale nicht länger Blindekuh spielen. Soll die Socialist Workers Party die Tradition von Marx, Engels, Franz Mehring, Lenin und Rosa Luxemburg bewahren – eine Tradition, die Burnham öffentlich „reaktionär“ nennt –, oder soll sie Burnhams Vorstellungen übernehmen, die nur die verspätete Reproduktion des vor-marxschen kleinbürgerlichen Sozialismus ist?

Wir wissen nur zu gut, was solcher Revisionismus in der Vergangenheit politisch bedeutet hat. Jetzt, in der Epoche des Todeskampfes der bürgerlichen Gesellschaft wären die politischen Konsequenzen des Burnhamismus unvergleichlich unmittelbarer und konterrevolutionärer. Genossen Abern und Shachtman, Sie haben das Wort!

Leo Trotzki

Coyoacan, D.F.

 


Zuletzt aktualisiert am 15.10.2003