Leo Trotzki

 

Wohin geht Frankreich?

(2. Teil)

 

V
Proletariat, Bauern, Armee, Frauen, Jugendliche

 

Der Plan der CGT und die Einheitsfront

Jouhaux hat die Planidee bei de Man entlehnt. Bei allen beiden ist das Ziel das gleiche: den letzten Zusammenbruch des Reformismus zu verschleiern und dem Proletariat neue Hoffnungen einzuflößen, um es von der Revolution abzubringen.

Weder de Man noch Jouhaux haben ihre „Pläne“ erfunden. Sie nahmen ganz einfach die grundlegenden Forderungen des marxistischen Übergangsprogramms, die Nationalisierung der Banken und Schlüsselindustrien, warfen den Klassenkampf über Bord und setzten an die Stelle der revolutionären Enteignung die Finanzoperation „Enteignung“ gegen Entschädigung.

Die Staatsgewalt geht nach wie vor vom „Volke“ aus, d.h. von der Bourgeoisie. Aber der Staat kauft die wichtigsten Industriezweige (man sagt uns nicht genau welche) ihren heutigen Besitzern ab, die für zwei, drei Generationen schmarotzende Rentner werden: an die Stelle der privatkapitalistischen Ausbeutung schlechthin tritt die indirekte Ausbeutung auf dem Umwege über einen Staatskapitalismus.

Da Jouhaux weiß, dass selbst dies kastrierte Nationalisierungsprogramm absolut undurchführbar ist, erklärt er sich von vornherein bereit, seinen „Plan“ gegen das Kleingeld parlamentarischer Formen im modischen Planwirtschaftsstil einzuwechseln. Jouhaux Ideal wäre es, durch Schieben hinter den Kulissen die ganze Operation darauf zu reduzieren, dass in verschiedenen Wirtschafts- und Industrieräten die Gewerkschaftsbürokraten Sitz bekommen, ohne Vollmacht und Autorität, aber mit Diäten.

Nicht von ungefähr fand Jouhaux’ Plan – der wirkliche, der sich hinter dem papierenen „Plan“ verbirgt – die Unterstützung der Neo und sogar die Zustimmung Herriots!

Das fromme Ideal der „freien“ Gewerkschaftsbewegung wäre jedoch nur dann zu verwirklichen, wenn der Kapitalismus sich wieder verjüngt und die Arbeitermassen sich wieder unters Joch beugen. Wenn aber der kapitalistische Niedergang weitergeht? Dann kann der Plan, der die Arbeiter von „bösen Gedanken“ abhalten sollte, die Fahne der revolutionären Bewegung werden.

Natürlich hat Jouhaux, vom belgischen Beispiel erschreckt, eiligst zum Rückzug geblasen. Der wichtigste Tagesordnungspunkt der Nationalratssitzung der CGT von Mitte März – die Propaganda für den Plan – verschwand unversehens. Wenn dies Manöver mehr oder weniger gelang, so ist daran einzig und allein die Leitung der Einheitsfront schuld.

Die CGT-Führer hatten ihren „Plan“ aufgebracht, um mit den Parteien der Revolution konkurrieren zu können. Damit zeigte Jouhaux, dass er im Gefolge seiner bürgerlichen Inspiratoren die Situation als (im weitesten Sinne des Wortes) revolutionär einschätzt. Aber der revolutionäre Gegner ließ sich auf dem Kampfschauplatz nicht blicken. Da beschloss Jouhaux, auf diesem so gefahrvollen Weg nicht weiterzugehen. Er zog sich zurück und wartet nun ab.

Im Januar schlug der Vorstand der Sozialistischen Partei der Kommunistischen Partei den gemeinsamen Kampf um die Macht vor namens der Sozialisierung der Banken und konzentrierten Industriezweige. Säßen im Zentralkomitee der Kommunistischen Partei Revolutionäre, sie hätten diesen Vorschlag mit offenen Armen aufnehmen müssen. Durch eine breite Kampagne um die Macht, hätten sie die revolutionäre Mobilisierung innerhalb der SFIO beschleunigt und gleichzeitig Jouhaux genötigt, seinen „Plan“ zu agitieren. Auf diese Weise hätte man die CGT zwingen können, der Einheitsfront beizutreten. Das spezifische Gewicht des französischen Proletariats wäre um ein mehrfaches gestiegen.

Aber im Zentralkomitee der Kommunistischen Partei sitzen keine Revolutionäre, sondern Götzendiener. „Die Situation ist nicht revolutionär“, erwiderten sie, ihren Nabel beschauend. Die Reformisten der SFIO atmeten erleichtert auf: die Gefahr ist vorüber. Jouhaux strich geschwind die Frage der Planpropaganda von der Tagesordnung. Und das Proletariat ist in der großen sozialen Krise somit ohne jedes Programm. Die Komintern hat wieder einmal eine reaktionäre Rolle gespielt.

 

 

Revolutionäres Bündnis mit der Bauernschaft

Die Agrarkrise bildet heute das Hauptreservoir der bonapartistischen und faschistischen Tendenzen. Wenn die Not den Bauer bei der Kehle packt, ist er zu den unerwartetsten Sprüngen fähig. Die Demokratie betrachtet er mit wachsendem Misstrauen.

„Die Losung der Verteidigung der demokratischen Freiheiten“, schrieb Monmousseau (Cahier du Bolchévisme, 1. September 1934, S.1017) „entspricht ausgezeichnet der Stimmung der Bauernschaft“. Dieser bemerkenswerte Satz beweist, dass Monmousseau von der Bauernfrage genau so wenig Ahnung hat wie von der Gewerkschaftsfrage. Die Bauern beginnen den „Links“parteien den Rücken zu kehren, gerade weil diese unfähig sind, ihnen etwas anderes zu bieten als leere Worte über die „Verteidigung der Demokratie“.

Kein Programm von „Tagesforderungen“ vermag dem Dorf etwas von irgendwelcher Bedeutung zu bringen. Das Proletariat muss mit den Bauern die Sprache der Revolution reden: es wird keine andere gemeinsame Sprache finden. Die Arbeiter müssen zusammen mit den Bauern ein Programm revolutionärer Maßnahmen zur Rettung der Landwirtschaft ausarbeiten.

Vor allem fürchten die Bauern den Krieg. Sollen wir sie vielleicht mit Laval und Litwinow durch falsche Hoffnungen auf den Völkerbund und die „Abrüstung“ ködern? Das einzige Mittel zur Verhinderung des Krieges ist. die eigene Bourgeoisie zu stürzen und das Signal zur Umwandlung Europas in die Vereinigten Staaten der Arbeiter- und Bauernrepubliken zu geben. Ohne Revolution keine Rettung vor dem Krieg.

Die werktätigen Bauern stöhnen unter den Wucherbedingungen des Kredits. Um diese zu ändern, gibt es nur einen Weg: Enteignung der Banken und ihre Konzentrierung in der Hand des Arbeiterstaats: auf Kosten der Finanzhaie Schaffung eines Vorzugskredits für die Kleinbauern, insbesondere für die bäuerlichen Genossenschaften. Die Landwirtschaftskreditbanken müssen der Bauernkontrolle unterliegen.

Die Bauern erleiden die Ausbeutung seitens der Dünger- und Mühlentrusts. Kein anderer Weg als die Nationalisierung der Dünger- und Großmühlentrusts und ihre völlige Unterordnung unter die Interessen der Bauern und Verbraucher.

Verschiedene Kategorien von Bauern (Meier, Pächter) unterliegen der Ausbeutung der Großgrundbesitzer. Kein anderes Mittel gegen den Bodenwucher als die Enteignung der Bodenwucherer durch Bauernkomitees unter Kontrolle des Arbeiter- und Bauernstaats.

Keine dieser Maßnahmen ist denkbar unter der Herrschaft der Bourgeoisie. Kleine Almosen werden dem Bauern nicht helfen, mit Pflästerchen ist ihm nicht gedient. Es bedarf kühner revolutionärer Maßnahmen. Der Bauer wird sie begreifen, billigen und unterstützen, wenn der Arbeiter ihm im Ernst zum gemeinsamen Kampf um die Macht die Hand reicht.

Nicht warten, bis das Kleinbürgertum sich von selbst entscheide, sondern dessen Denken formen, dessen Willen stärken, das ist die Aufgabe der Arbeiterpartei. Nur so wird der Bund zwischen Arbeitern und Bauern zustande kommen.

 

 

Das Heer

Der Geist der meisten Offiziere ist ein Abbild des reaktionären Geistes der herrschenden Klassen des Landes, jedoch in noch kondensierterer Form. Der Geist der Soldatenmasse ist ein Abbild des Geistes der Arbeiter und Bauern, doch in abgeschwächterer Form: die Bourgeoisie versteht die Verbindung mit den Offizieren weit besser aufrechtzuerhalten, als das Proletariat die mit den Soldaten.

Der Faschismus imponiert den Offizieren gewaltig wegen seiner entschlossenen Losungen und seiner Bereitschaft, die schwierigen Fragen durch Revolver und Maschinengewehr zu lösen. Wir besitzen nicht wenig Nachrichten von dem Zusammenhang zwischen den faschistischen Verbänden und der Armee durch Vermittlung von Reserve- wie von aktiven Offizieren. Indessen erfahren wir nur einen geringen Teil dessen, was tatsächlich vor sich geht. Jetzt müssen in der Armee die freiwillig Langdienenden eine steigende Rolle spielen. Unter ihnen wird die Reaktion nicht wenig zusätzliche Agenten finden. Die faschistische Durchsetzung der Armee unter dem Schutz des hohen Generalstabs ist voll im Gange.

Die jungen bewussten Arbeiter in den Kasernen könnten der faschistischen Zersetzung erfolgreich Widerstand leisten. Doch zum großen Unglück sind sie selbst politisch entwaffnet: sie haben kein Programm. Der junge Erwerbslose, der Sohn des Kleinbauern, des Krämers oder kleinen Beamten, sie alle bringen in die Armee die Missstimmung des sozialen Milieus mit, aus dem sie stammen. Was wird ihnen der Kommunist anderes sagen als: „Die Situation ist nicht revolutionär“? Die Faschisten plündern das marxistische Programm und machen aus gewissen Teilen mit Erfolg ein Werkzeug sozialer Demagogie. Die „Kommunisten“ (?) verleugnen faktisch ihr Programm und ersetzen es durch die verfaulten Abfälle des Reformismus. Kann man sich einen schnöderen Bankerott vorstellen?

Die Humanité konzentriert sich auf die „Tagesforderungen“ der Soldaten: das ist notwendig, aber nur der hundertste Teil des Programms. Das Leben des Heers ist heute mehr denn je politisch. Jede soziale Krise ist notwendigerweise eine Heereskrise. Der französische Soldat erwartet und sucht klare Antworten. Auf die Fragen der sozialen Krise und der faschistischen Demagogie gibt es und kann es keine bessere Antwort geben als das Programm des Sozialismus. Dies Programm gilt es kühn im Lande entrollen, und durch tausend Kanäle wird es in das Heer eindringen!

 

 

Die Frauen

Die soziale Krise mit ihrem Gefolge von Beschwerden lastet am drückendsten auf den werktätigen Frauen. Sie sind doppelt unterjocht: durch die besitzende Klasse und durch die eigene Familie.

Es gibt „Sozialisten“, die das Frauenstimmrecht fürchten in Anbetracht des Einflusses der Kirche auf die Frau. Als ob das Schicksal des Volkes von einer mehr oder weniger großen Zahl „linker“ Gemeindeverwaltungen im Jahre 1935 ahhinge, und nicht von der moralischen, sozialen und politischen Lage von Millionen Arbeiterinnen und Bäuerinnen in der kommenden Epoche!

Jede revolutionäre Krise ist kenntlich an dem Erwachen der besten Eigenschaften der Frau aus den werktätigen Klassen: Leidenschaft, Heldenmut und Hingabe. Der kirchliche Einfluss wird nicht vom ohnmächtigen Rationalismus der „Freidenker“, noch von dem abgeschmackten Muckertum der Freimaurer zerstört werden, sondern durch den revolutionären Kampf um die Befreiung der Menschheit, und folglich an erster Stelle der Arbeiterin.

Das Programm der sozialistischen Revolution muss heutzutage ertönen als Sturmglocke für die Frauen der Arbeiterklasse!

 

 

Die Jugendlichen

Das grausamste Urteil über die Leitung der politischen und gewerkschaftlichen Arbeiterorganisationen spricht die Schwäche der Jugendorganisationen. Auf dem Gebiet der menschenfreundlichen Werke, der Vergnügungen und des Sports sind uns Bourgeoisie und Kirche weitaus überlegen. Die Arbeiterjugend kann man ihnen nur durch das sozialistische Programm und durch die revolutionäre Aktion entreißen.

Die junge Generation des Proletariats braucht eine politische Führung und keine aufdringliche Vormundschaft. Konservativer Bürokratismus erstickt die Jugend und schreckt sie ab. Hätte es das Regime der kommunistischen Jugend schon 1848 gegeben, so hätten wir einen Gavroche nicht erlebt. Die Politik der Passivität und Anpassung wirkt besonders unheilvoll auf die Kader der Jugend. Die jungen Bürokraten werden vorzeitig alt: sie kennen sich wohl in sämtlichen Manövern hinter den Kulissen aus, nicht aber im ABC des Marxismus. Ihre „Überzeugung“ bilden sie sich von Fall zu Fall, je nach den Erfordernissen des Manövers. Die Teilnehmer am letzten Kongress des Seinedistrikts der sozialistischen Jugend (Paris und Umgebung) konnten diesen Typ aus der Nähe betrachten.

Vor der Arbeiterjugend heißt es das Problem der Revolution in seiner ganzen Größe stellen. Der jungen Generation zugewandt, gilt es an ihre Kühnheit und ihren Mut zu appellieren, ohne die in der Geschichte nichts Großes geschieht. Die Revolution wird der Jugend weit die Tore öffnen. Wie könnte die Jugend nicht für die Revolution sein!

 


Zuletzt aktualiziert am 15.10.2003