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1. „Die Schwäche der englischen Kommunistischen Partei gebar damals das Bedürfnis, diese möglichst schnell durch einen mehr imponierenden Faktor zu ersetzen ... Der Kampf um die in den Gewerkschaften organisierten Massen wurde durch die Hoffnung auf eine schnellstmögliche Ausnutzung der fertigen Apparats der Gewerkschaften der Trade-Unions für die Zwecke der Revolution ersetzt.“ (Trotzki, Die Internationale Revolution und die Kommunistische Internationale, S.114f.) So kam es zur Bildung des anglo-russischen Gewerkschaftskomitees unter Schirmherrschaft Stalins und Bucharins (April 1925-September 1927).als die britischen Gewerkschaftsführer den Generalstreik vom 3.-12.5.1926 brechen halfen, forderte Trotzki vergebens, die sowjetischen Gewerkschaftsführer sollten das Einheitskomitee demonstrativ verlassen. Als die britischen Gewerkschaftsführer ihre Kontrolle über die unruhige Mitgliedschaft gesichert hatten, ließen sie das Komitee fallen.
Kuomintang (KMT – Nationalistische Partei) – bürgerlich-nationalistische Parte. Gegründet August 1912 von Sun Yat-sen; aus der republikanischen Regierung in Peking 1913 gedrängt, versuchte die KMT einen militärischen Stützpunkt in Südchina aufzubauen. Kanton 1917 erobert. Anfangs hoffte Sun, das Pekinger Regime reformieren zu können, später wurde die KMT in Kämpfen gegen lokalen Kriegsherren verwickelt. Von der Komintern gedrängt, trat die neugegründete KPCh 1923 der KMT bei und löste sich effektiv in sie auf. Nach Suns Tod (März 1925) bildete die KMT eine starke Regierung in Kanton (Juli 1925) und begann eine Kampagne gegen die Kriegsherren Nordchinas. Diese Kampagne wurde von Arbeiter- und Bauernaufständen begleitet (die Chinesische Revolution). Tschiang Kai-schek, der sich inzwischen zum Führer der KMT gemacht hatte, forderte die Übergabe der Mitgliedschaftsliste der KPCh, falls sie in der KMT bleiben wollte, was auf Drängen der Komintern die KPCh unwillig tat. Nach seinem Sieg benutzte Tschiang u.a. diese Information, um die aufständische Arbeiterbewegung blutig niederzuschlagen. Ab Oktober 1928 bildete die KMT die Regierung für das gesamte Territorium Chinas. Niedergeschlagen im Bürgerkrieg mit der von Mao Zedong geführten Roten Armee (1946-1949), zog sich die KMT auf Taiwan zurück, wo sie bis vor kurzem die Staatspartei war.
2. Die Thermidor-Analogie tauchte zuerst im Zusammenhang mit der Niederwerfung des Kronstädter Aufstands und mit dem Übergang zur NEP in der weißen und menschewistischen Propaganda auf. Lenin beschäftigte sich mit der Frage nur einmal bei der Vorbereitung eines Referats. In den Fraktionskämpfen nach Lenins Tod warnte zuerst der Leningrader Parteisekretär Salutzki, ein Anhänger Sinowjews, im Sommer 1925 vor einer möglichen thermidorianischen Entartung der bolschewistischen Partei. Dann wurde die Thermidor-Frage zu einem der Hauptthemen der innerparteilichen Diskussion.
3. Wladimir Michailowitsch Smirnow (1887-1937?) studierte Ökonomie und schloß sich 1907 der bolschewistischen Partei an. 1917 war er einer der Anführer der Revolution in Moskau. Nach der Oktoberrevolution gehörte er zunächst dem Präsidium des Obersten Volkswirtschaftsrates an. 1918 war er einer der Führer der Linken Kommunisten, der Gegner des Friedensvertrags von Brest-Litowsk. Während des Bürgerkriegs Kommissar in verschiedenen Armeen, war er auf dem 10. Parteitag im Jahre 1919 Sprecher der Militäropposition; später gehörte er zu den Wortführern der „Demokratischen Zentralisten“. In den zwanziger Jahren in der Wirtschaftsverwaltung tätig, wurde er 1927 wie alle Oppositionsführer ausgeschlossen und kurz darauf verbannt. Er kam in Workuta um und wurde nicht rehabilitiert.
Timofej Wladimirowitsch Sapronow (1887-1939?) stammte aus einer armen Bauernfamilie, war Arbeiter und schloß sich 1912 den Bolschewiki an. Im Ersten Weltkrieg war er führend in der illegalen Arbeit der Partei. Wahrend der Revolution von 1917 in Moskau, war er (bis 1919) Sekretär des Exekutivkomitees des Moskauer Gebietssowjets. 1919 wurde er Vorsitzender des Revolutionskomitees in Charkow. 1918 hatte er sich den innerparteilichen Gegnern des Brest-Litowsker Friedensvertrages angeschlossen und wurde 1919/20 einer der Wortführer der „Demokratischen Zentralisten“. 1922 wurde er Sekretär des ZEK und ZK-Mitglied. Sapronow war einer der Wortführer der 1923cr Opposition. Er war bereits auf dem Parteitag von 1923 nicht mehr in das ZR gewählt worden und verlor auch seine Position im ZEK. Nach dem Parteiausschluß im Dezember 1927 wurde er verbannt. Die Informationen über sein weiteres Schicksal sind unsicher. Es scheint, daß er vor der Parteiführung kapitulierte; vielleicht wollte er sich damit nur eine Fluchtmöglichkeit schaffen. 1932 wurde er neuerlich aus der Partei ausgeschlossen. Nach der Ermordung Kirows wurde er Anfang 1935 verhaftet und verschwand ohne Prozeß. Das Todesjahr 1939 ist nur aus sowjetischen Veröffentlichungen bekannt (und deshalb möglicherweise falsch). Sapronow wurde (wie alle Linksoppositionellen) nicht rehabilitiert.
4. Offenbar hatte Trotzki die Fehlinformation erhalten, beide seien bereits umgekommen.
5. Die „Demokratischen Zentralisten“ protestierten im Februar/März 1927 in einem langen Memorandum gegen den im Winter 1926/27 unternommenen Versuch der Führung der Vereinigten Opposition (um Trotzki und Sinowjew), mit der ZK-Mehrheit zu einem Kompromiß zu kommen. Nach weiteren Stellungnahmen unterbreiteten die „Demokratischen Zentralisten“ dem 15. Parteitag im Dezember 1927 schließlich eine eigene Plattform. (Diese nie veröffentlichten Erklärungen der „Demokratischen Zentralisten“ sind im Trotzki-Archiv in Harvard zugänglich.) Der Parteitag schloß neben den 75 Anhängern der Vereinigten Opposition auch die 15 Wortführer der „Demokratischen Zentralisten“ aus.
6. Maximilen de Robespierre (1758-1794), Rechtsanwalt, wurde 1789 Mitglied des Jakobinerklubs. 1792 im Konvent, wurde er zum entscheidendsten Führer der Bergpartei (Jakobiner), seit dem Frühjahr 1794 (der Hinrichtung Héberts und Dantons) zum Diktator des revolutionären Frankreichs. Robespierre und seine Anhänger wurden am 9. Thermidor (dem 27.7.1794) gestürzt und an den folgenden Tagen hingerichtet. Danach begann eine Periode der politischen Reaktion, die freilich auf der Erhaltung der ökonomischen und sozialen Errungenschaften der „thermidorianischen“ Bourgeoisie basierte. – Nach dem thermidor im Sommer 1794 regierte die von Jakobinern gesäuberte Nationalkonvent noch ein jahr, das durch die sich vertiefende Wirtschaftskrise und die dadurch hervorgerufene Germinal- und Prairialaufstände gekennzeichnet war. Eine neue Verfassung, die zwischen Juni und August 1795 im Konvent berqaten wurde, sollte das Regime stabilisieren. Sie führte das indirekte und an Zensusbestimmungen gebundene Wahlrecht wieder ein. Das Exekutive bildete ein vom „Rat der Alten“ gewähltes fünfköpfiges Direktorium (dem unter anderem Barras, Sieyes und Carnot angehörten).
Napoleon Bonaparte (1769-1821), seit 1795 Artillerieleutnant, zeichnete sich im Herbst 1793 bei der Belagerung von Toulon, dann im Oktober 1795 bei der Niederschlagung eines royalistischen Aufstands in Paris aus. Nach dem oberitalienischen Feldzug und der „Ägyptischen Expedition“ putschte der Revolutionsgeneral am 9.11.1799 (dem 18. Brumaire) gegen das Direktorium, wurde 1. Konsul und ließ sich 1804 zum Kaiser krönen. Seine (zunächst plebiszitär verbrämte) Militärdiktatur diente der Beendigung der Revolution im Innern und die Konsolidierung der bürgerlichen Ordnung (Ausbau der zentralen Verwaltung, Code Civil), die er in einer Serie von Kriegen in ganz Europa durchzusetzen suchte.
7. Vgl. Lenin, Staat und Revolution (August/September 1917), in Lenin., Werke, Bd.25, III. Kap., S.426-445.
8. „In ihrer rationellen Gestalt ist sie [die Dia1ektik] dem Bürgertum und seinen doktrinären Wortführern ein Ärgernis und ein Greuel, weil sie in dem positiven Verständnis des Bestehenden zugleich auch das Verständnis seiner Negation, seines notwendigen Untergangs einschließt, jede gewordne Form im Flusse der Bewegung, also auch nach ihrer vergänglichen Seite auffaßt, sich durch nichts imponieren 1äßt, ihrem Wesen nach kritisch und revolutionär ist.“ (Marx, Das Kapital, 1.Bd., Marx/Engels, Werke, Bd.23, S.27f.)
9. Orden (von lat. ordo – „Ordnung, Stand“) sind Religionsgemeinschaften (Mönchsorden, Ritterorden), deren Sondermoral die privilegierte Lebensführung ihrer Mitglieder legitimieren soll. „Die Gesellschaft Jesu, der fast alle späteren Ordensgründungen nachgebildet sind, repräsentiert den modernen Typus einer rationalen, bürokratischen, auf einen äußeren Zweck ... ausgerichteten Organisation mit von einer zentralen Spitze nach unten reichenden Befehlsgewalt und straffer Arbeitsdisziplin.“ (E. Francis, in: Wörterbuch der Soziologie, hg. von Bernsdorf und Knospe, Stuttgart [Enke] 1969, S. 887.) Trotzki bezeichnet die bürokratisch-zentralistisch geleitete, stabilisierte KPdSU, die politische Agentur der sozialen Schicht der Staats- und Wirtschaftsbürokratie der UdSSR, als „Orden“ oder als „Kaste“, um die Eigenart des Regimes zu charakterisieren.
10. Vgl. die Texte Über Thermidor und Bonapartismus (November 1930), Thermidor und Bonapartismus (26.11.1930) und Probleme der Entwicklung der UdSSR (4.4.1931), in Trotzki, Sowjetgesellschaft und stalinistische Diktatur (1929-1936).
11. Als „Arbeiteraristokratie„ werden in der marxistischen Soziologie seit Engels privilegierte Gruppen der Arbeiterklasse bezeichnet, denen auf Grund ihrer Qualifikationen höhere Löhne und krisenfestere Arbeitsplätze zufallen als der Mehrheit ihrer Klassengenossen. In Phasen sozialer Stabilität stellen diese Schichten meist den aktiven Kern der Arbeiterorganisationen, doch bindet die relativ privilegierte Lag die Angehörigen der Arbeiteraristokratie an den gesellschaftlichen Status quo; sie tendieren daher zu einem national bornierten Reformismus. Aus der Arbeiteraristokratie rekrutiert sich in der Regel auch der Funktionärskörper der Arbeiterorganisationen, die „Arbeiterbürokratie“.
Engels beschrieb die „Arbeiteraristokraten“ Großbritanniens 1885 folgendermaßen: „Ihre Lage hat sich unzweifelhaft seit 1849 merkwürdig verbessert ... Sie bilden eine Aristokratie in der Arbeiterklasse; sie haben es fertiggebracht, sich eine verhältnismäßig komfortable Lage zu erzwingen und diese Lage akzeptieren sie als endgültig.“ (Engels, England 1845 und 1885 [1.7.1885], in Marx/Engels, Werke, Bd.21, S.194.)
Lenin charakterisierte dann – dreißig Jahre später – die Arbeiteraristokratie im Zeitalter imperialistischer Extraprofite: „Es ist klar, daß man aus solchem gigantischen Extraprofit (denn diesen Profit streichen die Kapitalisten über den Profit hinaus ein, den sie aus den Arbeitern ihres ‚eigenen‘ Landes herauspressen) die Arbeiterführer und die Oberschicht der Arbeiteraristokratie bestechen kann ... Diese Schicht der verbürgerten Arbeiter oder der ‚Arbeiteraristokratie‘, in ihrer Lebensweise, nach ihrem Einkommen, durch ihre ganze Weltanschauung vollkommen verspießert, ist die Hauptstütze der II. Internationale und in unseren Tagen die soziale (nicht militärische) Hauptstütze der Bourgeoisie. Denn sie sind wirkliche Agenten der Bourgeoisie innerhalb der Arbeiterbewegung, Arbeiterkommis der kapitalistischen Klasse ..., wirkliche Schrittmacher des Reformismus und Chauvinismus.“ (Lenin, Vorwort zur deutschen und französischen Ausgabe [von Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus], [6.7.1920], Lenin, Werke, Bd.22, S. 198.)
12. Iwan Michailowitsch Maiski (I.M. Ljachowetzki) (1884-1975) schloß sich als Student in St. Petersburg der revolutionären Bewegung an, wurde in der Verbannung 1902 Sozialdemokrat (nach der Parteispaltung Menschewik). Nach 1905 ging er ins Ausland und lebte u.a. in Deutschland und Großbritannien. Nach der Februarrevolution zurückgekehrt, stand er auf dem extrem rechten Flügel der Partei und wurde in das menschewistische ZR gewählt. Im Herbst 1918 schloß Maiski sich der in Samara gebildeten konterrevolutionären Regierung an, dem sogenannten „Komitee der Konstituante“, und wurde daraufhin aus der menschewistischen Partei ausgeschlossen. Später ging er auf die Seite der Sieger über: In einem Brief an die Prawda distanzierte er sich 1920 formell vom Menschewismus und wurde im Februar 1921 Mitglied der KP. (1923 veröffentlichte er eine ‚Abrechnung‘ mit dem Menschewismus unter dem Titel „Demokratische Konterrevolution“.) 1922 wurde er in Moskau Mitarbeiter des Außenkommissariats, dem er fast ohne Unterbrechung bis 1946 angehörte. Seit 1925 war er an verschiedenen Botschaften tätig, 1932 wurde er Botschafter in Großbritannien. Vom Terror verschont, wurde Maiski erst 1943 von seinem Botschafterposten abberufen und auf eine verhältnismäßig unwichtige Position in Moskau abgeschoben. 1946 wurde er aus dem Außenkommissariat entfernt und zum Mitglied der Akademie der Wissenschaften ernannt. In der Folgezeit war er als Historiker und Publizist tätig. Im Februar 1953 – zwei Wochen vor Stalins Tod – wurde er verhaftet, 1955 zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt, aber umgehend begnadigt. Auf dem Höhepunkt der Chruschtschowschen Entstalinisierung kritisierte er in Artikeln Stalins Rolle im Zweiten Weltkrieg und wurde deswegen auf dem Parteitag von 1966 gerügt. Er behielt aber seine Position und wurde durch Orden und Festschriften geehrt.
Sinowjewisten: Anhänger von Grigori Jewsejewitsch Sinowjew (Radomilski) (1883-1936), wurde 1901 Sozialdemokrat, 1903 Bolschewik, studierte bis 1905 in Bern, war 1905 in Petersburg, 1907 im Zentralkomitee, wurde 1908 verhaftet und emigrierte. Arbeitete eng mit Lenin zusammen (Zimmerwald, Kienthal). Mit Kamenjew Gegner des Oktoberaufstandes. 1917-1927 im Politbüro, 1919-1926 Vorsitzender des Exekutivkomitees der Kommunistischen Internationale. Nach der Oktoberrevolution wurde er Vorsitzender des Petrograder (später Leningrader) Sowjets. Während Lenins Krankheit und nach Lenins Tod leitete er mit Kamenjew und Stalin die Partei (Troika). 1925 ging er in Opposition zu Stalin und bildete mit Trotzki 1926 die „Vereinigte Opposition“. 1927 aus der Partei ausgeschlossen, kapitulierte er 1928, wurde 1932 und 1935 abermals ausgeschlossen, nach dem Kirow-Mord verhaftet und zu 10 Jahren Gefängnis verurteilt, 1936 im ersten Moskauer Schauprozeß angeklagt und hingerichtet.
13. Alexander Wassiljewitsch Koltschak (1874-1920), russischer Admiral, Führer der weißen Truppen in Sibirien. Entledigte sich im November 1918 seiner sozialrevolutionären Bündnispartner und ließ sich in seiner „Hauptstadt“ Omsk zum „Reichsverweser“ ausrufen. Nach seiner militärischen Niederlage gegen die Rote Armee wurde er von nichtbolschewistischen Gegnern seiner Diktatur erschossen.
14. Alexander Alexandrowitsch Trojanowski (1882-1955) diente bis 1906 als Offizier in der zaristischen Armee, wurde 1904 Sozialdemokrat und schloß sich den Bolschewiki an. 1908 verhaftet und verbannt, floh er 1910 ins Ausland und spielte eine wichtige Rolle im bolschewistischen Exil (Delegierter auf dem Stuttgarter Kongreß der Zweiten Internationale 1912, Teilnehmer an bolschewistischen Konferenzen, Redaktionsmitglied der theoretischen Zeitschrift der Partei). Bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs wurde er Vaterlandsverteidiger und schloß sich den Menschewiki an; im Frühjahr 1917 kehrte er nach Rußland zurück, stand auf dem rechten Flügel der menschewistischen Partei und gehörte ihrem Zentralkomitee an. Im Februar 1921 trat er überraschend aus der Partei aus und erklärte seine Sympathie für die Bolschewiki, denen er 1923 beitrat. Er arbeitete dann in verschiedenen Volkskommissariaten, ging 1927 als sowjetischer Botschafter nach Japan, 1933 in die USA. Seit 1939, als der diplomatische Apparat der SU infolge der deutsch-sowjetischen Annäherung ‚gesäubert‘ wurde, war er nur noch als Publizist und Pädagoge tätig.
„Sozialpatrioten„ wurden die rechten Sozialdemokraten, die im Ersten Weltkrieg für Burgfrieden und Vaterlandsverteidigung eintraten, von ihren internationalistischen Kritikern genannt. Die internationalistische Position wurde am klarsten von den Bolschewiki mit ihrem Programm des ‚revolutionären Defätismus‘ und von der deutschen Spartakus-Gruppe (Karl Liebknecht: Der Hauptfeind steht im eigenen Land) formuliert. Trotzkis Position unterschied sich nur in Nuancen von der der Bolschewiki.
15. Wladimir Petrowitsch Potemkin (Potjomkin) (1874-1946) arbeitete nach einem Geschichtsstudium als Gymnasiallehrer (1900-1917). 1917-1919 im Volkskommissariat für Volksbildung, war er während des Bürgerkriegs Mitglied des revolutionären Kriegsrats der sechsten Armee und Leiter der politischen Abteilungen an der West- und Südfront (vgl. dazu Trotzki, Tagebuch S.93f.). Seit 1919 gehörte er der bolschewistischen Partei an und stand seit 1922 um diplomatischen Dienst: Er war Botschafter in Griechenland 1929-32, in Italien 1932-34, in Frankreich 1934-37, 1937-40 dann Erster Stellvertretender Außenkommissar. 1939 wurde er Mitglied des Zentralkomitees. 1940 bis 1943 war er Volkskommissar für Erziehung der RSFSR. Potemkin veröffentlichte eine Reihe von historischen Studien (über Frankreich, die englisch Arbeiterbewegung und die internationalen Beziehungen) und gab eine dreibändige Geschichte der Diplomatie heraus.
16. Lew Michailowitsch Chintschuk (1868-1944) studierte in Bern und schloß sich der russischen Exil-Sozialdemokratie an. 1890 nach Rußland zurückgekehrt, organisierte er sozialdemokratische Zirkel, wurde mehrfach verhaftet und verbannt und floh 1903 wieder ins Ausland. Dort schloß er sich den Menschewiki an. Während der Revolution von 1905 kehrte er nach Rußland zurück und spielte eine führende Rolle in der menschewistischen Organisation. Er gehörte u.a. dem Petrograder Sowjet an. Nach der Niederschlagung der Revolution ging er in den Untergrund und war in der Folgezeit vor allem in Moskau aktiv, wo er u.a. die Genossenschaften aufbaute. Nach Kriegsausbruch wurde er verhaftet und kam erst in der Februarrevolution wieder frei. Vom März bis September 1917 war er Vorsitzender des Moskauer Sowjets; er stand auf dem rechten Flügel der menschewistischen Partei, deren ZR er angehörte. Auf dem 2. Sowjetkongreß gab er am Tag nach dem Oktoberumsturz die offizielle Erklärung der menschewistischen Delegierten ab, mit der sie ihren Austritt aus dem Kongreß begründeten. Ende 1919 trat er dann aus der menschewistischen Partei aus und wurde 1920 Mitglied der KP. Von 1919 bis 1921 arbeitete er im Ernährungskommissariat, dann im Genossenschaftswesen. 1926/27 leitete er die sowjetische Handelsvertretung in Großbritannien; zurückgekehrt, wurde er stellvertretender Handelskommissar. 1930 bis 1934 war er Botschafter in Deutschland, seit 1934 Volkskommissar für Binnenhandel der RSFSR. 1937 wurde er im Zuge der Säuberungen verhaftet. Nach offiziellen Angaben starb er am 14.3.1944 im Lager. In der Chruschtschow-Ära wurde er rehabilitiert.
Das „Komitee zur Rettung des Vaterlandes„ (auch „Komitee für öffentliche Sicherheit“) wurde am 25.10. (7.11.) 1917 von der Moskauer Stadtduma gegründet. Es stützte sich auf die Offiziersschüler und begann am 23.10. einen erbitterten, von mehreren Waffenstillständen unterbrochenen Kampf gegen den bolschewistisch dominierten Sowjet, der mehr als tausend Tote kostete. Am 2. (15.) 11.1917 kapitulierte das Komitee dann vor dein Moskauer Revolutionären Militärkomitee (des Sowjets), das – wie in Petrograd – den Aufstand organisierte.
Grigori Fjodorowitsch Grinko (ukr. Hrynko) (1890-1938) schloß sich als Student der revolutionären Bewegung in der Ukraine an. Seit Ende 1917 Gymnasiallehrer in Charkow, gehörte er zu den „Borotbisten“, die 1920 der KP der Ukraine beitraten. Grinko war 1919/20 Mitglied des ukrainischen Revolutionären Miiltärkomitees. Seit 1919 arbeitete er auch im ukrainischen Volkskommissariat für Erziehung, dessen Leitung er 1920 übernahm. Seine Politik der Förderung der ukrainischen Kultur stieß auf Widerstand von seiten großrussisch-zentralistisch eingestellter Parteiführer und bewirkte 1922 seine Ablosung. Grinko wechselte dann in die Wirtschaftsverwaltung über, wurde 1926 stellvertretender Leiter des Unions-Gosplans und seit Oktober 1930 Finanzkommissar der UdSSR – eine Schlüsselposition während des ersten Fünfjahresplans. 1937 wurde er verhaftet und der Zugehörigkeit zu einer ukrainischen „nationalfaschistischen“ Organisation beschuldigt. Im dritten Moskauer Schauprozeß vom März 1938 gegen Bucharin, Rakowski u.a. war er einer der Angeklagten und machte besonders umfangreiche „Geständnisse“. Zum Tode verurteilt, wurde er nach offiziellen Angaben am 15. März 1938 erschossen. Während der „Entstalinisierung“ wurde Grinko rehabilitiert.
17. Jakow Sacharowitsch Suritz (1882-1952) schloß sich 1902 dem „Bund“ an; während seines Studiums in Berlin war er Mitglied der menschewistischen Organisation. In Ersten Weltkriegs vertrat er internationalistische Positionen. Seit 1918 arbeitete er für die Sowjetdiplomatie und wurde Ende 1919 Botschafter in Afghanistan. 1922-23 war er dann Botschafter in Norwegen, 1923-34 in der Türkei, 1934-37 in Deutschland; in den folgenden Jahren war er Botschafter in Frankreich und wurde dort 1940, kurz vor der französischen Niederlage, zur „Persona non grata“ erklärt. Wahrend des Zweiten Weltkriegs war er Berater des sowjetischen Außenministeriums; 1946 wurde er nach Brasilien geschickt, bis dieses Land 1949 auf Druck der USA die diplomatischen Beziehungen zur Sowjetunion abbrach. In den folgenden Jahren spielte er politisch keine Rolle mehr, wurde aber auch vom Terror der späten Stalin-Jahre verschont. Die Große Sowjetenzyklopädie (dritte Ausgabe aus den siebziger Jahren) erwähnt Suritz mit keinem Wort.
Nikolai Semjonowitsch Tschcheidse (1864-1926) schloß sich als Student der revolutionären Bewegung an und gehörte Ende der neunziger Jahre zu den Mitbegründern der ersten marxistischen Gruppe in Georgien. Nach der Parteispaltung von 1903 gehörte er zu den Führern der georgischen Menschewiki, unter denen er einer der am meisten intellektuell und politisch auf Rußland Ausgerichteten war. Seit 1907 war er Dumaabgeordneter. Nach der Februarrevolution wurde er Vorsitzender des Petrograder Sowjets, trat für die Unterstützung der Provisorischen Regierung und später für die Regierungsbeteiligung der Menschewiki ein. Trotzki charakterisierte ihn in seiner Geschichte der russischen Revolution als einen „ehrlichen und beschränkten Provinzler“ (Bd.1, Februarrevolution, S.168, vgl. auch S.224f.). Nach der Oktoberrevolution kehrte er nach Georgien zurück und wurde 1919 Vorsitzender der Nationalversammlung des unabhängigen, von den Menschewiki regierten Landes. 1920 wurde er nach Frankreich geschickt, um alliierte Hilfe gegen die Rote Armee zu erlangen, die in März 1921 in Georgien einmarschierte. Tschcheidse blieb im französischen Exil und nahm sich 1926 das Leben.
18. Grigori Bessedowski war Diplomat in der Pariser Sowjetbotschaft, half bei der „Säuberung“ von Linksoppositionellen, z.B. Rakowskis; floh am 3.10.1929 aus der Botschaft, bat um Asyl, schrieb „Enthüllungen“. Überläufer wie er oder Agabekow erregten damals beträchtliches Aufsehen.
S. Dimitrejewski war ein sowjetischer Diplomat in Schweden, der sich 1930 weigerte, nach Moskau zurückzukehren, und im Westen blieb. Er veröffentlichte 1931 eine Stalin-Biographie, 1932 Sowjetische Porträts und begrüßte Stalins Wandlung zu einem national-russischen Diktator.
G.S. Agabekow (1895-1938), GPU-Agent in der Türkei. Setzte sich 1929 nach Frankreich ab und enttarnte eine Reihe von sowjetischen Agenten. Agabekow schrieb eine Reihe von „Enthüllungsbücher.“ Er wurde Anfang 1938 vom sowjetischen Geheimdienst in Belgien ermordet. Für Trotzki war Agabekow ein typisches Produkt des Stalinismus: Zuerst verteidigte er innerhalb der GPU die stalinistische Generallinie gegen die Linke Opposition, dann lief er zum Imperialismus über. Es gab damals mehrere solche Fälle (Bessedowski, Dimitrejewski).
19. Alexander Pawlowitsch Serebrowski (1884-1938?), Sohn eines in den Ural verbannten Revolutionärs, Schlosser. 1902 verhaftet, schloß er sich 1903 den Bolschewiki an, arbeitete während der Revolution in den Petersburger Putilow-Werken und gehörte dem Sowjet an. 1908 emigrierte er nach Belgien, wo er ein Ingenieurstudium abschloß. 1911 kehrte er nach Rußland zurück und wurde im Krieg nach einer Verwunderung als technischer Leiter in die Rüstungsindustrie beordert. Er beherbergte Anfang Mai 1917 für ein paar Tage die Trotzki-Familie nach ihrer Rückkehr nach Rußland, bis politische Differenzen ein weiteres Zusammenwohnen unmöglich machten (vgl. Mein Leben, S.279f.). Anscheinend änderte Serebrowski dann sehr schnell seine Einstellung. Nach der Oktoberrevolution arbeitete er in Volkskommissariat für Handel und Industrie. (Trotzki hielt ihn sogar Anfang November 1917 für einen möglichen Leiter dieses Volkskommissariats; vgl. Trotsky Papers, Bd.1, S.3.) In den zwanziger Jahren leitete Serebrowski zunächst die sowjetische Ölförderung in Baku und gehörte seit 1926 zum Obersten Volkswirtschaftsrat. Nach dessen Auflösung wurde er 1932 Stellvertreter des Volkskommissars für Schwerindustrie, Ordschonikidse. Zugleich war er 1928-35 verantwortlich für die sowjetische Goldgewinnung. Seit 1925 gehörte er dem ZR als Kandidat an. 1937 wurde er verhaftet und kam in Gefängnis um.
20. Walter Duranty (1884-1957) reiste nach einem Studium in Cambridge durch die Welt und lebte von Gelegenheitsarbeiten, fand dann 1913 eine Stelle in Pariser Büro der New York Times. Nach Kriegsreportagen berichtete er 1919/20 aus den Baltikum und nahm eine scharf antikommunistische Position ein. Der bolschewistische Sieg in Bürgerkrieg und die Einführung der NEP machten ihm das kommunistische Regime offenbar sympathischer. In Herbst 1921 ging er als Korrespondent der New York Times nach Moskau und stieg zum ‚Doyen‘ der ausländischen Korrespondenten auf, dessen Berichte das Rußland-Bild des liberalen Bürgertums in den USA prägten. Durantys Berichte waren ausgesprochen prostalinistisch. Für seine (glorifizierenden) Artikel über den ersten Fünfjahresplan erhielt er 1932 den Pulitzer-Preis. 1932/33 beteiligte er sich an der Verleugnung der großen Hungersnot in der Ukraine. Ende 1933 verließ er Moskau, gab seine Stelle bei der New York Times auf und schrieb eine Reihe von unkritischen Büchern über die stalinistische Sowjetunion. Trotzki galt er neben Louis Fischer als einer der typischen Apologeten des Stalinismus.
Louis Fischer (1896-1970), aus einer armen, aus der Ukraine in die USA eingewanderten jüdischen Familie stammend, ging nach dem Ersten Weltkrieg als Journalist nach Europa und berichtete in erster Linie für das linksliberale Wochenblatt The Nation, vor allem aus der Sowjetunion. Er wurde nach 1923 schnell zu einem Apologeten des Stalinismus. Auch als Korrespondent im spanischen Bürgerkrieg unterstützte er die stalinistische Politik. Am Vorabend des Zweiten Weltkrieges kehrte er in die USA zurück, brach beim Abschluß des Hitler-Stalin-Paktes 1939 mit dem Stalinismus und wurde Antikommunist.
21. David Jossifowitsch Saslawski (1880-1965), Journalist, trat 1903 dem eng mit den Menschewiki zusammenarbeitenden „Bund“ bei. Er war Delegierter auf den 5. Parteitag der russischen Sozialdemokratie. Während des Ersten Weltkriegs gehörte er zu den Vaterlandsverteidigern. 1919 erklärte er überraschend sein Einverständnis mit den Bolschewiki. Mitte der zwanziger Jahre begann er, an verschiedenen sowjetischen Zeitungen mitzuarbeiten. Seit 1928 schrieb er auch für die Prawda, vor allen Feuilletonbeiträge und Artikel zu internationalen Fragen. Seit Anfang der dreißiger Jahre war er – obwohl er erst 1934 Parteimitglied wurde – verantwortlicher Redakteur der internationalen Berichterstattung der Prawda. Er wurde zu einem prominenten und hochdekorierten Journalisten des Stalin-Regimes. 1956 leitete er in Zusammenhang mit der „Entstalinisierung“ die „Rehabilitierung“ Dostojewskis durch Veröffentlichung einer Biographie des Dichters ein.
22. Fjodor Michailowitsch Dostojewski (1821-1881), einer der bedeutendsten russischen Prosa-Schriftsteller. Der Sohn eines Arztes aus einer verarmten Adelsfamilie studierte an der Militäringenieursschule in St. Petersburg und lebte seit 1844 als freier Schriftsteller. Die Mitleidsethik, die der junge Dostojewski in seinen von Gogol beeinflußten sozialkritischen Briefroman Arme Leute (1846 dt. 1887) vertrat, machte ihn für die Lehren des französischen Frühsozialismus (mit denen ihn der Kritiker Bjelinski bekanntmachte) empfänglich. Für die Teilnahme an einem geheimen Diskussionszirkel, den der revolutionäre Publizist Petraschewski organisiert hatte, wurde Dostojewski zum Tode verurteilt und erst auf den Exekutionsplatz zu Zwangsarbeit mit anschließendem Strafdienst in der Armee und Verbannung begnadigt (Aufzeichnungen aus einem Totenhaus, 1861; dt. 1863/64). Diese Erfahrungen machten aus Dostojewski einen Gegner des Liberalismus und Sozialismus (Die Dämonen 1871/72), einen Vertreter des antiwestlichen Panslawismus und des religiösen Mystizismus. Nach längeren Auslandsreisen erschienen dann zwischen 1866 und 1880 die großen psychologischen Roman-Tragödien und Erzählungen, die Dostojewskis Ruhm begründet haben: Schuld und Sühne (Raskolnikow) 1866, Der Idiot (1868), Der Jüngling (1875), Die Brüder Karamasow (1879/80). Seine politische Ideologie artikulierte er am deutlichsten in seinen 1876/77 erschienenen Tagebuch eines Schriftstellers.
Marxistische Autoren haben sich nur selten mit Dostojewski auseinandergesetzt; größer war seine Faszination für die politisch-literarische Rechte. In Deutschland wurde die erste große Dostojewski-Ausgabe (20 Bde., 1904ff.) von den „Nationalrevolutionär“ Arthur Moeller van den Bruck (Das Dritte Reich, 1923) besorgt; das Bildungsbürgertum der „verspäteten Nation“ erkannte in dem der westlichen Aufklärung abholden, politisch reaktionären Russen, der aus der Not der Rückständigkeit antimodernistische Tugenden machte, den Dichter seiner Seele. In der Sowjetunion wurde Dostojewski nach Veröffentlichung einer ersten Werkausgabe (1926-30) in der Stalin-Zeit als „reaktionärer Schriftsteller“ verurteilt. Erst 1956 erfolgte anläßlich seines fünfundsiebzigsten Todestages eine Art „Rehabilitierung“. 1972 erschien in Leningrad eine kritische Ausgabe.
23. Leo Borissowitsch Kamenjew (Rosenfeld) (1883-1936), prominenter alter Bolschewik, seit 1901 Sozialdemokrat, vertrauter Mitarbeiter Lenins, Schwager Trotzkis. 1913/14 Prawda-Redakteur, 1917-1927 Mitglied des Zentralkomitees, 1918-1926 Vorsitzender des Moskauer Sowjets. 1917 stand er in Opposition zu Lenins Kurs auf die Oktoberrevolution; 1923 bildete er mit Sinowjew und Stalin die (gegen Trotzki und die Perspektive der permanenten Revolution gerichtete) Troika, brach 1925 mit Stalin und schloß sich der Vereinigten Opposition an; 1927 aus der Partei ausgeschlossen, widerrief er seine oppositionellen Ansichten, wurde 1928 wieder in die Partei aufgenommen, in den folgenden Jahren aber zu immer neuen Selbstbeschuldigungen genötigt, nach dem Kirow-Mord verhaftet und zu Gefängnis verurteilt, schließlich 1936 im ersten Moskauer Schauprozeß zum Tode verurteilt und hingerichtet.
Der „Bund„ (jiddisch „Algemeyner Yidisher Arbeter Bund in Lite, Poyln un Rusland“) war eine 1897 gegründete jüdische sozialistische Partei in Russischen Reich. Obwohl der Bund die Gründungskonferenz der russischen Sozialdemokratie organisiert hatte, trennten sich die beiden Organisationen, da der „Bund“ für Bildung und Anerkennung einer selbständigen jüdischen Nation und für deren national-kulturelle Autonomie eintrat. Nach der Revolution von 1905 schloß sich der Bund wieder der gesamtrussischen Partei an und verbündete sich in der Folgezeit mit den Menschewiki, die seiner Forderung nach einer föderalistischen Parteistruktur entgegenkamen. Innerhalb der jüdischen Bevölkerung bekämpfte der Bund den aufkommenden Zionismus und trat für die Schaffung einer säkularisierten jüdischen Kultur und Erziehung und für das Weiterbestehen der jiddischen Sprache ein. Der Bund beeinflußte auch die jüdische Arbeiterbewegung außerhalb des Russischen Reiches. In der Revolution von 1917 waren seine Mitglieder und Führer eng mit den Menschewiki liiert. In ukrainischen Bund bildet sich 1918/19 eine kommunistische Strömung („Kombund“) heraus, die der bolschewistischen Partei beitrat (und mit anderen Gruppen in ihr eine „jüdische Sektion“ bildete).
Nach 1918 existierte der Bund als Massenpartei – neben Gruppen in der jüdischen Emigration in Westeuropa und Amerika – nur noch in den wieder selbständig gewordenen Polen, schloß sich nicht der Polnischen Sozialistischen Partei an, sondern blieb unabhängig. 1930 trat der Bund wieder der sozialdemokratischen Internationale bei und stand dort auf den linken Flügel. (Die Mehrheit der SAI protegierte allerdings den ‚sozialistischen Zionismus‘.) Der Aufstand in Warschauer Ghetto gegen die deutsche Besatzungsmacht in April/Mai 1943 wurde wesentlich von der Kampforganisation des Bundes getragen. 1948 wurde der nach den ‚Holocaust‘ und der Emigration übriggebliebene Rest des Bundes der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei (der KP) angeschlossen. (Kurz vor Ausbruch des Weltkriegs hatte sich auch eine internationale Organisation des Bundes – u.a. in den USA, aber auch Frankreich – gebildet, die bedeutungslos blieb, aber noch heute – der Sozialistischen Internationale angeschlossen – existiert.) Der Vernichtungsfeldzug der Nazis gegen das europäische Judenturn hat vor allem das jüdische Proletariat ausgelöscht; bei den Überlebenden hat sich (wie im Staat Israel) eine bürgerlich-nationalistische anstelle der internationalistisch-sozialistischen Orientierung durchgesetzt.
24. Vgl. z.B. in: Eine verworrene Revolution (25.6.1917), Lenin, Werke, Bd.25, S.120-123, und Politische Erpressung (24.8.1917), Lenin, Werke, Bd.25, S.263-266.
25. Alexei Iwanowitsch Rykow (1881-1938), seit 1904 in der bolschewistischen Führung, 1917 Volkskommissar des Innern, 1924 Vorsitzender des Rats der Volkskommissare, führend in der antitrotzkistischen Kampagne 1924/25. Mit Bucharin und Tomski Führer der Rechten Opposition; nach „Widerruf“ (1929) 1930 von Molotow als Vorsitzender des Rats der Volkskommissare abgelöst. 1938 im dritten Moskauer Schauprozeß verurteilt und hingerichtet.
Michail Pawlowitsch Tomski (1880-1936), Lithograph, Parteimitglied seit 1905; stand auf dem rechten Flügel der bolschewistischen Partei und war gegen den Oktoberaufstand. Vorsitzender der sowjetischen Gewerkschaften, Mitglied des Politbüros. Mit Bucharin in der Rechten Opposition. Beging während des ersten der Moskauer Schauprozesse Selbstmord, als er von einem der Angeklagten beschuldigt und daraufhin verhaftet wurde.
26. „Das Verhältnis zu Lenin als zu einem Revolutionsführer wurde [seitens der Parteiführung] ersetzt durch das Verhältnis zu ihm als zu einem Oberhaupt einer Priesterhierarchie. Auf dem Roten Platz stellte man trotz meinem Protest das für einen Revolutionär unwürdige und beleidigende Mausoleum auf. In ähnliche Mausoleen verwandelten sich die offiziellen Bücher über Lenin. Seine Gedanken zerschnitt man in Zitat für falsche Predigten. Mit der einbalsamierten Leiche kämpfte man Gagen den lebendigen Lenin – und gegen Trotzki.“ (Trotzki, Mein Leben, S.498.)
27. „Der Fortschritt der Industrie, dessen willenloser und widerstandsloser Träger die Bourgeoisie ist, setzt an die Stelle der Isolierung der Arbeiter durch die Konkurrenz ihre revolutionäre Vereinigung durch die Assoziation. Mit der Entwicklung der großen Industrie wird also unter den Füßen der Bourgeoisie die Grundlage selbst weggezogen, worauf sie produziert und die Produkt sich aneignet. Sie produziert also vor allen ihre eigenen Totengräber. Ihr Untergang und der Sieg des Proletariats sind gleich unvermeidlich.“ (Marx und Engels, Manifest der Kommunistischen Partei, in: Marx/Engels, Werke, Bd.4, S.474. Vgl. auch Marx, Das Kapital, 1.Bd., in: Marx/Engels, Werke, Bd.23, S.790.)
28. Die Herrscherdynastie Romanow regierte Rußland seit 1613. Ihr Ahnherr war der Moskauer Bojar A.I. Kobila, der im 14. Jahrhundert lebte. (Die Bojaren bildeten die oberste Schicht des altrussischen Adels.) Nach den Tod des Enkels und der Tochter Peters I. ging die Thronfolge 1762 auf die Seitenlinie Holstein-Gottorf über, die den Namen Romanow weiterführte. Der letzte Zar, Nikolai II. (1868-1918), der seit 1894 regierte, wurde durch die Revolution von 1917 gestürzt und im Juli 1918 mit seiner Familie auf Anweisung des Politbüros hingerichtet, als weiße Truppen sich Jekaterinburg (ihrem Gefängnisort) näherten.
29. Mit Ludwig XVIII. (1755-1824) kehrten die Bourbonen 1814/15 nach der Niederlage Napoleons I. auf den Thron zurück. Die von ihm verfolgte Restaurationspolitik basierte auf einem Interessenausgleich zwischen dem zurückkehrenden Adel und der neuen Bourgeoisie. Unter seiner Herrschaft wurde die vorrevolutionäre Zeit beschworen und die bürgerlich-liberale Opposition unterdrückt. Die von den extremen Flügel des Adels geforderte Entschädigung für den während der Revolution enteigneten Grundbesitz lehnte Ludwig XVIII. aber ab. Als sein Nachfolger Karl X. dann die soziale Vorrangstellung des Adels wiederherstellen wollte, wurde er 1830 gestürzt und durch den „Bürgerkönig“ Louis Philippe ersetzt.
30. Brandlerianer: Anhänger von Heinrich Brandler (1881-1967), Mauerer und Fliesenleger, seit 1901 SPD-Mitglied, 1915 als Liebknecht-Anhänger ausgeschlossen. Arbeit im Spartakusbund (Chemnitz); nach dem Rücktritt Paul Levis 1921 Mitvorsitzender der KPD, maßgeblicher Anteil an der „Märzaktion“, Flucht in die SU, führte dann die KPD (als Sekretär des Politbüros) im Jahre 1923 und orientierte sich auf eine lediglich defensive Einheitsfrontpolitik mit der SPD. Brandler zögerte 1923, die Partei für eine Machteroberung im Oktober zu mobilisieren. 1924 wurde er wegen „Rechts-Abweichung“ aus der Führung der KPD entfernt. 1924-1928 in der SU, im Januar 1929 aus der KPdSU und der Kommunistischen Internationale ausgeschlossen. Versuchte, die Rechte Opposition international zu organisieren. Seit Dezember 1929 Führer der KPO, 1931 mit Thalheimer Repräsentant der Mehrheitsgruppe, die 1932 einen Zusammenschluß mit der SAP ablehnte. 1933 Emigration nach Frankreich, 1941 nach Kuba. 1949 ging Brandler zurück nach Westdeutschland, war zunächst noch in der Gruppe Arbeiterpolitik tätig und zog sich dann von der aktiven Politik zurück.
Die „Sozialistische Arbeiterpartei Deutschlands„ (SAPD, SAP) wurde in Oktober 1931 aus von Parteivorstand der SPD ausgeschlossenen Teilen des linken Flügels der Partei (vor allem der Parteijugend) gebildet. In Frühjahr 1932 schloß sich eine aus der KPO stammende Gruppe um Jakob Walcher und Paul Frölich der neuen SAP an und übernahm im Februar 1933 deren Führung. In der zweiten Hälfte des Jahres 1933 plante die SAP eine Fusion mit den deutschen Trotzkisten, gehörte zum „Viererblock“ und unterstützte die Bildung einer neuen Internationale. Seit 1934 bekämpfte die SAP dann aber die Gründung einer neuen (IV.) Internationale und unterstützte seit 1936/37 die Volksfrontpolitik des deutschen Exils (was zu einer innerparteilichen Opposition führte, die sich Anfang 1937 abspaltete [Gruppe „Neuer Weg“ um Walter Fabian und Erwin Ackerknecht].) Seit den Scheitern der Exilvolksfront näherte sich die SAP 1937/38 wieder der SPD an. Nach den Kriegsausbruch zerfiel die Partei, deren große Mehrheit sich für eine politische Unterstützung des Lagers des „demokratischen Imperialismus“ im „antifaschistischen Krieg“ aussprach. Der innerdeutsche Widerstand der SAP war Mitte der dreißiger Jahre zerschlagen worden; kleine Gruppen konnten sich noch bis Kriegsende halten und spielten dann 1945 eine wichtige Rolle bei der Bildung lokaler „antifaschistischer Komitees“, die freilich von den Besatzungsmächten rasch wieder aufgelöst wurden. Viele vormalige SAP-Mitglieder kehrten in den Westzonen in die Sozialdemokratie bzw. in die Gewerkschaftsbewegung zurück und bekleideten dort wichtige Positionen (z. B. Willy Brandt, Otto Brenner, Peter Blachstein). Auch in der SED spielten ehemalige SAP-Mitglieder wie Jakob Walcher, Max Seydewitz und Klaus Zweiling in der Nachkriegszeit eine gewisse Rolle; in der antititoistischen Kampagne ab 1948 wurden die ehemaligen SAP-Mitglieder zur „Selbstkritik“ gezwungen und ihrer Positionen enthoben; die SAP galt nun für die SED-Führung als eine „parteifeindliche Gruppierung“. Erst nach 1956 wurde der Tenor der Angriffe milder und die SAP-Mitglieder wurden persönlich (aber nicht politisch) rehabilitiert.
August Thalheimer (1884-1948) studierte Völkerkunde und Philologie und wurde 1904 SPD-Mitglied. Er gehörte zu den Linksradikalen in der SPD, redigierte von 1909 bis 1912 die Göppinger Freie Volkszeitung und war dann nach 1914 Mitglied der „Gruppe Internationale“, aus der die KPD hervorging. Auf deren Gründungsparteitag wurde er in die Zentrale gewählt und galt nach der Ermordung Rosa Luxemburgs als führender theoretischer Kopf der Partei. Seit 1921/22 war er zusammen mit Heinrich Brandler einer der Führer der Rechten, die bis zur Oktoberniederlage 1923 die Leitung der Partei stellten. 1924-27 war er in Moskau, wo er an wissenschaftlichen Instituten arbeitete, aber ohne politischen Einfluß blieb. Im Mai 1928 kehrte er nach Berlin zurück, wurde Mitbegründer der KPO und deshalb aus der KI ausgeschlossen. Nach 1933 leitete er zusammen mit Brandler die KPO in der französischen Emigration. Er floh 1941 nach Kuba; die Alliierten verweigerten ihm 1945 die Rückkehr nach Deutschland. So konnte er nur in Briefen und Broschüren, die von den überlebenden Kadern der KPO verbreitet wurden, zur Nachkriegssituation Stellung nehmen. (Zahlreiche Aufsätze in den Zeitschriften Die Internationale, Die Kommunistische Internationale, Gegen den Strom. Einführung in den dialektischen Materialismus, 1928; mit A. Deborin: Spinozas Stellung in der Vorgeschichte des dialektischen Materialismus, 1928; 1923: Eine verpaßte Revolution?, 1931; Die Potsdamer Beschlüsse. Eine marxistische Untersuchung der Deutschlandpolitik der Großmächte nach den Zweiten Weltkrieg, 1945; Grundlinien und Grundbegriffe der Weltpolitik nach dem Zweiten Weltkrieg, 1946; Zurück in die Eierschalen des Marxismus? Zum Existentialismus als bürgerliche Philosophie, 1946-48; Die Grundlagen der Einschätzung der Sowjetunion, Die Sowjetunion von heute und die sozialistische Revolution in fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern, 1946-48.
31. Ironische Bezeichnung Trotzkis für die Wendung der KI zur Volksfrontpolitik 1934/35, die der Politik der sogenannten „dritten Periode“ folgte.
32. Jakob Walcher (1887-1970), Metallarbeiter, seit seiner Jugend in den Gewerkschaften und in der SPD aktiv, 1911-14 Redakteur des Stuttgarter Parteiorgans Schwäbische Tagwacht. Er gehörte zum linken Flügel der Partei und wurde nach 1914 führendes Mitglied der „Gruppe Internationale“, dann der KPD. 1920-24 gehörte er zu deren Zentrale und schloß sich den Rechten an, die 1928 die KPO bildeten. Innerhalb der KPO war er Führer der Minderheit, die 1932 zur SAP stieß. In der Emigration war er Sekretär von deren Auslandsleitung in Paris. Im Herbst 1933 hatte er in Rahmen des „Viererblocks“ zunächst engen Kontakt zu Trotzki, wurde aber dann Wortführer des antitrotzkistischen Kurses der SAP, der zur Unterstützung der Volksfront und zur Wiederannäherung an die Exil-Sozialdemokratie führte. Walcher weigerte sich 1937, beim Gegenprozeß der „Dewey-Kommission“ über seine Kontakte zu Trotzki auszusagen. Nach seiner Flucht in die USA (1941) näherte er sich politisch dem Stalinismus. 1947 kehrte er in die SBZ zurück und trat der SED bei, wurde aber Anfang der fünfziger Jahre als ehemaliger „Parteifeind“ aller politischen Funktionen enthoben.
33. Vgl. dazu Trotzki, Bonapartismus und Faschismus (15.7.1934), in Trotzki, Schriften über Deutschland, S.677-685.
34. Napoleon III. (Charles Louis Napoleon Bonaparte) (1808-1873), Neffe Napoleons I., seit 1832 Thronprätendant, unternahm mehrere Putschversuche, wurde 1840 zu lebenslanger Festungshaft verurteilt und floh 1846 nach England. In der Februarrevolution von 1848 sah er seine Stunde gekommen. Er kehrte nach Frankreich zurück und versprach eine nationale Prestigepolitik, „Abbau der sozialen Gegensätze“ und eine „Politik der festen Hand“. Damit errang er im Dezember 1848 bei den Präsidentschaftswahlen einen überwältigenden Sieg. Nachdem seine Versuche, die Amtszeit des Präsidenten durch Verfassungsänderung zu verlängern, gescheitert waren, löste er im Dezember 1851 das Parlament auf und ließ sich durch ein Plebiszit für zehn Jahre diktatorische Vollmachten übertragen. Für diesen Staatsstreich hatte er Armee und Polizei gewonnen; seine Anhänger waren in der „Gesellschaft 10. Dezember“ organisiert. Ein erneutes Plebiszit bestätigte ihn dann im November 1852 als erblichen Kaiser. Unter dem „Zweiten Kaiserreich“ waren Streiks und Gewerkschaften verboten. Zugleich erlebte Frankreich einen industriellen Aufschwung. Um seine plebiszitäre Legitimation zu stabilisieren, suchte Napoleon III. vor allem außenpolitische Erfolge (u.a. im Krimkrieg 1853-56 und durch die Unterstützung der italienischen Nationalbewegung), scheiterte aber mit dem Versuch, einen ihm genehmen Kaiser in Mexiko einzusetzen. Um Frankreich die beherrschende Stellung auf dem europäischen Kontinent zu sichern, bekämpfte er Bismarcks Politik der Einigung Deutschlands unter preußischer Hegemonie. Im Sommer 1870 kam es zum Krieg, der mit einer katastrophalen Niederlage endete; der Kaiser selbst geriet am 2.9.1870 in Kriegsgefangenschaft, in Paris wurde daraufhin die Republik ausgerufen. Seit 1871 lebte Napoleon im britischen Exil.
Kurt von Schleicher (1882-1934), während des Ersten Weltkriegs als General in der Obersten Heeresleitung und dann in der Weimarer Republik hoher beamter im reichswehrministerium. Als Chef des Ministeramts förderte er 1930 den Sturz des Reichskanzlers Hermann Müller (SPD) und die Kanzlerschaft Brünings (Zentrum). Im Mai 1932 wirkte er dann an Brünings Sturz mit. Als Reichswehrminister galt er als stärkste Figur im Kabinett von papen. Am 3.12.1932 wurde er selber Kanzler. Er scheiterte beim Versuch, eine Regierungsmehrheit – die sogenannte „Querfront“ – zu bilden, die sich auf die Gewerkscahften (und damit die SPD), das zentrum und einen Teil der NSDAP (um Gregor Strasser) stützen sollte, und trat am 28.1.1933 zurück. Bei der Mordaktion gegen die SA-Führung und andere Hitler mißliebige Politiker (dem sog. „Röhmputsch“ am 30.6.1934) wurde Schleicher von der SS ermordet.
Gaston Doumergue (1863-1937), Rechtsanwalt, 1893 Abgeordneter der Radikalen. 1902 Minister, 1913/14 Ministerpräsident, 1924-31 Präsident der Republik. Nach den Versuch französischer Rechtsradikaler, am 6.2.1934 die Nationalversammlung zu stürmen, wurde er mit der Bildung einer Regierung der „nationalen Einheit“ beauftragt und leitete eine autoritäre Staatsreform ein, die an Widerstand der Radikalen, die einen Block mit den Arbeiterparteien zu bilden suchten (die spätere Volksfront), scheiterte. Am 8. November 1934 legte er sein Amt nieder und zog sich aus der Politik zurück.
35. „Um der zunehmenden Fluktuation der Arbeitskraft entgegenzuwirken und innerhalb der Betriebe eine stabile Belegschaft herauszubilden, wurde schon 1931 eine umfassende Lohnreform eingeleitet, deren grundlegendes Prinzip die maximale Differenzierung der Tarife bildete ... Zugleich veränderte man die innerindustriellen Tarifproportionen ... Auf diese Weise bildeten sich für eine Minorität qualifizierter Arbeitskräfte bald bessere Lebensbedingungen heraus, die sich von den Elendsverhältnissen, unter denen das Gros der Arbeiter existieren mußte, erheblich unterschieden ... Durch ständige Tarifreformen wurde ... der Prozeß der Einkommensdifferenzierung ... immer weiter vorangetrieben ... [Die Einkünfte der führenden Gruppe überstiegen] die Löhne der übrigen Arbeiterschaft oft um das Zehn- bis Zwanzigfache ... Als Ergebnis dieser Politik bildeten sich krasse Formen sozialer Ungleichheit heraus – das Ausmaß der Ungleichheit innerhalb der sowjetischen Arbeiterklasse war größer als in jedem kapitalistischen Industrieland.“ (Lorenz, Sozialgeschichte, S. 240-243.)
36. Lovestoneianer: Anhänger von Jay Lovestone (1897-1990), Führer der KPUSA in den Jahren 1926-1929. Nachdem er 1928 noch am Ausschluß der Anhänger Trotzkis aus der Partei maßgeblich beteiligt war, wurde er selbst im Sommer 1929 wegen seiner Sympathien für die Rechte Opposition in der UdSSR ausgeschlossen, obwohl seine Anhänger auf dem Parteitag kurz zuvor noch die Mehrheit gestellt hatten. Lovestone organisierte daraufhin eine eigenständige Gruppe, die die amerikanische Sektion der Internationalen Vereinigung der Kommunistischen Opposition (IVKO) wurde. In den dreißiger Jahren waren die Lovestone-Anhänger eine der aktivsten Gruppen auf der amerikanischen Linken, besonders im Bereich der Gewerkschaftsarbeit, und trugen mit zur Herausbildung der Industriegewerkschaften bei. Sie gingen zunehmend Allianzen mit dem rechten, antikommunistischen Flügel der Gewerkschaftsbürokratie ein. Nach Beginn des Zweiten Weltkriegs erklärten sie ihn zu einem „antifaschistischen“ Krieg, in dem sie auf seiten der Alliierten stehen würden. dies führte dann auch zum endgültigen Bruch mit der KPO (und damit zum ende der IVKO), nachdem es schon jahrelang zu wachsenden Differenzen gekommen war (und die Lovestone-Gruppe 1939 bereits eine Abschaltung der KPO unterstützt hatte). Ende 1940 löste sich die Gruppe auf. Die meisten Mitglieder organisierten sich in der Folgezeit in der amerikanische Sozialdemokratie. Lovestone selbst, aber auch andere Mitglieder der Gruppe wurden zu prominenten Gewerkschaftsbürokraten, die als „Kommunismus-Spezialisten“ besonders in der internationalen Arbeit des amerikanischen Gewerkschaftsbundes AFL-CIO aktiv waren und nach 1945 den Kalten Krieg in die internationale Gewerkschaftsbewegung trugen.
Zuletzt aktualisiert am 21.7.2008