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Die Eiserne Front ist in ihrem Wesen ein Block der zahlenmäßig mächtigen sozialdemokratischen Gewerkschaften mit den kraftlosen bürgerlichen „Republikanern“, die jede Stütze im Volk und jegliches Vertrauen zu sich selbst verloren haben. Sind Tote zum Kampf untauglich, so sind sie doch gut genug, die Lebenden am Kämpfen zu hindern. Die bürgerlichen Bundesgenossen dienen den sozialdemokratischen Führern als Zaum, den sie den Arbeiterorganisationen anlegen. Kampf, Kampf ... das sind nur Worte. Letzten Endes wird man, gebe Gott, ohne Kampf auskommen. Werden sich denn die Faschisten wirklich entschließen, von Worten zu Taten überzugehen? Wir Sozialdemokraten haben uns nie dazu entschlossen und sind doch nicht die schlechtesten Leute.
Für den Fall wirklicher Gefahr setzt die Sozialdemokratie ihre Hoffnungen nicht auf die „Eiserne Front“ sondern auf die preußische Polizei. Eine trügerische Rechnung! Der Umstand, daß die Polizisten in bedeutender Zahl unter sozialdemokratischen Arbeitern rekrutiert wurden, will ganz und gar nichts besagen. Auch hier wird das Denken vom Sein bestimmt. Die Arbeiter, die Polizisten im Dienst des kapitalistischen Staates geworden sind, sind bürgerliche Polizisten und nicht Arbeiter. In den letzten Jahren hatten sich diese Polizisten weitaus mehr mit revolutionären Arbeitern zu schlagen als mit nationalsozialistischen Studenten. Eine solche Schule hinterläßt Spuren. Und die Hauptsache: jeder Polizist weiß, daß die Regierungen wechseln, die Polizei aber bleibt.
Im Neujahrsartikel des Diskussionsorgans der Sozialdemokratie Das freie Wort (welch klägliches Blättchen) wird der höhere Sinn der „Tolerierungs“-Politik dargelegt. Gegen Polizei und Reichswehr kann Hitler, wie sich erweist, nie zur Macht gelangen. Die Reichswehr ist ja nach der Verfassung dem Reichspräsidenten untergeordnet. Solange also an der Spitze des Staates ein verfassungstreuer Präsident steht, ist der Faschismus ungefährlich. Man muß die Brüning-Regierung bis zu den Präsidentenwahlen unterstützen, um im Bunde mit der parlamentarischen Bourgeoisie einen verfassungsmäßigen Präsidenten zu wählen und damit für weitere 7 Jahre Hitler den Weg zur Macht zu versperren. Wir geben den Inhalt des Artikels ganz getreu wieder. [1*] Eine Massenpartei, die Millionen hinter sich herführt (zum Sozialismus!), meint, daß die Frage, welche Klasse im heutigen, bis ins Innerste erschütterten Deutschland an der Macht sein wird, nicht von der Kampfkraft des deutschen Proletariats abhängt, nicht von den faschistischen Sturmabteilungen, auch nicht von der Zusammensetzung der Reichswehr, sondern davon, ob der reine Geist der Weimarer Verfassung (mit der notwendigen Menge Kampfer und Naphtalin) sich im Präsidentenpalast niederlasse. Was aber, wenn der Weimarer Geist in einer bestimmten Lage mit Bethmann Hollweg [1] findet: „Not kennt kein Gebot“? Was aber, wenn die irdische Hülle des Weimarer Geistes, trotz Naphtalin und Kampfer, im ungeeigneten Augenblick auseinanderfällt? Was aber, wenn ... doch solche Fragen kann man ohne Ende stellen.
Die Politiker des Reformismus, diese gewandten Geschäftsleute, geriebenen Intriganten und Karrieristen, erfahrenen Parlaments- und Ministerkombinatoren, erweisen sich, sobald der Gang der Dinge sie aus der gewohnten Sphäre wirft und vor große Ereignisse stellt, als – man kann keinen milderen Ausdruck finden – vollendete Schafsköpfe.
Die Hoffnung auf den Präsidenten ist eben die Hoffnung auf den „Staat“. Angesichts des herannahenden Zusammenstoßes zwischen Proletariat und faschistischem Kleinbürgertum – beide Lager bilden zusammen die überwältigende Mehrheit des deutschen Volkes – rufen die Marxisten vom Vorwärts den Nachtwächter zu Hilfe. „Staat greif ein!“ Daß heißt: „Brüning, zwinge uns nicht, uns mit den Kräften der Arbeiter zu verteidigen, denn dies wird das ganze Proletariat auf die Beine bringen, und die Bewegung wird dann über die Kahlköpfe der Parteileitung hinauswachsen: als antifaschistische begonnen, wird sie als kommunistische enden.“
Darauf könnte Brüning, zöge er nicht vor zu schweigen, antworten: „Mit der Polizeimacht könnte ich den Faschismus nicht meistern, selbst wenn ich es wollte; doch ich würde nicht wollen, selbst wenn ich es könnte. Die Reichswehr gegen die Faschisten in Bewegung setzen, hieße die Reichswehr spalten, wenn nicht ganz gegen sich richten; doch die Hauptsache: den bürokratischen Apparat gegen die Faschisten wenden, hieße den Arbeitern die Hände lösen, ihnen die völlige Aktionsfreiheit wiedergeben; die Folgen wären die gleichen, die ihr Sozialdemokraten fürchtet, und die ich daher doppelt fürchte“.
Auf Staatsapparat, Gerichte, Reichswehr, Polizei müssen die Appelle der Sozialdemokratie eine der beabsichtigten entgegengesetzte Wirkung üben. Der „loyalste“, „neutralste“ am wenigsten an die Nationalsozialisten gebundene Bürokrat wird folgendermaßen urteilen: „Hinter der Sozialdemokratie stehen Millionen; in ihren Händen hält sie ungeheure Mittel: Presse, Parlament, Gemeindeverwaltungen; es geht um ihre eigene Haut; im Kampf gegen die Faschisten ist ihnen die Unterstützung der Kommunisten gewiß; und nichtsdestoweniger wenden sich die allmächtigen Herren an mich, den Beamten, sie vor dem Angriff einer Milllionenpartei zu retten, deren Führer morgen meine Vorgesetzten werden können: schlecht muß es um die Herren Sozialdemokraten bestellt sein, ganz hoffnungslos ... Es ist Zeit für mich, den Beamten, an meine eigene Haut zu denken“. So wird schließlich der bis gestern noch schwankende, „loyale“, „neutrale“ Beamte sich für alle Fälle absichern. d.h. mit den Nationalsozialisten Verbindungen anknüpfen, um seinen morgigen Tag zu sichern. So arbeiten die überlebten Reformisten auch an der bürokratischen Front für die Faschisten.
Kostgängerin der Bourgeoisie, ist die Sozialdemokratie zu kläglichem geistigen Parasitismus verdammt. Bald hascht sie nach Ideen bürgerlicher Ökonomen, bald sucht sie Splitter des Marxismus auszunützen. Nachdem er aus meiner Broschüre die Argumente gegen die Teilnahme der Kommunistischen Partei am Hitler-Volksentscheid zitiert hat, zieht Hilferding [2] den Schluß: „Man brauchte diesen Zitaten wirklich nichts hinzuzufügen, um die Taktik der Sozialdemokratie gegenüber der Regierung Brüning zu erklären“. Kommen Remmele und Thälmann: „Seht, Hilferding stützt sich auf Trotzki“. Kommt ein gelbes Faschistenblättchen: dafür wird Trotzki mit dem Visumversprechen belohnt. Kommt ein Stalin-Journalist und telegraphiert die Nachricht der faschistischen Zeitung nach Moskau. Die Redaktion der Iswestija, in der der unglückselige Radek [3] sitzt, veröffentlicht dieses Telegramm. Diese Kette verdient, daß man sie vermerkt und – weitergeht.
Wenden wir uns ernsthafteren Fragen zu. Hitler kann sich den Luxus des Kampfes gegen Brüning nur deshalb erlauben, weil das bürgerliche Regime im ganzen sich an den Rücken der halben, von Hilferding und Co. dirigierten Arbeiterklasse lehnt. Betriebe die Sozialdemokratie nicht eine Politik des Klassenverrats, so müßte sich Hitler, der in diesem Fall nie die gegenwärtige Stärke erlangt hätte, an die Brüning-Regierung wie an einen Rettungsanker klammern. Würden die Kommunisten gemeinsam mit der Sozialdemokratie Brüning stürzen, so wäre das eine Tatsache von größter politischer Bedeutung. Ihre Folgen würden jedenfalls über die Köpfe der sozialdemokratischen Führer hinauswachsen. Hilferding macht den Versuch, eine Rechtfertigung seines Verrats in unserer Kritik zu finden, die die Kommunisten auffordert, mit Hilferdings Verrat als mit einer Tatsache zu rechnen.
Hat auch Hilferding Trotzkis Worten „nichts hinzuzufügen“, so fügt er dennoch etwas hinzu: das Kräfteverhältnis, sagt er, ist derart, daß selbst unter der Voraussetzung gleichzeitiger Aktionen der sozialdemokratischen und kommunistischen Arbeiter keine Möglichkeit bestünde, „bei Forcierung des Kampfes den Gegner niederzuwerfen“. In dieser beiläufig, ohne Beweis hingeworfenen Bemerkung liegt der Schwerpunkt der Frage. Nach Hilferding könnte im heutigen Deutschland, wo das Proletariat die Mehrheit der Bevölkerung und die entscheidende Produktivkraft der Gesellschaft ausmacht, der gemeinsame Kampf von Sozialdemokratie und Kommunistischer Partei dem Proletariat nicht die Macht bringen! Wann wird also überhaupt die Macht in die Hände des Proletariats übergehen können? Vor dem Krieg gab es die Perspektive auf automatisches Wachstum des Kapitalismus, Wachstum des Proletariats und entsprechendes Wachstum der Sozialdemokratie. Der Krieg hat diesen Prozeß unterbrochen, und keine Kraft der Welt vermag ihn wiederherzustellen. Die Fäulnis des Kapitalismus bedeutet, daß die Machtfrage auf der Grundlage der heutigen Produktivkräfte entschieden werden muß. Durch ihre Verlängerung der Agonie des kapitalistischen Regimes führt die Sozialdemokratie nur den weiteren Verfall der Wirtschaftskultur herbei, den Zerfall des Proletariats und soziale Fäulnis. Andere Perspektiven hat sie nicht vor sich; morgen wird es schlechter stehen als heute, übermorgen schlimmer als morgen. Doch die Führer der Sozialdemokratie wagen nicht mehr, in die Zukunft zu blicken. Sie haben alle Gebrechen der zum Untergang verdammten herrschenden Klasse: Leichtsinn, Willenslähmung, Hang, sich vor den Ereignissen zu drücken und auf Wunder zu warten. In Wahrheit erfüllen Tarnows [4] ökonomische Forschungen heute die gleiche „Funktion“ wie die trostvollen Offenbarungen Rasputins [5] ...
Die Sozialdemokraten könnten mit den Kommunisten zusammen die Macht nicht erobern. Hier ist er, der durch und durch feige und „jebildete“ Kleinbürger, vom Scheitel bis zur Sohle vollgesogen mit Mißtrauen und Verachtung für die Massen. Sozialdemokratie und Kommunistische Partei besitzen zusammen ungefähr 40 Prozent der Stimmenzahl, ungeachtet dessen, daß die Verrätereien der Sozialdemokratie und die Fehler der Kommunistischen Partei Millionen ins Lager des Indifferentismus und sogar des Nationalsozialismus stoßen. Schon allein die Tatsache gemeinschaftlicher Aktionen dieser beiden Parteien würde den Massen neue Perspektiven eröffnen und die politische Kraft des Proletariats unermeßlich steigern. Gehen wir jedoch von 40 Prozent aus. Haben Brüning oder Hitler mehr? Und in Deutschland können doch nur diese drei Gruppen: Proletariat [6], Zentrumspartei oder Faschisten regieren. Aber der gebildete Kleinbürger ist zutiefst davon überzeugt, daß dem Vertreter des Kapitals 20 Prozent genügen, um zu regieren; hat doch die Bourgeoisie Banken, Trusts, Syndikate, Eisenbahnen. Gewiß, unser gebildeter Kleinbürger hat vor 12 Jahren all das „sozialisieren“ wollen. Aber heute! Sozialisierungsprogramm – ja, Expropriation der Expropriateure – nein, das ist schon Bolschewismus.
Wir haben oben das Kräfteverhältnis im parlamentarischen Sinn genommen. Doch das ist ein Zerrspiegel. Die parlamentarische Vertretung der unterdrückten Klasse ist eine außerordentliche Verkleinerung ihrer wirklichen Kraft, und umgekehrt: die Vertretung der Bourgeoisie wird selbst am Tag vor deren Fall noch immer eine Maskerade vermeintlicher Kraft sein: Nur der revolutionäre Kampf legt das wirkliche Kräfteverhältnis bloß. Im direkten und unmittelbaren Machtkampf entfaltet das Proletariat, wenn innere Sabotage, Austromarxismus [7] und andere Formen von Verrat es nicht paralysieren, eine unermeßlich überlegenere Kraft als sie im Parlament Ausdruck findet. Führen wir nochmals die unschätzbare Lehre der Geschichte an: selbst nachdem die Bolschewiki die Macht erobert und fest erobert hatten, verfügten sie in der Konstituierenden Versammlung über weniger als ein Drittel der Stimmen, mit den linken Sozialrevolutionären [8] zusammen über weniger als 40 Prozent. Und trotz schrecklicher wirtschaftlicher Zerrüttung, trotz Krieg, trotz Verrat der europäischen, vor allem der deutschen Sozialdemokratie, trotz der Ermüdungsreaktion der Nachkriegszeit, trotz dem Wachstum thermidorianischer Stimmungen hält sich der erste Arbeiterstaat seit 14 Jahren aufrecht. Was soll man da von Deutschland sagen? In dem Augenblick, wo sich der sozialdemokratische Arbeiter gemeinsam mit dem kommunistischen zur Machteroberung erheben würde, wäre die Aufgabe zu neun Zehnteln gelöst.
Aber, sagt Hilferding, wenn die Sozialdemokratie gegen die Brüning-Regierung stimmen und damit ihren Sturz herbeiführen würde, hätte das die Machtergreifung durch die Faschisten zur Folge. Auf parlamentarischer Ebene sieht es vielleicht so aus, aber die Angelegenheit liegt nicht auf parlamentarischer Ebene.
Auf die Unterstützung Brünings könnte die Sozialdemokratie nur dann verzichten, wenn sie sich entschlösse, den revolutionären Weg zu gehen. Entweder Unterstützung Brünings oder Kampf um die Diktatur des Proletariats. Ein Drittes gibt es nicht. Die Stimmenabgabe der Sozialdemokratie gegen Brüning würde mit einem Schlage das Kräfteverhältnis verschieben. Nicht auf dem Parlaments-Schachbrett, dessen Figuren unversehens unter den Tisch zu liegen kämen, sondern in der Arena des revolutionären Klassenkampfes. Die Kräfte des Proletariats würden sich bei einer solchen Wendung nicht verdoppeln, sondern verzehnfachen, denn der moralische Faktor nimmt nicht den letzten Platz ein im Kampf der Klassen, besonders an großen historischen Wendepunkten. Ein moralischer Strom von hoher Spannung würde die Volksmassen durchfließen, Schicht um Schicht. Die proletarische Klasse würde sich mit Zuversicht sagen, daß sie und nur sie berufen ist, dem Leben dieser großen Nation eine neue, höhere Richtung zu geben. Verfall und Zersetzung der Hitler-Armee würden noch vor den Entscheidungsschlachten beginnen. Dem Kampf zu entrinnen, wäre natürlich ausgeschlossen; aber bei festem Siegeswillen, bei kühner Offensive wäre der Sieg unvergleichlich leichter errungen, als es dem optimistischsten Revolutionär jetzt vorschwebt.
Dazu fehlt nicht viel: eine Wendung der Sozialdemokratie auf den Weg der Revolution. Eine freiwillige Wendung der Führer zu erhoffen wäre, nach der Erfahrung von 1914-1932, die lächerlichste aller Illusionen. Anders die Mehrheit der sozialdemokratischen Arbeiter: sie können eine Wendung vollziehen und sie werden sie vollziehen. Man muß ihnen nur helfen. Das wird aber nicht nur eine Wendung gegen den bürgerlichen Staat, sondern auch gegen die Spitzen der eigenen Partei sein.
Da wird unser Austromarxist, der unseren Worten „nichts hinzuzufügen“ hat, uns wieder Zitate aus unseren eigenen Arbeiten entgegenzuhalten versuchen: haben wir denn nicht in der Tat geschrieben, die Politik der Stalin-Bürokratie sei eine Kette von Fehlern? Haben wir nicht die Teilnahme der Kommunistischen Partei am Hitlervolksentscheid gebrandmarkt? Wir haben geschrieben und gebrandmarkt. Aber wir kämpfen ja mit den Stalinschen Kominternführern gerade deshalb, weil sie unfähig sind, die Sozialdemokratie zu zertrümmern, die Massen ihrem Einfluß zu entwinden, von der Lokomotive der Geschichte die rostige Bremse zu lösen. Durch Hin- und Herwinden, Irrtümer, bürokratischen Ultimatismus konserviert das Stalinsche Bürokratentum die Sozialdemokratie, dem es ihr jedesmal von neuem gestattet, wieder auf die Beine zu kommen.
Die Kommunistische Partei ist eine proletarische, antibürgerliche Partei, wenn auch falsch geführt. Die Sozialdemokratie ist, ungeachtet ihres Arbeiterbestandes, eine vollständig bürgerliche Partei, unter „normalen“ Bedingungen vom Standpunkt der bürgerlichen Ziele aus sehr geschickt geführt, doch unter Bedingungen der sozialen Krise zu nichts tauglich. Den bürgerlichen Charakter der sozialdemokratischen Partei sind die Führer selber einzugestehen genötigt, wenn auch gegen ihren Willen. In bezug auf Krise und Arbeitslosigkeit wiederholt Tarnow die alten Phrasen über den „Hohn auf die Zivilisation“, wie ein Pastor von der Sünde des Reichtums spricht; vom Sozialismus redet Tarnow ebenso wie der Pfaffe von der Vergeltung im jenseits; ganz anders aber äußert er sich über konkrete Fragen, „Wenn am 14. September dieses Gespenst (der Arbeitslosigkeit) nicht neben den Wahlurnen gestanden hätte, dann würde auch dieser Tag in der Geschichte Deutschlands ein anderes Gesicht bekommen haben“ (Referat auf dem Leipziger Parteitag). Die Sozialdemokratie hat Stimmen und Mandate deshalb verloren, weil der Kapitalismus in der Krise sein wahres Antlitz enthüllte. Die Krise hat die Partei des „Sozialismus“ nicht gestärkt, sondern im Gegenteil geschwächt, so wie sie Handelsumsätze, Bankkassen, Hoovers und Fords [9] Selbstvertrauen, die Einkünfte des Fürsten von Monaco usw. geschwächt hat. Die optimistischen Bewertungen der Konjunktur hat man jetzt nicht in den bürgerlichen Blättern, sondern in den sozialdemokratischen zu suchen. Kann es einen unwiderlegbareren Beweis des bürgerlichen Charakters der Partei geben? Bedeutet die Krankheit des Kapitalismus Krankheit der Sozialdemokratie, so kann der nahende Tod des Kapitalismus nichts anderes bedeuten als den baldigen Tod der Sozialdemokratie. Die Partei, die sich auf die Arbeiter stützt, aber der Bourgeoisie dient, muß in der Periode höchster Zuspitzung des Klassenkampfes den Odem des Grabes spüren.
1*. Der Artikel ist mit den bescheidenen Initialen E.H. versehen. Man müßte sie der Nachwelt einprägen. Die Arbeitergenerationen der verschiedenen Länder haben nicht vergeblich gewirkt. Große revolutionäre Denker und Kämpfer sind nicht spurlos auf Erden gewandelt. E.H. lebt, wacht und weist dem deutschen Proletariat den Weg.
Böse Zungen behaupten, E.H. sei mit Ernst Heilmann verwandt, der sich während des Krieges mit besonders widerlichem Chauvinismus besudelt hat. Unmöglich: ein so heller Kopf ...
1. Theobald von Bethmann-Hollweg (1856-1921): Reichsanzler und preußi-scher Ministerpräsident (1909-1917).
2. Rudolf Hilferding (1877-1944): führender sozialdemokratischer Theoretiker und Ökonom; Finanzminister in der Müller Regierung (1928-30); Autor von wichtigen Bücher über den Imperialismus und das Finanzkapital; verhaftet 1940 vom französischen Vichy-Regime und den Nazis überliefert.
3. Karl Radek (1885-1939) linker Aktivist in Deutschland und Polen vor der Russischen Revolution; kam April 1917 mit Lenin nach Rußland; wurde Mitglied des inneren Kreises der Führer der Bolschewistischen Partei; entkam 1919 einen Mordversuch in Berlin, als Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht ermordet wurden; Mitglied des Präsidiums des Exekutivkomitees der Komintern (EKKI); später beschuldigt für das Scheitern der deutschen Revolution 1923; Führer der Linken Opposition; kapitulierte vor Stalin 1929 nach Stalins Bruch mit Bucharin; schrieb Propaganda bis zu den Moskauer Prozessen; Angeklagter beim zweiten Moskauer Prozeß; wurde zu 10 Jahren verurteilt und verschwand im Gefängnis.
4. Fritz Tarnow (1880-1954): sozialdemokratischer Abgeordneter und Gewerk-schafter; verließ 1931 die SPD und trat der SAP bei: verbrachte die Periode der Nazi-Herrschaft in Exil; aktiver Gewerkschafter bis zu seinem Tod.
5. Grigori Rasputin (1872-1916): Mystiker und angeblicher Heiler mit großem Einfluß im Hof des Zaren.
6. Das Zentrum: katholische politische Partei; eine der Hauptregierungs-parteien der Weimarer Republik; vier Kanzler kamen aus seinen Reihen.
7. Austromarxismus: herrschende Tendenz innerhalb der österreichischen Sozialdemokratie; widersetzte sich dem Revisionismus aber handelte keines-wegs anders; gegen gewaltätige Revolution; glaubte, Sozialisten sollten Gewalt nur defensiv anwenden.
8. Linke Sozialrevolutionäre: Abspaltung von der Sozialrevolutionären Partei; unterstützte den revolutionären Umsturz im Oktober 1917; bildete revolutio-näre Koalitionregierung mit den Bolschewiki; trat aus der Regierung wegen des Brest-Litowsker Vertrag aus; später organisierte terroristische Angriffe auf Anhänger der Sowjetregierung.
9. Herbert Hoover (1874-1964): amerikanischer Präsident (1928-32). – Henry Ford: amerikanischer Industrieller, der den Fließband in die Autoherstellung einführte.
Zuletzt aktualiziert am 22.7.2008