Leo Trotzki

 

Geschichte der russischen Revolution

Band 1: Februarrevolution

 

Kapitel 14:
Die Regierenden und der Krieg

Was gedachten die Provisorische Regierung und das Exekutivkomitee mit diesem Krieg und dieser Armee zu beginnen?

Vor allem muß man die Politik der liberalen Bourgeoisie begreifen, da diese die erste Geige spielte. Äußerlich blieb die Politik des Liberalismus aggressiv-patriotisch, annexionistisch, unversöhnlich. In Wirklichkeit war sie widerspruchsvoll, treubrüchig und wurde schnell defätistisch.

„Auch wenn es keine Revolution gegeben hätte, der Krieg wäre dennoch verloren und wahrscheinlich ein Separatfrieden geschlossen worden“, schrieb später Rodsjanko. dessen Urteile sich nicht durch Selbständigkeit auszeichneten, gerade deshalb aber die Durchschnittsmeinung der liberalkonservativen Kreise gut ausdrückten. Der Aufstand der Gardebataillone kündete den besitzenden Klassen nicht den äußeren Sieg an, sondern die innere Niederlage. Die Liberalen konnten sich darüber um so weniger Illusionen machen, als sie die Gefahr vorausgesehen und nach Kräften gegen sie gekämpft hatten. Der unerwartete revolutionäre Optimismus Miljukows, der die Umwälzung als eine Stufe zum Siege erklärte, war eigentlich die letzte Zuflucht der Verzweiflung. Die Frage nach Krieg und Frieden hatte für die Liberalen zu drei Vierteln aufgehört, eine selbständige Frage zu sein. Sie fühlten, daß es ihnen nicht gegeben sein würde, die Revolution für den Krieg auszunutzen. Um so gebieterischer erstand vor ihnen die andere Aufgabe: den Krieg gegen die Revolution auszunutzen.

Die Fragen der internationalen Lage Rußlands nach dem Kriege: Schulden und neue Anleihen, Kapital- und Absatzmärkte, standen selbstverständlich auch jetzt vor den Führern der russischen Bourgeoisie. Aber nicht diese Fragen bestimmten unmittelbar ihre Politik. Heute ging es nicht um die Sicherung der vorteilhaftesten internationalen Bedingungen für das bürgerliche Rußland, sondern um Rettung des bürgerlichen Regimes selbst, wenn auch um den Preis einer weiteren Schwächung Rußlands. „Zuerst muß man gesunden“, sagte die schwer verwundete Klasse, „und erst später die Angelegenheiten in Ordnung bringen.“ Gesunden bedeutete, mit der Revolution fertigwerden.

Die Aufrechterhaltung der Kriegshypnose und der chauvinistischen Stimmungen gab der Bourgeoisie die einzige Möglichkeit eines politischen Bandes mit den Massen, vor allem mit der Armee, gegen die sogenannten Vorwärtstreiber der Revolution. Die Aufgabe bestand darin, den vom Zarismus vererbten Krieg, mit den bisherigen Verbündeten und Zielen, dem Volke als einen neuen Krieg, als Verteidigung der revolutionären Errungenschaften und Hoffnungen, darzustellen. Es hätte genügt, dies zu erreichen – aber wie? –, und der Liberalismus rechnete fest damit, gegen die Revolution jene ganze Organisation der patriotischen öffentlichen Meinung richten zu können, die ihm gestern gegen die Rasputinsche Clique Dienste geleistet hat. Wenn es nicht gelungen war, die Monarchie gegen den Willen des Volkes als höchste Instanz zu retten, dann mußte man sich um so mehr an die Alliierten halten: für die Dauer des Krieges bildete die Entente jedenfalls eine unvergleichlich mächtigere Appellationsinstanz, als es die eigene Monarchie hätte sein können.

Die Fortsetzung des Krieges sollte die Aufrechterhaltung des militärischen und bürokratischen Apparates rechtfertigen, die Vertagung der Konstituierenden Versammlung, die Unterwerfung des revolutionären Landes unter die Front, das heißt unter die Generalität, die sich mit der liberalen Bourgeoisie zusammengeschlossen hatte. Alle inneren Fragen, vor allem die Agrarfrage und die gesamte soziale Gesetzgebung, vertagte man bis zum Ende des Krieges, dieses wiederum bis zum Siege, an den die Liberalen nicht glaubten. Krieg bis zur Ermattung des Feindes verwandelte sich in Krieg zur Ermattung der Revolution. Mag sein, daß dies kein fertiger, im voraus in offiziellen Sitzungen beratener und erwogener Plan war. Aber das war auch nicht nötig. Der Plan ergab sich aus der gesamten vorangegangenen Politik des Liberalismus und aus der durch die Revolution geschaffenen Lage.

Gezwungen, den Weg des Krieges zu gehen, hatte Miljukow selbstverständlich keine Veranlassung, auf den Beuteanteil zu verzichten. Waren doch die Hoffnungen auf den Sieg der Alliierten ganz realer Natur und mit dem Eintritt Amerikas in den Krieg erheblich gestiegen. Allerdings war die Entente eines, und Rußland ein anderes. Die Führer der russischen Bourgeoisie hatten während des Krieges begreifen gelernt, daß der Sieg der Entente über die Zentralmächte bei der ökonomischen und militärischen Schwäche Rußlands unvermeidlich zu einem Sieg über Rußland werden müsse, das bei allen denkbaren Möglichkeiten geschlagen und geschwächt aus dem Krieg herausgehen würde. Dennoch beschlossen die liberalen Imperialisten, vor dieser Perspektive bewußt die Augen zu schließen. Es blieb ihnen auch nichts anderes übrig. Gutschkow hatte in seinem Kreise offen erklärt, daß nur ein Wunder Rußland retten könne, und die Hoffnung auf ein Wunder bilde sein, des Kriegsministers, Programm. Miljukow brauchte für die Innenpolitik den Mythos des Sieges. In welchem Maße er selber an ihn glaubte, ist unwesentlich. Aber hartnäckig behauptete er: Konstantinopel müsse uns gehören. Dabei verfuhr er mit dem ihm eigenen Zynismus. Am 20. März versuchte der russische Außenminister die Botschafter der Alliierten zu überreden, Serbien zu verraten, um mit diesem Preise den Verrat Bulgariens an die Zentralmächte zu erkaufen. Der französische Gesandte runzelte die Stirn. Miljukow aber bestand auf „der Notwendigkeit, von sentimentalen Erwägungen in dieser Frage abzusehen“ und unter anderem auch von jenem Neoslawismus, den er seit der Niederwerfung der ersten Revolution gepredigt hatte. Nicht umsonst schrieb Engels noch im Jahre 1882 an Bernstein: „Worauf läuft die ganze russische panslawistische Scharlatanerie hinaus? Auf die Einnahme von Konstantinopel – auf weiter nichts.“

Die noch gestern gegen die Hofkamarilla erhobenen Beschuldigungen des Germanophilentums und sogar der Käuflichkeit durch Deutschland wurden heute mit ihrer vergifteten Spitze gegen die Revolution gerichtet. Je weiter, um so kühner, lauter und frecher klang diese Note in den Reden und Artikeln der Kadettenpartei. Bevor er an die Eroberung der türkischen Gewässer ging, trübte der Liberalismus die Quellen und vergiftete die Brunnen der Revolution.

Bei weitem nicht alle liberalen Führer haben in der Frage des Krieges eine unversöhnliche Position eingenommen, jedenfalls nicht sogleich nach der Umwälzung. Viele befanden sich noch in der Atmosphäre der vorrevolutionären Stimmungen, die mit der Perspektive des Separatfriedens verbunden waren. Einzelne führende Kadetten erzählten es später ganz offenherzig. Nabokow hatte, nach seinem eigenen Geständnis, bereits am 7. März mit Regierungsmitgliedern Besprechungen über einen Separatfrieden. Einige Mitglieder des Kadettenzentrums versuchten kollektiv, ihren Führer von der Unmöglichkeit der Fortsetzung des Krieges zu überzeugen. „Mit der ihm eigenen kalten Präzision bemühte sich Miljukow, nach den Worten des Barons Nolde, zu beweisen, daß die Ziele des Krieges erreicht werden müßten.“ General Alexejew, der sich um diese Zeit den Kadetten näherte, unterstützte Miljukow und behauptete, „die Armee kann in Bewegung gebracht werden“. Sie in Bewegung zu bringen, fühlte sich wohl dieser Generalstabsorganisator allen Unheils berufen.

Mancher Naivere unter den Liberalen und Demokraten begriff den Kurs Miljukows nicht und hielt diesen selbst für den Ritter der Treue gegen die Alliierten, für den Don Quichotte der Entente. Welcher Unsinn! Nachdem die Bolschewiki die Macht übernommen hatten, zögerte Miljukow nicht eine Minute, sich in das von den Deutschen besetzte Kiew zu begeben und seine Dienste der Hohenzollernregierung anzubieten, die sich allerdings nicht übereilte, davon Gebrauch zu machen. Miljukows nächstes Ziel dabei war, für den Kampf gegen die Bolschewiki das nämliche deutsche Gold zu erhalten, mit dessen Gespenster vorher die Revolution zu beschmutzen gesucht hatte. Miljukows Appell an Deutschland schien im Jahre 1918 vielen Liberalen ebenso unverständlich wie in den ersten Monaten des Jahres 1917 sein Programm der Zerschmetterung Deutschlands. Doch waren es nur zwei Seiten der gleichen Medaille. Im Begriffe, die Alliierten, wie früher Serbien, zu verraten, verriet Miljukow weder sich selbst noch seine Klasse. Er verfolgte ein und dieselbe Politik, und es war nicht seine Schuld, wenn sie nicht schön aussah. Ob er nun unter dem Zarismus die Wege zum Separatfrieden abtastete, um der Revolution auszuweichen, ob er den Krieg bis ans Ende forderte, um mit der Februarrevolution fertigzuwerden, ob er später ein Bündnis mit den Hohenzollern suchte, um die Oktoberrevolution zu stürzen, Miljukow blieb stets in gleicher Weise den Interessen der Besitzenden treu. Wenn er ihnen nicht helfen konnte und jedesmal an eine neue Wand anrannte, so deshalb, weil seine Auftraggeber sich in einer Sackgasse befanden.

Was Miljukow in der ersten Zeit nach der Umwälzung besonders gefehlt hat, war ein feindlicher Angriff, ein guter deutscher Schlag gegen den Schädel der Revolution. Zum Unglück waren die Monate März und April aus klimatischen Gründen für Operationen größeren Maßstabs an der russischen Front ungünstig gewesen. Und die Hauptsache war, daß die Deutschen, deren Lage immer schwieriger wurde, nach großen Schwankungen beschlossen hatten, die Russische Revolution ihren inneren Prozessen zu überlassen. Nur der General Linsingen bewies am 20.-21. März am Stochod Privatinitiative. Sein Erfolg erschreckte die deutsche Regierung und erfreute gleichzeitig die russische. Mit der gleichen Unverschämtheit, mit der das Hauptquartier unter dem Zaren den geringsten Erfolg übertrieben hatte, bauschte es jetzt die Niederlage am Stochod auf. Ihm folgte die liberale Presse. Fälle von Rückzügen, Panik und Verlusten der russischen Truppen wurden mit dem gleichen Behagen ausgemalt wie früher Gefangene und Trophäen. Bourgeoisie und Generalität gingen sichtbar auf die Position des Defätismus über. Linsingen aber wurde auf einen Befehl von oben her zurückgehalten, und die Front erstarrte wieder in Frühlingsschlamm und Abwarten.

Die Absicht, sich gegen die Revolution auf den Krieg zu stützen, hätte nur Erfolg haben können, wenn die Mittelparteien, hinter denen die Volksmassen hergingen, bereit gewesen wären, die Rolle der Transmission der liberalen Politik auf sich zu nehmen. Die Idee des Krieges mit der Idee der Revolution zu verbinden, ging über die Kraft des Liberalismus: noch gestern predigte er, die Revolution bedeute die Katastrophe des Krieges. Es war nötig, diese Aufgabe der Demokratie zuzuschieben. Doch durfte man freilich das „Geheimnis“ vor ihr nicht enthüllen. Man durfte sie nicht in den Plan einweihen, sondern mußte sie ködern. Man mußte an ihren Vorurteilen, ihrer Prahlerei mit der Staatsweisheit, ihrer Angst vor Anarchie, ihrer abergläubischen Anbetung der Bourgeoisie einhaken.

In den ersten Tagen wußten die Sozialisten – wir sind gezwungen, die Menschewiki und Sozialrevolutionäre der Kürze halber so zu nennen – nicht, was sie mit dem Kriege anfangen sollten. Tschcheidse seufzte: „Wir haben die ganze Zeit hindurch gegen den Krieg gesprochen, wie kann ich denn jetzt zur Fortsetzung des Krieges aufrufen?“ Am 10. März beschloß das Exekutivkomitee, Franz Mehring ein Begrüßungstelegramm zu schicken. Mit dieser kleinen Demonstration versuchte der linke Flügel sein nicht sehr anspruchsvolles sozialistisches Gewissen zu beruhigen. Über den Krieg selbst fuhr der Sowjet fort, zu schweigen. Die Führer fürchteten in dieser Frage einen Konflikt mit der Provisorischen Regierung heraufzubeschwören und die Honigwochen des „Kontaktes“ zu trüben. Nicht weniger Angst hatten sie vor Meinungsverschiedenheiten in der eigenen Mitte. Es gab unter ihnen Landesverteidiger und Zimmerwalder. Die einen wie die anderen überschätzten ihre Meinungsverschiedenheiten. Breite Kreise der revolutionären Intelligenz hatten während des Krieges eine gründliche bürgerliche Umwandlung durchgemacht. Der offene oder verschleierte Patriotismus verband die Intelligenz mit den regierenden Klassen und trennte sie von den Massen. Das Banner von Zimmerwald, mit dem sich der linke Flügel umhüllte, verpflichtete wenig, verbarg aber immerhin seine auffällige patriotische Solidarität mit der Rasputinschen Clique. Nun aber war das Romanowsche Regime gestürzt. Rußland war ein demokratisches Land geworden. Seine in allen Farben schimmernde Freiheit hob sich grell vom Polizeihintergrunde des in der Militärdiktatur eingeklemmten Europa ab. Sollen wir etwa unsere Revolution nicht gegen den Hohenzollern schützen? schrien die alten und die neuen Patrioten, die sich an die Spitze des Exekutivkomitees gestellt hatten. Die Zimmerwalder vom Typ Suchanows und Steklows beriefen sich unsicher darauf, der Krieg sei imperialistisch geblieben: erklären doch die Liberalen, die Revolution müsse die vom Zaren vorgemerkten Annexionen sichern. „Wie kann ich da jetzt zur Fortsetzung des Krieges aufrufen?“ beunruhigte sich Tschcheidse. Da aber die Zimmerwalder selbst die Initiatoren der Machtübergabe an die Liberalen gewesen waren, hingen ihre Einwendungen in der Luft. Nach einigen Wochen Schwankens und Sträubens war mit Zeretellis Hilfe der erste Teil des Miljukowschen Planes glücklich gelöst: Schlechte Demokraten, die sich für Sozialisten hielten, spannten sich in das Geschirr des Krieges ein und bemühten sich, unter der Knute der Liberalen aus allen ihren schwachen Kräften den Sieg zu sichern ... der Entente über Rußland, Amerikas über Europa.

Die Hauptfunktion der Versöhnler bestand darin, die revolutionäre Energie der Massen auf die Leitung des Patriotismus umzuschalten. Sie strebten einerseits danach, die Kampffähigkeit der Armee wiederzubeleben – das war schwer; sie versuchten andererseits, die Regierungen der Entente zu bewegen, auf den Raub zu verzichten das war lachhaft. In beiden Richtungen gingen sie von Illusionen zu Enttäuschungen und von Fehlern zu Demütigungen.

In den Stunden seiner kurzwährenden Größe hatte Rodsjanko Zeit gefunden, einen Befehl zu erlassen, wonach die Soldaten sofort in die Kasernen zurückzukehren und ihren Offizieren Gehorsam zu leisten hätten. Die dadurch hervorgerufene Erregung der Garnison zwang den Sowjet, eine seiner ersten Sitzungen der Frage des weiteren Schicksals der Soldaten zu widmen. In der heißen Atmosphäre jener Stunden, im Chaos der Sitzung, die eher einem Meeting glich, unter dem direkten Diktat der Soldaten, die von den abwesenden Führern nicht behindert werden konnten, entstand der berühmte Befehl Nr. 1, das einzige würdige Dokument der Februarrevolution, die Freiheitscharta der revolutionären Armee. Seine kühnen Paragraphen, die den Soldaten den organisierten Ausweg auf eine neue Bahn wiesen, verfügten: bei allen Truppenteilen Wahlkomitees zu schaffen; Soldatenvertreter in den Sowjet zu wählen; bei allen politischen Auftritten, sich dem Sowjet und den eigenen Komitees unterzuordnen; die Waffen unter Kontrolle der Kompanie- und Bataillonskomitees zu halten und sie „unter keinen Umständen den Offizieren auszuliefern“; im Dienste strenge militärische Disziplin, außerhalb des Dienstes alle Bürgerrechte; Ehrenbezeigungen und Titulierungen der Offiziere außerhalb des Dienstes werden abgeschafft; grobes Benehmen gegen Soldaten, insbesondere die Anrede mit „Du“ ist verboten usw.

Dies waren die Schlußfolgerungen der Petrograder Soldaten aus ihrer Teilnahme an der Umwälzung. Hätten es auch andere sein können? Sich zu widersetzen wagte niemand. Während der Ausarbeitung des „Befehls“ waren die Häupter der Sowjets durch erhabenere Sorgen abgelenkt: sie führten Verhandlungen mit den Liberalen. Dieses ermöglichte ihnen, sich auf ihr Alibi zu berufen, als sie gezwungen waren, sich vor der Bourgeoisie und dem Kommandobestand zu rechtfertigen.

Gleichzeitig mit dem Befehl Nr. 1 schickte das Exekutivkomitee, das Zeit gefunden hatte, sich zu besinnen, in die Druckerei als Gegengift einen Appell an die Soldaten, der unter dem Scheine der Verurteilung der Selbstjustiz gegen Offiziere Unterordnung gegenüber dem alten Kommandobestand forderte. Die Setzer weigerten sich einfach, dieses Dokument zu setzen. Die demokratischen Autoren waren vor Empörung außer sich: Wohin führt das? Es wäre jedoch falsch anzunehmen, die Setzer härten blutige Strafgerichte gegen die Offiziere angestrebt. Der Aufruf zur Unterordnung am Tage nach dem Umsturz schien ihnen gleichbedeutend mit dem Öffnen der Tore für die Konterrevolution. Gewiß, die Setzer hatten ihre Befugnisse überschritten. Doch sie fühlten sich nicht nur als Setzer. Es ging ihrer Meinung nach um den Kopf der Revolution.

In jenen ersten Tagen, als das Schicksal der zu den Regimentern zurückkehrenden Offiziere sowohl Soldaten wie Arbeiter äußerst heftig erregte, hatte die „interrayonale“ sozialdemokratische Organisation, die den Bolschewiki nahestand, die heikle Frage mit revolutionärer Kühnheit gestellt. „Damit euch der Adel und die Offiziere nicht betrügen können“, lautete der von ihr erlassene Aufruf an die Soldaten, „wählt selbst Zug-, Kompanie- und Regimentskommandeure. Nehmt nur die Offiziere auf, die ihr als Freunde des Volkes kennt.“ Aber was geschah? Die den Verhältnissen völlig entsprechende Proklamation wurde sofort vom Exekutivkomitee beschlagnahmt, und Tschcheidse bezeichnete sie in seiner Rede als Provokation. Wie wir sehen, scheuten sich die Demokraten gar nicht, die Pressefreiheit einzuschränken, wenn es galt, Schläge nach links auszuteilen. Glücklicherweise war ihre eigene Freiheit genügend eingeschränkt. Während die Arbeiter und Soldaten das Exekutivkomitee als ihr höchstes Organ unterstützten, korrigierten sie in allen wichtigsten Momenten die Politik der Leitung durch unmittelbare Einmischung.

Schon nach wenigen Tagen versuchte das Exekutivkomitee durch einen Befehl Nr. 2 den ersten zu widerrufen, indem es seine Gültigkeit auf den Petrograder Militärbezirk einschränkte. Vergeblich! Der Befehl Nr. 1 war nicht zu erschüttern, denn er hatte nichts erfunden, sondern nur das bekräftigt, was im Hinterlande und an der Front nach außen drängte und Anerkennung verlangte. Den Soldaten von Angesicht zu Angesicht gegenüberstehend, deckten sich sogar die liberalen Deputierten bei Fragen und Vorwürfen mit dem Befehl Nr. 1. In der großen Politik aber wurde der mutige Befehl zum Hauptargument der Bourgeoisie gegen die Sowjets. Die geschlagenen Generale hatten nunmehr in dem Befehl Nr. 1 das Haupthindernis entdeckt, das ihnen verwehrt habe, die deutschen Truppen zu zerschmettern. Als Ursprungsort des Befehls wurde Deutschland bezeichnet. Die Versöhnler wurden nicht müde, sich für Getanes zu rechtfertigen, und erregten die Soldaten, indem sie versuchten, mit der rechten Hand das zu nehmen, was der linken entglitten war.

Inzwischen verlangte im Sowjet bereits die Mehrheit der Deputierten Wählbarkeit der Kommandeure. Die Demokraten wurden unruhig. Suchanow, der keine besseren Argumente finden konnte, drohte, die Bourgeoisie, der die Macht übergeben war, würde auf Wählbarkeit nicht eingehen. Die Demokraten versteckten sich ungeniert hinter Gutschkows Rücken. Bei diesem Spiel nahmen die Liberalen den gleichen Platz ein, den beim Spiel des Liberalismus die Monarchie einnehmen sollte. „Als ich vom Podium zu meinem Platze ging“, erzählt Suchanow, „stieß ich auf einen Soldaten, der mir den Weg versperrte und, vor meinen Augen mit den Fäusten fuchtelnd, wutentbrannt gegen die Herren wetterte, die niemals in der Soldatenhaut gesteckt hätten.“ Nach diesem „Exzeß“ lief unser Demokrat, der seine Fassung endgültig verloren hatte, Kerenski zu suchen, und erst mit dessen Hilfe „wurde die Frage dann irgendwie verwischt“. Diese Menschen taten nichts anderes, als Fragen zu verwischen.

Zwei Wochen lang war es ihnen gelungen, so zu tun, als bemerkten sie den Krieg nicht. Schließlich wurde ein weiteres Hinausschieben unmöglich. Am 4. März brachte das Exekutivkomitee im Sowjet den von Suchanow geschriebenen Entwurf eines Manifestes An die Völker der ganzen Welt ein. Die liberale Presse nannte sehr bald dieses Dokument, das die rechten und linken Versöhnler vereinigte, den „Befehl Nr. 1 auf dem Gebiet der Außenpolitik“. Doch diese schmeichelhafte Bezeichnung war ebenso unwahrhaftig wie das Dokument, auf das sie sich bezog. Der Befehl Nr. 1 war eine ehrliche, direkte Antwort der unteren Schichten auf jene Fragen, die die Revolution vor der Armee aufgerichtet hatte. Das Manifest vom 14. März war eine treubrüchige Antwort der oberen Schichten auf Fragen, die ihnen von den Soldaten und Arbeitern ehrlich gestellt worden waren.

Das Manifest drückte allerdings das Streben nach Frieden aus, und zwar nach einem demokratischen, ohne Annexionen und Kontributionen. Aber diese Phraseologie hatten die Imperialisten des Westens lange vor der Februarrevolution anzuwenden gelernt. Gerade im Namen eines gesicherten, ehrlichen, „demokratischen“ Friedens schickte sich Wilson in jenen Tagen an, in den Krieg einzutreten. Der fromme Asquith gab im Parlament eine gelehrte Klassifizierung der Annexionen, aus der sich unzweifelhaft ergab, daß alle jene Annexionen als unsittlich zu verurteilen waren, die den Interessen Großbritanniens widersprachen. Was die französische Diplomatie betrifft, so bestand ihr ganzes Wesen darin, der Gier des Krämers und Wucherers einen möglichst freiheitlichen Ausdruck zu verleihen. Das Sowjetdokument, dem man eine gewisse simple Aufrichtigkeit der Beweggründe nicht absprechen kann, geriet fatalerweise auf das ausgefahrene Gleis der offiziellen französischen Heuchelei. Das Manifest versprach „standhaft unsere eigene Freiheit zu verteidigen“ gegen den ausländischen Militarismus. Gerade damit aber gingen die französischen Sozialpatrioten seit August 1914 rückwärts. „Es ist für die Völker die Zeit gekommen, über die Frage des Krieges und des Friedens selbst zu entscheiden“, verkündete das Manifest, deren Verfasser soeben im Namen des russischen Volkes die Lösung dieser Frage der Großbourgeoisie überlassen hatten. Die Arbeiter Deutschlands und Österreich-Ungarns forderte das Manifest auf: „Weigert euch, ein Werkzeug der Eroberungen und Vergewaltigungen in den Händen der Könige, Gutsbesitzer und Bankiers zu sein!“ In diesen Worten lag die Quintessenz der Lüge, denn die Häupter des Sowjets dachten nicht daran, ihr eigenes Bündnis mit den Königen von Großbritannien, Belgien, mit dem Kaiser von Japan, mit den Gutsbesitzern und Bankiers, ihren eigenen sowohl wie denen der Ententeländer, zu zerreißen. Nachdem sie die Leitung der Außenpolitik an Miljukow abgetreten hatten, der sich vor kurzem noch anschickte, Ostpreußen in ein russisches Gouvernement zu verwandeln, riefen die Führer des Sowjets die deutschen und österreich-ungarischen Arbeiter auf, dem Beispiel der russischen Revolution zu folgen. Die theatralische Verurteilung des Krieges änderte nichts: auch der Papst beschäftigte sich damit. Mit Hilfe pathetischer Phrasen, gerichtet gegen die Schatten von Bankier, Gutsbesitzer und König, verwandelten die Versöhnler die Februarrevolution in ein Werkzeug der realen Könige, Gutsbesitzer und Bankiers. Schon in seinem Begrüßüngstelegramm an die Provisorische Regierung bewertete Lloyd George die Russische Revolution als einen Beweis dafür, daß „der gegenwärtige Krieg in seinem Wesen ein Kampf um Volksregierung und Freiheit ist“. Das Manifest vom 14. März solidarisierte sich „in seinem Wesen“ mit Lloyd George und leistete der militaristischen Propaganda in Amerika wertvolle Hilfe. Dreifach Recht hatte die Zeitung Miljukows, als sie schrieb, daß „der Aufruf, der mit so typisch pazifistischen Tönen beginnt, im wesentlichen auf die uns mit allen unseren Verbündeten gemeinsame Ideologie hinausläuft“. Wenn die russischen Liberalen trotzdem mehr als einmal das Manifest wütend angriffen und die französische Zensur es überhaupt nicht passieren ließ, so war das von der Angst vor jener Deutung hervorgerufen, die diesem Dokument die revolutionären, aber noch vertrauensseligen Massen gaben.

Das von einem Zimmerwalder verfaßte Manifest kennzeichnete den prinzipiellen Sieg des patriotischen Flügels. In der Provinz griffen die Sowjets das Signal auf Die Losung „Krieg dem Kriege“ wurde als unzulässig erklärt. Sogar am Ural und in Kostroma, wo die Bolschewiki stark waren, erhielt das patriotische Manifest einstimmige Billigung. Nicht verwunderlich: hatten doch auch im Petrograder Sowjet die Bolschewiki diesem verlogenen Dokument keinen Widerstand geleistet.

Nach einigen Wochen war man gezwungen, eine Teilzahlung auf den Wechsel zu leisten. Die Provisorische Regierung gab eine Kriegsanleihe heraus, die allerdings „Freiheitsanleihe“ genannt wurde. Zeretelli wies nach, daß, da die Regierung „im großen und ganzen“ ihren Verpflichtungen nachkomme, die Demokratie die Anleihe unterstützen müsse. Im Exekutivkomitee vereinigte der oppositionelle Flügel mehr als ein Drittel der Stimmen auf sich. Doch im Plenum des Sowjets stimmten am 22. April gegen die Anleihe nur 112 von annähernd 2.000 Deputierten. Daraus zog man manchmal den Schluß: das Exekutivkomitee sei linker als der Sowjet. Das war aber falsch. Der Sowjet war nur ehrlicher als das Exekutivkomitee. Ist der Krieg die Verteidigung der Revolution, dann muß man Geld für den Krieg geben, muß man die Anleihe unterstützen. Das Exekutivkomitee war nicht revolutionärer, sondern verschlagener. Es lebte von Zweideutigkeiten und Ausreden. Die von ihm geschaffene Regierung unterstützte es „im großen und ganzen“ und übernahm die Verantwortung für den Krieg nur „insofern wie“. Diese kleinen Schlauheiten waren den Massen fremd. Die Soldaten konnten weder kämpfen „insofern wie“ noch sterben „im großen und ganzen“.

Um den Sieg des Staatsgedankens über die Wahnidee zu festigen, wurde General Alexejew, der am 5. März geplant hatte, die Propagandistenbanden zu erschießen, am 1. April offiziell an die Spitze der bewaffneten Macht gestellt. Von nun an war alles in Ordnung. Der Inspirator der Außenpolitik des Zarismus, Miljukow, war Minister des Auswärtigen. Der Befehlshaber der Armee unter dem Zaren, Alexejew, Oberkommandierender der Revolution. Die Nachfolgeschaft war damit vollständig hergestellt.

Gleichzeitig waren die Sowjetführer durch die Logik der Lage gezwungen, die Maschen des Netzes aufzulösen, das sie selbst geflochten. Die offizielle Demokratie hatte eine Todesangst vor jenen Kommandeuren, die sie duldete und stützte. Sie konnte nicht anders, als diesen eine Kontrolle entgegenzustellen, wobei sie bestrebt war, sie in den Soldaten zu verankern und gleichzeitig möglichst unabhängig von diesen zu machen. In der Sitzung vom 6. März erklärte das Exekutivkomitee es als wünschenswert, bei allen Truppenteilen und militärischen Ämtern eigene Kommissare einzuführen. So entstand eine dreifache Verbindung: die Truppenteile delegierten ihren Vertreter in den Sowjet; das Exekutivkomitee schickte seine Kommissare in die Truppenteile, und schließlich wurde an die Spitze jedes Truppenteils ein gewähltes Komitee gestellt, das so etwas wie eine untere Zelle des Sowjets bildete.

Eine der wichtigsten Aufgaben der Kommissare bestand in der Überwachung der politischen Zuverlässigkeit der Stäbe und des Kommandobestandes. „Das demokratische Regime hat bald das selbstherrliche übertroffen“, entrüstet sich Denikin und fügt prahlend gleich hinzu, wie geschickt sein Stab die chiffrierte Korrespondenz der Kommissare mit Petrograd abfing und ihm übermittelte. Monarchisten und Verteidiger der Leibeigenschaft auf die Finger zu schauen – was kann es Empörenderes gehen? Etwas anderes ist, die Korrespondenz der Kommissare mit der Regierung zu stehlen. Wie es auch mit der Moral bestellt gewesen sein mag, die inneren Beziehungen des leitenden Armeeapparates treten in aller Kraßheit hervor: beide Parteien fürchten einander und überwachen sich feindselig. Sie verbindet nur die gemeinsame Angst vor den Soldaten. Selbst die Generale und Admirale, wie ihre weiteren Pläne und Hoffnungen auch gewesen sein mochten, sahen klar, daß es ihnen ohne demokratische Deckung nicht gut gehen würde. Die Bestimmungen über die Komitees bei der Flotte wurden von Koltschak ausgearbeitet. Er rechnete damit, sie später zu erdrosseln. Da man aber heute keinen Schritt ohne die Komitees machen konnte, kam Koltschak beim Hauptquartier um deren Bestätigung ein. In ähnlicher Weise schickte General Markow, einer der späteren weißen Heerführer, Anfang April an das Ministerium einen Entwurf betreffend die Einsetzung von Kommissaren zur Überwachung der Loyalität des Kommandobestandes. So brachen unter dem Ansturm der Revolution die „uralten Gesetze der Armee“, das heißt die Traditionen des militärischen Bürokratismus, wie Strohhalme zusammen.

Die Soldaten gingen vom anderen Ende an die Komitees heran und schlossen sich um sie zusammen gegen den Kommandobestand. Und wenn auch die Komitees die Kommandeure gegen die Soldaten schützen, so doch nur bis zu einer bestimmten Grenze. Die Lage des Offiziers, der mit dem Komitee in Konflikt geraten war, wurde unerträglich. So entstand das ungeschriebene Gesetz der Soldaten, die Befehlshaber absetzen zu können. An der Westfront mußten nach Denikins Bericht bis Anfang Juli an die sechzig alte Befehlshaber, vom Korpskommandeur bis zum Regimentskommandeur, abtreten. Ähnliche Absetzungen erfolgten auch innerhalb der Regimenter.

Inzwischen ging im Kriegsministerium, im Exekutivkomitee, in den Sitzungen der Kontaktkommission eine mühselige Kanzleiarbeit vonstatten, die die Aufgabe hatte, „vernünftige“ Formen der Beziehungen in der Armee zu schaffen und die Autorität der Vorgesetzten zu heben durch Herabminderung der Bedeutung der Armeekomitees auf eine untergeordnete, hauptsächlich wirtschaftliche Rolle. Aber während die erhabenen Führer mit dem Schatten eines Besens den Schatten der Revolution säuberten, entfalteten sich die Komitees zu einem mächtigen zentralisierten System, das bis zum Petrograder Exekutivkomitee hinaufreichte und diesem organisatorisch die Macht über die Armee sicherte. Diese Macht nutzte jedoch das Exekutivkomitee hauptsächlich dazu aus, um die Armee mittels der Kommissare und der Komitees wieder in den Krieg einzuspannen. Die Soldaten sind immer häufiger gezwungen, über die Frage nachzudenken, wie es denn komme, daß die von ihnen gewählten Komitees häufig nicht das aussprechen, was sie, die Soldaten, denken, sondern das, was von ihnen, den Soldaten, die Vorgesetzten wünschen.

Die Schützengräben schicken m immer größerer Zahl Deputierte in die Hauptstadt, um zu erfahren, was denn los sei. Seit Anfang April besteht eine ununterbrochene Verbindung mit der Front, jeden Tag finden im Taurischen Palais Kollektivbesprechungen statt, die von draußen ankommenden Soldaten bewegen schwer ihre Hirne in dem Bemühen, sich in den Geheimnissen der Politik des Exekutivkomitees zurechtzufinden, das auf keine ihrer Fragen klare Antwort geben kann. Die Armee geht mühselig auf die Position der Sowjets über, um sich so klarer von der Unzulänglichkeit der Sowjetleitung zu überzeugen.

Die Liberalen, die nicht wagen, sich dem Sowjet offen entgegenzustellen, versuchen dennoch einen Kampf um die Armee zu führen. Als politisches Band mit ihr muß natürlich der Chauvinismus herhalten. In einer der Unterredungen mit Abgesandten aus den Schützengräben verteidigte der kadettische Minister Schingarew den Befehl Gutschkows gegen die „übermäßige Nachsicht“ mit den Gefangenen, verweisend auf die „deutschen Greueltaten“. Der Minister fand nicht die geringste Zustimmung. Die Versammlung sprach sich entschieden für die Erleichterung des Schicksals der Gefangenen aus. Das waren die gleichen Männer, die die Liberalen beständig der Exzesse und Greueltaten beschuldigten. Aber die graue Frontmasse hatte ihre Maßstäbe. Sie betrachtete es als erlaubt, Rache zu nehmen an einem Offizier für Quälereien der Soldaten; aber sie betrachtete es als eine Niedrigkeit, Rache zu nehmen an einem gefangenen deutschen Soldaten wegen tatsächlicher oder angeblicher Greueltaten Ludendorffs. Die ewigen Normen der Moral blieben, ach, diesen knorrigen und verlausten Bauern fremd.

Aus den Versuchen der Bourgeoisie, die Armee in ihre Hände zu bekommen, entstand auf der Delegiertenkonferenz der Westfront vom 7.-10. April zwischen den Liberalen und den Versöhnlern ein übrigens nicht zur Entfaltung gelangter Wettstreit. Die erste Konferenz einer der Fronten sollte die entscheidende politische Nachprüfung der Armee werden, und beide Parteien schickten ihre besten Kräfte nach Minsk. Der Sowjet: Zeretelli, Tschcheidse, Skobeljew, Gwosdjew; die Bourgeoisie: Rodsjanko höchstselbst, den Kadettendemosthenes Roditschjew und andere. Leidenschaftliche Spannung herrschte in dem überfüllten Theatergebäude zu Minsk und verbreitete sich von dort aus wellenartig über die Stadt. Die Berichte der Delegierten ergaben ein Bild dessen, was ist. An der ganzen Front geht die Verbrüderung vor sich, die Soldaten ergreifen immer kühner die Initiative, das Kommando vermag an Repressalien nicht einmal zu denken. Was konnten da die Liberalen sagen? Angesichts dieses leidenschaftlichen Auditoriums verzichteten sie sogleich auf den Gedanken, ihre Resolutionen denen der Sowjets entgegenzustellen. Sie beschränkten sich auf patriotische Töne in ihren Begrüßungsreden und wurden bald völlig hinweggespült. Die Schlacht war von den Demokraten ohne Kampf gewonnen. Sie brauchten die Massen nicht gegen die Bourgeoisie zu führen, sondern mußten sie zurückhalten. Die Losung des Friedens, zweideutig mit der Losung der Verteidigung der Revolution im Geiste des Manifestes vom 14. März verflochten, beherrschte den Kongreß. Die Sowjetresolution über den Krieg wurde mit 610 gegen 8 Stimmen bei 46 Stimmenthaltungen angenommen. Die letzte Hoffnung der Liberalen, dem Hinterland die Front, dem Sowjet die Armee entgegenstellen zu können, zerstob in Asche. Doch auch die demokratischen Führer kehrten vom Kongreß zurück, mehr verängstigt als begeistert über ihren Sieg. Sie hatten die Geister erblickt, die die Revolution erweckt hatte, und sie fühlten, daß sie diesen Geistern nicht gewachsen waren.

 


Zuletzt aktualisiert am 15.10.2003