Leo Trotzki

Terrorismus und Kommunismus

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Das „Kräfteverhältnis“

Ein Beweisgrund, den die Kritik am Sowjetregime Rußlands und besonders die Kritik an dem revolutionären Versuch der Aufrichtung desselben Regimes in anderen Ländern unvermeidlich wiederholt, – das ist der Beweisgrund des Kräfteverhältnisses. Das Sowjetregime in Rußland sei utopisch, denn „es entspreche nicht dem Kräfteverhältnis“. Das rückständige Rußland könne sich nicht Aufgaben stellen, denen das vorgeschrittene Deutschland gewachsen sei. Aber auch für das Proletariat Deutschlands wäre es ein Wahnsinn, die politische Macht zu ergreifen, da dies „gegenwärtig“ das Kräfteverhältnis stören würde. Der Völkerbund sei unvollkommen, dafür entspreche er aber dem Kräfteverhältnis. Der Kampf um den Sturz der imperialistischen Herrschaft sei utopisch, – dem Kräfteverhältnis aber entspreche die Aenderung des Versailler Vertrages. Wenn Longuet hinter Wilson herläuft, so geschehe das nicht infolge der politischen Haltlosigkeit Longuets, sondern im Namen des Gesetzes des Kräfteverhältnisses. Der österreichische Präsident Seitz und der Kanzler Renner müssen, nach der Meinung Friedlich Adlers, ihre kleinbürgerliche Trivialität auf zentralen Posten der bürgerlichen Republik üben, denn sonst würde das Kräfteverhältnis gestört werden. Zwei Jahre vor dem Weltkriege setzte mir Karl Renner, damals noch nicht Kanzler, sondern „marxistischer“ Anwalt des Opportunismus, auseinander, daß das Zarenregiment vom 3. Juli, d. h. der von der Monarchie gekrönte Bund der Großgrundbesitzer und Kapitalisten, sich in Rußland unausbleiblich im Laufe einer ganzen historischen Epoche halten würde, da dies dem Kräfteverhältnis entspreche.

Was ist denn dies Kräfteverhältnis für eine sakramentale Formel, die den ganzen Verlauf der Geschichte, en gros und en detail, bestimmen, lenken und erklären muß? Warum eigentlich tritt diese Formel des Kräfteverhältnisses in der jetzigen Schule Kautskys unvermeidlich auf, als Rechtfertigung der Unentschlossenheit, der Stagnation, der Feigheit, des Treubruchs und des Verrats?

Unter „Kräfteverhältnis“ versteht man alles, was man will: die erreichte Höhe der Produktion, die Stufe der Klassendifferenzierung, die Zahl der organisierten Arbeiter, den Kassenbestand der Gewerkschaftsverbände, manchmal das Resultat der letzten Parlamentswahlen, nicht selten den Grad der Nachgiebigkeit des Ministeriums oder die Stufe der Unverschämtheit der Finanzoligarchie, – am häufigsten endlich jenen summarischen politischen Eindruck, den der halbblinde Pedant oder der sogenannte reale Politiker empfängt, der, obgleich er sich die Phraseologie des Marxismus aneignet, sich in der Tat von den abgeschmacktesten Kombinationen, spießbürgerlichen Vorurteilen und parlamentarischen „Merkmalen“ leiten läßt. Nach einem Getuschel mit dem Direktor des Polizeidepartements wußte der österreichische sozialdemokratische Politiker in der guten und gar nicht so alten Zeit immer ganz genau, ob – dem Kräfteverhältnis nach – eine friedliche Straßendemonstration am 1. Mai in Wien zulässig sei oder nicht. Für die Ebert, Scheidemann und David wurde das Kräfteverhältnis vor nicht zu langer Zeit durch die Anzahl der Finger gemessen, die ihnen Bethmann-Hollweg oder Ludendorff in eigener Person beim Empfang im Reichstage entgegenstreckten.

Nach Friedrich Adler würde die Errichtung einer Sowjetregierung in Oesterreich eine verderbliche Störung des Kräfteverhältnisses sein: die Entente würde Oesterreich dem Hunger preisgeben. Als Beweis wies Adler auf dem Rätekongreß – Juli 1919 – auf Rußland und Ungarn hin, wo es in jener Periode den ungarischen Rennern noch nicht gelungen war, mit Hilfe der ungarischen Adler die Räteregierung zu stürzen. Auf den ersten Blick konnte es in der Tat scheinen, als ob Friedrich Adler in bezug auf Ungarn Recht behalten habe: die proletarische Diktatur wurde dort gestürzt und ihre Stelle nahm das Ministerium Friedrich ein. Es ist aber durchaus zulässig, zu fragen, ob das dem Kräfteverhältnis entsprach. Auf jeden Fall wären Friedrich und sein Huszar auch nicht zeitweilig an die Macht gestellt worden, wenn die rumänische Armee nicht dagewesen wäre. Hieraus folgt deutlich, daß man bei der Erklärung des Schicksals der Sowjetmacht in Ungarn das „Kräfteverhältnis“ in mindestens zwei Ländern in Betracht ziehen muß: in Ungarn selbst und in dem benachbarten Rumänien. Es ist aber nicht schwer zu begreifen, daß man dabei nicht Halt machen darf: wäre in Oesterreich die Rätediktatur vor dem Eintritt der ungarischen Krisis errichtet worden, so hätte sich der Sturz der Sowjetregierung in Budapest als eine ungleich schwierigere Aufgabe erwiesen. Folglich muß auch Oesterreich mit der verräterischen Politik Friedrich Adlers in das Kräfteverhältnis eingeschlossen werden, das den vorläufigen Sturz der Sowjetmacht in Ungarn bestimmte.

Friedrich Adler selbst sucht jedoch den Schlüssel zum Kräfteverhältnis nicht in Rußland und Ungarn, sondern im Westen, in den Ländern Clemenceaus und Lloyd Georges: die haben Korn und Kohle in Händen; Kohle und Korn aber sind, besonders in unserer Zeit, ein ebenso erstklassiger Faktor in der Mechanik des Kräfteverhältnisses, wie die Kanonen in der Lasalleschen Verfassung. Der erhabene Gedanke Adlers besteht bei Lichte besehen folglich darin, daß das österreichische Proletariat so lange nicht die Macht ergreifen dürfe, bis ihm dies von Clemenceau (oder von Millerand, d. h. dem Clemenceau zweiter Sorte) gestattet werde.

Jedoch auch hier ist die Frage zulässig: entspricht Clemenceaus Politik selbst dem wirklichen Kräfteverhältnis? Auf den ersten Blick mag es scheinen, daß die Gendarmen Clemenceaus, – die die Arbeiterversammlungen auseinanderjagen, die Kommunisten verhaften und erschießen, – das Kräfteverhältnis genügend, wenn auch nicht beweisen, so doch sicherstellen. Aber hier kann man nicht umhin, daran zu denken, daß die terroristischen Maßnahmen der Sowjetmacht, d. h. dieselben Haussuchungen, Verhaftungen und die Anwendung der Todesstrafe, – hier allerdings gegen die Gegenrevolutionäre gerichtet, – von so manchem für einen Beweis dafür gehalten werden, daß die Sowjetmacht dem Kräfteverhältnis nicht entspricht. Vergeblich würden wir jedoch gegenwärtig in der ganzen Welt nach einem Regime suchen, das zu seiner Aufrechterhaltung nicht harte Massenrepressalien anwendet. Das bedeutet, daß die feindlichen Klassenkräfte nach Durchbrechung der Hüllen eines jeden, darunter auch des „demokratischen“ Rechts, bestrebt sind, ihre neuen Wechselbeziehungen durch schonungslosen Kampf zu bestimmen.

Als in Rußland das Sowjetsystem errichtet wurde, erklärten nicht nur die kapitalistischen Politiker, sondern auch die sozialistischen Opportunisten aller Länder dies für eine freche Herausforderung des Kräfteverhältnisses. In dieser Beziehung bestanden keine Meinungsverschiedenheiten zwischen Kautsky, dem habsburgischen Grafen Czernin und dem bulgarischen Ministerpräsidenten Radoslawow. Seit der Zeit ist die österreichisch-ungarische und die deutsche Monarchie zusammengebrochen und der mächtigste Militarismus der Welt zu Staub geworden. Die Sowjetmacht hat sich behauptet. Die siegreichen Ententeländer haben alles, was sie konnten, mobilisiert und ihr entgegengeworfen. Die Sowjetmacht hat standgehalten. Hätte man Kautsky, Friedrich Adler oder Otto Bauer vor zwei Jahren vorausgesagt, daß die Diktatur des Proletariats in Rußland erst dem Ansturm des deutschen Imperialismus, darauf in ununterbrochenem Kampf dem Imperialismus der Ententeländer standhalten werde, so würden die Weisen der Zweiten Internationale eine solche Prophezeiung für eine lächerlich falsche Auffassung des Kräfteverhältnisses gehalten haben.

Die Wechselbeziehungen der politischen Kräfte werden in jedem gegebenen Augenblick unter dem Einfluß der grundlegenden und abgeleiteten Machtfaktoren verschiedener Stufen gebildet und nur in ihrer tiefsten Grundlage werden sie durch die Entwicklungsstufe der Produktion bestimmt. Die soziale Struktur des Volkes bleibt hinter der Entwicklung der Produktivkräfte sehr stark zurück. Das Kleinbürgertum und insbesondere die Bauernschaft erhalten ihre Existenz aufrecht, nachdem ihre Wirtschaftsmethoden längst aufgegeben und von der produktivtechnischen Entwicklung der Gesellschaft verurteilt und überholt sind. Das Bewußtsein der Massen bleibt seinerseits außerordentlich hinter der Entwicklung der sozialen Verhältnisse zurück; das Bewußtsein der alten sozialistischen Parteien bleibt um eine ganze Epoche hinter der Stimmung der Massen zurück, und das Bewußtsein der alten Parlaments- und Trade- Unionsführer, das reaktionärer als das Bewußtsein ihrer Partei ist, stellt einen erstarrten Klumpen dar, den die Geschichte bis zum gegenwärtigen Augenblick weder zu verdauen noch auszustoßen vermochte. In der friedlichen parlamentarischen Epoche, bei der Widerstandsfähigkeit der sozialen Beziehungen, wurde allen laufenden Berechnungen – ohne schreiende Fehler – der psychologische Faktor zugrundegelegt : es wurde angenommen, daß die Parlamentswahlen annähernd vollkommen das Kräfteverhältnis widerspiegeln. Der imperialistische Krieg hat, nachdem er das Gleichgewicht der bürgerlichen Gesellschaft gestört hat, die volle Untauglichkeit der alten Kriterien offenbart, die jene tiefen historischen Faktoren absolut nicht berühren, die sich in der vorhergehenden Epoche allmählich angehäuft haben und jetzt mit einem Mal hervorgetreten sind und die Bewegung der Geschichte bestimmen.

Die politischen Routiniers, die unfähig sind, den geschichtlichen Prozeß in seiner Gesamtheit, in seinen inneren Widersprüchen und Gegensätzen zu erfassen, stellten sich die Sache so vor, als ob die Geschichte das sozialistische Regime gleichzeitig von allen Seiten und planmäßig vorbereite, so daß die Konzentration der Produktion, die kommunistische Moral des Erzeugers und des Konsumenten gleichzeitig mit dem elektrischen Pfluge und der Parlamentsmehrheit reifen. Hieraus folgte ein rein mechanisches Verhältnis zum Parlamentarismus, der in den Augen der Mehrheit der Politiker der Zweiten Internationale ebenso unfehlbar den Reifegrad der Gesellschaft für den Sozialismus angibt, wie der Manometer die Kraft der Dampfspannung. Indessen gibt es nichts Sinnloseres, als eine solche mechanisierte Vorstellung von der Entwicklung der gesellschaftlichen Verhältnisse.

Wenn man von der Produktionsbasis der Gesellschaft an die Stufen des Ueberbaues: der Klassen, des Staates, des Rechts, der Parteien usw. verfolgt, so kann man feststellen, daß die Trägheit jedes weiteren Ueberbaues nicht einfach zu der Trägheit der vorhergehenden Stufe addiert, sondern in vielen Fällen mit der Trägheit der vorhergehenden multipliziert werden muß. Als Endergebnis offenbart sich das politische Bewußtsein der Gruppen, die sich lange für die vorgeschrittensten hielten, im Augenblick des Umschwunges als ein kolossaler Hemmschuh der historischen Entwicklung. Gegenwärtig ist unzweifelhaft, daß die an der Spitze des Proletariats stehenden Parteien der Zweiten Internationale, die nicht gewillt waren, es nicht wagten und nicht verstanden, im kritischsten Augenblicke der menschlichen Geschichte die Macht in ihre Hände zu nehmen, und die das Proletariat auf den Weg der imperialistischen gegenseitigen Vernichtung führten, sich als entscheidende Kraft der Gegenrevolution entpuppt haben.

Die machtvollen Produktivkräfte, dieser Antrieb der geschichtlichen Bewegung, erstickten in den rückständigen Ueberbauinstitutionen (Privateigentum und Nationalstaat), in die sie durch die vorhergehende Entwicklung eingepfercht waren. Vom Kapitalismus aufgezogen, klopften die Produktivkräfte an alle Wände des national-bürgerlichen Staates, ihre Befreiung vermittelst der sozialistischen Organisation der Wirtschaft im Weltmaßstäbe fordernd. Die Trägheit der sozialen Gruppierungen, die Trägheit der politischen Kräfte, die sich als unfähig erwiesen, die alten Klassengruppierungen zu zerstören; die Trägheit und der Verrat der leitenden sozialistischen Parteien, die tatsächlich den Schutz der bürgerlichen Gesellschaft übernommen hatten, – das alles führte zur elementaren Empörung der Produktivkräfte in der Form des imperialistischen Krieges. Die menschliche Technik, dieser revolutionärste Faktor der Geschichte, erhob sich mit ihrer durch Jahrzehnte aufgehäuften Macht gegen den widerwärtigen Konservatismus und den schändlichen Stumpfsinn der Scheidemann, Kautsky, Renaudel, Vandervelde, Longuet und veranstaltete vermittelst ihrer Haubitzen, Mitrailleusen, Dreadnoughts und Luftschiffe eine rasende Zerstörung der menschlichen Kultur.

Auf diese Weise besteht die Ursache des Elends, das die Menschheit gegenwärtig durchmacht, gerade darin, daß die Entwicklung der technischen Macht des Menschen über die Natur schon längst für die Sozialisierung der Wirtschaft reif war, daß das Proletariat in der Produktion eine Stellung eingenommen hat, die seine Diktatur vollkommen sicherte, während die bewußtlosen Kräfte der Geschichte – die Parteien und ihre Führer – sich noch vollständig unter dem Joch der alten Vorurteile befanden und nur das Mißtrauen der Massen zu sich selbst nährten. Vor einigen Jahren verstand das Kautsky. „Das Proletariat ist gegenwärtig so erstarkt,“ schrieb Kautsky in der Broschüre Der Weg zur Macht, „daß es mit großer Ruhe den herannahenden Sieg erwarten kann. Von einer vorzeitigen Revolution kann nicht mehr die Rede sein zu einer Zeit, wo das Proletariat aus der gegebenen staatlichen Basis so viel Kräfte gezogen hat, wie man aus ihr schöpfen konnte und wo ihr Umbau zu einer Bedingung seines ferneren Aufschwunges geworden ist.“ Von dem Augenblick an, wo die Entwicklung der Produktivkräfte, die über den Rahmen des national-bürgerlichen Staates hinausgewachsen sind, die Menschheit in die Epoche der Krisen und Erschütterungen hineingezogen hat, ist das Bewußtsein der Massen durch drohende Stöße aus dem relativen Gleichgewicht der vorhergehenden Epoche gebracht worden. Die Routine und die Trägheit der Lebensgewohnheiten, die Hypnose der friedlichen Legalität haben ihre Macht über das Proletariat verloren. Es hat aber noch nicht bewußt und bedingungslos den Weg des offenen revolutionären Kampfes betreten. Es schwankt, denn es durchlebt die letzten Stunden des labilen Gleichgewichts. In diesem Augenblick des psychologischen Umschwunges ist die Rolle des Gipfels, der Staatsmacht einerseits und der revolutionären Partei andererseits, von kolossaler Bedeutung. Ein entschiedener Stoß von rechts oder von links genügt, um das Proletariat – für eine gewisse Periode – nach der einen oder andern Seite zu rücken. Das haben wir im Jahre 1914 gesehen, als die Arbeiterklasse durch den vereinten Druck der imperialistischen Regierungen und der sozialpatriotischen Parteien mit einem Mal aus ihrem Geleise und auf den Weg des Imperialismus geworfen wurde. Wir sehen dann, wie die Prüfungen des Krieges, die Kontraste seiner Resultate mit seinen ursprünglichen Losungen die Massen revolutionär erschüttern und sie für den offenen Auf stand gegen das Kapital immer fähiger machen. Unter diesen Bedingungen ist das Vorhandensein einer revolutionären Partei wichtig, die sich über die Triebkräfte der gegenwärtigen Epoche klare Rechenschaft ablegt und die ausschließliche Stellung ihrer revolutionären Klasse in der Reihe dieser Kräfte begreift, die die unerschöpflichen Kräfte dieser Klasse kennt, die an diese Klasse glaubt, die an sich glaubt, die die Macht der revolutionären Methode in der Epoche der Unbeständigkeit aller sozialen Verhältnisse kennt; die bereit ist, diese Methode anzuwenden und sie bis zu Ende zu führen, – das Vorhandensein einer solchen Partei stellt eine Tatsache von unschätzbarer geschichtlicher Bedeutung dar.

Und umgekehrt: eine über einen traditionellen Einfluß verfügende sozialistische Partei, die sich keine Rechenschaft davon ablegt, was um sie her vorgeht, die die revolutionäre Situation nicht begreift und daher nicht den Schlüssel zu ihr findet, die weder an das Proletariat noch an sich selbst glaubt, eine solche Partei ist in unserer Epoche der schädlichste historische Faktor, die Quelle der Wirren und des entkräftenden Chaos.

Derart ist gegenwärtig die Rolle Kautskys und seiner Gesinnungsgenossen. Sie lehren das Proletariat, nicht an sich selbst, sondern an sein Zerrbild im Spiegel der Demokratie zu glauben, das von dem Stiefel des Militarismus in tausend Scherben geschlagen wurde. Entscheidend für die revolutionäre Politik des Proletariats müsse, ihrer Meinung nach, nicht die internationale Situation sein, nicht der tatsächliche Zusammenbruch des Kapitals, nicht der durch diesen Zusammenbruch hervorgerufene Verfall der Gesellschaft, nicht jene objektive Notwendigkeit der Herrschaft der Arbeiterklasse, eine Notwendigkeit die aus den rauchenden Trümmerhaufen der kapitalistischen Zivilisation zum Himmel schreit, – nicht alles das müsse die Politik der revolutionären Partei des Proletariats bestimmen, sondern eine Zählung der Stimmen, die von den kapitalistischen Kalkulatoren des Parlamentarismus vorgenommen wird. Vor nur wenigen Jahren, wir wiederholen, schien Kautsky anderer Meinung zu sein.

„Wenn das Proletariat die einzige revolutionäre Klasse der Nation darstellt,“ schrieb Kautsky in seiner Broschüre Der Weg zur Macht, „so folgt hieraus, daß jeder Zusammenbruch des gegenwärtigen Regimes, ob er moralischen, finanziellen oder militärischen Charakters ist, den Bankrott aller bürgerlichen Parteien bedeutet, die für dies alles verantwortlich sind, und daß der einzige Ausweg aus dieser Sackgasse die Errichtung der Macht des Proletariats ist.“ –

Heute aber sagt die Partei der Ohnmacht und der Feigheit, die Partei Kautskys, der Arbeiterklasse:

„Es handelt sich nicht darum, ob Du gegenwärtig die einzige schöpferische Kraft der Geschichte bist, ob Du fähig bist, jene herrschende Räuberbande zu stürzen, zu der die besitzenden Klassen entartet sind, es handelt sich nicht darum, daß niemand diese Aufgabe für Dich erfüllen kann; nicht darum, daß die Geschichte Dir keinen Aufschub gibt, da der gegenwärtige Zustand des blutigen Chaos Dich selbst unter den letzten Trümmern des Kapitalismus zu begraben droht, – es handelt sich darum, daß es den herrschenden imperialistischen Banden gestern oder heute gelungen ist, 51 Prozent Stimmen gegen Deine 49 zu sammeln und die öffentliche Meinung zu betrügen, zu vergewaltigen und zu bestechen. – Es lebe die parlamentarische Mehrheit, wenn auch die Welt zugrunde geht!“


Zuletzt aktualisiert am 8. Februar 2020