MIA > Deutsch > Marxisten > Trotzki
Wostotschnoje Obosrenie, Nr. 56 und 57, 13./26 und 14./27. März 1901.
Übersetzung von Sozilistische Klassiker.
Nach dem russischen Text bei MIA.
Quelle: Sotschinenija, Band 20, Moskau-Leningrad 1926.
Verglichen mit der englischen Teilübersetzung.
Kopiert mit Dank von der Webseite Sozialistische Klassiker 2.0.
HTML-Markierung: Einde O’Callaghan für das Marxists’ Internet Archive.
Sie erinnern sich, gnädiger Herr, wie der tiers état (dritte Stand) zu gesellschaftlichem Selbstbewusstsein gelangte, mit welcher Kraft und Entschlossenheit er sich äußerte, im Namen der Gesellschaft äußerte, mit welcher er sich identifizierte. Sie erinnern sich auch der feierlichen Laute der Marseillaise, dieser kräftigen Hymne der jungen historischen Kräfte, und des Kultes der Göttin Vernunft, des genialen Wahnes, in dem der stolze menschliche Verstand im Rausche seines Sieges die Welt in seinen Tempel verwandeln wollte und die wiedergeborene Kraft des Denkens der Menschheit in dessen Priester.
Sie erinnern sich auch, wie englische Gemeinden, ohne gallischen Glanz, ohne blendend-leuchtende französische Farben, aber mit in ihrer Folgerichtigkeit beeindruckender angelsächsischer Hartnäckigkeit, Schritt für Schritt, die Gesellschaft für ihre eigene Herrschaft eroberten. Schöne Seiten der Weltgeschichte!
In den Worten einer deutschen Zeitung, die die Ergebnisse des abgelaufenen Jahrhunderts zusammenfasste, war die Bourgeoisie wahrlich nicht träge im gesellschaftlichen Kampf!
Sie eroberte den ökonomischen, aber nach ihm auch jeden anderen Boden, sie zügelte die poetischen, wissenschaftlichen und philosophischen Gedanken, sie verwandelte sie auf der einen Seite in gigantische Produktivkräfte, dank welcher die Technik sich nicht tastend und stolpernd, sondern zuversichtlich und ununterbrochen bewegte, aber auf der anderen machte sie aus der eigenen geistigen Herrschaft ein Werkzeug, das für die Rechtfertigung (sowohl in fremden als auch in ihren Augen) und für die Aufrechterhaltung der ökonomischen Herrschaft erforderlich war. Aus dem Inneren der Gesellschaft, überwiegend aus dem Milieu der Bourgeoisie selbst, bildete sich eine ganze Schicht, eine ganze Klasse von berufsmäßigen Denkern in allen ihren zeitgenössischen Verästelungen heraus ...
Mit Energie, mit Hast, mit Glauben, mit Fanatismus arbeitete dieser Gedanke zum Nutzen der Entwicklung der bürgerlichen Produktion, aber zusammen mit ihr und der Klassenherrschaft der Bourgeoisie rechtfertigte er diese Herrschaft, begründete sie, baute sie mit dem absoluten Imperativ auf dem Weg des Appells an den Verstand, diesen höchsten Autor der Form des sozialen Dasein...
Aber jetzt ist die bürgerliche Produktion mit ihrem ganzen verwickelten Arbeitsmechanismus von politischen und juristischen, wissenschaftlichen und philosophischen Rädern, Hebeln, Schrauben und geneigten Flächen befestigt, unter den Trümmern und Splittern des feudalen Produktionsgebäudes gefestigt ... leider! brach das goldene Zeitalter nicht herein.
Damals brach die Zeit der Ermüdung des bürgerlichen Geistes herein, der den Glauben an sich einbüßte. Die beste Ideologie wich aus der Bourgeoisie, welche aus einer Vertreterin der Gesellschaft sich in eine einzelne Klasse mit egoistisch-abgesonderten Interessen verwandelte. Ihre Verwesung ging tiefer und tiefer ... Sie sah die allgemeine Enttäuschung, sie versuchte ihrem früheren Glauben ihren abgekühlten Enthusiasmus mit systematischer Heuchelei unterzuschieben, – Sie vertrauten ihm leider nicht! ...
Hier ist die Quelle, die unerschöpfliche Quelle des Weltschmerzes [1], des poetischen Stöhnens, welches sich dem bürgerlichen Weltall mitteilte und das Leben mit gereimten Zeilen verdammte! ... Hier ist die Quelle, die unerschöpfliche Quelle des Pessimismus, der sich zu gut ausgebauten philosophischen Systemen entwickelte und das Weltall selbst mit gut ausgebauten Deduktionen missbilligte! ...
Weltschmerz und Pessimismus! Die sind die reumütigen Schreie der „Ritter des Geistes“, die mit solchem Eifer, mit solchem restlosen Fanatismus für die Anpflanzung des Zarenreichs der Bourgeoisie kämpften und danach mit von Entsetzen verzerrtem Gesicht sahen, was sie beinahe vollständig als das Werk ihrer Hände erachteten.
Die Handels- und Industriebourgeoisie, dieses „triumphierende Schwein“ des heutigen Tages, lauschte mit Misstrauen und Verdacht den überraschenden Reden in ihren Ohren, da sie bloß an schablonenhafte Worte der Schmeichelei, an das sympathische Rascheln von Banknoten und das melodische Klingen des Goldes gewohnt war: sie verstand nicht die soziale Quelle dieser erschütternden Reden voll gesellschaftlicher Dramatik, nicht ihren von der Vorsehung bestimmten Sinn für Gegenwart und Zukunft; dafür sah sie in ihnen das einzige ihr Naheliegende und Verständliche – Profit. Der verfettete Bourgeois schrieb sich als Pessimisten ein und sagte unter Verweis auf Byron, Heine, Leopardi und Schopenhauer der unheilverkündenden und sich Sorgen machenden Arbeitermasse: „Ich bin reich, aber der Reichtum gab mir keine Freude. Ich nahm politische Macht ein, aber die politische Macht gab mir keine Befriedigung. Ich bin Herr der Wissenschaften: sie sagt Ja, wenn ich ihr befehle, Ja zu sagen; sie leugnet, wenn ich befehle zu leugnen – aber auch die Wissenschaft brachte mir kein Glück. Deshalb strebt nicht zu sein wie ich!“. Schändliche Seiten der Weltgeschichte!
Die „Ritter des Geistes“ verfluchten die Bourgeoisie mit poetischen und philosophischen Flüchen; sie spuckten ihr auf die verwaschene Physiognomie, aber der Bourgeois wischte gelassen das Gesicht ab und unter dem Hagel der Anklagereden „akkumulierte er Mehrwert“.
Was blieb der rebellischen Intelligenz zu tun? Sie probierte alle Mittel aus: sie redete der Bourgeoisie ins Gewissen, sie drängte sie aufrichtig, vom Geist des sozialem Idealismus durchdrungen zu werden – vergeblich! Sie wandte sich an ihre Vergangenheit, appellierte an ihr Gewissen und ihren Edelmut – unfruchtbar! Sie verfluchte und geißelte mit Sarkasmus, brandmarkte und machte sie zum Gegenstand gnadenlosen Gelächters – erfolglos! Die Bourgeoisie drehte ihr den Rücken zu und fand sich neue Ideologen, genau jene, welche Ja sagen, wenn ihnen befohlen wird, Ja zu sagen. Es stimmt, diese Ideologen sind ohne Glanz und Farben, ohne hochtrabende Hoffnungen und Zuversicht, aber dafür sind sie bereit ihrem Herrn mit Glauben und Wahrheit für eine ordentliche Entlohnung zu dienen.
Wie armselig der Flug der Gedanken zumindest bei zeitgenössischen bürgerlichen Ökonomen ist, zeigen folgende Worte – ich nehme sie als Beispiel – des „bekannten französischen Ökonomen“ Paul Leroy-Beaulieu im Neuen Wiener Tageblatt: „Es wäre eine Schimäre, die Möglichkeit der Vernichtung aller Zollhindernisse zwischen unterschiedlichen europäischen Staaten in den nächsten 100 oder 200 Jahren anzunehmen“.
Ein in seiner Unkenntnis glücklicher Philister! Er ist so sicher in der Festigkeit der kleinbürgerlichen „Grundlagen“, dass er für ganze zweihundert Jahre im Voraus die Hoffnung nicht nur auf Beseitigung dieser Grundlagen zur Schimäre erklärt – darüber macht er sich nicht einmal Gedanken! –, sondern auch solch eine aus dem Blickwinkel zweier Jahrhunderte nichtige Änderung wie die „Vernichtung aller Zollhindernisse“. Aber zusammen, was für ein jämmerlicher Philister! Ich spreche nicht einmal über die großen bürgerlichen Rationalisten, die Vorläufer der Großen Revolution, mit ihrem enthusiastischen Glauben an unendlichen Fortschritt der menschlichen Art, mit dem nahe bevorstehenden Triumph des höchsten Gottes – der Vernunft; sondern es genügt vollauf, sich an progressive bürgerliche Theoretiker minderer Spannweite, zum Beispiel die Verfechter des freien Handels, die Free Trader der ersten Hälfte des abgelaufenen Jahrhunderts mit ihrer Gewissheit des nahe bevorstehenden Sieges der Handels-„Gerechtigkeit“ über Zollschranken, über diese „traurigen Überbleibsel des Zunftgeistes“ zu erinnern, damit der gestutzte Gedanke des zeitgenössischen „bekannten Ökonomen“ vor uns in seiner ganzen lachhaften Beschränktheit erscheine. Zweihundert Jahre intensiv pulsierenden Lebens und ... „Zollhindernisse“! ...
Noch ein Beispiel [2]; der Sohn eines progressive Kaufmanns Buckle glaubte aufrichtig, dass die Herrschaft der „aufgeklärten Kaufleute“ abschließend den Krieg als Form des zoologischen Kampfes, aber nicht der sozialen Konkurrenz des Menschen mit den Menschen zum Besitz einer düsteren Vergangenheit machen werde, aber jetzt räsoniert das allmächtige Organ der scheinheiligen englischen Bourgeoisie, die Times, in einem Weihnachts-Leitartikel mit dreister Heuchelei: „Krieg ist nötig ... im Krieg ist es aber erforderlich, einander zu töten, doch man muss es auf christliche Weise bewerkstelligen“ [3] ...
Und welche tödliche Ironie erklingt nun in Verbindung mit dem Verhalten Englands im Süden Afrikas, mit der Tätigkeit von „aufgeklärten Kaufleuten“ wie Cecil Rhodes, Chamberlain & Co und ihren Verteidigern wie Roberts und Kitchener, in folgenden Worten J. St. Mills: „Der englische Staat begriff mehr als andere die Bedeutung der Freiheit, und was auch immer dessen Fehler in der Vergangenheit gewesen sein mögen, gelangte in seinen Beziehungen zu anderen Staaten zu einer solchen Aufrichtigkeit und Redlichkeit, dass andere große Völker sie für unmöglich oder sogar für unerwünscht halten“. ([Betrachtungen über die] Repräsentativregierung“) [4]
Die Evolution der Bourgeoisie von ihrem ruhmreichen Beginn zu einem traurigen Ende liegt vor uns. Solange die Bourgeoisie gegen Feudalismus, Absolutismus, Katholizismus, Zunftbeschränkungen usw. ankämpfte, verkörperte sie Fortschritt, Bewegung vorwärts, war sie Trägerin fortgeschrittener Ideale, riss sie die Gesellschaft hinter sich mit.
Als sie aber sich des Feldes bemächtigt hatte, sie sich abschließend bemühte, in diesen Positionen festen Fuß zu fassen und eher bereit war, zurückzuweichen als sich vorwärts zu bewegen, verurteilte die Geschichte sie zu Ideenlosigkeit, zu moralisch-politischer Verwesung. Das Leben ist erbarmungslos: jene, die zurückschauen, sucht sie wie die Ehefrau Lots mit fürchterlicher Vergeltung heim.
Da die Bourgeoisie das Schwanken des realen Bodens unter den Füßen fühlt, verzichtet sie allmählich sogar auf die eigene Gedankenfreiheit und beginnt, Unterstützung bei übernatürlichen Kräften zu suchen. Mystizismus wird immer mehr und mehr ihre geistige Nahrung. Brunetière fährt immer häufiger nach Rom und küsst den päpstlichen Pantoffel. [5]
Alles das spiegelt sich natürlich in der Literatur wider. Ein Beispiel aus Tausenden: das bekannte humoristische Organ der deutschen Gedankenfreiheit, der Kladderadatsch, machte seine Karriere im talentierten Kampf mit Agrariern, Ultramontanen, mit Obskuranten allgemein. Als aber nach dem preußisch-französischen Krieg sich jeder gute deutsche Bourgeois vor „nationalem Selbstbewusstsein“ aufblähte, steckte sich der Kladderadatsch mit vaterländischer Selbstzufriedenheit an und lenkte seine Satire gegen junge gesellschaftliche Kräfte, die nicht den nationalen Rausch teilten. Auf die historische Nemesis musste man nicht warten: Die Satire des Kladderadatsch wurde flach wie die Stirn des deutschen Philisters.
Oder verdient es nicht tiefe Aufmerksamkeit, dass der freisinnige
Richter Gegenstand eines achtungsvollen Nachdrucks seiner gegen Bebel
gerichteten satirischen Broschüre durch die ... Moskowskije
Wjedomosti wird. Und zu Recht: die satirische Peitsche wagt
nicht, gegen die Zukunft auszuholen!
„In diesen Tagen wird“ – lasen wir vor kurzem – „die feierliche Überführung der genauen Kopien der Prototypen unserer Maße und Gewichte (Arschin und Pfund), die in London aus Iridiumplatin angefertigt wurden, aus der Hauptkammer der Maße und Gewichte in das Gebäude des Senats stattfinden. Im Senat werden sie in einem eisernen an die Wand angemauerten Schrank sein“. (Wostotschnoje Obosrenie, Nr. 21)
Die feierliche Überführung des Arschins und des Pfundes! Pfund und Arschin sind wahrhafte Reliquien der bürgerlichen Gesellschaft!
Im Übrigen werden die genannten vaterländischen Maßeinheiten schnell durch das europäische Meter und Gramm ersetzt werden: und in der Sphäre der Messung wie in allen anderen übernimmt die russländische Bourgeoisie die fertigen Resultate der europäischen Technik, erhält sie umsonst, ohne Arbeit und Kampf. Die europäische Bourgeoisie beschaffte sich alles das bei weitem nicht so leicht. Sie kämpfte lange und beharrlich für die Freiheit der Gedanken und des Wortes, weil es erforderlich war, jene politische und rechtliche Atmosphäre zu schaffen, in welcher die vor den feierlichen bürgerlichen Wagen gespannte Wissenschaft maximale Resultate im Sinne der Intensivierung der Produktivkräfte geben würde.
Aber die vaterländische Bourgeoisie, wiederhole ich, bestellt die „Technik“ bereits in fertiger Gestalt aus dem Ausland, und im Grenzzollamt wird diese „Technik“ von den ihr angeklebten Elementen der europäischen gesellschaftlichen Atmosphäre gereinigt und in solcher unschädlich gemachten Gestalt dient sie den Erfordernissen der vaterländischen Handels- und Industrieklassen. Als Resultat bleibt vom Anteil der „historischen Mission“ des gesellschaftlichen Schaffens unseres tiers état beinahe nichts.
Wie aufmerksam Sie auch den Stimmen, die aus dem Milieu unseres dritten Standes ausgehen, lauschen würden, das größte, was Sie vernehmen würden, das ist die Stimme eines Kaufmanns aus Odessa, eines Kaufmanns aus Tambow, eines Kaufmanns aus Zarjowokokschaisk [Joschkar-Ola], der Einmischung von Kommando unterscheidet, aber alles das sind bloß einzelne, getrennte, zufällig sich zeigende und auch zufällig verstummende Stimmen. Dies ist nicht die Stimme einer Klasse, weil als Klasse unsere Bourgeoisie stumm ist. Bestimmte gesellschaftlich-historische Horizonte hat sie nicht. Ideenlosigkeit drückte ihr auf den allerersten Schritten ihrer historischen Karriere ihren Stempel auf.
Erlauben Sie mir, eine lehrreiche Anekdote zu bringen.
Irgendein Stadtrat von Kamyschinsk bemerkte zu seinem Stadtoberhaupt, dass „nach dem Gesetz“ ihm nicht zustehe, in den Stadtkommissionen den Vorsitz zu haben, worauf dieser letztere ihm auf ungefähr solche Art widersprach: „na, genau so ist es „nach dem Gesetz“? Aber ich muss Sie leiten, wenn Sie alle ungebildete und unfähige Leute sind“. (Sewerny Kurjer [Nordkurier], Nr. 394)
„Ungebildete und unfähige Leute“! Ist das etwa nicht eine klassische Charakteristik des vaterländischen tiers état. Sicherlich muss man mangelnde Bildung hier nicht im direkten, sondern im breiteren Sinne verstehen. Was einfache Bildung betrifft, hat die neue Dorunow-Generation schon etwas. Bei uns ist ein neuer Typ Kaufmann vorhanden, wie seinerzeit verbindlich Herr Boborykin meldete, ein Kaufmann, der nach der Mode des Färbens des Nackens mit brauner Farbe das Genick englisch kämmte, längst das elterliche „estot“ und „eftot“ durch zwei-drei ausländische Dialekte ersetzte, sich in übernatürlicher Bekanntschaft mit ihren Boulevardteilen gründlich und gewissenhaft mit allen Sorten Pariser und anderer Nacktheiten bekannt machte, aber in Sachen bürgerlicher Traditionen und gesellschaftlicher Interessen ist auch dieses neue Produkt (das im Wesen kosmopolitisch, aber nicht vaterländisch ist) ein absoluter Bankrotteur.
Das Fehlen ernsthafter gesellschaftlicher Ansprüche lässt einen leeren Platz. Aber die Psyche, sowohl die individuelle als auch die Klassenpsyche, fürchtet sich vor der Leere, wie die Natur in den Vorstellungen der Antike. Auf diesem Boden kommt auch eine Gesellschaft für die Wiederaufnahme altrussischer Kostüme auf oder wird der Gedanke der Restauration des Samtenen Buchs geboren.
Letzteres Faktum ist ziemlich interessant. Das Samtene Buch wurde im Jahr 1807 eingeführt, um „in der Nachkommenschaft das Gedenken an die Geschlechter der Kaufmannschaft erster Klasse und erster Gilde zu verewigen“. Dieses Buch ruhte wohlbehalten im Archiv des Departments der Heraldik. Aber jetzt dachte die Kaufmannschaft von Simbirsk – man weiß nicht, woher sie die „Erleuchtung ihres Verstandes“ erhielt – an ihre Zugehörigkeit zu ersten Gilden und ersten Klassen zurück und beschloss unlängst auf einer Kaufmannsversammlung, auf den Seiten des „Samtenen Buches“ ihre ruhmreichen Namen einzuprägen, damit „man den Bestand der Familie jedes Kaufmanns von den ersten Anfängen von dessen Herkunft an sehen könne“. Ich nehme an, dass „die ersten Anfänge von deren Herkunft“ der achtbaren Kaufmannschaft von Simbirsk ohne Schaden für ihren Ruhm hätte wegfallen können, weil Gott weiß, ob der Beginn wirklich sauber ist ... Aber der Kern liegt selbstverständlich nicht darin, sondern darin, dass die von uns gebrachten Fakten, wie es scheint, die breiteste Ausprägung der gesellschaftlichen Selbstbestimmung unserer Handels- und Industrieklassen vertreten.
Nicht umsonst verwelkte der reine Liberalismus mit allen Manchester-Glaubenssymbolen bei uns, weil er nicht rechtzeitig kam, um aufblühen: er hatte entschieden keinen gesellschaftlichen Boden unter sich. Es war möglich Manchester-Ideen zu importieren, was auch der Ekonomitscheskij Ukasatel [Ökonomischer Anzeiger] machte, aber man konnte nicht das sie ernährende soziale Milieu importieren. Der Liberalismus ist nach seiner historischen Herkunft die Doktrin der progressiven Bourgeoisie: unsere Bourgeoisie aber ist im besten Falle fähig, sich Einträge im Samtenen Buch zu überlegen, und auch dann nur, falls Vorgesetzte vorher dieses Buch im Department der Heraldik einführen würden. Bemerken Sie das folgende. Die Handels- und Industriebourgeoisie in Westeuropa stach immer durch eine progressivere Richtung im Vergleich zu den Grundbesitzerklassen heraus. Aber bei uns? In der Zeit, als die Semstwos, diese vornehmlichen Grundbesitzerorgane, ungeachtet der Masse von ungünstigen Bedingungen, es schafften, in ihrer Praxis bestimmte, zumindest doch minimale Traditionen herzustellen, die mit mehr oder weniger breiten gesellschaftlichen Bedürfnissen und Ansprüchen verbunden sind, werden die Stadtdumas im Allgemeinen von Unpersönlichkeit und Trägheit heimgesucht. Unter den breiten, weichen Flügeln von Schutztarifen und Begünstigungszöllen geben sich unsere Handels- und Industrieklassen süßem Bürgerschlummer hin, während die Grundbesitzerklassen durch diese Tarife und Zölle selbst eine Vielzahl im Allgemeinen wenig tröstlicher Vergleiche, Parallelen und Schlussfolgerungen anpeilen, welche in ihnen das Bedürfnis breiterer Aktivität herbeirufen.
In der gegenwärtigen Zeit, wo Russland so schnell ist ... mit der Eisenbahn ... mit ... usw., usw., usw., ist es natürlich unbegründet, von einer Totgeburt unseres Kapitalismus zu reden, von einem Fehlen einer Zukunft bei ihm etc., etc. Aber gleichzeitig gibt die laufende Wirklichkeit keineswegs ausreichende Gründe für Schwulst zum Thema der historischen Mission der russländischen Bourgeoisie und über ihre gegenwärtigen oder künftigen gesellschaftlichen Verdienste. Die Sache dabei ist, dass der Begriff Kapitalismus unvergleichlich weiter ist als der Begriff der Bourgeoisie, und wenn der Kapitalismus gemeinsam mit negativen Erscheinungen positive mit sich trägt, dann darf man zu letzteren keinesfalls jene hinzuzählen, welche von ideenlosen, passiven, „ungebildeten“ und „unfähigen“ Anwärtern auf einen Platz im Samtenen Buch verkörpert werden.
1. Im Original auf Deutsch,
2. Beginn der englischen Teilübersetzung.
3. In der englischen Teilübersetzung lautet das Zitat: „Es ist die Sache der Kämpfer, sich gegenseitig zu töten, aber ... sie sollten sich gegenseitig töten, ‚wie es Christen tun sollten‘“ Möglicherweise wurde der englische Originaltext verwendet.
4. In der englischen Teilübersetzung fehlt die Klammer mit der Quellenangabe.
5. Ende der englischen Teilübersetzung.
Zuletzt aktualiziert am 1. November 2024