Karl Renner

Die Freiheit über alles!

Liberalismus, Anarcbismus, Sozialismus

(April 1908)


Der Kampf, Jahrgang 1 7. Heft, 1. April 1908, S. 289–207.
Transkription u. HTML-Markierung: Einde O’Callaghan für das Marxists’ Internet Archive.


»Was du ererbt von deinen Vätern hast – erwirb es, nm es zu besitzen!« Gar manchen Gedankenschatz haben wir aus der abgelaufenen Zeit des Liberalismus überkommen; wir führen ihn fort im Inventar, ohne uns über seinen Wert oder Unwert Gedanken zu machen, wir nutzen ihn auch aus Bequemlichkeit, wir achten ihn aus Pietät. Aber er ist uns doch fremd und äusserlich geblieben, wir besitzen ihn in Wahrheit nicht, weil wir uns seiner nicht innerlich bemächtigt, weil wir ihn nicht »erworben« haben.

Die Schlagworte »Freiheit« und »Gleichheit« haben die Sozialdemokraten aus der philosophischen Gedankenwelt des Bürgertums übernommen, das sie heute freilich verleugnet. Der bürgerliche Liberalismus hat ihnen als »regulativen Ideen« gehuldigt, er hat ein ganzes philosophisches, politisches und wirtschaftliches System auf ihnen aufgebaut, ein Ideensystem oder eine Ideologie. Von dieser haben wir nichts mehr als abgerissene Schlagworte.

Marx und Engels haben diese Ideologien rundweg verworfen, sie haben sich verwahrt dagegen, dass ihr wissenschaftliches System auf solchen Ideen, auf den sittlichen Forderungen nach Freiheit und Gleichheit und Gerechtigkeit und dergleichen beruhe, dass der Sozialismus heute in ihnen seine Stütze, die Arbeiterbewegung in ihnen ihre Ursache habe, dass sie in irgend einer Weise nur ein Agens der sich entwickelnden Gesellschaft abgeben können. Im Gegenteil: sie kritisieren scharf die bürgerliche »Freiheit« der Konkurrenz, die bürgerliche »Rechtsgleichheit«. Marx spricht von der Gleichheit, die die Kraft eines gesellschaftlichen Vorurteils angenommen habe. Der Marxsche Sozialismus ist eher das direkte Gegenteil des bürgerlichen Liberalismus und somit die absolute Verwerfung aller naturrechtlichen Illusionen.

Und trotzdem kämpfen wir um politische »Freiheit«, um die »Gleichheit« des Wahlrechtes mit aller Leidenschaft. Liegt hierin nicht ein Widerspruch?

Andererseits hat der theoretische Anarchismus die gesamte Ideenwelt des Liberalismus übernommen und konsequent zu Ende gedacht. Die Freiheit des Individuums, die freigebildete Gruppe, der Ausschluss jeder Herrschaft, jedes Befehlens und Gehorchens, jeder Unterordnung und Ueberordnung, die absolute Gleichheit der Individuen, die vollständige Gleichheit aller Gruppen sind die Quadern des Gedankenbaues sowohl des älteren Anarchismus als des neueren. Freiheit und kein Gesetz! Selbstbestimmung des Individuums und kein Zwang! Nur Individuen, nur Gruppen und kein bindendes Gemeinwesen! Das freie Spiel der individuellen Kräfte garantiert die soziale Harmonie!

Man sieht, hier ist der Gedanke der Freiheit der letzte Bestimmungsgrund der ganzen Weltauffassung. Zugleich ist die Verneinung des bestehenden Staates, des geltenden Rechtes und Gesetzes, der heutigen Gesellschaftsordnungfortgeführt bis zur Auflösung jedes Gemeinwesens, jedes Rechtes, jeder von Menschen gesetzten Ordnung. Es bleibt nur das Individuum und die sogenannte Naturordnüng, wie sie in der Tierwelt, unter Organismen überhaupt besteht. Und diese absolute Verneinung ist sehr rasch plausibel gemacht durch Schlussfolgerungen wie folgende: Bin ich frei, wenn ich gehorchen muss? Bin ich gleich, wenn mir ein anderer übergeordnet ist? Bin ich, solange ein Gesetz besteht, nicht Sklave des Gesetzes? Bin ich weniger Sklave, wenn ich – statt dem römischen Hausvater, dem Feudalherrn, dem Unternehmer persönlich zu dienen – vor einem Begriff, einem Fetisch wie Recht, Gesetz und Ordnung niederknie? Diese Fetische sind von Menschen geschaffen! Seit wann dürfen sich Menschen einbilden, klüger und stärker zu sein als die Natur selbst, die ihre Ordnung in sich trägt? Wie kann eine menschliche Ordnung sich erheben über die Naturforschung? Entweder spricht jene dasselbe aus wie diese – dann ist sie überflüssig! Oder sie widerspricht ihr – dann ist sie falsch und schädlich! Fort also mit jeglicher Ordnung und Satzung!

Ohne Herrschaftslosigkeit (Anarchie) gibt es keine volle Befreiung. Die Freiheit über alles!

Wie bestechend würden diese Schlüsse auf Arbeiter wirken, wenn er sie nicht allzu gut kennte! Die Freiheit des Arbeitsvertrages! Das freie Spiel der Kräfte in Angebot und Nachfrage nach Arbeitskräften! Der freie Austausch der Produkte! Die freie Konkurrenz der Waren auf dem Markte! Die ökonomischen Harmonien Bastiats! Das Naturgesetz der bürgerlichen Produktionsweise! Freiheit des Individuums und natürliche Ordnung allerwege! Und was bedeutet sie für den Arbeiter? Die Freiheit, zu verhungern, die Freiheit, sich ausbeuten zu lassen, die Freiheit des Arbeitswilligen, die Freiheit, die Organisation der Arbeiter zu sprengen! Das ist die Anarchie der bürgerlichen Austauschweise, die Friedrich Engels so wunderbar analysiert hat. Und dagegen steht die sozialistische Organisation der Produktion, die bewusste Ordnung und Regelung der Wirtschaft, die Kampfdisziplin des Proletariats!

Das ist es eben – wendet der Anarchist und der Spiessbürger ein – was wir dem Sozialismus vorwerfen: Er will die Welt in eine Zwangsarbeitsanstalt verwandeln, in eine Kaserne, in ein einziges grosses Zuchthaus! Er will die Menschen zu Staatssklaven machen! Er ist schlimmer als die Despotie! – Gegenüber dem Sozialisten sind Bourgeois und Anarchist sofort eins.

Marx hat es abgelehnt, den Sozialismus auf die Idee der Freiheit aufzubauen, aber noch weniger basieren sie ihn auf dem Prinzip der Unfreiheit, Marx und Engels haben der Menschheit weder das graue Kleid des Sträflings angezogen noch das Flügelkleid des Paradieses. Sie haben die Welt, wie sie ist, beschrieben, nackt und jeder ideellen Verkleidung entblösst. Und sie haben erkannt: Hier ist Knechtschaft – obschon sie sich Freiheit nennt; hier ist Unnaturobschon sie sich natürliche Ordnung nennt. So haben sie die Tatsachen festgestellt und den Bestand der Freiheit und »Natürlichkeit« in der bürgerlichen Welt geleugnet.

Aber sie sahen zugleich, dass diese Welt kein starres System ist, sondern lebt und wandelt. Sie sahen die wimmelnden Proletariermassen, sahen sie immer mehr sich zusammenballen und Heere bilden; sie sahen die Kapitalmassen sich zu Riesenbetrieben ballen und ganze Fabriksstädte bilden. Sie sahen zugleich die Welt, die wird, in der Welt, die ist. Was ist, das ist freilich das Reich des Zwanges, der Notwendigkeit. Aber aus ihm wird ein Reich der Freiheit und der Sozialismus ist der »Sprung aus dem Reiche der Notwendigkeit in das Reich der Freiheit«.

Für Marx und Engels ist die Freiheit also nicht mehr eine Idee – das heisst eine Seifenblase des Gehirns; nicht mehr ein Prinzip – das heisst eine Rosabrille, mit der wir unsere Augen bewaffnen, um das Düster unseres Daseins nicht düster zu sehen und uns über das irdische Jammertal wegzutäuschen; nicht mehr blosses Programm – das heisst ein heisser Wunsch, aber immerhin nur ein Wunsch. Die Freiheit ist durch Marx uns die kommende Wirklichkeit geworden. Die Wirklichkeit, die nicht zuletzt deshalb kommen muss, weil wir sie wollen müssen!

»Nun, dann ist der Sozialismus« – wendet der Anarchist ein – »nur ein weiter Umweg zum Anarchismus. Unser Ideal ist die Freiheit, wir streben sie direkt an. Da ihr am letzten Ende zu eben der Freiheit kommen wollt wie wir, wozu der Umwegr« Und der Liberale meint überlegen: »Wenn ihr durch grosse Umwälzungen hindurch erst zu der Freiheit kommen wollt, die ich ohnehin schon besitze, dann danke ich für eure Ratschläge!«

Man sieht, jeder der beiden versteht unter Freiheit etwas ganz anderes als wir. Es gibt kaum ein so vieldeutiges Wort wie Freiheit, darüber ist die Wissenschaft sich schon seit zweitausend Jahren im reinen und die Antwort auf unsere Fragen haben schon Plato und Aristoteles gegeben; Locke, Montesquien, Rousseau, Kant und alle die späteren haben uns zwischen Freiheit und Freiheit unterscheiden gelehrt. Die Anarchisten sagen uns nichts Neues, sie haben nur alte Wahrheiten verwirrt und falsch angewendet.

»Bin ich frei, wenn ich einem anderen, dem Gesetz, dem Gemeinwesen gehorchen muss?« fragt der Anarchist. Er sieht den Einzelmenschen, das Individuum, dem die Philosophen den freien Willen zuerkennen. Dieses Individuum ist ihm sofort Herr und Gott, ist Souverän – auch in der Gesellschaft der Menschen. Er sieht den Baum, aber den Wald sieht er nicht. Das ist der »Einzige« Max Stirners. Und die menschliche Gesellschaft ist nichts als eine mechanische Summe solcher Einzigen, wie der Sandhaufen aus lauter einzelnen Sandkörnern besteht. Alle Einzigen leben nebeneinander – bindungslos, ohne Einordnung unter das Ganze, ohne Unterordnung unter die Gesamtheit, ohne Herrschaft von Menschen oder Gesetzen, herrschaftslos, anarchisch. Die Freiheit, in der sie sich befinden, heisst die Freiheit der Isolierung, die anarchische Freiheit. Und in diesem Sinne kann ich mit Recht sagen: »Souverän, autonom oder anarchisch-frei bin ich nicht, wenn ich gehorchen muss oder einem Verband eingegliedert bin.«

Dieser Begriff der Freiheit ist gewiss logisch und juristisch wichtig, ein Hilfsmittel des Denkens überhaupt und des juristischen Denkens insbesondere. Aber absurd wird das Ergebnis, wenn wir ihn schlankweg auf die Wirklichkeit übertragen, wenn wir ihn der Praxis des sozialen Lebens unterschieben.

»Wer aber nicht Glied eines Verbandes sein kann oder sich selbst genügend dessen nicht bedarf, ist gar kein Element des Gemeinwesens, also entweder ein Tier oder ein Gott,« sagt Aristoteles (Politik I. i.).

Wer der natürlichen Ordnung der Dinge entsprechend bloss das verbandlose herrschaftslose Individuum hält, den soll man zwingen, die praktische Probe auf das Exempel zu machen. Man setze das Individuum, als Kind, als Knabe, als Mann, als Greis faktisch in die wirkliche Einöde, in das es sich gedanklich so bequem hineininterpretiert, und rufe ihm zu: So, mein Souverän, nun entwickle dich! Alles am Menschen ist sozial, das äussere Leben sowohl als das innere, als Sprache, Denken und Bewusstsein überhaupt.

Indessen stellt sich die neuere Schule des Anarchismus so, als ob sie dies ehrlich zugeben wollte. Sie unterscheidet sich von dem älteren Anarchismus, den sie den individualistischen nennt, dadurch, dass sie sich als kommunistischen Anarchismus zum Prinzip der Gruppe bekennt. Dadurch ersetzt sie nur die logische Konsequenz durch Unlogik, aber sie wird darum weder wissenschaftlicher noch praktischer. Denn jede Gemeinschaft hebt die anarchische Freiheit auf.

Wenn ich zwei Menschen miteinander in dauernde Beziehung setze, also einen Verband schaffe, so setze ich beide als eins, als einen Körper. Was macht sie zur Einheit? Es sind nur drei Fälle möglich und begrifflich unterscheidbar. Gleiches Fühlen (zum Beispiel dasselbe dauernde Leid), gleiches Denken (Angehörige einer wissenschaftlichen Schule, Darwinisten) oder gleiches Wollen (eine Jagdgesellschaft). Solange das Verbindende bloss in der Sphäre des Fühlens und Denkens verharrt, bleibt es rein psychisch, ohne Wirkung auf die Aussenwelt, so lange ist es sozial noch nicht relevant, nicht direkt gesellschaftbildend. Wo immer sich Menschen aufeinander praktisch beziehen, kann das, psychologisch gesehen, nur durch den Willen geschehen. Und also können sie nur eins, nur ein Freundespaar, eine Jagdgesellschaft etc. sein, wenn sich einer dem anderen unterordnet oder beide einen vorher ausgesprochenen, also objektivierten (in der Erinnerung oder schriftlich festgehaltenen) Plan oder Gesamtwillen sich dauernd unterwerfen. Mag also selbst dieser Gesamtwille zunächst durch freien Vertrag zustande-gekommen, also anarchisch gewonnen sein – was in der Regel nicht der Fall ist – so bindet er von nun an und die anarchische Freiheit ist beim Teufel.

Psychisch gesehen ist also jeder aktive Verband eine Willensgemeinschaft, formell genommen verbindet die Menschen der Wille und Willens-Ueber- und -Unterordnung, Einordnung des Individualwillens in den Gesamtwillen ist die formelle Seite des sozialen Daseins überhaupt. [1] Materiell beziehen sich die Menschen nur so aufeinander, dass sie füreinander tätig sind, mit-und füreinander arbeiten. Das materielle Band der Gesellschaft ist die Arbeit. In ihrer Arbeit beziehen sich die Menschen aufeinander. Die Beschäftigung für sich, die individuelle Betätigung für das Individuum an sich ist gar keine soziale Kategorie.

»Aus ganz gleichen Menschen kann nie ein Gemeinwesen entstehen.« (Ebd. II. i.) Gleich ist.hier selbstverständlich nicht juristisch, sondern natürlich genommen, als physiologische Gleichheit. Jeder Verband beruht auf Arbeitsteilung, also auf verschiedener Arbeit zu einem einheitlichen Ganzen. Die phvsiologische und praktische Verschiedenheit – nicht die Gleichheit – ist also die Voraussetzung des Verbands- und des sozialen Lebens. »Alles, was sich zur Einheit gestalten soll, enthält den spezifischen Unterschied in sich.« (Ebd. II. i.)

Wenn die Produktion so erfolgen könnte, dass alle nebeneinander dasselbe, jeder für sein Individuum, verrichten, so wäre jede menschliche Gesellschaft überflüssig, überflüssig eine Verständigung und die Sprache als Verständigungsmittel, wir könnten uns erlauben, Tiere, oder uns einbilden, Götter zu sein.

Die Arbeiterschaft aber, die vom Arbeiten etwas weiss, kann niemand einreden, dass wirklich so gearbeitet wird oder dass Arbeit auf solche Weise möglich ist. In jeder Werkstatt sieht der Arbeiter stündlich ein Zusammenarbeiten vieler zu einem Erfolg. Und er sieht auch mit grosser Freude, wie das Zusammenarbeiten alle Kräfte verdoppelt und vervielfacht. »... Im Mittelalter bestand allgemeiner Kleinbetrieb ... Die Arbeitsmittel waren Arbeitsmittel des einzelnen ... also notwendig kleinlich, zwerghaft, beschränkt. Diese zersplitterten engen Produktionsmittel zu konzentrieren, auszuweiten, sie in den mächtig wirkenden Produktionshebel der Gegenwart umzuwandeln, war gerade die historische Rolle der kapitalistischen Produktionsweise ...« Wie sie dies seit dem 15. Jahrhundert auf den drei Stufen der Kooperation, der Manufaktur und der grossen Industrie geschichtlich durchgeführt, das hat Marx im 4. Abschnitt des Kapital ausführlich geschildert. Aber die Bourgeoisie ... konnte jene beschränkten Produktionsmittel nicht in gewaltige Produktionskräfte verwandeln, ohne sie aus den Produktionsmitteln der einzelnen in gesellschaftliche, nur von einer Gesamtheit von Menschen anwendbare Produktionsmittel zu verwandeln. An die Stelle des Spinnrads, des Handwebstuhls, des Schmiedehammers trat die Spinnmaschine, der mechanische Webstuhl, der Dampfhammer; an Stelle der Einzelwerkstatt die das Zusammenwirken von Hunderten und Tausenden gebietende Fabrik. Und wie die Produktionsmittel, so verwandelte sich die Produktion selbst aus einer Reihe von Einzelhandlungen in eine Reihe gesellschaftlicher Akte und die Produkte aus Produkten einzelner in gesellschaftliche Produkte ... Mitten in die naturwüchsige planlose Teilung der Arbeit, wie sie in der ganzen Gesellschaft herrschte, stellte sie die planmässige Teilung der Arbeit, wie sie in der einzelnen Fabrik organisiert war; neben die Einzelproduktion trat die gesellschaftliche Produktion.

Der Arbeiter sieht diesen wundervollen Mechanismus, diese millionenfache Steigerung der individuellen Produktivkraft mit Freude, er begreift, dass die Sozialisierung der Arbeit der Hebel alles Fortschrittes ist, und beginnt über die Studentenoder Bummlerphantasie einer individualistischen, anarchischen Produktionsweise zu lächeln.

Und wenn man ihm einreden will, dass gesellschaftliche Produktion ohne Unterordnung des Einzelwillens unter den Arbeitsplan möglich sei, so muss er lächeln. Können doch nicht einmal ihrer zwei einen Pfosten schieben, wenn nicht Aviso und Kommando: Ho – ruck! die Arbeit regeln.

Ohne Befehl und Gehorsam gibt es kein Zusammenarbeiten., keine Arbeitsgemeinschaft, keinen Verband, nicht einmal einen Freundschaftsbund. Die Kunst zu befehlen und zu gehorchen – das eben ist die Disziplin. Und Disziplin fordert der Arbeiter nicht nur in seinen Organisationen, sondern auch in der Werkstatt, von Mitarbeitern sowohl wie von den Leitern der Produktion: die Disziplin als die Kunst zu befehlen – die schwere Kunst, vernünftig zu befehlen, die, wie schon der alte Aristoteles wiederholt betont hat, nur durch das Gehorchen gelernt wird: »Wer befehlen will, muss erst gehorchen lernen.«

Der Anarchist wird triumphieren: »Also die Ordnung in der Fabrik erklärt ein Sozialdemokrat, ein Marxist, für das Ideal der Freiheit!«

Nur gemach! Wir reden von den Bedingungen, unter denen überhaupt ein menschlicher Verband und Arbeit möglich ist. Ohne Ueber- und Unterordnung, ohne Einordnung ins Ganze, ohne Disziplin, die grösste der sozialen Tugenden, ist kein menschliches Zusammenleben möglich und die anarchische Freiheit hebt die menschliche Gesellschaft auf.

Wenn aber der Verband notwendig ist, wenn der Mensch wirklich nach dem Worte des Aristoteles ein Verbands wesen, ein Zoon politikon ist – gibt es dann eine Freiheit? Gibt es überhaupt auch eine Freiheiten der Gemeinschaft?

Aristoteles sagt uns schon: »Aber es gibt eine Herrschaft, zufolge der einer über seinesgleichen und über Freie herrscht.« (III. 2.) So wäre denn das, was den Anarchisten undenkbar scheint, dennoch möglich?

Sehen wir uns das Gefüge eines Verbandes an ; nehmen wir als Muster eine Jagdgesellschaft. Jedes Mitglied steht zu der Gesellschaft in mehrfacher Willensbeziehung.

Das Mitglied ist dem Verband untergeordnet, es muss einmal dem Statut unpersönlich sich unterwerfen, den Verbandsfunktionären auch persönlich gehorsamen. Während der Jagd hat es strengstens zu parieren, die Knechtschaft geht so weit, dass es am Posten vielleicht stundenlang mäuschenstill stehen und kein Wort sprechen darf. Armer Sklave!

Dabei kann er noch von Glück reden. Ginge es nicht auf die Jagd nach Wild, sondern nach Menschen, hätte er sich einer Kriegsbande – freiwillig! – angeschlossen, so stünde auf die grobe Verletzung der Disziplin sogar Todesstrafe! Gibt es einen höheren Grad von Sklaverei? Und das tut der Mann zu seinem Vergnügen oder gar aus Begeisterung!

Und doch weiss der Mann genau, was er tut. Er weiss: Ich bin nicht nur Untergeordneter, Untertan des Verbandes, also Pflichtsubjekt, sondern auch Teilhaber. Die Jagd ist geschlossen, und damit tauscht er die Rolle. Die Beute wird geteilt und er erhält seinen Anteil. Als Teilhaber ist er Rechtssubjekt im Verband. So gleicht er einem Schauspieler, der in demselben Stück zwei Rollen spielt. Hat er zuerst die Tracht des Schuldsklaven getragen, so kleidet er sich nun in das Gewand des Gläubigers.

Und als kluger Mann zieht er zum Schlüsse die Bilanz; hält der Anteil, den ich bekomme, der Mühe, die ich gehabt, die Wage?

Als Untertan, als Pflichtsubjekt schuldet das Individuum an den Verband Leistungen; dafür schuldet der Verband dem Individuum als Rechtssubjekt, als Teilhaber, Gegenleistungen. Und hier entsteht also eine neue Gleichheitsfrage, hier tritt ein Gleichheitsproblem auf, das von der oben erwähnten physiologischen Gleichheit grundverschieden ist.

Hier handelt es sich um die Gleichheit in der Gemeinschaft, um die politische Gleichheit. Und sie hat zwei Seiten:

Erstens: Jeder Teilhaber einer Kreisjagd steht auf anderem Posten, jeder kann eine andere Funktion haben, jeder findet eine andere, bald bessere, bald schlechtere Schiessgelegenheit. Jeder »arbeitet« also in einer anderen Situation und die Summe dieser natürlichen Verschiedenheiten gibt erst das Ganze der Jagd. Ebenso sicher ist ferner, dass keines der geschossenen Wildstücke dem anderen gleich ist. In der Natur des ganzen Verhältnisses sehen wir nichts als Verschiedenheiten.

Und doch besteht jeder darauf, dass ihm nicht mehr Leistungen zugemutet werden als dem anderen, dass bei den Pflichten keiner bevorzugt oder zurückgesetzt, bei den Rechten bevorteilt oder benachteiligt werde. Gleiche Pflichten, gleiche Rechte!

Zweitens : Zu dieser Gleichheit der Subjekte kommt eine zweite. Das Individuum vollzieht Leistungen an den Verband und erwartet von ihm Gegenleistungen, es wägt beide gegeneinander ab und fragt sich: Ist der Vorteil des Opfers wert?

Weil zwanzig Jäger bei einer Kreisjagd alle Aussicht haben, nicht nur zwanzigmal so viel Beute zu machen als ein einzelner, sondern vielleicht hundertmal so viel, so ist der Vorteil der Willensunterordnung, des Verzichtes auf die Souveränität des Individuums auf der Hand liegend. Und das gilt für jegliche Produktion. Die Sozialisierung ist an sich eine Produktivkraft, vielleicht die grösste aller Produktivkräfte und also beantwortet sich im allgemeinen die obige Frage mit Ja. Sie scheidet also hier für uns aus. [2] Weil hier der Vorteil in der Regel die Opfer überwiegt, kommt die Gleichheit nur in der Form der Verhältnismässigkeit der Leistung und Gegenleistung in Betracht.

Und so wissen wir denn, worin in der menschlichen Gemeinschaft die Gleichheit besteht: Nicht in der physiologischen, sogenannten natürlichen Gleichheit, wie die Liberalen und Anarchisten meinen – im Gegenteil: Alle neueren Sozialisten gehen aus von der Differenzierung, von der faktischen Verschiedenheit, von der Arbeitsteilung; Marx insbesondere von der Verschiedenheit aller konkreten Arbeit und konkreten Arbeitsprodukte. Natürlich ist nichts als das Besondere, das Individuelle. Erst die Gesellschaft reduziert – als reines Menschenwerk – - das Individuelle auf das allgemein Menschliche: Die Oekonomie der Gesellschaft die konkrete Arbeit auf allgemein menschliche, gesellschaftliche Durchschnittsarbeit, das Recht der Gesellschaft das konkrete Individuum auf die einheitliche Formel der juristisch sogenannten »Person« und auf ihr subjektives Recht.

Und so bedeutet Gleichheit als soziale und politische Gleichheit einzig und allein: Gleichheit der Pflichten und Rechte der Personen im Verbände, Verhältnismässigkeit der persönlichen Leistung und der Gegenleistung des Verbandes.

Und die Freiheit?

Ist mit der Untertans- und Teilhaberrolle die Stellung des Individuums im Verbände schon erschöpft? Als Untertan ist der Schütze für den Verband da und hat ihm zu dienen. Als Teilhaber umgekehrt sagt der Schütze: Der Verband ist für den Schützen da. Und so tauschen beide die Rollen. Es bleibt aber noch die Frage: Was ist der Verband selbst?

Er ist die organisierte Schützenschaft, diese gibt sich ihr Statut, bestellt ihre Funktionäre (Generalversammlung, Ausschuss, Vorstand) und sorgt auf diesem Wege dafür, dass erstens der Gesamtwille der Schützenschaft objektiv festgelegt wird (Statut) und zweitens aus diesem objektiven, papierenen Dasein wieder zurückverwandelt wird in subjektives menschliches Wollen (Funktionäre). Und nun fragt es sich darum, welche Rolle spielt das Individuum im Verband, in der Organisation?

Die Lebensäusserung der Schützengesellschaft, die Anstellung einer Kreisjagd ist weder eine Generalversammlung noch eine Ausschusssitzung. Man sieht, hier liegen ganz verschiedene Dinge vor. Die Kreisjagd ist Verbandsarbeit, bei ihr vollzieht sich praktisch die Arbeitsteilung und Arbeitsverbindung, sie ist die materielle Funktion des Verbandes. Generalversammlung und Ausschusssitzung aber werden ohne Gewehr, Pulver und Blei abgehalten, hier stossen die harten Schädel aneinander, hier wird der herrschende Wille festgestellt, hier vollzieht sich das formale Leben, hier regeln sich die formalen Beziehungen der Verbandsmitglieder! Und die Summe der formalen Beziehungen, der Willens-, Ueber- und Unterordnungen, machen das aus, was das Wort »Organisation« ausdrückt. Und die Stellung des Individuums in der Organisation ist seine Organstellnng. Als »Organ« nimmt es Teil an der Herrschaft im Verband.

Und wie es materiell eine Arbeitsteilung gibt, so gibt es im Verband formell, was den Willen betrifft, eine Herrschaftsteilung. Und nun erhebt sich erst die Kernfrage unserer ganzen Untersuchung: Wie ist die Herrschaft geteilt?

Zwischen Herren und Sklaven, zwischen Unternehmer und Arbeiter – den fundamentalen Arbeitsverbänden – ist die Herrschaftsverteilung klar: Der eine hat die Herrschaft, der andere den Gehorsam, sie haben dauernd, auf Lebenszeit ihre Rollen zugewiesen, diese Rollen werden unauslöschliche subjektive soziale Charaktere.

Im Zeitalter der Sklaverei ist eine andere Herrschaftsteilung undenkbar, Aristoteles hält sie in dem Bereich der Produktion für ewig. Aber dies nur für den Bereich der Produktion, solange »das Webschiffchen sich nicht selbst bewegt und die Zither nicht von selbst schlägt«. Für die übrigen Bereiche des gesellschaftlichen Lebens urteilt er anders.

Es ist überaus bewundernswert, mit welcher begrifflichen Schärfe Aristoteles die Grundformen der menschlichen Gesellschaft – wie Marx an einer Stelle betont – analysiert hat. Man vergleiche zu den obigen Ausführungen über die Gleichheit folgende Sätze des Aristoteles: »Alles aber, was sich zur Einheit gestalten soll, enthält den spezifischen Unterschied in sich und tritt daher die Gleichheit nur als Gegenseitigkeit der Leistungen und Abwechslung im Genüsse der Rechte auf ... Selbst unter Freien und Gleichen muss eine solche Gegenseitigkeit und Abwechslung stattfinden.« (II. i.)

Und nun zum Begriffe des Freien, des »Bürgers«: »Der Begriff des Bürgers im vollen Sinne des Wortes aber wird durch nichts so wesentlich bestimmt als dadurch, dass er Anteil hat an der Beratung und Beschliessung der öffentlichen Angelegenheiten und an der Staatsregierung.« (III. i.)

Es gibt eine Freiheit in der Gemeinschaft! Sie besteht darin, dass das Verbandsglied als »Verbandsorgan« den Gesamtwillen der Organisation (Statut) mitbestimmt und als Funktionär (Mitglied der Generalversammlung, des Ausschusses, des Vorstandes) mit vollzieht. Die Organrechte sind die Freiheitsrechte im Verband.

Den Unterschied zwischen dieser sogenannten politischen Freiheit [3] – im Gegensatz zur anarchischen – von der Unfreiheit des Sklaven wollen wir nun an Beispielen untersuchen und veranschaulichen.

Ein Herr kommandiert seine Sklavenschar zum Fischfang – er gebietet ihnen; er kommandiert sie zur Jagd – er gebietet ihnen; zum Ackerbau – er gebietet ihnen; zum Weben – er gebietet ihnen; zum Kohlengraben – er gebietet ihnen. In allen Verwendungen, in allen Lebenslagen, bis zum Tode ist er der Herrschaftsträger im Verband, der Sklave aber der Gehorsampflichtige.

Dagegen eine freie Gesellschaft. Sie begibt sich auf den Fischfang – es führt sie derjenige, der mit Schiff und Fischerei am besten vertraut ist, die anderen gehorchen. In Sturmesnot, wo an einem Griff am Segel das Leben aller hängen kann, bedroht er den Ungehorsamen mit dem Tode. Sie steigen ans Land und die Herrschaft des Fischers über Leben und Tod ist zu Ende. – Die Gesellschaft begibt sich auf die Jagd. Die Rollen wechseln. Der mit Wald und Wildfährte Vertraute übernimmt die Führung. Der Anfall reissender Tiere fordert die höchste Mannszucht, Ungehorsam kann das Ende aller bedeuten – kein Wimpernzucken des Ungehorsams ist gestattet. Sie verlassen das Revier und der Jäger ist allen anderen gleich. – Sie machen sich an das Weben. Der Webekundige gebietet, die Rollen haben abermals getauscht und so wechseln sie von Fall zu Fall. Und wenn das Tagewerk vollendet ist, setzen sich alle nieder zum Rate. Natürlich spricht der Weise; aber er ist weise, damit er die anderen überzeuge, nicht vergewaltige. Der Beweis seiner Weisheit wird eben ihre Zustimmung sein. Sein Wollen wird Verbandswille werden, weil nun alle dasselbe wollen und beschliessen. Um es durchzuführen, werden sie je nach Umständen den Klugen, den Entschlossenen, den Redlichen, den Bedächtigen bestellen.

Hier sehen wir: Die Herrschaft ist auf alle so verteilt wie die Arbeit, sie haftet niemandem als Vorrecht, als soziales Merkmal an, ebensowenig wie das Gehorchen. Die Herrschaft ist auf alle verteilt, nicht weil sie gleich sind, sondern weil sie – verschieden sind an Gaben! Jeder bildet den Gesamtwillen mit und das ist sein oberstes Organrecht. Jedem nach seinen Gaben fällt eine durchführende Funktion zu, wie es die nächste konkrete Aufgabe erheischt. Und wer heute der Herr ist in der einen Funktion, der ist heute der Untertan in allen anderen Funktionen und morgen ist er der Herr in einer anderen Funktion, der Untertan in jener, in der er gestern Herr war.

Und wenn selbst die Herrschaft über Leben und Tod notwendig würde, wenn der Zwang zur Selbstaufopferung bestünde – so bestünde doch Freiheit!

So wird der Schweizer Bundespräsident, wenn er den Amtsraum, wo er die höchsten Entscheidungen trifft, verlassen hat, einfacher Bürger und ist am Postschalter vor dem Postbeamten ein Untertan des Gesetzes und Bürger wie jeder andere.

Darin also besteht die politische Freiheit und in diesem Freiheitssinne liegt die höchste politische Tüchtigkeit, der höchste geschichtliche und soziale Ruhm. Wie herrlich drückt dies der alte Stagirite aus: »Der gute Bürger muss theoretisch wie praktisch zu gehorchen und zu gebieten verstehen und des Bürgers Tugend ist eben diese, dass er das Regiment über freie Menschen nach diesen beiden Gesichtspunkten begreift.« (III. 2.) Diese Kunst des Befehlens und Gehorchens ist es, die wir Sozialdemokraten Diszip in nennen, unsere grösste Tugend!

Freiheit also ist uns, die wir die innigste Gemeinschaft der Menschheit wollen, nicht die Herrschaftslosigkeit des Raubtiers oder eines Gottes, sondern das Aristotelische τὸ ὲν μἑρει ἃρχειν και ἃρχεσϑαι: die Teilnahme aller an der Herrschaft und am Gehorsam.

Und nun zurück zur Werkstatt und Fabrik. Ist sie noch unser Ideal? Unser Ideal der materiellen Produktion wohl, aber unser Ideal der Gleichheit und Freiheit gar nicht. Sie lastet dem Arbeiter alle Arbeitspflicht auf und gibt ihm kein Teilhaberrecht äusser dem Lohn. Hier ist keine Gleichheit der Pflichten und Rechte. Die Leistung des Arbeiters in diesem Verband nimmt die ganzen blühenden Jahre des Lebens hin und die Gegenleistung des Verbandes ist die Fristung des nackten, freudlosen Lebens. Hier besteht keine Verhältnismässigkeit mehr. Dafür aber übernimmt der Unternehmer die ganze Befehlsgewalt und überlässt dem Arbeiter die volle Gehorsamspflicht. Keine Generalversammlung setzt die Arbeits- und Lohnbedingungen fest, kein Arbeiterausschuss überwacht ihre Durchführung – im Gegenteil, der durch die Maschinerie kommandierte Arbeitsautomat, der Gesamtarbeiter der Fabrik gilt nicht als Organisation und kein Arbeiter hat Organrechte. Statt der Disziplin des Befehlens gilt rechthaberische, eigennützige Willkür, statt der Disziplin des Gehorchens die unwillige Zwangsarbeit Rechtloser und Unfreier. Disziplin aber ist nur zwischen Freien und Gleichen. Nicht politische Freiheit, sondern blinde, stumpfe ökonomische Notwendigkeit hält den Fabriksverband aufrecht.

Und sie würde fortbestehen bis ans Ende der Welt trotz der Flüche der Sklaven, trotz ihrer Revolten, wenn die Entfaltung der Produktivkräfte sie nicht sprengen müsste. All unser Widerstreben wäre nichts als das Krachen des Gebälkes unter der Lawine – die Balken können zusammenbrechen, aber sie abwerfen können sie nicht. Jahrtausende haben die Massen unter dem Sklavenjoch gestöhnt und es dennoch tragen müssen.

Der Widerspruch der fortschreitenden Sozialisierung der Produktion mit der anarchischen Aneignungs- und Austauschweise, der Widerspruch der politischen Freiheit des Proletariats und der anarchischen Freiheit der Unternehmerklasse, der Widerspruch der Organisation gegen die Anarchie muss aber enden mit dem Siege der Organisation. Die Anarchie innerhalb der gesellschaftlichen Wirtschaft wird durch die Macht des Proletariats – das einmal, auf der Höhe der Entwicklung, statt bloss zu arbeiten, nun auch zu wollen haben wird – ersetzt werden »durch planmässige bewusste Organisation. Der Kampf ums Einzeldasein (der anarchische Individualismus, die Freiheit, zu verhungern) hört auf. Damit erst scheidet der Mensch, in gewissem Sinne, endgültig aus dem Tierreich, tritt aus tierischen Daseinsbedingungen in wirklich menschliche ... Die eigene Vergesellschaftung der Menschen, die ihnen bisher als von Natur und Geschichte oktroyiert gegenüberstand – in Werkstatt und Fabrik, auf dem Markte – wird jetzt ihre eigene freie Tat« ... Das ist, auch rechtlich und sittlich gesehen, »der Sprung der Menschheit aus dem Reiche der Notwendigkeit in das Reich der Freiheit«.

Wir rufen also nicht: Keine Ordnung, keine Satzung! Im Gegenteil: Wir fordern, dass die organisierte Menschheit, die freie und gleiche Organisation der Arbeitenden, endlich das blinde Spiel des Zufalls und die verblendete Willkür der Herrschenden beseitige und ersetze durch den Beschluss aller über das allgemeine Beste des Wirtschaftslebens, durch den organisierten Gesamtwillen oder die freie Satzung! Die Harmonie des Willens tritt an Stelle der Disharmonie der Natur und der kapitalistischen Produktionsweise. Und dass wir diese Harmonie, die Freiheit und Gleichheit in der Gemeinschaft erreichen können, dafür bürgt der Entwicklungsprozess des Kapitals selbst, das uns in Werkstätten wider Willen organisiert und uns die organisierten Machtmittel der Produktion mit angstvollem Widerstreben dennoch in die arbeitende Hand geben muss! Nicht der Denkprozess im Gehirn, sondern der Arbeitsprozess in den Fabriken ist der sichere Hebel ünserer Befreiung.

Die Freiheit der Liberalen, der Anarchisten aber ist ein Hirngespinst formaler Logik, gewoben aus selbstsüchtiger Unaufrichtigkeit und anmassender Unwissenheit.

* * *

Fussnote

1. Es würde hier zu weit führen, aus zahllosen Einzelstellen bei Marx nachzuweisen, dass er in den sozialen Verhältnissen immer eine »Summe von Willensbeziehungen« sieht, deren formale Analyse die Rechtswissenschaft zu geben habe.

2. Sie ist aber anderorts hoch bedeutsam.

3. »Politisch« hat hier nicht den landläufigen Sinn, sondern bezeichnet die Gleichheit und Freiheit in der Polis, im Gemeinwesen.


Zuletzt aktualisiert am 6. April 2024