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Der Kampf, Jahrgang 1 4. Heft, 1. Jänner 1908, S. 161–171.
Transkription u. HTML-Markierung: Einde O’Callaghan für das Marxists’ Internet Archive.
Kompetenz und Sprengel, sachliche und örtliche Zuständigkeit sind die objektiven Bestandteile des Amtes, der Beamte und die vor ihm erscheinende Partei die subjektiven. Beamte und Partei sind es, die die Sprache in Wort und Schrift gebrauchen, sie ergreift die Sprachenordnung direkt. Hier, könnte es scheinen, überwiegen die rein linguistischen, administrativtechnischen Momente und das Interesse der Klassen spielt keine Rolle mehr. Wir werden sehen.
Das Amt bedient sich der Sprache in zweifacher Weise:
Die äussere Geschäftssprache trifft behördliche Akte verschiedener Art: a) die Aufnahme von Protokollen, Entgegennahme von Meldungen, Beschwerden, Klagen etc., kurz Akte, wo es der vor der Behörde erscheinenden Partei zunächst auf das »Sprechendürfen« ankommt, und alle die Amtshandlungen, die in dem einmal eingeleiteten Parteiverfahren nachfolgen (Sprache des Parteienverkehrs); b) amtliche Kundmachungen, Ladungen etc., wo es den Staatsbürgern auf das »Verstehenkönnen« ankommt (Ediktalsprache); c) die Sprache öffentlicher Verhandlungen, in der jeder Teil, die Parteien und die Beamten, in Rede und Gegenrede unmittelbar wechseln und für alle Teile zugleich das Sprechendürfen und Verstehenkönnen wichtig ist, wo insbesondere diese Wechselrede auch zwischen verschiedenen Parteien Platz greift, auf deren Sprachenkenntnisse das Recht nicht den gleichen Einfluss hat wie auf jene der Beamten (Verhandlungssprache).
In den Bereich der inneren Dienstsprache fallen wieder sehr verschiedene Gebrauchsarten der Sprache: a) der Verkehr innerhalb eines und desselben Amtes: Führung des Exhibitenprotokolls, der Registratur, das Konzept etc. (Die interne Dienstsprache, im spezifischen Sinne die »Amts«sprache); b) der Verkehr zwischen Amt und Amt (Korrespondenz- oder Verkehrssprache), wobei zu unterscheiden ist zwischen dem Verkehr unter gleichgeordneten Aemtern (Ersuchsschreiben, Noten) und zwischen vorgesetzten und untergebenen Aemtern, insbesondere zwischen Zentral-, Mittel- und Lokalstellen (Berichte, Anträge, Verordnungen, Erlässe etc.).
Selbstverständlich gehen die einzelnen Verwendungsweisen ineinander über. Insbesondere steht die Verhandlungssprache und die Protokollführung bei Verhandlungen an der Grenze des äusseren und inneren Dienstes.
Ueberdenken wir diese Unterscheidungen, so fällt uns sofort auf, dass das nationale Interesse der breiten Massen und jenes der Bureaukratie und Bourgeoisie an anderen Punkten einsetzen. Die Sprache des äusseren Dienstes (Punkt 1) ist immer und in jedem Masse Volkssache, die Sprache des inneren Dienstes ist in erster Linie und in höherem Grade Beamtensache, an der zwar die Nation als solche gleichfalls interessiert ist, aber nicht so direkt und unbedingt wie an der äusseren Dienstsprache. Und an dieser haben auch die verschiedenen Klassen sehr verschiedenes Interesse, je nach der Art, wie sie mit dem Amte zu tun haben.
Im allgemeinen sind für das tägliche Leben des Proletariats die wirklichen Vorgesetzten, die Beamten des Arbeiters der Unternehmer und dessen Werkführer; ihnen schuldet der Arbeiter täglich Gehorsam und mit dem Staate hat er nur sehr selten zu tun. Anders der Bürger, er schuldet niemandem Gehorsam als dem Staatsorgan. Der bürgerliche Geschäftsverkehr weist den Bourgeois immer an das Amt, dessen Edikte sind für ihn wichtig, in den kontradiktorischen Verhandlungen des Amtes ist er in der Regel Partei. Der Proletarier steht meist allein, meist als Gehörsuchender oder Verhörter vor dem Beamten. Das Schwergewicht seiner Amtssprachenfrage liegt für den Arbeiter also auf der Sprache des Parteien-Verkehrs, seine Interessen berührt allerdings auch die Ediktal- und Verhandlungssprache.
Die Sprache des Parteienverkehrs und die gesamte äussere Geschäftssprache sind die demokratische Seite des Amtsrechts, die innere Dienst- und Korrespondenzsprache ihre bureaukratische Seite. Kein Wunder, dass alle unsere Bourgeoisparteien die letztere voranstellen, sie alle denken bureaukratisch, mögen sie sich noch so volkstümlich gebärden. Kein Wunder, dass in dem alten Priviiegienhause diese übertriebeneWertung der einen Seite den Staat in die schwerste Krisis gestürzt hat, kein Wunder, wenn diese Ueberschätzung auch in Hinkunft so lange vorwaltet, als die sozialdemokratische Kritik in der Oeffentlichkeit keine Umwertung dieser Werte vollzogen hat.
Gerade in diesem wichtigsten Punkte ersteht der Schein, gerade hierin wird das Missverständnis möglich, dass die nationale Autonomie die Berücksichtigung der sprachlichen Bedürfnisse erschwere, ja vereitle.
Viele Deutsche finden als Arbeiter, Vorarbeiter, Intellektuelle ihr Brot in slawischen Gebieten, viele Slawen insbesondere in deutschen. Die Diaspora der Deutschen ist wohl noch grösser als die der Tschechen, nur verteilen sich die Deutschen auf alle Staatsteile, die Tschechen vorwiegend auf deutsches Gebiet. Wenn die Freizügigkeit der Arbeiterschaft nicht aufgehoben werden soll, muss dem Arbeiter, der nur eine Sprache spricht, auf irgend eine Weise im überwiegend fremdsprachigen Gebiet in seiner Weise das Recht gegeben werden. Der Bourgeois kann sich einen Anwalt, einen Dolmetsch stellen, der Proletarier nicht. In zahlreichen Fällen ist ein Recht, das man ihm nicht in seiner Sprache gibt, einfach Rechtsverweigerung. (Zum Beispiel Versammlungsrecht: Die Versammlung verboten, weil die überwachende Behörde wegen Nichtverstehens um ihr Ueberwachungsrecht käme!)
Die nationale Autonomie aber organisiert die geschlossene Sprachgemeinschaft zur geschlossenen Verwaltungsmacht. Wird durch sie die Diaspora nicht ganz rechtlos? Umgekehrt: Der bureaukratische Absolutismus Bachs mit seiner erstaunlichen Polyglottie und Mischung der Beamtenschaft hat geradezu jedem erleichtert, überall einen Sprachverwandten zu finden! Garantiert also die nationale Autonomie nicht einmal so viel Sprachenrecht als der Absolutismus?
Es ist eine lächerliche Ausflucht, zu sagen, niemand habe im fremden Sprachgebiet etwas zu suchen. Der Kampf ums tägliche Brot treibt die Arbeiter ebenso durcheinander wie der Kampf um den Profit die Bürgerlichen. Dieser zerstäubt das Erzeugnis eines Betriebes in tausend Warenpartikelchen über das ganze Land, und mit der Faktura jagt der Verkäufer jedem Partikel nach. Ist er auch sesshaft an einem Orte, so durchzieht er doch das ganze Land als Lieferant und Inkassant, entweder persönlich oder durch lohnarbeitende Kommis.
Und nun erschwert die nationale Autonomie nicht nur die Freizügigkeit, sondern auch den bürgerlichen freien Verkehr? Das Problem wird immer schwieriger!
Natürlich, weil wir uns von dem Wechselbalg, der sogenannten »Nationalen Autonomie«, verblüffen lassen, den sich die Bourgeoisparteien in den letzten Jahren zurecht gemacht haben. Sie sehen in der Autonomiefrage nur zwei Dinge: die Abgrenzung und die Lernfaulheit vieler Beamten.
Wenn die Nationszugehörigkeit des einzelnen und die Kraft des Nationsganzen lebendige Wahrheit sind, so schwinden sie nicht plötzlich hin, wenn ich über die Sprachgrenze gehe. Ist die Nationalität [1] ein subjektives Recht des Individuums und die Nation politisches Rechtssubjekt, dann besteht zwischen Nation und Individuum ein ähnliches Rechtsverhältnis wie zwischen Staat und Staatsbürgern oder zwischen Gemeinde und Heimatsberechtigten, ein Verhältnis gegenseitiger Rechte und Pflichten. Auf dieses Verhältnis muss gerade das Proletariat besonderen Wert legen. Ungemessene Pflichten und Lasten legen ihm heute sowohl der Staat wie die nationale Bourgeoisie auf, aber sein Recht an dem Staat ist gering und sein Recht an der Nation kennt er bis heute noch nicht. Dass die Nation auch gegenüber den einzelnen Nationsgenossen Pflichten habe, ist ein Gedanke, den wir erst ausdenken, erst durchsetzen müssen, obwohl er sich von selbst versteht.
Für uns Sozialdemokraten bedeutet nationale Autonomie, nationale Selbstregierung nicht daheim die Unterwerfung unter einen Beamten, der nur meine und wenn er nur meine Sprache spricht, ob er mich auch sonst drangsaliere und brutalisiere, in der Fremde aber Rechtlosigkeit. Uns sagt dieses Wort vielmehr: Meine Nation ist geeinigt und unabhängig in nationalen Dingen, Herrin ihrer kulturellen Ziele und Mittel, Herrin und Dienerin zugleich jedes Nationsgenossen, somit berechtigt, von mir Opfer zu verlangen, aber auch verpflichtet, mich zu schützen und zu vertreten, mir mein Recht zu garantieren, auch Fremden gegenüber.
Entwickeln wir diesen Rechtsgedanken genauer – es handelt sich vorläufig um das Prinzip, um ein Analogon, nicht um die Praxis. Die Heimatsgemeinde muss meine Verpflegskosten garantieren, auch wenn ich in einem fremden Kronland im Spital liege. Mein Heimatsstaat muss mich in der Fremde schützen, er hält mit zu diesem Zwecke diplomatische und konsulare Aemter in den fremden Ländern. Bürger eines Landes in der Fremde schützen sich gegenseitig, indem sie sich zur deutschen, französischen, englischen »Kolonie« vereinigen. Und kraft solcher Mittel ist der Fremde in Oesterreich national mehr geschützt als der Einheimische.
Wenn heute Deutsche den Tschechen, morgen Tschechen den Deutschen die Firmenschilder herabreissen oder die anderssprachigen Aufschriften zerstören, so bleibt das ungesühnt. Geschähe dies einmal englischen Firmen mit englischen Aufschriften, so würde tags darauf der Botschafter Genugtuung und Schadenersatz fordern und auch pünktlich erhalten. Warum? Zwischen Staat und Staat besteht eine Rechtsordnung – zwischen Nation und Nation in Oesterreich nicht. Es gibt ein Völkerrecht zwischen Staaten, aber ein Völkerrecht zwischen den Völkern eines Staates gibt es nicht – und das ist bis heute natürlich, da ja die Völker rechtlich nicht existieren.
Und nun dreht sich gerade alles darum, den Völkern zur Existenz zu verhelfen – was ihre Vormünder nicht begreifen wollen. Existieren sie einmal, so helfen sie sich selber.
Wenn Staatsfremde eine Kolonie unter dem Schutze ihrer Konsuln und Gesandten bilden, warum sollen im Rahmen eines und desselben Staates nicht viel einfachere Organisationen bestehen können? Warum kann nicht die Minderheit einer Stadt obligatorische Minoritätsgemeinden mit eigenen Organen bilden? Was die mährischen Juden heute ohne Not auf konfessioneller Grundlage tun, sollte aus guten Gründen für die Nationen unmöglich sein? Diese Minderheitsgemeinden können doch als völlig gleichwertige Glieder in die Nation einbezogen sein, die Nation kann, falls die Gemeinde nicht steuerkräftig genug ist, diese Organe subventionieren, ja sie kann für alle Fälle (etwa die Deutschen in Triest) ohne die Basis einer Gemeindeorganisation einen autorisierten Dolmetsch und Anwalt bestellen, der natürlich von Gesetzes wegen bei allen Aemtern, Behörden etc. »akkreditiert« ist. Nicht also von dem Fremden, sondern von der eigenen Nation muss ich meinen Schutz in der Fremde fordern – ein Rechtssatz, den kaum jemand bestreiten kann.
So weit die Analogie. Nun aber sind wir international in einem Staate organisiert und eben das, was international und allen gemeinsam ist, soll ja Staatssache sein. Sofern nicht Minoritätsgemeinden im Anschluss an die geschlossenen Nationsgebilde organisiert sind und doch eine nennenswerte Diaspora da ist, kann der Staat durch sein Gesetz im Rahmen der sonst national autonomen Aemter die Anstellung von Beamten fordern, die als sprachliche Vertreter, als Dolmetsche und Ratgeber der Fremdsprachigen fungieren. Und er wird dies am besten in der Form anordnen, dass er den national autonomen Amtsherren die Bedingung setzt, in einem entsprechenden Prozentsatz auf allen hierarchischen Stufen doppelsprachige Beamte anzustellen. Und die Amtsherren selbst werden dem nachleben, denn auch für sie ist die Polyglottie ihrer Beamten ein Vorteil – national haben sie die Beamten ja ganz in der Hand. Die für alle Nationen gleiche Vorschrift gleicht Last und Vorteil dieses Zwanges aus: man schützt seine eigenen Söhne in der Fremde, indem man die Fremden in der Heimat schützt.
Die völkerrechtliche Analogie hat uns also dazu gedient, den Rechtsgedanken zu entwickeln, an der Hand dessen wir über die Zweckmässigkeit und Billigkeit einer Massregel urteilen können. Man muss schon einmal bei uns weit ausholen, um zu beweisen, dass jede Nation verhalten werden kann, für die Sprachbedürfnisse jener Fremden zu sorgen, die sie im Lande selbst ausbeutet, mit denen sie im Lande Geschäfte schliesst. Denn die Fremden sind wahrlich keine blossen Vergnügungsreisenden und wenn sie es sind, so bringen sie erst recht das Geschäft in das Land. Aber item, die organisierten Nationen können sich ja selbst vorbehalten, ihre Diaspora zu schützen, sie haben, wenn sie konstituiert sind, die Macht und die Mittel dazu.
Der Schutz der nationalen Minderheit im gemischtsprachigen Gebiete ist durch die nationale Autonomie nicht etwa gehindert, sondern geradezu gewährleistet. Er ist am vollkommensten durch die Organisation auf Grund des reinen Personalitätsprinzips gesichert, die Sicherung vermindert sich in dem Masse, als wir uns dem. Territorialprinzip nähern. Wie weit wir das eine oder das andere berücksichtigen können, liegt nicht in unserer Willkür. [2]
Hier liegt nun für das Proletariat die Hauptfrage, nicht in dem Streit über die innere Dienstsprache. Für die bürgerliche Welt ist sie nebensächlich, äusser soweit sie Expansionshoffnungen der Bureaukratie nährt. Hier erstehen uns auch die grössten taktischen Schwierigkeiten.
Was wir selbst im Prinzip fordern müssen, scheint freilich einfach und klar: Konstituierung der Nationen.
Die Schwierigkeit ersteht erst dadurch, dass wir weder allein im Staate und in der Nation da sind, noch auch heute und morgen die Macht haben, unser Prinzip durchzuführen. Steht es doch zu der Auffassung der besitzenden »sesshaften« Klasse und zu deren Interesse an dem geschlossenen Sprachgebiet im schärfsten Gegensatz! Dabei ist jede Nation sozial anders zusammengesetzt. Wollen wir nicht in den Wirrwarr der bürgerlichen Sprachenkämpfe politisch hineingezogen werden, so müssen wir die prinzipielle Klarheit peinlich genau bewahren.
Die geltende Aemterordnung ist unseren Wünschen diametral entgegengesetzt. Die Nationen sind juristisch nicht einmal da, geschweige denn autonom. Die Aemter gehören weder dieser noch jener Nation, sie sind eine einzige unterschiedslose bureaukratische Organisation, die vom Ministerium, beziehungsweise von der Krone abhängen, sie sind »landesfürstlich«. Ich verzweifle an der Möglichkeit, einer ganz gegensätzlichen Organisation unsere Grundsätze gleichsam anzuflicken. Man verlangt aber von uns »Stellungnahme« an jedem Tag. Gehen wir dabei ohne Reserve auf die bürgerlichen Formeln ein, so erregen wir Missverständnisse und bringen Verwirrung in unsere eigenen Reihen.
Als Beispiel führe ich die auf die äussere Geschäftssprache bezüglichen Ausführungen der tschechischen Parteien gegen die Koerberschen Grundzüge und die Vorschläge der Deutschen an:
»Für die böhmischen (sc. tschechischen) Parteien bleibt es ein unverrückbarer Grundsatz, dass in den böhmischen Ländern ein Böhme oder Deutscher bei allen landesfürstlichen Aemtern sein Recht in seiner Sprache finden könne« – ganz unser Grundsatz, nur bei uns nach Tunlichkeit und ohne Schikane im ganzen Staatsgebiet – »und zwar nicht nur durch die Annahme, sondern auch durch die Behandlung und Erledigung seiner schriftlichen und mündlichen Anliegen« – über das Mass lässt sich wohl streiten. [3] »Von dieser grundlegenden Forderung können die böhmischen Parteien nicht nur deswegen nicht abgehen, weil es seit Urgedenken [4] ein anerkannter Rechtszustand in den böhmischen Ländern ist, sondern auch deswegen, weil es ein Gebot sozialer Pflicht der modernen staatlichen Verwaltung ist.« Sehr richtig und doch falsch: Der Staat ist heute ununterschiedene Summe von acht Nationen, der nationale Rechtsanspruch aber kann sich logischerweise nur an die eigene Nation kehren. »Nicht nur die sesshaften Minoritäten (diese Einschränkung hatten die Deutschen gemacht) haben ein Anrecht auf den Rechtsschutz und die soziale Fürsorge des Staates, sondern ein jeder Angehörige der beiden die böhmischen Länder bewohnenden Völker, weil die Geltendmachung seiner Rechte und Ansprüche bei allen landesfürstlichen Behörden in seiner Muttersprache ein erworbenes nationales Recht für einen jeden Angehörigen beider Völker bedeutet, ein Recht, welches namentlich für die arbeitende Klasse in Bezug auf ihre Freizügigkeit und Ausnützung einer jeden sich bietenden Erwerbsgelegenheit geradezu eine Vorbedingung für ihr wirtschaftliches Fortkommen ist.« Vollkommen richtig – und trotzdem für die Deutschen unannehmbar. Denn dieses höchste Recht des Nationsgenossen, auf das wir selbst, wie ausgeführt, das grösste Gewicht legen, wird politisch zum Unrecht, wenn bei einer ununterschiedenen Bureaukratie, bei jedem Mangel eines Rechtes der Nationen auf ihre Aemter, diese Forderung zu dem Zweck aufgestellt wird, um die deutschen Aemter durch die Expansion tschechischer Bureaukraten zu absorbieren.
Was sollen also wir deutschen Sozialdemokraten tun? Wir sagen natürlich: Sichert uns Deutschen die Herrschaft über die deutschen Aemter, wir werden uns gar nicht einen Augenblick bedenken, unsere Beamten zu zwingen, tschechisch zu lernen; denn jedes Wort dieser Ausführungen unterschreiben wir. Aber da andere über die Aemter disponieren, da wir die Bureaukratie nicht beherrschen, sondern andere, so kann dieses Recht unsere nationalen Aemter absorbieren, uns unter nationale Fremdherrschaft bringen: So können wir rebus sic stantibus nicht einen Buchstaben davon unterschreiben.
Nun glaube ich endlich, es völlig klar gemacht zu haben, was das Hindernis der Verständigung ist: Wir reden von Rechten und Pflichten, die wir dieser und jener Nation vermeinen, aber sie kommen nicht an diese Adresse, sie werden alle in die einzige Masse einer unserer Verfügung entzogenen Bureaukratie geworfen und was aus ihnen wird, das weiss und entscheidet der Minister, die wechselnde Parlamentsmehrheit.
Auf der bureaukratischen Basis ist die Amtssprachenfrage unlöslich, diese Basis zerstören heisst die Lösung anbahnen. Und die taktische Losung der sozialdemokratischen Internationale muss sein: In Unmögliches sich nicht einlassen, die Autonomisierung der Aemter voran, der Rest ergibt sich von selbst!
Das Hauptkampfgebiet der bürgerlichen Nationalisten ist die Sprache des inneren Dienstes.
Wie die Beamten einer Behörde innerhalb der Wände ihrer Amtsstube verkehren, hat für das Leben draussen keine direkte Bedeutung. Unter Umständen macht sich das den Massen gar nicht fühlbar. Die Katholiken haben zum Beispiel das Lateinische zur inneren Kirchensprache und empfinden diese weder als Hindernis noch als Demütigung.
Die innere Dienstsprache ist die Lebensfrage, das ökonomische Klasseninteresse der Beamten und jener liberalen Berufe, die mit dem Amte beständig zu tun haben. Spricht und verhandelt man im Amte nur deutsch, so herrscht eine deutsche Bureaukratie, spricht man auch tschechisch, so gibt es auch eine tschechische Bureaukratie. Gibt es aber äusser der deutschen auch eine polnische, tschechische, slowenische etc. Bureaukratie, so ist die Aussicht der deutschen Amtsbewerber beträchtlich verringert; gibt es nur eine deutsche, dann haben die deutschen Bewerber einen Vorsprung, anderssprachige müssen erst deutsch lernen oder deutsch werden, um Anstellung zu finden. Natürlich unter der Voraussetzung der einen unterschiedslosen landesfürstlichen Bureaukratie. Hat jede Nation ihre Aemter getrennt von der anderen, so entsteht diese Konkurrenz von vornherein nicht.
Auf dem Gebiete der inneren Amtssprache spielt sich in Oesterreich der Klassenkampf derjenigen Gruppen ab, die auf Anstellung im öffentlichen Dienste rechnen, der bureaukratischen Klasse.
Kurzsichtig wäre es, nichts anderes in diesem Kampfe zu sehen. Jede Nation als Kultureinheit braucht Faktoren, welche Kunst und Wissenschaft pflegen, insbesondere, welche Recht und Gesetz handhaben. Schon die allseitige Ausbildung der Nationalsprache fordert, dass die staatliche und juristische Terminologie durchgebildet und durch die Praxis in lebendiger Hebung erhalten werde. Haben doch geschichtslose Nationen oft ihre eigenen Ausdrücke für Vormund, Anwalt, Prozess (!) u. s. w. verloren. Auf der kapitalistischen Basis ist für eine Nation eine eigene studierte und amtierende Klasse Erfordernis des nationalen Kulturlebens und dadurch die Amtssprache im inneren Dienst allgemeines Nationalinteresse! Je ausschliesslicher sie gilt, um so reiner und vollständiger wird sie ihre nationale Eigenart entwickeln. Nationalinteresse ist also die allgemeine und möglichst reine Geltung der inneren Dienstsprache, wobei es gleichgültig ist, ob ein oder das andere Amt mehr oder weniger unter ihren Bereich fällt – was natürlich für die Bureaukratenklasse nicht einerlei, sondern gerade von grösster Wichtigkeit ist. Das allgemeine nationale Interesse geht also mit dem Bureaukrateninteresse so weit, als die Geltung der inneren Dienstsprache in Frage steht, nicht aber bis dahin, wo das Klasseninteresse auf Expansion der nationalen Bureaukratie durch Ausdehnung dieser nationalen Dienstsprache über fremdsprachiges Territorium abzielt. Denn diese Expansion fügt der nationalen Geisteskultur nichts hinzu, sondern erzeugt bloss ein übermässiges Anwachsen eines Nationalteiles (des Juristenberufes) auf Kosten der anderen Teile. Durch Jahrzehnte hat die tschechische Nation ihre ganzen Intellektuellen der Bureaukratie und Hierarchie zugeführt und der soliden ökonomischen Entwicklung entzogen – vor ihnen hatten die Deutschen es so gehalten.
Das nationale Interesse also geht dahin, dass die nationale innere Dienstsprache überhaupt in ausreichendem Umfange und möglichst ausschliesslich Anwendung finde, so dass die Nationalsprache den entsprechenden wissenschaftlichen und technischen Ausbau erfahre, dass sie als moderne Kultursprache sich entwickle und fortlebe. Ob etwa in dem einen oder anderen Amte in dieser oder jener Angelegenheit auch in anderen Sprachen amtiert werde, beeinträchtigt die nationale Kultur schon deshalb nicht, weil dadurch die Zuflusskanäle aus anderen Kulturen offen bleiben. Durch die Polyglottie ihrer Intelligenz gewinnt jede Nation und niemals ist derZwang zur Polyglottie antinational, falls er nicht dieMassen, sondern die Intellektuellen allein trifft.
Weder die bureaukratische Expansion noch die Bureaukratenfaulheit liegt im nationalen Interesse. Zur Frage der inneren Dienstsprache steht die Nation anders als ihr studierter Teil und dessen bourgeoise Anverwandte. Die Massen empfinden dies ganz genau, dennoch verwirrt sie das Vexierspiel, das mit der inneren Dienstsprache getrieben wird.
Die Amtssprache ist eines der nationalen Merkmale eines Amtes. Spricht man im Amte deutsch, so lässt dies auf ein Amt der deutschen Nation schliessen, spricht man tschechisch, so auf eines der tschechischen. Spricht man beide Sprachen, so ist der nationale Charakter ausgelöscht. Nur eines und noch dazu ein rein formales Merkmal der Nationalität ist hier die Sprache, ja dieses Merkmal hört bei der Mischung beider auf, etwas zu bezeichnen, das Amt wird amphibisch, charakterlos.
Gibt es denn nicht andere, verlässlichere Merkmale? Wir kennen sie schon: 1. die Nationalzugehörigkeit des Beamten – immerhin ein lebendiges Merkmal, aber es gibt unter den Beamten auch Amphibien – und 2. die Amtshoheit der Nation, die die Nationalität des Amtes unzweifelhaft macht. Warum die letzteren Merkmale heute bei unserer Rechtsordnung äusser Betracht bleiben, wissen wir bereits. Ein deutsches Amt aber, das von einem deutschen Bezirk bestellt ist, bleibt deutsch, auch wenn alle seine Beamten tschechisch gelernt haben und selbst im inneren Dienst tschechisch sprechen: Legen wir dieses Merkmal der Regelung zugrunde, so haben wir volle Freiheit, das Sprachenbedürfnis einzig nach administrativ-technischen Grundsätzen zu regeln.
Die bürgerliche Politik hält sich an das formale Merkmal, das nur halb bezeichnet, halb bindet und halb freilässt. Und so wird jenes Vexierspiel des Kampfes um die Amtssprache möglich, das uns durch dreissig Jahre genarrt hat und bei dem nichts verwunderlicher ist als die Langmut der Völker, die es mitansahen.
Nur als Musterbeispiel, nicht etwa weil die tschechische Bourgeoisie vor den Deutschen im Guten oder Schlimmen etwas voraus hätte, führen wir die jungtschechische Politik in der inneren Amtssprache vor, weil sie im Augenblick aktuell ist. Wir schicken eine historische Skizze des Kampfes voraus.
Anfangs bestanden die Deutschen, angeblich als Hüter der Einheit unserer staatlichen Verwaltung, tatsächlich aus wohlverstandenem Klasseninteresse ihrer Bureaukratie, auf der Erhaltung des Deutschen als ausschliesslicher innerer Amtssprache in Böhmen. Die Tschechen forderten zunächst bloss, dass im tschechischen Gebiete tschechisch, im deutschen deutsch und im gemischtsprachigen Gebiet utraquistisch amtiert werde, ihr Hauptgravamen war, dass auch im Parteienverkehr das Tschechische mangelhaft berücksichtigt werde. Dem letzteren Uebelstand halfen die Stremayrschen Sprachenverordnungen vom 19. April 1880 im Sinne durchgehender Doppelsprachigkeit im äusseren Verkehr mit den Parteien ab. Bezüglich der inneren Amtssprache verblieb es – mit Ausnahme der Gerichte – beim alten, das ist bei der deutschen inneren Amtssprache im ganzen Land. Noch im Dezember 1885 stellt Dr. Trojan im böhmischen Landtag den Antrag, die Regierung zu einer Nachtragsverordnung aufzufordern, derzufolge bei den Behörden erster Instanz die Sprache der Mehrheit der Sprengeibewohner als innere Amtssprache zu dienen habe. (Also deutsches Gebiet – deutsche Amtssprache, tschechisches Gebiet – tschechische Amtssprache: sogenannte einsprachige Gleichberechtigung.)
Diese Auffassung entspricht formell der nationalen Autonomie. Lässt man die Sprache statt der Nationalität passieren, so kann man sagen, sie decke das nationale Gesamtinteresse.
Nach Stremayr lernten auch die Deutschen etwas dazu. Ein Antrag Pleners vom 5. Dezember 1885 forderte die Aufhebung der Stremayr’schen Verordnungen für das deutsche Gebiet, somit reine Einsprachigkeit im inneren und äusseren Dienst, gestand aber auch den Tschechen für ihr Gebiet die tschechische innere Amtssprache zu. Beide Nationen hatten sich in der Frage des inneren Dienstes genähert. Dabei ist charakteristisch, dass Trojans Antrag doch das Verbrechen der Landeszerreissung klar enthielt – er war von Jung- und Alttschechen unterschrieben. Trojans Antrag bildet das letzte Glied einer seit 1848 ununterbrochenen Kette von Postulaten, welche die wahre Gleichberechtigung in der Einsprachigkeit des inneren Dienstes im deutschen wie im tschechischen Gebiete sah. Nun hatten sich in diesem entscheidenden Punkte beide Nationen soweit genähert, dass sie nur mehr nach Kaizls späterem Wort eine papierdünne Wand schied. Die einzige Differenz bildeten Fragen der äusseren Geschäftssprache, Klassenfragen des Proletariats – sie wogen in jener Zeit nicht schwer.
Inzwischen hatte sich faktisch eine tschechische, wenn auch deutsch amtierende Bureaukratie und Intelligenz gebildet, die mit der jungtschechischen Partei in die Höhe gestiegen war und die Führung der Nation an sich gerissen hatte.
Bei den Beratungen beider Anträge (12. Dezember 1885 bis 14. Jänner 1886) vollzog sich nun der Umschwung der öffentlichen Meinung unter den Tschechen, man sagt unter dem Einfluss der Feudalen. Der Ausschussbericht forderte die absolute Doppelsprachigkeit des inneren Dienstes im ganzen Lande, die doppelsprachige Gleichberechtigung. Und das war von nun an offizielles Programm der Tschechen, das chauvinistische Schlagwort von der Landeszerreissung war gefunden.
Der Ausdruck der Tatsache, dass die tschechische Bureaukratie den Weg in die Aemter des deutschen Sprachgebietes sich öffnen wollte und – aus ökonomischen Gründen wollen musste. Als Vorwand dienen natürlich die versprengten Nationsgenossen, Bedürfnisse des äusseren Dienstes.
Diese doppelsprachige Gleichberechtigung erzielt nicht nationale, sondern amphibische Aemter, fördert hüben und drüben nicht die reine Entfaltung nationaler Eigenart, sondern den Mischm asch einer beson deren gesamtösterreichischen Amtssprache. Sie ist zentralistischer für Böhmen, aber auch für den Staat, denn sie stellt doch auch für ganz Böhmen die deutsche innere Amtssprache auf. Und die Geschichte beweist auch, dass eine solche Doppelsprachigkeit auf die Dauer der kleineren Nation gefährlich wird. Sie bestand von der Ferdinandeischen Landesordnung bis auf Maria Theresia und hatte zur Folge, dass es schliesslich an tschechischen Subjekten zur Besetzung der Aemter fehlte. Ist die Doppelsprachigkeit der Institution [5] – also die ungewollte Doppelsprachigkeit aller Funktionäre und der täglichen Sprachübung im Gegensatz zu der teilweisen Sprachkenntnis einzelner Personen – wirklich der nationalen Entwicklung kleiner Völker günstig? Strebt diese nicht überall nach nationaler Eigenart?
Der Programmwechsel der tschechischen Politik geht offenbar auf die bureau-kratische Expansion, auf die ökonomische Klassenpolitik einer einzelnen Schichte zurück, welche die Nation mitriss. Sie konnte sich aber als nationale Politik verkleiden, weil sie sich in einer formellen Bedingung, in einer Sprachenformel ausdrückt, welche vieldeutig ist, welche das Klasseninteresse der Massen in der Sprachenfrage des Parteienverkehrs, besonders der Diaspora, verquickt mit der Frage des Dienstes. Man redet von Sprache und meint das Amt, man redet von dem Rechte tschechischer Minoritäten und meint die Eroberung des Amtes der deutschen Mehrheit. So stand die Frage in der Zeit der Badenischen Sprachenverordnungen.
Indessen büsste die ganze Nation durch schwere Niederlagen den Husarenritt ihrer Intellektuellen. Man musste zurück.
Aber nun wird es schwer, den Formeln der zweisprachigen Gleichberechtigung, der Doppelsprachigkeit der Beamten und Aemter, der Landeszerreissung selbst zu entrinnen. Koerber bietet den Tschechen die Amtssprache im inneren Dienst. Aber sie müssen »darauf beharren, dass das Recht des Gebrauches beider Landessprachen im inneren Dienste für das ganze Gebiet der böhmischen Länder« ... gewahrt bleibe? nein; »nach gleichen Grundsätzen geregelt werde«.
Sie meinten selber: nach gleichen Grundsätzen, also im tschechischen Gebiete tschechisch, im deutschen deutsch und im gemischten utraquistisch. Eine solche Regelung ist ohne Zweifel ja auch eine gleiche. Aber sagen können sie das nicht, sie sind in ihren Formeln gefangen. Sie vermögen nicht einmal mehr die ausschliesslich tschechische innere Dienstsprache im tschechischen Gebiete zu fordern – sie dürfen von einem tschechischen Gebiet nicht reden, weil sein Gegensatz das deutsche ist, und so zu reden ist Landeszerreissung!
Dies das Vexierspiel mit Formeln. Bei Deutschen wie bei Tschechen! Jede Nation will ihr Amt – das ist das nackte, reale und berechtigte Programm der Völker, so klar wie die Sonne. Und jeder kann es aussprechen, nur eine Klasse nicht: die Bureaukratie. Denn sie will selbst das Amt, sie will nicht aus dem Herrn zum Untertan der Nation werden. Nicht gerne spricht es der Bourgeois aus – denn die Nation sind doch die Massen der arbeitenden Menschen. Und wenn man es vermöchte, wenn man diese revolutionäre Parole auszusprechen wagte, so will man es erst recht nicht. Denn man will allenfalls auch das Amt des anderen! Sagte man das letztere rund heraus, so liessen einen drei Vierteile des eigenen Volkes im Stich, das andere Volk aber stünde wie ein Mann auf. Und darum hat sich ein sprachenpolitischer Jargon herausgebildet, der den Massen unverständlich ist, darum spricht man in Formeln und Klauseln, operiert mit vielerlei Gleichberechtigungen und macht die einfachste Sache der Welt zu einer kabalistischen Geheimkunde.
Jeder Nation ihr Amt – über die Sprachkenntnisse der Beamten reden wir dann.
Im Mittelpunkte der deutschbürgerlichen Politik steht indessen nicht die interne Amtssprache, sondern die sogenannte Staatssprache, wobei es niemals klar wird, was sie darunter meine. Da im internen Dienst das Polnische schon seit 1869, das Italienische schon seit alten Zeiten in Gebrauch steht, können sie füglich nur die Sprache der Korrespondenz als Staatssprache bezeichnen.
Wie verhält es sich nun mit dem Verkehr von Amt zu Amt, sei es unter gleichstufigen, nebengeordneten Aemtern oder zwischen Lokal-, Mittel- und Zentralstelle?
Dieses Gebiet rechnet man auch zum inneren Dienst, und mit Recht, da hier die Oeffentlichkeit, die Partei, in der Regel keine Ingerenz hat und da weiters alle Akte der Diensthoheit: Dienstbefehl, Instruktion, Verordnung etc. hierher gehören. Aber diese Funktion hebt sich doch von der internen Amtssprache deutlich ab. Denn hier wird überhaupt nicht mehr gesprochen, sondern nur geschrieben, das Medium der Verhandlungen sind Papier und Post, hier lebt die Sprache nur in den Akten und im Schriftenwechsel. Es wird also zweckmässig sein, die Geschäftssprache in dieser Funktion im prägnanten Sinne des Wortes Verkehrssprache zu nennen und sie zu unterscheiden in
Diese Verkehrssprache ist, wie wir sehen, in der Regel keine Frage des Sprechens, sondern hlosse Schriftenfrage, welche die breite Masse der Nationszugehörigen nicht berührt, die rein aus dem Gesichtspunkte der Zweckmässigkeit beurteilt werden kann und muss. Sie betrifft einzig und allein den Beamten und diesen nur von Seiten seiner schriftlichen Sprachbeherrschung. Sie ist keine nationale, sondern eine Lernfrage für die Beamten, eine Schriftwechsel- und Kostenfrage für den Staat. Da die Partei bei den Zentralstellen in aller Regel nicht unvertreten erscheint, höchstens noch eine Anwaltfrage.
Nicht zu leugnen ist, dass die logischen Sonderungen in der Praxis nicht immer durchgeführt werden können, dass zum Beispiel ein in der ersten Instanz aufgenommenes Protokoll auch in der dritten vorliegen kann. Mit obiger Klassifikation soll also nicht gesagt sein, dass Rechtssachen in der Zentralstelle immer und durchaus deutsch behandelt werden müssen; damit sei bloss festgestellt, dass, ob sie deutsch oder in einer anderen Sprache verhandelt werden sollen, allein aus der Natur der Sache und nach Zweckmässigkeit beurteilt werden muss, ohne dass Klassen- oder nationale Interessen mitentscheiden. Soweit aber Beförderungsaussichten der Beamten dennoch hereinspielen, so ist der Streit darüber für uns durch das Prinzip der verhältnismässigen Beamtung auch in den Zentralstellen von vornherein prinzipiell entschieden.
Eine andere Schwierigkeit kommt hier zu erwägen.
Ich habe oben das englische und französische System der Behördenorganisation gekennzeichnet und dargetan, dass sich die Sozialdemokratie für das englische entscheiden müsse. Aber in jedem Staate gibt es eine Reihe von Angelegenheiten, wie zum Beispiel die Verteidigung nach aussen und den polizeilichen Sicherheitsdienst, die in jedem Staate einheitlich organisiert sein müssen. Man kann, um einen flüchtigen Bankdieb zu haschen, die Depeschen nicht erst in ein Uebersetzungsbureau senden. Zu diesen Agenden gehört auch die einheitliche Aufnahme aller statistischen und Rechnungsbelege, die, wenn Ordnung sein soll, auch für den ganzen Staat einheitlich zu verarbeiten sind. Für derlei Agenden ist Einheitlichkeit conditio sine qua non. Ich möchte diese Agenden staatliche, die Beamten, die sie besorgen, staatliche Organe in engster Bedeutung des Wortes nennen. Für mich hat es etwas Lächerliches, den Beamten, der in einem Bezirke der Bukowina den Leuten die Felder vermisst, nicht Bezirks-, sondern Staatsbeamten zu nennen. [6]
Soweit nun diese Agenden reichen, ohne Rücksicht auf die Stufe des Amtes, also einerlei ob in der Zentral-, Mittel- oder Lokalstelle, muss logischerweise eine Sprache in Geltung sein – praktisch kann hier keine andere als die deutsche in Betracht kommen. Solche Agenden sind also Zentralagenden auch in der untersten Instanz.
Wäre die bureaukratische Ordnung auf diese Agenden beschränkt und trügen die Organe, die sie und sie allein besorgen, allein den Namen Staatsbeamte, wie etwa in den Vereinigten Staaten den Namen Bundesorgane, während alle übrigen Gemeinde-, Bezirks-, Kreis- und Landesbeamte wären und hiessen – eine logische Scheidung, die geltende Praxis werden muss – dann könnte man sagen: eine Staatssprache ist notwendig. Staatsbeamter aber ist heute auch der Bezirkskommissär in Böhmen und Galizien und darum kann man in irgend einem präzisen Sinne von Staatssprache nicht sprechen. Wie die Dinge heute stehen, ist das, was ich Staatssprache nennen möchte, nur ein unausgeschiedener Teil der mündlichen und schriftlichen Willensäusserung eines unabgegrenzten Teiles der Staatsbeamten. Ich bezeichne sie also besser als Sprache der Zentialagenden.
Das, was ich also die Zentralsprache genannt habe, umfasst zwei Anwendungsweisen der Sprache: a) die innere Dienstsprache der Zentralstellen, b) die Sprache der Zentralagenden auch in Lokal- und Mittelstellen. Herkömmlicherweise ist das Deutsche sowohl die Zentral- als auch die Vermittlungssprache.
Es lässt sich denken, dass der Regelung des Verkehrs zwischen beigeordneten Aemtern ein anderes Prinzip zugrunde gelegt wird. Wenn etwa em galizisches Gericht an ein italienisches des Trento ein Ersuchschreiben zu richten hat, so kann man den im Privatleben geltenden Grundsatz anwenden: Wer etwas wünscht, hat sich an die Sprache des Adressaten zu halten. Er ist in der Praxis undurchführbar, da jedes Amt unter Umständen alle acht Sprachen beherrschen müsste. Durch Uebersetzungsbureaus aushelfen zu wollen, scheint mir verkehrt und für die Bevölkerung äusserst gravaminös. Sie hat genug über die Langsamkeit der Erledigungen zu klagen, nun sollen unter Umständen noch Wochen hinzutreten, bis die Uebersetzungen beschafft sind. Da die Bevölkerung nicht der Beamten wegen, sondern diese für die Bevölkerung da sind, müssen die Beamten des Konzepts die Vermittlungssprache lernen, man kommt um diesen Sprachenzwang nicht herum. Welche kann als Vermittlungssprache dienen? Jeder Jurist weiss, dass das Rechtssystem eines Staates auf einer bestimmten Terminologie aufgebaut ist, in der alle Begriffe eine feste und spezifische Abgrenzung haben. Die Rechtsspracfie des Französischen deckt sich zum Beispiel mit der unseren durchaus nicht: Nicht nur fehlt für alle unsere Behörden in dieser Sprache eine adäquate Bezeichnung, auch für die Institutionen des Straf- und Zivilprozesses, selbst für das Straf- und Zivilrecht sind die termini ganz verschieden abgegrenzt. Ein Notariatsakt, in dem ein Ausgeding festgesetzt wird, ist ins Französische nicht kongruent zu übertragen, es kann nicht unsere Gesetzessprache sein. Auf alle absehbaren Zeiten bleibt das Deutsche unsere Vermittlungssprache im Rechtsleben, wenigstens solange wir nicht zu unserem gesamten Gesetzgebungsmaterial einen authentischen französischen Textim Parlament beschliessen. Und ebenso steht es um die Zentralsprache. Niemand wird umhin können, das Deutsche als Vermittlungs- und Zentralsprache anzuerkennen.
Hier ist nun zuzugeben: Wiewohl auf Basis der nationalen Autonomie hieraus keiner Nation und keiner bureaukratischen Klasse infolge der Amtshoheit der Nationen und der verhältnismässigen Beamtung ein Vorteil erwachsen kann, wird dennoch eine ungleiche Last, ein ungleicher Sprachenzwang auferlegt, da die Nationalsprache der deutschen Bureaukratie zugleich Verkehrssprache ist und nicht besonders gelernt werden muss. Die nächste Abhilfe scheint der Zwang für die Deutschen, eine zweite Landessprache zu lernen. Dagegen erheben sich zwei Bedenken. Erstens wird die deutsche Sprache von 70 Millionen gesprochen und eröffnet sie dem Lernenden alles, was diese 70 Millionen an Geistesschätzen erarbeitet haben, die anderen Sprachen stehen darin in verschiedenem Grade zurück und also werden nicht Aequivalente getauscht. Zweitens werden die Zahl der deutschen Intellektuellen, die sich die grössten Vorratskammern menschlichen Geistes, die englische und französische Sprache erschliessen können, und damit unsere Anknüpfungspunkte an den ferneren Westen verringert. Diese faktischen Ungleichheiten kann das Recht nicht ausgleichen. Wir können uns nur dadurch helfen, dass wir den Ballast der alten Sprachen endlich ganz oder zum Teile abwerfen und dafür die Landessprachen und die modernen Weltsprachen in den Schulen pflegen. Die Mittelschulreform muss ein Teil unserer Verwaltungsreform werden, nur dann werden die Ungleichheiten des Sprachenzwanges für die Intellektuellen erträglich werden.
So haben wir denn das ganze Gebiet der Amtssprachenfrage durchmessen und wie ich glaube, keinen Punkt gefunden, wo unser politisches Grundprinzip versagt. Im einzelnen bleibt freilich vieles eine Frage der Grenzen und des Masses und nur durch umsichtiges Entgegenkommen wird eine Verständigung über das Mass zustande kommen. Wir müssen den guten Willen haben und wir werden uns verstehen. Festhalten müssen wir vor allem an der vollzogenen Umwertung der politischen Werte. Die äussere Geschäftssprache ist Volkssache, die innere Dienstsprache ist Bureaukratensache, die Verkehrssprache aber ist Staatssache und somit für Oesterreich nicht nationale, sondern internationale Angelegenheit, nicht nationale und prinzipielle Ehrensache, sondern Zweckmässigkeitsfrage, rein technisches Postulat der geordneten Staatsverwaltung.
Für mich ist kein Zweifel: Alle Organe des Staates – nein, auch alle Glieder der österreichischen Internationale bedürfen eines gemeinsamen Verständigungsmittels. Wäre ein solches geschichtlich nicht gegeben, wir hätten es erfinden oder das Latein beibehalten müssen. Stünden die Deutschösterreicher ausserhalb des österreichischen Staatsverbandes, es blieben in demselben so viele Nationen zurück, dass sie einer Vermittlungssprache bedürften, und vielleicht würden sie dann leichter, ja ohne Bedenken dem Deutschen diese Aufgabe zuweisen. Denn was hat ihnen bisher diesen Beschluss so erschwert? Die Furcht, diese Auszeichnung einer Sprache könnte aus einer bestimmten Funktion eines formalen Verständigungsmittels das Privileg einer bureaukratischen Klasse, ja die Vorherrschaft einer Nation über sieben andere machen.
Aber gerade diese falsche Furcht kann den anderen Nationen verderblich werden: Wenn sie an die dauernde Wirksamkeit einer blossen Sprachenregel glauben und durch blosse Sprachenregeln das Deutsche einschränken, wird das im allgemeinen eintreten, was die Jungtschechen für Böhmen bewirkt haben, die deutschen Intellektuellen würden eben die Sprache lernen und endlich doch, ausgerüstet mit den reicheren Waffen der deutschen Wissenschaft, die anderen auf ihrem eigenen Felde schlagen können. Sie dürfen nicht vergessen, dass die Schwäche der deutschen Konkurrenz auf den starken Fortschritt der kapitalistischen Entwicklung unter den Deutschen zurückgeht. Die Deutschen hatten in Industrie und Handel ein lohnenderes Feld gefunden und wichen verhältnismässig vom Staatsdienst zurück. Bei der Ueberfüllung der liberalen Berufe, bei der Ueberproduktion an Intellektuellen aber ist es nicht so ausgeschlossen, dass sprachlich gut ausgerüstete Deutsche wieder in Massen zum Staate und über ihr Sprachgebiet hinausdrängen. Sprachklauseln sind da wahrlich kein Hindernis.
Was die anderen Nationen fürchten, können sie auf diesem Wege nicht vermeiden. Deutsche und Nichtdeutsche haben einfach ihr eigenes Haus zu bestellen, das heisst die Behördenorganisation der nationalen Autonomie aufzubauen. Sind die Nationen autonom, dann können sie ohne Sorge die Vermittlungssprache festsetzen: werden es doch die auserlesensten Vertrauensmänner der Nation sein, die sich ihrer bedienen, und sie wird der Gebrauch eines anderen Idioms nicht entnationalisieren!
1. Das Wort Nationalität bezeichnet nicht die Nation, den ganzen Volksstamm, sondern die Zugehörigkeit des Individuums zu einer Nation. Wie man sieht, spricht der ganze Geist unserer Gesetzgebung, die keine Nation, sondern bloss Individuen verschiedener Sprachen kennt, aus der Unart, die Volksstämme selbst als Nationalitäten zu bezeichnen. Am empörendsten wird dieser Missbrauch von der magyarischen Oligarchie gegenüber den anderen Nationen Ungarns geübt.
2. Das reine Personalitätsprinzip ist, wie ich anderwärts ausgeführt habe, innerhalb einer Gesellschaft von Besitzklassen undurchführbar, es gehört einer sozialistischen Gesellschaftsordnung an. In den ökonomischen Verhältnissen des Ortes, des Landes, der Nationen liegt die Entscheidung über das Mass des durchsetzbaren Minoritätenschutzes.
3. Die Behandlung trifft den inneren Dienst. Schliesst die Wendung eine, zwei oder drei Instanzen ein?
4. Das ist falsch. Die allermeisten Städte Böhmens lebten nach Magdeburger deutschem Stadtrecht, hatten ein gemeinsames, nur für die Städte dienendes Prager Obergericht und ihre Rechts und Amtssprache war kraft Privilegiums deutsch.
5. Wie die Doppelsprachigkeit des Amtes von der Doppelsprachigkeit der Beamten zu unterscheiden ist, so die Sprachkenntnis der Beamten von der Rechtspfiicht konstanter Uebung beider Sprachen.
6. Das englische Organisationsprinzip der Verwaltung findet somit auch seine Schranken, und sein Gegenteil, die bureaukratische Zentralisation, bildet zugleich seine Ergänzung. In den Zentralagenden muss eine stramm organisierte Bureaukratie fortbestehen, sie setzt sich auch in England durch. Ihr Bestand und ihre Rechte sind jedoch auf das Unerlässliche zu beschränken.
Zuletzt aktualisiert am 6. April 2024