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Der eigentliche landwirtschaftliche Großbetrieb beginnt mit 100 Hektar. Die Zahl dieser Betriebe beträgt 25.057. Ihm reiht sich der Mittelbetrieb, das Großbauerntum (20 bis 100 Hektar) an mit 281.734 Betrieben. Weiter können wir der Betriebs-Statistik nicht folgen, weil je zersplitterter der Besitz, desto mehr Übergewicht die Lohnarbeit gewinnt und die gewerbliche Nebenbeschäftigung. Wir müssen auch hier, wie in anderen Fällen, die Berufsstatistik zum Vergleich heranziehen. Diese weist im Hauptberuf 2.568.725 selbständige Landwirte auf. Ziehen wir von diesen die bereits gewonnene Zahl der Groß- und Mittelbetriebe ab, so bleiben 2.261.725 selbständige Kleinbauern, d. h. solche, für welche die Landwirtschaft die Hauptbeschäftigung bildet. Außerdem gibt es 5.627.794, die sich selbst in ihrem Hauptberuf als Lohnarbeiter bezeichnen – in ihrer großen Mehrheit sind es landwirtschaftliche Tagelöhner, Häusler etc., die auch selbst ein Stückchen Land besitzen oder pachten. Die Groß- und Mittelbetriebe, die zusammen 5½ Prozent der Gesamtzahl ausmachen, umfassen 54,4 Prozent der landwirtschaftlich benutzten Fläche. Dies die Zahlen.
Wir wollen hier nicht die Frage erörtern, inwieweit wir jetzt schon die landwirtschaftliche Bevölkerung gewinnen können, d. h. inwieweit wir sie zu einer aktiven sozialrevolutionären Tätigkeit gewinnen können. Die Frage ist hier für uns, inwiefern sie die soziale Revolution hindert, d. h. ob es dem industriellen Proletariat möglich ist, angesichts einer derartigen landwirtschaftlichen Bevölkerung die soziale Revolution zu vollbringen.
Zunächst über den reaktionären Charakter des Bauerntums überhaupt. Der Bauer ist schwer zu einer politischen Aktion zu bewegen. Damit haben nicht nur die Revolutionäre, sondern auch die Reaktionäre zu rechnen. Der Bauer ist politisch passiv. Wer das Bauerntum in seinen politischen Charakterzügen studieren will, muss nach China oder Russland gehen. Die Herren, die jetzt mit so freudiger Genugtuung angesichts der „Eroberung“ von Kiautschou von dem politischen Indifferentismus der chinesischen Bauern zu erzählen wissen, der mit einem Gefühl der vollständigen Wurstigkeit dem politischen Wechsel begegnet, könnten daraus auch in Bezug auf die inneren deutschen Verhältnisse manches lernen. Es ist diese unerschütterliche Ruhe, die politische Teilnahmslosigkeit des Bauerntums, woraus sich das Märchen vom Bauerntum als Stütze der politischen Ordnung, von der es beherrscht wird, bezieht. Wenn der moderne westeuropäische Bauer unzweifelhaft viel regsamer ist, so beweist er eben in gleichem Maße: 1. Wie sehr die Landbevölkerung unter den Einfluss der kapitalistischen Warenproduktion, der Eisenbahnen und Städte ihren wirtschaftlichen Charakter geändert hat; 2. Wie sehr sie auch moralisch unter dem allgemeinen kulturellen Einfluss der kapitalistischen Entwicklung steht. So oft nun das europäische Bauerntum als Klasse in diesem Jahrhundert in politische Aktion trat, hat es sich den auch stets als oppositionelle Kraft erwiesen. Es ließ sich von Abenteurern und Scharlatanen narreleiten – von Napoleon dem Kleinen und bis auf Boulanger und Ahlwarth – aber das gerade war stets seine Art, Protest zu erheben gegen die bestehende Gesellschaftsordnung. Dieser oppositionelle Charakter ist jetzt deutlich zu erkennen nicht nur an den Antisemiten, sondern auch an dem Bund der Landwirte, obwohl dieser nur jene Schichten umfasst, die wir dem kapitalistischen Großgrundbesitz zugezählt haben. Wie werden sich nun aber erst die Millionen von Kleinbauern stellen, wenn sie zur politischen Betätigung aufgerüttelt werden? Wenn man soeben auf dem konservativen Parteitag seitens der „Gouvernementalen“ wie seitens der Agrarier Worte tiefgefühlter sittlicher Entrüstung gegen diejenigen richtete, welche die kleinen Landwirte gegen die großen aufhetzen, so wird man doch wohl seine guten Gründe dazu haben.
Es ist bekannt, dass die Junker durch den wirtschaftlichen Druck, den sie jetzt imstande sind auf die Landbevölkerung auszuüben, sie zwingen, zur Wahlurne zu gehen, – wie groß nichtsdestoweniger ihr politischer Indifferentismus, zeigt die Stimmenzahl, mit der die Konservativen gewählt werden. Wir haben für 68 konservative Abgeordnete des jetzigen Reichstags festgestellt, dass davon nur 5 mit knapper absoluter Majorität der Wahlberechtigten gewählt wurden – 11 vereinigten auf sich 456n50 Prozent der Wahlberechtigten, 26 bloß 40–45 Prozent, 21 nur 35–50 Prozent, also ein Drittel bis höchstens zwei Fünftel, 3 nur 31–35 Prozent und schließlich 2 etwas über 25 Prozent, also über ein Viertel der Wahlberechtigten! [1] Darum treten ja auch die Konservativen für den Wahlzwang ein. Wenn nun durch die soziale Revolution, welche die Großgrundbesitzer expropriieren wird, der wirtschaftliche Druck, den diese auf die Bauern ausüben, beseitigt wird, soll das zu einer Stärkung der konservativen Armee führen? Glaubt man, der Parzellenbauer hätte wirklich Grund, sich in Harnisch zu werfen, weil der „Staat“ das Land der Großgrundbesitzer einzieht?! Für das Bauerntum handelt es sich um seine eigenen Interessen, und die Frage ist, inwiefern diese durch die soziale Revolution gefährdet oder verletzt werden.
Da möchten wir an die Analogie mit der großen bürgerlichen Revolution anknüpfen, welche E. Bernstein anführt. Wie war denn das französische Bauerntum 1789? Isoliert, unterdrückt, unwissend, ohne Zeitungen, die es auch, wenn es welche gehabt, gar nicht hätte lesen können, hat es vor der Revolution keine politische Aktion von Bedeutung entwickelt. Die Revolution ist in Paris gemacht worden. Das erst rüttelte die Bauern auf, die bei all ihrer Borniertheit sofort begriffen hatten, dass die Stunde für sie gekommen war, sich ihrer adeligen Bedrücker zu entledigen. Aber die zahllosen Bauernaufstände, die dem Bastillesturm folgten, wären sicher ebenso militärisch unterdrückt worden wie zuvor, hätte nicht die Revolution bereits das Regiment in ihren Händen gehabt, wäre nicht bereits die „Diktatur“ des Dritten Standes, der Bourgeoisie, etabliert gewesen. Die Bourgeoisie, als sie die staatliche Macht eroberte, begriff sehr wohl, dass sie sich der Sympathien des Bauerntums versichern muss. Wie gelang es ihr? Durch die Dekrete der berühmten Nacht des 4. August, welche die Feudallasten und Privilegien vernichteten durch die Konfiskation der Kirchengüter und der Güter der Emigranten. Wie das alles wirkte und welche sonstige materiellen Momente hinzukamen, die den Bauern zum Parteigänger der bürgerlichen Revolution machten, darüber kann ja Bernstein in der bekannten Schrift unseres Freundes Kautsky über die Klassengegensätze von 1789 nachblättern. Aber was die französische Revolution anbetrifft, bestreitet er ja diese Wirkungen gar nicht, – dass auch die soziale Revolution materielle Interessen erzeugen kann, welche die Bauern zu ihren Anhängern machen würde, will ihm nicht in den Sinn.
Sehen wir zu, wie sich die Dinge gestalten werden. Was dem Bauern Not tut, weiß man. Die Zinsenlast der Hypothekarschuld drückt ihn schlimmer als der Zehnte den französischen Bauern vor der Revolution. Die geringe Betriebsfläche macht ihm eine vernünftige Landwirtschaft, welche imstande wäre, ihm ein auskömmliches Dasein zu gewähren, zur Unmöglichkeit; könnte er auch Maschinen anwenden, so hat er kein Geld, um sie zu kaufen, kein Geld auch, um sich den teuren Dung zu kaufen, keine Mittel, um die Wirtschaftsgebäude auszubessern, geschweige zu vergrößern, keine Futtermittel, um das Vieh aufzuziehen; er besitzt auch nur zu oft nicht Nahrung genug für sich und seine Familie, und da er selbst auf einem zu kleinen Lappen Erde sitzt, so hat seine Nachkommenschaft erst recht keinen Platz auf dem Lande, sie muss auswandern, wenn sie nicht irgend eine Unterkunft in der Stadt bzw. in der Fabrik findet. Was nun bis jetzt getan wurde, um dem Bauerntum zu helfen, lässt sich, sieht man von allgemein rechtlichen und fiskalischen Fragen ab, kurz zusammenfassen: Verbilligung des Kredits, Einkaufs- und Verkaufsgenossenschaften, dazu noch die Entwicklung landwirtschaftlicher Spezialitäten und Nebenbetriebe, wie Gartenbau, Milchwirtschaft bzw. Käsebereitung. Und das ist auch in der Tat alles, was auf dem Boden des Privateigentums und der Warenproduktion für das Bauerntum getan werden kann. Aber schon alle diese Maßregeln haben ein klägliches Fiasko erlitten. Weshalb? Weil auch ein geringer Zinsfuß bei einer großen Schuld schwer drückt, weil auch das Unglück des Bauern weniger daran liegt, dass er keine neuen Schulden aufnehmen, sondern dass er die alten Schulden nicht mehr tragen kann, weil viele Nullen noch keine Eins bilden, weil auch die billigsten Einkaufspreise bezahlt werden müssen, weil auch die Gewinne der Genossenschaft sich nur auf viel zu viele Mitglieder verteilen, die zu wenig liefern – weil sie wenig liefern können – dass ihr Gewinnanteil sie nicht warm macht, geschweige schon vor den Schwierigkeiten, mit denen diese Einrichtungen zu kämpfen haben, und weil schließlich bei allen Völkern, welche bereits das Nomadentum verlassen haben, der Getreidebau die Grundlage der Landwirtschaft bildet.
Wie nun die soziale Revolution? Das Erste, was sie dem Bauerntum bieten wird, ist die Ablösung der Grundschuld. Wenn man den Grund und Boden in gesellschaftliches Eigentum verwandelt, so muss man zugleich auch das Verhältnis zwischen den Hypothekargläubigen und ihren Schuldnern regeln. Gibt es kein Privateigentum mehr an Grund und Boden, so kann es auch keine private Schuld mehr geben an diesem Grund und Boden. In welcher Weise nun diese Ablösung der Grundschuld vor sich gehen wird, wird sehr von den politischen Verhältnissen abhängen, unter denen die soziale Umwälzung sich vollziehen wird. Jedenfalls aber ist eine Art der Schuldenablösung ausgeschlossen: jene, welche der Kapitalismus erfunden hat und welche darin besteht, dass nicht die Schuldner der Zinsenlast enthoben, sondern den Gläubigern der Zinsenbezug vom Staat garantiert wird, d. h. was man nennt: Verstaatlichung der Hypothekarschuld. Das höchste, was die Herren Hypothekenbesitzer fordern könne ist, dass der Staat ihnen die Schuld bezahlt, nicht dass er sie verzinst. Und dass diese Schuldsumme nicht auf einmal ausbezahlt werde, liegt im Interesse dieser Geldleute selbst, weil sonst die große auf den Markt geworfene Kapitalmasse, und wenn es lauter Gold wäre, das Geld und folglich den Kapitalbesitz der Herren Hypothekengläubiger stark entwerten müsste. Die sozialrevolutionäre Regierung wird aber die Grundschuld amortisieren, und zwar in einer angemessen langen Frist, damit die Gesellschaft der Herren Rentiers wegen nicht in Ungelegenheiten komme. Für den Bauern wird sich also daraus, außer der Befreiung von der ewigen Schuldknechtschaft, noch, auf Geld gerechnet, und diese Rechnung werden wir noch auf geraume Zeit beibehalten müssen, eine wirkliche Verminderung der Zinsenlast ergeben.
Die Vergesellschaftung des Grund und Bodens, die wir bereits erwähnt haben, ist das zweite Schreckgespenst, welches den Bauern zum erbitterten Gegner des Sozialismus machen soll. Allen, die so meinen, haben sicher noch nie versucht, sich praktisch vorzustellen, was diese Vergesellschaftung bedeutet. Man denkt gewöhnlich dabei an eine Wegnahme, als ob man so den Bauern den Boden unter den Füßen wegziehen, einpacken und forttragen will. Wie? Wohin? Wer soll es tun? Glaubt man den wirklich, dass jemand daran denkt, den Bauern fortzujagen und die Industriearbeiter aufs Land zu schicken? Das ist der selbe Blödsinn wie das Märchen vom „Teilen“. Die Vergesellschaftung des Grund und Bodens ist vor allem eine Rechtsform, aus der sich folgende Konsequenzen ergeben:
Wer ist nun die „Gesellschaft“? Der zusammengelaufene Haufen ist es nicht, es ist die Organisation in ihrer ganzen Mannigfaltigkeit, von der politischen Zentralgewalt und bis auf die Gemeinde. Also die Gemeinde, hinter der Gemeinde der Kreis, hinter dem Kreis die Provinz, hinter der Provinz die allgemeine Landesverwaltung – aber je weiter die Stufenleiter der Zentralisation, desto geringer der Zusammenhang mit dem eigentlichen landwirtschaftlichen Betrieb, desto mehr wird die gesellschaftliche Einmischung sich auf Allgemeinheiten beschränken, und die Gemeinde, die in unmittelbarer Beziehung zum Ackerland steht, diese wird es eigentlich sein, welche darüber zu verfügen haben wird. Wer aber ist die Gemeinde auf dem Lande? Das sind die Bauern und Landarbeiter. Die Vergesellschaftung des Grund und Bodens bedeutet also praktisch zunächst, dass die Gemeinden über das ganze in ihrem Umkreis liegende Land, einschließlich die Einzelhöfe und Gutsbesitzer, verfügen. Wie sich in diesem Fall die großstädtischen Gemeinden, unter Voraussetzung eines demokratischen Gemeindewahlrechts, den Herren Hauseigentümern gegenüber verhalten werden, braucht nicht erst viel erörtert zu werden – und wie sich die Landgemeinden zu den Großgrundbesitzern stellen werden, das hat eben das Beispiel der großen französischen Revolution gezeigt. In dem Gemeinderat, dem einzigen Rechtsinhaber des ganzen Bodens, wird die Stimme des Gutsherrn nicht mehr wiegen als die seines letzten Knechtes. Dass der edle Herr unter solchen Verhältnissen auf den mühelosen Bezug seiner Renten wird verzichten müssen, liegt auf der Hand. Wie sich die Bauerngemeinde mit ihm abfinden wird, hängt wiederum in vielen Stücken von den politischen Verhältnissen ab. Wenn die Herren, wie ihre Standesgenossen während der französischen Revolution, voll Hass und Angst und Rache brütend, über die Grenzen fliehen, um an fremden Höfen gegen ihr Vaterland zu intrigieren und Heere zu werben, welche dieses mit Krieg überziehen, so wird das das Schlimmste sein für sie, aber vielleicht das beste fürs Land, wie ebenfalls das Beispiel der großen französischen Revolution zeigt. Dann werden ihre Güter konfisziert, wie etwa, um ein Beispiel aus der Neuzeit zu nehmen, der Welfenfonds konfisziert wurde. Doch das sind Dinge, über die wir uns nicht jetzt schon in Spekulationen einzulassen brauchen. Die Gemeinde wird es sicher so machen, dass ihre Interessen dabei nicht zu kurz kommen. Die Vergesellschaftung des Grund und Bodens, welche den Großgrundbesitz expropriiert, vermehrt also in gleichem Maße die Betriebsfläche, über die die Bauerngemeinde verfügt. Das bringt allerdings noch nichts in Bezug auf den einzelnen Bauern, – aber halten wir vorläufig das Ergebnis fest.
Ferner wird die soziale Revolution der Bauerngemeinde die landwirtschaftlichen Maschinen liefern. Für die sozialistische Verwaltung kommt daher nicht wie jetzt die Zahlungsfähigkeit des einzelnen Bauern in Betracht, sondern der Umstand, dass durch den Maschinenbetrieb entweder das Produkt der Landwirtschaft selbst versteigert wird, oder Arbeitskräfte eingespart werden, welche anderweitig Verwendung finden und so eine Steigerung des gesellschaftlichen Gesamtprodukts herbeiführen. Stimmt die Rechnung, so macht sie damit ein profitables Geschäft. Das Ergebnis ist, dass die Gesellschaft in ihrer Gesamtheit reicher geworden ist, dass mehr Mittel zur Verfügung stehen, um die verschiedenartigen Bedürfnisse der Gesellschaft zu befriedigen. Die sozialistische Verwaltung wird also die Maschinen in ihren Fabriken herstellen lassen und sie an die Bauerngemeinden abliefern. Was in dieser Beziehung geleistet werden kann, davon verschafft man sich eine ungefähre Vorstellung, wenn man bedenkt, was der gegenwärtige Staat für Kanonen, Panzerschiffe etc. ausgibt. Aus gleichen Gründen wird die sozialistische Zentralverwaltung für die Beschaffung des Düngers sorgen, und zwar in zweierlei Weise, einmal durch den Bezug von Mineraldung aus dem Auslande, zweitens durch die rationelle Verwertung der städtischen Abfälle. Wie bei alledem die Abrechnung zwischen Industrie und Landwirtschaft vor sich gehen wird, gehört in das Gebiet der Organisation des gesellschaftlichen Tauschprozesses, die sich als Folge der sozialen Revolution herausbilden wird muss. Das wollen wir hier nicht erörtern. Für uns handelt es sich nur um die wirtschaftlichen Konsequenzen, welche sich aus der Vergesellschaftung der Produktionsmittel, also einer bestimmten gesetzgeberischen Maßregel, die wir vorzunehmen gedenken, mit Notwendigkeit ergeben.
Abschaffung der Schulden, mindestens Herabminderung der Zinsenlast, Erweiterung der landwirtschaftlichen Betriebsfläche der Gemeinde, allen Anforderungen entsprechende maschinelle Ausrüstung, Düngerversorgung – das bietet der arbeitenden Landbevölkerung die soziale Revolution. Demgegenüber steht der „antikollektivistische Bauernschädel“, die Anhänglichkeit des Bauern an die ihm privateigentümlich gehörende Parzelle, auf der er nach seinem Belieben herumwirtschaftet. Das letztere wird nun freilich aufhören. Der einzelne Bauer wird sich den Anordnungen der Gemeinde bzw. der Genossenschaft fügen müssen, ja noch mehr, es wird, was den Getreidebau betrifft, ein allgemeiner Wirtschaftsplan für das ganze Land entworfen werden müssen. Das ist unumgänglich. Der größte wirtschaftliche Schaden des landwirtschaftlichen Kleinbetriebes liegt gerade darin, dass jeder dieser Millionen Betriebe in seinem Bestreben nach Selbständigkeit ein wirtschaftliches Mosaik darstellt, in der weder die natürlichen noch die technischen Produktivverhältnisse berücksichtigt werden können. Es wird also auf Grund der wissenschaftlichen Feststellung der Boden-, Bewässerungs- und klimatischen Verhältnisse ein Landwirtschaftsplan für das ganze Land entworfen werden. Es werden die geographischen Grenzen für den Anbau der einzelnen Feldfrüchte gezogen werden, der Fruchtwechsel wird bestimmt werden, es wird bestimmt werden, wo der Dampfpflug zu gehen hat, und Berieselungs- und Entwässerungsarbeiten werden von er allgemeinen Landesverwaltung vorgenommen werden. Das alles beruht nicht auf einer Laune, sondern auf der wirtschaftlichen bzw. produktiven Notwendigkeit. Wenn wirklich, wie mache glauben, der landwirtschaftliche Kleinbetrieb noch immer rentabel wäre, dann hätte die Sache erst recht keine Schwierigkeiten und die Vergesellschaftung des Grund und Bodens würde den Bauernstand auch nicht im geringsten antasten. Aber so ist es nicht. Was folgt nun daraus? Dass die Zentralisation des Betriebes nebst den von uns dargelegten allgemeinen wirtschaftlichen Maßnahmen zu einer enormen Steigerung der Produktivität der landwirtschaftlichen Arbeit führen wird. Und wer ist es, dem diese Opulenz in erster Linie zu Gute kommen wird? Der Bearbeiter des Bodens selbst, der Bauer! Und gegenüber diesen immensen materiellen Vorteilen, welche die sozialistische Gesellschaft dem Bauern gewährt, steht auf der anderen Seite nichts als sein Privateigentums-Idealismus. Ist da so schwer zu bestimmen, wie die Entscheidung schließlich ausfallen wird? Vollends aber diejenigen, welche schon innerhalb der kapitalistischen Gesellschaft die Bauern in Genossenschaften zu organisieren können glauben, würden eine geradezu idiotenhafte Inkonsequenz zeigen, wollten sie leugnen, dass die soziale Revolution, welche, wie wir dargelegt haben, wirtschaftliche Momente von gewaltiger Tragweite zur Unterstützung der landwirtschaftlichen Genossenschaftsbildungen ins Feld führen wird, hier auf der ganzen Linie den Erfolg davon tragen muss.
Die Schwierigkeiten bestreiten wir nicht, aber sie liegen auf anderem Gebiete. Die größte Schwierigkeit besteht in der relativen landwirtschaftlichen Übervölkerung. Nicht dass der Boden die Landbevölkerung nicht mehr ernähren kann, aber es sitzen jetzt tatsächlich auf dem Lande mehr Leute als Arbeitskräfte notwendig sind, um die landwirtschaftliche Arbeit zu leisten – trotzdem die Junker über Arbeitermangel klagen. Praktisch genommen: wenn wir den Grund und Boden vergesellschaften und den konzentrierten Betrieb durchführen, so wird ein Teil der Bevölkerung in der Landwirtschaft überflüssig werden. Wo hier der Ausweg? Nun, diese Übervölkerung existiert auch jetzt, und sie drängt in die Fabriken, drückt die Löhne, schindet sich als Hausindustrielle ab, belastet die Familie, oder wandert aus. In der sozialistischen Gesellschaft werden sie sich einfach in die Industrie überführen lassen. Hier wird man immer Arbeitskräfte brauchen, z.B. auch zu dem Zwecke, um die Maschinen zu bauen, mit denen die Landwirtschaft ausgerüstet werden soll. Aber anderseits werden auch in der Landwirtschaft sich weit mehr Arbeitskräfte unterbringen lassen als jetzt veranschlagt werden kann, und zwar aus folgenden Gründen: 1. Der Getreidebau wird nicht nur konzentriert, sondern auch intensiviert werden; 2. Die Anbaufläche wird erweitert werden. Für beides gibt der absolute Brotmangel Europas einen wirksamen Ansporn 3. Die Viehzucht, die Milchwirtschaft, der Gemüse- und Gartenbau, der Obstbau werden sich mit der steigenden Wohlhabenheit der Bevölkerung erweitern.
Dass das eine sehr komplizierte Entwicklung ist, wer sieht das nicht ein? Aber unsere Aufgabe war auch nicht, nachzuweisen, dass eine neue Gesellschaftsordnung sich ebenso leicht mit den Fingern verfertigen lässt wie eine Papiertüte! Worauf es uns ankam, war, zu beweisen, dass für diese ganze große Entwicklung erst die politischen Grundlagen geschaffen werden müssen und dass es an uns liegt, das zu vollbringen. Wir müssen die soziale Revolution erkämpfen – die Niederwerfung des kapitalistischen Staats, die Vergesellschaftung der Produktionsmittel – damit jene sozialistische Entwicklung der Landwirtschaft sich erst entfalte. Reibereien und Streitigkeiten wird es geben in Massen, aber dass diese Kämpfe zu dem in voraus bestimmten Ziel führen müssen dafür gibt uns Gewähr die soziale Gliederung der landwirtschaftlichen Bevölkerung und ihre Stellung zur Gesamtheit. Den zirka 300.000 Großgrundbesitzern stehen zusammen an Kleinbauern und Lohnarbeitern 7.900.000 gegenüber. Danach ist der Ausfall des ersten Kampfes, gegen den Großgrundbesitz, unzweifelhaft. Die 2.260.000 Kleinbauern sind materiell an der sozialen Revolution interessiert, allein Tradition, Borniertheit und Interessenkonflikte im einzelnen (bei der Betriebsleitung, Bestimmung der Betriebsfläche etc.) werden hier viele Hindernisse der Entwicklung schaffen. Doch stehen hinter diesen 2,2 Millionen selbständigen Kleinbauern 5.600.000 landwirtschaftliche Lohnarbeiter, welche die sozialrevolutionäre Armee der Landwirtschaft bilden. Wir haben also in der Landwirtschaft selbst eine erdrückende sozialrevolutionäre Majorität, die allerdings in den verschiedenen Landesteilen ungleich stark vertreten sein wird. Aber dazu kommt noch, dass die Landgemeinden bereits von industrieller Bevölkerung durchsetzt, die auch ein Wort mitzusprechen haben wird, und dass hinter den ganzen die große industrielle Majorität steht, konzentriert in den Städten, im Besitze der politischen Macht, der Eisenbahnen, der industriellen Produktionsmittel und der Armee!
Wir müssen jetzt unsere Untersuchungen über die sozialrevolutionäre Armee zusammenfassen.
1. Nach dem damaligen Wahlsystem gab es Stichwahlen, bis einer der Kandidaten die absolute Mehrheit der abgegeben Stimmen bekam, die Zahlen drücken also eine niedrige Wahlbeteiligung aus.
Zuletzt aktualisiert am 29. May 2024