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Im Handel und Verkehr fanden wir vor allem 1.233.000 Lohnarbeiter und 262.000 Verwaltungspersonal. Diese mögen jetzt, so lange die kapitalistische Gesellschaft besteht, für uns in großen Massen nicht zu haben sein. Aber bei der sozialen Revolution haben sie ach andererseits kein Interesse daran, die bestehende Ordnung aufrecht zu erhalten. Dass das reine Arbeiterpersonal der Packhäuser, die niederen Kommis, die Ladenmädchen, die Ausläufer etc., all diese 1,2 Millionen, die auf das schändlichste ausgebeutet und auf das elendste bezahlt werden, sich in der sozialistischen Gesellschaft, die eine menschenwürdige, geregelte Arbeitszeit und auskömmliche „Löhne“ – der Ausdruck selbstverständlich nicht im kapitalistischen Sinne des Marktpreises der Arbeitskraft gebraucht – einführen wird, besser stellen müssen, liegt auf der Hand. Sie bilden jetzt aus verschiedenen Gründen eine politisch indifferente Gesellschaftsschicht, aber sie sind keineswegs stupid, geistig unbeweglich, im Gegenteil, sie sind sehr regsam und sehr energisch in der Wahrnehmung ihrer Interessen. Sie werden der sozialen Umwälzung wohl mit dem größten Misstrauen begegnen, aber es wird ihnen nicht einfallen, wegen der Expropriierung ihrer Prinzipale sich besonders zu erhitzen, wie sie auch jetzt es sich nicht besonders zu Herzen nehmen, dass etwa der Kaufmann Hinz bankrott wird wenn nur Kunz das Geschäft weiterführt. Sie werden einfach die sozialistische Regierung als den neuen Prinzipal auffassen, wie jetzt etwa das Direktorium einer Aktiengesellschaft, und sie werden allerdings nicht verfehlen, ihre Forderungen zu stellen. Können wir diese Forderungen erfüllen, vermögen wir, ihre Lage zu verbessern, dann werden sie zu den enragierten Parteigängern der sozialrevolutionären Regierung werden. Dass wir aber dazu wirklich im Stande sind, liegt in der allgemeinen produktiven Voraussetzung der sozialen Revolution: dass die Vergesellschaftung der Produktion bei der jetzigen Entwicklung der Produktivkräfte ein reichliches Auskommen für sämtliche Mitglieder der Gesellschaft zu schaffen vermag.
Analog, wenn auch durchaus nicht gleich, stehen die Verhältnisse bei dem höheren technischen und Verwaltungspersonal, das wir hier in seiner Gesamtheit, also nicht nur im Handel, sondern in sämtlichen Produktionszweigen nehmen wollen. Auf den Prozess der Ausbildung einer richtigen Lohnarbeiterschaft auch unter dieser Gesellschaftsschicht genügt es zu verweisen. Wir wollen hier die Sache von einem anderen Gesichtspunkte ins Auge fassen. So wenig Sympathien diese Herren meistens der Arbeiterschaft entgegenbringen und so sehr die Arbeiter zum Teil in ihnen ihre Antreiber sehen müssen, so lässt es sich doch nicht leugnen, dass das Proletariat durch seine sozialrevolutionäre Tätigkeit zunächst für sie mehr noch als für sich selbst die Vorarbeit leistet. Denn wenn man die Kapitalistenklasse beseitigt, welche dieses Verwaltungspersonal durch ihren Geldbesitz von sich abhängig macht, so bleibt dieses als der faktische Herr des Betriebes. Man mag von der Schulung der Arbeiter in den Konsumvereinen und Gewerkschaften noch so viel denken, so werden doch die Arbeiterbeamten die sämtlichen Ingenieure und Fabrikdirektoren nicht ersetzen können. Wir sind auf sie angewiesen. Mit dem diese Herren kennzeichnenden Scharfsinn werden sie denn auch gleich entdecken, wie die Dinge stehen, und sie wären zu schlechte Geschäftsleute, wollten sie diese Sachlage nicht für sich ausnützen. Sie werden also sich Einfluss zu verschaffen suchen und, soeben Gegner der sozialen Revolution, werden sie, sobald die politische Entscheidung zu unseren Gunsten gefallen, sich sofort zu ihren Leitern aufzuwerfen suchen. Ein ungemein geistesgewandtes Völkchen, werden sie da die mannigfaltigste Tätigkeit entwickeln, als Redner, Organisatoren und vor allem als Projektemacher aller Art. Sie werden bald herausfinden, welche produktive Möglichkeit die soziale Revolution eröffnet, und sie werden mit den gewagtesten Plänen an das Volk dringen und dabei agitatorische Eigenschaften entwickeln, vor denen wir uns sehr wohl in Acht zu nehmen haben werden. Uns, den Politikern, welche die soziale Revolution zielbewusst vorbereiten, wird dann nichts übrig bleiben als: 1. durch rasche Erweiterung des technischen Unterrichtswesens dafür zu sorgen, dass reichliches technisches Verwaltungspersonal der Gesellschaft zur Verfügung steht; 2. durch Ausbau einer demokratischen Organisation der Betriebsleitung und durch energische Handhabung der politischen Zentralmacht den Abenteuern entgegenwirken. Doch für unsern jetzigen Zweck kommt nur in Betracht, dass diese gegenwärtigen Parteigänger des Kapitals in ihrer großen Mehrzahl ihren jetzigen Herrn und Gebieter verraten werden, wenn sie im entscheidenden Kampf dem Proletariat unterliegen. Die Gesamtzahl des technischen und kaufmännischen Personals umfasst 621.918 Erwerbstätige.
Wir wenden uns der ehrbaren „Kaufmannschaft“ zu, also zu den selbständigen Ladenbesitzern. Wir finden hier 31.990, also rund 32.000 Betriebe mit mehr als 5 Beschäftigten. Ihre Inhaber zählen wir zu der Kapitalistenklasse. Außerdem gibt es hier 204.213 Betriebe mit je 2 bis 5 Beschäftigten, den Betriebsinhaber und etwaige Familienmitglieder mitgerechnet. Man weiß, dass gerade im Handel die Beschäftigung von Familienmitgliedern sehr weit verbreitet ist, ja im Kleinhandel die Regel bildet. Wenn wir deshalb von dieser Zahl 50.000 als der Kapitalistenkasse zugehörig, d. h. denjenigen, deren Einkommen hauptsächlich aus der Verzinsung ihres Kapitals und nicht aus ihrem Arbeitsverdienst fließt, abrechnen, so ist das sicher sogar sehr weit gegriffen. Also die Gesamtvertretung der kapitalistischen Kaufmannschaft 82.000. Ihnen gegenüber stehen außer den 1.600.000 auf Lohn Angestellten 154.000 Inhaber von Kleinbetrieben und 398.994 kaufmännische Alleinbetriebe, zusammen 550.000 kleine Kaufleute, die in ihren resp. Kaufläden ein Kapital stecken haben, dessen Verzinsung vielleicht nicht einmal ausreichen würde, die Kosten der Buchführung zu bezahlen, und die eben nur davon leben, dass sie selbst die Arbeit der Kommis, Packträger und oft auch der Ausläufer verrichten. Wie es um die wirtschaftliche Selbständigkeit dieser „Privateigentümer“ bestellt ist, haben wir bereits gezeigt. Die sozialistische Verwaltung wird ihnen gegenüber als Lieferant auftreten. Die Produkte werden ihnen zugestellt werden, und sie werden sie, wie auch jetzt, an die einzelnen Verbraucher zu „verkaufen“ haben – wir brauchen uns ja nicht jetzt schon um die sozialistische Geschäftsterminologie den Kopf zu zerbrechen –, dafür zu sorgen haben, dass die Ladenbestände rechtzeitig ergänzt und genügend assortiert werden, dass die Ware nicht verdirbt, und sie werden für ihre Mühewaltung ein entsprechendes Einkommen zugesichert bekommen. Diese Behandlung der Kaufmannschaft mag den überraschen, der sich einbildete, dass das Proletariat, wenn es zur Herrschaft gelangt, nichts anderes anzufangen haben wird, als die ganze Gesellschaft in eine einzige Fabrik zu verwandeln. Diese Albernheiten können wir getrost den Sozialphilosophen à la Eugen Richter überlassen. Eine große Schwierigkeit liegt aber beim Handel allerdings vor, und diese Besteht in der Konzentrierung des Betriebs. Gewiss herrscht gegenwärtig noch eine große Zersplitterung im Handel, die beseitigt werden muss. Aber einmal ist in Betracht zu ziehen, dass mit der Konzentration des Handels keineswegs eine Verminderung der im gesamten Handel zur Verwendung gelangenden Zahl der Beschäftigten vor sich gehen wird. Das ist selbst jetzt nicht der Fall, weil die gewaltige Ausdehnung des Handelsverkehrs die Ersparnisse an Arbeitspersonal infolge der der Konzentration der Betriebe bei weitem überflügelt. So sehen wir auch in der Industrie mit der Entwicklung des Großbetriebs eine Vermehrung der Gesamtzahl der Beschäftigten vor sich gehen. Und das wird in der sozialistischen Gesellschaft, wo der Warenbedarf der Bevölkerung noch steigen wird, im Handel erst recht der Fall sein.
Nun wird es immerhin wohl eine bedeutende Anzahl von Budikern geben, die für den mehr Intelligenz und Gewandtheit fordernden kaufmännischen Großbetrieb sich nicht eignen werden. Doch auch diese werden nicht wie jetzt, wenn sie von den Großbasaren und Konsumvereinen außerhalb der Konkurrenz gesetzt werden, hilflos dastehen, ohne zu wissen, woher sie die Mittel nehmen sollten zur Bestreitung ihrer kümmerlichen Intelligenz, sondern sie werden in anderen Zweigen der unendlich mannigfaltigen sozialen Wirtschaft oder in dem weitverzweigten Gemeindedienst, der sich mit der Vergesellschaftung der Produktion sicher eminent erweitern wird, eine Verwendung nach ihren Fähigkeiten finden. Bei dieser Gelegenheit sei noch darauf verwiesen, dass die jetzige Konzentration des Produktenhandels in den Konsumvereinen etc. keineswegs bloß dem Bedürfnis der Betriebskonzentration entspringt, sondern vor allem dem Bestreben, die kapitalistischen Zwischenprofite der verschiedenen Händler durch deren Hände die Ware geht, zu beseitigen, dass ihr Vorteil viel weniger in der Ersparnis an Arbeitskräften liegt, als eben in der Ausschaltung dieser kapitalistischen Prozentsätze, einfach gesagt darin, dass sie die Ware „aus erster Hand“ kaufen. In der sozialistischen Gesellschaft in der die kapitalistische Profitberechnung überhaupt beseitigt wird, wird dieser Geschäftsvorteil wegfallen, und um so mehr die anderen Momente zur Geltung kommen, welche der Konzentration des Produktenhandels entgegenwirken, wie z. B. die Notwendigkeit für Hausfrauen, größere Gänge zu machen, um die Großhandlung zu erreichen, und die damit verbundene lästige Häufung des Geschäftsbetriebes zu bestimmten Stunden. Dies auch ein Fingerzeig für diejenigen, welche glauben, die sozialistische Gesellschaft werde nichts vernünftigeres zu tun wissen, als den mathematischen Mittelpunkt des Landes zu ermitteln und in diesem Mittelpunkt eine große Zentrale zu errichten, in der die gesamte Produktion und der gesamte Handel untergebracht werden.
Bei den noch übrig bleibenden Gewerbegruppen brauchen wir uns nicht lange aufzuhalten. Das Versicherungsgewerbe verliert mit der sozialen Revolution einen guten Teil seiner Bedeutung, da ja die gesamte sozialistische Gesellschaft eine Organisation zur gegenseitigen Existenzversicherung ist. Wie es jetzt schon den kapitalistischen Riesenbetrieben vorteilhafter ist, eine „eigene Versicherung“ zu buchen, wie es z. B. der Norddeutsche Lloyd tut, d. h. einfach bestimmte Abschreibungen für das Risiko zu machen, so wird die sozialistische Produktionsverwaltung gar nicht anders können, als selbst ihre Verluste zu decken. Das Personal der Versicherungsanstalten, wie auch das der Banken, eignet sich vorzüglich zum Verwaltungs- und Beamtenpersonal – die Buchführung, die es jetzt besorgt, wird auch später notwendig sein. Die Möglichkeit einer Vergesellschaftung des Verkehrsgewerbes in seinen verschiedenen Formen wird kaum bestritten werden. Es kommen hier nach der Berufsstatistik in Betracht: 428.797 eigentliche Lohn- bzw. Handarbeiter, ferner 113.405 technisches und Verwaltungspersonal – darüber mit über 100.000 die Verwaltung der Eisenbahnen, Posten und Telegraphen – und 65.501 „selbständige“ Erwerbstätige, worunter in großer Mehrzahl die Droschkenkutscher, Lohnfuhrwerksinhaber, Dienstmänner und die Besitzer von Flussfähren, Kähnen usw. Wir rechnen unter ihnen 15.000 Kapitalbesitzer in dem bereits früher erläuterten Sinne.
Noch ein Wort über die Gastwirtschaft. Rechnen wir hier die Besitzer von Betrieben mit mehr als 5 Beschäftigten zu den Kapitalisten, so beträgt ihre Zahl 13.772. Ihnen stehen gegenüber Lohnarbeiter 314.535. Die Zahl der selbständigen Erwerbstätigen ist hier viel geringer als die Zahl der Betriebe, nämlich 175.712 gegenüber 234.437. rechnen wir von den Selbständigen die eben ermittelte große Zahl der großen Gastwirte ab, so bleiben ca. 162.000 Kleinbetriebe. Es gilt von ihnen im allgemeinen, was wir bereits vom Handel gesagt haben. Wer sich vergegenwärtigen will, wie sehr die Gastwirte von der Arbeiterschaft abhängig sind, werfe einen Blick in den Inseratenteil der Parteizeitungen und erinnere sich an den Polizeikampf gegen die Gastwirte wie auch die Bierboykotts. Gewinnen die Arbeiter mehr Muße und wird ihre materielle Lage gehoben, so wird die Trunksucht sicher abnehmen und das vergnügen der Massen einen mehr kulturellen Charakter annehmen; das wird veredelnd auch auf den Wirtschaftstrieben wirken, aber gerade deshalb wird der Gastwirtschaftsbesuch mit der größeren Entfaltung des öffentlichen Lebens nicht abnehmen, sondern zunehmen.
Wir wenden uns jetzt jener Bevölkerungsklasse zu, in der das konservative Schwergewicht der heutigen Gesellschaft liegt, dem Bauerntum.
Fassen wir aber noch vorher die in der heutigen Übersicht gewonnenen Zahlen kurz zusammen. Wenn wir die 25.00 im Versicherungsgewerbe Beschäftigten zum Verwaltungspersonal rechnen und dieses aus allen Berufszweigen in die Gruppe „Handel und Verkehr“ zusammenfassen, so erhalten wir in runden Zahlen folgendes Gesamtbild der sozialen Gliederung in Handel und Verkehr, incl. Gastwirtschaft:
Kapitalistenklasse |
111.000 |
Lohnarbeiterklasse |
2.000.000 |
Verwaltungspersonal |
650.000 |
Kleinhändler und kleine Gastwirte |
760.000 |
Zuletzt aktualisiert am 29. May 2024