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Aus: Sächsische Arbeiter-Zeitung, I: Nr. 11 (15. Januar 1898) & II: 12 (16. Januar 1898).
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Die Tatsache, welche unsere Überschrift ankündigt, klingt unglaubhaft, und doch ist dem so, und von dem Titel lässt sich kein Wort streichen, keins wegstreichen. Die bürgerliche Presse, die aus begreiflichen Gründen in diesen Dingen ein schärferes Auge hat, machte zuerst die Öffentlichkeit auf die sehr „versöhnliche“ Haltung des Vorwärts in der Kiao-Tschau-Frage aufmerksam. Wir haben die Sache auf sich beruhen lassen, abwartend, wie es werden wird. Dann stellte die Frankfurter Volksstimme den Vorwärts wegen seiner Behandlung der ostasiatischen Angelegenheit offen zur Rede. Der Vorwärts antwortete zuerst, er sei gleicher Meinung wie die andere Parteipresse, unterscheide sich aber nur von anderen Parteiorganen durch die „Tonart“. Das hat in uns schon Bedenken erweckt, da ja der Ton die Musik angibt. Wir fragten den Vorwärts, weshalb er die bürgerlichen Auslegungen seiner Äußerungen nicht zurückgewiesen habe? Darauf folgte bis jetzt keine Antwort, dagegen erschien nunmehr eine längere zweite Entgegnung des Vorwärts an die Frankfurter Volksstimme, die sehr gewunden, sehr vorsichtig, sehr unklar ist, aber doch für den aufmerksamen Leser deutlich verrät, wohin der Verfasser steuert. Es ist nicht das erste Mal, dass sich in der Partei grundsätzliche Meinungsverschiedenheiten auftun. Wir haben es bis jetzt stets für die beste Taktik gehalten, in solchen Fällen die strittigen Punkte rücksichtslos zu erörtern. Es liegt keine Veranlassung vor, diesmal von der rühmlichen Parteitradition abzuweichen. Einmal wird ja die bürgerliche Presse die Auslassungen des Vorwärts aufgreifen und ihnen die ihr passende Deutung zu geben wissen, und das kann besonders angesichts der nahen Reichtagswahlen für uns sehr misslich werden, sodann würde eine eingehende Diskussion vor allem Klarheit schaffen, inwiefern es sich wirklich um Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Partei oder doch nur um eine Marotte dieser oder jener einzelnen Persönlichkeit, welche gelegentlich als der spiritus rector des Vorwärts erscheint, handelt.
Die Auslassungen des Vorwärts lauten:
„Wir haben in dieser Frage in ihren verschiedenen Stadien mit derjenigen Entschiedenheit gesprochen, die unseren Auffassungen von der Bedeutung der Sache entspricht.
Wir haben das Verfahren der deutschen Regierung ei der Besetzung von Kiao-Tschau gemissbilligt, wie wir die deutsche Kolonialpolitik überhaupt gemissbilligt haben. Darum aber nun noch immerfort von „Länderraub“ zu sprechen, scheint uns nicht sachentsprechend. Wenn wir auch mit aller Begeisterung und Hingebung international gesinnt sind, so geht die Betätigung unserer internationalen Gesinnung nun doch nicht so weit, dass wir es als Aufgabe unserer Partei betrachten, die Interessen der Mandschu-Dynastie, dieser gewaltsamen Eroberer und Bedrücker Chinas mit Pathos zu vertreten. Was die Vernachlässigung des Parlaments betrifft, so hat der Vorwärts so früh und so entschieden wie nur irgend ein anderes Parteiblatt gefordert, dass die Reichsregierung über die bisherige Aktion und ihre weiteren Pläne dem Reichstage Rechenschaft ablege und den Vertrag mit China dem Reichstage genau ebenso wie die Handelsverträge zur Genehmigung vorlege. Dass der Vertrag über die Pachtung Kiao-Tschaus zuerst mit der chinesischen Regierung geschlossen werden musste, bevor derselbe dem Reichstage paraphiert vorgelegt werden konnte, erscheint unter den heutigen Umständen unvermeidbar.
Ob und inwieweit die Pachtung Kiao-Tschaus gegen die „sozialen Interessen des arbeitenden Volkes“ verstoßen wird, ist heute noch nicht abzusehen. Eine Ausdehnung unserer Ausfuhr nach Ostasien würde gegen diese Interessen nicht verstoßen, auf die Gefahr einer Zufuhr von Kulis nach Deutschland ist aber von uns hingewiesen worden. Den späteren Konsequenzen einer Erschließung Chinas entgeht das europäische und auch das deutsche Proletariat im speziellen nicht, wenn auch der Pachtvertrag über die Kiao-Tschau-Bucht nicht ratifiziert würde. Die sibirische Eisenbahn, das Vorrücken der Franzosen von Hinterindien, der Telegraph und die Eisenbahnen in China und so manches andere erzwingen die Einbeziehung Chinas in den weltwirtschaftlichen Wettbewerb.
Es liegt uns fern, die ostasiatischen Angelegenheiten für die Zukunft leicht nehmen zu wollen. Wir haben oft betont, dass in Ostasien leicht die größeren und verhängnisvollen Komplikationen der kapitalistischen Staaten entstehen werden. Wir hatten an der Politik Deutschlands in diesen Angelegenheiten viel zu tadeln und werden sicherlich auf absehbare Zeit derselben durchaus oppositionell gegenüberstehen müssen.
Darum braucht uns aber die Besetzung von Kiao-Tschau, nachdem sie ohne gefährliche Zusammenstöße mit anderen Staaten von sich gegangen ist, nicht eine Angelegenheit zu sein, m derentwillen unsere Partei Veranlassung hätte, die Alarmtrommel mächtig zu rühren. Diese Besetzung ist ein Unternehmen der deutschen Kapitalistenklasse und ihrer Regierung, an der die Arbeiterklasse keinen Anteil hat. Aber die Arbeiterklasse fasst diese Besetzung als ein Glied in der notwendigen Entwicklung des Kapitalismus auf. Die Aufgabe unserer Partei kann nur sein, dafür Sorge zu tragen, dass in dieser unabwendbaren Entwicklung der Dinge die Interessen der Arbeiter geschützt und gefördert werden, dass insbesondere die deutsche Arbeiterklasse durch den Ausbau der gewerkschaftlichen Organisation und die Verbesserung des Arbeiterschutzes gegen Degeneration und sozialen Druck geschützt und durch geeignete Maßregeln gegen die drohenden Gefahren einer Konkurrenz der bedürfnislosen Arbeiterschaft Ostasiens im eigenen Lande bewahrt werde.
Im Irrtum ist endlich die Volksstimme wenn sie meint, dass wir uns mit der Art, die chinesische Frage zu behandeln, isoliert haben. Eine ganze Reihe von Parteiblättern hat sich auf unseren Standpunkt gestellt.“
Diese Erklärung besteht aus zwei Teilen, die sich widersprechen. Der erste Teil basiert in dem Satz, der Vorwärts habe die Besetzung von Kiao-Tschau, sowie die deutsche Kolonialpolitik überhaupt gemissbilligt, der zweite beginnt mit dem Satz: „Ob und inwieweit die Pachtung Kiao-Tschaus gegen die „sozialen Interessen des arbeitenden Volkes“ verstoßen wird, ist heute noch nicht abzusehen.“ Wenn das heute noch „nicht abzusehen“ ist, wenn es möglich ist, dass die „Pachtung Kiao-Tschaus“ den Arbeiterinteressen nicht widerspricht, so war es doch inkonsequent, sie von vorn herein zu „missbilligen“! Und so geht es durchweg: was im ersten Teil positiv behauptet wird, das wird im zweiten umgekehrt oder bis zur Unkenntlichkeit abgeschwächt, und wenn der erste Teil so klingt, als ob es gar keine Meinungsstreitigkeiten in der Partei gebe, so schließt der zweite Teil mit der offenen Proklamation dieses Meinungsgegensatzes. Bliebe der Vorwärts beim ersten Teil seiner Erklärung, so würde vielleicht mancher, der den Vorwärts liest, darüber lächeln, aber die Sache wäre erledigt – das nachfolgende hätte keinen Zweck, wenn es nicht bestimmt wäre, das Vorangehende aufzuheben. Der Schreiber des Vorwärts ist sich offenbar dessen bewusst, dass er mit der ganzen Tradition der bisherigen Parteitaktik bricht, und hält es deshalb für angebracht, sich auf jeden Fall einigermaßen den Rückzug zu sichern. Wir wollen ihm diesem Rückzug herzlich gönnen, da auf diese Weise am ehesten Einheitlichkeit in der Partei erzielt wird, und werden deshalb im Folgenden, was wir können, dazu beitragen, ihn zur Erkenntnis seines Irrtums zu bringen.
Zuerst die Behauptungen des ersten Teils. Die Sache ist keineswegs so, wie sie jetzt der Vorwärts darstellt. Vor allem hat der Vorwärts eine sehr schwankende Stellung eingenommen, aber innerhalb dieser Schwankungen lässt sich folgendes unterscheiden:
Zunächst, als man noch vollkommen im Unklaren war darüber, was die Regierung in Ostasien plant, forderte der Vorwärts, wie übrigens auch die gesamte bürgerliche halbwegs liberale Presse Aufklärung. Aber auch dabei handelte es sich für ihn viel weniger um die Missbilligung „der deutschen Kolonialpolitik überhaupt“ als um die Befürchtung kriegerischer Verwicklungen. So schrieb der Vorwärts bereits am 10. Dezember 1897 in Beantwortung eines lächerlichen Ausfalls des Reichsboten gegen die Sozialdemokratie, weil sie nicht in das Rachegeschrei wegen der Ermordung der Missionare mit einstimmte: „Nun, niemand hat gesagt, China soll nicht Genugtuung geben wegen der Ermordung der Missionare. Aber China hat sich noch nicht geweigert, das zu tun, und kann sich gar nicht weigern. Die Chauvinisten selbst wünschen in dem Vorgehen Deutschlands mehr zu sehen als bloße Erzielung gebührender Genugtuung. Sie wollen Landbesitz, Eisenbahnen, Handelsvorteile haben. Auch hierüber ließe sich reden. Aber um die Mittel dreht sich der Streit, mit denen man vorgeht, und über den Wert dessen, was mit schlechten Mitteln erreicht wird.“
Dass der Vorwärts den Krieg fürchtete, das er nicht dafür zu haben gewesen wäre, wegen des chinesischen Landraubes die 50 Millionen Deutsche zur Strecke zu bringen, können wir ihm beim besten Willen nicht als großes Verdienst anrechnen. Im Übrigen aber war seine Haltung schon damals, wie man sieht, die, dass, wenn sich die Sache ohne große politische Komplikationen machen lässt, dann – nur zu in Gottes Namen und unter dem Segen der deutschen Sozialdemokratie!
Je mehr es sich nun mit der Zeit herausstellte, dass die Okkupation keinen Krieg nach sich ziehen wird, desto spärlicher werden die Spuren der „Missbilligung“ im Vorwärts, bis sie gänzlich verschwunden. Die letzte schärfere Auslassung gegen die deutsche Kiao-Tschau-Politik im Vorwärts datiert vom 18. Dezember. Sie bringt die allgemeine Anschauung der Partei zum Ausdruck, passt aber so wenig zu der allgemeinen Stellungnahme des Vorwärts, dass dieser sie besonders als unverantwortliche Zuschrift von auswärts kennzeichnet! Seitdem lässt der Vorwärts wohl noch ein paar Mal ganz allgemeine Äußerungen über die Schlechtigkeit dieser kapitalistischen Welt vernehmen, z. B. anlässlich des Weihnachtsfestes, aber die eigentlichen ostasiatischen Vorgänge registriert er bloß. Wobei auch noch die Auswahl der Nachrichten manchmal sehr eigenartig erscheint. Ja, einmal verbreitete er sich in einem längeren Artikel darüber, dass die deutsche Besatzung die Chinesen mit Bambushieben traktierte. Aber derselbe Vorwärts, der der Züchtigung von ein paar Chinesen einen ganzen Artikel widmet, findet kein tadelndes Wort mehr in der Sache der Okkupation. Als der chinesisch-deutsche Pachtvertrag bekannt wurde, verzeichnet es der Vorwärts mit freudiger Genugtuung, die nur einmal durch die Aussicht auf den künftigen Wettbewerb aller kapitalistischen Staaten in China getrübt wird. „Deutschland hat seine Kohlenstation, hat einen Stützpunkt für sein ostasiatisches Geschwader, hat einen Ausgangsort für Handelsverbindungen in das Innere der großen Provinz Schantung und das übrige China.“ Wirklich welche Herzensfreude für die Sozialdemokratie, dass Deutschland einen Stützpunkt hat „für sein ostasiatisches Geschwader“! Und das nennt der Vorwärts „Missbilligung der Besetzung von Kiao-Tschau“ und Missbilligung „der deutschen Kolonialpolitik überhaupt“! Um mit diesem Teil abzuschließen, sei noch darauf hingewiesen, dass die Behauptung des Vorwärts, er habe gefordert, dass der „Vertrag mit China“ dem Reichstag vorgelegt werde, direkt falsch ist – er tat es mit keiner Zeile. Das ist zwar wenig wichtig, da die Sache selbstverständlich ist, aber da der Schreiber des Vorwärts so resolut etwas behauptet, das nicht wahr ist, so soll es ihm gesagt werden. Wichtiger ist, dass der Vorwärts kein tadelndes Wort fand darüber, ja nicht einmal Erwähnung tat, dass trotzdem die „Pacht“ von Kiao-Tschau vom Reichstag nicht genehmigt, die Regierung dort bereits Ausgaben macht wie die der Pachtung deutscher Handelsschiffe, für die nicht nur noch keine Bewilligung des Reichstags existiert, sondern die überhaupt außerhalb des jetzigen Reichsetats stehen!
Soviel über den ersten Teil der Erklärung des „Vorwärts“
und sein bisheriges Verhalten. Wir müssen uns für morgen
eine Kritik der im zweiten Teil dargelegten Begründung seines
Standpunktes vorbehalten.
Der Vorwärts erklärt uns, er wisse vorläufig noch nicht, ob und inwiefern die Besetzung von Kiao-Tschau den Arbeiterinteressen widerspreche – und das, nachdem die Regierung selbst so voreilig war, die große Rechnung ihrer neuen Kolonialpolitik, noch bevor sie des ersten Erfolges ganz sicher war, dem Reichstag zu präsentieren: die Tirpitzsche Marinevorlage. Oder sieht der Vorwärts wirklich den Zusammenhang zwischen den Marineforderungen und der Kolonialpolitik nicht. Glaubt er, man brauche wohl eine Flottenstation, aber keine Flotte, um sie dort unterzubringen? Kiao-Tschau ist nicht zu dem Zweck besetzt worden, um den deutschen Handelsschiffen eine Unterkunft zu verschaffen – diese haben in allen offenen Häfen Zutritt. Unter einer Marinestation versteht man eine Station für die Kriegsschiffe, und man kann der Regierung nicht den Vorwurf machen, dass sie dies irgendwie zu verheimlichen gesucht habe. Die Forderung eine eigenen Flottenstation in China bedeutet nichts anderes als: es sei notwendig, ständig deutsche Panzerschiffe in den chinesischen Gewässern zu unterhalten. Wie viele? Das richtet sich danach, wie viel Kriegsschiffe die anderen konkurrierenden Staaten: England, Russland Frankreich, Japan dort unterhalten, und das heißt: immer mehr! Mit der Besetzung von Kiao-Tschau ist für Deutschland eine neue politische Interessensphäre von gewaltigem Umfange geschaffen worden. Bis jetzt brauchte sich das Reich nicht darum zu kümmern, was in Ostasien vorgeht. Das wird jetzt anders werden. In jedem einzelnen Fall wird es heißen: auch wir haben unsere Interessen in China, auch wir müssen mit vertreten sein. Man hat gesehen, welche Konflikte bereits der jetzige afrikanische Kolonialbesitz Deutschlands brachte – wie ganz anders aber stehen erst die Dinge in Ostasien! Jedermann sieht, dass sich dort die größten Verwicklungen vorbereiten. Und ein Kolonialbesitz lässt sich überhaupt nicht aufrechterhalten, wenn man ihn nicht militärisch zu verteidigen weiß. Welche andere militärische Macht vermag aber Deutschland im Stillen Ozean zu entwickeln als die der Panzerschiffe? Daran ist gar kein Zweifel: Wer Kolonialpolitik sagt, sagt auch Kriegsmarine, wer Kiao-Tschau sagt, sagt v. Tirpitz! Und da soll die Sozialdemokratie nichts gegen die Okkupation einzuwenden haben, nachdem sie soeben in der schärfsten Weise gegen die Marinevorlage gestimmt hat? Die Regierung wird uns mit Recht entgegnen: Wenn ihr wollt, dass wir Flottenstationen erwerben, wie könnt ihr uns denn die Panzerschiffe verweigern, welche nötig sind, um sie zu erreichen?
Wie die Annexion von Elsass-Lothringen Deutschland zwang, seine Landarmee bis zur äußersten Grenze zu entwickeln, so zieht die Besetzung von Kiao-Tschau Deutschland in einen Marinewettbewerb ohne Grenzen hinein. Zwar nicht einen Wettkampf mit China, wohl aber einen Wettkampf um China gibt es, an dem sämtliche Staaten Europas teilnehmen. Was dieser Wettkampf kosten würde, hat der frühere Staatssekretär der Marine, v. Hollmann, an dem Beispiel Englands gezeigt. England hatte in den 70er Jahren ein Marinebudget von 100 Millionen Mark, wovon 16 Millionen für Schiffsbauten, dagegen betrug 1897 sein Marinebudget 440 Millionen Mark, wovon 140 Millionen für Schiffsbauten. Und das gibt nur noch eine schwache Ahnung von dem, was kommen wird. Der Marinewettbewerb beginnt ja eigentlich erst jetzt. Bis jetzt hat man England stillschweigend das Marineübergewicht überlassen. Das einzige Land, das neben ihm noch eine nennenswerte Flotte besaß, war Frankreich. Jetzt tritt Deutschland hinzu, auch Russland reiht sich an, und die anderen folgen nach. Auch die technische Entwicklung der Kriegsmarine hat noch ein unübersehbares Feld vor sich und dabei ist sie nicht, wie die Waffentechnik der Armee, an das Menschenmaterial und die Schwierigkeit der Fortbewegung auf offenem Terrain gebunden. Die Perspektiven, die sich da eröffnen, sind sinnverwirrend, und ebenso die Steigerung der Staatsausgaben. Wer hat aber in dem kapitalistischen Staat all die Staatslasten zu tragen? Das weiß der Vorwärts ebenso gut wie wir, und doch behauptet er, er wisse noch nicht, ob die Besetzung von Kiao-Tschau den Arbeiterinteressen widerspreche!
Und weiß der Vorwärts nicht, was ein Kolonialbudget bedeutet? Da ist alles Mögliche: Hafenanlagen, Forts, Lagerplätze, Kasernenbauten, Garnisonsunterhaltung, Stadtanlagen, Beamtengehälter, Dampfersubventionen, geschweige schon von strategischen Eisenbahnen und ähnlichen Dingen. Das alles muss bezahlt werden. Wenn nun wenigstens die Kolonie eine bedeutende Bevölkerung besitzt, so kann sie nach sehr vielen Jahren auf eigene Füße gestellt werden – aber was Deutschland jetzt in China erworben hat, ist die kahle Umrandung eines Meerhafens, die es erst mit Gold pflastern muss.
Die Frage, ob es denn bei Kiao-Tschau allein bleiben wird, scheint sich der Vorwärts überhaupt nicht vorgelegt zu haben. Und doch ist nichts wahrscheinlicher, als dass es dabei nicht bleiben wird. Die chinesische Küste ist sehr groß, sie enthält mehr als einen Hafen, mehr, als einen wichtigen Handelsmarkt, aber nicht nur Ostasien kommt in Betracht, sondern Südwestasien nicht minder wird jetzt kolonialpolitisch erschlossen: Die Küste des persischen Golfes gewinnt eine ungeahnte Bedeutung, noch ist die asiatische Küste des Roten Meeres „frei“, wenn sie auch nominell der Türkei gehört, und vor allem Kleinasien rückt in den Vordergrund des politischen Interesses. Wir haben schon vor zwei Jahren darauf aufmerksam gemacht, wie lüstern die deutschen Kapitalisten nach einem Kolonialbesitz in Kleinasien sind. Gestern waren wir in der Lage, auf die Ausführungen des wichtigsten sächsischen Regierungsblattes, des Dresdner Journals zu verweisen, in dem direkt zum Landerwerb in Kleinasien aufgefordert wird. Die Gründe aber, die dem Vorwärts den Erwerb von Kiao-Tschau plausibel machen, die Erledigung auf rein diplomatischem Wege, können in Kleinasien ebenso zutreffen wie in China – ja der bisherige deutsche Kolonialerwerb in Afrika vollzog sich in der gleichen Weise, auch hier gab es keine großen kriegerischen Verwicklungen. Es handelt sich also nicht um einen Einzelfall, es handelt sich um eine grundsätzliche Stellungnahme.
Wie steht es aber in Wirklichkeit mit den „kriegerischen Verwicklungen“? Weil der Pachtvertrag mit China keinen Krieg erforderte, glaubt der Vorwärts, nun sei alles in bester Ordnung – das aber sieht er nicht, dass die ganze politische Stellung Deutschlands durch diesen Kolonialbesitz eine Änderung erfährt. Vor allem wird jetzt die Orientpolitik Deutschlands eine ganz andere Gestalt gewinnen. Ägypten erhält ja jetzt für Deutschland eine ganz andere Bedeutung, da der Suezkanal den Durchgang zu seiner chinesischen Flottenstation beherrscht. Man hat wiederum bereits aus dem amtlichen Dresdner Journal gelesen, welche abenteuerlichen Pläne angesichts dieser Sachlage auftauchen. Aber das ist das Geringste. Wenn soeben erst Leute wie Bismarck erklärt haben, Deutschland habe in der Orientfrage kein unmittelbares politisches Interesse, es solle deshalb den anderen die „Vorderhand“ lassen, so wird man jetzt ganz andere Forderungen an Deutschlands diplomatisches Auftreten stellen, und die politischen und militärischen Verwicklungen, die daraus entstehen, können von der größten Tragweite sein. Hat man denn nicht schon wiederholt das Wort gehört von der Bekämpfung der Weltmacht Englands? Es ist ja ein wahrer Sinnestaumel, der immer weitere Kreise der deutschen Bourgeoisie erfasst, der „chinesische Klops“, wie es die Leipziger Volkszeitung sehr gut charakterisiert, der droht, auch die Volksmassen zu hypnotisieren. Sollen wir uns nun durch diesen Taumel hinreißen lassen und für die Folgen verantwortlich machen?
Was eingetreten ist, dürfte doch für uns gar nicht so überraschend sein. Wir haben es auch bereits vor 1½ Jahren vorausgesagt. Wir schrieben damals:
“Es ist bereits so ziemlich klar, dass nunmehr an Stelle der Ausgaben für das stehende Heer die Verwendungen für Marine bei der Steigerung an die erste Stelle rücken werden. Es ist aber nicht nur die Stellung des Kleinbürgertums, sondern auch die des Proletariats zu den Marineforderungen keineswegs ebenso wie zu den Militärforderungen für das stehende Heer. Hier eine gewaltige Ausgabe hauptsächlich zu dem Zweck, eine große Anzahl junger, kräftiger Leute unproduktiv zu erhalten und sie auf den Kampf gegen den äußeren aber auch gegen den „inneren“ Feind zu dressieren. Bei den Marineausgaben aber kommt in Betracht: einmal dass durch die Schiffsbauten Beschäftigung einer sehr bedeutenden Anzahl von Arbeitern gewährt wird, sodann, dass ihr ausgesprochener Zweck ist, die Handelsentwicklung zu fördern, folglich die Produktion zu erweitern. Wenn jetzt in Deutschland die Stimmung allgemein den Marineforderungen gegenüber eine schroff ablehnende ist, so rührt es daher, dass bis jetzt die Entwicklung des deutschen überseeischen Handels noch immer nicht soweit fortgeschritten ist, um die öffentliche Meinung wesentlich zu beeinflussen. Schon die rasche Ausdehnung des Handels mit Ostasien wird hier Wandel schaffen. Sollte es nun aber noch Deutschland tatsächlich gelingen, bei der bevorstehenden Teilung der Türkei sich Kolonialgebiete in Kleinasien zu verschaffen, was durchaus nicht ausgeschlossen ist, so wird binnen kurzem „ganz Deutschland“ in einen wahren Taumel der Marinebegeisterung geraten.
Wenn die englischen Arbeiter für Marineausgaben stimmen so wäre es doch törichte Ideologie, dies bloß aus ihrer prinzipiellen Unklarheit erklären zu wollen. Vielmehr zeigt sich darin tatsächlich ein gewisser Zusammenhang der Interessen. Unsere prinzipielle Klarheit muss uns dazu führen, wegen dieses speziellen Zusammenhangs die allgemeinen Unterschiede, wegen des augenblicklichen Vorteils die späteren Nachteile nicht zu übersehen und deshalb gegen die Marineausgaben zu stimmen.“
Wir müssen jetzt allerdings anerkennen, dass wir die grundsätzliche Klarheit, welche in der deutschen Sozialdemokratie herrscht, verkannt haben: man verwechselt leicht das, was Marx und Engels in der Sozialdemokratie haben sehen wollen, mit dem, was geschichtlich, hauptsächlich unter dem Druck der wirtschaftlichen und politischen Verhältnisse, weniger als Produkt der Propaganda, sich herausgebildet hat. Wollen wir also noch zum Schluss die grundsätzliche Stellung der Sozialdemokratie zu der jetzigen Erschließung Chinas kurz skizzieren.
Der Vorwärts stützt sich darauf, dass die Erschließung Chinas sich aus der Weltmarktentwicklung ergebe. Die Erschließung Besetzung Kiao-Tschaus sei „ein Glied in der notwendigen Entwicklung des Kapitalismus“, die „unabwendbar“ ist. Aber was ergab sich nicht schon so viele Male „unabwendbar“ aus der kapitalistischen Entwicklung? Die scheußliche Kinderausbeutung ergab sich aus der kapitalistische Entwicklung, der ganze Militarismus ergibt sich aus der kapitalistischen Entwicklung und ist wirklich von ihm unzertrennbar – aber hat sich deshalb die Sozialdemokratie bis jetzt nehmen lassen, gegen all das den schärfsten Protest zu erheben und einen grundsätzlichen Kampf zu führen? Ja, wenn man sich darauf stützt, dass die Kolonialpolitik sich aus der kapitalistischen Entwicklung ergibt – und das tut sie – so muss man sie auch so nehmen, wie sie ist, mit all ihren Gräueln und kriegerischen Verwicklungen, denn anders kann sie nicht sein. Man kann die Neger nicht anders in Lohnsklaverei zwingen als mittels der Nilpferdpeitsche, man wird in China das Bambusrohr gebrauchen müssen – das alles ergibt sich mit Notwendigkeit aus der Kolonialpolitik, die sich selbst mit Notwendigkeit aus der kapitalistischen Entwicklung ergibt. Der Opiumkrieg in China ergab sich aus der kapitalistischen Entwicklung, die jetzige Hungerpest in Indien ergibt sich aus der kapitalistischen Entwicklung, die Ausrottung der Indianer ergab sich aus der kapitalistischen Entwicklung, kein einziger Krieg im letzten Jahrhundert, der nicht mit dem Kapitalismus innig zusammenhängt, auch der deutsch-französische Krieg ergab sich aus der kapitalistischen Entwicklung. Aber wir dürfen doch bei dieser Berücksichtigung der kapitalistischen Entwicklung vor allem nicht vergessen, dass auch wir selbst, die Partei der sozialen Revolution, uns mit Notwendigkeit aus der kapitalistischen Entwicklung ergeben. Die Begründer des wissenschaftlichen Sozialismus haben diese notwendige kapitalistische Entwicklung, Glied für Glied, schon vor 50 Jahren vorausgesagt, aber deshalb predigten sie nicht die Taktik des Abwartens, sondern sie waren bereit, schon damals, im Besitze der politischen Macht, die soziale Entwicklung in andere Bahnen zu leiten. Was für die kapitalistischen Staatsleiter „unabwendbar“ ist, ist es deshalb noch nicht für uns. Wir brauchen nicht erst Kolonien zu schaffen, um die Überproduktion loszuwerden – das ist eine Politik, die wir schon in diesem Augenblick durchführen könnten, hätten wir die politische Macht. Und das ist unser grundsätzlicher Standpunkt. Überlassen wir den Nationalliberalen, die Notwendigkeit des kolonialen Absatzes bei überfüllten Warenhäusern und krasser Volksarmut nachzuweisen – wir schmieden uns gerade daraus die Waffen unserer Agitation! Unsere Kenntnis der kapitalistischen Entwicklung muss uns nur dazu dienen, sie desto schärfer zu bekämpfen, nicht um uns vor ihr zu beugen. Wir verfolgen sie auf Schritt und Tritt, um sie auf Schritt und Tritt zu kritisieren das sozialrevolutionäre Heer gegen sie zu sammeln und uns bereit zu halten, in dem ersten günstigen Augenblick durch Ergreifung der politischen Macht die Dinge nach unserem Willen zu lenken. Die allgemeinen Produktionsverhältnisse sind reif für die soziale Revolution – das hat der Sozialismus längst erklärt, und er hat recht darin, der Kapitalismus braucht uns in dieser Hinsicht nicht mehr vorzuarbeiten, im Gegenteil, seine weitere Produktionsentwicklung erschwert die soziale Revolution.
Es sind zwei große Erscheinungen auf die wir in dieser Beziehung verweisen wollen. Einmal der Rückgang des europäischen Ackerbaues unter dem Druck der kapitalistischen Grundrente, sodann im Gegensatz dazu eine förmliche Hypertrophie (übermäßige Entwicklung) in einzelnen Industriezweigen. Das erstere ist bekannt, in Bezug des zweiten verweisen wir auf die europäische Eisen- und Stahlindustrie, die durch die forcierte Entwicklung der europäischen Eisenbahnen, des Militarismus und die Panzerschiffbauten bereits zu ungeheuren Dimensionen emporgetrieben worden ist und jetzt vor allem durch die koloniale Entwicklung gefördert werden soll. Wir werden, wenn wir die Produktion gesellschaftlich regeln, das heißt dem Bedarf der Bevölkerung anpassen, gewiss eine andere Verteilung der Arbeitskräfte eintreten lassen müssen, und da wird uns diese ungeheure Ansammlung von Arbeitern in einer einzelnen Industrie, die nicht dem unmittelbaren Bedarf dient, vielleicht mehr Schwierigkeiten bereiten als etwa die Überreste des Handwerks und der kleinen Kaufleute. Das zum Beweis, dass selbst die kapitalistische Produktionsentwicklung nicht unbedingt für die soziale Revolution günstig zu sein braucht, geschweige schon die politische Entwicklung. Der Kapitalismus, der mit dem Kampf für eine billige und demokratische Regierung seine Laufbahn begonnen hat, treibt jetzt unverkennbar einem kostspieligen und prunkhaftem Absolutismus zu. Das ergibt sich auch aus der „kapitalistischen Entwicklung“.
Werfen wir nun noch einen Blick auf die Industrialisierung Chinas! Man stellt sich die Sache zu einfach vor. Es handelt sich nicht um eine einfache Ausdehnung der Warenausfuhr. Es handelt sich um die Verpflanzung europäischer Industrien nach China; wie z. B. schon seit langem europäisches Kapital nach Amerika, Russland, Ostindien geht, um dort Fabriken zu gründen und von dort aus der Heimat Konkurrenz zu machen. Das Kapital wandert aus, nicht bloß das Geld, die Maschinen, die Produktionsmittel werden nach dem Auslande verschifft, es ist kein Austausch mehr, der die heimische Industrie fördert, es ist einfach eine Entlastung, die einzige, die das Kapital noch hat, um nicht unter der Überproduktion zusammenzubrechen. Auch täuscht man sich, wenn man glaubt, der Besitz eines Küstenstückes, einer Panzerflotte, einer Handelsflotte genüge, um sich „seinen Teil“ bei der industriellen Entwicklung zu sichern. Diese ganze westeuropäische Konkurrenz in China wird über den Haufen geworfen durch die Erbauung der Transsibirisches Eisenbahn. So leicht sind die chinesischen Profite noch nicht geheimst. Glaubt man, das Kapital würde zögern, wenn es des Profits sicher wäre. Nichts steht mehr im Wege, damit man in China Eisenbahnen baue und Fabriken gründe. Dazu braucht man keine Flottenstationen. China will ja Eisenbahnen bauen, wenn man ihm das Geld dazu gibt. Aber die chinesische große Anleihe wandert seit einem Jahre von Hand zu Hand, ohne einen Abnehmer zu finden. Man will die Regierungen in chinesischen Kolonien engagieren, um von den Parlamenten Zinsgarantien für chinesische Eisenbahnen zu erhalten. Diesen Zweck verfolgt die Börse. Und darin liegt die hauptsächliche Bedeutung auch des deutschen Kiao-Tschau-Besitzes.
Im Allgemeinen liegt die Bedeutung der Erschließung Chinas für Westeuropa in der mittelbaren Wirkung – in der Rückwirkung seitens der wirtschaftlichen Entwicklung Russlands. Doch können wir das hier nicht erörtern – es wird in seinen wirtschaftlichen und politischen Zusammenhängen die Schicksale Europas für die nächste Zeit beherrschen.
Der Vorwärts empfiehlt uns, um die Interessen der Arbeiter innerhalb der kommenden Entwicklung wahrzunehmen, den Ausbau der Gewerkschaften und der Arbeiterschutzgesetzgebung. Wir müssen lachen, da wir es jetzt im Vorwärts lesen, nachdem wir seit Jahr und Tag darauf verweisen, wie notwendig es ist, hier energischer vorzugehen, als es bisher geschehen. Man wird uns also nicht verdächtigen, dass wir die Bedeutung dieser Forderungen unterschätzen, aber wir stehen nicht an, zu erklären, dass es ein Selbstmord für die Partei wäre, wollte man sich darauf allein verlassen. Man sehe sich doch den jetzigen englischen Maschinenbauerstreik an, um die relative Bedeutung der Gewerkschaften zu erkennen. Alles muss getan werden um den Arbeitern mehr Macht zu verschaffen – Gewerkschaften, Arbeiterschutz etc. – aber nichts hat Stand gegenüber der kapitalistischen Entwicklung. Kein anderer Ausweg für das Proletariat als die soziale Revolution. Während des über ein Jahrhundert dauernden Kampfes der modernen Arbeiterklasse hat sie schon verschiedene Mittel, ihre Lage zu verbessern, versucht, aber alles führte stets zu demselben Ergebnis: die soziale Revolution. Nachdem so viele Erfahrungen gemacht worden sind und eine ganze Wissenschaft des proletarischen Klassenkampfes geschaffen worden ist, wäre es doch wahrlich an der Zeit, dass man nicht in alte Fehler verfällt und klar erkennt, dass alles und jedes, was wir tun, sich einem unterordnen und von einem durchdrungen sein muss: Aufklärung und Organisation der Arbeiterklasse, um bei einem möglichst frühen Standpunkt der kapitalistischen Entwicklung die politische Macht zu ergreifen. Hält man sich das vor Augen, so wird man sich nicht mit der Erklärung der Kolonialpolitik als „unabwendbare Tatsache“ begnügen, sondern gerade die Kolonialpolitik zum Hebel machen, um mittels der sozialen Revolution der kapitalistischen Entwicklung ein Ende zu setzen!
Es stehen der Partei große Aufgaben, aber auch schwere Zeiten bevor, und darum ist vor allem notwendig, jetzt schon für Klarheit, Einheit und Zielbewusstheit des Vorgehens zu sorgen. Es haben sich aber in der letzten Zeit Anzeichen gehäuft, die zur höchsten Sorgsamkeit auffordern. Wir haben Meinungen vernommen, wonach die Agitation gegen die Getreidezölle zurückgesetzt werden sollte, damit die Regierung in ihren Zollverhandlungen mit Amerika nicht gestört werden solle. Die Artillerieforderungen sollten wir ruhig hinnehmen, weil der Militarismus nun einmal unvermeidlich ist. Jetzt wird die Kolonialpolitik als „unvermeidlich“ erklärt, mit ihr folgerichtig das Marinebudget. Über den Achtstundentag heißt es, es sei zweifelhaft, ob er beim „jetzigen“ Stand der Produktionsentwicklung durchführbar sei. Ja, was bleibt uns dann noch von unserem Programm? Was bleibt, wenn wir den Kampf gegen den Militarismus, die Verbrauchssteuern aus ihm streichen, die Forderungen des Arbeiterschutzes auf das Maß reduzieren, welches der Bourgeoisie genehm ist, und die soziale Revolution bis zu jenem Augenblick verschieben, bis die Kapitalistenklasse selbst sagt: „Nun können wir nicht weiter – bitte, übernehmen Sie die Zügel!“
Es mag Optimisten geben, die das alles ruhig hinnehmen, die jede einzelne Angelegenheit so auslegen, als ob nichts, gar nichts daran wäre – und wenn man sich vertrösten will, findet man stets tausend Gründe – wir können es nicht, wir sehen darin Gefahren für die Partei und glauben deshalb, es muss alles aufgeboten werden, um sie zu beseitigen. Nicht um die soziale Revolution ist uns bange – sie kommt, ungerufen kommt sie und sie wird die Welt beherrschen. Aber es handelt sich darum, ob die Summe sozialrevolutionärer Energie, welche in der deutschen Sozialdemokratie sich angesammelt hat, die Frucht der jahrzehntelangen Agitation, Aufklärung, Organisation, die Riesenarbeit, die so viele große Geister bewegte und solche Opfer kostete, unnütz verschleiße und sich verzettele – oder dass sie dazu diene, wenn nicht der Entscheidung uns näher zu bringen, so doch diese sicherer und zielbewusster zu gestalten!
Zuletzt aktualisiert am 26. April 2024