Parvus (Aleksandr Helphand)

Staatsstreich und politischer Massenstreik



10. Volk und Militär wahrend eines Staatsstreichs

Die politische Entwicklung hängt ebensowenig vom Militär ab, wie die kapitalistische Produktion als Ganzes von der Entwicklung der Waffentechnik. Dagegen wird bei allgemeiner Wehrpflicht das Militär selbst zum Träger der oppositionellen Stimmung, bis es schließlich nur noch durch Disziplin und Organisation zum instinktiven Gehorsam angehalten wird.

Die Macht der Disziplin und Organisation ist groß, aber auf die Dauer lässt sie sich während eines Konflikts mit dem Volke kaum aufrechterhalten Das moralische Widerstreben des Soldaten kann auf einen Moment unterdrückt werden, aber wenn dieser Druck länger andauert, so lässt die Spannung nach, die Wirkung wird geringer und gleichzeitig steigert sich der Widerstand. Es würde deshalb genügen, das Militär ruhig gewähren zu lassen, damit Organisation und Disziplin sich von selbst aufreiben.

Es erscheint paradox, und doch ist der taktische Nutzen der Barrikade viel geringer für das Volk, als für die Anführer des Militärs. Diesem bietet sie nur eine sehr schwache Deckung, jenen einen sehr willkommenen Angriffspunkt. Ganz anders, wo das Militär in Zeiten großer politischer Aufregung bloßen Ansammlungen von Menschen gegenübersteht. Da gibt es nichts mehr, was militärisch gefasst werden könnte. Statt gegen eine revolutionäre Armee zu kämpfen, werden nun die Soldaten zum ganz gemeinen polizeilichen Beaufsichtigungsdienst verwendet.

Das ist ein Unterschied. Im ersten Falle hat das Militär einen kämpfenden Gegner vor sich und läuft selbst die Gefahr, niedergeschossen zu werden, befindet sich also, obwohl angreifend, doch gleichzeitig in Verteidigung – im anderen hat es, wenn angreifend vorgegangen werden soll, auf unbewaffnetes Volk, Männer und Frauen zu feuern, die ihm aus den Fensternischen oder auf offener Straße missmutig zwar, doch mit banger Hoffnung entgegenblicken.

Truppen, die sich vielleicht noch zu einem raschen Ansturm auf eine Barrikade gebrauchen ließen, können unter diesen Umständen unschlüssig und unsicher werden. Nachdem sie tagsüber durch die Straßen herumgetrieben wurden, kehren sie dann müde und in gedrückter Stimmung nach der Kaserne zurück. Am anderen Tage sind sie selbstverständlich noch weniger zu gebrauchen, und es ist nur eine Frage der Zeit, wann sich ihre Energie gänzlich aufreibt.

Die Soldaten, die von einer staatsstreichlerischen Regierung hinausgeschickt werden sollten, das seine politischen Rechte verteidigende Volk niederzuschießen oder niederzukartätschen, würden von diesem nicht mehr mit Flintenschüssen und Steinwürfen empfangen werden, denn das Volk hätte keinen Grund, die Soldaten gegen sich zu erbittern, dagegen alle Veranlassung, zu suchen, sie für sich zu gewinnen.

Barrikaden können niedergeschmettert werden, aber durch nichts ließe es sich beseitigen, dass das Volk durch Zurufe, Plakate, Flugblätter auf das Militär einwirkte. Die Ohren könnten allenfalls den Soldaten durch Trommelschlag betäubt werden, aber wie sollte man ihnen die Augen verbinden? Der Schulmeister, der bei Sadowa siegte, könnte sich noch einmal als großer Volksverteidiger erweisen.

Es ist nicht schwer, sich eine Vorstellung zu bilden, was ungefähr die Bürgerschaft den Soldaten sagen würde. Das Volk würde das Militär an dessen Bürgerpflichten erinnern, daran, dass es selbst ein Teil des Volkes ist, dass die Rechte des Volkes auch seine Rechte sind, das Wohl des Volkes auch sein Wohl, der Kampf des Volkes auch sein Kampf, und dass die Rollen sich schnell umtauschen könnten und die Soldaten, die jetzt etwa auf das Volk schießen wollten, vielleicht in einigen Monaten selbst unter der Volksmasse sich befinden würden, auf die geschossen wird.

Es wäre nicht ausgeschlossen, dass das Volk auch persönlich dem Militär entgegentreten würde, aber nicht mit Waffen in der Hand und nur geschützt durch das Bewusstsein seines Rechtes und der Solidarität der Interessen zwischen Volk und Militär. Aber das auf offener Straße frei versammelte Volk bietet, wie schon erwähnt, dem Militär einen noch weit größeren moralischen Widerstand, als es der Volkshaufen tat, der unter dem Schutze der Barrikade das Militär mit Bleikugeln bedrohte. Die Furcht vor der Barrikade war es meistens nicht, was die Soldaten von dem Angriff zurückhielt.

So könnte es vielleicht wieder einmal für das Volk Gelegenheiten geben, seinen Heldenmut zu entfalten. Dieser darf aber nicht etwa mit der Tapferkeit einer bezahlten Soldateska verwechselt werden. Es ist nicht der Mut, zu töten, sondern der Mut zu sterben! Selbst seine revolutionären Siege verdankt das Volk nicht der Kraft seiner Fäuste. Die grobmaterielle Kraft war stets auf seiten der Reaktion. Die Kräfte, durch die das Volk siegte, waren aber: begeisterte Selbstaufopferung für die gemeinsame Sache, verzweifeltes Lebensrisiko derjenigen ausgebeuteten und unterdrückten Masse, die nichts mehr zu verlieren hat, und instinktives, herdenmäßiges Zusammenhalten der Menge. Diese Kräfte waren es, die am 14. Juli 1789 das Volk in stets wachsenden Massen der Bastille zuströmen ließen, trotz dem Kanonendonner der Festung. Diese Kräfte waren es, die bei allen späteren Revolutionen anstelle der zerstörten Barrikaden über Nacht neue und größere, anstelle der getöteten Kämpfer neue und mehrere setzten. Und diese Kräfte würden auch künftighin dem Volke, wenn es not tut, die Verfassung, das höchste politische Gut, zu verteidigen, den Mut geben, der bewaffneten Macht ohne Barrikadenschutz zu trotzen.

11. Die Organisation des passiven Widerstandes

Die Losung für das Verhalten des Volkes der bewaffneten Macht gegenüber während eines Staatsstreichs würde also lauten: „Keinen Barrikadenkampf! Keinen gewaltsamen Widerstand! Sich nicht provozieren lassen! Ruhig ausharren, bis die moralische Zersetzung, die unbedingt eintreten müsste, die Anstifter der ruchlosen Tat in Verwirrung bringt und sie zum Rückzug zwingt.“ Aber würde auch das Volk die nötige Kaltblütigkeit bewahren und den Zusammenhalt haben, um dieser schwierigen Aufgabe zu genügen, ohne doch ängstlich und desperat zu werden?

Die Revolution hatte ihr mechanisches Bindemittel: die Barrikade, Nun ist die Barrikade zum Boden geschleift. Daraus ergibt sich, dass alle jene zusammenhanglosen Volkselemente, die nur auf diese mechanische Weise vereinigt werden konnten und deren ganze Widerstandskraft in der Barrikade lag, politisch widerstandslos gemacht worden sind. Dadurch ist die revolutionäre Macht des Kleinbürgertums total gebrochen. Dadurch büßt es auch seine Rolle als Leiter der unorganisierten Proletariermassen während des revolutionären Kampfes ein. Dagegen könnte aber wohl noch eine Gesellschaftsklasse, die von vornherein organisiert ist, im passiven Widerstand, wie er schon geschildert wurde, ausharren. Das heißt mit anderen Worten: die gezogenen Kanonen und das kleinkalibrige Gewehr haben der bürgerlichen Revolution ein Ende bereitet, sie haben aber die politische Widerstandskraft des Proletariats durchaus nicht gebrochen.

Wie die Arbeiter ohne mechanisches Bindemittel zusammenhalten können, zeigen die Streiks. Das hat unter anderem auch erst vor kurzem der englische Bergarbeiterstreik bewiesen, der 400.000 Arbeiter vereinigte. Die Entwicklung der Streiks hat überhaupt eine, den Umständen entsprechend allerdings sehr schwache Analogie mit der Entwicklung der politischen Kämpfe. Die Geschichte der Arbeiterbewegung zeigt, dass die ersten Streiks mit Gewalttätigkeiten gegen die Kapitalisten, mit Demolierungen der Maschinen und Brandstiftungen verbunden waren. Das war keineswegs bloß der Ausfluss der Brutalität und des Unverstandes. Aber damals, als das klassenbewusste Zusammenhalten der Arbeiter noch so wenig entwickelt war, mussten ihre Aufmerksamkeit, ihr Zorn auf etwas Handgreifliches gelenkt werden, musste ihnen eine Tätigkeit gegeben werden, damit sie sich als Masse fühlen und als Masse handeln konnten. Nunmehr ist dieses brutale Hilfsmittel der Organisation durch das Klassenbewusstsein ersetzt worden. Die Losung während des Streiks ist jetzt die gerade entgegengesetzte: „Nur keine Gewalttätigkeiten!“ Deshalb haben die Streiks doch nicht aufgehört, zu existieren, im Gegenteil, erst jetzt ermöglichen sie eine Massenentfaltung.

Mag die Arbeiterschaft in Gewerkschaften oder als politische Partei organisiert sein – es genügt schon, dass sie es ist. Die Bestrebungen der Gewerkschaften seien noch so unpolitisch, so kann doch im Moment der Not eine politische Bewegung sich dieser vortrefflichen Organisationen für ihre Zwecke bemächtigen.

Es ist klar, je fester und allgemeiner die Organisation der Arbeiterklasse ist, desto wirksamer wird sich ihr Widerstand erweisen. Wenn nun speziell in Deutschland die politische Organisation der gewerkschaftlichen gegenüber den Vorzug hat, dass sie viel allgemeiner ist, so die gewerkschaftliche der politischen gegenüber, dass sie durch viel innigere Bande verbindet. Die politische Organisation ist lose und flüchtig und hängt von der politischen Stimmung ab, aber die gewerkschaftliche ist zähe und fasst den Arbeiter an der Grundlage seiner ökonomischen Stellung selbst, an der Ausbeutung. Sie behandelt den Arbeiter nicht bloß als Bürger, sondern als Proletarier, sie trifft ihn nicht bloß auf dem Forum und an der Wahlurne, sondern in der Fabrik und in der Wohnstube. Schon dieses festeren Bandes willen, das die Gewerkschaftsbewegung um die Arbeiter schlingt, hat sie, wie wir sehen, eine weitreichende Bedeutung.

Aber nicht nur die Gewerkschaften, selbst solche Einrichtungen, wie Krankenkassen und Arbeiterversicherung, verwandeln sich, wenn es nötig ist, in politische Organisationen. Diese Wirkung hat freilich Bismarck von seiner „sozialen Reform“ nicht erwartet. Aber das zeigt eben, dass die politische Bedeutung einer Einrichtung nicht in ihr selbst liegt, sondern in der politischen Situation. Es käme während des hier supponierten Konflikts darauf an, dass das Volk sich nicht lose, getrennt voneinander, sondern vereinigt, zusammengehalten und als Masse geordnet fühlt. Darum, wenn es die Ironie der Geschichte will, so verwandeln sich die Büros der Arbeiterversicherungen in politische Knotenpunkte, und ihre Beamten, mit roten Schärpen umgürtet, oder diejenigen, welche das Volk an ihre Stelle setzt, werden zu Propagandisten und Organisatoren der Volkswehr.

Wenn die Arbeiter an dem Widerstand gegen den Staatsstreich teilnehmen sollten, so wäre schon dadurch, weil die Arbeiterklasse organisiert ist, auch dieser Widerstand organisiert. Man müsste sämtliche Formen von Verbindungen, ohne Ausnahme, bis auf die Gesangvereine, vernichten und verbieten, wollte man die Arbeiterklasse desorganisieren. Könnte man dieses aufrechterhalten? Könnte man das unendlich verzweigte öffentliche Leben stillstehen lassen? Würde der Staatsmechanismus, bzw. der Polizeiapparat dazu ausreichen? Und auf wie lange?

Die Antwort darauf kann nicht zweifelhaft sein. Die Organisationen der Arbeiterklasse stehen, wie der Phönix, sofort wieder auf, wenn man sie zerstört. Dafür ist die Gewähr das Klassenbewusstsein des Proletariats, das aus den ökonomischen Verhältnissen sich ergibt und nunmehr durch die geschichtliche Entwicklung befestigt wird. Das Proletariat hat nunmehr durch eine viele Jahrzehnte lange Entwicklung gelernt, sich in der mannigfaltigsten Weise gesellschaftlich als Klasse zu betätigen. Das kraftvoll entwickelte Solidaritätsgefühl kann nicht mehr ausgemerzt werden. Es wurzelt zu tief in der gemeinsamen Ausbeutung der Arbeiter durch das Kapital, und jede gemeinsame politische Unterdrückung schmiedet nur das Band der proletarischen Einigkeit enger zusammen. So halten denn die Arbeiter zusammen, auch wenn keine formelle Organisation sie verbindet. Das haben die Wahlen sofort nach dem Ausnahmegesetz schlagend bewiesen. War damals nicht jede Organisation zerstört? Und doch gingen die Arbeitermassen zur Urne und wählten Sozialdemokraten. Das geistige Band, das sie vereinigte, konnte nicht von der Polizei konfisziert werden. Dann aber wird sich, wenn es not tut, das Proletariat sicher aus sich selbst eine Organisation des Widerstands schaffen, auch ohne Barrikaden.

Um was handelt es sich? Darum, dass das Volk ausharrt, dass es sich nicht schrecken, aber auch nicht zur Unbesonnenheit provozieren lässt. Zu diesem Zwecke muss es sich Beamte, eine Polizei, eine Verwaltung, die die Ordnung aufrechterhält, erwählen. Das hat das Proletariat während der vielen Jahre des Klassenkampfs gelernt. Es ist nicht mehr eine wild zusammengelaufene Rotte, sondern ein diszipliniertes Heer. Das klassenbewusste Proletariat vermag, was keine Klasse sonst in der kapitalistischen Gesellschaft: sich selbst zu regieren. Und dies, nicht anarchistisches Bramarbasieren und Wüten, die ruhige Ordnung der starken Organisation bildet seine unbesiegbare politische Widerstandskraft.
 

12. Der politische Massenstreik

Das geschilderte Verhalten des Volkes während eines Staatsstreichs ist nichts anderes als ein politischer Massenstreik. Auch die Barrikadenrevolution hatte den Streik zur Voraussetzung, sie hatte zur Voraussetzung, dass die Arbeit in den Fabriken und Werkstätten niedergelegt wurde. Aber die Barrikadenrevolution hatte einen zu ungestümen Verlauf, um als Streik zur Geltung zu kommen.

Der Generalstreik ist keine Panazee. Isoliert von den politischen Zusammenhängen ist er wirkungslos und muss zum Unterliegen der Arbeiterklasse führen. Aber nicht darum handelt es sich, sondern um den Massenstreik zu politischen Zwecken, wofür Belgien das Beispiel lieferte. Wir sagen absichtlich: „Massenstreik“, weil es in diesem Falle gar nicht darauf ankommt, dass die gesamte Arbeiterklasse des Landes ohne Ausnahme streikt. Der politische Massenstreik unterscheidet sich von den anderen dadurch, dass sein Zweck nicht die Erringung besserer Arbeitsbedingungen ist, sondern die Erzielung bestimmter politischer Änderungen, dass er sich deshalb nicht gegen die einzelnen Kapitalisten, sondern gegen die Regierung wendet.

Wie kann aber ein solcher Streik die Regierung treffen? Er trifft sie dadurch, dass er die ökonomische Ordnung der Gesellschaft zerrüttet. Wir haben gesehen, dass es auch eine wichtige Eigenschaft der gewaltsamen Revolution war, die Gesellschaft zu desorganisieren. Die Grundlage dieser Desorganisation ist aber zweifellos die Arbeitseinstellung. Eine Geschäftskrisis wird hervorgerufen. Die Mittelschichten der Bevölkerung werden in Mitleidenschaft gezogen. Die Erbitterung wächst. Aber die Regierung steht ratlos da, weil sie die Arbeiter nicht mit Gewalt in die Fabriken treiben kann. Sie wird um so ratloser, je weniger offener Widerstand ihr geleistet wird, je massenhafter der Streik, je länger er dauert.

Welches sind nun die Bedingungen der Ausdehnung und des Anhaltens des politischen Massenstreikes?

Einmal Organisation der Arbeiterklasse. Diese hängt zusammen, wie schon hervorgehoben worden, mit der Entwicklung des proletarischen Klassenbewusstseins. In diesem Zusammenhange muss wieder auf die eminente Bedeutung der Gewerkschaften verwiesen werden.

Weiter, Geldmittel. Also gefüllte Streikkassen. Doch nicht nur das allein. Wenn der Streik die Sympathien der bürgerlichen Mittelschichten besitzt, dann fließen ihm aus diesen Kreisen reichliche Unterstützungen zu. Wir haben aber mehrmals auseinandergesetzt, dass nur als Antwort auf die äußerste politische Beschränkung, auf einen durch die Regierung begangenen gewaltsamen Bruch der Verfassung diese Volkserhebung denkbar sei. Wir haben auch gezeigt, dass die Reaktion nicht nur die Arbeiterklasse, sondern die gesamte Bevölkerung treffen müsste. Dann aber wären dem Proletariat die Sympathien und die Unterstützung der Mittelschichten der Bevölkerung so gut wie sicher.

Neben dem baren Gelde kommt in Betracht der Kredit beim Bäcker und Krämer. Man kann wohl sagen: solange dieser Kredit anhält, ist der Streik gesichert. Nun ist aber die Sache die: je massenhafter, je allgemeiner ein Streik auftritt, desto mehr sehen sich die Geschäftsleute genötigt, den Streikenden Kredit zu gewähren, denn sonst büßen sie ihre sämtliche Kundschaft ein und ruinieren ihr Geschäft. Aus demselben Grunde, aus welchem eine große Anzahl Berliner Restaurateure den boykottierten Brauereien kündigten und nur boykottfreies Bier führten, werden der Bäcker und Krämer, wenn der Streik einen großen Teil der Arbeiterschaft ergreift, doch wohl bis zu einem gewissen Grade Kredit geben. Dazu kommen noch, wie bei der Geldbeschaffung, die Sympathien, die der Bewegung seitens der allgemeinen Bevölkerung entgegengebracht werden, in Betracht.

Auch die Konsumvereine können unter diesen Bedingungen sich als sehr wertvolle Stützmittel erweisen.

Das sind im allgemeinen die Bedingungen,. unter denen ein politischer Massenstreik zur Geltung kommen könnte. In den Grundzügen stimmt diese Auffassung mit dem von K. Kautsky ausgearbeiteten Antrag der X. Kommission des Internationalen Sozialistischen Arbeiterkongresses in Zürich 1893 überein, worin es heißt, „dass Massenstreikes unter Umständen eine höchst wirksame Waffe nicht bloß im ökonomischen, sondern auch im politischen Kampfe sein können, eine Waffe jedoch, deren wirksame Anwendung eine kräftige gewerkschaftliche und politische Organisation der Arbeiterklasse voraussetzt.“ [2] Die Frage des Generalstreiks ist leider wegen Zeitmangels im Plenum des Züricher Kongresses nicht erörtert worden, deshalb liegt auch kein Beschluss vor.

Man lasse vor allem den Zusammenhang zwischen dem Streik und dem Staatsstreich nicht aus den Augen. Man vergesse die Hauptsache nicht: dass es gelten würde, den Zustand der allgemeinen Unruhe und Gärung so lange auszudehnen, bis die Staatsstreichler demoralisiert würden: das Militär würde unschlüssig, die Anstifter und Leiter des Verfassungsbruchs gerieten in Verwirrung. Je mehr dies der Fall wäre, desto mehr würde sich die Situation ändern, und der politische Charakter der Bewegung würde in Gestalt von Massenumzügen, Straßenansammlungen, Demonstrationen usw. mehr hervorgekehrt werden.

Nicht darauf kommt es also bei dem politischen Massenstreik an, ob der ökonomische Druck des Streiks auf Seiten der Kapitalistenklasse oder auf Seiten der Arbeiterklasse stärker sei. Die Frage ist die, wie lange es eine Regierung unter dem Drucke einer massenhaften Arbeitseinstellung bei allgemeiner Erbitterung und Gärung würde aushalten können? Und die Beantwortung dieser Frage hängt selbstverständlich nicht nur von den allgemeinen Bedingungen eines Streikerfolges ab, sondern von der Intensität der Erbitterung, die im Volke herrscht, von den politischen Interessen, die auf dem Spiele stehen, von dem Zustande des Militärs u. a. m. Kurz, der Massenstreik ist ein wichtiger politischer Faktor, aber nicht das alleinseligmachende politische Kampfesmittel.

Es ist klar, dass, je allgemeiner der Streik, desto größer seine Wirkung. Aber wenn es schon beim gewöhnlichen Streik nicht bloß auf seine Ausdehnung, sondern auch auf die Art der von ihm ergriffenen Produktionszweige ankommt, so ist das noch mehr der Fall beim politischen Streik. Es ist etwas anderes, ob die Bergarbeiter streiken oder z. B. die Schneider. Denn die Bergarbeiter ziehen die gesamte Eisen- und Maschinenindustrie in Mitleidenschaft und damit so gut wie die gesamte Großindustrie. Eine andere Bedeutung wieder hat ein Streik der Bäcker, und wiederum anders ist der Streik der Bauarbeiter usw. Das Hauptgewicht aber, und im politischen Streik ganz besonders, liegt in den Verkehrsmitteln. Wenn die großen Verkehrsmittel außer Betrieb gesetzt werden, dann stockt der gesamte gesellschaftliche Produktionsmechanismus, aber auch der politische Mechanismus.

Wenn die Arbeiter der Eisenbahnwerkstätten, die Zugführer, die Stationsunterbeamten, die sonstigen Betriebsarbeiter, wenn die Postbeamten, die Angestellten der Telegrafen- und Telefonanstalten aufhören, ihren Dienst zu tun, dann ist die Regierung desorganisiert, dann ist es, als ob ihr das Blut aus den Gefäßen ausgeflossen wäre, und sie klappt ohnmächtig zusammen.

So gewaltig die Wirkung eines Streikes der Arbeiter und Beamten an den Verkehrsmitteln wäre, so schwer ist er zustande zu bringen. Wenn es aber eine Situation gibt, die geeignet ist, diese verschiedenartigen und schwer organisierbaren Arbeiterschichten zu einer gemeinsamen Aktion. zu vereinigen, so ist es die Abwehr eines Verfassungsbruchs.
 

13. Die Desorganisation der Regierung

Die Barrikadenrevolution hatte ihren fast ausschließlichen Kampfplatz in der Hauptstadt. Einmal, weil hier der Sitz der Regierung, sodann aber, weil nur in einer Großstadt jene spontanen Menschenansammlungen möglich sind, welche die gewaltsame Revolution erfordert. Dies bot der Regierung zunächst den Vorteil, dass sie die militärische Macht vom Lande nach der Residenz zusammenziehen konnte.

Aber schon der politische Massenstreik kennt die Grenzen der Hauptstadt nicht. Seine Voraussetzung ist vielmehr eine Verbreitung durch das ganze Land. Dem entspricht eine allgemeine Geschäftsstockung, eine allgemeine Zerrüttung der wirtschaftlichen und politischen Verhältnisse im ganzen Reiche.

Und abermals ist es allein das klassenbewusste Proletariat, das dies zustande bringen kann. Alle anderen Gesellschaftsschichten sind in sich selbst uneinig. Die Konkurrenz zerfrisst sie. Sie zerfallen in kleine Gruppen, die entweder lokal voneinander isoliert sind wie das Bauerntum, oder beruflich und wirtschaftlich weit auseinandergehen, wie das Kleinbürgertum und die liberalen Berufsarten. Einzig das Proletariat bildet eine gewaltige, ökonomisch gleichartige Masse, in der sich überall, in der Großstadt wie in der isoliert gelegenen Fabrik auf dem Lande, von der fernen Hafenstadt an der Ostsee bis zum industriereichen Rhein, überall das gleiche Solidaritätsgefühl bekundet.

Während einer Barrikadenrevolution genügte der Aufstand in der Hauptstadt, um die Regierung in Verwirrung zu bringen – wie aber, wenn eine allgemeine Gärung mit elementarer Macht das ganze Reich ergreift? Wie, wenn in jeder größeren Stadt Versammlungen, Demonstrationen, Protesterklärungen stattfinden, und ein Sturm von Entrüstung einer staatsstreichlerischen Regierung aus dem ganzen Lande entgegenbraust? Und wenn vor allem überall die Arbeit ruht und immer lauter die Klagen sich erheben über Zerrüttung der Handelsverhältnisse – wozu schon die allgemeine Unsicherheit genügt – und über geschäftlichen Ruin? Wenn der Kurs der Staatspapiere fällt und zu gleicher Zeit die Einnahmen, besonders die Reichseinnahmen, die fast ausschließlich auf Verbrauchsabgaben beruhen, sinken, die Ausgaben aber infolge der kolossalen Tätigkeit, welche die Regierung zu entfalten hat, wachsen? Und jede weitere Stunde macht das Militär weniger zuverlässig!

Es ist schwer, einen großen Massenstreik auf die Dauer aufrechtzuerhalten – aber noch schwieriger ist es für die Regierung, einer allgemeinen politischen Protestbewegung standzuhalten.

Währenddem also nunmehr die Regierung in der Hauptstadt einen viel schwierigeren Standpunkt haben würde, als zur Zeit der Barrikadenkämpfe, weil die Regierung nicht mehr so viel militärische Macht nach der Hauptstadt würde zusammenziehen können – würde die politische Bewegung in der Provinz mit einer bis dahin nicht gekannten Wucht vor sich gehen. Dies führt uns zur Betrachtung eines weiteren wichtigen Moments.

Kein Staat hat eine so komplizierte und verworrene Organisation, wie Deutschland, was durch seine geschichtliche Bildung aus Kleinstaaten bedingt worden ist. Es zerfällt also zunächst in Bundesstaaten, und jeder Bundesstaat hat seinen Regierungs- und Verwaltungsapparat, der einen verschiedenartigen Mischmasch von Beamtentum und Demokratie darstellt. Schon das steht einer raschen, einheitlichen, allgemeinen Aktion der Regierung im Wege. Nicht überall ist Preußen.

Je stärker die Entwicklung der Demokratie in einem Bundesstaat, desto weniger würde dieser ein willfähriger Diener der Reaktion sein, desto weniger einer etwaigen staatsstreichlerischen Reichsregierung Vorschub leisten. Dieses Verhältnis könnte zu einer Desorganisation der verfassungsbrüchigen Regierung führen, andererseits dem politischen Massenstreik von Nutzen sein.

Nicht nur die Landtage kommen dabei in Betracht. Von eminenter Bedeutung sind auch die Gemeindevertretungen, vor allem die städtischen. Wenn der Stadtrat auf Seiten des Volkes steht, bzw. unter dem Drucke der Öffentlichkeit sich ihm gegenüber sympathisch erweisen muss, so verfügt das Volk nicht nur über die Autorität, sondern auch über die finanziellen Mittel der Stadtverwaltung. Ein demokratischer Stadtrat kann den Streikenden Unterstützung bewilligen, ihnen Kredit gewähren, für ihren Kredit bürgen. Er kann zu diesem Zwecke Steuern auflegen und Anleihen aufnehmen. Je länger der Massenstreik unter solchen Verhältnissen anhält – ohne Barrikadenkampf, ohne Blutvergießen, ohne jeden kriegerischen Taumel –‚ desto mehr greift die Zersetzung um sich, desto schwankender wird das Militär, desto verwirrter wird die Regierung, und schließlich kehrt sich der Verwaltungsapparat des Staates selbst gegen die Regierung. Um die Regierung völlig zu desorganisieren, fehlt nur noch eins: die Steuerverweigerung!

Dies wäre die Art, wie das Volk die Verfassung gegen Hochverrat schützen könnte! Weit entfernt, durch die Entwicklung des Militarismus zur Unmöglichkeit gemacht worden zu sein, ist der Erfolg dieser Volkswehr vielmehr sicher, unter einer Bedingung: dass das Proletariat in Ruhe aushält und sich nicht zu Unbesonnenheiten hinreißen lässt! Dann müsste unbedingt sehr schnell der Zeitpunkt kommen, wo die verfassungsbrüchige Regierung zu Kreuze kriecht und winselnd um Gnade bittet!
 

14. Warnung!

„Versteht der Leser nun, weshalb die herrschenden Klassen uns platterdings dahin bringen wollen, wo die Flinte schießt und der Säbel haut? ... Die Herren verschwenden ihre Bittgesuche wie ihre Herausforderungen für nichts und wieder nichts. So dumm sind wir nicht. Sie könnten ebensogut von ihrem Feinde im nächsten Kriege verlangen, er solle sich ihnen stellen in der Linienformation des alten Fritz oder in den Kolonnen ganzer Divisionen à la Wagram und Waterloo, und das mit dem Steinschlossgewehr in der Hand. Haben sich die Bedingungen geändert für den Völkerkrieg. so nicht minder für den Klassenkampf. Die Zeit der Überrumpelungen, der von kleinen, bewussten Minoritäten an der Spitze bewusstloser Massen durchgeführten Revolutionen ist vorbei. Wo es sich um eine Umgestaltung der gesellschaftlichen Organisation handelt, da müssen die Massen selbst mit dabei sein, selbst schon begriffen haben, worum es sich handelt, für was sie eintreten sollen. Das hat uns die Geschichte der letzten fünfzig Jahre gelehrt.“
Friedrich Engels

Es wäre töricht, jetzt gegenüber der großen Entwicklung des Militärwesens eine Revolution etwa in der Art des Jahres 1848 beginnen zu wollen – aber noch törichter wäre es, eine unter modernen Verhältnissen zustande kommende politische Volksbewegung mit den Mitteln bekämpfen zu wollen, die vielleicht 1848 ausgereicht hätten. Es hat sich während dieses halben Jahrhunderts nicht nur die Militärtechnik entwickelt, sondern das gesamte wirtschaftliche und politische Leben der Völker, und schließlich ist die Entwicklung des Militärwesens nur ein blasser Widerschein der allgemeinen industriellen Entwicklung.

Das vergessen die Herren Generäle a. D., die sich die langweilige Ruhe eines untätigen Daseins, in Abwechslung mit Karten-, Schachspiel und genealogischen Studien, durch papierene Revolutionskämpfe zerstreuen und sich als Staatsstreichstrategen, als hausbackene Moltkes gegen den „inneren Feind“ gerieren. Ja, wenn das Volk gerade so handeln wollte, wie sie es sich vorstellen, wie herrlich würden sie es dann zu einem blutigen Brei zusammenschießen! Schade nur, dass das Volk sich nicht einfallen lässt, deshalb auf die Barrikaden zu steigen, um das Avancement gebrechlicher Generäle zu Rettern des Vaterlandes zu fördern!

1848 wurde die preußische Regierung, die stärkste Regierung Deutschlands, mit den Berliner Aufständischen nicht fertig. Gewiss, solche Kanonen und solche Flinten wie jetzt standen ihr damals nicht zur Verfügung. Aber immerhin waren es Kanonen und Flinten, also doch mehr als „Feuerspritzen“. Und ein Heer von 250.000 Mann stand unter Waffen und war der Regierung zu Gebote. Es war ein williges Heer: durch keine politische Erkenntnis, keine Bedenken noch wankelmütig gemacht, gehorsam und brutal. „Wir sind keine Pariser“, riefen die pommerschen Soldaten den gefangenen Berliner Barrikadenkämpfern zu und stießen ihnen den Gewehrkolben in den Nacken! Und doch hat der König von Preußen vor dem zusammengelaufenen „Pöbel“ den Hut ziehen müssen!

Und wie gering war damals die politische Macht des Volkes im Vergleich zu heute! Damals war Preußen ein Agrikulturland. Über 70 Prozent der Bevölkerung lebten auf dem platten Lande. In den Städten waren nur 28 Prozent. Dagegen beträgt nach der Zählung von 1890 die Stadtbevölkerung mehr als vier Zehntel der Gesamtheit.

Damals, 1848, waren in Preußen in Gewerbe, Handel und Verkehr nur 29 Prozent der Bevölkerung tätig. Aber schon 1882 betrug diese industrielle Bevölkerung 47 Prozent, und jetzt werden es wohl über 50 Prozent sein!

Und aus wem bestand denn die Stadt- resp. die gewerbetreibende Bevölkerung :848 in Preußen? Die Industrie war noch im Anfangsstadium ihrer Entwicklung, Fabriken gab es sehr wenige. Die Zählung von 1849 ergab in der Handwerkertabelle für „mechanische Künstler und Handwerker“ 942.373 Personen, während demgegenüber die Fabrikentabelle in der Rubrik „Fabriken in Metall usw.“ nur ein Arbeiterpersonal von 95.211 aufzuweisen hat. Das war damals in Preußen die Maschinenindustrie, die Grundlage der gesamten Industrie, in Vergleich mit den Schlossereien, Klempnereien und ähnlichen handwerksmäßigen Betrieben!

Wenn man auf der einen Seite die geringe Zahl der Fabrikarbeiter, Handwerker, Kaufleute, Literaten hält, die 1848 das revolutionäre Heer bildeten, und auf der anderen das mächtige preußische, absolute Königtum von Gottes Gnaden, das sich auf eine Viertelmillion Bajonette stützte – die Feuerspritzen nicht gerechnet –‚ so muss die Revolution von 1848 als ein tolles Wagnis erscheinen, und es fehlte auch damals nicht an alten Generälen, die mit ein paar Bajonettstichen die Revolution unterdrücken zu können glaubten. Und doch hatte die Revolution von 1848 Erfolg, wie die Geschichte zeigt.

Jeder Zeit ihre Kampfesart! Wer im Jahre 1848 den Massenstreik als politisches Kampfesmittel hätte gebrauchen wollen, gehörte nach den oben mitgeteilten Tatsachen ins Irrenhaus – ebenso jeder, der mittels aufgerissener Pflastersteine, alter Möbelstücke, umgeworfener Handkarren usw. dem modernen Militär den Weg durch die breiten, geraden Straßen der Großstadt verrammeln wollte. Und deshalb ist es ebenso närrisch, zu erwarten, dass das Volk in dieser Weise gegen den Staatsstreich kämpfen würde. Würde es zu einem Staatsstreich kommen, so würden die Generäle zweifellos ihre Kanonen auffahren lassen. Ob aber die Kanonen auch die Gelegenheit bekämen, loszugehen, ist eine andere Frage. Mit dem Auffahren allein wäre es noch nicht getan, und das Volk würde kaum Lust haben, Kanonenfutter zu spielen. Dazu wäre auch in Betracht zu ziehen, dass die Soldaten mehr denken als die Kanonen. Dass jetzt die industrielle Bevölkerung die größere Hälfte bildet, bedeutet andererseits, dass die Hälfte der Armee aus ihren Kreisen stammt. Die Pommern waren allerdings keine „Pariser“, aber der aus der Fabrik oder Großstadt herrührende Soldat ist auch nicht mehr der Pommer von 1848!

Und dabei die zweijährige Dienstzeit! Und dabei die große Verbreitung der Aufklärung, der politischen Bildung, überhaupt die kulturelle Entwicklung eines halben Jahrhunderts! Man denke nur an die kolossale Entwicklung der Presse. Im Jahre 1847 gab es z. B. in Osterreich nur 79 Zeitungen, im Jahre 1892 waren es 1864. Die Zahl der Zeitschriften in Deutschland aber beträgt (1891) über 6300. Das verbreitete sich in Millionen von Exemplaren und findet seine Leser und weckt in dieser oder jener Weise das politische Interesse.

Wie, vor einem halben Jahrhundert hat das kleine, über viele Dutzende Bundesstaaten zerstreute Häuflein der Ideologen, der Hetzer, der Demagogen die deutsche Freiheit erobert – und jetzt sollte das große, einige, deutsche Volk nicht imstande sein, diese Freiheit zu verteidigen? Hat man nicht soeben das fünfundzwanzigjährige Jubiläum der Gründung des Deutschen Reiches gefeiert? Und war nicht das ein Vierteljahrhundert der regsten politischen Tätigkeit? Wurde nicht das Volk durch Wahlen, durch zahllose Versammlungen, durch die vielen Vereine, durch die Presse, durch das großstädtische Beisammensein politisch wachgerüttelt, an eine politische Willensbetätigung gewöhnt? Und war nicht diese Zeit zugleich ein Vierteljahrhundert des proletarischen Klassenkampfs, der Organisation einer Volksmasse von zwei Millionen zu einer sozialrevolutionären Armee?

Und das alles soll man mit ein paar Feuerspritzen aus der Welt schaffen können? Oder selbst mit gezogenen Kanonen und den kleinkalibrigen Gewehren?

Wir haben gezeigt, was der Staatsstreich bedeutet: die Auflösung des Reiches und die Desorganisation des Staates. Und was bedeutet der politische Massenstreik, die unvermeidlich früher oder später eintretende Antwort auf den Staatsstreich? Nun wohl, er bedeutet die Ergreifung der politischen Macht durch das Proletariat! Denn das ist allerdings wahr: nur das klassenbewusste Proletariat ist imstande, die politische Freiheit, die politische Verfassung gegen Gewalt zu verteidigen. Und wenn die Gewalt der verfassungsbrüchigen Regierung gebrochen würde, dann wäre es das Proletariat, das den Kampfplatz behauptete und die politische Führung übernähme.

Dieses sagen wir zum Schlusse den Reaktionären in und ohne Uniform: Mir den bürgerlichen Revolutionen, bei denen das Proletariat nur Handlangerdienste leistete, ist es aus, Ihr braucht sie nicht mehr zu fürchten. Aber die bürgerlichen Revolutionen waren nur ein Kinderspiel gegenüber der politischen und wirtschaftlichen Macht, welche das Proletariat aufzubieten vermag. Sie verfügten nicht über solche Massen, solche Organisation, solche Disziplin, solche Ausdehnung, solche materiellen Interessen wie ein politischer Streik der Arbeiterklasse.

Seid gewarnt vor dem Proletariat, wenn es alle seine Kampfesmittel zum Schutze der Verfassung aufbietet!

Wollt ihr va banque spielen? Ihr verliert sicher und schlimmer, als ihr meint.

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Anmerkung

2 Vgl. auch Ed. Bernstein: Der Streik als politisches Kampfmittel. Neue Zeit, 1893/94, Band I, S. 689.


Zuletzt aktualisiert am 22. April 2024