Parvus (Aleksandr Helphand)

Der Weltmarkt und die Agrarkrisis


9. Der Junker Glück und Elend


A. Der Werdegang

Deutschland war eines der ersten Länder, aus denen England Getreide bezog. [42] Bedeutend wurde die deutsche Getreideausfuhr zur Zeit der Napoleonischen Kriege. 1795/96 wurden bereits aus Preußen um circa zwei Millionen Taler Getreide mehr ausgeführt als eingeführt. Dieser Verkehr wurde zwar durch die Kontinentalsperre eine kurze Zeit gestört, dafür aber durch die nachfolgenden Jahre des englisch-amerikanischen Krieges (1809–1817) desto mehr gefördert.

Damit aber die Getreideausfuhr sich ausdehne und eine kapitalistische Landwirtschaft sich entwickle, war vor allem notwendig der Ersatz der auf Leibeigenschaft beruhenden Naturalwirtschaft durch Warenproduktion. Dies geschah in Preußen bekanntlich wirklich um die angegebene Zeit der sich entwickelnden Getreideausfuhr, wohl nicht ohne durch diese mitbedingt worden zu sein.

Wissenschaftlich ist jedenfalls festgestellt (Knapp), dass die „Regulierung“ die Expropriation eines Teils des Bauernlandes durch die Gutsherren bedeutete, denen ein Drittel und selbst die Hälfte des Bauernbesitzes zufiel. Die Ablösung der Reallasten warf ihnen andererseits ein gewaltiges Kapital in den Schoß. [43] Und als „freier Arbeiter“ stand ihnen der proletarische Bauer zur Verfügung. So wurden die Bedingungen einer neuen junkerlichen Herrschaft, nunmehr in kapitalistischer Auflage, geschaffen, zugleich aber auch die Vorbedingung ihres Untergangs.

Die Berührung mit dem industriellen England hob wie mit einem Zauberschlage die Grundrente und die Bodenpreise. In Mecklenburg-Schwerin wurden die Allodialgüter, oder die frei veräußerlichen ritterlichen Güter, pro Hufe bezahlt: [44]

Zeitraum

Im allgemeinen Durchschnitt

1770/74

20.457 Mark

1775/79

20.352 Mark

1780/84

23.805 Mark

1785/89

27.165 Mark

1790/94

41.235 Mark

1795/99

55.728 Mark

1800/04

66.681 Mark

1805/09

71.253 Mark

Man sieht, wie die große Steigerung des Bodenpreises 1790/94 mit einem Mal einsetzt, dann aber auch weiter anhält.

Diese große Steigerung der Bodenpreise, die eine Steigerung der Grundrente voraussetzt, hatte ihren Grund keineswegs einfach in der Erhöhung der Getreidepreise. Wir wissen, dass es außer dem Getreidepreis noch eine ganze Reihe von Gründen der Erhöhung der Bodenpreise gibt. [45] Unter dem Einfluss der englischen Nachfrage wurde die Ackerfläche ausgedehnt, gleichzeitig fand ein Übergang zum Weizenbau und eine Intensivierung der Kultur statt. Aber, selbst ohne dies, musste schon der einfache Übergang von der Naturalwirtschaft zur Warenproduktion die Bodenpreise respektive den Geldwert der Grundrente steigern.

Mögen die Naturalbezüge des Gutsherrn noch so groß sein, so hängt doch ihr Geldwert vor allem von ihrer Verkäuflichkeit ab. Der Druck auf den Bauern konnte ein äußerst gewaltiger sein, aber sein Resultat war von vornherein ein Überfluss von Produkten und nicht ein Geldreichtum. Darum sehen wir, solange der Getreidemarkt noch wenig entwickelt war, also in Norddeutschland bis in den Anfang dieses Jahrhunderts, bis zur Abschaffung der Leibeigenschaft, dass sich in den Gutswirtschaften große Vorräte von Naturalien durch Jahre hindurch ansammelten. Dagegen war das Geld rar. Dann aber mussten offenbar für die Bestimmung des Werts der Grundrente respektive des Bodens, außer den Warenpreisen, noch andere, fremdartige Gesichtspunkte zur Geltung kommen. Sodann, solange die Gutsherrschaft über Naturalbezüge und Naturalleistungen verfügte, war der Bodenertrag nur ein untergeordneter und verdingter Teil des Werts der Gutswirtschaft. Für diesen kam in Betracht nicht nur die Bodenfläche, die Bodenqualität, der Preis landwirtschaftlicher Produkte, die vorhandenen Gebäude und das Inventar, sondern die Zahl der ansässigen Bauern und die Höhe ihrer tributären Leistungen. Wo freier Bodenkauf stattfand, figurierte darum der Boden nicht als Rentenquelle, [46] sondern der Kauf geschah aus allgemeinen gutswirtschaftlichen Rücksichten, wie etwa der Viehkauf oder die Errichtung von Wirtschaftsgebäuden, oder auch in der Voraussicht der Errichtung einer Gutsherrschaft – da waren selbstverständlich auch die Preisbestimmungsgründe andere als jetzt.

Die Handelsverbindung mit England brachte als den deutschen Gutsherren vor allem die Umwandlung des Naturalienüberflusses in Geldreichtum, des Bodenertrags in kapitalistische Geldrente mit sich. Die kapitalistische Fiktion, dass nicht die Arbeit die Werte schafft, sondern dass es eine natürliche Eigenschaft der Produkte ist, einen Geldwert zu haben, dass die Grundrente aus dem Boden wächst wie Getreide, Rüben und Kartoffeln, stellte sich ein. Die Geldeinnahmen der Grundbesitzer wuchsen und es stiegen die Bodenpreise. [47]

Aus den soeben auseinander gesetzten Unterschieden ergibt sich, dass auch die Bildung des Getreidepreises in der vorkapitalistischen Zeit eine andere sein musste. Da die Grundrente als Unterschied der einzelnen Produktionspreise sich erst bildete, so ergab es keinen allgemeinen Produktionspreis. Wohl aber gab es einen Marktpreis. Für diesen war die städtische Nachfrage bestimmend. [48] Da die nicht agrikole Bevölkerung noch relativ gering war, so waren die Getreidepreise niedrig.

Als nun der auswärtige, also der englische Getreidemarkt hinzukam, so war es dieser, der den Preis bestimmte. Abzüglich der hohen Transportkosten und der exorbitanten Gewinne der zahlreichen Zwischenpersonen des damaligen Getreidehandels, galt der englische Marktpreis auf dem deutschen Getreidemarkte. Das war bedeutend mehr als der heimische Marktpreis. Es trat also eine Steigerung des Getreidepreises ein, die weder durch Erweiterung der Anbaufläche noch durch Intensivierung der Kultur etc., die kapitalistisch überhaupt nicht zu erklären wäre, deren Erklärung viel mehr darin lag, dass diese kapitalistischen Verhältnisse sich erst bildeten.

Die Junker bereicherten sich. Als aber der kapitalistische Umbildungsprozess vollendet war, da zeigte es sich, dass der allgemeine Produktionspreis des Getreides in Norddeutschland hinter dem aus England übertragenen Marktpreis noch weit zurückstand. dass folglich die gestiegenen Bodenpreise zu einem großen Teil auf einer enorm hochgetriebenen absoluten Grundrente beruhten, die gänzlich durch die Marktkonjunktur bedingt war. Als nun die Marktkonjunktur sich änderte. da brach die ganze schnell aufgeblühte Herrlichkeit zusammen. Das war die große Agrarkrisis der zwanziger Jahre. die mit einer Vehemenz auftrat und eine Verheerung anrichtete, wie sie nachher von keiner anderen erreicht wurde. Dies war also noch keineswegs eine kapitalistische Agrarkrisis. es waren die Geburtswehen der kapitalistischen Landwirtschaft.

Die Marktkonjunktur musste sich schon deshalb ändern, weil England, entsprechend seiner industriellen Beherrschung des Weltmarkts, ganz Europa als landwirtschaftliche Bezugsquelle offen stand. Außerdem begann nach dem Kriege ein bedeutender Getreidehandel mit Amerika.

Unterdes führte auch die kapitalistische Umwandlung der deutschen Gutswirtschaft zu einer Vermehrung der Getreidezufuhr, nicht nur weil die Naturalwirtschaft in Warenproduktion sich verwandelte, sondern auch weil die Ackerfläche des Gutsherrn sich auf das durch die „Regulierung“ dem Gute einverleibte Bauernland ausdehnte.

Die Mecklenburger Junker machten um jene Zeit geradezu reinen Tisch mit den Bauern. Als die englische Getreidenachfrage aufkam, da war es ihre erste Sorge, die Ackerfläche zu erweitern.

„Der Boden, zumal der, welcher den Landholzungen abgenommen ward, war in der Regel von guter Beschaffenheit, aber nicht urbar. Kultivierter Acker. notdürftige Gebäude, auch Anspannung dazu; das fand sich bei den Bauern. Zu diesen und ihren Hufen nebst Betriebsmitteln konnte man ziemlich ohne Kosten und sonderliche Umstände gelangen. Am 16. Februar 1621 ist gesetzlich bestimmt – und gilt dies jetzt noch (1869) – dass Bauern, die kein Erbpachtverhältnis nachweisen könnten – Besitz und Verjährung schützt diese Menschen nicht – die müssten nach Kündigung der Grundeigentümer, dessen Leibeigene sie meistens waren, ihre Hufen unweigerlich hingeben. Vor dem dreißigjährigen Kriege sollen mit den adligen Gütern gegen zwölftausend Bauernhufen verbunden gewesen sein. Jetzt finden sich etwa siebzehnhundertfünfzig auf diesen Gütern. Überdies sind inzwischen die Hufen meistens auf einen geringen Ackerbesitz in schwachem Betriebe herabgesetzt“ (Deiters)

Neben dem stark anwachsenden Getreideangebot eine relativ verminderte Nachfrage, einige besonders gute Ernten gaben den Rest, und die Getreidepreise begannen zu sinken. Der Preissturz dauerte unaufhaltsam, der Preis ging selbst bis unter die durch den inländischen Marktbedarf gebildete Grenze hinunter, um dann erst wieder eine aufsteigende Bewegung zu beginnen.

Die durchgemachte Preisbewegung zeigte folgende, der mecklenburgischen amtlichen Statistik entnommene Übersicht:

Es betrug in Rostock. berechnet in Mark pro 100 Kilogramm:

Im Zeitraum

Der Weizenpreis

1781/85

11,31

1786/90

14,18

1791/95

14,62

1796/1800

17,48

1801/05

23,65

1806/10

19,07

1811/15

14,20

1816/20

29,15

1821/25

  9,47

1826/30

13,79

1831/35

13,42

1836/40

16,01

1841/45

16,23

1846/50

18,28

1851/55

20,38

Es ergibt sich aus den angeführten Zahlen, dass die Preishöhe der der Krise vorangehenden Periode nachher, bei normaler Entwicklung, erst in dreißig Jahren wieder erreicht wurde – ein Beweis, dass die Preise vor der Krise auf einer Höhe standen, die durch die inländischen Produktionsverhältnisse nicht gerechtfertigt war, sondern offenbar, wie früher angegeben, durch die günstige Konjunktur des englischen Marktes bedingt wurden. Indem die Krise mit der falschen Bewertung nicht nur des Getreides, sondern dementsprechend der Grundrente und des Bodens, aufräumte – man kann dies als eine Geltendmachung des Wertgesetzes auffassen – schuf sie erst die Grundlage für eine regelrechte Entwicklung der kapitalistischen Landwirtschaft.

Es begann die Prosperitätsperiode des junkerlichen Grundbesitzes, die, wie das früher angeführte goldene Zeitalter der englischen Landwirtschaft, ungefähr ein halbes Jahrhundert. bis Ende der siebziger Jahre dauerte. Ausdehnung der Ackerfläche, neue Kulturarten, Intensivierung der Kultur usw. Zur Illustration ein Zahlenvergleich aus einer für die Provinz Westpreußen angestellten amtlichen Untersuchung (Zeitschrift des preußischen statistischen Büros 1867).

Es wurden erbaut: Vorwerk Bressin

 

1772/73

1863/64

Rübsen

  380 Scheffel

Weizen

1068 Scheffel

Roggen

288 Scheffel

  835 Scheffel

Gerste

273 Scheffel

  235 Scheffel

Hafer

306 Scheffel

  607 Scheffel

Erbsen

  15 Scheffel

  220 Scheffel

Summa exkl. Rübsen

882 Scheffel

2962 Scheffel

Wir sparen uns die Anführung weitere Zahlen, die nur das Gleiche beweisen. Wie der Pachtzins gestiegen ist, wurde bereits an anderer Stelle angeführt. Was den Bodenpreis anbetrifft, so stieg er in Mecklenburg von 45.000 Mark in den Jahren 1825/29, 56.000 Mark in den Jahren 1830/34 auf 163.000 Mark pro ritterliche Hufe in den Jahren 1875/78, das bedeutet also mehr als eine Verdreifachung des Bodenpreises. Der Kontrast mit den oben angeführten Zahlen für den Anfang des Jahrhunderts ist noch ein viel größerer. Die Krise der zwanziger Jahre hat mit dem fiktiven Wert der Grundrente beseitigt, aber das schloss, wie man sieht, nicht aus, dass die Rente aus anderen Gründen noch mehr gewachsen ist, ja dadurch wurde erst dieses Wachstum ermöglicht.

Wie in England, war auch hier die steigende Prosperität der kapitalistischen Grundbesitzer begleitet von einer Verschlechterung der Lage der Landarbeiter. Für Mecklenburg finden wir in der von uns mehrfach zitierten Schrift von K.F. Deiters. der übrigens durchaus kein Feind der Gutsbesitzer, ein interessante Schilderung dieses Verhältnisses.

„Wenden sich die Blicke dem Leben zu, wie dieses vom Anfang bis zum Ausgang dieser Periode sich zeigte (von der Eröffnung des Getreideverkehrs mit England und der Aufhebung der Leibeigenschaft bis zur Krise der sechziger Jahre), so findet man gleichen Schrittes mit Hebung der höheren Klassen ein Sinken der niederen. ... In das Taglöhnerverhältnis trat durch Aufhebung der Bauernhöfe eine Änderu“ng: es wurden Menschen zu Arbeitsleuten, die früher eine günstigere Stellung gehabt hatten. Viele Tagelöhner verloren den günstigen Rückhalt, den sie in verwandten bemittelten Bauernfamilien früher fanden. ... Meistens waren die Holländer und Schäfer an den Bettelstab gesetzt. ... Die Gutsherrschaften, welche ihre Herden zu eigener Bewirtschaftung übernahmen, konnten in manchen Orten nicht länger fremdes Vieh unter der Herde dulden. Die Tagelöhner mussten ihre Schafe, stellenweise sogar die Kühe, erstere ohne Entschädigung, letztere gegen Milchlieferung, abschaffen, was alles denn nach und nach immerfort modifiziert ward, bis in neuster Zeit häufig der Grundsatz ausgesprochen und verwirklicht wurde, die Tagelöhner möglichst nur mit barem Geld zu lohnen. Der Handel um den Mindestbetrag solcher Löhnung begann. ...

Ausgesogen, gepresst ward alles, was noch einen Tropfen Vermögen in sich hatte. Die ländlichen Arbeiter, als ihnen die gewohnten Naturalien nicht mehr verabreicht wurden, gewöhnten sich leicht, dieselben – zu stehlen. ... Die im Jahre 1817 für Menschen, „welche durch Müßiggang, verbotene Gewerbe und Bettelei, der bürgerlichen Gesellschaft beschwerlich oder gefährlich wurden“, zu Güstrow in einem großen Gebäude als Landarbeitshaus nach Brasilien gegründete Anstalt ward rasch so übervölkert, dass, als eine Ableitung nach Brasilien nicht verschlug, die Beschränkungen der Aufnahme in diese Anstalt von Zeit zu Zeit sich steigern mussten.

Der Arbeiterstand zehrte sich auf. ... Geringer Verdienst schuf viele Entbehrungen, erzeugte Schwäche und dann größere Not. Diese richtete rasch zu Grunde. 1821 erschien das Gesetz über Versorgung der Armen, welches an sich, insbesondere aber die Ortsangehörigkeit Hilfsbedürftiger bestimmte und eine abwehrende Furcht der Ortsbehörden erzeugte, die bis heute dauert. ... Damals entstand unter Ortsbehörden, man kann nicht sagen ein Menschenhandel. aber ein hemmender Umsatz und Verkehr mit erwerbstätigen Personen und Familien. den nur möglich und glaublich halten und begreifen kann, wer ihn über vierzig Jahre mitgemacht und miterlebt hat.

Jeder Mensch blieb eine personifizierte Gefahr, und ward zur Last für seinen Wohnort. ... Waren die im Orte Wohnenden untergebracht und gesetzlich beseitigt, so kam von draußen eine Zufuhr angehöriger Menschen. ... Da Kinder ihre Eltern, die einem anderen Orte angehörten, diesem nicht ab- und nicht als Familie bei sich aufnehmen dürfen, so gerät der Arme außer Familie. Sein Ort darf ihn auswärts unterbringen, anderswo bei Fremden in Entreprise geben. ...

Vom Standpunkte des Gutsherren hat jeder Ortseinwohner nur Wert in dem Maße, als er ländliche Arbeit beschafft und beschaffen wird. Mit dieser Leistung hört der Wert auf. Sowie er aufhört, tritt zum vorherigen Risiko ein zehrender Schaden.

Eine richtige Kalkulation führt den Gutsherren zunächst darauf, alle industriellen Arbeiter zu kündigen und aus dem Gute zu schaffen. ... Was hat der Gutsherr von diesen Menschen? Last, Gefahr, Unkosten, weiter nichts, denn seine arbeiten können diese schwachen Betriebskräfte in der Regel nicht beschaffen. Er beseitigt sie und wendet sich zur Stadt an größere Meister. ...

Die zunehmende Verkümmerung des Gutstagelöhners mindert seine Nutzbarkeit, mehrt das Risiko seiner Haltung in einem Grade, welcher zur weiteren Kalkulation führte, darüber, ob, wenn nicht völlig, doch, wie weit, das Gut von der Last ansässiger Arbeiter zu befreien?“

Indessen aber der Junker so kalkulierte und Versuche mit Wanderarbeitern anstellte, besann sich der durch ein drei Viertel Jahrhundert gehetzte Tagelöhner eines Anderen, packte seine Habseligkeiten und schiffte sich nach Amerika ein! Verdutzt und besorgt sahen die Gutsbesitzer zu, wie scharenweise diese „Menschen“, die sie früher nicht loswerden konnten, nach Amerika zogen. Deiters schätzt, dass etwa in 15 Jahren in Mecklenburg ein Zehntel der Bevölkerung auswanderte.

Es dauerte nicht lange, und die Junker, die soeben die ansässigen Arbeiter vertrieben hatten, forderten Gesetze, um die Arbeiter an die Scholle zu binden. So entstand der „Arbeitermangel“, diese bekannte Ingredienz der „Not der Landwirtschaft“!

Indessen reiften die materiellen Vorbedingungen der Krise heran, und eine allgemeine Wendung der Dinge bereitete sich vor.
 

B. Die Schwindelblüten

Dass kein Glück ohne Schatten [ist], haben auch die preußischen Junker erfahren müssen. Das halbe Jahrhundert aufsteigender Entwicklung der kapitalistischen Landwirtschaft in Preußen hatte selbstverständlich seine Störungen. Solche ergaben sich vor allem als Nachwirkungen der industriellen Krisen. Derart war z. B. für Preußen die landwirtschaftliche Krise im Ausgange der vierziger und zu Beginn der fünfziger Jahre. Dasselbe England. das den Junkern die Prosperität gebracht hat, kehrte ihnen plötzlich diese Schattenseite der kapitalistischen Herrlichkeit zu. Die Getreidepreise sanken in Preußen, weil die englischen Fabrikanten schlechte Geschäfte machten. [49] Doch wurde dies schnell überwunden. Mit der Entdeckung der kalifornischen Goldminen begann eine neue Ära der Entwicklung des Weltmarkts. Die Industrie entwickelte sich schnell, um zwar nicht nur in England, sondern neben diesem in erster Linie in Frankreich und Deutschland. [50] Die Junker profitieren also von dem steigenden Getreidebedarf Englands, sowie auch von dem in Folge der Entwicklung der Industrie mächtig anwachsenden inländischen Marktbedarf an landwirtschaftlichen Produkten.

Wir haben schon mehrmals auf die Charakterähnlichkeit zwischen Börse und kapitalistischem Grundeigentum verwiesen. Zu Zeiten der Prosperität zeigt sich das in der Güterspekulation nebst ihrer Begleiterscheinung, dem Hypothekenschwindel.

Die Güterspekulation entwickelt einen schier unerschöpflichen Reichtum von Modalitäten und Zwitterbildungen. Ihre reinste Form ist, dass man Güter kauft nur zu dem Zwecke, um sie wieder zu verkaufen. Für einen solchen Käufer ist der landwirtschaftliche Betrieb Nebensache. Er wartet nur, bis die Bodenpreise bedeutend gestiegen sind, und schlägt dann sein Grundstück los, um ein neues zu kaufen. Das ist also die vollkommen börsenmäßige Haussespekulation.

Kauf und Verkauf von Grundbesitz wird aber überhaupt zu einer häufigen, selbstverständlichen Erscheinung, genau wie der Handel mit Wertpapieren. Reiche Grundbesitzer machen sich aus dem Güterschacher einen Sport. wie aus dem Pferdehandel. Der Grundsatz wird aufgestellt: „Keine Gelegenheit vorbeigehen lassen, um Land zu kaufen!“ Es wird eben darauf spekuliert, dass, wenn das Grundstück auch augenblicklich keinen Nutzen über den Kapitalzins abwerfen sollte, so wird man doch nachher an dem gestiegenen Bodenwert sicher profitieren. Auch städtisches Kapital strömt unter solchen Verhältnissen dem Lande zu, um in Grundbesitz angelegt zu werden.

Erleichtert, ja zum Teil erst ermöglicht wird dieser rege Güterverkehr durch das Hypothekarwesen. Die Hypothek gibt die Möglichkeit, bei geringer Anzahlung Land zu kaufen. Die Analogie mit dem Börsengeschäft drängt sich wieder von selbst auf. Durch die Hypothek wird die Zahl der Güterumsätze und ihr Umfang ungemein vermehrt. Wird der Grundbesitz mit 80 Prozent beliehen, so kann man mit derselben Geldsumme fünfmal so viel Land als bei voller Anzahlung kaufen, oder auch man kann schon mit einem Fünftel der sonst nötigen Geldsumme Land erwerben. In Verbindung mit der bereits geschilderten Güterspekulation bildet sich auf dieser Grundlage eine Art Differenzgeschäft in Grundstücken heraus.

Damit nicht genug! Es werden Hypotheken auf Grundstücke aufgenommen nur zu dem Zweck, um mit dem Erlös neue Grundstücke zu erwerben, die selbstverständlich ebenfalls hypothekarisch belastet werden. Bei Erbteilungen werden entsprechend hohe Hypotheken aufgelegt, und der ausscheidende Erbe kauft mit dem ihm ausgezahlten Kapital Land, das gleichfalls Hypotheken zu tragen hat. Hypotheken werden ferner aufgenommen, um landwirtschaftliche Nebengewerbe, als: Schnapsbrennereien, Zuckerfabriken etc. zu betreiben, um industrielle Unternehmen zu gründen, um sich an Eisenbahnaktien, Staatsanleihen und dergleichen mehr zu beteiligen, auch um das Geld zu Wucherzinsen Kleinbauern und Anderen auszuleihen. Hypotheken werden schließlich aufgenommen – einfach weil sie so leicht aufgenommen werden können: das Geld wird empfangen, und nachher sieht man sich um, wohin man es hineinsteckt. In dieser Form wird die Operation zu purem Schwindel. Sie wurde deswegen von den Junkern nicht weniger oft durchgeführt.

Auf diese Weise werfen die von Rodbertus mitgeteilten amtlichen Ermittlungen über die Besitzveränderungen der Rittergüter ein klares Licht. Rodbertus fasst das Resultat dieser statistischen Nachforschung folgendermaßen zusammen:

„Es geht aus den Ermittlungen hervor, dass auf 11.771 Rittergüter der Provinzen Preußen, Pommern – mit Ausnahme von Neuvorpommern –, Posen, Schlesien, den Marken, Sachsen und Westfalen während der dreißigjährigen Periode von 1835 bis 1864 23.654 Besitzveränderungen kommen. Darunter sind nur 7.903 Erbfälle, 14.404 freiwillige. 1.347 notwendige Verkäufe. Jedes Gut hat also durchschnittlich zweimal den Besitzer gewechselt. Von der Gesamtzahl dieser Besitzveränderungen kommen, wie man sieht, 34,7 Prozent auf Erbfälle, 60,2 Prozent auf freiwillige Verkäufe. 5,1 Prozent auf Subhastationen. Von der Gesamtzahl dieser Güter wurden in dieser Zeit 67,1 Prozent vererbt, 122.3 Prozent freiwillig und 11,4 Prozent zwangsweise verkauft. Durchschnittlich sind also ungefähr zwei Dritteile aller Rittergüter einmal während dieser Zeit vererbt worden. Dagegen ist die Zahl der Verkäufe bedeutend größer. als die Zahl der Rittergüter. Im Durchschnitt haben alle Rittergüter während dieser Zeit nicht bloß einem einmaligen, sondern ein Drittteil derselben einem zweimaligen Verkauf unterlegen. ... Scheidet man den dreißigjährigen Zeitraum von 1835 bis 1864 in drei Dezennien, so sind im ersten Dezennium von 1835 bis 1844, in welchem die Wertsteigerung der Güter begann und gegen den Ausgang desselben verhältnismäßig am größten war, auch die meisten freiwilligen Verkäufe vorgenommen. nämlich 4.976; im folgenden Dezennium fällt diese Zahl auf 4.694; im letzten Steigt sie wieder auf 4.734. Die Zahl der notwendigen Verkäufe hat indessen stetig abgenommen.“ [51]

„Diese ungeheure Anzahl von Besitzveränderungen namentlich von freiwilligen Verkäufen“, meint Rodbertus im Anschluss daran, „muss außerordentlich viel zur Verschuldung unseres Grundbesitzes beigetragen haben,“ Die Statistik der Hypothekenbewegung bietet auch ein vorzügliches Pendantstück zu den mitgeteilten Besitzveränderungen.

Für die bedeutende Anzahl größerer Güter in Preußen wurde ihre Verschuldung nebst dem Bodenwert für 1837, 1847 und 1857 amtlich ermittelt. Folgendes ist das allgemeine Ergebnis:

Im Jahre

Der verlautbarte Bodenwert
(Taler)

Die Schuldenbelastung
(Taler)

Die Schulden betragen
Prozent des Wertes

1837

  6.995.772

  5.498.284

80

1847

10.144.654

  8.787.280

84

1857

13.737.029

11.076.974

80

Der Bodenwert ist während zwanzig Jahren fast um 100 Prozent gestiegen. ein Zeichen gewaltig wachsender Prosperität, und gleichen Schritt damit hält auch die Verschuldung. 1847, als die Steigerung des Bodenpreises relativ am größten war, da war auch die Verschuldung relativ. d. h. im Verhältnis zum Bodenwert, am größten. Der Zusammenhang ist so offenkundig, dass man, wo andere Angaben fehlen, aus der Steigerung der Hypothekarverschuldung. weit entfernt, darin ein Zeichen des Niedergangs zu sehen, vielmehr mit ziemlicher Sicherheit auf eine Steigerung der Bodenpreise. folglich eine aufsteigende Bewegung der kapitalistischen Landwirtschaft schließen kann.

Die Junker verfuhren genau wie der Bankier. der die gekauften Wertpapiere verpfändet, um neue zu kaufen. Nur dass die Junker gar nicht einmal ein anfängliches Kapital brauchten, um ihre Spekulation zu betreiben. Der Bodenpreis stieg von selbst, und damit ergab sich die Möglichkeit, immer höhere Schulden aufzunehmen.

Diese Schwindelperiode des junkerlichen Grundbesitzes, die innig verbunden ist mit dem Aufschwung der kapitalistischen Landwirtschaft, ist von Dr. Karl Fraas treffend und ergötzlich geschildert worden. Zu bemerken ist, dass seine im Jahre 1866 erschiene Schrift über die „Ackerbaukrisen“ selbstverständlich diese Entwicklung retrospektiv (zurückschauend) betrachtet, vom Standpunkt der bereits eingetretenen Krise der sechziger Jahre aus, die er dabei für ein Musterbild kapitalistischer Agrarkrise hält, obwohl sie sich in Wahrheit zu dieser nur so verhält, wie etwa ein Börsenkrach zu einer industriellen Krisis.

„Analog den Kennzeichen des Herannahens von Produktions- und schließlich von Handelskrisen überhaupt künden sich die Ackerbaukrisen durch Erscheinungen an, die wir alle jüngst erlebt haben, – durch Kühnheit im Güterkauf zu enormen Preisen – ebenso in der Schätzung bei Gutsübernahmen in Teilungsfällen usw.; durch Inanspruchnahme des landwirtschaftlichen Kredits zur größten erreichbaren Höhe und bei hohen Zinsen; durch leichtsinniges Eingehen der Darleiher auf eine große Quote des Schätzungswertes als Hypothekenobjekt; durch Steigen des Luxus der Ackerbaubevölkerung, häufiges Feilbieten aller Liegenschaften durch die luxuriösen Besitzer; Drängen zu neuen Betriebszweigen, insbesondere zu technischen Nebengewerben.“

K. Fraas gibt weiter an – wir erinnern wieder daran, dass er die allgemeinen Bedingungen der Agrarkrise zu schildern glaubt, währenddem er bloß die Symptome des kapitalistischen Aufschwungs der Landwirtschaft nebst dem ihn begleitenden Schwindel zeichnet:

„Ein enormes Steigen der Güterpreise. ... In den Zeiten des starken Friedens und bei einer kräftig aufblühenden Industrie, welche das Getreide zu sehr annehmbaren Preisen kaufen macht, steigt die Bodenrente und mit ihr die Folgen dieses Steigens.

Öde Landstrecken werden ohne alle Rücksicht, ob auch das notwendige Betriebskapital in Zugvieh, Dünger und Geräte usw. vorhanden sei, gerodet und der Bestellung mit leicht und gut verkäuflichen Produkten, zunächst Getreide unterworfen.

Während in anderen Zeiten Belehrung, Prämien, Kulturmandate und Ähnliches ganz vergeblich oder mit den schwächsten Erfolgen die Kultur öder Grunde anregen, geht dies jetzt mit erstaunlichem Eifer vorwärts. Selbst die Großbegüterten lassen sich jetzt Gemeindeteilungen gern gefallen, und die Kleinbegüterten stellen sie geradezu als Existenzbedingung hin.

Diesen Neubrüchen stellen sich Entwässerungen von Mooren und Sümpfen zur Seite, indem man das trocken gelegte Land ohne Rücksicht auf Betriebskapital und Nachhaltigkeit zum Getreidebau umbricht.

Wellenförmig bewegen sich die Preise von Grund und Boden von denjenigen Gegenden anfangend, deren Bevölkerung dicht, deren Industrie hoch entwickelt ist. gegen jene Länder zu, wo das Gegenteil stattfindet, wenn auch ihr Ackerland noch so unfruchtbar und das Klima noch so günstig ist. Solange politische Erscheinungen oder die Kommunikation nicht störend eintreten, geht dieser Wellenschlag ziemlich regelmäßig in Europa von Westen nach Osten, und jede Welle wird nur immer niedriger, je weiter sie vordringt, bis sie in den Steppen Südrusslands und Sibiriens in das spiegelglatte Meer der Weidewirtschaft verfließt.

Die Preise von Grund und Boden sinken in eben diesem Maße. Da aber, wo alle Produktionen lebhaft, Kapitale wohlfeil und Arbeit mit aller technischen Beihilfe zu enormen Leistungen leicht zu haben ist, da steigt der Bodenwert nun am höchsten, und es ist ein ganz besonderes Kennzeichen, dass nunmehr selbst das in der Industrie groß gewordene Kapital seine Brutstätte verlässt. um eine sichere Ruhestätte im „Lande der Väter“, in Grund und Boden zu suchen.

Wir sehen jetzt den Industriellen, den Fabrikanten. den Bankier selbst und den Börsenmann an den Güterkauf gehen. und obwohl sie über die zu erwartenden geringen Zinsen (weil der Bodenpreis hoch) sich durchaus nicht täuschten, ja selbst ihre gleichsam agrikole Einfalt belächeln, so erwerben sie doch ausgedehnte Liegenschaften – der Sicherheit wegen (bzw. um von der steigenden Grundrente zu profitieren!) ...

Es ist die Zeit, in welcher der gute Geschmack und die Kunst selbst an den Wirtschaftshof treten, und die Villa des Römers, der Hain des Hellenen, der Rosengarten des Arabers, das Landhaus selbst mit Park, Wasserfall und Grasplatz die Stelle des alten Schlosses des Grundherrn mit Wildgehegen und finsteren Forsten einnimmt. In ihrem Gefolge rückt auch der landwirtschaftliche Fortschritt in kostbaren Maschinen, edlen Terrassen, zweckmäßigen Ökonomiegebäuden, mit den Zinsen der Industrie, den Dividenden der Aktienunternehmungen, Indian Stocks und die altbackene, praktische Landwirtschaft wendet kopfschüttelnd und mit Verwunderung das Haupt von diesen ihren Unmöglichkeiten, während der neue ‚Grundherr‘ nicht übel Lust hat, an junkerliche Manieren anzuknüpfen und ein Stück Schlossleben in feudaler Ungebundenheit zu durchleben.

Auch von den alten Gelüsten regt sich’s manchmal noch in nunmehr auch ‚gefestigten‘ Grundbesitz, und Güter werden gekauft, zertrümmert und wieder verkauft. ... Und wenn der Friede fortdauert und die Stocks ihrer Eier, die Aktien ihre Dividenden legen, so mehrt sich dieser angenehme Luxus des freien Güterverkehrs, der Industrie und des Handels endlos fort, bis die Krisis kommt.“

Hinzuzufügen ist, dass nicht nur der „neue Grundherr“ spekuliert, sondern auch der „hausbackene, praktische Landwirt“ mit dem Erlös aufgenommener Hypotheken „Indian Stocks“ kauft, Brennereien gründet und mit Grundstücken schachert.

Über das Verhalten des Grundbesitzes zum Kleinbetrieb äußert sich Dr. K. Fraas. wider seinen Willen der Pindar [52] jener junkerlichen Herrlichkeit, folgendermaßen:

„Wer greift meine Freiheit an? ‚Du fügst‘, sagt der kapitalreiche große Grundbesitz zum kleinen, ‚vergeblich ein neues, gewölbtes Streichbrett an deinen knarrenden Landpflug, festigest das Stirnblatt statt des Doppeljochs an die Kuh. welche den Ochsen vertrieb, nachdem dieser längst selbst dem Pferde die Hufe ausgetreten hatte, ich pflüge, fahre und dresche mit Lokomotive und Dampf, ich koche damit Würzen und Maischen, schneide in wenigen Stunden so viel Futter, als du am ächzenden Häckselstuhl in vielen Tagen. Magst du auch die alte Branntweinblase scheuern und den Helm fegen, graue Kartoffelstärke im engen Bottich bereiten, Handkäse bretterweise aufstapeln und buttern, bis dir der Atem ausgeht, du holst meinen Spritapparat mit Dampfbrennerei, meine Maschinenziegelei oder Stärkefabrik, meine Kunstdüngerverwendung und Wiesenbauten, meine Käserei und meine Molkerei mit der Schlempefütterung doch nicht mehr ein. Verkaufe deine ‚Hütte‘, deine ‚Baracke‘, dein ‚Schnapsgütchen‘ und verwende deine Arbeitskraft besser in der Stadt oder auch bei mir, vielleicht in Australien oder auf den Moskitos oder wo der Pfeffer – – kurz überall, wo du mehr erhältst als bei deiner jetzigen Hantierung.‘“

Heutzutage schlagen freilich die Junker ganz andere Noten an. Da ist die Rede von „geflickten Strohdächern“ und vom Bauern. nur noch vom Bauern! Heute geben die Junker vor, keine größere Sorge zu haben, als die „Hütte“, die „Baracke“, das „Schnapsgütchen“ ja nur aufrecht zu erhalten! Darum ist es gut, an jene Zeiten zu erinnern, wo noch der junkerliche Übermut frei, ohne Rücksichten auf Liebesgaben, Zölle und Prämien, sich äußern durfte.

Die Agrarkrise der sechziger Jahre war nicht, wie Dr. K. Fraas anzunehmen scheint, einfach Produkt der Spekulation, sondern sie war die Folge einer allgemeinen Finanzstockung. was Rodbertus bereits damals herausgefunden hat. [53] Es war eine „Hypothekennot“, die Schwierigkeit, Hypotheken aufzunehmen. nebst der komplementären Erscheinung, dass die Hypothekengläubiger kündigten. weil sie für ihre Kapital vorteilhaftere Verwendungen fanden. Es trat eine Teuerung des Kredits ein respektive eine „Kreditnot“.

Die Ursache dieser Finanzstockung waren keineswegs bloß die großen amerikanischen Anleihen. Vielmehr war Deutschland damals schon ziemlich mitten in jener Periode der treibhausmäßigen Entwicklung seiner Industrie. welche nachher den deutsch-französischen Krieg und die deutsche Einheit mitbedingte und in den großartigen Spekulationen der siebziger Jahre ihren kapitalistisch würdigen Abschluss fand.

Es wurden in Preußen Aktiengesellschaften gegründet:

Bezeichnung der Unternehmungen

1826 bis 1850

(25 Jahre)

1851 bis 1870 (erste (älfte)

(19½ Jahre)

 :

Zahl

Kapital (Millionen Mark)

Zahl

Kapital (Millionen Mark)

Aktiengesellschaften überhaupt

102

638,0

295

2405,0

Darunter Banken

3

18,6

20

94,6

Man sieht, wie rapid sich seit den fünfziger Jahren die Gründertätigkeit entwickelt hat. Gegenüber den großen Kapitalmassen, welche die sich rasch aufschwingende industrielle Tätigkeit bedurfte, fand aber, wie die Übersicht zeigt, eine nur mäßige Entwicklung des Bankwesens statt. Darum stieg der Zinsfuß. Der Diskontsatz der preußischen Bankbetrug von 1847 bis inklusive 1855: 4 bis 4,3 Prozent, 1856: 4,9 Prozent, 1857: 5,7 Prozent [54], dann 1858 bis 1862 wieder 4,2 bis 4,3 Prozent, 1863 aber 5 Prozent, 1864: 5,3 Prozent, 1865 4,9 Prozent, 1866: 6,2 Prozent! Zugleich erreichte die Dividende der preußischen Bank, während der Jahre 1864, 1865, 1866 die unerhörte Höhe von 10,1 bis 10,9 Prozent!

Welche Folgen das zeitigte, ist bei Rodbertus nachzulesen. Die Hypothekengläubiger kündigten. Weil der Zinsfuß stieg, so fielen die Bodenpreise. Die Hypotheken verloren ihre Sicherheit. Neue Hypotheken waren nur in einem geringeren Betrag und zu stark erhöhten Zinsen aufzunehmen. So traten zahlreiche Subhastationen ein.

Das war vorübergehend. Der Zinsfuß sank von selbst schon 1867. Das Kreditwesen entwickelte sich rasch. Dann kam die französische Geldflut. Die Banken wuchsen wie Pilze aus der Erde. Bald entstand ein Überfluss an Banken. Von der zweiten Hälfte 1870 bis inklusive 1874 wurden 103 neue Aktienbanken errichtet mit einem Kapital von 838 Millionen Mark. Das Verhältnis des neuen Bankkapitals zu dem Gesamtkapital der neuen Gründungen war: in den Jahren 1826/50 wie 1:34, in der Periode 1851/70 wie 1:25, dagegen im Zeitraum 1870/74 wie 1:4. Kein Wunder, dass von den neuen Bankgründungen bis Ende 1874 bereits 29 mit einem Kapital von 176 Millionen eingegangen waren.

Unter der raschen Entwicklung der Industrie stiegen die Getreidepreise und die Bodenpreise. Die Junker konnten Hypotheken aufnehmen nach Herzenslust. Und ihre Lust war groß!

In den siebziger Jahren muss die Verschuldung des junkerlichen Grundbesitzes kolossal angewachsen sein. Leider ist die Statistik der Verschuldung in Deutschland in einem so verwahrlosten Zustande, dass sich für diesen Zeitraum keine Vergleiche anstellen lassen.

Als die große Industriekrisis der siebziger Jahre eintrat, da stand schon Deutschland als fertiger Industriestaat da: mit hohen Grundrenten, hohen Bodenpreisen, hoher Hypothekarverschuldung, hohen Getreidepreisen und – kapitalistisch gerechnet, hohen Produktionskosten des Getreides!

Die durchgemachten Wandlungen zeigt folgende Zusammenstellung der Weizenpreise. die auch die weitere Entwicklung andeutet.

Es betrug der Weizenpreis pro 1.000 Kilogramm in Mark:

In den Jahren

England

Frankreich

Preußen

Unterschied zwischen
England und Preußen

1816–1820

364,0

265,0

206,8

−157,8

1821–1830

266,0

192,4

121,4

−144,6

1831–1840

254,0

199,2

138,4

−115,6

1841–1850

240,0

206,6

167,8

−  72,2

1851–1880

250,0

231,4

211,4

−  38,6

1861–1870

248,0

224,6

204,6

−  43,4

1871–1875

246,4

248,8

235,2

−  11,2

1876–1880

206,8

229,4

211,2

+   4,4

1880–1889

169,2

197,7

190,5

+  21,3

Der Anfang des Jahrhunderts, da die englische Nachfrage den Getreidemarkt beherrschte, zeigt die größte Preisdifferenz zwischen dem agrikolen Festland und dem industriellen England. Dabei sind die Preise in Frankreich, wie in Preußen hoch. Dann kommt die Katastrophe der zwanziger Jahre. Trotz der enorm sinkenden Preise, hat sich die Preisdifferenz zwischen England und Preußen fast gar nicht vermindert. ein Beweis, dass sie durch die hohen Transport- und Handelskosten absorbiert wurde. Nachher tritt die Periode ein der Entwicklung der kapitalistischen Landwirtschaft und Industrie auf dem Festlande, die einen regelmäßig sich vollziehenden Ausgleich der Getreidepreise in den drei Ländern mit sich bringt. Charakteristisch ist, dass die Aufhebung der Kornzölle in England, wie man sieht, für größere Perioden kein Sinken des englischen Weizenpreises nach sich zog, sondern ein Steigen der festländischen Weizenpreise. Die Annäherung der Getreidepreise der drei Länder aneinander vollzog sich überhaupt zum größten Teil in der Weise, dass mit der Entwicklung der Industrie die Getreidepreise in Frankreich und Deutschland stiegen. 1871/75, während des großen Freudenfestes der europäischen Industrie, ist der Ausgleich vollendet. Mit der industriellen Krise beginnt auch ein Sinken des Weizenpreises, der uns hier nur die allgemeine Bewegung der Getreidepreise illustriert, in allen drei Ländern. 1880/89 ist die Periode des Zollschutzes. England. weil es keine Getreidezölle mehr hat, zeigt nun einen bedeutend niedrigeren Getreidepreis als Preußen und Frankreich.

Hohe Grundrenten und geringe Löhne. Hohe Bodenpreise und große Verschuldung. Hohe Getreidepreise und große „Produktionskosten“. Die geringen Löhne erzeugen „Arbeitermangel“, die große Verschuldung bedingt eine starke Zinsenlast. die hohen „Produktionskosten“ machen konkurrenzunfähig auf dem Weltmarkt. Die Bedingungen der Prosperität werden zu Vorbedingungen der „Not der Landwirtschaft“.

* * *

Anmerkungen

42. Vergl. Skizze 6: Industrie und Landwirtschaft. Neue Zeit, Heft 17, S. 522ff.

43. Meitzen, der gewiss patriotisch und gutgesinnt ist, berechnet den wirtschaftlichen Wert der abgelösten Hand- und Spanndienste (1⅓ Million Handarbeits- und 5⅘ Million Gespannarbeitstage pro Jahr) auf 5 Millionen Taler jährlich. Mit 25, die bei der Ablösung angenommen, kapitalisiert, macht dies 125 Millionen Taler. Dem gegenüber betrug, wiederum nach Meitzen, die wirkliche Abfindungssumme, d. h. was die Bauern für die Befreiung von den Reallasten zu zahlen hatten, 214 Millionen Taler! Die Bauern wurden also um 90 Millionen Taler, d. h. um vier Zehntel der gezahlten Abfindung einfach geprellt! (A. Meitzen, Der Boden und die landw. Verhältnisse des preuß. Staats, Bd. I, S. 437.)

44.Beiträge zur Statistik Mecklenburgs, Band I, 1880, S. 87

45. Skizze 6 in Heft 18, S. 554ff.

46. Da der Boden nicht als Rentenquelle gekauft werden konnte, so musste man die Rente als solche, getrennt vom Boden, kaufen. Deshalb der „Rentenkauf“, diese präkapitalistische Einrichtung, für die Rodbertus schwärmte. Aber wollte man der Hypothek, die der kapitalistische Rentenkauf ist, die allerdings sehr schwankende Sicherung durch den Bodenwert nehmen, so würde das zu ähnlichen Unzuträglichkeiten führen, wie Banknoten ohne Metalldeckung, die ja auch zu einem großen Teil fingiert zu sein pflegt.

Rodbertus und dessen Epigonen gleichen in diesem dem Ritter von der traurigen Gestalt: sie weihen ihre Tätigkeit ihrer Dulcinea, die sie für eine romantische Burgfrau halten, und wollen gar nicht merken, dass sie ein Schnaps brennender Junker ist, der in Kürassierstiefeln steckt.

Damit soll keineswegs bestritten werden, dass Rodbertus den Junkern bittere Wahrheiten sagte, – aber im letzten Grunde behauptete er doch immer, Dulcinea sei die schönste Frau, und er kämpfte trotz allem, für den junkerlichen Grundbesitz – wohlgemerkt für den junkerlichen und nicht etwa den bäuerlichen oder den bürgerlich-kapitalistischen.

47. „Der Moment, wo die großen Landgüter Mecklenburgs – auch Pommerns – ihre Produkte dem Auslande zuwendeten, wo sie dort ihren Bedarf befriedigten und das Inland mehr und mehr diesen ihren Zwecken unterordneten, war der, wo die ländlichen Verhältnisse des Landes ihre ursprüngliche Natur verloren, wo die Bodenproduktion in die künstliche Tendenz des Gelderwerbes aufging, mithin ein weites Ziel, einen Zweck außer sich selbst erstrebte. Dieser Moment – wie man ihn auch sonst bezeichnen mag – kann nicht scharf genug ins Auge gefasst werden.“ „Die Kreditnot der Landgüter“, von K. F. Deiters. Zweite, vermehrte Ausgabe von Auswanderung, Arbeitslohn und Bodenwert. Frankfurt am Main, Verlag der F. Bosellischen Buchhandlung. 1869.

Diese Schrift, die in den sechziger Jahren einiges Aufsehen erregte, ist gänzlich verschollen. Sie ist in der deutschen bürgerlichen Ökonomie eine der scharfsinnigsten Betrachtungen der kapitalistischen Landwirtschaft.

48. Wenn Friedrich Engels in seiner jüngst veröffentlichten Arbeit über das Wertgesetz (Neue Zeit 1895/96, Band I, S. 4–11 und 37–44 [Marx Engels Werke, Band 25, a. a. O., S. 897–917]) annimmt, dass um diese Zeit, die Zeit des städtischen Handwerks und, im Großen und Ganzen, der Naturalwirtschaft in der Agrikultur, die Waren sich tatsächlich annähernd nach der in ihnen enthaltenen Arbeitsmenge umtauschten, so können wir dem nicht zustimmen.

Engels meint, der Bauer und der Handwerker tauschten deshalb ihre Produkte nach den verausgabten Arbeitsmengen untereinander, weil sie auf die Produktion nichts, außer ihrer Arbeit, aufzuwenden hatten und weil ihnen die gegenseitigen Arbeitsbedingungen bekannt waren.

Gesetzt auch, diese Voraussetzungen seien richtig, so ergibt sich doch daraus nur der Wille beider Parteien, nach Arbeitszeit zu tauschen. Die Hauptfrage aber ist, ob die ökonomischen Verhältnisse, die Beziehungen, in denen die Gesellschaftsklassen unter der Herrschaft jener Produktionsformen zu einander standen, dies auch zuließen.

Aber wie konnte der Bauer, der dem Gutsherrn Hand- und Spanndienste zu leisten hatte, dessen Arbeitszeit, manchmal in einem bunten Durcheinander, bald der Gutswirtschaft, bald seiner eigenen Wirtschaft sich zuzuwenden hatte, der außerdem noch einen Teil des Produkts an den Gutsbesitzer abzugeben hatte, der dafür auch seinerseits einige Gegenleistungen bekam, der eine Menge der verschiedensten Gegenstände produzierte, vom Getreide an bis auf Wolle und Leinen, die vielleicht noch weiter von seiner Frau, Mutter, Töchtern verarbeitet wurden, ferner Butter, Käse, Talg, Borsten, Geflügel, Eier etc., der einen großen Teil der erzeugten Produkte in seiner eigenen Wirtschaft als Rohstoffe und Produktionsmittel sofort wieder verwendete, einen weiteren Teil zum eigenen Lebensunterhalt gebrauchte, dessen Arbeitstag überdies ungemessen blieb und ungleich war, je nach der Jahreszeit, der auch nicht allein, sondern samt Frau und Kindern und vielleicht noch alten Eltern arbeitete, wobei noch die Produktivität seiner Arbeit vom Wetter und sonstigen zufälligen Verhältnissen abhing, wie konnte dieser Bauer die Arbeitszeit bestimmen, die im Wagen Heu stak, den er zum Markte fuhr, respektive im Sack Getreide oder im Schock Eier oder im Fässchen Butter, die er an den Handwerker abgab?

Im Verkehr des Gutsherrn mit dem Handwerker ist von Arbeitswertgesetz ebenso wenig die Rede. Zahlt der Gutsherr in Naturalien, so entnimmt er sie seinen Speichern, in die es seine tributären Bauern niedergelegt haben, und da erscheint es ihm alles weniger denn als Verkörperung gesellschaftlich notwendiger Arbeitszeit. Zahlt er in Geld, so sind das Werte, die er schon fertig aus dem Verkehr bekommt.

Im Handelsverkehr des Gutsherrn und aller Anderen, mit dem Kaufmann war vollends von Arbeitszeit keine Rede. Der Kaufmann brachte Tücher, Kostbarkeiten, Gewürze, Pelze usw. – lauter Produkte der entferntesten Gegenden, erlangt auf einem Handelswege voll Schwierigkeiten und Zufälligkeiten, die deshalb einen Monopolpreis hatten.

Auch im Tauschverkehr der Handwerker untereinander galt das Wertgesetz in der von Engels vorausgesetzten Weise nicht. Die von den einzelnen Handwerkern verwendete Arbeitszeit war allerdings bestimmbar und messbar – diese Rechnung wird später in der kapitalistischen Fabrik noch viel genauer angestellt – aber die Sache haperte schon, wie eben auch in der kapitalistischen Produktion, an dem Wert der Rohstoffe und Produktionsmittel. Der Barchent- und Samtweber, der Goldschmied, der Kürschner, zum Teil auch der Tuchschneider kauften ihre Rohstoffe beim Kaufmann; sie hatten also insofern mit fertigen Warenwerten zu rechnen, bei deren Bildung, wie angegeben, die Arbeitszeit eine höchst untergeordnete Rolle spielte. Auch andere Handwerker, wie der Schlosser, der Zinngießer, der Böttcher mussten bedeutende Rohstoffe, teils beim Kaufmann, teils beim Bauern erwerben. Selbst der Aufwand an Produktionsmitteln war für manche Handwerke durchaus nicht gering. Vor allem aber kommt für den Tauschverkehr der Handwerker untereinander in Betracht, dass er ja mitbedingt war durch den Handelsverkehr der Handwerker mit den übrigen Gesellschaftsklassen. Davon, wie der Handwerker seine Geschäfte mit dem Bauern, dem Gutsherrn und dem Kaufmann abgeschlossen hatte, hing es wesentlich ab, wie groß seine Kaufkraft für andere Handwerkerarbeiten war.

Es kann aber überhaupt kein partielles Wertgesetz, das nur für eine Gesellschaftsklasse gilt, gehen. Dies führt uns zur folgenden allgemeinen Erwägung: Solange die kapitalistische Grundrente sich noch nicht gebildet hat – zu den im Text angeführten Gründen fügen wir noch hinzu, dass dies bereits das Vorhandensein einer durchschnittlichen industriellen Profitrate voraussetzt – findet auch kein Ausgleich der individuellen Produktionspreise des Getreides zu einem allgemeinen Produktionspreis statt. In den verschiedenen Wirtschaften hat aber dieselbe Getreidemenge, in Folge der Verschiedenheit des Bodenertrags, einen verschiedenen Wert. Ein Sack Roggen repräsentiert bald 12, bald 15, bald 18 Arbeitsstunden. Wird nun noch der Arbeitsmenge getauscht, so muss offenbar der Handwerker für dieselbe Arbeit von verschiedenen Landwirten verschiedene Getreidemengen in Umtausch kriegen. Der gleiche Rock wird hier mit 1 Sack Weizen, dort mit 1¾ oder 1½ Säcken austauschbar sein. Dann aber, wie viel wird ein Sack Weizen in der Stadt gelten? In dem Moment aber, wo sich in der Stadt ein allgemeiner Marktpreis für Getreide bildet, gilt die Bestimmung nach der Arbeitsmenge nicht mehr!

Das Wertgesetz bedarf der kapitalistischen Grundrente, um zur Geltung zu kommen. Es bedarf dazu auch des Profits. Darum kommt es auch nicht in der einfachen Weise der Austauschbarkeit der Waren nach den in ihnen enthaltenen Arbeitsmengen zum Vorschein.

Die geschichtliche Konstruktion, die Engels macht, knüpft an eine Stelle im dritten Band des „Kapital“ an, die keineswegs eine andere Auslegung gänzlich ausschließt. Jedenfalls können andere Erörterungen aus dem „Kapital“ angeführt werden die einer solchen Deutung widersprechen. Wir begnügen uns mit folgendem Zitat aus dem dritten Band, auf den es ja in erster Linie ankommt: „Wenn das Land im Mittelalter die Stadt politisch ausbeutet, überall da, wo der Feudalismus nicht durch ausnahmsweise städtische Entwicklung gebrochen ist, wie in Italien, so exploitiert die Stadt überall und ohne Ausnahme das Land ökonomisch durch ihre Monopolpreise, ihr Steuersystem, ihr Zunftwesen, ihren direkten kaufmännischen Betrug und ihren Wucher.“ (Kapital, Band 3, Teil II, S. 334 [Marx Engels Werke, Band 25, a. a. O., S. 809]).

Unsere Erörterung schließt selbstverständlich keineswegs aus, dass man einen abstrakten Fall selbständiger Warenproduzenten, die nach Arbeitsmengen tauschen, konstruieren kann, etwa in gleicher Weise, wie man experimentell einen luftleeren Raum konstruiert, um das Fallgesetz nachzuweisen. Ob das Wertgesetz in solcher Weise geschichtlich je gegolten hat oder nicht, ist für dessen Geltung in der kapitalistischen Gesellschaft ebenso ohne Bedeutung wie für das Gesetz des Falles auf unserer Erde, ob außerhalb der Erdatmosphäre sich völlige Leere vorfindet.

Wie das Gesetz der geradlinigen Fortpflanzung des Lichtes nur in den scheinbar widersprechenden Erscheinungen der Brechung und Reflexion, das Gesetz der gleichmäßigen Anziehung aller Materiepartikelchen durch die Erde, wodurch bekanntlich ein gleich schnelles Fallen aller Körper bedingt sein muss, in seiner scheinbaren Aufhebung, in dem ungleichmäßigen Fallen zur Geltung kommt, so kommt auch das Wertgesetz in Erscheinungen zum Ausdruck, die ihm anscheinend widersprechen, die aber eben anders gar nicht zu erklären wären, deren ganze Gesetzmäßigkeit wie die Gesetzmäßigkeit, mit der ein Körper durch die Luft fällt, in ihrem Charakter als Widerspruch liegt.

49. „Es ist bekannt, dass kein europäisches Land so unmittelbar, in solchem Umfang und mit solcher Intensität von den Wirkungen der englischen Krise getroffen wird als Deutschland. Der Grund ist einfach: Deutschland bildet den größten kontinentalen Absatzmarkt für England, und die deutschen Hauptexportartikel Wolle und Getreide finden in England ihr bei weitem entscheidendes Débouché (ihren Absatz).“ Karl Marx in der Revue der „Neuen Rheinischen Zeitung“, Heft 4, 1850 [Marx Engels Werke, Band 7, Berlin 1960, S. 292–295, hier S. 294]. Wir haben an anderer Stelle darauf hingewiesen, wie sich seitdem das Handelsverhältnis zwischen England und Deutschland geändert hat.

50. Die bereits erwähnte Neue Rheinische Zeitung von 1850 gibt eine höchst interessante Beleuchtung dieser Zusammenhänge.

51. Rodbertus: Zur Erklärung und Abhilfe der heutigen Kreditnot der Grundbesitzer. 1868

52. [Pindar war ein griechischer Lyriker. Marx verwendete im Kapital Pindar als Symbolfigur für Schönfärber: „Pinto, der Pindar der Amsterdamer Börse“, „Dr. Ure, der Pindar der automatischen Fabrik“, „bis heutzutag blieb die Liverpooler ‚Ehrbarkeit‘ Pindar des Sklavenhandels“ (Marx Engels Werke, Band 23, Berlin 1972, S. 165 (Fußnote), 441 und 787)]

53. „Dieser Meinung ist auch Professor Conrad, dessen statistischen Zusammenstellungen über „Agrarkrisen“ in seinem Handwörterbuch der Staatswissenschaften überhaupt sehr lesenswert sind.

54. Das war die kleinere Kreditstockung der fünfziger Jahre, welche die erste Schrift Rodbertus‘ über das Hypothekenwesen nach sich zog. (Die Handelskrisen und die Hypothekennot der Grundbesitzer. Berlin 1858.)

Rodbertus, wie jeder bedeutende Forscher, ist nur aus seiner Zeit zu begreifen. Wie seine Theorie der Agrarkrisen nach der „Hypothekennot“ der fünfziger und sechziger Jahre zugeschnitten ist, so ist auch seine Grundrententheorie der Reflex der kapitalistischen Entwicklung der junkerlichen Landwirtschaft. Um diese Entwicklung zu erklären genügt, wie sich schon aus unserer flüchtigen Skizze ergibt, der Unterschied der Bodenqualität, die Differenzialrente, die Ricardo allein kannte, nicht. Deshalb Rodbertus’ Widerspruch gegen Ricardo, der ihn sehr nahe daran führte, die Theorie der absoluten Grundrente zu entwickeln.


Zuletzt aktualisiert am 16. April 2024