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Es gilt vor allem die allgemeinen Zusammenhänge zwischen der industriellen Entwicklung und der Entwicklung der kapitalistischen Landwirtschaft klarzulegen. Dies bietet, nachdem der dritte Band des Kapital von Karl Marx erschienen ist, keine großen Schwierigkeiten mehr.
Die Getreidepreise können steigen bei gleich bleibender Anbaufläche, gleich bleibender Bevölkerung und selbst gleich bleibender Getreideproduktion – einzig in Folge der Entwicklung der Industrie.
Wir wollen diesen Satz zunächst an einem abstrakten Beispiel erläutern.
Wir setzen voraus eine vollständige Entwicklung der kapitalistischen Produktion in Industrie und Landwirtschaft. In diesem Zustand gibt es auch auf dem Lande nur Lohnarbeiter und Kapitalisten respektive Grundbesitzer. Wir setzen weiter voraus, dass die Arbeiter nur in Geld entlohnt werden. Das ist nicht der leichteste Fall, sondern im Gegenteil derjenige, welcher der Beweisführung die meisten Schwierigkeiten bietet.
Nehmen wir an, dass in diesem Lande, damit es keiner landwirtschaftlichen Zufuhr bedürfe, die gesellschaftliche Produktion so verteilt ist, dass eine Million Arbeiter in der Landwirtschaft und eine Million in der Industrie beschäftigt sind. Diese eine Million landwirtschaftlicher Arbeiter produzieren dann die Lebensmittel, die zum Unterhalt der ganzen Gesellschaft notwendig sind. Der leichteren Übersicht wegen nehmen wir statt Lebensmittel das hauptsächliche Nahrungsmittel, das Getreide. Unterstellen wir dann noch, dass die Anbaufläche eine Million Hektar beträgt – die Zahl ist ja gleichgültig. In diesem Lande wird es nun einen bestimmten Getreidepreis geben, der nach dem allgemeinen Wertgesetz und den Gesetzen der Grundrente gebildet wird.
Denken wir uns aber, dass in Folge der Entwicklung des Weltmarkts in der Industrie dieses Landes sich ein stärkerer Bedarf an Arbeitern herausstellt. Dann wird, wenn der blühende Zustand der Industrie anhält, ein Teil der Arbeiter der Landwirtschaft entzogen werden müssen.
Die Reservearmee ändert nichts an der Sache. Denn, erstens, ein bestimmter Stand der Arbeitslosen muss stets vorhanden sein. Er ergibt sich aus den inneren produktiven Zusammenhängen der Industrie wie Saisonarbeit, große, schnell auszuführende Bestellungen etc. Sodann, je mehr die Reservearmee absorbiert wird, desto mehr wächst der Arbeitslohn (wodurch der Beweis erbracht ist, dass ein relativer Mangel an Arbeitern besteht). Mit dem Wachstum des Arbeitslohnes in der Industrie muss sich aber ein Zufluss landwirtschaftlicher Arbeiter nach den Fabriken herausstellen, selbst wenn man von dem gewöhnlichen Unterschied im Arbeitslohn zwischen Landwirtschaft und Industrie absieht. Schließlich ist es ja die Tendenz der kapitalistischen Industrie, sich grenzenlos zu entwickeln. Wenn daher eine kapitalistisch überflüssige Reservearmee sich aufstaut, so ist das ein Beweis der ungenügenden Entwicklung des Weltmarkts. Aus diesem wäre also die Erklärung zu holen, währenddem es sich vorläufig nur noch um die allgemeinen Zusammenhänge zwischen Industrie und Landwirtschaft handelt. Nebenbei sei noch bemerkt, dass die Auswanderung das kapitalistische Regulativ der Reservearmee bildet.
Gesetzt, die industrielle Arbeiterschaft vermehre sich auf 1.200.000, so bleiben in der Landwirtschaft nur noch 800.000. Wenn die Produktivkraft der Arbeit dieselbe bleibt, so können diese 800.000 nicht mehr die frühere Bodenfläche von einer Million Hektar bearbeiten. Die kapitalistischen Pächter und Grundbesitzer werden dann über den „Zug nach der Stadt“, Arbeitermangel und hohe Arbeitslöhne klagen (die jetzigen Klagen der preußischen Junker haben einen anderen Grund, der später erörtert werden wird), und im Lande wird sich ein Mangel an Getreide herausstellen. (Man behalte im Auge, dass wir eine rein kapitalistische Produktion voraussetzen, bei der die gesamte Bauernschaft bereits längst expropriiert und proletarisiert ist.)
Dem Getreidemangel könnte durch Zufuhr abgeholfen werden. Allein das setzt bereits eine Steigerung des Getreidepreises voraus, sonst ist nicht abzusehen, warum diese Zufuhr nicht früher stattgefunden hat. Der Grad der Steigerung der Getreidepreise konnte wohl durch fremde Zufuhr beeinflusst werden. Wir dürfen aber von der auswärtigen Getreidezufuhr vollständig absehen: denn entweder befindet sich das Ausland auf einer anderen Stufe der kapitalistischen Entwicklung, und dann wird durch diese Verbindung unsere Voraussetzung einer rein kapitalistischen Produktion gestört, oder es steht auf der gleichen Entwicklungsstufe, hat aber eine andere Zusammensetzung der gesellschaftlichen Arbeit aus Industrie und Landwirtschaft, und dann würde sich die Notwendigkeit herausstellen, unser Beispiel umzurechnen, wodurch dem Wesen nach nichts geändert worden wäre, oder schließlich ist dieses andere Land unserem Musterland wirtschaftlich ähnlich und dann wird durch die Handelsverbindung erst recht nichts geändert.
Um Missverständnissen vorzubeugen, möge noch erwähnt werden, dass damit keineswegs die Behauptung aufgestellt werden soll, dass der Getreidepreis sich nur im Inlande bildet. Es handelt sich nicht um die Preisbildung überhaupt, sondern um einen bestimmten Fall der Steigerung des Getreidepreises, wie er Eingangs näher charakterisiert worden ist. Und dieser Fall wird, wir wiederholen es, an einem abstrakten Beispiel erörtert. [11]
Es wird also nur übrig bleiben: entweder die Landeskultur so zu intensivieren, dass nunmehr 800.000 Hektar so viel Getreide liefern wie früher eine Million, oder die Produktivkraft der Arbeit, etwa durch Einführung neuer Maschinen, so zu steigern, dass 800.000 Arbeiter eine Million Hektar Land bearbeiten können, oder eine Kombination von beiden, was selbstverständlich ist. Wenn uns die Produktion des fehlenden Getreides, auch nur zum Teil, mit größerer Kapitalauslage respektive mehr Produktionskosten verbunden ist als jene waren, die soeben den Getreidepreis regulierten, so wird der Getreidepreis steigen. Ob die gesteigerten Kapitalauslagen in Maschinen, Dungmitteln oder Bodenmeliorationen gemacht werden, ob neue Verfahren eingeführt oder alte dort angewendet werden, wo es bis jetzt nicht der Fall war, ändert qualitativ nichts an der Sache. Quantitativ, d. h. für die Höhe des Preisunterschieds, ist unter Umständen das eine, unter Umständen auch das andere maßgebend. Es kann auch der Fall eintreten, dass in Folge der durchgeführten Verbesserungen der Landeskultur, weil dadurch die Nachfrage nach industriellen Produkten gesteigert wird, ein weiteres Steigen der Getreidepreise sich herausbildet, bis das Gleichgewicht zwischen Landwirtschaft und Industrie hergestellt ist. In der politischen Ökonomie wie in der Natur gibt es nur Wechselwirkungen.
Wir haben also hier zunächst einen abstrakten Fall der Steigerung des Getreidepreises, obwohl 1) die Bevölkerung gleich bleibt, 2) die Getreideproduktion gleich bleibt, 3) die Anbaufläche gleich bleibt oder sich sogar verringert. Um unser abstraktes Beispiel der Wirklichkeit zu nähern, schieben wir zunächst ein Zwischenglied ein und nehmen an, dass die landwirtschaftlichen Arbeiter zum Teil in natura entlohnt werden.
In unserem ersten Fall ging das gesamte Getreide zu Markte. Angebot und Nachfrage wurden gebildet: auf der einen Seite durch die Menge des produzierten Getreides, auf der anderen durch die Gesamtzahl der konsumierenden Bevölkerung (auf dem kapitalistischen Markte kommt selbstverständlich nicht bloß der Bedarf, sondern auch die Kaufkraft in Betracht). Bei der eingetretenen Veränderung in der Zusammensetzung der gesellschaftlichen Arbeit ging immer noch der gesamte Ernteertrag zu Markte, nur war er anfangs kleiner als bis dahin.
Anders in unserem zweiten Fall. Die zu Markt gelangende Getreidemenge ist hier die gesamte Ernte, abzüglich des von den Produzenten in natura verbrauchten Teils. Die Marktnachfrage dagegen ist nur der Bedarf der industriellen Bevölkerung. Rechnet man den Ertrag pro Hektar zu einer Tonne, so stand im ersten Fall ein Angebot von einer Million Tonnen einer Nachfrage von zwei Millionen Personen gegenüber, wenn wir nur die Arbeiterklasse als Getreidekonsumenten in Rechnung bringen, was der Einfachheit halber geschieht. Im zweiten Fall aber steht einem Angebot von 500.000 Tonnen eine Nachfrage von einer Million Personen gegenüber. Wie man sieht, sind nur die Quantitäten anders, während das Verhältnis beide Male das Gleiche bleibt, nämlich 1:2. [12]
Der Wert des Getreides wird dadurch nicht beeinflusst, ob die Landarbeiter in Geld oder in Lebensmitteln bezahlt werden. Das zeigt sich darin, dass der Pächter oder Grundbesitzer, wenn er den Produktionspreis des Getreides berechnet, entweder die den Arbeitern abgelieferte Getreidemenge von der Ernte abrechnen oder ihren Geldwert dem Lohn hinzurechnen muss. Aber bei der Bildung des Marktpreises kommt die den Arbeitern in natura abgegebene Getreidemenge ebenso wenig in Betracht, wie das zurückgehaltene Saatkorn oder die an das Vieh verfütterten Quantitäten. Sie üben einen passiven Einfluss auf die Bildung von Angebot und Nachfrage, indem sie beide um ihren Betrag vermindern. Aber in dem Moment, wo Nachfrage und Angebot einander auf dem Markte gegenübertreten, scheiden diese in natura verbrauchten Quantitäten aus dem Spiel. Man wird gleich sehen, welche Wirkung das hat.
In unserem zweiten Fall ist das Verhältnis des Marktangebots an Getreide zur Marktnachfrage, wie schon erwähnt, dasselbe wie im ersten Fall = 1:2. Nun lassen wir auch hier die Änderung in den Produktionsverhältnissen eintreten wie dort: die industrielle Arbeiterschaft soll sich auf 1.200.000 vermehren, die agrikole auf 800.000 zurückgehen. Wie wird jetzt die Marktlage sich gestalten?
800.000 Arbeiter auf 800.000 Hektar produzieren zunächst nur 800.000 Tonnen Getreide. Davon erhalten die landwirtschaftlichen Arbeiter als Naturallohn, wenn der Lohnsatz gleich bleibt, 400.000 Tonnen. Es gelangen zum Markt 400.000 Tonnen, denen die gewachsene Nachfrage der industriellen Bevölkerung von 1.200.000 Köpfen gegenübersteht. Das Verhältnis von Marktangebot zur Marktnachfrage, letztere repräsentiert durch die Zahl der Nachfragenden, ist jetzt 4:12 oder 1:3.
Versuchen wir die bei den betrachteten Änderungen der Produktionsverhältnisse eingetretenen Änderungen des Marktverhältnisses in vergleichbare Zahlen zu bringen, so erhalten wir folgende Übersicht:
|
Angebot von Getreide |
Nachfrage nach Getreide |
Das Verhältnis |
Erster Fall |
|
||
Bei Geldlohn |
Zuerst 1.000.000 |
2.000.000 |
2:4 |
Zweiter Fall |
|
||
Bei Naturallohn |
Zuerst 500.000 |
1.000.000 |
2:4 |
Währenddem im ersten Fall, bei Geldlohn, das Verhältnis auf dem Markte von 2:4 auf 2:5 sich ändert, ändert es sich im zweiten Fall, bei Naturallohn, auf 2:6, d. h. bei Naturallohn ändert sich, in Folge der Verschiebung in der Zusammensetzung der gesellschaftlichen Arbeit, das Marktverhältnis mehr zu Gunsten des Angebots, als bei Geldlohn. Es ist klar, warum. Bei Geldlohn vermindert sich nur das Angebot auf dem Markte, während die Nachfrage auf dem Markte, weil sie durch die gewachsene Gesamtheit der Bevölkerung vertreten wird, unverändert bleibt – bei Naturallohn aber vermindert sich nicht nur das Angebot, sondern zugleich steigt die Nachfrage auf dem Markte, weil sie durch die gewachsene industrielle Bevölkerung vertreten wird. Man sieht, dass in diesem Fall, dessen verschiedene Modifikationen wir bei Seite lassen, unter dem Einfluss der industriellen Entwicklung eine Steigerung des Getreidepreises noch eher eintreten würde.
Nehmen wir jetzt an, dass die der Landwirtschaft fehlende Arbeiterzahl von außerhalb ersetzt wird – auf welche Weise ist uns diesmal gleichgültig. Dann wird, wenn die Anbaufläche respektive die Intensität der Landeskultur gleich bleiben, ein Marktanteil von 500.000 Tonnen einer Marktnachfrage von 1.200.000 Personen gegenüberstehen. Das Angebot bleibt unverändert, aber die Nachfrage ist gestiegen. Zu gleicher Zeit tritt eine Vermehrung der Bevölkerung ein, aber diese Vermehrung ist nicht die Ursache der Steigerung des Getreidepreises, sondern im Gegenteil, sie ist durch diese Steigerung bedingt worden.
Ein wichtiges Moment unterscheidet diesen Fall von den vorangehenden: man braucht hier keine Steigerung des Arbeitslohnes in Betracht zu ziehen, um die Steigerung des Getreidepreises zu erklären. Die Löhne der Landarbeiter können sogar sinken, wenn die eingewanderten Arbeiter geringere Ansprüche machen, und dieses Sinken der landwirtschaftlichen Arbeitslöhne kann zu einem Sinken der Arbeitslöhne in der Industrie führen, wenn unter dem Lohndruck ein Teil der Landarbeiter den Fabriken zuströmt. In ähnlicher Weise vollzog sich auch die tatsächliche Entwicklung.
Es bleibt uns noch das letzte Zwischenglied: das Bauerntum. Dieses kommt in zweierlei Beziehung in Betracht. Erstens als Quelle des Arbeiterzuflusses. Insoweit ist ja das Verhältnis bereits erörtert. Ein Unterschied besteht nur darin, dass bei Ergänzung der landwirtschaftlichen Lohnarbeiter aus dem Bauerntum keine Vermehrung der Bevölkerung eintritt. Zweitens kommt der Bauer in Betracht als selbständiger landwirtschaftlicher Produzent.
Zu letzterem Punkt ist Folgendes zu bemerken: Das Bauerntum ist nicht gleichartig. Es muss aus der Gesamtmasse vor allem das amerikanische Farmertum ausgeschieden werden. Dieses hat eine Entwicklung durchgemacht und produziert unter den Bedingungen einer kapitalistischen Kolonie. Es ist deshalb in einem anderen Zusammenhang zu erörtern. Der Bauer des europäischen Festlandes, dem das Gesetz der kapitalistischen Grundrente in der Gestalt des Bodenpreises entgegentritt, produziert deshalb unter den gleichen wirtschaftlichen Bedingungen, wie der kapitalistische Grundbesitzer. Sofern er Knechte hält und Tagelöhner, wird er durch den Arbeiterabfluss nach der Fabrik ebenso getroffen wie dieser. Außer den allgemeinen kapitalistischen Mitteln, die Getreidezufuhr zu erweitern, steht ihm nur eines besonders zur Verfügung: die Beschränkung des eigenen Bedarfs. Dazu wird er aber durch den steigenden Getreidepreis am wenigsten veranlasst, im Gegenteil, als Verkäufer zieht er daraus seinen Vorteil wie jeder Andere. Darum kommt die Konkurrenz des europäischen Bauerntums erst dann scharf zur Geltung, wenn die Getreidepreise sinken.
Der Einfluss der industriellen Entwicklung auf den Getreidepreis hebt das allgemeine Gesetz der Bildung des Getreidepreises und der Grundrente nicht auf. Nach diesem Gesetz sind die Produktionskosten des Getreides unter den schlechtesten natürlichen Bedingungen, wenn diese Produktion zur Deckung des Bedarfs notwendig ist, für die Bildung des Getreidepreises maßgebend. Innerhalb der durch den Bedarf gesteckten Grenzen nur kommt also das allgemeine Preisbildungs- und Rentengesetz zur Geltung. Auf dem kapitalistischen Markte gilt aber nur der Warenbedarf. Das ist allgemein, und die Agrikulturprodukte machen hier keine Ausnahme. Die Bestimmungsgründe des kapitalistischen Marktbedarfs an Getreide sind also mit bestimmend für die Bildung des Getreidepreises, weil sie mitbestimmend sind für die Festsetzung der untersten Grenze des Getreideanbaues.
Diese Bestimmungsgründe, wie überhaupt die Bestimmungsgründe von Nachfrage und Angebot gehören in die Lehre von der Konkurrenz, die, weil sie außerhalb des Plans des „Kapital“ fiel, von K. Marx nicht besonders entwickelt wurde. [13] Das soeben angedeutete allgemeine Gesetz der Marktpreisbildung aber und dessen Wirkung bei der Bildung des Getreidepreises und der Grundrente wird von ihm scharf und klar in verschiedenen Zusammenhängen hervorgehoben. Hier die für die Landwirtschaft am meisten kennzeichnende Stelle:
„... die Rente, und damit der Wert des Bodens, um nur von der eigentlichen Ackerbaurente zu sprechen, entwickelt sich mit dem Markte für das Bodenprodukt und daher mit dem Wachstum der nicht agrikolen Bevölkerung; mit ihrem Bedürfnis und ihrer Nachfrage teils für Nahrungsmittel, teils für Rohstoffe. Es liegt in der Natur der kapitalistischen Produktionsweise, dass sie die ackerbauende Bevölkerung fortwährend vermindert im Verhältnis zur nicht ackerbauenden, weil in der Industrie (im engeren Sinn) das Wachstum des konstanten Kapitals, im Verhältnis zum variablen, verbunden ist mit dem absoluten Wachstum, obgleich der relativen Abnahme, des variablen Kapitals; während in der Agrikultur das variable Kapital absolut abnimmt, das zur Exploitation eines bestimmten Bodenstücks erfordert ist, also nur wachsen kann, soweit neuer Boden bebaut wird, dies aber wieder voraussetzt noch größeres Wachstum der nicht agrikolen Bevölkerung.“ [14]
Dieser Zusammenhang zwischen der industriellen Entwicklung und der Steigerung der Getreidepreise, der in seiner allgemeinen Wirkung auf ein ganzes Land erst studiert werden muss, um erkannt zu werden, fällt sofort in die Augen, wenn es sich um eine Einzelwirkung auf beschränkten Gebiete handelt. So ist es bekannt, dass jede Großstadt auf einen bestimmten Umkreis der Lebensmittel verteuert. Die Entwicklung der Transportmittel und der überseeischen Zufuhr verwischt selbstverständlich diese Wirkung. Wie groß diese Wirkung vorher war, zeigt folgende Tabelle, die Arthur Young in seiner Reisebeschreibung England (1763) mitteilt:
Entfernung der Orte |
Preise in Pence |
||
Brot |
Butter |
Käse |
|
Bis 50 (engl.) Meilen |
1½ |
6¾ |
4 |
50–100 |
1½ |
6 |
3¾ |
100–200 |
1¼ |
6 |
3¼ |
200–300 |
1 |
6 |
3 |
300 und darüber |
– |
5 |
2½ |
Dass dieser Gegensatz noch jetzt nicht ausgelöscht ist, zeigt folgender Vergleich der Preise für Berlin und die Provinz Brandenburg (pro Kilogramm in Pfennigen für 1894):
|
Weizen |
Roggen |
Speisebohnen |
Kartoffeln |
Rindfleisch |
Butter |
Stadtkreis Berlin |
13,5 |
11,7 |
35,0 |
4,7 |
125 |
234 |
Provinz Brandenburg |
13,5 |
11,5 |
26,7 |
3,7 |
119 |
214 |
Wie bei den Städten [15], so kommt dieses Verhältnis auch beim Vergleich verschiedener Gebiete desselben Landes untereinander zum Ausdruck. Rodbertus bringt in seinem dritten „sozialen Brief“, zu anderen Zwecken, eine Übersicht der Getreidepreise in den einzelnen preußischen Provinzen für 1816–1837, die diese Preisunterschiede schön beleuchtet. Wir bringen diese Tabelle hier an und fügen die entsprechenden Zahlen für 1894 hinzu.
Provinzen |
Roggenpreis 1816–1837 |
Roggenpreis 1894 |
Posen |
34,3 Silbergroschen |
109 Mark |
Schlesien |
38,0 Silbergroschen |
113 Mark |
Brandenburg |
38,4 Silbergroschen |
115 Mark |
Pommern |
38,4 Silbergroschen |
114 Mark |
Sachsen |
40,3 Silbergroschen |
120 Mark |
Westfalen |
47,75 Silbergroschen |
125 Mark |
Rheinland |
49,6 Silbergroschen |
123 Mark |
Man sieht, trotz der gewaltigen produktiven Entwicklung und der Entwicklung des Verkehrs, die das Land während dieser drei Vierteljahrhunderte durchgemacht hat, sind es nach wie vor die industriereichen Provinzen: Sachsen, Westfalen, Rheinland, die die höchsten Getreidepreise aufweisen.
Der Vergleich größerer Gebiete, z. B. ganzer Länder unter einander ist nur mit größter Vorsicht vorzunehmen, weil hier bei der Preisbildung zahlreiche andere Verschiedenheiten mitwirken. Am ehesten lässt sich die verschiedene Höhe der Preise agrikoler Produkte solcher großen Gebiete dann als Wirkung der industriellen Entwicklung betrachten, wenn der industrielle Unterschied zwischen ihnen am größten ist. So, wenn man etwa Sibirien mit Großbritannien vergleicht. [16]
In der Entwicklung eines ganzen Landes lässt sich die Steigerung des Preises landwirtschaftlicher Produkte und besonders des Getreides als Wirkung der industriellen Entwicklung aus folgenden Gründen statistisch schwer nachweisen:
Es gibt jedoch Zeitabschnitte, in denen die Wirkung der industriellen Entwicklung auf die Steigerung des Getreidepreises so scharf zur Geltung kommt, dass diese Steigerung sich durch andere Gründe nicht erklären lässt. Das war in England im Ausgang des achtzehnten und anfangs des neunzehnten Jahrhunderts der Fall, zur Zeit also, als die großen Erfindungen stattfanden und die kapitalistische Industrie ihre erste Entwicklungsphase durchmachte.
Bis in die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts hatte England eine bedeutende Ausfuhr von Getreide. Ein englischer Schriftsteller ruft nach 1739 klagend aus: „Was sollte aus dem Grundbesitzer werden, wenn nicht der Absatz im Ausland wäre?“ Die Wendung, d. h. die Umwandlung Englands in ein Getreide importierendes Land, trat so schroff ein, dass die Erklärung dieses Verhältnisses durch einfaches Wachstum der Bevölkerung von vornherein als unzulänglich sich erweist. Noch 1763 und 1764 hatte England eine Weizenausfuhr von 820.000 Quarter und in den Jahren 1767 und 1768 hatte es bereits eine Einfuhr von 830.000 Quarter. Dabei wurde sein Jahreskonsum um diese Zeit auf bloß 4.000.000 Quarter [17] geschätzt. Diese rapide Umwandlung ist begünstigt worden durch eingetretene Missernten. Aber von nun an ist England für alle Zeiten ein Getreide einführendes Land geblieben, und das lässt sich durch den Zufall der Missernte nicht mehr erklären. Die Anbaufläche und die Intensität der Kultur nahmen in ungeahntem Umfange zu, dennoch blieben der Getreideimport ein eiserner Bestandteil der englischen Landwirtschaft – ein Beweis, dass er nicht durch absoluten, sondern durch den relativen Getreidemangel hervorgerufen wurde, d. h. durch den Preisunterschied gegenüber dem Auslande.
Folgender Art war die durchgemachte Preisbewegung:
Es betrug der durchschnittliche Weizenpreis:
In den Jahren |
Pro Winchester Quarter |
1701 bis 1750 |
35 Schilling 9 Pence |
1751 bis 1764 |
37 Schilling 2 Pence |
1765 bis 1792 |
49 Schilling 10 Pence |
Man sieht, die Periode der industriellen Entwicklung zeigt einen gewaltigen Preisunterschied gegenüber den vorangehenden Jahren und nimmt eine Ausnahmestellung im ganzen Jahrhundert ein.
1793 begann der Krieg mit Frankreich, der bis 1813 dauerte. Wie dieser Krieg auf die Entwicklung der englischen Industrie wirkte, ist hier nicht zu erörtern. Es genügt, darauf zu verweisen, dass, wenn auch der Handelsverkehr mit Europa zeitweise sehr empfindlich litt, England doch zu gleicher Zeit die absolute Herrschaft auf der See hatte und den Verkehr mit den tropischen Ländern stark entwickelte. Im Allgemeinen war das anerkanntermaßen eine Periode der aufsteigenden industriellen Entwicklung. Was aber diesen Zeitraum für uns besonders interessant macht, ist, dass während dieser Zeit die Getreidezufuhr nach England gehemmt wurde. Dies geschah zum Teil, weil der französische Bedarf an fremdländischem Getreide in Folge der Revolutionswirren und der nachfolgenden Kriege stark gestiegen war, sodann weil in Folge des allgemeinen Kriegszustandes die Exportfähigkeit Europas für Getreide überhaupt abnahm, schließlich seit Ende 1807 in Folge der bekannten Napoleonischen Kontinentalsperre. Da der überseeische Getreideverkehr damals noch sehr wenig entwickelt war und der Handel mit Nordamerika noch überhaupt an den Folgen des englisch-amerikanischen Krieges sehr litt, der Getreidebezug vom europäischen Festlande seinerseits mit stets wachsenden Kosten verbunden war, so haben wir einen äußerst günstigen Fall vor uns, den Einfluss der Industrie auf die Getreidepreise zu studieren.
Im Durchschnitt betrug zwischen 1793 bis 1813 der Weizenpreis 86 Schilling 4 Pence – eine enorme Steigerung selbst gegenüber der vorangehenden Periode. Dieser Zeitraum von 21 Jahren zeigt selbstverständlich viele Schwankungen.
Die Getreideteuerung musste, aus begreiflichen Gründen, dann am empfindlichsten sein, als mit der allgemeinen Preissteigerung sich die Wirkung einer ungünstigen Ernte vereinigte. In solche Jahrgänge fallen auch die parlamentarischen Versuche, der Teuerung abzuhelfen. Zuerst 1795. Das Parlament bestimmte Einfuhrprämien für Getreide, um der Teuerung entgegenzuwirken, währenddem in früheren Zeiten zu dem gleichen Zweck das gerade entgegengesetzte Mittel angewandt zu werden pflegte, nämlich Ausfuhrverbote. Diese Ansetzung von Einfuhrprämien wurde während unserer Periode mehrfach wiederholt.
1797 zeigt einen gesunkenen Getreidepreis. Dieses Sinken dauerte 1798 fort, aber immerhin beträgt der Weizenpreis 54 Schilling. 1799 steigt der Weizenpreis, desgleichen 1800, und 1801 erreicht er die Höhe von 128 Schilling 6 Pence. Das Jahr 1802 bringt die Möglichkeit einer freieren Getreidezufuhr und in Folge dessen geht der Weizenpreis wesentlich zurück. „Der Tod des Kaisers Paul und der Friede mit Dänemark nach der Schlacht von Kopenhagen öffneten den Ostseeverkehr wieder; und unter dem Einfluss der Prämie und der hohen Preise fanden große Getreidezufuhren statt, die im Laufe des Jahres anderthalb Millionen Qu. Weizen, 114.000 Qu. Gerste und 600.000 Qu. Hafer betrugen. Am 30. Juni standen die Weizenpreise auf 129 Schilling 8 Pence, Gerste 69 Schilling 7 Pence, Hafer 37 Schilling 2 Pence, und nach einer mäßig reichlichen Ernte am Schlusse des Jahres auf respektive 75 Schilling 6 Pence, 44 Schilling und 23 Schilling 4 Pence. Die Unterzeichnung der Friedenspräliminarien mit Frankreich ... diente zu einer Vermehrung der Zuflussquellen und Verminderung der Einfuhrkosten. Gegen den März des vorangegangenen Jahres waren die Preise um 50 Prozent niedriger.“
1803 hält die sinkende Tendenz an. Dennoch beträgt selbst in diesem Jahre der Weizenpreis 60 Schilling, also 6 Schilling mehr als im Jahre 1798, 11 Jahre mehr als der von uns berechnete Durchschnittspreis der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Die Steigerung der Weizenpreise in Folge der industriellen Entwicklung ging also gleichsam terassenweise vor sich, so dass jedes Mal ein höheres Plateau erobert wurde, auf dem sich dann die Schwankungen des Preises unter der Wirkung anderer Ursachen abspielten. Nicht nur die Durchschnittspreise jedes nachfolgenden Zeitabschnitts sind höher, sondern auch die Minimalpreise. [18]
Nur zwei Jahre dauerte die relative Preisniedergang und 1804 beginnt wieder eine aufsteigende Bewegung. Nur 1807 zeigt eine kleine Abschwächung von 88 auf 78 Schilling pro Quarter. Im November dieses Jahres wird die große Blockade Englands eröffnet. Es ist kennzeichnend, dass trotz der ungeheuren Erschwerung des Verkehrs die Getreidezufuhr dennoch nicht nachließ. So wurden im Jahre 1810 wieder anderthalb Millionen Quarter Weizen eingeführt. Das war eine Periode großer Preissteigerung, und die hohen Preise deckten die Spesen der Zufuhr. Aber das Jahr 1811 zeigt ausnahmsweise einen relativen Preisniedergang, und das ist deshalb bemerkenswert, weil in diese Zeit eine Handelskrisis fällt.
Die Kontinentalsperre hat, wie schon erwähnt, die industrielle Entwicklung Englands nicht verhindert. Zum Teil weil der Handelsverkehr mit den tropischen Ländern sich mächtig ausdehnte, zum anderen, weil besonders in der ersten Jahren Mittel und Wege gefunden wurden, die Sperre zu durchbrechen. Folgende Zahlen gewähren einen Einblick in die industrielle Entwicklung.
Es betrug die Einfuhr nach England:
|
Wolle (Pfund) |
Rohseide (Pfund) |
Baumwolle (Pfund) |
Zucker (Zentner) |
Im Jahre 1808 |
2.353.725 |
637.102 |
43.605.982 |
3.753.485 |
Im Jahre 1809 |
6.845.933 |
698.189 |
92.812.282 |
4.001.198 |
Im Jahre 1810 |
10.936.224 |
1.341.475 |
136.488.935 |
4.808.663 |
Im Jahre 1811 |
4.739.972 |
622.383 |
91.662.344 |
– |
Man sieht, 1811 gab den Rückschlag der aufsteigenden Bewegung. Die tropischen Märkte waren mit englischen Waren überfüllt, so dass Rücksendungen eintraten, und in den deutschen Häfen wurde die Blockade schärfer gehandhabt. (Einzelnes bei Tooke und Newmarch.) Der Weizenpreis ging im Jahresdurchschnitt 1811 gegenüber 1810 von 112 Schilling auf 108 zurück; er betrug im August 1810 – 116 Schilling und fiel ununterbrochen bis auf 87 Schilling 2 Pence im Juni des Jahres 1811. Er stieg dann weiter, wie die Jahre 1813/1814 das Aufhören des Kriegszustands, die Beseitigung der Handelssperre, die Eröffnung der freien Getreidezufuhr und die große Handelskrisis mit sich brachten. Der Weizenpreis fiel von 120 Schilling im Jahre 1813 auf 85 Schilling im Jahre 1814.
Folgendes ist die allgemeine Übersicht über dieses halbe Jahrhundert (1765–1813) steigende Getreidepreise:
In den Jahren |
Minimalpreis |
Durchschnittspreis |
Maximalpreis |
1701–1750 |
22 Schilling ¾ Pence |
35 Schilling 9 Pence |
69 Schilling 7½ Pence |
1751–1764 |
29 Schilling 11 Pence |
37 Schilling 2 Pence |
44 Schilling 5¼ Pence |
1765–1792 |
36 Schilling 2¾ Pence |
49 Schilling 10 Pence |
55 Schilling 1¼ Pence |
1793–1807 [19] |
49 Schilling 6¾ Pence |
77 Schilling 6 Pence |
128 Schilling 6 Pence |
1808–1813 [20] |
85 Schilling 3 Pence |
108 Schilling 2 Pence |
120 Schilling 0 Pence |
Das war das goldene Zeitalter der englischen Landwirtschaft. Die rasche industrielle Entwicklung steigerte die Getreidepreise, noch mehr als diese stieg die Grundrente, mehr als die Grundrente der Pachtzins und mit ihm der Bodenpreis. Die Anbaufläche wurde erweitert, die Kultur intensiviert und der Großbetrieb griff rasch um sich. Den Grundbesitzern fielen enorme Reichtümer in den Schoß, und die Pächter machten ausgezeichnete Geschäfte. Nie gab es nachher eine ähnliche Entwicklung der Landwirtschaft. Sie steht ebenso einzig da wie die industrielle Entwicklung Englands jener Zeit.
Wer aber diese ganze Herrlichkeit auf den Schultern zu tragen hatte, war die Arbeiterklasse. Ihre kargen Löhne wurden trotz der enormen Brotteuerung kaum erhöht. Welche Zustände das erzeugte, darüber nachzulesen bei K. Marx und Friedr. Engels. Selbst kühle Geschäftsleute wie Th. Tooke müssen zugeben, dass die Not der Arbeiter damals am stärksten war, und die Arbeiter nahe daran waren, vor Hunger umzukommen. Da aber die Löhne sich doch etwas erhöhten, meint Tooke: „so waren die Fälle eines Umkommens vor Not nur ganz vereinzelt.“
Um der Hungersnot der Arbeiterklasse abzuhelfen, legten damals die Mitglieder des Parlaments das hochherzige Gelübde ab, den Brotkonsum in ihren Familien um ein Drittel zu vermindern, d. h. ihn durch Fleisch und teuere Gemüse zu ersetzen! Außerdem wurde eine Steuer auf Puder festgesetzt, um den Verbrauch von Weizenmehl zu vermindern. Die Mode, sich die Haare mit Puder zu bestreuen, soll deshalb in Verfall gekommen sein. So streute man Sand in die Augen des hungernden Volkes!
Auf diese Weise erzeugte die industrielle Entwicklung Englands steigende Getreidepreise, bereicherte die Grundbesitzer, ruinierte die Arbeiterklasse und verwandelte England aus einem Getreide ausführenden in ein Getreide einführendes Land.
Unsere theoretische Ableitung, dass es die Tendenz der industriellen Entwicklung ist, die Preise der landwirtschaftlichen Produkte zu steigern, glauben wir nun auf Grund der tatsächlichen Entwicklung nachgewiesen zu haben.
Wir haben dabei eine etwaige Erhöhung des relativen Konsums, d. h. des Verbrauchs pro Kopf der Bevölkerung, nicht in Betracht gezogen. Im Gegenteil, die Beweisführung ging geradezu darauf hinaus, bei gleich bleibendem Konsum die Preissteigerung nachzuweisen. Wir haben an dem Beispiele Englands gesehen, dass diese preissteigernde Tendenz stark genug sein kann, um selbst bei sinkendem relativem Verbrauch zum Ausdruck zu kommen.
Es ist aber keineswegs allgemeines Gesetz der industriellen Entwicklung, dass sie den relativen Getreidekonsum vermindert Es gibt Periode, wo auch die relative Verbrauch steigt. A. de Foville (La France économique, 1889) stellt folgende Berechnung auf:
|
1821–1830 |
1870–1880 |
Jahresdurchschnitt der Getreideernte |
44.542.527 Zentner |
74.132.009 Zentner |
Überschuss der Einfuhr über die Ausfuhr |
260.000 Zentner |
7.800.732 Zentner |
Zusammen |
44.802.587 Zentner |
81.932.741 Zentner |
Davon abzuziehen für Aussaat |
7.436.828 Zentner |
10.412.714 Zentner |
Bleibt zum Verbrauch |
37.365.759 Zentner |
71.520.027 Zentner |
Das macht pro Kopf der Bevölkerung |
118,5 Kilogramm |
193 Kilogramm |
Wenn zu der steigernden Wirkung der industriellen Entwicklung noch eine relative Vermehrung des Verbrauchs sich gesellt, so müssen die Preise offenbar desto eher steigen. Andererseits muss eine relative Verminderung des Konsums der Steigerung entgegenwirken.
Es ist klar, dass die gekennzeichnete Wirkung der industriellen Entwicklung auf die Preise agrikoler Produkte auch dann ihre Geltung behält, wenn sie in der Preisbewegung nicht zum Ausdruck kommt. Wenn die Getreidepreise fallen, trotz der anhaltenden industriellen Blüte, so ist anzunehmen, dass sie noch mehr gesunken wären, wenn der industrielle Charakter der Periode ein anderer gewesen. Keine Bewegung kann als das Ergebnis nur einer Kraft betrachtet werden, die in ihrer Richtung wirkt, sondern jede Bewegung ist das Resultat mehrerer Wirkungen, die zum Teil einander aufheben – nimmt man nur eine Wirkung weg, so ändert sich sofort die Bewegung.
Der Zusammenhang zwischen Grundrente, Pachtzins und Bodenpreis ist von Karl Marx im dritten Band des „Kapital“ erschöpfend und außerordentlich klar dargelegt worden. Wir begnügen uns damit, in aller Kürze das Notwendigste in dem durch unser Thema gegebenen Zusammenhang zu rekapitulieren.
Der Getreidepreis braucht nicht zu steigen, damit sich Grundrente herausbilde. Die Grundrente kann sich herausbilden auch bei stationärem und selbst sinkendem Getreidepreis.
Wenn die Erweiterung der Getreideproduktion eines Landes in der Weise vor sich geht, dass immer besserer Boden in Bebauung genommen wird, so wird Folgendes eintreten:
Wenn der schlechteste von früher auch weiter in Bebauung bleibt, so wird der Getreidepreis konstant bleiben. Zwischen dem neuen besseren Boden und den früheren schlechteren Arten wird aber Grundrente entstehen, weil die Produktionskosten auf dem neuen Boden geringere sein werden.
Wenn besserer Boden in solchen Mengen in Bebauung genommen wird, dass der schlechteste Boden ausscheidet, so wird der Getreidepreis fallen. Aber Grundrente wird doch entstehen, weil der neu in Bebauung genommene Boden immerhin besserer Qualität ist als die älteren Bodenarten.
In Wirklichkeit wird je nach den Umständen Boden verschiedener Art in Bebauung genommen: zum Teil vielleicht Bodenarten, die schlechter sind als die früheren, zum anderen Bodenarten bester Qualität oder einer solchen, die irgend in der Mitte liegt. Je nach der Kombination wird auch die Wirkung sein. Der Getreidepreis wird unter den verschiedenen Entwicklungen bald steigen, bald fallen. Aber jedes Mal, wenn neue Bodenarten in Bebauung genommen werden, entsteht Grundrente: sei es, dass die alten Bodenarten gegenüber den neuen ein Grundrente abwerfen, oder die neuen gegenüber den alten.
Statt die Anbaufläche zu erweitern, kann auch die Kultur auf derselben Bodenfläche intensiviert werden, um größere Erträge zu erzielen. Auch hier ist ein steigender Getreidepreis keineswegs notwendige Voraussetzung. Der Getreidepreis wird nur steigen, wenn, um den Bedarf zu decken, an irgend einem Teile des Landes mehr Produktionskosten werden aufgewendet werden müssen, um die Mengeneinheit (Zentner, Hektoliter, Scheffel etc.) Getreide zu produzieren. Sonst wird der Getreidepreis gleich bleiben oder fallen. Die Grundrente wird aber immerhin entstehen, wenn ein Unterschied zwischen den Produktionskosten auf verschiedenen Bodenarten sich herausbilden wird.
Wir haben gesehen, dass mit der Erweiterung der Marktnachfrage nach Getreide in Folge der industriellen Entwicklung die Notwendigkeit sich herausstellt:
Dies kann aber muss nicht von einer Steigerung der Getreidepreise begleitet sein. Aber in allen diesen Fällen wird neue Grundrente sich bilden. Unbestimmt bleibt jedoch noch immer, wie das Verhältnis der verschiedenen Grundrenten der verschiedenen Bodenqualitäten zu einander sich gestalten und wie groß die Grundrentensumme des ganzen Landes (Marx nannte es: das Rental) sein wird.
Eine andere Frage ist es, wie sich die Grundrente eines bestimmten Grundstücks von bestimmter Qualität unter diesen Einflüssen gestalten wird. Wenn die Bodenqualität dieses Grundstücks in allen Teilen gleich ist, so wird die Grundrente, wenn man sie im Verhältnis zur Mengeneinheit des Produkts, zum Beispiel pro Zentner Getreide berechnet – oder auch, wenn die Berechnung nach der Bodenfläche (Hektar) aufgestellt wird, jedoch im Verhältnis zu dem angewandten Kapital (Das nennt Marx: die Rentrate) – so wird die Grundrente, vorausgesetzt, dass die Vermehrung des Getreideertrags dieses Grundstücks nicht relativ weniger Produktionskosten und Kapital erfordert, allerdings nur dann steigen, wenn der Getreidepreis steigt. Dieses Resultat erhält man aber nur bei der angegebenen Berechnungsweise. Rechnet man jedoch die Grundrente einfach pro Hektar ohne Zusammenhang mit dem angewandten Kapital – was gewöhnlich geschieht und auch rationell ist –, so hängt auch hier die Steigerung der Grundrente nicht nur vom Getreidepreis ab, sondern auch vom Ertrag, von der produzierten Getreidemenge. Dieses Moment ist sehr wichtig und muss deshalb näher erörtert werden.
Nehmen wir ein Grundstück von 100 Hektar angebautes Land an. Der Getreidebetrag sei 600 Kilogramm vom Hektar. Zusammen also 600 Meterzentner. Die Produktionskosten betragen 6.000 Mark. Das angewandte Kapital sei = 60.000 Mark. Bei einer Profitrate von 5 Prozent muss der Boden einen Profit von 3.000 Mark abwerfen. 6.000 Mark Produktionskosten + 3.000 Mark Profit macht zusammen 9.000 Mark. Wenn der Getreidepreis 20 Mark pro Zentner ausmacht, so wird der Gesamtheit des Getreides von diesem Grundstück 12.000 Mark sein, und 3.000 Mark als Grundente verbleiben. Das macht pro Hektar eine Grundrente von 30 Mark. Pro Meterzentner berechnet beträgt die Grundrente 5 Mark. Und das Verhältnis der Grundrente zum angewandten Kapital, die Rentrate, ist 3.000 zu 60.000, oder pro Hektar wie 30 zu 600, also 5 Prozent.
Nehmen wir nun an, es gelingt, durch eine Verdoppelung der Produktionskosten bei entsprechender Vermehrung des Kapitals den Bodenertrag dieses Grundstücks zu verdoppeln. Wir haben also Produktionskosten 12.000 Mark, Kapital 120.000 Mark, Profit bei 5 Prozent 6.000 Mark, Ertrag 1.200 Meterzentner. Dann ist der Produktionspreis (Produktionskosten nebst Profit) des Getreides pro Zentner, genau so viel wie früher. Aber die gesamte Grundrente des Grundstücks wird jetzt betragen 5 Mark multipliziert mit 1.200 = 6.000 Mark. Das macht pro Hektar 60 Mark, statt 30, d. h. die Grundrente, berechnet pro Bodenfläche, hat sich verdoppelt, trotz stabilem Getreidepreis. Dagegen ist die Rentrate diesmal 6.000:120.000, wiederum 5 Prozent – sie blieb unverändert.
Je nachdem mehr oder weniger Produktionsosten und Kapital angewendet werden müssen, um den Ertrag zu vermehren, und nach dem Verhältnis der Produktionskosten zum Kapital werden zahlreiche Variationen eintreten. Diese Variationen ändern das allgemeine Gesetz nicht, das sich so zusammenfassen lässt: Jede Steigerung die Getreideertrags steigert die Grundrente, berechnet pro Bodenfläche [21], ausgenommen den einzigen Fall, wenn die Steigerung des Ertrags mit einer solchen Steigerung der Produktionskosten verbunden ist, dass dieser Mehraufwand nebst der auf ihn zu berechnenden Durchschnittsprofitrate den gesamten Preisunterschied der neu gewonnenen Getreidequalität, der sich herausgebildet hätte, absorbiert. [22]
Nimmt man die Gesamtsumme der verschiedenen Grundrenten eines ganzen Landes (das Rental), so hängt die Entwicklung dieser Gesamtsumme der Gesamtgrundrente des Landes, nicht bloß von den Gesetzen der Bildung und der Steigerung der Grundrente ab, sondern auch davon, wie die bebaute Fläche dieses Landes quantitativ aus verschiedenen Bodenarten zusammengesetzt ist. Wenn diese Anbaufläche etwa zu einem Zehntel aus Boden schlechter Art besteht, der keine Grundrente abwirft (wir sehen von der absoluten Rente und von der Rente auf schlechtestem Boden gänzlich ab, um die Darlegung zu vereinfachen) und zu neun Zehntel aus rentablem Boden, so wird die Summe der Grundrenten offenbar eine andere sein als wenn das Verhältnis ein umgekehrtes wäre, und nur ein Zehntel des Bodens Grundrente abwürfe. Mag die Grundrente pro Hektar dieselbe bleiben, so bringen doch 9 Hektar neunmal so viel ein als 1 Hektar. Dieser Unterschied wird sich selbstverständlich in gleicher Weise auch bei der Bewegung der Grundrente geltend machen.
Wenn also ein Grundbesitzer über einen Güterkomplex verschiedener Bodenarten verfügt – was fast durchweg der Fall ist – so wird die Gesamtrente, die er von seinem Grundbesitz bezieht, mag sie auch durchschnittlich pro Hektar berechnet werden – aber im allgemeinen Durchschnitt – nicht bloß von der Höhe der Grundrente auf den verschiedenen Bodenarten abhängen, sondern noch von der quantitativen Zusammensetzung seines Grundbesitzes aus den einzelnen Bodenarten. Für den einzelnen Grundbesitzer ist es deshalb stets vorteilhaft, innerhalb seines Grundbesitzes die Anbaufläche auf besserem Boden zu erweitern, weil dieser ihm eine größere Rente abwirft und dadurch das Rental des Grundstücks wächst. Für die Grundbesitzerklasse als Ganzes aber wird meistens das Gegenteil, d. h. das Fortschreiten zum Anbau schlechteren Bodens, vorteilhafter sein, weil dann der Getreidepreis steigt und dadurch ein Aufrücken sämtlicher Grundrenten bedingt wird. So wirkt das Interesse der einzelnen Grundbesitzer ihrem eigenen Interesse als Klasse entgegen.
Andererseits ist für die Lage der Grundeigentümer eines Landes nicht nur die Höhe der Grundrente maßgebend, sondern auch die quantitative Differenzierung des Bodens in Bezug auf seine Fruchtbarkeit. Darum steigen ihre Einkünfte am meisten dann, wenn zwar immer schlechterer Boden in Bebauung genommen wird, aber zu gleicher Zeit der schlechteste Boden relativ am wenigsten an der Erweiterung der Produktion teilnimmt.
Nicht also die Höhe der Getreidepreise und nicht die Höhe der Grundrenten, sondern die Größe des Rentals, das, sei es als Gesamtgrundrente des Landes oder als Pachtzins für einen bestimmte Güterkomplex all dies Wirkungen in sich vereinigt, die Größe des Rentals ist es, die den Mittelpunkt der Grundbesitzerinteressen bildet. Dieses Rental steigt:
Es braucht nicht erst nachgewiesen zu werden, dass auf alle diese Faktoren die industrielle Entwicklung durch die Steigerung der Marktnachfrage nach Getreide eine fördernde Wirkung hat. Auch wenn unter ihrem Einfluss die Getreidepreise, weil Anderes entgegenwirkt, nicht steigen, so gibt es durch noch mehrere Ursachen, welche die Grundrente steigern, und wieder mehrere, welche das Rental vergrößern. Ja, gerade jene Ursachen, die die Grundrente und das Rental steigern, sind es mitunter, die das Steigern der Getreidepreise verhindern. Wenn aber alle Momente in gleicher Richtung zusammenwirken, dann steigt das Rental erst recht. Und mit ihm steigt der Pachtzins, wenn man ihn im Durchschnitt des Landes berechnet, oder im Durchschnitt eines Güterkomplexes.
Nur wenn man diese Zusammenhänge ins Auge fasst, wird die enorme Steigerung des Pachtzinses und mit ihm des Bodenwerts, begreiflich, die bis in die siebziger Jahre dieses Jahrhunderts stattgefunden hat, eine Steigerung, die die Steigerung der Getreidepreise weit hinter sich lässt, ihr auch stellenweise direkt widerspricht
Conrad bringt in seinem „Handwörterbuch der Staatswissenschaften“ eine interessante Tabelle der Steigerung des Pachtzinses auf den preußischen Domänenvorwerken seit 1849. Wir stellen daneben eine Übersicht der Bewegung der Roggenpreise für denselben Zeitraum nach fünfjährigen Perioden (1846–50, 1866–70, 1876–80, 1886–90) und über das Wachstum der Bevölkerung des jetzigen Reichsgebiets (1850 : 1870 : 1880 : 1890) Wir gelangen dann zur folgenden allgemeinen Übersicht:
Regierungsbezirk |
Steigerung der Pacht pro Hektar (1849=100) |
|||
|
1849 |
1869 |
1879 |
1890/91 |
Königsberg i. Pr. |
100 |
208,8 |
274,0 |
285,6 |
Gumbinnen |
100 |
205,5 |
231,4 |
257,1 |
Danzig |
100 |
235,2 |
277,8 |
252,1 |
Marienwerder |
100 |
240,0 |
344,4 |
374,0 |
Posen |
100 |
215,9 |
255,6 |
260,0 |
Bromberg |
100 |
236,5 |
262,6 |
251,7 |
Stettin |
100 |
192,2 |
216,3 |
225,2 |
Cöslin |
100 |
204,5 |
281,2 |
235,2 |
Stralsund |
100 |
267,8 |
281,7 |
266,4 |
Breslau |
100 |
177,9 |
248,4 |
323,7 |
Liegnitz |
100 |
174,1 |
304,7 |
310,5 |
Oppeln |
100 |
173,8 |
271,6 |
354,4 |
Potsdam |
100 |
234,5 |
296,6 |
298,1 |
Frankfurt a. O. |
100 |
192,5 |
250,1 |
260,7 |
Magdeburg |
100 |
175,7 |
289,0 |
338,5 |
Merseburg |
100 |
128,0 |
189,4 |
238,1 |
Erfurt |
100 |
135,4 |
179,2 |
163,0 |
Überhaupt |
100 |
224,3 |
256,3 |
280,2 |
Steigerung des Roggenpreises |
100 |
131,0 |
128,0 |
109,0 |
Absolute Zahlen des Roggenpreises |
100 |
170,0 |
166,4 |
142,0 |
Wachstum der Bevölkerung des Reichsgebiets |
100 |
115,0 |
125,0 |
140,0 |
Man sieht die ungeheure Steigerung des Pachtzinses steht in gar keinem Verhältnis zu der Bewegung der Roggenpreise und zum Wachstum der Bevölkerung. Wie hier, so müssen ähnlich die Verhältnisse beim gesamten kapitalistischen Grundbesitz Preußens sich entwickelt haben. Das bedeutet eine kolossale Bereicherung der Grundbesitzerklasse, einerlei, ob sie ihr Land verpachtet oder selbst bewirtschaftet, und eine enorme Steigerung des Bodenwerts. Wer hat aber dieses Resultat zu Stande gebracht? In erster Linie die Entwicklung der Industrie.
Wir müssen noch einige besondere Gründe erwähnen, die unter Umständen eine Steigerung des Pachtzinses hervorrufen, die für die weitere Darlegung von Bedeutung sind.
Der Pachtzins kann steigen, weil der Pächter sich mit einem geringeren Profit begnügt. Wenn es sich um einen Kleinpächter, zum Beispiel einen Bauern, handelt, so ist das klar. Der Mann hat keine andere Existenzmöglichkeit, und so muss er sich eine Pachtsteigerung bis zum äußersten gefallen lassen, wenn er das Land nicht anders billiger haben kann. Aber auch der kapitalistische Großpächter hat seine Gründe, sich eine Verringerung seines Profits gefallen zu lassen. Wenn ihm die Pachtung entzogen wird, so bleibt er ohne Anlage für sein Kapital. Er muss nur sehen, wie er es anderswo unterbringt, und das ist mit Schwierigkeiten und mit Verlusten verbunden. Wenn der Grundbesitzer selbst wirtschaftet, so fällt für ihn selbstverständlich dieses besondere Mittel der Bereicherung weg.
Der Pachtzins kann weiter steigen, weil die Löhne der Landarbeiter gekürzt werden. Es verhält sich damit wie mit jeder kapitalistischen Unternehmung, nur dass hier der Grundbesitzer dem Pächter den Extraprofit abzwickt. Wenn er selbst der Pächter ist, so hat er ihn sowieso. Und doch macht es einen Unterschied, ob der Fabrikant die Löhne kürzt oder ein Grundbesitzer. Und es wird sich zeigen warum.
Der Bodenpreis steigt bekanntlich noch aus dem Grunde, weil der Kapitalzins fällt. Dieses Sinken des Kapitalzinses ist Gesetz der kapitalistischen Produktionsentwicklung.
Diese Untersuchung hat unter anderem gezeigt, dass die Entwicklung der Landwirtschaft ein Komplex verschiedener Faktoren ist. Es ist deshalb falsch, allein nach dem Stande der Getreidepreise über den Stand der Landwirtschaft zu urteilen. Und eine Agrarpolitik, die nur darauf hinausgeht, die Preise zu steigern, kann zum Ruin der Landwirtschaft führen.
Aber wie ist der Zustand der europäischen Landwirtschaft in diesem Moment? Gibt es eine Agrarkrisis oder ist sie ein Trugbild? Gewiss, es gibt eine Agrarkrisis, und sie verschärft sich noch und vertieft sich. Und sie ist nicht bloß charakterisiert durch ein Sinken des Pachtzinses, des Bodenpreises und eine Verringerung der Anbaufläche, sondern auch durch eine scheinbare Umkehrung der Gesetze der kapitalistischen Konkurrenz, so dass unter Umständen sogar ein relatives Zurückdrängen des kapitalistischen Großbetriebs durch den bürgerlichen Parzellenbetrieb stattfinden kann. Und sie datiert nicht erst seit gestern. Und sie ist nicht die verspätete bittere Frucht der Entdeckung Amerikas, sondern das unvermeidliche Ergebnis der kapitalistischen Produktionsentwicklung.
Zu beweisen ist: wie die industrielle Entwicklung, indem sie die Grundbesitzer bereichert, zu ihrem Ruin führt.
Das ist die nächste Aufgabe, die wir zu lösen haben.
11. Zweierlei erschwert die Erforschung der tatsächlichen Entwicklung der kapitalistischen Weltwirtschaft: erstens, dass wir es in jedem gegebenen Moment mit einem Durcheinander verschiedener Entwicklungsstufen und Entwicklungsformen zu tun haben, zweitens, dass diese einzelnen Verschiedenheiten nicht für sich selbst begriffen werden können, weil in ihnen die allgemeinen Gesetze der kapitalistischen Produktion zur Geltung kommen. Es gilt also, durch Abstraktion von den Besonderheiten die allgemeinen Zusammenhänge herauszufinden und nachher unter Zugrundelegung der aufgefundenen Gesetze die Besonderheiten zu erklären. Karl Marx hat in seinem Kapital in einer endgültigen Weise die erste Aufgabe gelöst. Er bietet hier und in anderen Schriften auch brillante Ausblicke auf die Einzelgestaltungen und Einzelentwicklungen. Desgleichen Friedrich Engels. Aber vieles liegt hier noch brach, und vieles konnte von diesen Beiden noch gar nicht erörtert werden, weil es eben gilt, das sich fortwährend verändernde Leben aufzuklären. Die Theorie macht den Geist nicht entbehrlich, sie stärkt ihn nur und rüstet ihn zu neuen Kämpfen.
12. Dieser Ausdruck ist irrationell, weil es sich das eine Mal um eine Getreidemenge, das andere Mal um eine Volkszahl handelt. Der richtige Ausdruck würde sein: Das Verhältnis des zum Markte gebrachten Wertes zu dem verlangten Werte. Doch würde die Unterstellung der rationellen Begriffe die Rechnung unnötigerweise komplizieren.
13. Das ist deshalb auch bis auf diesen Augenblick ein brachliegendes Gebiet. Seit einigen Jahren tummeln sich auf diesem Felde die Jünger der „österreichischen Schule“ herum und bemühen sich im Schweiße ihres Angesichts, es zu – düngen. Was sie als politisch-ökonomische Gesetze ausgeben, ist nur die Philosophie des schlecht honorierten Professors, die er sich zulegt, um des Lebens Widerwärtigkeiten wohlgemach zu ertragen. Weil er kein Geld hat, um sich einen Winterüberzieher zu kaufen, räsoniert er, dass es doch besser ist, ohne Überziehen mit sattem Magen herumzulaufen als mit hungrigem Magen in einem neuen Überzieher zu stolzieren. Und wenn es das Kapital fordert, wendet er diesen Satz mit derselben Leichtigkeit um, wie seinen alten Überzieher.
Das kapitalistische Marktverhältnis wird bedingt durch gesellschaftliche Zusammenhänge, die sich aus der ökonomischen Klassengliederung innerhalb der Produktion, aus der gesellschaftlichen Arbeitsteilung, aus der allgemeinen sozialen Gliederung, aus der Entwicklung der Produktivkräfte, im Besonderen aus der Entwicklung des Weltmarkts und Ähnlichem mehr ergeben – Verhältnisse, die zum Teil ihrerseits wiederum durch das Marktverhältnis bedingt werden. Denn das Leben ist ein dialektischer Prozess.
Wie wichtig die Erforschung dieses Gebiets ist, ergibt sich schon daraus, dass erst, wenn sie vollzogen, eine vollständige Theorie der Krisen aufgestellt werden könnte.
14. Marx, Kapital, Bd. III, Teil 2, S. 177 [Karl Marx, Friedrich Engels, Werke, Band 25, Berlin 1970, S. 650]
15. Die Städte sind bei der Erörterung der Entwicklung der kapitalistischen Landwirtschaft nicht nur wegen ihres industriellen Charakters zu berücksichtigen, und auch nicht bloß als Konglomerationen nicht agrikoler Bevölkerung überhaupt, sondern noch als Konzentrationspunkte des Marktes (v. Thünens Theorie der Ausdehnung der Kulturarten). Diese Betrachtung gehört aber nach dem Plane dieser Arbeit in einen anderen Zusammenhang
16. Der Unterschied der Lebensmittel einzelner Länder, deren industrielle Entwicklungsstufen weit von einander geschrieben sind, sowie die Preisunterschiede einzelner Landesteile, je nach ihrer industriellen Entwicklung, führt auch Rodbertus zu der Vermutung, dass es sich dabei um allgemeine kapitalistische Zusammenhänge handelt. Als Erklärung dient ihm zunächst das Wachstum der Städte. Ihren Einfluss fasst er aber nur in dem Sinne der Konzentration des Marktes auf. Die Lebensmittel müssen desto teurer sein, aus je entlegeneren Gebieten sie zugeführt werden. Das besagt aber nichts anderes als dass die Lebensmittel deshalb teurer verkauft werden, weil sie mehr kosten, d. h. weil sie teurer sind, so haben sie einen höheren Preis!? Die Frage ist aber eben die, wie wird es möglich, die Lebensmitte zu einem höheren Preis zu verkaufen?
Weil er das ungenügende dieser Erklärung herausfühlt, so gibt er einen weiteren Grund an: den Übergang vom Naturallohn zum Geldlohn bei den Lohnarbeitern. Mit der Ausdehnung des Geldlohnes steigt die Marktnachfrage – aber da stößt er sofort auf den vernichtenden Einwand, dass in demselben Grade wie in Folge des Überganges vom Naturallohn zum Geldlohn die Marktnachfrage steigt, auch das Marktangebot sich vermehrt, weil jetzt die früher in natura abgelieferten Produkte zu Markte kommen. Er verwickelt sich vollkommen in diesen Widerspruch und verweist auf Nebendinge, die mit dem gegebenen Verhältnis nichts zu tun haben. So meint er z. B., dass die Preise deshalb steigen, weil die Nachfrage „unter Tausenden zersplittert ist“. Das Gegenteil ist wahr: die konzentrierte Nachfrage erhöht die Preise. Es ist übrigens auch tatsächlich gar nicht richtig, dass durch den Übergang zum Geldlohn die Nachfrage „zersplittert“.
Er gibt schließlich noch einen Grund an: die Geldteuerung in den „ärmeren“ Ländern.
17. Vgl. Th. Tooke und W. Newmarch: Die Geschichte und die Bestimmung der Preise. Deutsche Übersetzung von C. W. Asher, Band I, S. 35. Auch die weiteren englischen Zahlen sind, soweit nicht Anderes angeben, diesem grundlegenden Werke entnommen.
18. Diese eigentümliche stufenweise Steigerung der Getreidepreise übersieht Th. Tooke in seiner erwähnten Preisgeschichte. Indem er die Preisschwankungen jedes einzelnen Jahres analysiert, merkt er nicht, dass er auf einem immer höheren Plateau sich befindet. Da er außerdem, um den ausschließlichen Einfluss des Ernteausfalls auf die Getreidepreise zu beweisen, bald mit der Ernte des vorangehenden Jahres, bald mit dem wirklichen Ernteausfall und dann wieder mit den Ernteaussichten des nächsten Jahres rechnet, so ist es ihm ebenso leicht, diesen Nachweis zu führen, wie es zu unserer Zeit Herrn Rudolf Falb leicht ist, vorherzusagen, ob es Regen geben wird oder Sonnenschein.
19. Vom Beginn des Krieges und bis zur Kontinentalsperre.
20. Zeit der Kontinentalsperre.
21. Rodbertus wusste das. „Mit der Vermehrung der Grundrente wächst nicht in demselben Verhältnis die Morgenzahl, auf die sie repariert wird. ... Es wird also auch durch die Vermehrung der Grundrente der bisherige Verhältnissatz zwischen ihr und der Morgenzahl, auf die sie zu reparieren ist, allerdings alteriert, indem auf die letztere jetzt ein größerer Rentenbetrag wie bisher entfällt“ (Dritter Sozialer Brief, S. 126)
Rodbertus entwickelt dann weiter auf S. 132 sehr richtig, dass aus dem gleichen Grunde jede Entwertung des Geldes eine nominelle Steigerung der Grundrente nach sich ziehen muss. Das erstreben die Agrarier mittels der Silberwährung. Es scheint allerdings ein Unsinn zu sein, denn es kommt doch nicht auf die Ziffer an, die auf der Münze sieht, sondern auf ihren Wert im Warenaustausch. Mag die Grundrente von 100 Mark Gold auf 120 Mark Silber „steigen“, was nützt das, wenn man nachher für 120 Mark nur genauso viel kaufen kann wie früher für 100 Mark? Und doch stecken hinter diesem monetären Phantom sehr reale Interessen. Wir werden im folgenden Kapitel die Spekulation aufdecken.
22. Die einzelnen Fälle sind von Marx und zum Teil von Engels unter „Differentialrente II“ untersucht worden.
In Bezug auf das von Engels gemachte Einschiebsel ist dabei Folgendes zu bemerken: Wenn Friedrich Engels in seiner allgemeinen Zusammenfassung die Folgerung zieht, dass nur in den Fällen, wo „Boden A (der schlechtere Boden) außer Konkurrenz gesetzt und Boden B (der nächstfolgende) regulierend und damit rentenlos wird“, eine zweite Kapitalanlage (respektive eine Erweiterung der Getreideproduktion) die Gesamtrente nicht vermehrt, so ergibt sich das zwar aus den von ihm angenommenen Zahlenverhältnissen, ist aber keineswegs ein notwendiges Ergebnis der allgemeinen Zusammenhänge. Man kann andere Zahlen nehmen, die das entgegengesetzte Resultat liefern, ohne die gegebenen Voraussetzungen der einzelnen Fälle auch nur im Geringsten zu beeinträchtigen.
Es ist deshalb auch durchaus falsch, wenn er nachher diese Schlussfolgerung zu dem allgemeinen Satz verdichtet: „Je mehr Kapital also auf den Boden verwandt wird, je höher die Entwicklung des Ackerbaus und der Zivilisation überhaupt in einem Lande steht, desto höher steigen die Renten per Acre sowohl wie die Gesamtsumme der Renten, desto riesiger wird der Tribut, den die Gesellschaft den Großgrundbesitzern in der Gestalt von Surplusprofiten zahlt – solange die einmal in Bebauung genommenen Bodenarten alle konkurrenzfähig bleiben.“ [a. a. O., S. 734]
Abgesehen von einer Ungenauigkeit der Ausdrücke, die an dieser Stelle sehr befremdet, so ist dies insofern falsch, als es, wie bereits erwähnt, Fälle gibt, in denen, obwohl die Bodenarten „konkurrenzfähig“ bleiben, die Renten und ihr Gesamtsumme (schon diese Zusammenwerfung der Grundrente mit dem Rental geht durchaus nicht an) bei neuer Kapitalanlage nicht steigen. Das hier im Einzelnen vorzurechnen, würde zu weit führen. Aber es lässt sich mit einigen Worten der theoretische Zusammenhang klarlegen.
Es ist ja allgemeine Voraussetzung, dass eine neue Kapitalanlage auf einem bestimmten Boden gemacht werden kann auch dann, wenn dabei kein Extraprofit entsteht. Schon die gewöhnliche Verzinsung des Kapitals, entsprechend der allgemeinen Durchschnittsprofitrate, genügt dazu. Man nehme nun so viel Bodenarten als man will, von einer beliebigen Abstufung der Grundrenten. Man lasse nun auf jeder dieser Bodenarten nur solche Erweiterung der Getreideproduktion stattfinden, die gerade die Durchschnittsprofitrate auf das neue angelegte Kapital abwirft, aber keinen Surplusprofit bildet, so wird selbstverständlich keine dieser neuen Kapitalanlagen Rente abwerfen, und das Gesamtresultat dieser neuen Rentenbildung ist gleich Null. Also keine Steigerung der Renten und ihrer Gesamtsumme. Ist aber deshalb in der „Konkurrenzfähigkeit der in Bebauung genommenen Bodenarten“ irgendwelche Änderung eingetreten? Durchaus keine! Die Grundrenten, welche diese Bodenarten in Bezug auf einander früher abgeworfen haben, die bleiben auch jetzt. Sie werden durch den Umstand, dass die neuen Kapitalanlagen keine Rente abwerfen, nicht affiziert. Denn, wie Engels an anderer Stelle richtig sagt, „nicht die absoluten Erträge, sondern nur die Ertragsdifferenzen sind für die Rente bestimmend“. Früher hat Boden A, der schlechteste, sage: 10 Bushel geliefert, Boden B aber 12. Die Rente von Boden B war 2 Bushel. Jetzt, bei Vermehrung der Kapitalanlage, gibt Boden A 20 Bushel, Boden B daher 22. Die neuen 10 Bushel auf Boden B geben keine Rente, aber zusammen bleibt immer noch der frühere Unterschied von 22−20 = 2 Bushel Rente bestehen. Nach wie vor ist es Boden A, der den allgemeinen Produktionspreis bestimm, und alle Bodenarten sind „konkurrenzfähig“ geblieben. (Der Ausdruck „konkurrenzfähig“ wird auch von Engels in einer sehr eigenartigen Weise, der wir uns der Einfachheit wegen angeschlossen haben, gebraucht.)
Man kann sogar noch weiter gehen und beweisen, dass unter Umständen eine Verminderung der Grundrenten durch Erweiterung der Produktion stattfinden wird, trotzdem „die einmal in Bebauung genommenen Bodenarten alle konkurrenzfähig bleiben“. Es genügt jedoch, darauf zu verweisen, dass die Schlussfolgerungen, die Marx selbst aus der Differentialrente II zieht, der soeben kritisierten Aufstellung von Engels schnurstracks zuwiderlaufen. (Siehe S. 262–270 des zweiten Buchs. [a. a. O., S. 742–746])
Zuletzt aktualisiert am 16. April 2024