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Wir haben gesehen, daß der Imperialismus seinem ökonomischen Wesen nach Monopolkapitalismus ist. Schon dadurch ist der historische Platz des Imperialismus bestimmt, denn das Monopol, das auf dem Boden der freien Konkurrenz und eben aus der freien Konkurrenz erwächst, bedeutet den Übergang von der kapitalistischen zu einer höheren ökonomischen Gesellschaftsformation. Es sind insbesondere vier Hauptarten der Monopole oder Haupterscheinungsformen des Monopolkapitalismus hervorzuheben, die für die in Betracht kommende Epoche charakteristisch sind.
Erstens: Das Monopol ist aus der Konzentration der Produktion auf einer sehr hohen Stute ihrer Entwicklung erwachsen. Das sind die Monopolverbände der Kapitalisten, die Kartelle. Syndikate und Trusts. Wir sahen, welch gewaltige Rolle sie im heutigen Wirtschaftsleben spielen. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts gewannen sie in den fortgeschrittenen Ländern das völlige Übergewicht, und wenn die ersten Schritte auf dem Wege der Kartellierung zuerst von Ländern mit hohen Schutzzöllen (Deutschland, Amerika) getan wurden, so hat England mit seinem Freihandelssystem nur wenig später dieselbe grundlegende Tatsache aufzuweisen: die Entstehung der Monopole aus der Konzentration der Produktion.
Zweitens: Die Monopole haben in verstärktem Maße zur Besitzergreifung der wichtigsten Rohstoffquellen geführt, besonders in der ausschlaggebenden und am meisten kartellierten Industrie der kapitalistischen Gesellschaft: der Kohlen- und Eisenindustrie. Die monopolistische Beherrschung der wichtigsten Rohstoffquellen hat die Macht des Großkapitals ungeheuer gesteigert und den Gegensatz zwischen der kartellierten und nichtkartellierten Industrie verschärft.
Drittens: Das Monopol ist aus den Banken erwachsen. Diese haben sich aus bescheidenen Vermittlungsunternehmungen zu Monopolisten des Finanzkapitals gewandelt. Drei bis fünf Großbanken einer beliebigen der kapitalistisch fortgeschrittensten Nationen haben zwischen Industrie- und Bankkapital eine „Personalunion“ hergestellt und in ihrer Hand die Verfügungsgewalt über Milliarden und aber Milliarden konzentriert, die den größten Teil der Kapitalien und der Geldeinkünfte des ganzen Landes ausmachen. Eine Finanzoligarchie, die ein dichtes Netz von Abhängigkeitsverhältnissen über ausnahmslos alle ökonomischen und politischen Institutionen der modernen bürgerlichen Gesellschaft spannt – das ist die krasseste Erscheinungsform dieses Monopols.
Viertens: Das Monopol ist aus der Kolonialpolitik erwachsen. Den zahlreichen „alten“ Motiven der Kolonialpolitik fügte das Finanzkapital noch den Kampf um Rohstoffquellen hinzu, um Kapitalexport, um „Einflußsphären“ d.h. um Sphären für gewinnbringende Geschäfte, Konzessionen, Monopolprofite usw. – und schließlich um das Wirtschaftsgebiet überhaupt. Als z.B. die europäischen Mächte mit ihren Kolonien erst den zehnten Teil von Afrika besetzt hatten, wie es noch 1876 der Fall war, da konnte sich die Kolonialpolitik auf nichtmonopolistische Weise entfalten, in der Art einer sozusagen „freibeuterischen“ Besetzung des Landes. Als aber neun Zehntel Afrikas bereits besetzt waren (gegen 1900), als die ganze Welt verteilt war, da begann unvermeidlich die Ära des monopolistischen Kolonialbesitzes und folglich auch eines besonders verschärften Kampfes um die Aufteilung und Neuaufteilung der Welt.
Wie sehr der monopolistische Kapitalismus alle Widersprüche des Kapitalismus verschärft hat, ist allgemein bekannt. Es genügt, auf die Teuerung und auf den Druck der Kartelle hinzuweisen. Diese Verschärfung der Gegensätze ist die mächtigste Triebkraft der geschichtlichen Übergangsperiode, die mit dem endgültigen Sieg des internationalen Finanzkapitals ihren Anfang genommen hat.
Monopole, Oligarchie, das Streben nach Herrschaft statt nach Freiheit, die Ausbeutung einer immer größeren Anzahl kleiner oder schwacher Nationen durch ganz wenige reiche oder mächtige Nationen – all das erzeugte jene Merkmale des Imperialismus, die uns veranlassen, ihn als parasitären oder in Fäulnis begriffenen Kapitalismus zu kennzeichnen. Immer plastischer tritt als eine Tendenz des Imperialismus die Bildung des „Rentnerstaates“, des Wucherstaates hervor, dessen Bourgeoisie in steigendem Maße von Kapitalexport und „Kuponschneiden“ lebt. Es wäre ein Fehler, zu glauben, daß diese Fäulnistendenz ein rasches Wachstum des Kapitalismus ausschließt; durchaus nicht, einzelne Industriezweige, einzelne Schichten der Bourgeoisie und einzelne Länder offenbaren in der Epoche des Imperialismus mehr oder minder stark bald die eine, bald die andere dieser Tendenzen. Im großen und ganzen wächst der Kapitalismus bedeutend schneller als früher, aber dieses Wachstum wird nicht nur im allgemeinen immer ungleichmäßiger, sondern die Ungleichmäßigkeit äußert sich auch im besonderen in der Fäulnis der kapitalkräftigsten Länder (England).
Über die Schnelligkeit der ökonomischen Entwicklung Deutschlands sagt Riesser, der Verfasser des Werkes über die deutschen Großbanken: „Der nicht gerade langsame Fortschritt der vorigen Epoche (1848-1870) verhält sich zu der Schnelligkeit, mit der Deutschlands Gesamtwirtschaft und mit ihr das deutsche Bankwesen in dieser Periode (1870-1905) vorwärtskam, etwa so, wie das Tempo der Postkutsche des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation zu dem Fluge des heutigen Automobils, dessen ... Dahinsausen allerdings auch manchmal sowohl den harmlos dahinziehenden Fußgänger wie die Insassen selbst gefährdet.“ Seinerseits hätte dieses ungewöhnlich schnell gewachsene Finanzkapital gerade deshalb, weil es so schnell gewachsen ist, nichts dagegen, zu einem „ruhigeren“ Besitz der Kolonien überzugehen, die den reicheren Nationen, und zwar nicht nur mit friedlichen Mitteln, entrissen werden können. In den Vereinigten Staaten ging die ökonomische Entwicklung in den letzten Jahrzehnten noch rascher vor sich als in Deutschland, und gerade dank diesem Umstand kamen die parasitären Züge des jüngsten amerikanischen Kapitalismus besonders kraß zum Vorschein. Anderseits zeigt ein Vergleich, sagen wir, der republikanischen amerikanischen Bourgeoisie mit der monarchistischen japanischen oder deutschen, daß auch der stärkste politische Unterschied in der Epoche des Imperialismus in hohem Grade abgeschwächt wird – nicht etwa, weil er überhaupt unwichtig wäre, sondern weil es sich in allen diesen Fällen um eine Bourgeoisie mit ausgesprochen parasitären Zügen handelt.
Dadurch, daß die Kapitalisten eines Industriezweiges unter vielen anderen oder eines Landes unter vielen anderen usw. hohe Monopolprofite herausschlagen, bekommen sie ökonomisch die Möglichkeit, einzelne Schichten der Arbeiter, vorübergehend sogar eine ziemlich bedeutende Minderheit der Arbeiter zu bestechen und sie auf die Seite der Bourgeoisie des betreffenden Industriezweiges oder der betreffenden Nation gegen alle übrigen hinüberzuziehen. Diese Tendenz wird durch den verschärften Antagonismus zwischen den imperialistischen Nationen wegen der Aufteilung der Welt noch verstärkt. So entsteht der Zusammenhang von Imperialismus und Opportunismus, der sich am frühesten und krassesten in England auswirkte, weil dort gewisse imperialistische Züge der Entwicklung bedeutend früher als in anderen Ländern zutage traten. Manche Schriftsteller, z.B. L. Martow, möchten sich über die Tatsache, daß Imperialismus und Opportunismus in der Arbeiterbewegung zusammenhängen – eine Tatsache, die jetzt ganz besonders in die Augen springt –, gern hinwegsetzen, und zwar mit dem „amtlichen Optimismus“ (im Geiste Kautskys und Huymans’) von Betrachtungen folgender Art: Die Sache der Gegner des Kapitalismus wäre hoffnungslos, wenn gerade der fortgeschrittene Kapitalismus zur Verstärkung des Opportunismus führte oder wenn gerade die bestbezahlten Arbeiter zum Opportunismus neigten u.dgl.m. Man darf sich über die Bedeutung eines solchen „Optimismus“ nicht täuschen. Es ist ein Optimismus hinsichtlich des Opportunismus, es ist ein Optimismus, der der Verhüllung des Opportunismus dient. In Wirklichkeit ist die besonders schnelle und besonders widerwärtige Entwicklung des Opportunismus keineswegs eine Garantie für seinen dauernden Sieg, wie auch die schnelle Entwicklung eines bösartigen Geschwürs an einem gesunden Organismus nur das Aufbrechen des Geschwürs, die Befreiung des Organismus von diesem beschleunigen kann. Am gefährlichsten sind in dieser Hinsicht Leute, die nicht verstehen wollen, daß der Kampf gegen den Imperialismus eine hohle, verlogene Phrase ist, wenn er nicht unlöslich verknüpft ist mit dem Kampf gegen den Opportunismus.
Aus allem, was über das ökonomische Wesen des Imperialismus gesagt wurde, geht hervor, daß er charakterisiert werden muß als Übergangskapitalismus oder, richtiger, als sterbender Kapitalismus. Höchst aufschlußreich ist in dieser Hinsicht, daß die Schlagworte der bürgerlichen Ökonomen, die den jüngsten Kapitalismus beschreiben, „Verflechtung“, „Fehlen der Isoliertheit“ usw. heißen; die Banken seien „Unternehmungen, die nach ihren Aufgaben und nach ihrer Entwicklung nicht einen rein privatwirtschaftlichen Charakter haben und die immer mehr aus der Sphäre der rein privatrechtlichen Regelung herauswachsen“. Und derselbe Riesser, von dem diese Worte stammen, erklärt mit todernster Miene, daß sich die „Voraussage“ der Marxisten über die „Vergesellschaftung“ „nicht verwirklicht“ habe!
Was bedeutet denn dieses Wörtchen „Verflechtung“? Es erfaßt bloß einen einzelnen, wenn auch den auffallendsten Zug des Prozesses, der sich vor unseren Augen abspielt. Es zeigt, daß der Beobachter einzelne Bäume aufzählt, aber den Wald nicht sieht. Es kopiert sklavisch das Äußere, Zufällige, Chaotische. Es verrät uns in dem Beobachter einen Menschen, der von dem unverarbeiteten Material erdrückt wird und sich in dessen Sinn und Bedeutung absolut nicht zurechtfindet. „Zufällig verflechten sich“ Aktienbesitz und Privateigentümerverhältnisse. Aber das, was dieser Verflechtung zugrunde liegt, was ihre Grundlage bildet, sind die sich verändernden gesellschaftlichen Produktionsverhältnisse. Wenn aus einem Großbetrieb ein Mammutbetrieb wird, der planmäßig, auf Grund genau errechneter Massendaten, die Lieferung des ursprünglichen Rohmaterials im Umfang von zwei Dritteln oder drei Vierteln des gesamten Bedarfs für Dutzende von Millionen der Bevölkerung organisiert; wenn die Beförderung dieses Rohstoffs nach den geeignetsten Produktionsstätten, die mitunter Hunderte und Tausende Meilen voneinander entfernt sind, systematisch organisiert wird; wenn von einer Zentralstelle aus alle aufeinanderfolgenden Stadien der Verarbeitung des Materials bis zur Herstellung der verschiedenartigsten Fertigprodukte geregelt werden; wenn die Verteilung dieser Produkte auf Dutzende und Hunderte von Millionen Konsumenten nach einem einzigen Plan geschieht (Petroleumabsatz in Amerika wie in Deutschland durch den amerikanischen Petroleumtrust) – dann wird es offensichtlich, daß wir es mit einer Vergesellschaftung der Produktion zu tun haben und durchaus nicht mit einer bloßen „Verflechtung“; daß privatwirtschaftliche und Privateigentumsverhältnisse eine Hülle darstellen, die dem Inhalt bereits nicht mehr entspricht und die daher unvermeidlich in Fäulnis übergehen muß, wenn ihre Beseitigung künstlich verzögert wird, eine Hülle, die sich zwar verhältnismäßig lange in diesem Fäulniszustand halten kann (wenn schlimmstenfalls die Gesundung von dem opportunistischen Geschwür auf sich warten lassen sollte), die aber dennoch unvermeidlich beseitigt werden wird.
Schulze-Gaevernitz, ein begeisterter Anhänger des deutschen Imperialismus, ruft aus:
„Ist die letzte Leitung der deutschen Bankwelt einem Dutzend von Männern anvertraut, so ist deren Tätigkeit schon heute für das Volkswohl bedeutsamer als die der meisten Staatsminister“ (die „Verflechtung“ der Bankiers, Minister, Industriellen und Rentner vergißt man hier lieber ...). „Denken wir uns die aufgewiesenen Entwicklungstendenzen bis zum letzten erreicht: das Geldkapital der Nation in den Banken vereinigt, diese selbst kartellmäßig verbunden, das Anlagekapital der Nation in Effektenform gegossen. Dann verwirklicht sich das geniale Wort Saint-Simons: ‚Die heutige Anarchie in der Produktion, die der Tatsache entspringt, daß sich die ökonomischen Beziehungen ohne einheitliche Regelung abwickeln, muß einer Organisation der Produktion weichen. Es werden nicht mehr isolierte Unternehmer sein, die unabhängig voneinander, ohne Kenntnis der ökonomischen Bedürfnisse des Menschen, die Produktionsgestaltung bewirken, sondern diese wird einer sozialen Institution zufallen. Eine zentrale Verwaltungsbehörde, die von erhöhtem Standpunkt aus das weite Gebiet der sozialen Ökonomie zu überblicken vermag, wird diese in einer der Gesamtheit dienlichen Weise regulieren und die Produktionsmittel den geeigneten Händen überweisen, namentlich wird sie für eine ständige Harmonie zwischen Produktion und Konsumtion sorgen. Es gibt Institutionen, die eine gewisse Organisation der wirtschaftlichen Arbeit in ihren Aufgabenkreis einbezogen haben: die Banken.' Noch sind wir von der Verwirklichung diese Wortes entfernt, aber wir befinden uns auf dem Wege zu seiner Verwirklichung – Marxismus anders, und doch nur in der Form anders, als Marx sich ihn dachte!“ (121)
Man muß schon sagen: Eine schöne „Widerlegung“ von Marx, die einen Schritt rückwärts macht von der exakten wissenschaftlichen Analyse Marx’ zur Vorahnung Saint-Simons, die zwar genial, aber doch nur eine Vorahnung war.
(121) Grundriß der Sozialökonomik, S.146.
Zuletzt aktualisiert am 20.7.2008