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Pius IX. im Paradies [1](1872/1882) |
Paul Lafargue. Pie IX au paradis, Egalité ab Nr.14/12. März 1882
Reprint in Pamphlet socialistes par Paul Lafargue, Paris 1900, 9ff.
Spanische Ur-Fassung (kürzer): Pio IX en el paraiso, La Emancipación, 27. April, 11. und 25. Mai 1872.
Diese Version aus Paul Lafargue, Geschlechterverhältnisse, Hrsg. Fritz Keller, Hamburg 1995, S.175-86. (Die mit * gekennzeichneten Fußnoten stammen aus dieser Ausgabe.)
Übersetzer: Kurt Lhotzky.
Transkription: Fritz Keller.
HTML-Markierung: Einde O’Callaghan für das Marxists’ Internet Archive.
Am 13. Dezember 1871 unterhielten sich im Vatikan zwei Greise miteinander; der eine war rot, der andere weiß gekleidet.
Der weißgekleidete Greis war schon so verlebt, daß er gelegentliche Erinnerungslücken hatte und wie ein Kind Worte oftmals vor sich hin brabbelte, um ihren Sinn zu begreifen. Dieser Mann war der Unfehlbare, der Papst-Gott.
Der rote Greis hatte zwar weiße Haare, aber seine Züge waren entschlossen und hochmütig. Er war der getreue Ratgeber Pius’ IX., Kardinal Antonelli. Sehnsüchtig wartete er auf den Tod des Unfehlbaren, um selbst den päpstliche Thron zu besteigen.
„Alles verloren! Es ist alles verloren!“, murmelte der Unfehlbare.
„Nichts, nichts ist verloren für den, der den Mut nicht verliert“.
„Nichts! Nichts ist verloren! Was können wir noch tun? Diese Verfluchten, diese Banditen haben mir nach und nach all meine Provinzen entrissen. Hier, wo jahrhundertelang meine päpstlichen Vorgänger wie Könige geherrscht haben, lebe ich wie ein Gefangener [2]. An der Pforte des Vatikans, aus der früher die Päpste mit allem Glanz und Prunk der Welt hinausschritten, hält ein Soldat des Exkommunizierten, des verfluchten Victor Emmanuel, Wache. Er hat mich beraubt, hat mich ärmer gemacht als Christus es war, genauso arm wie Petrus, den Fischer“.
„Oh Papst, Du besitzest, was nicht einmal Gregor VII. [3] besaß, vor dem Könige und Kaiser zitterten wie die Bestien des Waldes vor der Sonnenfinsternis. Du besitzest, was kein noch so großer Papst vor Dir je besaß – Du bist unfehlbar! Du bist größer als die größten Sterblichen. Du bist größer als Gott. Als Gott sein Werk sah, reute es ihn, und er sandte die Sintflut. Du, der Unfehlbare, brauchst nicht irren, hast nicht zu irren, Du brauchst nichts zu bereuen. Du klagst, obwohl Du so hoch emporgestiegen bist, daß Du Gott überholst. Er ist Dein Diener, Du befiehlst, und Gott gehorcht“.
„Was bedeutet mir Größe! Was bedeutet mir Unfehlbarkeit! Wenn das erbarmungslose Alter meinen Körper bricht, meine Zähne ausfallen läßt, meine Sinne verdunkelt und nur noch ein Gefühl zuläßt – das der dumpfen Betäubung. Was bedeutet mir Größe, wenn mich die Geschwüre an meinen Beinen an den Lehnstuhl nageln, wie Jesus ans Kreuz, und mir den Appetit rauben, etwas, was selbst das elendste der Menschenkinder sein eigen nennen kann. Ewige Jugend, ewigen Genuß – das hätte man mir verleihen sollen!“
„Trottel! Möge der Tod langsam Deinen Körper hinaufkriechen, der schon nicht mehr ist als ein geweißtes Grab“, dachte der von dem ewigen Lamento des heiligen Vaters entnervte Mann in Rot.
„Was schert mich die Unfehlbarkeit, wenn morgen die Maden das Fleisch des Unfehlbaren benagen werden“, jammerte der Papst unter Tränen.
„Wir werden Dich einbalsamieren, damit das Antlitz des ersten Unfehlbaren ewig leben möge. Warum flennst Du wie ein Weib, wo Du doch wie ein Mann handeln müßtest? Dein Körper ist schwach, weil Du zuließest, daß die Ungläubigen Deinen Geist morden. Der Mensch lebt nicht von Brot und Fleisch allein. Du wirst Deine Lebenskraft zurückgewinnen, wenn Du Deine Macht zurückgewonnen hast. Wenn Du mächtiger sein wirst als alle Leos, Sixtus und Gregors. Wenn sich in Deiner Gegenwart die Größten unter den Großen neigen. Wenn Du als einziger aufrecht inmitten der knienden Menschheit stehen wirst, die ihre Stirn in den Staub preßt“.
„Wer soll dieses Wunder vollbringen?“ antwortete der Papst wie elektrisiert, angesteckt vom glühenden Eifer seines Dieners, der sein Herr war.
„Der Glaube!“
„Der ist tot!“
„Tot? Wir lassen ihn auferstehen! Tausend Jahre lang haben wir die Menschheit auf blutigen Streckbänken erdrosselt. Wir werden ihr Fleisch aufs neue mit glühenden Eisen peinigen, damit der Glaube in die Herzen eindringen kann. Der Glaube ist das Kind der Angst – wir werden die Menschen erzittern lassen“.
„Es fehlt uns die Kraft!“
„Wozu hast Du Deine Augen, wenn Du nicht siehst? Siehst Du nicht, wie alles einstürzt? Unsere Macht ist erschüttert, sie wankt, und dennoch sind wir die einzig Aufrechten inmitten einer in Trümmern liegenden Zivilisation, denn wir verkörpern den Geist vergangener Zeiten, den Geist, der unsterblich ist, wir verkörpern jene Vergangenheit, die das Staubkorn Mensch zerschmettert. Siehst Du nicht wie die Bourgeoisie, die gleiche Bourgeoisie, die im vorigen Jahrhundert durch ihren Geist, durch Spott und das Fallbeil der Guillotine über uns triumphierte, heute von Furcht geschüttelt ist und sich laut schreiend nach einem Beschützer, einem Erlöser umblickt? Siehst Du nicht, wie die Kaiser und Könige, die die Erde unter ihren Füßen beben spüren, sich uns zuwenden? Wir sind der Rettungsanker des Heils, der Hafen der Bourgeoisie. Denn wir führen die Herde unserer menschlichen Schafe vermittels der Angst vor dem Unbekannten, wir kennen die mystischen Worte, die Energien verpuffen lassen und den Willen zügeln können und die Bestie Mensch dazu zwingt, ihre Beute für einen Schatten aufzugeben. Siehst Du nicht, daß die finstere Klasse der Arbeiter krampfhaft daran arbeitet, die Schale der alten Gesellschaft zu zerbrechen, so wie ein Adlerjunges seine Eierschalen? Alle privilegierten Klassen müssen sich vereinigen, um das Monster zu ersticken, bevor es ausschlüpfen kann. Siehst Du nicht, wie die Angst vor den proletarischen Forderungen, der Internationale und dem Kommunismus die Interessen der herrschenden Klassen aller Länder zu Fasces, den römischen Symbolen der Macht über Leben und Tod, zusammengeschnürt hat? [4] Die Treibjagd auf den Sozialismus hat die heilige Allianz [5] neu erstehen lassen. Oh unfehlbarer Papst, wir, der Geist des Vergangenen, müssen uns an die Spitze des Kreuzzugs gegen die Barbaren stellen, die jede Gesellschaft, jede Moral und jedes Gesetz zerstören wollen“.
„Was sollen wir tun?“, rief der weißgekleidete Greis entzückt aus.
„Ein Wunder“.
„Ein Wunder?“ – mit ersterbender Stimme ließ der Unfehlbare den Kopf sinken.
„Ja, ein großes Wunder, das die Erde blendet und Verwirrung in den Reihen unserer Feinde stiftet“.
„Aber die Zeit der Wunder ist vorbei. Die Knochen des heiligen Petrus hatten Wunderkräfte. Die Gläubigen verehrten sie. Dann kamen die Anatomen mit ihren Pestfingern und lästerten: ‚Aber das sind ja Hammelknochen!‘ und die wunderbaren Knochen gaben ihre Wunder auf. In Frankreich erschien, sprach, ging die Jungfrau Maria, und die Ungläubigen wandten sich unter schallendem Gelächter ab“. [6]
„Diese Wunder sind Muster ohne Wert. Wir brauchen ein Wunder erster Klasse, ein großartiges Wunder. Steige zum Himmel hinauf und rede mit Gott, wie er es verdient. Gott nimmt seinen Beruf allzusehr auf die leichte Schulter. Bloß weil er sechs elende Tage gearbeitet hat, glaubt er, daß alle anderen Tage im Jahr Sonntage und blaue Montage [7] sind. Was würde er, was würden wir sagen, wenn die Arbeiter seinem Beispiel folgten? Gott faulenzt, rüttle ihn aus seinem Müßiggang auf. Soll er doch einmal etwas für uns tun, wo wir soviel für ihn machen. Was wäre denn Gott ohne uns? Er hätte nicht einmal einen Namen. Heiliger Vater, steige zum Himmel auf und hole Jesus oder den heiligen Geist zu uns herab. Mit ihnen gemeinsam wirken wir die Wunder und lassen den Glauben wiederauferstehen“.
Der Unfehlbare war wie zerschmettert.
„Zum Himmel aufsteigen! Ich, in meinem Alter, und krank bin ich auch!“ wiederholte er immer wieder mit der Stimme und Gestik eines Idioten.
„Die Luftveränderung und die Vergnügungen der Reise werden Dich aufmuntern. Im Himmel wird Gott Deine Hämmorhoiden berühren. Der Arzt sieht eine neue Fistel am Anus voraus – der Finger des Allmächtigen wird Deinen Hintern kurieren. Also los, beeil Dich hinaufzukommen, ich regiere einstweilen an Deiner Stelle“.
Die Fistel war Antonellis unwiderstehlichstes Argument.
„Aber Du setzt mich nicht vor die Tür, wenn ich wiederkomme?“, sagte der Unfehlbare besorgt.
„Aber heiliger Vater, ich, Dein treuer Diener!“
„Also gut, ich steige zum Himmel auf“. Aber ich werde Dich im Auge behalten, dachte der weißgekleidete Greis im Geheimen.
„Brich Dir am am Weg den Hals“, antwortete der rotgekleidete Mann im Stillen.
Bevor er sein Billet in die andere Welt löste, legte der Papst seine prächtigsten Ornate an. Vorsichtshalber füllte er seine Börse, eingedenk der Worte des Wirten Don Quichotes: Etwas Geld und ein paar Hemden sind auf der Reise unentbehrlich. [8]
Der Papst kam gegen elf Uhr abends am Tor zum Paradies an. In der Wohnung des Concierge brannte noch Licht. Er klopfte zaghaft – keine Antwort. Er klopfte wild – Sankt Petrus beeilte sich zu öffnen. Sein Mondgesicht war rot angelaufen, sein Blick grimmig. Er hatte sich geschworen, den Eindringling kräftig zu schelten, der seine tägliche, nächtliche Konversation mit der göttlichen Bouteille [9] zu stören wagte.
„Du Kanaille, wer bist Du, daß du es wa...“, begann er mit zorniger Stimme zu schreien, aber dann verstummte er plötzlich. Er zog seine Fischottermütze und verbeugte sich untertänig. „Entschuldigt, Monsignore, ich dachte bloß, daß es um diese Zeit wieder so eine lausige verlorene Seele sein wird. Entschuldigt ...“.
Die noble Kleidung des Papstes hatte das Herz Sankt Petri in Aufregung versetzt. Pius IX. warf dem paradiesischen Zerberus indigniert eine Münze hin und murmelte:
„Und ich soll der Nachfolger dieses versoffenen und frechen Burschen sein. Er hat seinen Herrn im Augenblick der Gefahr verleugnet. Und er wird ihn noch hundert Mal verraten, wenn er nur seine Sauflust stillen kann“.
Sankt Petrus, der sich wieder gefaßt hatte, bewunderte Pius IX., der über die große Avenue des Paradieses schritt.
„Ein pikfeiner Pinkel! ... So ein Hund! Er hat mir nur ein 2-Francs-Stück gegeben. Himmeldonnerwetter! So ein falscher Fuffziger von einem Papst ... Diebsgesindel!“
Nachdem er fast bis zum Morgen herumgeirrt war, fand der Papst jemand, bei dem er sich nach dem Aufenthaltsort des Herrn erkundigen konnte. Gott wohnte in einer ärmlichen Strohhütte. Man hatte dem Papst gesagt, daß er gar nicht zu klopfen brauche – niemand würde öffnen. Gott war im hohen Alter zum Misanthropen geworden; er lebte allein und wollte den Lärm menschlicher Stimmen nicht einmal hören. Diese Aussichten schmerzten den Papst, und er begann am Erfolg seines Unternehmens zu zweifeln. Trotzdem stieß er entschlossen die Tür auf und trat in den einzigen Raum der Hütte. Sie machte einen elenden Eindruck. Die Tapeten waren schmutzig, zerrissen und lösten sich an einigen Stellen. An der rauchgeschwärzten Decke hatten sich zickzackförmige Risse gebildet. Beim Kamin stand ein Ohrensessel und ein kleiner Tisch mit einem Topf voll Eibischextrakt und einem gesprungenen Glas. Im Fauteuil saß zusammengekrümmt ein Alter, der das Kohlenfeuer schürte und dabei mehr Rauch als Wärme erzeugte.
Der Alte war Gott.
Das war nicht der kraftvolle Arbeiter, der die Welt in sechs Tagen geschaffen hatte, auch nicht der schreckliche Jehova, der Donner und Blitz auf Sodom schleuderte, der die Katarakte des Himmels öffnete, um die Menschen zu ertränken, das war nicht der furchteinflößende Gott des Moses, der am Berg Sinai inmitten von Blitzen erschien, der die Furcht säte, um Liebe in die Welt zu bringen, der Verzweiflung, Pest und Hunger mit sich führte.
Das war nicht der düstere Gott des Mittelalters, der sich hinter verlassenen Tabernakeln duckte, den Duft verbrannten Menschenfleisches trank und sich am Ächzen und Geheul der von der Inquisition Gefolterten ergötzte. Das war nicht der absolute Gott eines Karls V. [10] und eines Ludwig XIV. [11], der in seiner starken Hand den Globus hielt, das war nicht einmal der Gott Voltaires, der geschickte Uhrmacher, der jeden Morgen das Uhrwerk des Universums aufzog. [12] Es war auch nicht der bürgerliche Gott, der konstitutionelle Monarch, der regierte, aber nicht herrschte. Ja, es war nicht einmal der nebelhafte Gott der deutschen Metaphysiker, die erste Antithese, die Negation des Nichts.
Das war ein kleines, schmutziges Alterchen, abstoßend, den Bart ungepflegt und voll von Speichel, zähneklappernd, hustend, sabbernd. Die Beine steckten in abgetragenem Flanell, der Oberkörper in einer geflickten Hausjacke, beim Hintern lugte das Unterfutter durch.
Vom Staunen mitgerissen vergaß sich der Papst und sagte, ohne nachzudenken: „Das also ist die zerrüttete, abgeblätterte und ruinierte Majestät, die ich auf Erden vertrete!“
„Wer spricht da?“ rief Gott und wandte sein gelbliches Gesicht um, aus dem eine enorme jüdische Nase [13] ragte, an der Tabak klebte. „Du nennst Dich meinen Stellvertreter auf Erden und wagst es, in meiner Gegenwart zu sprechen? Und Du wagst es, mich in diesem Winkel des Paradieses zu belästigen wo ich, der ich nicht sterben kann, dem Vergessen anheimfallen will? Da Du Dir Zutritt zu meiner Zufluchtsstätte erzwungen hast, betrachte, was Du als zerrüttete Majestät bezeichnest. Betrachte Dein Werk und das Deiner Vorgänger, der verfluchten Päpste. Verflucht sei der Tag, an dem ich meinen Sohn Jesus zur Erde gesandt habe. Ich war der souveräne Beherrscher des Himmels und der Erde; die Menschen beteten nur mich an. Jetzt hat man mich in den letzten Winkel des Tabernakels verbannt wie alten Plunder; jetzt beugen die Menschen ihr Knie und entzünden ihre Kerzen vor dem idiotischen Antlitz Jesu, vor der Jungfernschaft seiner Dirne von Mutter, vor den schmutzigen und stinkenden Füssen des heiligen Antonius [14], vor seinem Kumpanen, aus dem sie einen Glücksbringer gemacht haben. Die Zeit Mammons ist wiedergekehrt, das Schwein des Goldes trampelt über Sabaoth, den Gott des Heeres, hinweg. Verflucht sei der Tag, da ich den Menschen die Vernunft schenkte! Ich erfüllte das Universum mit meiner Kraft und meiner Persönlichkeit, ich schleuderte den Blitz, entfesselte den Wind, fachte den Sturm an und peitschte die Wogen des Meeres auf, ich erschütterte die Erde in ihren Grundfesten. Aber so, wie ein Kind ohne jedes Mitleid einem Insekt die Flügel ausreißt, hat mir die Vernunft nach und nach meine Ämter entrissen und den Kräften der unbewußten Natur übertragen. Ich blieb noch die Vorsehung, die Könige auf den Thron setzt und den Reichtum unter den Menschen verteilt. Aber diese unmenschliche Vernunft lehrt, daß die Könige Könige, die Großen reich sind, weil die Masse der Menschen dumm und feige ist und sich widerstandslos kommandieren und ausbeuten läßt. Je mehr die Vernunft wuchs, desto kleiner wurde ich. Die Vernunft erfüllt das Universum – sie sei verflucht! Ich wurde kleiner gemacht, geschwächt; aber die unwissenden, verwirrten, verschüchterten Seelen brauchten mich noch. Für sie existierte ich. Ich war der einzige, der das Recht auf Unfehlbarkeit innehatte. Und Du, greiser Trottel, hast mich dieses letzten meiner Vorrechte beraubt, hast mich vom Thron gestoßen, zum Hampelmann gemacht, bei dem Du die Fäden ziehst. Ich muß durch Deine Augen sehen, durch Deinen Mund lügen. Eitler, gottloser Greis, sei verflucht! Menschengeschlecht, das Du mich verleugnest, nachdem Du mich nach Deinem Ebenbild geschaffen hast, sei verflucht! Verflucht, verflucht sei, wer die Menschen erschaffen hat! Ah, könnte ich die Menschen doch steinigen, ertränken, alle Plagen und Ungewitter über sie ergießen! Ach – ich bin machtlos!“
Und der Allmächtige sank erschöpft zurück.
„Der ist ja verrückt!“, dachte der Papst. „Es ist alles schlecht, was er gemacht hat, genauso wie alles, was die anderen getan haben. Ich wäre richtig empfangen worden, wenn ich von meinen Hämmorhoiden gesprochen hätte, wie Antonelli geraten hat. Aber das wäre auch unnütz gewesen – Gott kann man nur noch den Hunden zum Fraß vorwerfen ... Jesus ist der Gott, den ich brauche“.
Pius IX. machte schnell einen leisen Abgang.
Nicht weit von der elenden Behausung Gottvaters stieß der Papst-Gott auf eine Gruppe schäkernder Frauen und Mädchen, die in schreiend bunte Gewänder gehüllt waren. Die fröhliche Bande umkreiste einen jungen Mann mit lockigem, glänzendem Haar, die Wangen und Lippen hochrot geschminkt, die fleischigen Hände mit Juwelen geschmückt. Dieser frische, kokette, pomadisierte Jüngling schien an nichts anderes als an seine Frisur und die Wirkung seines Charmes auf seine weibliche Umgebung zu denken. Der kleine Dicke war Jesus.
Oh welch Unterschied zu Christus, dem Nazarener, dem Sohn des Zimmermanns, dem Freund Johannes des Täufers, dem wilden Hirten, der in Höhlen schlief und sich von Heuschrecken nährte! Welch Unterschied zu jenem Christus, der angesichts des menschlichen Elends in Halluzinationen verfiel, in die Wüste ging und fastete, um die Qualen der Hungernden zu teilen; der barfüßig über steinige Pfade wanderte und auf einer zahmen Eselin im Triumphzug in Jerusalem einritt; der Reiche und Pharisäer erschreckte und den hoffnungslosen Armen die Hoffnung predigte! Welch Unterschied zu jenem Christus, der schmerzensreich die Sklaven des antiken Rom zu seinen Kindern machte, ihr angeketteter und gekreuzigter Bruder war, so wie die heroischen Gladiatoren des Spartakus, des schrecklichen Aufständischen! Welch Unterschied zum traurigen und mageren Christus des Mittelalters, der das Elend aller verkörperte! Diese erhabenen Christusgestalten, so groß wie die Schmerzen des Volkes, geboren, gefoltert und gekreuzigt in den Herzen der plebejischen Massen, diese Christusgestalten sind tot! Nichts blieb als der gelackte Jesus der Renaissance, der bürgerliche Jesus, der Jesus der Grande Dames und Kurtisanen, der blasierte junge blonde Mann.
Der verärgerte Papst blieb mit aufgerissenem Mund stehen.
„Gegrüßet seist Du, edler Fremder!“ sprach ihn Jesus an. „An Deiner verblüfften Miene erkenne ich, daß Du ein Neuankömmling bist. Welch ein Glück – wir werden endlich Neuigkeiten von der Erde erfahren. Hast Du die neuesten Ausgaben der Revue des modes mitgebracht? Gebenedeit seien Gott und Du, ehrwürdiger Greis. Also, öffne Dein Gepäck, meine zarten Täubchen sind neugieriger wie junge Affen. Gehen die Frauen auf der Erde immer noch kurz gekleidet? Tragen sie noch Knabenkleidung? Das ist so herrlich frivol!“
„Herr, ich kam, um über die Angelegenheiten Eurer heiligen Kirche zu sprechen“, unterbrach ihn der Papst.
„Färben die Pariserinnen ihre Mähnen wirklich gelb? Elende Mode! Mein Bart und mein Haar verliert seine Originalität. Ich habe Lust, meine Haare schwarz zu färben. Was haltet ihr davon, Königinnen meines Herzens?“
„Süßer Jesus, Du unser Abgott! Dein Haar färben wäre, wie eine Lilie zu bemalen“, rief saeine verliebte Truppe aus vollem herzen.
„Ihr Augäpfel, Eurer Wunsch ist mir Befehl!“
„Herr, Eure Kirche wird angegriffen!“
„Verwenden die Frauen wirklich Reispuder? Puh! Man glaubt ja, Mehlsäcke zu küssen! Ich habe allen, die mir ihren Granatapfel geopfert haben, Puder und Rouge verboten! Wenn alle Männer so handeln würden ...“
„Herr, Eure Tempel werden entweiht!“
„Hat Rachel [15], die Dahinschmelzende, ein neues Parfum erfunden, das die Seele erfreut und die von der Liebe geschwächten Kräfte stärkt?“
„Herr, Eure Getreuen sind verzweifelt. Sie weinen nicht mehr – sie haben schon alle Tränen vergossen. Sie klagen nicht mehr, die Hand der Gottlosen hat ihnen die Lippen geschlossen. Herr, man verjagt Euch aus Euren Palästen und Euer Stellvertreter auf Erden schläft auf dem Strohsack eines Gefängnisses!“
„Das muß ziemlich ungemütlich sein. Sind das alle Neuigkeiten, die Du uns vom Befinden der Lebenden zu berichten hast? Ah ja – wer bist Du überhaupt, daß Du Dich so für meine Kirche interessierst?“
„Herr, ich bin Pius IX.“
„Hahaha“ – alle brachen in Gelächter aus.
„Der arme Alte – der Stellvertreter unseres geliebten Jesus, dessen Umarmungen so süß sind, dessen Zärtlichkeiten einem die Sinne verwirren? Wir verstehen, warum der Glaube in den Herzen der Frauen erloschen ist!“
Entrüstung erfüllt die Seele des heiligen Vaters, sein strenges Gesicht färbte sich vor Zorn und Scham rot. Aber Jesus lächelte blöde und strich durch seinen Bart, den Arm um Magdalena, seine Favoritin [16], gelegt. Die heilige Theresa verschlang die Rivalin mit glühenden Blicken voll amourösem Begehren.
„Alter, hör nicht auf das, was diese kleinen Dummköpfe meinen. Ihre Liebe zu mir läßt sie den Respekt vergessen, den sie Dir schulden. Unter uns – sie haben recht. Wer hat diese barocke Idee gehabt mich, der ich so schön bin, daß mein Anblick die Herzen der Frauen hüpfen läßt wie kleine Schäfchen, durch abstoßende, gichtige Alte vertreten zu lassen? Laß mich Dir einen Gedanken verraten, der mir gerade durch den Kopf gegangen ist – das passiert mir so selten, daß ich ihn nicht vergessen möchte. Ich schlage folgende Reform vor: Man wähle unter den Schönsten der Erdenmenschen eine Päpstin und einen Papst. Statt Syllabi [17] zu schreiben, die nur die Galligen, Triefäugigen und Vergrämten erfreuen können, sollen die beiden Oberhäupter meiner Kirche ihre Gunst jenen schenken, die mich am besten zu bewundern wissen ... Schwachkopf, zucke nicht mit den Achseln. Meine Idee ist besser als die mit dieser lächerlichen Unfehlbarkeit, die meinen Vater so in Rage gebracht hat. Ansonsten macht’s wie ich – macht was ihr wollt mit meiner Kirche“.
„Herr, wendet Euren Blick nicht von Eurer Kirche ab, spottet nicht über das Leid Eures Dieners!“
„Alter, ich bin so ernst wie ein Kellner, der die Rechnung präsentiert. Ein für alle Mal – soll meine Kirche zum Teufel gehen. Ich mag mir nicht mehr den Kopf darüber zerbrechen. Ich habe schon genug mit meinen Geliebten am Hals. Alleine die heilige Theresa [18] könnte Männer vom Schlag eines Herkules fertigmachen – die ist eine richtige Messalina! [19] Geh doch zu meinem Vater!“
„Gott hat mich verflucht!“
„Dann bist Du ganz schön reingefallen! Schau nicht so wütend, das verdirbt mir die Verdauung. Was soll ich denn für Dich machen?“
„Kommt mit mir zu Erde!“
„Sei nicht verrückt! Ich, zurück zur Erde ... Ich habe für alle Ewigkeit genug von den Menschen. Schau, da drüben ist der heilige Geist. Der hat sich gute Erinnerungen an da unten bewahrt, vielleicht begleitet er Dich.“
Nonchalant näherte sich die Jungfrau Maria. Sie trug ein langes, blaues Gewand ohne Gürtel.
Eine weiße Taube, der heilige Geist, saß auf ihrer Schulter, gurrte und rieb verliebt seine Wangen an ihren Nacken.
Hinter ihr ging der heilige Josef. Zwei verästelte Hörner zierten seine Stirn. Am Anfang betrübten die Hörner den guten Josef. Aber seine getreue Lebensgefährtin riet ihm, einen jungen Doktor aufzusuchen, der ihn beruhigte. Er erfuhr, daß die Hörner eine gewisse Überlegenheit ausdrückten. Er lernte sie lieben, als er feststellte, daß Marias Aufmerksamkeit ihm gegenüber zunahm, je größer die Hörner wurden. Schließlich betrachtete er sie als die wertvollste Sache des Paradieses.
Der Papst schmunzelte über diese flotten Dreier.
„Heilige Jungfrau, Mutter“, sprach Jesus, „bring’ uns den heiligen Geist, meinen leiblichen Vater. – Und Du, Täubchen, das Du in der Familie für den Geist zuständig bist, berate Pius IX.“
„Wenn’s um Geist geht – davon habe ich einen 95-Prozentigen. Kein Wein, aber göttlich, und außerdem ...“ [20]
„Muß jetzt Schluß sein“, unterbrach der Papst ungeduldig.
„Niemals. Ich mache 60 Wortspiele pro Stunde, 1.440 am Tag. Man muß die Frechheit eines Polizisten haben, um meine Göttlichkeit zu leugnen.“ [21]
Maria genoß die Worte ihrer Taube, der Papst aber stieß zwischen den Zähnen hervor:
„Was für eine Familie – der gescheiteste von ihnen ist ein Vogel. [22] Wenn die Menschheit durch einen unglücklichen Zufall erfahren würde, was sich im Himmel abspielt ... Welch eine Ansammlung von Idioten!“
„Pius IX. schlägt mir vor, zur Erde zurückzukehren“, erklärte Jesus. „Wenn sie mich dort jemals wieder schnappen sollten, müßte ich meinen Harem entlassen, meinen Esprit verbergen und heiraten ... Aber Du hast den Menschen [23] nichts vorzuwerfen, und den Frauen schon gar nicht. Du könntest doch die Wünsche des armen Alten erfüllen. Du kannst fliegen – zur Not kannst Du Dich mit Deinen Flügeln aus der Verlegenheit ziehen.“
„Pius, Du Spitzbube, Du steckst in der Klemme, und Du möchtest mit mir einen Berg der Frömmigkeit erklimmen, um die Gläubigen zu täuschen. Du möchtest die Taube in einen Specht verwandeln, alter Würger?“ [24]
Ohne auf die verliebten Blicke Marias zu achten plusterte sich die heilige Taube stolz auf und sträubte die Schwanzfedern.
„Also gut, ich bin bereit, zur Erde hinabzusteigen, aber zuerst lege ich mein Glaubensbekenntnis ab.“
Der heilige Geist ließ sich auf einem der Hörner Josefs nieder und sprach, nachdem er sich ausgiebig geräuspert hatte:
„Ich bin Mitglied der Dreifaltigkeit. Aber ich bin weder so verknöchert wie Gott, noch so geistlos wie mein Sohn Jesus. Im Angesicht des Paradieses erkläre ich: Ich bin für den fortschreitenden Fortschritt, für die vollkommene Vervollkommnung der Menschen und Götter. Ich bin für die Eisenbahn. Ich verurteile die von majestätischen Ochsen gezogenen Karren ebenso wie die Akademiker. Ich bin für das elektrische Licht, und ich verurteile stinkende Kerzen. Ich bin für englische Rasiermesser, die rasieren, ohne zu kratzen. Ich bin für die Internationale, den Kommunismus ... Ah! Aber nein – meine Zunge ist gespalten ... Sie verstehen, wenn man so von Ideen übersprudelt, verwirrt sich die Sprache und man gerät in die Bredouille. Ich fahre also fort: Ich bin für Christoph Columbus. Ich bin für die föderative, libertäre, parlamentarisch, dezentralisierte Republik. Wenn man es genau betrachtet, ist die Dreifaltigkeit eine föderative Republik, sie ist egalitär, das Ideal der Republik. Folgen Sie meinem Gedankengang: Jesus, obschon dumm, ist Gott; Gott, obschon wütend, ist Gott; ich, obschon der reine Geist, bin Gott – alle Götter sind gleich und föderativ miteinander verbunden. Also ...“
„Aber das ist unanständig, daß eine Taube solche Ungeheuerlichkeiten von sich gibt!“ rief der Papst aus.
„Teurer heiliger Geist“, sprach Josef, „wenn Du zur Erde hinabsteigst, wer tröstet dann meine untröstliche Gattin? Wer leistet ihr in ihren schlaflosen Nächten Gesellschaft, wenn sie mein Bett verläßt um zu weinen und zu beten?“
„Maria hat den jungen Doktor, der auch Dich tröstete, guter Josef. er wird sie mit seinem hörnenden Saft beruhigen [25]. Kümmere Dich gut um Deine Frau, sie wird bald Mutter!“
„Schon wieder Mutter!“ schrie joseph. „Aber diesmal erkenne ich den Balg nicht an. Ich habe genug, für die Kinder meiner Frau den Vater spielen zu dürfen. Maria weist meine Zärtlichkeiten zurück um ihre Jungfräulichkeit zu bewahren und wirft trotzdem mehr Jungen als ein Karnickel!“
„Josef, reg’ Dich doch nicht wegen so einer Kleinigkeit auf. Was schadet Dir ein Kind mehr, wenn ich ohnehin den Haushalt unterhalte und Dir bei jeder Entbindung Deiner besseren Hälfte eine Rente aussetze? Ich, der heilige Geist, habe Maria geschwängert. Aber sie ist Jungfrau geblieben, auch wenn sie ein bißchen schwanger ist, und sie wird es auch nach der Entbindung sein. [26] Das ist ein Mysterium, das über Deinen Verstand geht. Vielleicht kannst Du darin eindringen, wenn Deine Hörner länger als zehn Meter sind. Also los, marsch marsch! Ein heiliges Feuer erfüllt meine Brust. Ich möchte die Menschen bekehren, ihnen die Liebe zur Freiheit, zum Freihandel und dem zinsenlosen Kredit einhauchen und ihnen die Verwendung des Kondoms [27] beibringen“.
„Man sollte dieses Vieh knebeln“, murmelte der Papst. „Einstweilen stopfe ich mir Watte in die Ohren“. Maria weinte, Josef lachte – er spürte, wie seine Hörner wuchsen. Der heilige Vater und der heilige Geist kamen zur Tür des Paradieses.
„Wohin gehst Du, heiliger Geist?“ fragte Sqankt Peter.
„Zur Erde.“
„Du bist tapfer. Die Jagdsaison hat gerade begonnen. Könnte sein, das man Dir eine Schrotladung in den Podex pfeffert“.
„Sapperlot – sapperlot – das ist richtig. Unfehlbarer Papst“, setzte er im ernstesten Tonfall fort, „ich habe große Aufgaben zu erfüllen. Als einfache Taube kann ich mein Leben nicht so gefährden. Diesen Ungläubigen ist nichts so heilig wie ihr Bauch. Ich traue ihnen zu, daß sie mich abschießen, rupfen und in die Pfanne werfen. Was würde aus der Dreifaltigkeit ohne mich, ihre Intelligenz, wenn ich in Butter schmoren würde? Und die unglückliche Jungfrau Maria! Alter, die heiligen öffentlichen Pflichten fesseln mich an die Gestade des Paradieses. Welch Unglück – ich hätte so gern unter den Menschen die Ideen der kommunalen Autonomie und der parlamentarischen und malthusianischen Republik [28] gesät. Adieu!“
Und die Taube flog mit ausgebreiteten Flügeln davon.
„Wer zum Teufel bist Du eigentlich?“ wollte der portier wissen.
„Petrus, ich bin Dein Nachfolger, kannst Du nichts für mich tun?“
„Du bist Pius IX, der Dieb? Du bist das, der meinen Namen benutzt, um sich eine fette Rente zu machen? Du steckst den Petrusgroschen ein und gibst mir keinen roten Heller? Raus, Kanaille!“ und mit einem Fußtritt beförderte Sankt Petrus den heiligen Vater zur Erde zurück.
In einem Saal im Vatikan unterhielten sich zwei Greise, der eine rot, der andere weiß gekleidet. Der Alte in Weiß ächzte und schluchzte. Der Greis in Rot schrie, außer sich vor Wut:
„Unsere Herrschaft ist zu Ende. Verflucht seien die Menschen!“ Eine machtvolle Stimme erfüllte die Luft. Es war die Stimme Pans [29], die Stimme der Natur. sie sprach: „Der Himmel ist leer!“
1. * Text folgt der unter dem Titel Pie IX au paradis in der Egalité ab Nr.14/12. März 1882 veröffentlichten Version (Reprint in Pamphlet socialistes par paul Lafargue, Paris 1900, 9ff./siehe auch dazu Guesde an Paul Lafargue am 1.3.1892; in Claus Willard (Hrsg.), Le naissance du parti Ouvrier français – Correspondance inédite de Paul Lafargue, Jules guesde u.a., Paris 1981. Die (kürzere) spanische Ur-Fassung wurde unter dem Titel Pio IX en el paraiso in der Zeitschrift, La Emancipación, 27. April, 11. und 25. Mai 1872, publiziert. Übersetzer: Kurt Lhotzky. Deutschsprachige Erstveröffentlichung.
2. * Unmittelbarer Anlaß für diese Satire war die Verkündigung der unfehlbaren Lehrautorität auf dem ersten vatikanischen Konzil (1870) und die Besetzung des Kirchen-Staates durch italienische Truppen im September des selben Jahres. Pio Nono erklärte sich daraufhin zum Gefangenen. Er starb 1878, nachdem er alle Urheber und Teilnehmer der „Usurpation“ exkommuniziert und vergeblich in deutschland für einen „Kreuzzug über die Alpen“ zur Wiederherstellung seiner Souveränität aufgerufen hatte. Die französische Neuveröffentlichung muß vor dem Hintergrund der Überführung seines Leichnams „aus Sankt Peter in die Kirche San Lorenzo fuori le mura, in der Nacht zum 13. Juli 1881“ gesehen werden, bei der die Römer „auf der Tiberbrücke vor der Engelsburg den Sarg unter schlimmsten Schimpfexzessen in den Fluß werfen wollten“ (Karlheinz Deschner, Ein Jahrhundert heilsgeschichte, Köln 1982, 36). Lafargue erklärte dazu: „Pius IX. hatte geglaubt, der Kirche ihre beherrschende Funktion durch eine unversöhnliche Politik wiedergeben zu können; er erklärte der modernen Gesellschaft, den öffentlichen Gewalten und dem Geist des Jahrhunderts den Krieg“ (Die Demagogie des französischen Klerus, in Arbeiter-Zeitung, 12. September 1896).
3. * Gregor VII. (1073-1085) setzte den päpstlichen Machtanspruch in- und außerhalb der Kirche durch: Zu diesem Zweck führte er den Zölibat ein, verbot die Laieninvestitur und belegte Kaiser Heinrich VI. mit dem Kirchenbann, von dem er sich erst durch den Canossagang befreien konnte.
4. * Im französischen Original: «[...] a réuni en un seul faisceau los intérêts des classes règnantes [...]». Das Wort „faisceau“ leitet sich vom populär-lateinischen „fascellus“ ab.
5. * 1815 geschlossenen Bündnis der Monarchen Rußlands, Österreichs und Preußens, die aus ihrem Gottesgnadentum „gemäß den Worten der Heiligen Schrift“ das Interventionsrecht gegen alle nationalen und liberalen Bestrebungen ableiteten.
6. * Vier Jahre nach der Verkündung des Dogmas von der unbefleckten Empfängnis Marias erschien am 11. Februar 1858 Bernadette Soubirous angeblich die Maria immaculata in der Grotte von Lourdes. Nach dem Krieg 1870/71 wurden die Wallfahrten in den Pyrenäenort zu Demonstrationen der chauvinistischen Vergeltungsidee, 1875 wurde die Muttergottes von Lourdes auch offiziell zur „Schutzpatronin der Revanche“ erklärt.
7. * Nach dem Gewohnheitsrecht vieler mittelalterlicher Zünfte war der Montag arbeitsfrei.
8. * Don Quichote erklärt dem Wirten, „er habe keinen Pfennig in der Tasche, denn er habe nie in den Geschichten der fahrenden Ritter gelesen, daß irgendeiner Geld mitgenommen hätte. Darauf versetzt der Wirt, er sei im Irrtum; denn zugegeben, daß es in diesen Geschichten nicht geschrieben stehe, weil deren Verfasser meinten, es sei unnötig, so selbstverständliche Dinge, die bei sich zu haben so unerläßlich sei, wie Geld und reine Hemden, ausdrücklich zu erwähnen, so müsse man darum nicht glauben, daß sie dieselben nicht bei sich führten“ (Miguel Cervantes de Saavedra, Der sinnliche Junker Don Quijote von der Mancha, München 1956, I, 1, 35).
9. * Dive Bouteille ist in François Rabelais’ Werk Gargantua und Pantagruel jenes mysteriöses Orakel, das Gargantuas Freund, der Mönch Panurge aufsucht, um die Frage beantwortet zu bekommen, ob er heiraten soll. Im Fünften Buch finden die Helden die göttliche Bouteille, die Panurges Frage mit dem deutschen Wort „Trinch [Trinke]“ quittiert.
10. * Französischer König (1364-1380), der die Engländer durch Kleinkriegsführung aus dem Norden des Landes vertrieb.
11. * Absolutistischer „Sonnenkönig“ (1661-1715), der die Ausdehnung des französischen Staatsgebietes bis an den rhein und die Hegemonie über Europa anstrebte.
12. * Der Aufklärer Francois Marie Voltaire (1694-1778) bekämpften den Aberglauben der Kirchen aller Konfessionen, war aber von der Notwendigkeit einer Vernunftreligion überzeugt.
13. * Wie viele seiner Zeitgenossen unterschätzte Lafargue die barbarischen Konsequenzen des vulgären Judenhasses. Trotzdem war er kein Antisemit, da seine Kritik auf die Befreiung auch der Juden von ihrer Rolle im Kapitalismus zielte.
14. * Einsiedler, Begründer des Mönchtums (?-356).
15. * Gemeint ist wahrscheinlich die Soubrette Melanie Emilie Rachel (1836-1909).
16. * Maria Magdalena ist eine jener galiläischen Frauen, die Jesus nachfolgen und unterstützen (Lk. 8,2). Sie ist Augenzeugin seiner Kreuzigung (Mk. 15, 40 u. 47). Ihr erscheint der Auferstandene am Ostermorgen (Joh. 20, 11-18). Sie ist die Schutzpatronin der Büßerinnen und Prostituierten. – Luther zog aus dieser „Geschichte den Schluß, Jesus habe wahrscheinlich selbst mit Maria Magdalena (von den Katharern für seine Frau oder Konkubine gehalten) und anderen die Ehe gebrochen, um ganz der menschlichen Natur teilhaft zu sein“ (Karlheinz Deschner, Das Kreuz mit der Kirche, Düsseldorf-Wien 1973, 62).
17. * Titel-Verzeichnis der von der katholischen Kirche verdammten religiösen, philosophischen und politischen Lehren (1864 und 1907 veröffentlicht).
18. * Die Theresia von Avila (1515-1582) war die ersten 40 Jahre ihres Lebens ein „böses Weib“, die „Schlimmste unter den Schlimmen“ bis sie einen Beichtvater fand, mit dem sie „einen häufigen wechselseitigen Verkehr“ pflegte. „Allerdings starb der Mönch, den [...] Strapazen offenbar nicht gewachsen, schon ein Jahr darauf“ und Theresia erging sich in mystischen Schwärmereien für Jesus, die voller sexueller Metaphern sind (Karlheinz Deschner, a.a.O. [Anm.16], 113ff.).
19. * Valerie Messalina (25-48) war die für ihre Ausschweifungen bekannte Gattin des römischen Kaiser Claudius.
20. * Im französischen Original ein Wortspiel: Pas de vin, mais divin.
21. * Im französischen Original: Faut avoir le toupet d’un commissaire – toupet kann sowohl Perücke als auch Frechheit bedeuten.
22. * Im französischen Original: un oison (Gänschen); gleich ausgesprochen wird: un oiseau – ein Vogel.
23. * Im französischen Original: hommes – kann sowohl für Menschen als auch für Männer stehen.
24. * Der Würger ist ein Vogel. Im Original: «Tu voudrais monter avec moi un mont-de-pi-èté pour écorcher pi-eusement les croyants pi-eux; tu veux donc me métamorphoser en Pie voleuse, vieux Pie-grièche?»
25. * Im französischen Original: «Il la calmera avec du jus cocufiant.»
26. * Pius IX. erklärte 1854 in seiner Bulle Ineffabilis Deus: „Die Lehre, daß die allerseligste Jungsfrau Maria im ersten Augenblick ihrer Empfängnis durch einzigartiges Gnadengeschenk und Vorrechte des allmächtigen Gottes, im Hinblick auf die Verdienste Christi Jesu, Erlöser des Menschengeschlechtes, von jedem Fehler der Erbsünde rein bewahrt blieb, ist von Gott geoffenbart und deshalb von allen Gläubigen fest und standhaft zu glauben.“
27. * Im französischen Original: «[...] l’usage des imperméables anglais», was auch: englischer Gummiregenmäntel bedeuten könnte.
28. * In einer Replik auf anarchistisch-rationalistische Utopien erklärte Thomas Robert Malthus (1766-1834), daß nur der Eigennutz im institutionellen Rahmen von Privateigentum, Ehe und klaren Klassengrenzen das explosive Bevölkerungswachstum und die damit verbundene komplette Auflösung der Gesellschaftsordnung verhindern könne.
29. * In der griechischen Mythologie bockfüßiger Hirtengott, der sich lüstern und verspielt den Nymphen zugesellt.
Zuletzt aktualisiert am 23.8.2003