Karl Kautsky

Die Folgen des japanischen Sieges
und die Sozialdemokratie

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1. Eine Revolution in Russland


Die neue Zeit, 23 Jg. 2 Bd. (5. Juli 1905), H. 41, S. 460–465.
Quelle: Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung.


Noch ist der Friede nicht geschlossen, noch schlagen die Völker tief unten in der Mandschurei aufeinander los, aber dennoch darf man den Sieg Japans heute schon als endgültig ansehen. Es kann sich nur noch darum handeln, wie groß der Siegespreis sein wird, der ihm zufällt, eine Frage, sehr wichtig für die Japaner und namentlich ihre herrschenden Klassen, aber von relativ untergeordneter Bedeutung für das internationale Proletariat.

Wie immer aber dieser Preis des japanischen Sieges ausfallen mag, auf jeden Fall muss er Konsequenzen für den proletarischen Emanzipationskampf nach sich ziehen, deren Bedeutung heute schon kaum überschätzt werden kann.

Vor allem, das ist ja das Nächstliegende und am meisten Auffallende, hat dieser Sieg den russischen Absolutismus so sehr ins Wanken gebracht. dass es für diesen unmöglich wird, wieder ins Gleichgewicht zu kommen. Man könnte sagen, die Theorie der Katastrophen und Zusammenbrüche feierte hier ihre schönsten Triumphe, wenn es eine solche Theorie gegeben hätte. Aber man darf sich durch die Begeisterung über diesen Zusammenbruch nicht verführen lassen, zu vergessen, dass er unmöglich wäre, ohne die unermüdliche langsame und unbemerkte Arbeit der Aushöhlung des Absolutismus, die jahrzehntelang vorhergegangen.

Nichts ist weniger berechtigt als das Trennen von unmerklicher Evolution und stürmischer Revolution, von Aushöhlung und Zusammenbruch. Beide gehören vielmehr notwendigerweise zusammen. Ohne Aushöhlung kein Zusammenbruch. Man darf nicht glauben, die Siege der Japaner allein verschuldeten die Katastrophe des russischen Absolutismus. Viele absolutistische Regierungen haben Unglück im Kriege gehabt und schmähliche Friedensbedingungen sich gefallen lassen müssen, ohne dass sie darüber zusammengebrochen wären. Nur die in langwieriger Aufklärungs- und Organisationsarbeit geschaffene Armee des kämpfenden Proletariats in Russland vermochte dessen Niederlagen zu einer Katastrophe des Absolutismus zu gestalten.

Gibt es aber ohne Aushöhlung keinen Zusammenbruch, so auch ohne Zusammenbruch keinen Sieg der aushöhlenden Klasse. Nur in einer gewaltigen Kraftprobe kann zutage treten, wie morsch die Stützen der herrschenden Klassen geworden sind, wie unfähig, den Stößen der aufstrebenden Klassen Widerstand zu leisten. Die stärkste Kraftprobe, die ein Regime auszuhalten hat, ist aber ein Krieg. Mit ehernem Besen fegt er hinweg, was aufgehört hat, lebensfähig zu sein. Es ist ein Unsinn, ihn, namentlich bei der modernen Waffentechnik, für ein Mittel der Auslese der tüchtigsten Individuen oder gar der Züchtung besonders erhabener moralischer Triebe zu erklären. Aber er bildet zweifelsohne in einer Gesellschaftsordnung, die auf Klassengegensätzen ausgebaut ist, ein machtvolles Mittel, gesellschaftliche und staatliche Formen aus dem Wege räumen zu helfen, die sich überlebt haben und kraftvollen aussteigenden Klassen die freie Entwicklung versperren. Insofern kann ein Krieg ein Mittel sein, das der sozialen Entwicklung dient, und unter den Kriegen, die eine solche Wirkung übten, verdient der russisch-japanische in erster Linie genannt zu werden.

Welches werden aber nun die nächsten Konsequenzen des Krieges für Russland sein?

Wir dürfen nicht den Illusionen der bürgerlichen Demokratie anheimfallen, die, blind für die Klassengegensätze, glaubt, das einzige, dessen ein absolutistischer Staat bedürfe, sei politische Freiheit, und mit deren Erringung habe die Revolution zu schließen. Noch ist die politische Freiheit nicht errungen, und schon sondern sich die Wege der Liberalen und der Sozialdemokraten. Mit Recht hat die Genossin Luxemburg jüngst in der Sächsischen Arbeiterzeitung auf den offenen Brief hingewiesen, den der Exmarxist Struve, heute ein echter Liberaler, an Jaurès gerichtet. Das Kennzeichnende dieses Briefes ist das Verlangen nach einer starken Regierung, die Ordnung schafft. Der größte Vorwurf, den er der Autokratie zu machen weiß, ist der Hinweis darauf, dass diese nicht mehr imstande sei, die Volksmassen zu bändigen, so dass sie die Anarchie überhandnehmen lasse. Die Furcht vor der „Anarchie“, das heißt vor der Erhebung der unteren Volksklassen, wird immer mehr der hervorstechendste Charakterzug der russischen Liberalen; dabei sind aber vielfach äußerlich Liberale und Sozialisten in Russland bisher so wenig scharf getrennt gewesen, das heißt haben sich russische Liberale so sehr als Sozialisten gefühlt, dass diese Furcht vor der Anarchie selbst in den sozialistischen Reihen hier und da einen Widerhall fand. [1]

Die Liberalen mögen nach einer starken Regierung schreien und dem zu wehrenden Chaos mit angstvoller Beklemmung entgegensehen, das revolutionäre Proletariat hat alle Ursache, es mit hochgespannten Hoffnungen zu begrüßen. Dies „Chaos“, das ist nichts anderes als die Revolution in Permanenz. Die Revolution ist aber unter den heutigen Verhältnissen jener Zustand, in dem das Proletariat am raschesten reift, am vollkommensten seine intellektuellen, moralischen, ökonomischen Kräfte entwickelt, dem Staate und der Gesellschaft am tiefsten seinen Stempel aufprägt und die meisten Konzessionen von ihnen erringt. Kann auch diese dominierende Position des Proletariats in einem ökonomisch so rückständigen Lande wie Russland nur eine vorübergehende sein, sie schafft Resultate, die sich nicht wieder beseitigen lassen, und zwar um so größere und tiefer gehende, je länger sie dauert.

Bis heute wirken in Frankreich die Ereignisse der großen Revolution nach. Wenn das Proletariat trotz der relativen Schwäche der sozialistischen Organisationen in Frankreich mehr Macht ausübt als in Deutschland mit seinen drei Millionen sozialistischer Wähler, so ist das ganz und gar nicht der ministerialistischen Taktik und nur sehr wenig den demokratischen Formen der bürgerlichen Republik, wohl aber den revolutionären Instinkten zu verdanken, die bis in unsere Zeit aus den Tagen der Jakobinerherrschaft nachwirken. Wäre es nach dem Willen der Liberalen von Anno dazumal gegangen und hätte die Revolution mit der Umwandlung der Generalstände in eine Nationalversammlung aufgehört, um einem Regime gesetzlicher Ordnung Platz zu machen, kurz, wäre die Revolution eine nach bürgerlichen Begriffen so „schöne“ geblieben, wie es die von Schiller im Tell verherrlichte war und heute zur Befriedigung aller Gutgesinnten die der Norweger ist; hätte sich die französische Revolution nicht durch die „Schreckensherrschaft“ „befleckt“, dann wären die unteren Klassen Frankreichs politisch ganz unreif und machtlos geblieben, wir hätten kein 1848 erlebt, der Emanzipationskampf des französischen und damit der des internationalen Proletariats wäre unendlich verlangsamt worden.

Die Revolution in Permanenz ist also gerade dasjenige, was das Proletariat in Russland braucht. Heute schon hat sie es, namentlich in Polen, ungemein gereift und gestärkt. Einige Jahre Dauer werden es zu einer Elitetruppe, vielleicht zu der Elitetruppe, des internationalen Proletariats machen, einer Truppe, die mit allem Feuer der Jugend die Erfahrungen einer Praxis weltgeschichtlicher Kämpfe und die Kraft einer den Staat beherrschenden Macht vereinigt.

Wir haben aber alle Ursache, zu erwarten, dass es zur Revolution in Permanenz oder, um bürgerlich zu reden, zum Chaos, zur Anarchie kommt und nicht zu der starken Regierung, die Herr Struve und seine liberalen Freunde herbeisehnen. Selbst unter den Sozialisten gab es einige, die betrübt darüber waren, dass Nikolaus nicht der Revolution durch rechtzeitige Konzessionen entgegenkam oder am 22. Januar durch die Gaponsche Bewegung dazu gezwungen wurde. Aber gerade dieser rasche Sieg der Revolution hätte nur einer starken Regierung des Liberalismus die Wege geebnet. Die Fortdauer der Autokratie dagegen bedeutet die Eröffnung der Revolution in Permanenz. Nichts wirkt revolutionärer, nichts untergräbt mehr die Fundamente aller Staatsgewalt als die Fortdauer dieses erbärmlichen und hirnlosen Regimes, das gerade noch die Kraft hat, sich an seine Ämter zu klammern, aber nicht die mindeste Kraft mehr, zu regieren, das Staatsschiff in einem bestimmten Kurse zu steuern. Die Autokratie hat eben noch die Kraft, den Abschluss des Friedens zu verhindern, aber nicht mehr die Kraft, siegreich Krieg zu führen. Eben noch die Kraft, eine liberale Regierung hintan zu halten, nicht aber die Kraft, der Selbsttätigkeit des Volkes noch Schranken zu sehen. Die Autokratie wird selbst zu einer Quelle der Anarchie, indem sie in ihrer Verzweiflung, um sich zu behaupten, Bürgerkriege entfesselt, in den Städten das Lumpenproletariat aufhetzt, im Kaukasus die Mohammedaner, seine wildesten und unbotmäßigsten Insassen. Sie hofft mit diesen Werkzeugen ihre Gegner niederschlagen zu können und merkt nicht, dass sie damit nur die Revolutionäre anstachelt, gleichzeitig aber auch die friedlichsten und zahmsten Bürger in das Lager ihrer Gegner treibt. Derartige Methoden der Konterrevolution haben stets nur dazu gedient, die Revolution entschiedener und kraftvoller zu machen, die rücksichtslosesten unter den Revolutionären immer mehr in den Vordergrund zu drängen. Ohne die Erhebungen in der Vendée, die im März 1793 begannen, hätte die Bergpartei vielleicht nie die Kraft erhalten, die Gironde zu stürzen (Juni 1793) und das System des kleinbürgerlich-proletarischen Schreckens zum Siege zu führen.

Je länger es der Autokratie gelingt, den Frieden nach außen, eine liberale Regierung nach innen zu verhindern, desto furchtbarer muss ihr schließlicher Zusammenbruch werden, desto gründlicher die Auslösung aller Regierungsgewalt. Und wir dürfen überzeugt sein, dass der Zar und seine Leute alles aufbieten werden, was sie können, das ganze russische Volk in die wildeste Revolution hinein zu peitschen. Das ist ihre historische Mission geworden, und alles deutet darauf hin dass sie sie erfüllen werden.

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Nachschrift. Eben, wie diese Zeilen in die Druckerei wandern sollen, kommt mir ein Artikel der Wiener Arbeiterzeitung zu Gesicht. der mich zu einigen Bemerkungen veranlasst. Unser Wiener Bruderorgan schenkt seit langem den russischen Dingen besondere Aufmerksamkeit und liefert über sie oft wertvolle Informationen. Sie ist auch wie keine andere Tageszeitung durch ihre ganze Situation dazu berufen, der proletarischen Bewegung deutscher Zunge das Verständnis der slawischen zu vermitteln. Um so peinlicher wirkt eine gelegentliche Entgleisung.

Jenes famose Ereignis, durch das die Schwarzmeerflotte in eine rote Meerflotte verwandelt zu werden drohte, hatte den offiziellen und offiziösen Telegraphen zu besonderer Verlogenheit angestachelt. Gar manche Zeitung fiel auf seine Nachricht herein, die Besatzung des „Knjäs Potemkin“ habe ohne den Versuch einer Gegenwehr kapituliert, unter diesen Zeitungen befand sich auch die Wiener Arbeiterzeitung. Das wäre nicht so schlimm, das kann einer jeden Zeitung passieren, die auf Fixigkeit etwas hält. Schlimmer aber ist es, dass es dem Lügentelegramm trotz der kurzen Beine, die Lügen bekanntlich haben, gelang, der Arbeiterzeitung ein Bein zu stellen und sie zum Stolpern zu bringen. Die Nachricht von der Kapitulation der Meuterer veranlasste sie zu folgendem Kommentar:

„Ein Trotz, der sich zur vermessensten Tat auflehnt, und am nächsten Tage Ergebung, Unterwerfung – feige, traurige Auslieferung an den Henker! Das ist die ‚breite, russische Seele‘, die Brutalität und frauenzartes Mitleid in einem Sacke hat. das ist das slawische Schwanken von jähen Äußerungen gewaltiger Kraft zur Erschlaffung in erbärmlicher Schwäche, jenes Umkippen der Empfindungen, das uns im Roman die Tiefen der menschlichen Seele enthüllt und beim Zusammentreffen im Leben so fremd und wunderlich anmutet.“ (Nummer vom 2. Juli.)

In der Tat, wenn uns etwas „fremd und wunderlich anmutet“, so sind es diese Worte, die, wenn ich nach mir schließen darf, auf jeden Freund der russischen Revolution einen beklemmenden Eindruck machen müssen. Es wäre lebhaft zu wünschen, dass die Redaktion der Arbeiterzeitung Veranlassung nähme, sie als einen individuellen Lapsus zu desavouieren und diese ungeheuerliche Auffassung nicht als die eines der vornehmsten publizistischen Organe der Sozialdemokratie deutscher Zunge gelten zu lassen.

Ganz abgesehen davon, dass diese Sätze nach der modernen, ebenso widersozialistischen wie unsinnigen Rassentheoretik riechen, dass sie einen slawischen Gesamtcharakter konstruieren, wo es kaum eine Völkergruppe gibt. die so verschiedenartige Elemente umfasst, wie die slawische; ganz abgesehen davon, dass jeder Slawe nur zu leicht aus diesen Worten einen deutschvölkischen Hochmut heraus wittern kann – welche Prognose stellte die Arbeiterzeitung der russischen Revolution, wenn die zitierten Worte ihre wirkliche Anschauung aussprächen? Müssten wir nicht darauf gefasst sein, dass die revolutionäre Bewegung der „russischen Seele“ morgen ebenso unvermittelt zusammenbricht, ohne eine Spur zu hinterlassen, wie ihrer Ansicht nach die Besatzung des Potemkin feig und traurig sich unterwarf?

Zum Glücke sind die fraglichen Bemerkungen über die russische und slawische „Seele“ nichts als belletristische Redensarten, aus Romanen geschöpft, die uns angeblich die „Tiefen der menschlichen Seele enthüllen“. Wer sich geschichtlich mit dem russischen Volke beschäftigt hat. der erstaunt nicht über seine Wankelmütigkeit, sein „slawisches Schwanken“, sondern vielmehr über seine Hartnäckigkeit und Zähigkeit, die auch den russischen Soldaten seit jeher kennzeichnen, wie sie zum Beispiel Friedrich der Große und Napoleon zu empfinden bekamen. Diese Eigenschaft beruht indes ebenfalls nicht auf irgend einer mystischen Eigenart der „slawischen Seele“, sondern auf der russischen Produktionsweise. Der Ackerbau beherrschte sie bisher fast vollständig, und der erzeugt überall schwerfällige, aber auch zähe und hartnäckige Naturen.

Das Schwanken zwischen unvermittelten Extremen, zwischen „gewaltiger Kraft“ und „erbärmlicher Schwäche“, jenes „Umkippen der Empfindung“ von „himmelhoch jauchzend“ bis „zum Tode betrübt“, ist das Kennzeichnen nicht der Bauern, sondern von Berufen, die die Nervosität entwickeln, findet sich also namentlich bei den Intellektuellen der Großstädte. Es tritt im engen Raume der meisten westeuropäischen Redaktionen viel stärker zutage, als in der „breiten russischen Seele“.

Da aber die Russen ebenfalls eine Klasse der Intelligenz haben, so ist diese psychische Eigentümlichkeit auch bei ihnen zu finden und vielleicht noch ausgeprägter als in Westeuropa, nicht wegen ihrer slawischen Rasseneigentümlichkeiten, sondern wegen ihrer historischen Position. Wir finden viele Hamlets unter den russischen Intellektuellen, weil ihnen wie Hamlet eine Aufgabe zuteil wurde, die ihre Kräfte überstieg:

„Die Zeit ist aus den Fugen, Schmach und Gram,
Dass ich zur Welt, sie einzurichten kam.“

Ihnen, der kleinen machtlosen Schar von Gebildeten, fiel die Aufgabe zu, dem Herrn des größten Weltreichs, der stärksten Armee, der unterwürfigsten Bürokratie, diesem Koloss, vor dem alle Reiche sich beugten, den Krieg zu erklären. Kein Wunder, dass bei vielen von ihnen ihre Empfindungen leicht umkippten, dass sie sich heute an der Riesengroße ihrer Aufgabe bis zu den Wolken erhoben, um morgen unter ihrer Riesenlast im Staube zermalmt zu werden.

Derartige Intellektuelle im Ausland aber sind es, die dem Westeuropäer am meisten auffallen und dann als der Typus des Russen überhaupt erscheinen, derartige Intellektuelle sind es aber auch, die uns vielfach die Kenntnis der russischen „Volksseele“ vermitteln, welche in einem solchen Spiegel natürlich ebenso schwankt wie er selbst, die in ihm einmal als Ausbund aller Tugenden und aller Heldengröße, und dann wieder als stumpfes Tier und unterwürfiger Sklave erscheint. Auch jetzt wieder sind es solche Intellektuelle, die vielfach noch der eigenen Revolution mit den gemischtesten Gefühlen zusehen, ihr heute als dem Erlöser zu jauchzen und sie morgen als eine grauenhafte Götterdämmerung aller Kultur beweinen.

Aber die Revolution als Selbsttätigkeit der Proletarier und Bauern Russlands geht inzwischen ihren Weg und lässt die Leute schwätzen – getreu dem Grundsatz, den schon Dante ausgesprochen und Marx sich zum Motto gewählt. Noch nie gab es eine Revolution, die sich so aufgerichtet hätte durch die Hartnäckigkeit der Revolutionäre, durch solche Abwesenheit von Schwanken und Wankelmütigkeit wie die russische. Die westeuropäischen, die von 1789 bis 1871 in den Großstädten sich abspielten, vollzogen jede ihrer entscheidenden Aktionen binnen wenigen Tagen, in denen sie nach kurzem Sturme entweder siegten oder unterlagen. Heute haben wir das unermüdliche Zu-Tode-Hetzen des Absolutismus aufgeführt. nicht durch die Bevölkerung einer einzigen Großstadt, sondern durch die eines ungeheuren Reiches. Schon seit einem halben Jahre geht die wilde Jagd, und kein Erschlaffen, kein Ermatten der Verfolger ist zu fühlen. Unzählige Mal niedergeworfen, erheben sie sich immer wieder mit vermehrter Kraft, zu immer wilderem Vorwärtsstürmen. Und gerade darin, in dieser Hartnäckigkeit und Zähigkeit. mit der sie das Wild des Absolutismus zum Verbluten bringen, liegt die Gewähr, dass die russische Revolution nicht vorzeitig zusammenklappen wird, dass der Sieg ihr sicher ist.

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Anmerkung

1. Stellenweise hat sie sogar die russische Politik des Vorwärts beeinflusst und ihm recht pessimistische Äußerungen über die russische Revolution entlockt. Ich hatte schon einmal Gelegenheit, eine solche Äußerung über drohende Bauernunruhen (im Vorwärts vom 10. Februar) in der Neuen Zeit zu beleuchten (Nr. 21 dieses Jahres. Eine ähnliche Stimmung sprach erst jüngst wieder aus dem Briefe seines Korrespondenten in Petersburg (20. Juni), der von „Pessimismus“ und „Müdigkeit“ überströmt und über das „Chaos“ jammert, „wo von Ordnung, Gesetz und zweckmäßiger Tätigkeit keine Spur ... dann werden die Gefühle müde, man hört beinahe auf zu hoffen, und ohne Hoffnung bleibt der politische Gedanke tot...“

Diese ganz unglaubliche Jeremiade veröffentlicht der Vorwärts ohne ein Wort des Kommentars – wenn man nicht einen Kommentar darin sehen will, dass er unmittelbar darunter die Nachricht von der Versammlung der rebellischen Offiziere bringt, eine Nachricht, die einem wirklichen Revolutionär alles andere einflößen musste als Pessimismus, Müdigkeit. Hoffnungslosigkeit.

Ganz anders und sehr erfrischend wirkt dagegen ein Brief aus Russland, den die Dortmunder Arbeiter-Zeitung veröffentlicht und der jubelt: „Es ist eine Lust zu leben.“ Der Korrespondent gibt ein herzerfreuendes Bild der unermüdlichen Arbeit des revolutionären Kampfes, der Organisation und Aufklärung der Proletariermassen, die von unseren Genossen jetzt in Russland geleistet wird.


Zuletzt aktualisiert am 21. Oktober 2024