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Mit der Anwendung der beiden eben betrachteten Methoden der Trusts auf die Produktion sind die ersten Aufgaben eines proletarischen Regimes in Bezug auf die Fortführung der Produktion noch nicht erschöpft. Der Produktionsprozess als sich erneuernder Vorgang, als Reproduktionsprozess, bedarf des ungestörten Fortgangs nicht bloß der Produktion, sondern auch der Zirkulation. Soll ohne Unterbrechung weiter produziert werden können, dann braucht man nicht bloß Arbeiter, die die Produkte schaffen, sondern es ist auch notwendig, dass in der Zufuhr der Rohstoffe, der Hilfsmaterialien (Kohle), der verbrauchten Werkzeuge und Maschinen, der Lebensmittel für die Arbeiter, keine Stockung eintritt und dass auch die fertigen Produkte Absatz finden.
Ein Stocken der Zirkulation bedeutet eine wirtschaftliche Krise. Sie stockt entweder, weil zu viel an manchen Waren produziert worden. In diesem Fall können die Arbeitsstätten, denen sie entstammen, nicht in vollem Maße weiter funktionieren, wegen mangelnden Absatzes ihrer Produkte. Sie erhalten kein Geld dafür, in Folge dessen fehlen ihnen die Mittel, neue Rohmaterialien zu kaufen, Löhne zu zahlen usw. Aber es können Krisen auch entstehen, weil zu wenig an manchen Waren produziert worden ist, wie es z. B. bei der Krisis der englischen Baumwollenindustrie der Fall war, die der Sezessionskrieg in den Vereinigten Staaten verursachte, da während desselben die Baumwollenproduktion stark zurückging.
Die Krisen sind die schlimmste Geißel der modernen Produktionsweise. Sie zu beseitigen, ist eine der wichtigsten Aufgaben eines proletarischen Regimes. Das kann aber nur geschehen durch planmäßige Regelung der Produktion und Zirkulation, also der Reproduktion.
Man bezeichnet gewöhnlich als die Aufgabe des Sozialismus die Organisierung der Produktion. Aber einen Teil dieser Ausgabe löst schon das Kapital, indem es an Stelle vieler von einander unabhängiger kleiner Betriebe die Organisation der Produktion in einem großen Betriebe setzt, der mitunter Tausende von Arbeitern enthält. Die Trusts gelangen so weit, den Betrieb ganzer Industriezweige zu organisieren. Was aber allein ein proletarisches Regime leisten kann, ist die planvolle Regelung der Zirkulation der Produkte, des Verkehrs zwischen Betrieb und Betrieb, zwischen Produzenten und Konsumenten, wobei der Begriff des Konsumenten im weitesten Sinne genommen ist, so dass er nicht nur den persönlichen, sondern auch den produktiven Konsum umfasst. Der Weber konsumiert z. B. Garn in produktivem Konsum, ein Stück Brot, das er verzehrt, verfällt dagegen dem persönlichen Konsum.
Das Proletariat allein kann diese Regelung der Zirkulation der Produkte durchführen durch Aufhebung des Privateigentums an den Betrieben, und es kann sie nicht bloß, es muss sie durchführen, soll der Produktionsprozess unter seiner Leitung weitergehen, soll also sein Regime Bestand haben. Es muss die Höhe der Produktion jeder einzelnen gesellschaftlichen Produktionsstätte auf Grundlage einer Berechnung der vorhandenen Produktivkräfte (Arbeiter und Produktionsmittel) und des vorhandenen Bedarfs festsetzen und dafür sorgen, dass einer jeden Arbeitsstätte nicht bloß die notwendigen Arbeiter, sondern auch die notwendigen Produktionsmittel zugeführt und die fertigen Produkte an die Konsumenten abgesetzt werden.
Ist aber diese Aufgabe nicht unlösbar in einem modernen Großstaat? Man stelle sich etwa in Deutschland den Staat vor als Leiter der Produktion von zwei Millionen Produktionsstätten und als Vermittler der Zirkulation ihrer Produkte, die sie teils einander als Produktionsmittel zuführen, teils als Konsumtionsmittel an 60 Millionen Konsumenten abzusetzen haben, von denen ein jeder besondere und wechselnde Bedürfnisse hat! Die Aufgabe erscheint erdrückend, wenn man nicht auch daran gehen will, die Bedürfnisse der Menschen von oben nach einer sehr einfachen Schablone zu regeln, sie möglichst zu reduzieren, und jedem kasernenmäßig seine Portion zuzuteilen, also das moderne Kulturleben auf eine viel tiefere Stufe herabzudrücken! Sollten wir etwa doch zum Kasernen- oder Zuchthausstaat kommen müssen?
Sicher, die Ausgabe ist nicht einfach. Sie ist die schwierigste unter jenen, die dem proletarischen Regime zufallen, und wird ihm manche harte Nuss zu knacken aufgeben. Aber man darf die Schwierigkeit auch nicht übertreiben.
Zunächst muss darauf hingewiesen werden, dass es sich nicht darum handeln kann, über Nacht aus dem Nichts eine völlig neue Organisation der Produktion und Zirkulation zu schaffen. Eine solche besteht schon bis zu einem gewissen Grade, sonst wäre die Existenz der heutigen Gesellschaft unmöglich. Es handelt sich bloß darum, diese Organisation, die bisher eine unbewusste war und sich hinter dem Rücken der Beteiligten unter Ach und Krach, unter Friktionen, Bankrotten und Krisen durch das Wirken des Wertgesetzes immer wieder durchsetzte, zu einer bewussten zu gestalten, in der die vorherige Berechnung aller maßgebenden Faktoren an Stelle der nachträglichen Korrekturen durch das Spiel von Nachfrage und Angebot tritt. Die Proportionalität der verschiedenen Arbeitszweige besteht schon, wenngleich unvollkommen und unstet; man braucht sie nicht erst herzustellen, sondern nur zu einer vollkommeneren und ständigen zu machen. Wie beim Geld und den Preisen hat man auch hier an das historisch Überkommene anzuknüpfen, nicht Alles von Grund auf zu erneuern, sondern nur an manchen Punkten zu erweitern, an anderen einzuschränken und lose Beziehungen enger zu gestalten.
Dann aber wird das Problem erheblich eingeschränkt durch die schon erörterte Tatsache, dass die Konzentration der Produktion in den vollkommensten Produktionsstätten die Zahl der industriellen Betriebe erheblich verringern wird. Von 2.146.972 Betrieben, welche die Industrie des deutschen Reiches 1895 auswies, waren bloß 17.941 Großbetriebe mit mehr als 50 Arbeitern (allerdings enthielten sie 3 Millionen Arbeiter bei einer Gesamtzahl von 8 Millionen industrieller Arbeiter). Ich behaupte natürlich nicht, dass nur diese Großbetriebe in Tätigkeit sein werden. Genaue Ziffern der zukünftigen Verhältnisse geben zu wollen, wäre lächerlich. Alle die angeführten Zahlen haben nur den Zweck, die auftauchenden Probleme zu illustreren, sie wollen nicht etwa genau darstellen, wie sich die Dinge in Wirklichkeit gestalten werden. Das Verhältnis von 2 Millionen industriellen Betrieben zu 18.000 Großbetrieben soll also bloß anzeigen, dass die Zahl der industriellen Betriebe unter einem proletarischen Regime sich erheblich vermindern wird.
Aber die Schwierigkeit der Organisation der Produktion und Zirkulation ist noch in anderer Weise zu reduzieren als durch die Verminderung der Zahl der Betriebe.
Man kann die Produktion in zwei große Gebiete teilen: In das der Produktion für den Konsum und das der Produktion für die Produktion. Die Produktion von Produktionsmitteln ist, Dank der weit getriebenen Arbeitsteilung, heute der wichtigste Teil der Produktion geworden und sie nimmt an Ausdehnung noch stetig zu. Fast kein Konsummittel kommt aus der Hand eines einzigen Produzenten, sondern es durchläuft eine Menge von Produktionsstätten, so dass Derjenige, der den Konsumgegenstand zu unserem Gebrauche fertig macht, nur der letzte in einer langen Reihe von Produzenten ist. Die Produktion der Konsummittel und die der Produktionsmittel hat aber jede einen ganz anderen Charakter. Die Produktion der Produktionsmittel ist die Domäne der Riesenbetriebe, wie die Eisenindustrie, der Bergbau usw. Diese sind heute schon hoch organisiert in ihren Unternehmerverbänden, Kartellen, Trusts usw. Aber auch unter den Abnehmern dieser Produktionsmittel ist der Unternehmerverband schon weit vorgeschritten. Hier handelt heute schon vielfach nicht der einzelne Unternehmer mit dem einzelnen Unternehmer, sondern der Unternehmerverband mit dem Unternehmerverband, Industriezweig mit Industriezweig. Und auch dort, wo sich die Unternehmerverbände weniger entwickelt haben, sind es auf diesem Gebiet stets verhältnismäßig wenige Produzenten, die wenigen Konsumenten gegenüberstehen. Denn der Konsument ist ja hier nicht ein Individuum, sondern ein ganzer Betrieb. In der Fabrikation von Spinn- und Webmaschinen z. B. zählte man 1895 1.152 Betriebe mit 17.047 Arbeitern; davon kamen aber 774 Betriebe mit bloß 1.474 Arbeitern kaum in Betracht. An Großbetrieben zählte man bloß 73 mit 10.355 Arbeitern. Ihnen stehen 200.000 Textilbetriebe gegenüber (nicht bloß Spinnereien und Webereien), deren Zahl sich aber, wie wir gesehen, bei sozialistischem Betriebe auf einige Tausende, vielleicht Hunderte, reduzieren dürfte. Auf der einen Seite blieben also nach vollzogener Konzentration der Produktion in den vollkommensten Betrieben vielleicht 50 Maschinenfabriken, auf der anderen 2.000 Spinnereien und Webereien übrig. Sollte es so unmöglich sein, dass die Ersteren sich mit den Letzteren über den Bezug von Maschinen einigen und deren Produktion planmäßig regeln?
Bei dieser verhältnismäßig geringen Zahl von Produzenten und Konsumenten ist es leicht begreiflich, dass auf dem Gebiet der Produktion der Produktionsmittel heute schon die Produktion für den offenen Markt zurückgeht und die Produktion auf Bestellung, also die planmäßige, vorbedachte Produktion und Zirkulation zunimmt.
Einen anderen Charakter hat die Produktion der Konsumtionsmittel. Wohl haben wir auch hier Riesenbetriebe (Zuckerfabriken, Brauereien), aber im Allgemeinen herrscht auf diesem Gebiete der Kleinbetrieb vor. Hier gilt es eben noch vielfach sich den individuellen Bedürfnissen der Kunden anzupassen. und das kann der Kleinbetrieb leichter als der Großbetrieb. Die Zahl der Produktionsstätten ist hier eine große und wird nicht in dem Maße reduzierbar sein wie bei der Produktion der Produktionsmittel. Hier herrscht auch die Produktion für den offenen Markt, dieser selbst ist bei der großen Zahl der Konsumenten viel unübersichtlicher als bei der Produktion für die Produktion. Die Zahl der Unternehmerverbände ist hier geringer. Die Organisation der Produktion und Zirkulation der Konsumtionsmittel wird demnach weit größere Schwierigkeiten bieten als die der Produktionsmittel.
Aber auch hier müssen wir wieder zwei Arten unterscheiden, nämlich die Produktion der notwendigen Konsumtionsmittel und die der Luxusmittel. Die Nachfrage nach notwendigen Konsumtionsmitteln weist verhältnismäßig geringe Schwankungen auf, sie ist eine ziemlich beständige. Tag aus, Tag ein braucht man die gleichen Mengen Mehl, Brot, Fleisch, Gemüse; Jahr aus, Jahr ein wechselt die Nachfrage nach Stiefeln und Wäsche nur wenig. Dagegen wechselt die Nachfrage nach den Konsummitteln um so eher, je mehr diese den Charakter entbehrlicher Luxusmittel annehmen, deren Besitz oder Verbrauch angenehm, nicht aber unerlässlich ist. Hier ist der Konsum viel launenhafter. Aber wenn man näher zusteht, so findet man, dass diese Launen weniger von den laufenden Individuen als von der Industrie ausgehen. So entspringt z. B. bekanntlich der Wechsel der Moden nicht so sehr dem Wechsel im Geschmack des Publikums, als vielmehr dem Bedürfnis der Produzenten, die alte, schon verkaufte Ware als untüchtig zum weiteren Gebrauch erscheinen zu lassen, um so die Konsumenten zu veranlassen, neue Ware zu kaufen. Die neue, moderne Ware muss daher auffallend von der alten unterschieden sein. Neben der Ruhelosigkeit, die im Wesen der modernen Produktionsweise liegt, ist dies Streben der Produzenten die Hauptursache des raschen Wechsels der Moden. Sie sind es, die die neuen Moden zuerst produzieren und dann dem Publikum aufnötigen.
Die Schwankungen im Absatz der Konsumtionsmittel, namentlich der Luxusmittel, werden aber noch weit mehr als durch Wandlungen im Geschmack, durch die Wandlungen in den Einnahmen der Konsumenten hervorgerufen. Diese letzteren Wandlungen wieder, soweit sie nicht vereinzelt bleiben, sondern eine größere Ausdehnung in der Gesellschaft erlangen, so dass sie deren Konsum fühlbar beeinflussen, stammen vom Wechsel zwischen Prosperität und Krisen her, von dem Wechsel zwischen starker Nachfrage nach Arbeit und Zunahme von Arbeitslosigkeit. Wenn wir aber untersuchen, woher diese Schwankungen kommen, so werden wir finden, dass sie dem Gebiete der Produktion der Produktionsmittel entstammen. Es ist allgemein bekannt und anerkannt, dass es heute namentlich die Eisenindustrie ist, welche die Krisen verursacht.
Die Wechsel zwischen Prosperität und Krise und damit die großen Schwankungen im Konsum der Konsumtionsmittel werden also im Gebiete der Produktion der Produktionsmittel erzeugt, jenem Gebiet, das, wie wir gesehen haben, die Betriebskonzentration und die Organisation der Produktion heute schon so weit entwickelt hat, dass es eine vollständige Organisation der Produktion und Zirkulation am ehesten ermöglicht. Die Stetigkeit in der Produktion der Produktionsmittel zieht auch Stetigkeit in der Nachfrage nach Konsumtionsmitteln nach sich, die sich dann statistisch leicht feststellen lässt, ohne dass man die Konsumtion reglementiert.
Einem proletarischen Regime könnte aber auch nur eine Art der Zirkulationsstörungen verhängnisvoll werden, soweit sie aus der Produktion entspringen: nur die Unterproduktion, nicht die Überproduktion. Heute ist diese die hauptsächlichste Krisenursache, denn die größte Schwierigkeit bietet heute das Verkaufen, der Absatz der Produkte. Das Kaufen dagegen, das Erlangen der Produkte, die man braucht, bereitet in der Regel geringen Kummer, wenigstens jenen Glücklichen, die das nötige Kleingeld in der Tasche haben. Unter einem proletarischen Regime verkehrt sich dies Verhältnis in sein Gegenteil. Für den Absatz der fertigen Produkte braucht es nicht allzu sehr besorgt zu sein. Es produzieren ja nicht Private für den Verkauf an andere Private, sondern die Gesellschaft produziert für ihren eigenen Bedarf. Krisen können da nur dann entstehen, wenn für den Bedarf, sei es der produktiven oder der persönlichen Konsumtion, an manchen Produkten nicht genug produziert worden. Wird dagegen hier und da oder allenthalben zu viel produziert, so bedeutet das allerdings eine Verschwendung von Arbeitskraft, also einen Verlust für die Gesellschaft, hindert aber nicht den Fortgang der Produktion und des Konsums. Dass auf keinem Gebiet zu wenig produziert wird, wird die Hauptsorge des neuen Regimes sein müssen. Dabei wird es freilich auch trachten, dass keine Arbeitskraft in überflüssiger Produktion vergeudet wird, denn jede derartige Vergeudung bedeutet, von allem anderen abgesehen, eine überflüssige Verlängerung der Arbeitszeit.
Wir haben gesehen, dass das proletarische Regime dem Kleinbetrieb dort, wo er den unvollkommenen Betrieb repräsentiert, meist ein rasches Ende bereiten wird, sowohl in der Industrie wie im Zwischenhandel.
Auch das eben behandelte Streben nach Organisation der Zirkulation wird zur möglichsten Ausschaltung des kleinen Zwischenhandels führen, zu seiner Verdrängung teils durch Konsumvereine, teils durch kommunale Einrichtungen. Es liegt ja im Interesse der Übersichtlichkeit und Organisationsfähigkeit des Produktionsprozesses, wenn dessen Leitung nicht mit einer Unzahl von Abnehmern, sondern nur mit einigen wenigen Organisationen zu tun hat.
Außer dem Zwischenhandel wird auch die direkte Produktion von Konsumtionsmitteln für den lokalen Bedarf den Konsumgenossenschaften und Gemeinden zufallen, z. B. Bäckerei, Milch- und Gemüseproduktion, Erbauung von Wohnungen.
Aber es ist nicht anzunehmen, dass auf diese Weise alle privaten Kleinbetriebe verschwinden werden. Vor allem nicht in der Landwirtschaft. Wohl werden jene Landwirtschaftsbetriebe, die heute schon zu kapitalistischen Betrieben geworden sind, am Lohnsystem scheitern und zu Staats-, Gemeinde- oder Genossenschaftsbetrieben werden. Daneben werden auch viele unserer heutigen kleinen Zwergbauern ihre Existenz ausgeben und als Arbeiter in die industriellen oder landwirtschaftlichen Großbetriebe gehen, die ihnen ein auskömmliches Dasein sichern. Aber man darf annehmen, dass immerhin Bauern übrig bleiben, die mit ihren eigenen Familienmitgliedern oder mit höchstens einem Knecht oder einer Magd, die man mit zur Familie rechnet, ihren kleinen Betrieb weiter führen. Bei der heutigen konservativen Natur unseres Bauern ist es höchst wahrscheinlich, dass eine Reihe derselben in der bisherigen Weise wird weiter wirtschaften wollen. Die proletarische Staatsgewalt wird auch gar keine Neigung haben, derartige kleine Betriebe zu übernehmen. Noch kein Sozialist, der ernsthaft zu nehmen ist, hat je verlangt, dass die Bauern expropriiert oder gar ihre Güter konfisziert werden sollen. Es wird vielmehr wahrscheinlich jedem kleinen Bauern gestattet bleiben, so weiter zu wirtschaften, wie er das bisher getan hat. Der Bauer hat von einem sozialistischen Regime nichts zu fürchten.
Es ist sogar sehr wahrscheinlich, dass diese bäuerlichen Wirtschaften durch das neue Regime eine Stärkung erfahren werden. Es bringt ihnen Aufhebung des Militarismus, Steuerentlastung, Selbstverwaltung, Verstaatlichung der Schul- und Wegelasten, Aufhebung der Armenlasten, Verstaatlichung, vielleicht auch Herabsetzung der Hypothekenlasten und manchen anderen Vorteil. Wir haben aber auch gesehen, dass das siegreiche Proletariat alle Ursache hat, die Menge der Produkte zu vermehren, und unter den Produkten, nach denen die Nachfrage wachsen wird, sind in allererster Linie auch die landwirtschaftlichen Erzeugnisse zu verstehen. Trotz aller Widerlegungen der Verelendungstheorie gibt es heute noch viel Hunger zu stillen, und diese Tatsache allein berechtigt uns zu der Annahme, dass das Steigen der Löhne sich vor allem in einer Vergrößerung der Nachfrage nach Produkten der Landwirtschaft äußern wird. Das proletarische Regime wird also das größte Interesse daran haben, die Produktion der Bauern zu vermehren und es wird ihnen zu diesem Behufe kräftig an die Hand gehen. Sein eigenstes Interesse wird es erheischen, den bäuerlichen zurückgebliebenen Betrieb in die Höhe zu bringen durch Gewährung von Vieh, Maschinen, Dünger, durch Meliorationen des Bodens usw. Es wird auf diese Weise die landwirtschaftlichen Produkte vermehren helfen, auch in jenen Betrieben, die noch nicht gesellschaftliche geworden.
Aber auch hier werden die Verhältnisse es notwendig machen, ebenso wie auf anderen Gebieten, den Zirkulationsprozess zu vereinfachen dadurch, dass an Stelle vieler Privater, die mit einander ihre Produkte austauschen, einige wenige Organisationen gesetzt werden, die zu wirtschaftlichen Zwecken mit einander in Verbindung treten. Der Staat wird es vorziehen, Zuchtvieh, Maschinen, Dünger nicht an einzelne Bauern zu liefern, sondern an Bauern-Gemeinden und Genossenschaften. Dieselben Gemeinden und Genossenschaften werden als Abnehmer ihrer Produkte nicht mehr private Zwischenhändler, sondern wieder Genossenschaften (Konsumvereine), Gemeinden und staatliche Betriebe (Mühlen, Zuckerfabriken, Brauereien und dgl.) finden. So tritt allmählich auch hier die private Wirtschaft immer mehr hinter der gesellschaftlichen zurück, und diese wird schließlich auch den bäuerlichen Betrieb selbst umwandeln und aus der genossenschaftlichen oder kommunalen Zusammenfassung mehrerer solcher Betriebe einen gesellschaftlichen Großbetrieb erstehen lassen. Die Bauern werden ihren Besitz zusammenwerfen und gemeinsam bearbeiten, namentlich wenn sie sehen, wie der genossenschaftliche Betrieb der expropriierten Großbetriebe sich bewährt, wenn es sich zeigt, dass diese bei gleichem Arbeitsaufwand erheblich mehr produzieren, bei gleicher Menge der Produkte den Arbeitern erheblich mehr Muße gewähren, als der Kleinbetrieb vermag. Wenn der Kleinbetrieb in der Landwirtschaft sich heute noch behauptet, so verdankt er das nicht zum Geringsten der Eigenschaft, dass er mehr Arbeit aus seinen Arbeitern herauspumpt, als der Großbetrieb das kann. Es ist unleugbar, dass die Bauern viel mehr arbeiten als die Lohnarbeiter der Großgrundbesitzer. Der Bauer hat kaum je freie Zeit und selbst während seiner wenigen freien Zeit denkt er darüber nach, wie er seinen Betrieb verbessern könnte. Es gibt für ihn nichts anderes als seinen Betrieb, und das ist auch einer der Gründe, warum er so sehr schwer für uns zu gewinnen ist.
Aber das gilt nur für die alte Generation. Die jüngere empfindet schon anders, sie hat einen starken Drang in sich nach Vergnügungen und Lustbarkeiten, nach Freude, aber auch nach einer höheren Kultur. Und weil sie auf dem Lande eine Befriedigung dieses Dranges nicht findet, strömt sie in die Städte und entvölkert das flache Land. Wenn aber der Bauer sieht, dass er bei der Landwirtschaft bleiben kann, ohne auf Muße und Kultur Verzicht leisten zu müssen, dann wird er nicht mehr von der Landwirtschaft fliehen, sondern bloß vom Kleinbetrieb zum Großbetrieb übergehen – und damit wird dann eine der letzten Burgen des Privateigentums verschwinden.
Aber von einer gewaltsamen Förderung dieser Entwicklung wird das siegreiche Proletariat absehen, und zwar schon aus dem sehr triftigen Grunde, weil es nicht danach verlangen wird, sich ohne Not blutige Köpfe zu holen. Und das wäre das Resultat jedes Versuches, den Bauern eine neue Produktionsweise aufzuzwingen. So hoch wir auch die Kampfeslust und Unerschrockenheit des Proletariats veranschlagen mögen, sein Kampf richtet sich nicht gegen die kleinen Leute, die selbst ausgebeutet sind, sondern gegen die großen Ausbeuter!
Neben der Landwirtschaft kämen dann noch in Betracht die Kleinbetriebe in der Industrie. Auch diese dürften in absehbarer Zeit nicht völlig verschwinden. Wohl wird das neue Regime, wie wir gesehen haben, überall, wo schlecht eingerichtete Betriebe mit vollkommeneren in Konkurrenz treten, danach trachten, die ersteren stille zu setzen, um ihre Arbeiter in den gut eingerichteten Großbetrieben zu konzentrieren, wohin man sie ohne Gewaltanwendung leicht ziehen kann, wenn man ihnen dort bessere Löhne bietet. Aber es gibt immer noch Industriezweige, in denen die Maschine noch nicht erfolgreich mit der Handarbeit konkurrieren kann oder nicht das leistet, was diese zu leisten vermag. Es ist allerdings bezeichnend, dass es mir beim Durchsehen der Gewerbestatistik des Deutschen Reiches nicht gelungen ist, irgend eine Gewerbeart zu finden, in der der Kleinbetrieb noch ausschließlich herrscht, von einer winzigen Ausnahme (4 Betriebe mit je 1 Arbeiter) abgesehen. Einige Zahlen, die meines Wissens nach nirgends mitgeteilt waren, seien hier angeführt. In folgenden Industriezweigen herrscht noch der Kleinbetrieb fast ausschließlich (mehr als 97 % aller Betriebe), der Großbetrieb (Betriebe mit mehr als 50 Arbeitern) noch gar nicht:
Zahl der Betriebe mit | Zahl der Motoren |
||
1–5 Arbeiter | 6–50 Arbeitern | ||
Wetzsteinmacher | 77 | 2 | 52 |
Geigenmacher | 1.037 | 24 | 5 |
Verfertigung von anatomischen Präparaten | 126 | 3 | – |
Abdecker | 971 | 2 | 11 |
Spinnerei ohne Stoffangabe | 275 | 3 | 2 |
Weberei ohne Stoffangabe | 608 | 6 | 5 |
Spielwaren aus Kautschuk | 4 | – | – |
Barbiere, Friseure und Perückenmacher | 60.035 | 470 | 6 |
Kleiderreiniger und Stiefelwichser | 744 | 4 | 7 |
Schornsteinfeger | 3.860 | 26 | – |
Kunstmaler und Bildhauer | 5.630 | 84 | 2 |
Wenn man absieht von Künstlern, Friseuren, Schornsteinfegern, Geigenmachern und meinetwegen noch Abdeckern und – Stiefelwichsern, dann ist das Gebiet des ohne Konkurrenz durch größere Betriebe bestehenden Kleinbetriebs im Gewerbe so gut wie auf null reduziert.
Immerhin mag man den kleinen Betrieben noch eine gewisse Zukunft zugestehen, in manchen Industriezweigen, die direkt für den menschlichen Konsum arbeiten, denn die Maschinen fabrizieren bekanntlich nur Massenprodukte, während viele Käufer es lieben, dass ihr persönlicher Geschmack berücksichtigt werde. Es wäre sogar möglich, dass unter dem proletarischen Regime die Zahl der industriellen Kleinbetriebe wieder etwas zunimmt, da es ja den Wohlstand der Massen vermehrt und die Nachfrage nach Produkten der Handarbeit in Folge dessen eine regere sein dürfte; das Kunsthandwerk mag daraus einen neuen Anstoß erhalten. Wohl dürfen wir nicht erwarten, dass jenes Zukunftsbild, das uns William Morris geschildert hat, eintrifft, in dessen liebenswürdiger Utopie die Maschine keine Rolle spielt. Die Maschine bleibt Herrscherin im Produktionsprozess. Sie wird diese Stellung nie wieder an die Handarbeit abgeben. Es ist aber nicht ausgeschlossen, dass die Handarbeit in verschiedenen künstlerischen Gewerben wieder zunimmt, und dass sie sich manches neue Feld erobert. Indes, wenn sie heute noch vielfach ihre Existenz fristet als ein Produkt des äußersten Elends, als Hausindustrie, so kann die Handarbeit in einer sozialistischen Gesellschaft nur noch existieren als ein kostspieliger Luxus, der bei dem allgemeinen Wohlstand eine weitere Verbreitung finden mag. Die Grundlage des Produktionsprozesses wird der mit Maschinen betriebene Großbetrieb bleiben. Die fraglichen Kleinbetriebe werden sich höchstens noch erhalten als Inseln in dem Meere der großen gesellschaftlichen Betriebe.
Sie selbst können die verschiedensten Formen des Eigentums an ihren Produktionsmitteln und des Absatzes ihrer Produkte annehmen. Sie können Anhängsel eines staatlichen oder kommunalen Großbetriebes werden, von ihm ihre Rohmaterialien und Werkzeuge beziehen, ihm ihre Produkte abliefern; sie können für Privatkunden oder für den offenen Markt produzieren usw. Wie heutzutage kann auch dann ein Arbeiter in den verschiedensten Betriebsformen nach einander tätig sein. Eine Näherin etwa kann einmal in einer staatlichen Fabrik tätig sein, ein anderes Mal für eine Privatkundin ein Kleid zu Hause anfertigen, dann wieder eines einer anderen Kundin in deren Hause nähen, und schließlich sich mit ein paar Genossinnen zu einer Produktivgenossenschaft vereinigen, die Kleider auf Bestellung oder auf Lager herstellt.
In dieser wie in jeder anderen Beziehung wird die größte Mannigfaltigkeit und Wandlungsfähigkeit herrschen können. Nichts irriger, als sich eine sozialistische Gesellschaft als einen einfachen, starren Mechanismus vorzustellen, der, einmal in Gang gebracht, immer wieder in gleicher Weise sein Räderwerk ablaufen lässt.
Die mannigfachsten Arten des Eigentums an den Produktionsmitteln – staatliches, kommunales, konsumgenossenschaftliches, produktivgenossenschaftliches, privates – können neben einander in einer sozialistischen Gesellschaft existieren. Die verschiedensten Formen des Betriebes – bürokratischer, gewerkschaftlicher, genossenschaftlicher, Alleinbetrieb; die verschiedensten Formen der Entlohnung der Arbeiter – fixer Gehalt, Zeitlohn, Stücklohn, Beteiligung an allen Ersparnissen von Rohmaterial, Maschinerie usw.; Beteiligung an den Resultaten intensiverer Arbeit; die verschiedensten Formen der Zirkulation der Produkte – durch Lieferungskontrakte, durch Kauf aus den Lagern des Staates, der Gemeinden, der Konsumgenossenschaften, der Produzenten selbst usw., usw. Dieselbe Mannigfaltigkeit des ökonomischen Mechanismus wie heute ist in einer sozialistischen Gesellschaft möglich. Bloß das Hasten und Jagen, Kämpfen und Ringen, Vernichten und Vernichtetwerden des heutigen Konkurrenzkampfes ist ausgeschaltet und ebenso der Gegensatz zwischen Ausbeutern und Ausgebeuteten.
So viel über die wichtigsten ökonomischen Probleme, die aus der politischen Herrschaft des Proletariats zunächst erwachsen, und die Mittel zu ihrer Lösung. Es wäre sehr verlockend, in dieser Weise den Gegenstand weiter zu verfolgen und zu untersuchen, welche Probleme der Haushalt, der internationale Verkehr, das Verhältnis von Stadt und Land usw. mit sich führen, die ja alle durch die Herrschaft des Proletariats aufs tiefste berührt werden und in der bisherigen Weise nicht fortgeführt werden können. Aber ich sehe davon ab, diese Themata hier zu behandeln, umso mehr, als ich das Wesentlichste, was ich darüber zu sagen hätte, schon anderswo gesagt habe (die Stellung eines sozialistischen Gemeinwesens gegenüber den Kolonien und dem Welthandel habe ich in meinem Vorwort zu Atlanticus, Ein Blick in den Zukunftsstaat, S. XIX ff., Die Zukunft des eigenen Heims in meiner Agrarfrage, S. 447 ff. erörtert). Nur einen Punkt möchte ich in diesem Zusammenhänge noch betrachten, über den viel Unklarheit herrscht: Die Zukunft der geistigen Produktion.
Wir haben bisher nur die Probleme der materiellen Produktion untersucht, die die grundlegende ist. Aber auf ihrem Unterbau erhebt sich eine Produktion von Kunstwerken, wissenschaftlichen Forschungen, literarischen Leistungen der verschiedensten Art. Die Fortführung dieser Produktion ist für den modernen Kulturmenschen nicht minder notwendig geworden wie die ungestörte Fortführung der Produktion von Brot und Fleisch, Kohle und Eisen. Eine proletarische Revolution macht aber auch ihren Fortgang in der bisherigen Weise unmöglich. Was wird sie an deren Stelle setzen?
Dass kein vernünftiger Mensch heute mehr vom siegreichen Proletariat befürchtet, es werde nach alter Barbarenart haufen und Kunst und Wissenschaft als überflüssigen Trödel in die Rumpelkammer verweisen wollen, dass im Gegenteil unter den breiten Volksschichten das Proletariat gerade jene ist, die am meisten Interesse, ja Hochachtung für Kunst und Wissenschaft bezeugt, habe ich schon in meinem Schriftchen über „Sozialreform und soziale Revolution“ erwähnt. Aber meine ganzen Untersuchungen gelten ja hier nicht der Erforschung dessen, was das siegreiche Proletariat wird tun wollen, sondern dessen, was es kraft der Logik der Tatsachen wird tun können und müssen.
An den nötigen materiellen Hilfsmitteln für Kunst und Wissenschaft wird es nicht fehlen. Wir haben ja gesehen, wie gerade das proletarische Regime durch die Aufhebung des Privateigentums an den Produktionsmitteln die Möglichkeit schafft, aufs rascheste die Ruinen überlebter Produktionsmittel und Produktionsmethoden zu beseitigen, die heute noch allenthalben die Entfaltung der modernen Produktivkräfte hemmen und unter der heutigen Herrschaft des Privateigentums nur langsam und unvollständig durch die Konkurrenz aus dem Wege geräumt werden. Der Reichtum der Gesellschaft muss dadurch sofort weit über das von der kapitalistischen Gesellschaft überkommene Niveau hinaus steigen.
Aber mit den materiellen Hilfsmitteln ist es allein nicht getan. Reichtum allein erzeugt noch nicht ein kraftvolles ideelles Leben. Die Frage ist die, ob die Bedingungen der Produktion der materiellen Güter in einer sozialistischen Gesellschaft vereinbar sind mit den notwendigen Bedingungen einer hoch entwickelten geistigen Produktion. Dies wird von unseren Gegnern häufig bestritten.
Sehen wir zunächst zu, welcher Art die heutige geistige Produktion ist. Sie nimmt drei Formen an: Einmal die von Organen der Gesellschaft betriebene, direkt der Befriedigung der gesellschaftlichen Bedürfnisse dienende, dann die Warenproduktion im Alleinbetrieb und endlich die Warenproduktion im kapitalistischen Betrieb.
Zur ersten Art der geistigen Produktion gehört das ganze Unterrichtswesen, von der Volksschule bis zur Hochschule. Wenn wir absehen von der geringfügigen Privatschule, ist es heute schon ganz in den Händen der Gesellschaft und wird von dieser nicht um der Profitmacherei oder um des Erwerbs willen betrieben. Dies gilt vor allem von der modernen Staats- und Gemeindeschule, aber auch von den meist als mittelalterliche Ruinen noch bestehenden Schulen kirchlicher Organisationen und gemeinnütziger Stiftungen, die namentlich in den Ländern der angelsächsischen Kultur noch häufig sind.
Dieses gesellschaftliche Unterrichtswesen ist von der höchsten Bedeutung für das Geistesleben, namentlich das wissenschaftliche, nicht bloß durch seinen Einfluss auf die heranwachsende Jugend. Es beherrscht auch immer mehr die wissenschaftliche Forschung, indem es seine Lehrer, namentlich die an den Hochschulen, immer mehr zu Monopolbesitzern jenes wissenschaftlichen Apparats macht, ohne den ein wissenschaftliches Forschen heute fast unmöglich ist. Dies gilt hauptsächlich auf dem Gebiete der Naturwissenschaften, deren Technik eine so hoch entwickelte geworden ist, dass, abgesehen von einigen Millionären, nur noch der Staat über die Mittel verfügt, welche zur Herstellung und Instandhaltung der nötigen wissenschaftlichen Anstalten erforderlich sind. Aber auch in vielen Fächern der sozialen Wissenschaften, Ethnologie, Archäologie und anderen, wird der wissenschaftliche Apparat der Forschung ein immer umfangreicherer und kostspieliger. Und dabei wird die Wissenschaft immer mehr eine brotlose Knust, von der kein Mensch leben kann, der sich nur solche Leute vollständig widmen können, die vom Staate dafür bezahlt werden, wenn sie nicht sehr vorsichtig in der Wahl ihrer Eltern oder – ihrer Frau gewesen sind. Die Erlangung der Vorkenntnisse zu fruchtbringender wissenschaftlicher Tätigkeit selbst erfordert aber wieder große, stets steigende Geldmittel. So wird die Wissenschaft von der Staatsgewalt und den besitzenden Klassen immer mehr monopolisiert.
Ein proletarisches Regime muss unbedingt dahin führen, die aus diesen Zuständen folgenden Beschränkungen wissenschaftlicher Tätigkeit aufzuheben. Es muss sein Unterrichtswesen, wie schon Eingangs erwähnt, so gestalten, dass jedem Begabten Erreichung alles Wissens möglich ist, das die gesellschaftlichen Unterrichtsanstalten überhaupt mitzuteilen haben. Es vermehrt enorm die Nachfrage nach lehrenden und damit auch nach forschenden wissenschaftlichen Kräften. Endlich aber wirkt es dahin, durch Aufhebung der Klassengegensätze, die im Staatsdienst stehenden Forscher auf dem Gebiete der sozialen Wissenschaften innerlich wie äußerlich freier zu machen. So lange es Klassengegensätze gibt, wird es auch verschiedene Standpunkte geben, von denen aus man die Gesellschaft ansieht. Es gibt keine größere Heuchelei oder Selbsttäuschung als das Gerede von der einen, über den Klassengegensätzen stehenden Wissenschaft. Die Wissenschaft existiert nur in den Köpfen der Forscher, und die sind Produkte der Gesellschaft, können nicht aus ihr und über sie hinaus. Auch in einer sozialistischen Gesellschaft wird die Wissenschaft von den gesellschaftlichen Bedingungen abhängig sein, aber diese werden dann wenigstens einheitliche, nicht gegensätzliche sein.
Noch schlimmer aber als die innere Abhängigkeit von den gesellschaftlichen Bedingungen, der sich kein Forscher entziehen kann, ist die äußere Abhängigkeit vieler von ihnen von der Staatsgewalt oder von anderen Herrschaftsinstitutionen, z. B. kirchlichen. Sie drängt sie, ihre Anschauungen nach denen der herrschenden Klassen zu richten, nicht frei und unabhängig zu forschen, sondern auf wissenschaftlichem Wege nach Argumenten zu suchen, um das Bestehende zu rechtfertigen und aufstrebende Klassen zurückzuweisen. So wirkt die Klassenherrschaft direkt demoralisierend auf die Wissenschaft. Diese wird alle Ursache haben, aufzuatmen, wenn das proletarische Regime die direkte oder indirekte Herrschaft der Klasse der Kapitalisten und Großgrundbesitzer über unsere Schulen hinwegfegt. Das geistige Leben, soweit es mit dem Unterrichtswesen zusammenhängt, hat also von dem Siege des Proletariats nichts zu fürchten, das Beste zu hoffen.
Wie steht’s aber mit der geistigen Warenproduktion? Hier wollen wir zunächst die Alleinbetriebe betrachten. Hierfür kommen hauptsächlich Malerei und Bildhauerei in Betracht, sowie ein Teil der Schriftstellerei.
Ein proletarisches Regime macht diese Art Warenproduktion ebenso wenig unmöglich als etwa den privaten Kleinbetrieb in der materiellen Produktion. Ebenso wenig als Nadel und Fingerhut werden Pinsel und Palette oder Tinte und Feder zu den Produktionsmitteln gehören, die unter allen Umständen zu verstaatlichen sind. Aber eines ist wohl möglich: dass mit dem Aufhören der kapitalistischen Ausbeutung die zahlungsfähigen Käufer verschwinden, die bisher den Markt für die Warenproduktion der künstlerischen Alleinbetriebe gebildet haben. Das würde sicher nicht ohne Wirkung auf die künstlerische Produktion bleiben, aber es würde sie nicht unmöglich machen, sondern nur ihren Charakter ändern. Das Staffeleibild und die Statuette, die ihren Ort und Besitzer wechseln können, die man aufstellen kann, wo man will, sind der richtige Ausdruck der Warenproduktion in der Kunst, sie sind diejenigen Formen des Kunstwerks, die am leichtesten die Form der Ware annehmen, die man, wie Goldstücke, sammeln und aushäufen kann, sei es, um sie mit Profit wieder zu verkaufen oder als Schatz zu verwahren. Möglich, dass ihre Produktion zum Zwecke des Verkaufs in einer sozialistischen Gesellschaft erhebliche Hindernisse fände. Aber dafür müssten andere Formen der künstlerischen Produktion an ihre Stelle erstehen. Ein proletarisches Regime wird die Zahl der öffentlichen Gebäude ungemein vermehren; es wird aber auch danach trachten, jeden Aufenthaltsort des Volkes, diene er der Arbeit, der Beratung, dem Vergnügen, zu schmücken und anziehend zu gestalten. Anstatt Bildsäulen und Bilder herzustellen, die in den Zirkulationsprozess der Waren hineingeworfen werden, um schließlich an einem dem Künstler ganz unbekannten Bestimmungsort mit ganz unbekannten Zwecken zur Aufstellung zu kommen, werden Maler und Bildhauer planmäßig mit den Architekten zusammenwirken, wie dies in den blühendsten Zeiten der Kunst, im perikleischen Athen und in der italienischen Renaissance, der Fall war, eine Kunst wird die andere unterstützen und heben, die Wirkung, Umgebung und das Publikum des Kunstwerks wird nicht mehr vom Zufall abhängen.
Auf der anderen Seite aber wird die Notwendigkeit aufhören, Kunstwerke für den Verkauf als Waren zu produzieren. Es wird überhaupt die Notwendigkeit aufhören, geistige Arbeit zum Gelderwerb, als Lohnarbeit oder zur Produktion von Waren, zu leisten.
Ich habe schon daraus hingewiesen, dass ein proletarisches Regime danach trachten wird, was ja vom Standpunkt des Lohnarbeiters selbstverständlich, die Arbeitszeit zu verkürzen und die Löhne zu erhöhen. Ich habe auch gezeigt, bis zu welchem hohen Grade dies in einem Lande entwickelter kapitalistischer Produktion sofort geschehen kann durch bloße Einstellung des Betriebs der unvollkommenen Arbeitsstätten und möglichst weit getriebene Ausnutzung der vollkommensten. Es ist durchaus nicht phantastisch anzunehmen, dass sofort eine Verdoppelung der Löhne bei Reduzierung der Arbeitszeit auf die Hälfte der heutigen möglich ist. Und die technischen Wissenschaften sind fortgeschritten genug, rasche Fortschritte auf diesem Gebiete erwarten zu lassen. Je weiter man darin kommt, desto mehr wächst die Möglichkeit für die bei der materiellen Produktion Beschäftigten, sich daneben geistiger Tätigkeit hinzugeben, auch solcher, die keinen materiellen Gewinn bringt, die ihren Lohn in sich selbst findet, also der höchsten Art geistiger Tätigkeit. Die vergrößerte Muße mag zum Teil, ja zum überwiegenden Teil zu bloßem geistigen Genießen führen; bei Begabten wird sie schöpferisches Tun entfesseln und die Vereinigung von materieller mit künstlerischer, belletristischer oder wissenschaftlicher Produktion herbeiführen.
Diese Vereinigung wird aber nicht bloß möglich, sie wird eine ökonomische Notwendigkeit werden. Wir haben gesehen, wie ein proletarisches Regime danach trachten muss, die Bildung zu einem Allgemeingut zu machen. Wollte man aber die Bildung in der heutigen Weise verbreiten, so würde das bald dahin führen, die heranwachsende Generation untauglich zu jeder materiellen Produktion zu machen, also die Grundmauern der Gesellschaft zu untergraben. Heute ist die gesellschaftliche Arbeitsteilung in der Weise entwickelt, dass materielle Arbeit und geistige einander nahezu ausschließen. Die materielle findet unter Bedingungen statt, die es nur wenigen von der Natur oder den Verhältnissen Begünstigten –gestatten, daneben noch höhere geistige Arbeit zu leisten. Andererseits macht die geistige Arbeit, wie sie heute betrieben wird, unfähig und unlustig zu körperlicher Arbeit. Allen Menschen Bildung verschaffen, heißt unter diesen Umständen alle materielle Produktion unmöglich machen, weil sich dann Niemand mehr finden wird, der sie wird betreiben wollen und können. Will man also höhere geistige Bildung zum Gemeingut machen, ohne die Existenz der Gesellschaft zu gefährden, dann gebietet es nicht nur die Pädagogik, sondern auch die ökonomische Notwendigkeit, dies in der Weise zu tun, dass man die heranwachsende Generation in der Schule nicht bloß mit geistiger, sondern auch mit körperlicher Arbeit vertraut macht und in ihr die Gewohnheit der Vereinigung von geistiger mit materieller Produktion fest einwurzelt.
Von zwei Seiten muss das proletarische Regime zur Vereinigung materieller mit geistiger Produktion und damit zur Befreiung der letzteren von ihren heutigen materiellen Schranken in der Masse der Bevölkerung führen: Einerseits durch stete Verkürzung der Arbeitszeit der so genannten Handarbeiter als Folge der fortschreitenden Produktivität der Arbeit, wodurch immer mehr Zeit der in der materiellen Produktion Tätigen für geistige Arbeit frei wird. Andererseits durch Vermehrung der physischen Arbeit der Gebildeten, eine unumgängliche Folge der steten Zunahme der Zahl der letzteren.
Es liegt aber nahe, dass bei dieser Vereinigung die physische Arbeit zur Erwerbsarbeit, zur notwendigen Arbeit im Dienste der Gesellschaft, die geistige Arbeit zur freien Arbeit als Betätigung der Persönlichkeit, losgelöst von jedem gesellschaftlichen Zwange wird. Denn die geistige Arbeit ist viel unverträglicher mit solchem Zwange als die physische. Diese Befreiung der geistigen Arbeit durch das Proletariat ist nicht der fromme Wunsch von Utopisten, sondern eine ökonomisch notwendige Folge seines Sieges.
Endlich haben wir noch als dritte Form der geistigen Produktion die kapitalistisch ausgebeutete zu betrachten. Umfasste die erste der drei Arten geistiger Produktion hauptsächlich die Wissenschaft, die zweite die bildenden Künste, so gilt es hier allen Gebieten der geistigen Tätigkeit, hauptsächlich aber den Helden der Feder und der Bühne, denen als kapitalistische Unternehmer Verleger, Zeitungsbesitzer und Theaterdirektoren gegenüberstehen.
Die kapitalistische Ausbeutung dieser Art unter einem proletarischen Regime fortzuführen, wird unmöglich. Sie beruht aber darauf, dass die fraglichen geistigen Produktionen dem Publikum nur vermittelt werden können durch einen kostspieligen technischen Apparat und durch das Zusammenwirken zahlreicher Kräfte. Der Einzelne für sich allein kann hier nichts leisten. Heißt das aber nicht, dass auch hier wieder die Alternative des kapitalistischen Betriebs der Staatsbetrieb ist? Ist dem so, muss dann nicht die staatliche Zentralisation eines so großen und wichtigen Teils des geistigen Lebens es mit dem Schlimmsten bedrohen, was ihm passieren kann, mit Einförmigkeit und Stagnation? Es ist wahr, die Staatsgewalt hört auf, das Organ einer Klasse zu sein, aber wird sie nicht das Organ einer Majorität? Kann man das geistige Leben von Majoritätsbeschlüssen abhängig machen? Wurde nicht jede neue Wahrheit, jede neue Anschauung und Empfindung zuerst nur von einer unbedeutenden Minorität erfasst und verfochten? Droht nicht diese Neuordnung gerade die besten und kühnsten der geistigen Vorkämpfer auf den verschiedensten Gebieten in ständigen Konflikt mit dem proletarischen Regime zu bringen? Und wenn dieses auch vermehrte Freiheit der künstlerischen und wissenschaftlichen Entwicklung für den Einzelnen schafft, macht es sie nicht mehr als wett durch die Fesseln, die es der geistigen Betätigung dort anlegt, wo sie nur durch gesellschaftliche Mittel erfolgen kann? Hier liegt wohl ein ernsthaftes Problem vor. Aber kein unlösbares.
Zunächst ist zu bemerken, dass wie für die ganze Produktion, so auch für die gesellschaftlichen Institutionen geistigen Produzierens von vornherein nicht bloß der Staat als leitendes und Mittel gewährendes Organ in Betracht kommt, sondern auch die Gemeinde. Dadurch allein ist schon jeder Einförmigkeit und jeder Beherrschung des geistigen Lebens durch eine Zentralgewalt vorgebeugt. Aber daneben kommen als Ersatz für den kapitalistischen Betrieb geistiger Produktionsstätten noch andere Organisationen in Betracht: die freien Vereine die der Kunst, der Wissenschaft, dem öffentlichen Leben dienen und Produktionen auf diesen Gebieten in der verschiedensten Weise fördern oder direkt unternehmen. Heute schon haben wir zahlreiche Vereine, die Theatervorstellungen veranstalten, Zeitungen herausgeben, Kunstwerke ankaufen, Schriften verlegen, wissenschaftliche Expeditionen ausrüsten usw. Je kürzer die Arbeitszeit in der materiellen Produktion und je höher die Löhne, desto mehr muss dieses freie Vereinswesen gedeihen, es muss wachsen sowohl an Zahl, an Eifer und Verständnis; der Mitglieder, wie an den Mitteln, die der Einzelne beitragen kann, die die Gesamtheit aufbringt. Von diesen freien Vereinigungen erwarte ich, dass sie im geistigen Leben eine immer größere Rolle spielen werden, ihnen ist es vorbehalten, an Stelle des Kapitals die geistige Produktion zu organisieren und zu leiten, soweit sie gesellschaftlicher Natur ist.
Also auch hier führt das proletarische Regime nicht zu vermehrter Gebundenheit, sondern zu vermehrter Freiheit.
Befreiung des Unterrichts und der wissenschaftlichen Forschung von den Fesseln der Klassenherrschaft; Befreiung des Individuums von dem Druck ausschließlicher, erschöpfender physischer Arbeit; Ersetzung des kapitalistischen Betriebs gesellschaftlicher geistiger Produktion durch den Betrieb freier Vereinigungen: dahin gehen auf dem Gebiete der geistigen Produktion die Tendenzen eines proletarischen Regimes.
Wir sehen, seine Probleme auf dem Gebiete der Produktion sind widerspruchsvoller Art. Die kapitalistische Produktionsweise hat die Aufgabe geschaffen, den gesellschaftlichen Produktionsprozess zu einem einheitlichen und planvollen zu gestalten. Diese Aufgabe geht dahin, den Einzelnen in eine feste Ordnung einzuspannen, deren Regeln er sich zu fügen hat. Andererseits hat dieselbe Produktionsweise das Individuum mehr als je zuvor zum Selbstbewusstsein gebracht, auf eigene Füße gestellt und von der Gesellschaft losgelöst. Mehr als je verlangen heute die Menschen nach der Möglichkeit, ihre Persönlichkeit frei zu entwickeln und ihre Verhältnisse zu anderen Menschen um so freier zu bestimmen, je zarter und individueller diese Verhältnisse sind, also vor allem ihre ehelichen Verhältnisse, aber auch ihre Verhältnisse als Künstler und Denker zur Außenwelt. Regelung des gesellschaftlichen Chaos und Entfesselung des Individuums, das sind die beiden historischen Ausgaben, die der Kapitalismus der Gesellschaft stellt. Sie scheinen einander zu widersprechen und doch sind sie gleichzeitig lösbar, weil jede von ihnen verschiedene Gebiete des gesellschaftlichen Lebens betrifft. Freilich, wer beide Gebiete in gleicher Weise regeln will, der gerät in unlösbare Widersprüche. Daran scheitert der Anarchismus. Dieser ist entstanden aus der Reaktion des Kleinbürgertums gegen den es bedrohenden und niederdrückenden Kapitalismus. Der kleine Handwerker, der gewöhnt war, seine Arbeit nach seinem Gutdünken einzurichten, bäumte sich auf gegen die Disziplin und Monotonie der Fabrik. Sein Ideal blieb die freie Arbeit des Individuums; wo diese nicht mehr möglich war, suchte er sie zu ersetzen durch das gesellschaftliche Zusammenwirken in freien Vereinen, die einander selbständig gegenüberstanden.
Der „neue Mittelstand“, die Intelligenz ist, wie wir schon mehrfach gesehen, in seiner gesellschaftlichen Stellung nur eine verfeinerte und verzärtelte Ausgabe des urwüchsigen Kleinbürgertums. Seine Arbeitsweise entfaltet in ihm dasselbe Bedürfnis nach freier Arbeit, dieselbe Abneigung gegen Disziplin und Einförmigkeit. So wird auch sein gesellschaftliches Ideal dasselbe, es ist das anarchistische. Aber was für sein Produktionsgebiet ein fortschrittliches Ideal ist, erweist sich als ein reaktionäres für das Gebiet der materiellen Produktion, wo es den Produktionsbedingungen des versinkenden Handwerks entspricht.
Bei dem heutigen Stande der Produktion gibt es nur zwei mögliche Arten materieller Produktion, soweit sie Massenproduktion ist, also abgesehen von einigen Überbleibseln, die meist nur noch Kuriositäten sind: Auf der einen Seite die kommunistische mit gesellschaftlichem Eigentum an den Produktionsmitteln und planvoller Leitung der Produktion von einem Zentralpunkt aus oder die kapitalistische. Die anarchistische kann in bestem Fall eine vorübergehende Episode sein. Materielle Produktion durch freie Vereinigungen ohne zentrale Leitung führt zum Chaos, wenn sie nicht Warenproduktion mit Warenaustausch auf Grund des Wertgesetzes ist, das sich durch die freie Konkurrenz durchsetzt. Wir haben oben gesehen, welche Bedeutung dies Gesetz bei freier Produktion der einzelnen Betriebe hat. Es vermittelt die richtige Proportionalität der einzelnen Produktionszweige zu einander, verhindert, dass etwa die Gesellschaft von Knöpfen überschüttet wird und an Brot Mangel leidet. Die Warenproduktion muss aber beim heutigen Stande der gesellschaftlichen Produktion immer wieder die Form kapitalistischer Produktion annehmen, wie zahlreiche Produktivgenossenschaften beweisen. Das anarchistische Ideal in der materiellen Produktion anstreben, heißt bestenfalls eine Sisyphusarbeit leisten.
Anders steht es bei der geistigen Produktion. Sie baut sich auf der materiellen auf, aus den Überschüssen an Produkten und Arbeitskräften, welche diese liefert; sie gedeiht erst, wenn das materielle Leben gesichert ist. Gerät dieses in Verwirrung, dann ist unsere Existenz überhaupt bedroht. Dagegen ist es für sie absolut gleichgültig, in welchem Verhältnis; die vorhandenen Überschüsse an Produkten und Arbeitskräften den einzelnen Gebieten des freien geistigen Schaffens zugeführt werden, abgesehen von dem Unterrichtswesen, das seine besonderen Gesetze hat und nicht einmal heute, in der Gesellschaft der freien Konkurrenz, dieser überlassen bleibt, sondern gesellschaftlich geregelt ist. Die Gesellschaft gerät in eine schlimme Lage, wenn alle Welt sich der Fabrikation einer Sorte von Waren, etwa von Knöpfen zuwendet und dieser so viele Arbeitskräfte zugeführt werden, dass nicht genug für die Produktion anderer, etwa des Brotes, übrig bleiben. Dagegen ist das Verhältnis, in dem lyrische Gedichte und Tragödien, Werke der Assyriologie und der Botanik zu produzieren sind, kein bestimmtes, es hat weder Minimal- noch Maximalgrenzen, und wenn heute doppelt so viel Dramen geschrieben werden wie gestern und dafür nur halb so viel lyrische Gedichte; wenn heute 20 assyriologische Werke erscheinen und nur 10 botanische, während gestern das Verhältnis ein umgekehrtes war, so wird das Gedeihen der Gesellschaft davon nicht im geringsten berührt. Diese Tatsache findet ihren ökonomischen Ausdruck darin, dass das Wertgesetz, trotz aller psychologischen Werttheorien, nur für das Gebiet der materiellen Produktion und nicht auch für das der geistigen gilt. Auf diesem ist eine zentrale Leitung der Produktion nicht bloß unnötig, sondern direkt widersinnig, hier kann freie Produktion herrschen, ohne dass sie Produktion von Warenwerten, und (für den Großbetrieb) kapitalistische Produktion zu werden braucht.
Kommunismus in der materiellen Produktion, Anarchismus in der geistigen: das ist der Typus einer sozialistischen Produktionsweise, wie sie aus der Herrschaft des Proletariats, mit anderen Worten, aus der sozialen Revolution, durch die Logik der ökonomischen Tatsachen entwickelt wird, welches immer die Wünsche, Absichten und Theorien des Proletariats sein mögen.
Es wird manchem Leser vielleicht aufgefallen sein, dass ich bei dieser Untersuchung stets nur von ökonomischen Bedingungen gesprochen habe. Ich habe nicht untersucht, welches die ethische Grundlage der neuen Gesellschaft sein soll, ob sie auf Kant'scher oder Benthamscher Ethik aufzubauen ist: ob der kategorische Imperativ oder das größte Glück der größten Zahl ihr Leitmotiv zu sein hat; auch habe ich nicht untersucht, welches ihr oberster juristischer Grundsatz sein muss: ob das Recht auf den vollen Arbeitsertrag oder das Recht auf Existenz oder sonst eines der ökonomischen Grundrechte, die der Juristensozialismus entdeckt hat. Kein Zweifel, Recht und Ethik werden in der sozialen Revolution auch eine Rolle spielen, aber was sich immer wieder durchsetzen wird, werden die Forderungen der Ökonomie sein.
Aber neben Recht und Ethik kommt auch die Psychologie in Betracht. Werden nicht auch daraus für das proletarische Regime Probleme entstehen, und zwar solche von größter Bedeutung? Setzt die sozialistische Gesellschaft nicht außerordentliche Menschen voraus, wahre Engel an Selbstlosigkeit und Sanftmut, Arbeitsfreudigkeit und Intelligenz? Muss die soziale Revolution nicht, bei dem heutigen Geschlecht voll Egoismus und Brutalität, das Signal werden zu wüsten Kämpfen um die Beute oder zu allgemeiner Nichtstuerei, in der sie verkommt? Alle Umwandlung der ökonomischen Grundlagen nützen nichts, so lange die Menschen nicht veredelt sind.
Die Weise und der Text sind nicht neu. Sie wurden schon vor hundert Jahren gesungen, als das Lied ertönte vom beschränkten Untertanenverstand. Die zärtlichen Landesväter der heiligen Allianz hätten ihren geliebten Landeskindern gern jede mögliche Freiheit gegeben. Aber diese mussten erst die nötige „Reife“ dazu erlangen!
Nun fällt es mir nicht ein, zu leugnen, dass jede Produktionsweise nicht nur bestimmter technischer, sondern auch psychologischer Vorbedingungen bedarf, ohne die sie nicht in Wirksamkeit treten kann. Welcher Art diese psychologischen Vorbedingungen für eine gegebene Produktionsweise sein müssen, das ergibt sich aus dem Charakter der ökonomischen Aufgaben, welche sie stellt.
Niemand wird nun behaupten wollen, dass ich bei meiner Untersuchung Menschen von engelhaftem Charakter vorausgesetzt habe. Die Probleme, die zu lösen waren, setzten voraus Intelligenz, Disziplin und Organisationstalent. Das sind die psychologischen Vorbedingungen einer sozialistischen Gesellschaft. Gerade sie aber werden heute schon von der kapitalistischen Gesellschaft geschaffen. Es ist die historische Aufgabe des Kapitals, die Arbeiter zu disziplinieren und zu organisieren und ihren geistigen Horizont über den Bereich der Werkstatt und des Kirchturms hinaus zu erweitern.
Auf Grundlage des handwerksmäßigen oder bäuerlichen Betriebs zu sozialistischer Produktion zu kommen, ist nicht bloß aus ökonomischen Gründen, wegen der geringen Produktivität der Betriebe, sondern auch aus psychologischen unmöglich. Ich habe ja schon darauf hingewiesen, wie die kleinbürgerliche Psychologie zum Anarchismus neigt und der Disziplin eines gesellschaftlichen Betriebs widersteht. Dies ist eine der großen Schwierigkeiten, die sich dem Kapital in den Anfängen der kapitalistischen Produktion entgegenstellen, da es ja seine ersten Arbeiter dem Handwerk oder der Bauernschaft entnimmt. Damit hatte es im 18. Jahrhundert in England zu kämpfen, das erschwert heute noch in den Südstaaten der amerikanischen Union das rasche Vordringen der Großindustrie, die dort durch die Nähe wichtiger Rohstoffe sehr begünstigt wird.
Aber nicht nur Disziplin, sondern auch Organisationstalent wird in kleinbürgerlichen und bäuerlichen Zuständen nur wenig entwickelt. Es gibt da keine großen Menschenmassen zu planmäßigem Zusammenwirken zu vereinigen. Auf dieser ökonomischen Stufe bieten nur die Armeen Gelegenheit zur Organisation großer Massen. Die großen Heerführer sind auch große Organisatoren. Die kapitalistische Produktion verpflanzt die Aufgabe der Organisierung großer Menschenmassen in die Industrie. Die Kapitalisten bilden bekanntlich ihre Hauptleute und Feldherren, und so sind denn auch alle, die sich unter ihnen auszeichnen, hervorragende Organisatoren. Dementsprechend werden daher die organisatorischen Talente unter seinen Angestellten vom Kapital besonders hochgeschätzt und belohnt. So wachsen zahlreiche organisatorische Talente heran, die auch ein proletarisches Regime mit Nutzen wird verwenden können. Wir werden die Fabrikdirektoren und Trustleiter nicht zur Untätigkeit verdammen.
Das Kapital bedarf aber auch intelligenter Arbeitskräfte, und so sehen wir, dass der Konkurrenzkampf es überall dahin treibt, wenigstens das gewerbliche Schulwesen zu verbessern. Andererseits führt die Entwicklung des Verkehrs und des Zeitungswesens von selbst dazu, den geistigen Horizont der Arbeiter zu erweitern.
Aber nicht nur der Drang des Kapitals nach Ausbeutung großer Arbeitermassen, sondern ebenso sehr der Kampf des Proletariats gegen diese Ausbeutung entwickelt die psychologischen Vorbedingungen sozialistischer Produktion; er entwickelt Disziplin, allerdings, wie wir schon gesehen, eine andere als die vom Kapital aufgezwungene; er entwickelt aber auch das Organisationstalent; denn nur durch das einmütige Zusammenwirken seiner großen Menschenmassen kann das Proletariat sich im Kampfe gegen das Kapital und den kapitalistischen Staat behaupten. Die Organisation ist die wuchtigste Waffe des Proletariats, und fast alle seine großen Führer sind auch große Organisatoren. Dem Gelde des Kapitals, den Waffen des Militärstaats hat das Proletariat nichts entgegen zu setzen als seine ökonomische Unentbehrlichkeit und seine Organisationen. Dass mit diesen und durch sie auch seine Intelligenz wächst, bedarf keines Beweises.
Es wird einer hohen Intelligenz, einer strammen Disziplin, einer vollkommenen Organisation seiner großen Massen bedürfen, und diese müssen gleichzeitig aufs unentbehrlichste im ökonomischen Leben geworden sein, soll es die Kraft erlangen, seine so furchtbaren Gegner niederwerfen zu können. Wir dürfen erwarten, dass ihm dies erst dann gelingen wird, wenn es jene Eigenschaften in höchstem Grade entwickelt hat, dass also die Herrschaft des Proletariats und damit die soziale Revolution nicht früher eintreten wird, als bis nicht bloß die ökonomischen, sondern auch die psychologischen Vorbedingungen einer sozialistischen Gesellschaft in ausreichendem Maße gegeben sind. Da es dazu nicht erforderlich ist, dass die Menschen Engel werden, werden wir auf diese psychologische Reise nicht allzu lange warten müssen.
Brauchen sich aber die modernen Proletarier nicht sehr zu ändern, um reif für eine sozialistische Gesellschaft zu werden, so dürfen wir allerdings erwarten, dass diese den Charakter des Menschen erheblich verändern wird. Was man als Vorbedingung der sozialistischen Gesellschaft hinstellt und was die kapitalistische Gesellschaft unmöglich leisten kann, was also eine unmögliche Vorbedingung wäre, die Schaffung eines höheren Typus des Menschen, als es der moderne ist, das wird das Ergebnis des Sozialismus sein. Er wird den Menschen Sicherheit, Ruhe und Muße bringen, er wird ihren Sinn über die Alltäglichkeit erheben, weil sie nicht mehr alltäglich daraus werden sinnen müssen, woher das Brot für morgen zu beschaffen. Er wird die Persönlichkeit unabhängig machen von anderen Persönlichkeiten und so das Knechtsgefühl wie die Menschenverachtung ausrotten. Er wird gleichzeitig einen Ausgleich zwischen Stadt und Land schaffen, den Menschen alle Schätze einer reichen Kultur zugänglich machen und ihnen die Natur zurückgeben, aus der sie Kraft und Lebensfreude schöpfen.
Gleichzeitig mit den physiologischen Wurzeln des Pessimismus rottet er auch seine sozialen aus, das Elend und die Verkommenheit der einen, die aus der Not eine Tugend machen, und die Übersättigung der anderen, die in arbeitslosem Genießen den Kelch der Freude bis auf die Hefe geleert haben. Der Sozialismus beseitigt Not und Übersättigung und Unnatur, macht die Menschen lebensfroh, schönheitsfreudig und genussfähig. Und dabei bringt er die Freiheit wissenschaftlichen und künstlerischen Schaffens für alle.
Dürfen wir nicht annehmen, dass unter diesen Bedingungen ein neuer Typus des Menschen erstehen wird, der die höchsten Typen überragt, welche die Kultur bisher geschaffen? Ein Übermensch, wenn man will, aber nicht als Ausnahme, sondern als Regel; ein Mensch, Übermensch gegenüber seinen Vorfahren, aber nicht gegenüber seinen Genossen, ein erhabener Mensch, der seine Befriedigung nicht darin sucht, groß zu sein unter verkrüppelten Zwergen, sondern groß unter Großen, glücklich mit Glücklichen der sein Gefühl der Kraft nicht daraus schöpft, dass er sich erhebt auf den Leibern der Zertretenen, sondern daraus, dass ihm die Vereinigung mit Gleichstrebenden den Mut gibt, sich an die Bezwingung der höchsten Probleme zu wagen.
So dürfen wir erwarten, dass ein Reich der Kraft und der Schönheit entstehen wird, das würdig ist der Ideale unserer tiefsten und edelsten Denker.
Zuletzt aktualisiert am 7.1.2012