Rudolf Hilferding


Böhm-Bawerks Marx-Kritik

III. Die Subjektivistische Auffassung

<175> Gerade das Phänomen der Variationen des Produktionspreises hat uns bewiesen, wie die Erscheinungen der kapitalistischen Gesellschaft nie begriffen werden können, wenn man die Ware oder das Kapital in seiner Isoliertheit betrachtet. Es ist vielmehr das gesellschaftliche Verhältnis, in dem diese stehen, und seine Änderungen, welche die Bewegungen der Einzelkapitale, die nur Teile des gesellschaftlichen Gesamtkapitals sind, beherrscht und erklärt. Aber diesen gesellschaftlichen Zusammenhang sieht der Vertreter der psychologischen Schule der Nationalökonomie nicht; er missversteht daher notwendig eine Theorie, die darauf ausgeht, gerade die gesellschaftliche Bedingtheit der volkswirtschaftlichen Erscheinungen aufzudecken, deren Ausgangspunkt daher die Gesellschaft und nicht das Individuum bildet. Den Begriffen und Ausdrücken die-<176> ser Theorie legt er immer seinen individualistischen Sinn unter und gelangt so zu Widersprüchen, die er der Theorie zuschreibt, während sie nur seiner Auffassung der Theorie zuzurechnen sind.

Wir können dieses fortwährende quid pro quo in allen Stadien der Polemik Böhms verfolgen. Schon den Grundbegriff des Marxschen Systems, den Begriff der fasst schaffenden Arbeit, fasst Böhm durchaus subjektiv. Arbeit ist ihm identisch mit „Mühe“. Diese individuelle Unlustempfindung zur Ursache des Wertes machen, führt natürlich dazu, im Wert nur eine psychologische Tatsache zu sehen, den Wert der Waren aus der Wertschätzung der Arbeit, die sie gekostet haben, abzuleiten. Es ist die bekannte Begründung, die Ad. Smith, der den objektiven Standpunkt fortwährend zugunsten eines subjektiven verlässt, für seine Werttheorie gibt, wenn er sagt: „Gleiche Quantitäten Arbeit müssen zu allen Zeiten und an allen Orten für den Arbeiter selbst denselben Wert haben. In seinem normalen Zustand von Gesundheit, Kraft und Tätigkeit und mit dem Durchschnittsgrad von Geschicklichkeit, die er besitzen mag, muss er immer die nämliche Portion seiner Ruhe, seiner Freiheit und seines Glückes hingeben“. Ist aber die Arbeit als „Mühe“ Ursache der Wertschätzung, dann ist der „Wert der Arbeit“ ein Constituens oder eine „Determinante“, wie Böhm sagt, des Warenwertes. Aber sie braucht dann nicht die einzige zu sein; eine Reihe anderer Momente, welche die subjektive Bewertung der einzelnen beeinflussen, erscheinen neben der Arbeit und mit gleichem Rechte als Bestimmgründe des Wertes. Identifiziert man also einmal Wert der Waren mit der Wertschätzung, den diese Waren durch die Individuen erfahren, so erscheint es willkürlich, gerade die Arbeit als einzigen Grund für diese Wertschätzung anzunehmen.

Vom subjektivistischen Standpunkt, von dem aus Böhm seine Kritik unternimmt, erscheint daher die Arbeitswerttheorie im vorhinein unhaltbar. Und dieser Standpunkt ist es eben, der Böhm zu sehen hindert, dass der Marxsche Begriff der Arbeit dem seinen ganz entgegengesetzt ist. Schon in Zur Kritik der politischen Ökonomie (1. Auflage, Seite 37) [MEW, Bd. 13, S. 45] hat Marx den Gegensatz zur subjektivistischen Auffassung Smiths präzisiert, wenn er sagt: Er „versieht die objektive Gleichung, die der Gesellschaftsprozess gewaltsam zwischen den ungleichen Arbeiten vollzieht, mit der subjektiven Gleichberechtigung der individuellen Arbeiten“, wobei es statt Gleichberechtigung wohl auch Gleichwertung hätte heißen können. Tatsächlich kommt es Marx gar nicht auf die individuelle Motivation der Wertschätzung an; vollends die „Mühe“ zum Maßstab des Wertes in der kapitalistischen Gesellschaft machen, wäre absurd, da die Eigentümer der Produkte überhaupt keine Mühe gehabt haben, sondern die anderen, die sie erzeugt haben, aber nicht besitzen. In der Tat ist im Begriff der Wert schaffenden Arbeit bei Marx jede individuelle Beziehung ausgelöscht, erscheint die Arbeit nicht als Lust- oder Unlustempfindungen erregend, sondern als eine objektive, den Waren inhärente, durch den Entwicklungsgrad der gesellschaftlichen Produktivkraft bestimmte, Größe. Wäh-<177> rend die Arbeit so für Böhm nur als eine der Bestimmgründe der Wertungen der Individuen erscheint, ist für Marxsche Betrachtung die Arbeit Grundlage und Bindeglied der menschlichen Gesellschaft, bedingt der Grad ihrer Produktivität und die Art ihrer Organisation die Art des gesellschaftlichen Zusammenlebens. Indem die Arbeit in ihrer gesellschaftlichen Bestimmtheit, also als Gesamtarbeit der Gesellschaft gefasst, von der jede individuelle Arbeit nur einen aliquoten Teil bildet, zum Prinzipe des Wertes gemacht wird, werden die volkswirtschaftlichen Erscheinungen einer objektiven, vom Willen des einzelnen unabhängigen und von gesellschaftlichen Zusammenhängen beherrschten Gesetzmäßigkeit unterworfen. Unter der Hülle der ökonomischen Kategorien erscheinen gesellschaftliche Verhältnisse – Produktionsverhältnisse –, die durch Güter vermittelt werden und durch diese Vermittlung reproduziert werden oder sich allmählich verwandeln und eine andere Art der Vermittlung erheischen.

Das Wertgesetz wird auf diese Weise zum Bewegungsgesetz einer bestimmten, auf Warenproduktion beruhenden Gesellschaftsorganisation, weil in letzter Instanz alle Änderungen in der Entwicklung der Struktur zurückgeführt werden können auf Änderungen in den Produktionsverhältnissen, also auf Änderungen in der Entwicklung der Produktivkraft und der Organisation der Arbeit. Damit ist die Nationalökonomie im schroffsten Gegensatz zur psychologischen Schule als Teil der Gesellschaftswissenschaft und diese selbst als historische Wissenschaft gefasst. Dieser Gegensatz ist Böhm gar nicht zum Bewusstsein gekommen. Die Frage, ob die „subjektivistische“ oder ob die „objektivistische Methode“ in der Ökonomie berechtigt ist, entscheidet er in einer Polemik mit Sombart dahin, dass jede die andere zu ergänzen hat, während es sich doch überhaupt nicht um zwei verschiedene Methoden handelt, sondern um eine verschiedene Auffassung des ganzen sozialen Lebens, von denen die eine die andere ausschließt. So kommt es, dass Böhm indem er fortwährend von seinem subjektivistisch-psychologischen Standpunkt aus die Polemik führt, Widersprüche gegen die Marxsche Theorie sieht, die ihm nur als solche erscheinen, weil er diese subjektivistisch ausgelegt hat.

Ist aber die Arbeit das einzige Maß der Wertschätzung und damit des Wertes, so ist es für diese subjektivistisch befangene Auffassung nur konsequent, dass dann die Waren sich nur nach Maßgabe gleicher, in ihnen enthaltener Arbeitsmengen austauschen dürfen, da es sonst nicht einzusehen wäre, was die Individuen bewegen könnte, von ihrer Bewertung abzugehen. Entsprechen aber die Tatsachen dieser Prämisse nicht, so verliert das Wertgesetz jede Bedeutung, wird die Arbeit nur ein Bestimmgrund neben anderen. Daher das große Gewicht, das Böhm darauf legt, dass die Waren sich nicht nach Maßgabe gleicher Arbeitsmengen austauschen. Es muss dies als Widerspruch erscheinen, wenn man den Wert nicht als objektive Größe, sondern als Resultat individueller Motivation <178> fasst. Denn ist die Arbeit der Maßstab für meine Wertschätzung, so werde ich nur dann geneigt sein, mein Gut auszutauschen, wenn ich ein anderes dafür erhalte, das mich mindestens ebensoviel Arbeit kosten würde, wenn ich es selbst herstellte. Eine dauernde Abweichung des Tauschverhältnisses ist – die subjektivistische Auffassung des Wertgesetzes einmal gegeben – tatsächlich ein Widerspruch in sich selbst, eine Aufhebung des Sinnes (scil. des subjektivistischen Sinnes) des Wertgesetzes, das hier die Motive der wirtschaftlichen Handlung des einzelnen angibt.

Anders bei Marx. Dass die Güter Arbeit enthalten, ist eine ihnen innewohnende Eigenschaft; dass sie ausgetauscht werden können, eine zweite, die nur vom Willen ihrer Besitzer abhängt und nur voraussetzt, dass sie appropriiert und veräußerlich sind. Die Beziehung der Arbeitsmenge zum Austauschverhältnis tritt erst ein, wenn sie regelmäßig als Waren – das heißt als zum Austausch bestimmte Güter – produziert werden, also in einem bestimmten Abschnitt der historischen Entwicklung. Das quantitative Verhältnis, in dem sie jetzt ausgetauscht werden, wird damit abhängig von der Produktionszeit, die ihrerseits bestimmt ist durch den Grad der gesellschaftlichen Produktivität. Das Austauschverhältnis verliert damit seinen zufälligen, nur von den Launen der Besitzer abhängigen Charakter. Die gesellschaftlichen Bedingungen der Arbeit treten als objektive Schranke dem einzelnen entgegen, der gesellschaftliche Zusammenhang beherrscht das Handeln des einzelnen.

Die Art des gesellschaftlichen Produktionsprozesses aber bestimmt den gesellschaftlichen Distributionsprozess, der nicht mehr – wie etwa in einem kommunistischen Gemeinwesen – bewusst geregelt ist, sondern als Resultat der von den unabhängigen Einzelproduzenten vollzogenen Tauschhandlungen erscheint, die von den Gesetzen der Konkurrenz beherrscht werden.

Das Marxsche Wertgesetz geht davon aus, dass sich die Waren zu ihren Werten austauschen, das heißt, dass die in ihnen enthaltenen Arbeitsmengen gleich sind. Die Gleichheit der Arbeitsmengen ist nur Bedingung des Austausches der Waren zu ihren Werten. In seiner subjektivistischen Auffassung befangen, versieht Böhm diese Bedingung für eine Bedingung des Austausches überhaupt. Es ist aber klar, dass der Austausch der Waren zu ihren Werten einerseits nur den theoretischen Ausgangspunkt für die weitere Analyse bildet, andererseits aber eine historische Phase der Warenproduktion, der eine bestimmte Art der Konkurrenz entspricht, direkt beherrscht.

Was aber tatsächlich im Austauschverhältnis der Waren, das nur ein sachlicher Ausdruck gesellschaftlicher Verhältnisse der Personen ist, zur Verwirklichung gelangt, ist die Gleichheit der Produktionsagenten. Weil in der einfachen Warenproduktion sich gleichgestellte, unabhängige, im Besitz ihrer Produktionsmittel befindliche Arbeiter gegenüberstehen, findet der Tausch zu Preisen statt, die den Werten zu entsprechen tendieren. Nur da-<179> durch kann sich der Mechanismus der einfachen Warenproduktion erhalten, werden die Bedingungen der Reproduktion der Produktionsverhältnisse erfüllt.

In dieser Gesellschaft gehört das Arbeitsprodukt dem Arbeiter: würde durch dauernde Abweichung – zufällige kompensieren sich – ihm ein Teil des Arbeitsprodukts weggenommen, einem anderen zugeschanzt, so würde das die Grundlagen dieser Gesellschaft ändern; der eine würde zum Lohnarbeiter (Hausindustriellen), der andere zum Kapitalisten. Dies ist tatsächlich eine der Auflösungsformen der einfachen Warenproduktion. Dass aber ihre Auflösung möglich war, unterstellt geänderte gesellschaftliche Verhältnisse, die daher auch den Tausch, den Ausdruck der gesellschaftlichen Verhältnisse änderten.

Im kapitalistischen Austauschprozess, dessen Zweck Realisierung des Mehrwertes ist, spiegelt sich abermals die Gleichheit der Wirtschaftssubjekte wider. Aber diese sind jetzt nicht mehr die selbstarbeitenden Produzenten, sondern die Kapitalbesitzer. Ihre Gleichheit kommt zum Ausdruck, indem der Tausch nur normal ist, wenn der Profit gleich, Durchschnittsprofit ist. Der Tausch, der die Gleichheit des Kapitalbesitzers zum Ausdruck bringt, ist natürlich anders bestimmt als der, der die Gleichheit des Arbeitsaufwandes zur Grundlage hat. Aber wie die Grundlagen beider Gesellschaften, Besitz- und Arbeitsteilung, dieselben sind, wie die kapitalistische Gesellschaft nur als höhere Modifikation der ersteren gefasst werden kann, so ist auch das Wertgesetz in seiner Grundlage unverändert und hat nur bestimmte Modifikationen seiner Verwirklichung gefunden. Diese erscheinen verursacht durch die spezifische Art der kapitalistischen Konkurrenz, die die proportionelle Gleichheit des Kapitals bewirkt. Der Anteil am Gesamtprodukt, dessen Wert durch das Wertgesetz unmittelbar bestimmt bleibt, war früher proportional dem Arbeitsaufwand des Individuums und wird jetzt proportional dem Kapital notwendig, um die Arbeit in Bewegung zu setzen. Darin kommt die Unterordnung der Arbeit unter das Kapital zum Ausdruck. Sie erscheint als gesellschaftliche Unterordnung, die ganze Gesellschaft geteilt in Kapitalisten und Arbeiter, erstere als Besitzer des Produkts der letzteren, dessen Größe, bestimmt durch das Wertgesetz, unter die ersteren aufgeteilt wird. Die ersteren sind frei und gleich; ihre Gleichheit erscheint im Produktionspreis = k + p, wo p proportional k. Der Arbeiter erscheint in seiner Abhängigkeit als Bestandteil von k neben Maschinen, Schmieröl und Arbeitsvieh; soviel gilt er dem Kapitalisten, sobald er den Markt verlassen hat und in der Fabrik steht, Mehrwert erzeugend. Nur einen Moment lang hat er am Markt eine Rolle gespielt, als Freier seine Arbeitskraft verkaufend. Die kurze Herrlichkeit auf dem Markt und die lange Erniedrigung in der Fabrik, sie zeigen den Unterschied von juristischer und ökonomischer Gleichheit, von der Gleichheitsforderung der Bourgeoisie und der des Proletariats.

<180> Die kapitalistische Produktionsweise – und dies ist ihre historische Bedeutung und lässt sie als Vorstufe der sozialistischen Gesellschaft erscheinen – vergesellschaftet in höherem Maße als irgend eine der früheren Produktionsweisen den Menschen, das heißt, sie macht seine individuelle Existenz abhängig von den gesellschaftlichen Beziehungen, in die er gestellt ist. Sie tut es in antagonistischer Form durch Herstellung der großen Klassen, indem sie die gesellschaftliche Arbeitsleistung zur Funktion der einen, den Genuss an den Produkten dieser Arbeit zur Funktion der anderen Klasse macht.

Der einzelne ist noch nicht gesellschafts-unmittelbar, sondern seine ökonomische Stellung ist bestimmt durch seine Klassenzugehörigkeit. Als Kapitalist existiert der einzelne nur, weil seine Klasse das Produkt der anderen Klasse aneignet, und sein eigener Anteil ist nur bestimmt durch den Gesamtmehrwert, nicht durch den von ihm individuell angeeigneten Mehrwert.

Diese Bedeutung der Klasse bringt das Wertgesetz als gesellschaftliches Gesetz zum Ausdruck. Nur seine Nichtbestätigung für das Gebiet der Gesellschaft würde daher ein Scheitern der Theorie bedeuten.

In der kapitalistischen Gesellschaft erscheint der einzelne als Herrscher oder Sklave, je nach seiner Einreihung in die beiden großen Klassen. Die sozialistische Gesellschaft macht ihn frei, indem sie die antagonistische Form der Gesellschaft aufhebt, die Vergesellschaftung bewusst und direkt herstellt. Der gesellschaftliche Zusammenhang erscheint dann nicht mehr verborgen hinter rätselhaften ökonomischen Kategorien, die als natürliche Eigenschaften der Dinge erscheinen, sondern als frei gewolltes Resultat menschlichen Zusammenwirkens. Die Ökonomie hört dann in ihrer bisherigen Gestalt auf, um ersetzt zu werden von einer Lehre vom „Reichtum der Nationen“.

Die Kraft, die die Umwandlung der Werte in Produktionspreise bewirkt, ist die Konkurrenz. Aber es handelt sich dabei um kapitalistische Konkurrenz. Auch um den Verkauf zu Preisen zu bewirken, die um den Wert schwanken, ist Konkurrenz nötig. Aber bei der einfachen Warenproduktion handelt es sich um die gegenseitige Konkurrenz der fertigen Waren, welche die individuellen Werte zu einem Marktwert ausgleicht, die subjektiven Irrtümer des einzelnen objektiv korrigierend. Hier kommt in Betracht die Konkurrenz der Kapitale um die verschiedenen Anlage Sphären, welche die Gleichheit der Profite herstellt, eine Konkurrenz, die erst nach Beseitigung der rechtlichen und faktischen Schranken, welche die Freizügigkeit des Kapitals und der Arbeit verhindert hatten, wirksam werden kann. Ist die immer wachsende Verschiedenheit der organischen Zusammensetzung des Kapitals und damit die immer stärkere Differenz in den in den einzelnen Produktionssphären direkt erzeugten Mehrwertmassen selbst erst Resultat der kapitalistischen Entwicklung, so schafft dann diese Entwicklung zugleich die Möglichkeit und Notwendigkeit, diese Verschiedenheiten für das <181> Kapital auszulöschen und die Gleichheit der Menschen qua Kapitalbesitzer zu verwirklichen.

Wir haben früher gesehen, nach welchen Gesetzen sich diese Ausgleichung vollzieht. Wir haben auch gesehen, wie es nur auf Grund des Wertgesetzes möglich war, die Größe des zur Verteilung kommenden Gesamtprofits gleich dem Gesamtmehrwert zu bestimmen und damit das Maß der Abweichung des Produktionspreises von ihrem Wert. Wir haben ferner gesehen, wie die Veränderungen in den Produktionspreisen stets auf Wertänderungen zurückgeführt werden müssen und nur aus ihnen erklärt werden können. Hier interessiert uns nur, wie die subjektivistische Auffassung auch da die Einsicht in die Marxschen Gedankengänge behindert.

Für Böhm ist die Konkurrenz nur ein Sammelname für all die psychischen Antriebe und Motive, von denen sich die Marktparteien leiten lassen und die auf diese Weise auf die Bildung der Preise Einfluss gewinnen. Für diese Ansicht hat es daher keinen Sinn, von Deckung der Nachfrage und des Angebots im üblichen Sinne zu sprechen, da immer eine Anzahl von Bedürfnissen unbefriedigt bleibt; denn es kommt für diese Theorie nicht die effektive Nachfrage, sondern die Nachfrage überhaupt in Betracht, wobei es allerdings rätselhaft bleibt, wie die Meinungen und Wünsche derjenigen, die nicht kaufen können, auf die Kaufpreise Einfluss nehmen sollen. Wenn Marx sich auf die Konkurrenz, das heißt also auf diese psychischen Antriebe beruft: durchbricht er nicht die Geltung seines objektiven Wertgesetzes?

Das Verhältnis von Nachfrage und Zufuhr bestimmt den Preis, aber die Höhe des Preises bestimmt das Verhältnis von Nachfrage und Zufuhr. Wächst die Nachfrage, so steigt der Preis; aber steigt der Preis, so fällt die Nachfrage, und fällt der Preis, so steigt sie. Ferner: Steigt die Nachfrage und daher der Preis, so steigt die Zufuhr, weil die Produktion lohnender geworden. So bestimmt der Preis Nachfrage und Zufuhr, und Nachfrage und Zufuhr bestimmen den Preis; es bestimmt ferner die Nachfrage die Zufuhr und die Zufuhr die Nachfrage. Und alle diese Schwankungen haben zudem noch die Tendenz, sich auszugleichen. Wächst die Nachfrage und wird so der Preis über sein normales Niveau gehoben, so wird die Zufuhr vermehrt; diese Vermehrung wird leicht stärker als nötig, und der Preis fällt jetzt unter die Norm. Soll es in diesem Wirrsal keinen festen Punkt geben?

Böhm meint, Nachfrage und Zufuhr decken sich immer, ob nun zu einem normalen oder unregelmäßigen Preis getauscht werde. Was ist aber dieser normale Preis? Auf Basis der kapitalistischen Produktion ist der Verwertungsprozess des Kapitals Bedingung der Produktion. Damit der Kapitalist weiter produzieren soll, muss er die Ware zu einem Preise verkaufen können, der gleich ist seinem Kostpreis plus dem Durchschnittsprofit. Kann er diesen Preis – den normalen Preis der kapitalistisch produzierten Ware – nicht realisieren, so stockt der Reproduktionsprozess, die Zufuhr ver-<182> mindert sich bis zu einem Punkte, wo das Verhältnis von Nachfrage und Zufuhr erlaubt, diesen Preis zu realisieren. Das Verhältnis von Nachfrage und Zufuhr hört damit auf, ein rein zufälliges zu sein, es erscheint als beherrscht durch den Produktionspreis, der das Zentrum bildet, um das in stetig entgegengesetzten und sich daher auf die Dauer kompensierenden Abweichungen die Marktpreise schwanken. Der Produktionspreis ist so Bedingung der Zufuhr, der Reproduktion der Waren. Und nicht nur der Reproduktion der Waren. Die Erzielung eines solchen Verhältnisses von Nachfrage und Zufuhr, dass der normale Preis, der Produktionspreis, realisiert werden kann, ist notwendig, damit der Gang der kapitalistischen Produktionsweise ungestört erhalten werden kann, damit die gesellschaftlichen Bedingungen einer Produktionsweise, deren treibendes Motiv das Verwertungsbedürfnis des Kapitals ist, selbst durch den Ablauf des Zirkulationsprozesses ständig reproduziert werden.

Auf die Dauer muss das Verhältnis von Angebot und Zufuhr daher ein solches sein, dass der unabhängig von diesem Verhältnis bestimmte Produktionspreis erzielt wird, der dem Kapitalisten den Kostpreis mit samt seinem Profit, um dessentwillen er die Produktion unternommen hat, einbringt. Dann spricht man von Deckung von Nachfrage und Angebot.

Sehen wir uns andererseits nach der Nachfrage um; sie ist „wesentlich bedingt durch das Verhältnis der verschiedenen Klassen zueinander und durch ihre respektive ökonomische Position, namentlich also durch das Verhältnis des Gesamtmehrwertes zum Arbeitslohn und zweitens durch das Verhältnis der verschiedenen Teile, worin sich der Mehrwert spaltet (Profit, Zins, Grundrente, Steuern u.s.w.); und so zeigt sich auch hier wieder, wie absolut nichts aus dem Verhältnis von Nachfrage und Zufuhr erklärt werden kann, bevor die Basis entwickelt ist, worauf dies Verhältnis spielt“ (III S. 160) [MEW, Bd. 25, S. 191]. Marx gibt also die objektiven Gesetze, welche durch die „psychischen Antriebe“ der einzelnen verwirklicht werden und sie beherrschen. Die psychologische Schule kann nur eine Seite, die Nachfrage, zu erklären versuchen. Sie glaubt diese Erklärung gefunden zu haben, wenn sie die einzelnen Bedürfnisse klassifiziert, die als Nachfrage erscheinen. Sie übersieht, dass damit, dass ein Bedürfnis vorhanden ist, noch nichts gesagt ist über die Möglichkeit, dieses Bedürfnis zu befriedigen. Diese Befriedigungsmöglichkeit hängt aber nicht von dem guten Willen des Bedürfenden ab, sondern von seiner ökonomischen Macht, von dem Anteil an dem gesellschaftlichen Produkt, über den er verfügen kann, von der Größe des Äquivalents, das er für Produkte geben kann, die in der Hand anderer Personen befindlich sind.

Indem Marx die Produktionskraft der menschlichen Gesellschaft in der bestimmten Organisationsform, die ihr die Gesellschaft verleiht, zum Grundbegriff der nationalökonomischen Betrachtung macht, stellt er die ökonomischen Erscheinungen und ihre Veränderungen in ihrem gesetzmäßigen, von den Änderungen der<183> Produktionskraft kausal beherrschten Verlaufe dar. Dabei geht, gemäß der dialektischen Methode der begrifflichen Entwicklung überall die historische parallel, da die Entwicklung der gesellschaftlichen Produktionskraft einmal in ihrer historischen Realität, das andere Mal als begriffliche Widerspiegelung im System erscheint. Es ist dieser Parallelismus, der zugleich den striktesten empirischen Beweis für die Richtigkeit der Theorie bildet. Der Ausgangspunkt ist notwendigerweise die Warenform; sie ist die einfachste Form, die Problem der ökonomischen Betrachtung, als einer eigenartigen wissenschaftlichen Betrachtung, wird. Denn in der Warenform ist bereits jener Schein lebendig, der dadurch entsteht, dass die gesellschaftlichen Verhältnisse der Personen die Gestalt sachlicher Eigenschaften der Dinge annehmen. Es ist dieser gegenständliche Schein, der die ökonomischen Probleme so mystifiziert. Die gesellschaftlichen Charaktere der Personen erscheinen als gegenständliche Eigenschaften der Sachen, wie die subjektiven Anschauungsformen des Menschen (Zeit und Raum) als objektive Eigenschaften der Dinge. Indem Marx diesen Schein auflöst, indem er persönliche Beziehungen aufdeckt, wo vor ihm sachliche und gesellschaftliche, wo vor ihm individuelle gesehen wurden, gelingt ihm eine einheitliche und widerspruchslose Erklärung der Phänomene, an denen die klassische Ökonomie gescheitert war. Sie musste scheitern, weil sie die bürgerlichen Produktionsverhältnisse als natürliche, unabänderliche angesehen hatte. Indem Marx die historische Bedingtheit dieser Produktionsverhältnisse nachwies, konnte er die Analyse dort fortsetzen, wo die Klassiker aufhören mussten.

Aber der Nachweis der historischen Vergänglichkeit der bürgerlichen Produktionsverhältnisse, das bedeutete das Aufhören der Nationalökonomie als bürgerliche Wissenschaft und war die Begründung der Nationalökonomie als proletarische Wissenschaft.

Den bürgerlichen Vertretern blieben nur mehr zwei Wege offen, sobald sie mehr sein wollten, als bloße Apologeten, denen ein kritikloser Eklektizismus die haltlosen Stützen zu ihren Harmoniesystemen liefern mussten. Sie konnten die Theorie ignorieren, an deren Stelle sie die Wirtschaftsgeschichte zu setzen suchten, wie es die historische Schule in Deutschland tat, auch auf ihrem spezifischen Gebiete beschränkt durch den Mangel jeder einheitlichen Erfassung des wirtschaftlichen Geschehens. Anders die psychologische Schule der Nationalökonomie. Sie versucht zu einer Theorie des ökonomischen Geschehens zu gelangen, indem sie die Ökonomie selbst aus ihrer Betrachtung ausschließt. Statt ökonomischer, gesellschaftlicher Beziehung wählt sie zum Ausgangspunkt ihres Systems die individuelle Beziehung zwischen dem Menschen und den Dingen. Sie betrachtet diese Beziehung vom psychologischen Standpunkt als eine natürliche, unabänderlichen Gesetzen folgende. Sie schließt die Produktionsverhältnisse in ihrer gesellschaftlichen Bestimmtheit aus, ebenso wie ihr der Gedanke einer gesetzmäßig sich gestaltenden Entwicklung des Wirtschaftsgeschehens <184> fremd ist. Diese ökonomische Theorie bedeutet die Leugnung der Ökonomie; das letzte Wort, das die bürgerliche Nationalökonomie dem wissenschaftlichen Sozialismus antwortet, ist die Selbstaufhebung der Nationalökonomie.


2.3.2013