Rudolf Hilferding


Böhm-Bawerks Marx-Kritik

I. Der Wert als Ökonomische Kategorie

<136> Den Ausgangspunkt des Marxschen Systems bildet die Analyse der Ware. Gegen sie wendet Böhm zunächst seine Kritik.

Marx erbringe für seine These, dass das Prinzip des Wertes in der Arbeit zu suchen sei, weder einen empirischen noch einen psychologischen Beweis; er ziehe es vor, „einen dritten, für einen derartigen Stoff gewiss etwas seltsamen Beweisgang einzuschlagen; den Weg eines rein logischen Beweises, einer dialektischen Deduktion aus dem Wesen des Tausches heraus“ (4).

Er nehme von Aristoteles den Gedanken, dass der Austausch nicht sein kann ohne die Gleichheit, die Gleichheit aber nicht ohne die Kommensurabilität. Daran anknüpfend, stelle er sich den Austausch zweier Waren unter dem Bilde einer Gleichung vor, folgere, dass in den beiden ausgetauschten und dadurch gleichgestellten Dingen ein Gemeinsames von derselben Größe existieren müsse, und gehe darauf aus, dieses Gemeinsame, auf welches die gleichgestellten Dinge als Tauschwerte reduzierbar sein müssen, aufzusuchen. Der wundeste Punkt der Marxschen Theorie seien nun die logischen und methodischen Operationen, durch welche jetzt als dies „Gemeinsame“ die Arbeit herausdestilliert werde. Sie weisen, meint Böhm, fast ebensoviele wissenschaftliche Kapitalfehler als Gedankenglieder auf. Zunächst tue Marx nur diejenigen tauschwerten (soll heißen: austauschbaren. R.H.) Dinge in das Sieb, welche die Eigenschaft besitzen, die er als die „gemeinsame“ schließlich herausheben wolle, und lasse alle andersartigen draußen. Er beschränke nämlich den Umfang seiner Untersuchung im vorhinein auf die „Waren“, die er als Arbeitsprodukte im Gegensatz zu Naturgaben einschränke. Nun liege es doch auf der Hand: wenn wirklich der Austausch eine Gleichsetzung bedeutet, die das Vorhandensein „eines Gemeinsamen von gleicher Größe“ voraussetzt, so muss das Gemeinsame doch bei allen austauschbaren Gütern zu finden sein; nicht bloß bei Arbeitsprodukten, sondern auch bei bloßen Naturgaben, wie bei Grund und Boden, Holz auf dem Stamm, Wasserkräften etc. Diese tauschwerten Güter auszuschließen, sei eine methodische Todsünde, die sich um so weniger rechtfertigen lasse, als manche, wie der Grund und Boden, zu den allerwichtigsten Objekten des Vermögens und Verkehrs gehören und sich durchaus nicht behaupten lasse, dass bei Naturgaben <137> die Tauschwerte (soll natürlich heißen: Preise! R.H.) sich immer nur ganz zufällig feststellen. Marx hüte sich auch, von dieser Ausschließung ausdrückliche Rechenschaft abzugeben. Vielmehr verstehe er es auch hier, wie so oft, mit aalglatter dialektischer Geschicklichkeit über die heiklen Stellen hinüberzugleiten. Er vermeide, aufmerksam zu machen, dass der Begriff „Ware“ enger ist als der des tauschwerten Gutes. Er suche diesen Unterschied vielmehr fortwährend zu verwischen. Er müsse dies auch tun; denn hätte Marx an der entscheidenden Stelle die Untersuchung nicht auf Arbeitsprodukte eingeengt, sondern auch bei den „tauschwerten“ Naturgaben nach dem Gemeinsamen gesucht, so wäre es handgreiflich gewesen, dass die Arbeit das Gemeinsame nicht sein könne. Marx selbst und seine Leser hätten über den derben methodischen Fehler stolpern müssen, hätte er jene Einengung offen vollzogen. Nur durch die bewundernswerte dialektische Geschicklichkeit, mit der Marx rasch und leicht über die heikle Stelle dahinglitt, war das Kunststück fertigzubringen.

Mit diesem fehlerhaften Verfahren hätte aber Marx erst erreicht, dass die Arbeit überhaupt in Konkurrenz treten konnte. Die anderen konkurrierenden Eigenschaften seien durch zwei weitere Gedankenglieder beseitigt, von denen jedes nur einige Worte, aber in ihnen einen der schwersten logischen Fehler enthalte. Im ersten Glied schließe Marx alle „geometrischen, physikalischen, chemischen oder sonstigen natürlichen Eigenschaften aus“. Denn „ihre körperlichen Eigenschaften kommen überhaupt nur in Betracht, soweit selbe sie nutzbar machen, also zu Gebrauchswerten. Andererseits ist aber das Austauschverhältnis der Waren augenscheinlich charakterisiert durch die Abstraktion von ihren Gebrauchswerten“. Denn „innerhalb desselben (des Austauschverhältnisses) gilt ein Gebrauchswert soviel wie jeder andere, wenn er nur in gehöriger Proportion vorhanden ist“ (5).

Marx begehe hier einen argen Fehler. Er verwechsle Abstraktion von einem Umstände überhaupt mit Abstraktion von den speziellen Modalitäten, unter denen dieser Umstand auftritt. Man könne von der speziellen Modalität abstrahieren, unter der der Gebrauchswert der Waren erscheinen mag, aber beileibe nicht vom Gebrauchswerte überhaupt. Das hätte Marx schon daraus entnehmen können, dass kein Tauschwert, der nicht zugleich Gebrauchswert, existieren könnte, was er doch selbst ganz gut wisse.

Es sei uns gestattet, hier die Wiedergabe des Böhmschen Gedankenganges durch eine kleine Einschiebung zu unterbrechen, welche geeignet ist, nicht nur die Logik, sondern auch die Psychologie des Hauptes der psychologischen Schule zu beleuchten.

Wenn ich von der „speziellen Modalität, unter der der Gebrauchswert erscheinen mag“, also vom Gebrauchswert in seiner Konkret- <138> heit, abstrahiere, habe ich für mich vom Gebrauchswert überhaupt abstrahiert, da er für mich nur in dieser seiner Konkretheit als so und so beschaffener Gebrauchswert existiert. Dass er für andere Gebrauchswert, also für irgend jemand nützlich, ändert nichts daran, dass er aufgehört hat, für mich Gebrauchswert zu sein. Und erst in dem Moment, wo er aufgehört hat, für mich Gebrauchswert zu sein, tausche ich ihn aus. Dies gilt wörtlich für die entwickelte Warenproduktion. Hier produziert der einzelne eine Ware allein, die für ihn höchstens in einem einzelnen Exemplar, aber nie in ihrer Masse Gebrauchswert haben kann. Dass diese Ware für andere nützlich, ist Voraussetzung für ihre Austauschbarkeit, aber als für mich nutzlos, ist der Gebrauchswert meiner Ware kein Maßstab auch nur meiner individuellen Wertschätzung, geschweige denn Maßstab für eine objektive Wertgröße. Es hilft nichts, zu sagen, der Gebrauchswert bestünde nun in der Fähigkeit dieser Ware, gegen andere Waren ausgetauscht werden zu können. Denn das heißt, dass die Größe des „Gebrauchswertes“ jetzt gegeben ist durch die Größe des Tauschwertes, nicht die Größe des Tauschwertes durch die Größe des Gebrauchswertes.

Solange die Güter nicht zum Zwecke des Austausches, also nicht als Waren produziert werden, solange also der Tausch zufällig, nur Überschüssiges ausgetauscht wird, stehen sich die Güter nur als Gebrauchswerte gegenüber:

„Ihr quantitatives Austauschverhältnis ist zunächst ganz zufällig. Austauschbar sind sie durch den Willensakt ihrer Besitzer, sie wechselseitig zu veräußern. Indes setzt sich das Bedürfnis für fremde Gebrauchsgegenstände allmählich fest. Die beständige Wiederholung des Austausches macht ihn zu einem regelmäßigen gesellschaftlichen Prozess. Im Lauf der Zeit muss daher wenigstens ein Teil der Arbeitsprodukte absichtlich zum Behuf des Austausches produziert werden. Von diesem Augenblick befestigt sich einerseits die Scheidung zwischen der Nützlichkeit der Dinge für den unmittelbaren Bedarf und ihrer Nützlichkeit zum Austausch. Ihr Gebrauchswert scheidet sich von ihrem Tauschwerte. Andererseits wird das quantitative Verhältnis, worin sie sich austauschen, von ihrer Produktion selbst abhängig. Die Gewohnheit fixiert sie als Wertgrößen“ (6).

Es ist aber tatsächlich nur eine Abstraktion der bestimmten Modalität, unter der der Gebrauchswert auftritt, die Marx vornimmt. Denn der Gebrauchwert bleibt „Träger des Wertes“. Dies ist zunächst nur eine Selbstverständlichkeit, da der „Wert“ nur ökonomische Formbestimmung des Gebrauchswertes. Es ist nur die Anarchie der heutigen Produktionsweise, die unter bestimmten Verhältnissen (Überführung des Marktes!) den Gebrauchswert zum Nichtgebrauchswert und damit wertlos macht, die die Konstatierung dieser Selbstverständlichkeit bedeutungsvoll macht.

<139> Kehren wir zu Böhm zurück. Noch schlimmer, meint er, ist es mit dem zweiten Glied der Marxschen Gedankenkette bestellt. Marx behauptet, dass, wenn man vom Gebrauchswert absehe, den Waren nur noch eine Eigenschaft bleibe, die von Arbeitsprodukten. Aber bleibt den Waren, fragt Böhm entrüstet, nicht noch eine Menge Eigenschaften? Haben sie nicht die Eigenschaft gemeinsam, im Vergleich zum Bedarf selten oder Gegenstand des Begehres und Angebotes, appropriiert oder Naturprodukte zu sein oder Kosten zu verursachen – eine Eigenschaft, an die sich ja Marx im dritten Band so genau erinnert? Warum soll das Prinzip des Wertes nicht in einer dieser Eigenschaften liegen? Denn zugunsten der Arbeit habe ja Marx gar keinen positiven Grund vorgebracht, sondern nur den negativen, dass es der glücklich hinwegabstrahierte Gebrauchswert nicht sei. Komme aber dieser negative Grund in gleichem Maße nicht allen anderen von Marx übersehenen (!) gemeinsamen Eigenschaften zu? Ja noch mehr: Marx sagt doch selbst: „Mit dem nützlichen Charakter der Arbeitsprodukte verschwindet der nützliche Charakter der in ihnen dargestellten Arbeiten, es verschwinden also auch die verschiedenen konkreten Formen dieser Arbeiten; sie unterscheiden sich nicht länger, sondern sind allesamt reduziert auf gleiche menschliche Arbeit, abstrakt menschliche Arbeit“. Damit sage er doch selbst, dass für das Austauschverhältnis nicht bloß ein Gebrauchswert, sondern auch eine Art von Arbeit „gerade so viel gilt wie jede andere, wenn sie nur in gehöriger Proportion vorhanden ist“. Derselbe Tatbestand, auf Grund dessen Marx soeben sein Ausschließungsverdikt gegen den Gebrauchswert ausgesprochen habe, bestünde also auch rücksichtlich der Arbeit. Arbeit und Gebrauchswert, sagt Böhm, haben eine qualitative und eine quantitative Seite. So gut der Gebrauchswert als Tisch oder Garn verschieden, so die Arbeit als Tischler- oder Spinnerarbeit. Und so gut man Arbeit verschiedener Art nach ihrer Menge vergleichen kann, geradeso kann man Gebrauchswerte verschiedener Art nach der Größe des Gebrauchswertes vergleichen. Es ist unerfindlich, warum der identische Tatbestand für den einen Konkurrenten zur Ausschließung, für den anderen zur Krönung mit dem Preise führen soll. Marx hätte ebensogut verkehrt verfahren und die Arbeit hinwegabstrahieren können.

Das ist Marx' Logik und Methodik, wie sie sich im Kopfe Böhms widerspiegelt. Marx sei ganz willkürlich verfahren. Obwohl er ganz unberechtigter, aber sehr schlauer Weise nur Arbeitsprodukte in den Austausch treten ließ, sei er doch nicht imstande gewesen, auch nur den kleinsten Grund dafür anzuführen, dass das Gemeinsame, das angeblich im Austausch der Waren vorhanden sein müsse, in der Arbeit zu suchen sei. Nur durch willkürliche Ignorierung einer Reihe anderer Eigenschaften, durch ganz ungerechtfertigtes Hinwegabstrahieren des Gebrauchswertes sei Marx zu seinem Resultat gekommen. Ebensowenig wie die Klassiker der politischen Ökonomie sei Marx imstande gewesen, den Satz, dass die Arbeit das Prinzip des Wertes sei, auch nur im geringsten zu beweisen.

<140> Böhms kritische Frage, auf die Marx so falsch geantwortet haben soll, ist somit die Frage, mit welchem Recht Marx die Arbeit als allein wertschaffend proklamieren konnte, und unsere Gegenkritik muss zunächst darin bestehen, zu zeigen, dass die Analyse der Ware diese Antwort enthält.

Böhm sieht in der Marxschen Analyse die Gegenüberstellung von Nützlichkeit und Arbeitsprodukt. Dies ist jedoch, darin stimmen wir mit Böhm überein, kein Gegensatz. Die meisten Dinge müssen erst bearbeitet werden, um nützlich zu sein. Umgekehrt ist es für die Beurteilung der Nützlichkeit eines Dinges gleichgültig, ob und wieviel Arbeit es gekostet hat. Dass es Arbeitsprodukt ist, macht ein Gut noch nicht zur Ware. Doch nur als Ware ist ein Gut gegensätzlich bestimmt: als Gebrauchswert und Wert. Aber ein Gut wird nur Ware, indem es in Beziehung tritt zu anderen Gütern, eine Beziehung, die im Austausch sichtbar wird und der quantitativen Betrachtung als Tauschwert des Gutes erscheint. Die Eigenschaft, als Tauschwert zu fungieren, macht so den Warencharakter des Gutes aus. Eine Ware aber kann sich auf andere Waren nicht von selbst beziehen; diese sachliche Beziehung der Güter aufeinander kann nur Ausdruck der persönlichen Beziehung ihrer Besitzer sein. Als Warenbesitzer sind sie aber Träger bestimmter Produktionsverhältnisse; von einander unabhängige und gleiche Produzenten von Privatarbeiten, aber von Privatarbeiten eigener Art; nicht zum Selbstverbrauch bestimmter, sondern zum Austausch bestimmter, also von Privatarbeiten, die bestimmt sind nicht für individuelle, sondern für gesellschaftliche Bedürfnisbefriedigung. Durch den Austausch der Produkte wird also der gesellschaftliche Zusammenhang der durch das Privateigentum und die Arbeitsteilung in ihre Atome zerlegten Gesellschaft hergestellt.

Die Ware ist so ökonomischer Ausdruck, das heißt Ausdruck gesellschaftlicher Beziehungen der von einander unabhängigen Produzenten, sofern diese durch Güter vermittelt werden. Die gegensätzliche Bestimmung der Ware als Gebrauchswert und Wert, ihr Gegensatz, soweit sie als Naturalform oder als Wertform erscheint, erscheint uns jetzt als Gegensatz der Ware, soweit sie auf der einen Seite als natürliches Ding, auf der anderen Seite als gesellschaftliches Ding auftritt. Es handelt sich hier also in der Tat um eine Dichotomie, wo die Setzung des einen Gliedes das andere ausschließt und umgekehrt. Aber es ist nur ein Gegensatz der Betrachtungsweise. Ware ist Einheit von Gebrauchswert und Wert, nur die Betrachtungsweise ist doppelt: als natürliches Ding ist sie Gegenstand der Natur-, als gesellschaftliches Ding Gegenstand einer Gesellschaftswissenschaft, der politischen Ökonomie. Gegenstand der Ökonomie ist also die gesellschaftliche Seite der Ware, des Gutes, soweit es Symbol des gesellschaftlichen Zusammenhanges ist, während ihre natürliche Seite, der Gebrauchswert, jenseits des Betrachtungskreises der politischen<141> Ökonomie liegt (7).

Ausdruck von gesellschaftlichen Verhältnissen kann aber die Ware nur sein, sofern sie selbst als Produkt der Gesellschaft betrachtet wird, alserscheint nicht mehr als Produkt der Arbeit verschiedener Subjekte, diese erscheinen vielmehr als bloße „Organe der Arbeit“. Die Privatarbeiten erscheinen so der ökonomischen Betrachtung als ihr Gegenteil: als gesellschaftliche Arbeiten. Die Bedingungen der wertschaffenden Arbeit sind also gesellschaftliche Bestimmungen der Arbeit oder Bestimmungen gesellschaftlicher Arbeit.

Die Abstraktion, die Marx vornimmt, um von dem Begriff der konkreten, privaten zu dem der abstrakt menschlichen, gesellschaftlichen Arbeit zu gelangen, ist nicht nur nicht identisch, wie Böhm meint, sondern das Gegenteil des Abstraktionsvorganges, der den Gebrauchswert ausschließt.

Der Gebrauchswert ist individuelles Verhältnis eines Dinges zu einem Menschen. Abstrahiere ich von seiner Konkretheit – und ich muss dies tun, sobald ich dies Ding veräußere und damit dartue, dass es aufgehört hat, für mich Gebrauchswert zu sein – so zerstöre ich damit dieses individuelle Verhältnis. Aber nur in seiner Individualität könnte der Gebrauchswert Maßstab meiner persönlichen Wertschätzung sein. Abstrahiere ich dagegen von der konkreten Art und Weise, in der ich meine Arbeit verausgabt habe, so bleibt noch immer die Tatsache bestehen, dass Arbeit überhaupt in ihrer allgemein menschlichen Gestalt verausgabt wurde; eine objektive Größe, deren Maß in ihrer Zeitdauer gelegen ist.

Es ist aber diese objektive Größe, auf die es Marx ankommt. Er sucht den gesellschaftlichen Zusammenhang, in dem die scheinbar <142> vereinzelten Produktionsagenten stehen. Die gesellschaftliche Produktion, damit die jeweilige materielle Grundlage der Gesellschaft, ist qualitativ – ihrer Art nach – bestimmt durch die Art der Organisation der gesellschaftlichen Arbeit; diese Organisation, kausal aus dem ökonomischen Bedürfnis erstanden, wird bald gesetzlich, juristisch fixiert. Diese „äußere Regelung“ bildet logische Voraussetzung der Ökonomie; sie liefert die Bewegungsformen, in denen sich die einzelnen Glieder der Gesellschaft – arbeitende oder über Arbeit verfügende Glieder – aufeinander beziehen. In der besitz- und arbeitsteiligen Gesellschaft erscheint diese Beziehung im Austausch, drückt sich als Tauschwert aus. Der gesellschaftliche Zusammenhang erscheint als Resultat privater Beziehungen, und zwar Beziehungen nicht von Privatpersonen, sondern von Privatsachen. Das eben ist es ja, was das ganze Problem so mystifiziert. Aber indem sich die Sachen aufeinander beziehen, gewinnt die Privatarbeit, die sie hergestellt hat, nur Geltung, sofern sie Verausgabung ihres Gegenteils, gesellschaftlich notwendiger Arbeit, ist.

Das Resultat des auf diese Weise qualitativ bestimmten gesellschaftlichen Produktionsprozesses ist quantitativ bestimmt durch die Gesamtmasse der aufgewendeten gesellschaftlichen Arbeit. Als aliquoter Teil des gesellschaftlichen Arbeitsprodukts – und nur als solcher fungiert sie im Tauschverkehr – ist die Einzelware quantitativ bestimmt durch die in ihr enthaltene Quote der Gesamtarbeitszeit.

Als Wert ist also die Ware gesellschaftlich bestimmt, ist sie gesellschaftliches Ding. Nur als solches fällt sie unter ökonomische Betrachtungsweise. Wenn es aber Aufgabe der ökonomischen Analyse einer Gesellschaftsordnung bildet, das innere Bewegungsgesetz dieser Gesellschaft aufzudecken, und wenn das Wertgesetz berufen ist, diesen Dienst zu leisten, so kann das Prinzip des Wertes kein anderes sein als das, auf dessen Veränderung in letzter Instanz die Änderungen der Gesellschaftsordnungen sich zurückführen lassen.

Jede Werttheorie, die vom Gebrauchswert, also von den natürlichen Eigenschaften des Dinges ausgeht, sei es von seiner fertigen Gestalt als nützlich Ding, sei es von seiner Funktion, der Bedarfsbefriedigung, geht aus von dem individuellen Verhältnis zwischen einem Ding und einem Menschen, statt von den gesellschaftlichen Verhältnissen der Menschen zueinander. Sie verfällt damit in den Fehler, aus diesem subjektiven, individuellen Verhältnis, welches Ausgangspunkt für subjektive Wertschätzungen sein kann, ein objektives gesellschaftliches Maß herleiten zu wollen. Dann aber muss sie, da dieses individuelle Verhältnis in gleicher Art in allen Gesellschaftszuständen vorhanden ist und in sich selbst kein Prinzip einer Veränderung birgt – denn die Entwicklung der Bedürfnisse und der Möglichkeit ihrer Befriedigung ist selbst wieder bedingt – darauf verzichten, Bewegungsgesetze und Entwicklungstendenzen der Gesellschaft aufzufinden. Ihre Betrachtungsweise ist unhistorisch und unsozial. Ihre Kategorien sind natürliche und ewige Kategorien.

Indem im Gegensatz dazu Marx von der Arbeit ausgeht in ihrer Be-<143> deutung als das die menschliche Gesellschaft konstituierende und durch ihre Entwicklung die Entwicklung der Gesellschaft in letzter Instanz bestimmende Element, fasst er in seinem Wertprinzip den Faktor, dessen Qualität und Quantität – Organisation und Produktivkraft – das gesellschaftliche Leben kausal beherrscht. Der ökonomische Grundbegriff ist daher derselbe wie der Grundbegriff der materialistischen Geschichtsauffassung. Er muss derselbe sein, da ja das ökonomische Leben nur ein Teil des geschichtlichen Lebens, die ökonomische Gesetzmäßigkeit also dieselbe sein muss wie die geschichtliche. Indem die Arbeit in ihrer gesellschaftlichen Gestalt Maß des Wertes wird, wird die Ökonomie konstituiert als historische und als Gesellschaftswissenschaft. Die ökonomische Betrachtung wird damit zugleich eingeschränkt auf die bestimmte Epoche der geschichtlichen Entwicklung, wo das Gut Ware wird, das heißt, wo die Arbeit und die Verfügungsgewalt über sie nicht bewusst zum regulierenden Prinzip des gesellschaftlichen Stoffwechsels und der gesellschaftlichen Machtstellung erhoben ist, sondern wo dieses Prinzip sich unbewusst und automatisch als sachliche Eigenschaft der Dinge durchsetzt, indem die eigentümliche Form, die der gesellschaftliche Stoffwechsel im Austausch gewonnen hat, bewirkt, dass die Privatarbeiten nur insofern Geltung gewinnen, als sie gesellschaftliche Arbeiten sind. Die Gesellschaft hat gleichsam das ihr nötige Arbeitsquantum auf ihre Mitglieder aufgeteilt und jedem einzelnen gesagt, wieviel Arbeit er auf seinen Teil verwenden müsse. Und diese einzelnen haben es vergessen und erfahren nun nachträglich im gesellschaftlichen Prozessweg, welches ihr Anteil war.

Weil also die Arbeit das gesellschaftliche Band ist, das die in ihre Atome zerlegte Gesellschaft verbindet, und nicht weil sie die technisch relevanteste Tatsache ist, ist sie Prinzip des Wertes und besitzt das Wertgesetz Realität. Indem Marx die gesellschaftlich notwendige Arbeit als Ausgangspunkt nimmt, ist er so imstande, das innere Getriebe der auf Privateigentum und Arbeitsteilung basierten Gesellschaft aufzudecken. Für ihn ist die individuelle Beziehung zwischen Mensch und Gut Voraussetzung; im Austausch manifestiert sich ihm nicht eine Verschiedenheit individueller Wertschätzung, sondern eine Gleichheit eines historisch bestimmten Produktionsverhältnisses; nur in diesem Produktionsverhältnis, als Symbol, sachlicher Ausdruck persönlicher Beziehungen, als Träger der gesellschaftlichen Arbeit, wird das Gut zur Ware und nur als Ausdruck abgeleiteter Produktionsverhältnisse können Nichtarbeitsprodukte Warencharakter annehmen.

Wir sind damit bei dem Einwand Böhms: Wieso Naturprodukte „Tauschwert“ haben können. Die Naturbedingungen, unter denen die Arbeit ausgeübt wird, sind der Gesellschaft unveränderlich gegeben; aus ihnen lassen sich daher Änderungen gesellschaftlicher Verhältnisse nicht herleiten. Es ändert sich nur die Art und Weise, <144> wie die Arbeit sich dieser Naturbedingungen bemächtigt. Der Grad, in dem dies gelingt, bestimmt den Grad der Produktivität der Arbeit. Die Änderung der Produktivität berührt nur die konkrete, Gebrauchswert schaffende Arbeit; aber indem nun die Masse der Produkte, in der sich die wert schaffende Arbeit verkörpert, gewachsen oder vermindert ist, verkörpert sich nunmehr im Einzelexemplar mehr oder weniger Arbeit als früher. Insofern nun die Verfügung über eine Naturkraft einem einzelnen zusteht und ihm erlaubt, mit größerer als der gesellschaftlichen Durchschnittsproduktivität zu arbeiten, ist er imstande, einen Extramehrwert zu realisieren. Dieser Extramehrwert erscheint dann, kapitalisiert, als Preis dieser Naturkraft, respektive des Grundes und Bodens, dessen Zubehör sie ist. Der Grund und Boden ist keine Ware; er erhält aber Warencharakter in einem langwierigen historischen Prozess als Bedingung der Erzeugung von Waren. Der Ausdruck Wert oder Preis des Bodens ist also nur eine irrationelle Form, hinter der sich ein wirkliches Produktions-, also Wertverhältnis verbirgt. Das Grundeigentum schafft nicht den Wertteil, der sich in Surplusprofit verwandelt, sondern es befähigt nur den Grundeigentümer, diesen Surplusprofit aus der Tasche des Fabrikanten in seine eigene zu locken. Indem Böhm den Naturgaben einen eigenen Wert zuschreibt, verfällt er in die physiokratische Illusion, dass die Rente aus der Natur und nicht aus der Gesellschaft entspringt.

So wirft Böhm überall natürliche und gesellschaftliche Bestimmungen durcheinander. Dies zeigt sich klar bei seiner Anführung jener Eigenschaften, die den Waren außerdem noch gemeinsam sein sollen. Es ist ein kunterbuntes Gemisch: Die Tatsache der Appropriation ist der juristische Ausdruck der historischen Verhältnisse, die vorausgesetzt werden müssen, damit Güter überhaupt ausgetauscht werden können, eine „vorökonomische“ Tatsache; wie diese quantitativer Maßstab sein sollte, ist unerfindlich. Dass sie Naturprodukte sind, ist eine natürliche Eigenschaft der Waren, die sie gleichfalls auf keine Weise quantitativ vergleichbar macht. Dass sie weiters Gegenstand des Bedarfes und im Verhältnis zu diesem selten sind, macht ihren Gebrauchswert aus; denn die relative Seltenheit macht sie subjektiv zum Gegenstand einer Wertschätzung, also zum Gebrauchswert, während objektiv – vom Standpunkt der Gesellschaft – ihre Seltenheit Funktion des Arbeitsaufwandes ist und in der Größe dieses ihr objektives Maß findet.

*

Wie Böhm im vorausgehenden die natürlichen nicht von den gesellschaftlichen Bestimmungen der Ware scheidet, so vermengt er in dem folgenden die Betrachtungsweise der Arbeit, sofern sie Gebrauchswert, mit der Betrachtung der Arbeit, sofern sie Wert schafft, und findet dann einen neuen Widerspruch des Wertgesetzes mit der Erfahrung, den Marx aber in seiner geschickten dialektischen Weise nicht als offenkundigen Widerstreit gegen seine These, sondern nur als leichte Variante zur Sprache bringe.

<145> Marx sage, dass komplizierte Arbeit einem bestimmten Quantum einfacher Arbeit gleich sei. Nun habe er gelehrt, dass die im Austausch einander gleichgesetzten Dinge ein „Gemeinsames von derselben Größe enthalten, und dies Gemeinsame solle eine Arbeit und eine Arbeitszeit sein. Dieser Forderung entsprächen aber die Tatsachen keineswegs. Denn in komplizierter Arbeit, zum Beispiel im Produkt eines Bildhauers, sei überhaupt keine einfache Arbeit enthalten, geschweige denn eine einfache Arbeit von gleicher Menge wie in fünf Tagesprodukten eines Steinklopfers. Die nüchterne Wahrheit sei (sie ist wirklich sehr nüchtern!), dass die beiden Produkte verschiedene Arten von Arbeit in verschiedener Menge verkörpern, das Gegenteil von dem Tatbestande, den Marx fordert: dass sie nämlich Arbeit derselben Art in gleicher Menge verkörperten“.

Wir möchten hier nur einschaltungsweise bemerken, dass die „gleiche Menge“, also die quantitative Gleichheit, hier nicht in Betracht kommt. Hier handelt es sich bloß um die Vergleichbarkeit verschiedener Arten Arbeit, also um die Möglichkeit ihrer Zurückführung auf dieselbe Einheit, also um ihre qualitative Gleichheit.

Freilich, fährt Böhm fort, sage Marx: „Dass diese Reduktion (sc. von komplizierter auf einfache Arbeit) beständig vorgeht, zeigt die Erfahrung. Eine Ware mag das Produkt der kompliziertesten Arbeit sein, ihr Wert setzt sie dem Produkt einfacher Arbeit gleich und stellt daher selbst nur ein bestimmtes Quantum einfacher Arbeit dar. Die verschiedenen Proportionen, worin verschiedene Arbeitsarten auf einfache Arbeit als ihre Maßeinheit reduziert sind, werden durch einen gesellschaftlichen Prozess hinter dem Rücken der Produzenten festgesetzt und scheinen ihnen daher durch das Herkommen gegeben“ (8).

Aber nach Böhm bedeutet diese Berufung auf die Erfahrung und den Wert doch nur einen Zirkel in der Erklärung. Denn Gegenstand der Erfahrung seien die Austauschverhältnisse der Waren, zum Beispiel auch, warum Bildhauerarbeit das Fünffache einfacher Arbeit sei. Marx sage nun, dass es das Fünffache sei, lehre die Erfahrung, die zeige, dass durch den gesellschaftlichen Prozess diese Reduktion stattfinde. Aber dieser gesellschaftliche Prozess solle ja eben erklärt werden. Würde das faktische Austauschverhältnis 1 : 3 sein statt 1 : 5, so würde uns Marx anweisen, diesen Reduktionsmaßstab als den erfahrungsmäßigen anzuerkennen. Wir erfahren so, resümiert Böhm, über die eigentliche Ursache, warum Produkte verschiedener Arbeitsarten in diesem oder jenem Verhältnis vertauscht werden, rein gar nichts. An diesem entscheidenden Punkte versage das Wertgesetz.

Dies ist jener bekannte Einwand, den nicht nur Böhm so nachdrücklich betont. Jeder „denkende Leser“, den Marx in seinem bekannten „sozialen Optimismus“ in der Vorrede unterstellt – wie wir glauben, die einzig unberechtigte „Unterstellung“, die Marx je gemacht hat – <146> fühlt hier zunächst eine Lücke, und sie wurde ja auch von „mehr oder weniger marxistischer“ Seite, von Bernstein, C. Schmidt und Kautsky, als solche bezeichnet.

Sehen wir näher zu! Zunächst sagt uns Böhm selbst, dass die Verschiedenheit nur darin besteht, dass wir es das eine Mal mit komplizierter, das andere Mal mit einfacher Arbeit zu tun haben. Es ist also klar, dass die Verschiedenheit in der Werthöhe zurückgeführt werden muss auf die Verschiedenheit der Arbeit. Dasselbe Naturprodukt kann ja einmal als Arbeitsgegenstand einer einfachen, das zweite Mal einer komplizierten Arbeit dienen und erhält dadurch verschiedenen Wert. Ein logischer Widerspruch gegen das Wertgesetz liegt also nicht vor. Es kann sich nunmehr nur darum handeln, ob es notwendig ist, den Reduktionsmaßstab zu finden, und ob die Schwierigkeit, dieser Notwendigkeit zu genügen, nicht etwa unüberwindlich sei, so dass – die Notwendigkeit angenommen, den Reduktionsmaßstab zu kennen – der Wertbegriff ohne diese Kenntnis überhaupt untauglich wäre, der Erklärung ökonomischer Vorgänge zu dienen.

Vergegenwärtigen wir uns an dieser Stelle nochmals den Marxschen Gedankengang. In der oben zitierten Stelle heißt es: „Ihr Wert (sc. der mit komplizierter Arbeit hergestellten Ware) setzt sie dem Produkt einfacher Arbeit gleich“. Um diesen Prozess aber verstehen zu können, muss die Wertbetrachtung die in einem gegebenen Moment der Gesellschaft zur Verfügung stehende Arbeit als eine aus gleichartigen Teilen bestehende, nur quantitativ bestimmte Summe fassen und die einzelne Arbeit, soweit sie Wert schafft, nur als aliquoten Teil dieser Summe. Als qualitativ gleich kann ich aber die Gesamtarbeit nur betrachten, wenn ich sie auf eine gemeinsame Maßeinheit reduzieren kann. Diese Maßeinheit ist die „einfache Durchschnittsarbeit“, die besteht in der „Verausgabung einfacher Arbeitskraft, die im Durchschnitt jeder gewöhnliche Mensch ohne besondere Entwicklung in seinem Leibe besitzt“ (9). Komplizierte Arbeit gilt als Mehrfaches dieser Maßeinheit, der einfachen Durchschnittsarbeit. Aber das Wievielfache? Dies wird, sagt Marx, durch einen gesellschaftlichen Prozess hinter dem Rücken der Produzenten festgesetzt. Diese Berufung auf die Erfahrung will aber Böhm nicht gelten lassen. Die Werttheorie versage hier vollkommen. Denn „es ist nicht a priori aus irgend einer den qualifizierten Arbeiten inhärenten Eigenschaft bestimmt oder bestimmbar, in welchem Verhältnis sie bei der Wertbildung ihrer Produkte in einfache Arbeit umgerechnet werden sollen, sondern es entscheidet nichts als der tatsächliche Erfolg, die tatsächlichen Austauschverhältnisse“ (10). Böhm verlangt also den Reduktionsmaßstab, um im vorhinein die absolute Höhe der Preise feststellen zu können; denn die Erklärung des Preisphänomens bildet ja die Aufgabe der Ökonomie, wie Böhm an anderer Stelle meint.

<147> Bedeutete aber wirklich das Fehlen des Reduktionsmaßstabes die Unbrauchbarkeit des Wertgesetzes? Im bezeichnenden Gegensatz zu Böhm sieht Marx in der Werttheorie nicht das Mittel, um zur Feststellung der Preise zu gelangen, sondern das Mittel, die Bewegungsgesetze der kapitalistischen Gesellschaft zu finden. Die absolute Höhe der Preise ist der durch die Erfahrung gegebene Ausgangspunkt für diese Bewegung; für diese selbst ist aber die absolute Höhe nebensächlich, es handelt sich nur um das Gesetz ihrer Veränderung. Ob eine bestimmte komplizierte Arbeit, zum Beispiel Bildhauerarbeit, das Vier- oder das Sechsfache einfacher Arbeit, zum Beispiel der Schneiderei ist, ist gleichgültig. Wichtig ist aber, dass eine Verdoppelung oder Verdreifachung der Produktivkraft in der Sphäre der komplizierten Arbeit ihr Produkt gegenüber dem der unverändert gebliebenen, einfachen Arbeit um das Zwei-, respektive Dreifache senken würde.

Die absolute Höhe der Preise ist uns durch die Erfahrung gegeben; was uns interessiert, ist die gesetzmäßige Veränderung, die diese Preise erfahren. Diese Veränderung ist wie alle Veränderung Wirkung einer Kraft, und da es sich um Änderungen gesellschaftlicher Erscheinungen handelt, Wirkung der geänderten Größe einer gesellschaftlichen Potenz: der gesellschaftlichen Produktivkraft.

Indem aber das Wertgesetz konstatiert, dass diese Entwicklung der Produktivkraft in letzter Instanz die Veränderung der Preise beherrscht, gibt es die Möglichkeit, die Gesetze dieser Veränderungen einzusehen, und da alle ökonomischen Erscheinungen sich in Preisveränderungen manifestieren, damit auch die Erkenntnis der ökonomischen Erscheinungen überhaupt. Ricardo, der Unvollständigkeit seiner Analyse des Wertgesetzes bewusst, sagt daher direkt, dass die Untersuchung, auf die er die Aufmerksamkeit des Lesers zu lenken wünscht, in ihrer Wirkung auf die Variationen in dem relativen Wert der Waren und nicht in ihrem absoluten Wert Bezug hat.

Ihr Mangel des Reduktionsmaßstabes beeinträchtigt also keineswegs die Bedeutung des Wertgesetzes als Mittel, die innere Gesetzmäßigkeit des wirtschaftlichen Mechanismus zu erkennen. Aber in anderer Beziehung wäre dieser Mangel von Bedeutung. Wenn auch die absolute Höhe des Preises praktisch erst durch den gesellschaftlichen Prozess festgesetzt wird, müssen im Wertbegriff doch alle Elemente enthalten sein, die den Vorgang, den die Gesellschaft bei der Reduktion einhält, theoretisch erkennen lassen. Sonst bliebe dieser Vorgang, der auf die Werthöhe entscheidenden Einfluss nimmt, zwar wirklich, und er bildete auch keinen Widerspruch gegen das Wertgesetz, aber dieses würde nur mehr einen Teil der ökonomischen Phänomene, den wichtigsten, ihre Veränderungen, erklären, aber einen anderen Teil, den Ausgangspunkt dieser Veränderungen, unerklärt lassen.

Wenn jedoch Böhm nach der der qualifizierten Arbeit inhären- <140> ten Eigenschaft fragt, die ihre wertbildende Qualität ausmacht, so ist schon die Fragestellung verfehlt. Denn keiner Arbeit ist die Wertbildungseigenschaft an sich inhärent. Sondern die Arbeit bildet nur Wert bei einer bestimmten Art und Weise der gesellschaftlichen Organisation des Produktionsprozesses. Aus der Betrachtung der einzelnen Arbeit in ihrer Konkretheit kann man daher überhaupt nicht zum Begriff der wertbildenden Arbeit gelangen. Die komplizierte Arbeit darf also, wenn ich sie als wertbildend betrachte, nicht als solche, sondern muss als Teil der gesellschaftlichen Arbeit angesehen werden.

Und da fragt es sich: Was ist die komplizierte Arbeit vom Standpunkt der Gesellschaft aus? Nur so können wir hoffen, Anhaltspunkte zu gewinnen, die uns erkennen lassen, nach welchen Prinzipien diese gesellschaftliche Reduktion erfolgt. Diese Prinzipien können offenbar keine anderen sein als die, die im Wertgesetz enthalten sind. Doch hier stoßen wir auf eine Schwierigkeit. Das Wertgesetz gilt für Waren; die Arbeit ist aber keine Ware, wenn sie auch in der Kategorie des Arbeitslohnes als solche erscheint. Nur die Arbeitskraft ist Ware und besitzt Wert; die Arbeit bildet Wert, aber sie hat nicht selbst Wert. Den Wert einer Arbeitskraft, die komplizierte Arbeit schafft, zu berechnen, ist nicht schwer; wie der jeder anderen Ware ist er gleich der zu ihrer Produktion und Reproduktion erforderlichen Arbeit, die sich aus den Unterhalts- und Erlernungskosten zusammensetzt. Aber hier handelt es sich nicht um den Wert einer qualifizierten Arbeitskraft, sondern um die Frage, wieso und in welchem Verhältnis qualifizierte Arbeit höheren Wert schafft als einfache.

Wir dürfen den höheren Wert, den die qualifizierte Arbeit schafft, nicht herleiten aus dem höheren Lohn der qualifizierten Arbeitskraft. Dies hieße den Wert des Produktes aus dem „Wert der Arbeit“ herleiten. Freilich schlägt das Bernstein (11) vor und glaubt sich dabei auf ein Zitat aus Marx berufen zu können. Liest man aber den Satz in dem Zusammenhang, aus dem ihn Bernstein gerissen hat, so sagt er das Gegenteil von dem, was Bernstein aus ihm deduzieren will. Marx sagt (Kapital, I., V. Kapitel, Arbeitsprozess und Verwertungsprozess): „Es wurde früher bemerkt, dass es für den Verwertungsprozess durchaus gleichgültig, ob die vom Kapitalisten angeeignete Arbeit einfache, gesellschaftliche Durchschnittsarbeit oder kompliziertere Arbeit von höherem spezifischen Gewicht ist. Die Arbeit, die als höhere, kompliziertere Arbeit gegenüber der gesellschaftlichen Durchschnittsarbeit gilt, ist die Äußerung einer Arbeitskraft, worin höhere Bildungskosten eingehen, deren Produktion mehr Arbeitszeit kostet und die daher einen höheren Wert hat als die einfache Arbeitskraft. Ist der Wert dieser Kraft höher, so äußert sie sich aber auch in höherer Arbeit und vergegenständlicht sich daher, in denselben Zeiträumen, in verhältnismäßig höheren <149> Werten. Welches jedoch immer der Gradunterschied zwischen Spinnarbeit und Juwelierarbeit: die Portion Arbeit, wodurch der Juwelenarbeiter nur den Wert seiner eigenen Arbeitskraft ersetzt, unterscheidet sich qualitativ in keiner Weise von der zusätzlichen Portion Arbeit, wodurch er Mehrwert schafft. Nach wie vor kommt der Mehrwert nur heraus durch einen quantitativen Überschuss von Arbeit, durch die verlängerte Dauer desselben Arbeitsprozesses, in dem einen Fall Prozess der Garnproduktion, in dem anderen Fall Prozess der Juwelenproduktion“. Man sieht, die Frage, um die es sich Marx hier handelt, ist, wieso höhere Arbeit Mehrwert schaffen kann trotz des hohen Lohnes, also trotz der Größe der notwendigen Arbeit. Vollständig würde der Gedankengang des von Bernstein zitierten Satzes etwa so lauten: Ist der Wert dieser Kraft höher, so kann sie doch Mehrwert produzieren, weil sie sich in höherer Arbeit äußert u.s.w.

Marx lässt den Zwischensatz weg und verbindet den Nachsatz mit einem „aber“, während er, wenn Bernstein Recht hätte, ein „daher“ an Stelle des „aber“ hätte setzen müssen.[1] Es widerspricht doch der Marxschen Theorie aufs gröblichste, aus dem Arbeitslohn auf den Wert des Arbeitsproduktes zu schließen. Den Wert der Arbeitskraft gegeben, könnte ich den Wert, den diese Arbeitskraft neu schafft, nur berechnen, wenn mir ihr Exploitationsgrad bekannt wäre. Aber selbst wenn dieser mir bei der einfachen Arbeit gegeben wäre, kann ich nicht denselben Ausbeutungsgrad auch für komplizierte Arbeit annehmen. Er könnte ja vielleicht ein viel geringerer sein. Weder direkt noch indirekt sagt mir also der Lohn einer qualifizierten Arbeitskraft etwas aus über den Wert, den diese Arbeitskraft neu schafft. Das Gesicht, das die Marxsche Theorie bei der Interpretation Bernsteins machen würde – Bernstein meint nämlich, sie würde bei seiner Auffassung ein ganz anderes Gesicht gewinnen –, würde einen ironischen Zug kaum verbergen können. Wir müssen also auf andere Weise der Lösung des Problems uns zu nähern suchen.

Einfache Durchschnittsarbeit ist Verausgabung einer einfachen Arbeitskraft, qualifizierte oder komplizierte Arbeit aber Verausgabung qualifizierter Arbeitskraft. Jedoch um diese komplizierte Arbeitskraft herzustellen, war eine Reihe einfacher Arbeiten notwendig. Diese sind in der Person des qualifizierten Arbeiters aufgespeichert; erst wenn er zu arbeiten anfängt, werden diese Ausbildungsarbeiten für die Gesellschaft flüssig. Die Arbeit der Ausbilder überträgt also nicht nur Wert (der im höheren Lohn in Erscheinung tritt), sondern auch ihre eigene wertschaffende Kraft. Die Ausbildungsarbeiten sind also für die Gesellschaft latent und treten für sie erst in Erscheinung, wenn die komplizierte Arbeitskraft zu arbeiten anfängt. Ihre Verausgabung bedeutet daher die Verausgabung all der verschiedenen ein-<150> fachen Arbeiten, die in ihr gleichsam kondensiert erscheinen.

Indem einfache Arbeit aufgewandt wird zur Produktion einer qualifizierten Arbeitskraft, schafft sie demnach einerseits den Wert dieser Arbeitskraft, der im Lohn der qualifizierten Arbeitskraft wiedererscheint; andererseits aber schafft sie durch die konkrete Art ihrer Anwendung einen neuen Gebrauchswert, der darin besteht, dass nunmehr eine Arbeitskraft vorhanden ist, die Wert schaffen kann mit allen jenen Potenzen, die die einfachen Arbeiten hatten, die in ihre Bildung eingegangen sind. Indem die einfache Arbeit zur Herstellung komplizierter Arbeit verwandt wird, schafft sie also einerseits neuen Wert und überträgt sie andererseits auf ihr Produkt, ihren Gebrauchswert: Quelle von Neuwert zu sein. Vom Standpunkt der Gesellschaft aus betrachtet, ist die einfache Arbeit, solange sie zur Herstellung der komplizierten Arbeitskraft verwendet wird, latent. Ihre Wirkung für die Gesellschaft beginnt erst mit der Betätigung der qualifizierten Arbeitskraft, in deren Bildung sie eingegangen ist. In dem einen Akte ihrer Verausgabung wird also eine Summe von einfachen Arbeiten verausgabt und damit eine Summe von Wert und Mehrwert geschaffen, die der Wertsumme entspricht, die die Verausgabung aller einfachen Arbeiten erzeugt hätte, die notwendig waren, um die komplizierte Arbeitskraft und ihre Funktion, die komplizierte Arbeit, zu erzeugen. Komplizierte Arbeit erscheint so vom Standpunkt der Gesellschaft, also ökonomisch betrachtet, als Multiplum einfacher Arbeit, so verschieden einfache und komplizierte Arbeit einer anderen physiologischen, technischen oder ästhetischen Anschauung erscheinen mögen.

Die Gesellschaft zahlt dann in dem, was sie für das Produkt der qualifizierten Arbeit geben muss, ein Äquivalent für den Wert, den die einfachen Arbeiten erzeugt hätten, wenn sie direkt von der Gesellschaft konsumiert worden wären.

In je höherem Maße komplizierte Arbeit einfache Arbeit enthält, in desto höherem Maße schafft sie nun selbst höheren Wert, denn es sind in der Tat viele einfache Arbeiten, die gleichzeitig zur Herstellung desselben Produktes verwendet werden; komplizierte Arbeit also wirklich: multiplizierte einfache Arbeit. Ein Beispiel möge das Gesagte anschaulicher machen. Jemand besitzt zehn Akkumulatoren, mit denen er zehn verschiedene Arbeitsmaschinen in Bewegung setzt. Zur Herstellung eines neuen Produktes bedarf er einer anderen Maschine, die einen viel größeren Antrieb verlangt. Er benützt nun die zehn Akkumulatoren, um mit ihnen einen zu laden, der imstande ist, diese neue Maschine in Gang zu setzen. Die Kräfte der einzelnen Akkumulatoren erscheinen jetzt als eine einzige Kraft im neuen Akkumulator, die das Zehnfache der einfachen Durchschnittskraft darstellt.

In einer komplizierten Arbeit brauchen nicht nur einfache, sondern es können auch kompli-<151> zierte Arbeiten anderer Art, die dann selbst wieder zu reduzieren sind, enthalten sein. Je mehr in eine komplizierte Arbeit wieder andere komplizierte Arbeiten eingehen, desto kürzer wird der Bildungsprozess der komplizierten Arbeit sein.

So gibt uns also die Marxsche Werttheorie das Mittel, die Prinzipien zu erkennen, nach welchen der gesellschaftliche Prozess der Reduktion komplizierter auf einfache Arbeit stattfindet. Sie macht daher die Werthöhe zu einer theoretisch messbaren Größe. Wenn aber Böhm verlangt, Marx hätte den empirischen Beweis für seine Theorie erbringen sollen, und meint, dieser Beweis bestünde darin, die Beziehung zwischen Tauschwerten, respektive Preisen und den Arbeitszeiten darzulegen, so verwechselt er theoretische mit praktischer Messbarkeit. Was ich erfahrungsgemäß feststellen kann, ist der konkrete Arbeitsaufwand, den die Herstellung eines bestimmten Gutes erfordert. Wie weit diese konkrete Arbeit gesellschaftlich notwendige Arbeit bedeutet, wie weit sie also für die Wertbildung in Betracht kommt, könnte ich nur feststellen, wenn ich den jeweiligen Durchschnittsgrad von Produktivität und Intensität, den die Produktivkraft erlangt hat, sowie das von der Gesellschaft geforderte Quantum dieses Gutes kennen würde. Es heißt das aber vom einzelnen verlangen, was die Gesellschaft leistet. Denn der Rechenmeister, der die Höhe der Preise allein ausrechnen kann, ist die Gesellschaft und die Methode, der sie sich dabei bedient, ist die Konkurrenz. Indem diese im freien Wettbewerb auf dem Markte die von allen Produzenten zur Herstellung eines Gutes verausgabte konkrete Arbeit als eine Einheit behandelt und sie nur soweit honoriert, als ihre Verausgabung gesellschaftlich notwendig war, zeigt sie erst, in welchem Maße diese konkrete Arbeit tatsächlich bei der Wertbildung mitgewirkt hat und setzt den Preis dementsprechend fest. Es war ja diese Illusion, dass der theoretische Maßstab zugleich unmittelbarer praktischer Maßstab sei, die zur Utopie des Arbeitsgeldes und des konstituierten Wertes führte. Es ist die Auffassung, die in der Theorie des Wertes nicht ein Mittel sieht, „dem Bewegungsgesetz der heutigen Gesellschaft auf die Spur zu kommen“, sondern ein Mittel, zu einem möglichst stabilen und gerechten Preiskurant zu gelangen.

Es ist das Suchen nach einem solchen Preiskurant, welches in neuerer Zeit Herrn v. Buch (12) zu einer Theorie geführt hat, die, um zur Preisfeststellung zu gelangen, nichts weniger voraussetzen muss als den – Preis. Aber auch die psychologische „Wert“theorie kommt darüber nicht hinaus.

Sie bezeichnet die verschiedenen Grade der Bedürfnisbefriedigung mit bestimmten, aber beliebig gewählten Zahlen und lässt diese Zahlen die Preise bezeichnen, welche man für die Mittel der Bedürfnisbefriedigung zu geben gewillt ist. Der Vorgang ist dadurch verborgener, dass eine Menge willkürlicher Preise und nicht einer allein vorausgesetzt wird.

Der empirische Beweis für die Richtigkeit der Werttheorie liegt <152> aber in ganz anderer Richtung als in der ihn Böhm sucht. Wenn die Werttheorie der Schlüssel zum Verständnis der kapitalistischen Produktionsweise sein soll, so muss sie die Erscheinungen derselben widerspruchslos erklären können. Die tatsächlichen Vorgänge der kapitalistischen Welt dürfen ihr nicht widersprechen, sondern müssen sie verwirklichen. Dies aber bestreitet nunmehr Böhm. Der dritte Band des „Kapital“, wo Marx nicht mehr von den tatsächlichen Vorgängen abstrahieren könne, habe gezeigt, dass diese tatsächlichen Vorgänge sich mit den Voraussetzungen der Werttheorie nicht in Einklang bringen lassen. Die Ergebnisse des dritten Bandes stünden im schroffen Widerspruch mit denen des ersten. An der Wirklichkeit sei die Theorie gescheitert. Denn diese Wirklichkeit zeige, dass das Wertgesetz für den Austausch keine Gültigkeit besitze, da die Waren sich zu Preisen austauschen, die dauernd von ihrem Wert abweichen. In der Behandlung des Problems der Durchschnittsprofitrate werde der Widerspruch offenbar. Marx sei seine Lösung nur gelungen, indem er sein Wertgesetz einfach fallen ließ. Und dieser Vorwurf des Selbstwiderspruches ist, seitdem er von Böhm erhoben wurde, Gemeinplatz der bürgerlichen Ökonomie geworden; in Böhm kritisieren wir hier den Repräsentanten der bürgerlichen Kritik des dritten Bandes des „Kapital“.


Anmerkungen des Verfassers

(4) Siehe Geschichte etc., Seite 511 ff., und Zum Abschluß etc., Seite 151. [S. 93 d. A.].

(5) Kapital, I., 3. Auflage, Seite 4. [MEW, Bd. 23, S. 51 f.]

(6) Kapital, I., 3. Auflage, Seite 58. [MEW, Bd. 23, S. 102 f.]

(7) „Dies ist der Grund, warum deutsche Kompilatoren den unter dem Namen ‚Gut‘ fixierten Gebrauchswert con amore abhandeln ... Verständiges über Güter muss man suchen in ‚Anweisungen zur Warenkunde‘.“ (Zur Kritik der politischen Ökonomie). Wer die neuesten „Grundlegungen“ unserer Ökonomieprofessoren kennt, wird die Aktualität dieser 1859 geschriebenen Bemerkung post tot discrimina rerum zu schätzen wissen.

(8) Kapital, I., Seite II. [MEW, Bd. 23, S. 59].

(9) Kapital, I., Seite II. [MEW, Bd. 23, S. 59].

(10) Zum Abschluß etc., Seite 167. [S. 105 d. A.].

(11) Ed. Bernstein: Zur Theorie des Arbeitswerts“, Neue Zeit, XVIII. Jahrgang, I., Seite 359.

(12) Buch: Intensität der Arbeit, Leipzig 1896.



Anmerkungen der Herausgeber

[1] In der vierten von Engels herausgegebenen Auflage (= MEW, Bf. 23), steht hier ein „daher“; anders als in der von Hilferding verwandten 3. Auflage; vgl. MEW, Bd. 23, S. 212.


2.3.2013