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Nahezu alle Feinde des Sozialismus schwören auf die Familie. Sie sei der Hort all dessen, wofür es sich zu leben lohne: Liebe, Verantwortung, Achtung, Sicherheit
Aber es gibt auch eine andere Seite des häuslichen Familienlebens, die von solchen Leuten geleugnet wird – es ist die Seite, die im Lokalteil jeder Tageszeitung zu finden ist: das Schlagen von Frauen, Mißhandlung von Babys und Kleinkindern, Ehegemeinschaften, die nur noch durch gegenseitigen Haß zusammengehalten werden, Frauen, deren einziger Kontakt zur Außenwelt über Valium läuft, Männer, die jeden Abend in der Kneipe sind, weil sie es zu Hause nicht aushalten.
Die meisten Menschen glauben, daß das, was die Soziologen (Gesellschaftswissenschaftler) als Kernfamilie bezeichnen, also Mann, Frau und Kinder, schon immer bestanden hat. Aber in Wahrheit ist sie eine ziemlich neue Erscheinung. In der Vergangenheit haben die Menschen in Gesellschaften gelebt, die entweder auf der Polygamie (ein Mann mit mehreren Frauen) oder der Polyandrie (eine Frau mit mehreren Männern) gründeten; Gesellschaften, in denen die biologische Vaterschaft nicht anerkannt war; Gesellschaften, in denen Frauen zusammen mit ihren weiblichen Verwandten das Haus führten und die Männer nur gelegentlich Gäste sein durften; Gesellschaften, in denen die Männer ihre Frauen wie Sklaven behandelten.
In Klassengesellschaften haben jedoch alle verschiedenen Familienformen eines gemeinsam. Der Mann besaß in unterschiedlichem Maße Macht über die Frau in der Familie. Selbst in den fortgeschrittensten westlichen Gesellschaften gibt es eine ganze Reihe von Entscheidungen, die eine Ehefrau nicht ohne Zustimmung ihres Mannes treffen darf.
Die untergeordnete Stellung der Frau war keineswegs das Merkmal aller bisherigen Gesellschaften. In der langen Geschichte der Menschheit vor dem Entstehen von Klassen, gab es eine Vielzahl von Gesellschaften, in denen die Frauen den Männern gleichgestellt oder sogar übergeordnet waren. Dabei handelte es sich um solche Gesellschaften, in denen die Frauen eine zentrale Rolle in der Produktion einnahmen: bei der Aussaat und beim Einbringen der Ernten, also buchstäblich die Brotverdiener waren.
Was schließlich diesen Zustand verändert hat, ist seit langem eine Streitfrage zwischen Marxisten und Nichtmarxisten gewesen. Aber es scheint, daß vor etwa 5.000 Jahren die selben Veränderungen in der Produktion, die zur Klassengesellschaft führten, zu Privateigentum und der Herausbildung des Staates, auch die Vorherrschaft des Mannes über die Frau mit sich brachten. Neue Formen der Herstellung von Nahrungsmitteln entwickelten sich (insbesondere die Herdenzucht beim Vieh und die Anwendung von schweren Pflügen bei der Bestellung von Land), die mehr Kraft und eine größere Freizügigkeit und Beweglichkeit erforderten. Frauen waren dabei verhindert, weil sie oft schwanger und mit der Pflege von Säuglingen und Kleinkindern belastet waren.
So wurden die Frauen in weniger produktive Aufgaben abgedrängt. Die Kontrolle über die Nahrungsmittel wechselte über auf die Männer – sie benutzten die Kontrolle dazu, sich Vorteile zu verschaffen, wenn es Engpässe bei der Ernährung der Gruppe gab.
Es dauerte dann auch nicht mehr lange, bis sie die Frauen mehr oder weniger als ihren Besitz, ihre Sklavinnen betrachteten, deren Aufgabe darin bestand, auf die Brotgeber, die Männer zu warten.
So wie der Kapitalismus mit seiner Produktion ungeheurer Reichtümer die Voraussetzung zur Abschaffung von Klassen schuf, so schuf er auch die materielle Grundlage für die Befreiung der Frau. Die moderne Maschinenproduktion erfordert keine große körperliche Kraft mehr. Durch moderne Verhütungsmethoden werden Frauen nur noch einen kurzen Abschnitt ihres Lebens schwanger. Und ganz sicher gibt es keine biologische Notwendigkeit dafür, warum die zentrale Rolle bei der Erziehung von Kleinkindern von Frauen übernommen werden müßte.
Die Unterdrückung der Frauen ist heutzutage weder biologisch noch materiell notwendig, sie wird aber trotzdem durch die Organisation des Kapitalismus weiter zementiert – insbesondere dadurch, daß die heutige Familienform dem Profitinteresse des Kapitals vielfältig dient.
Der Kapitalismus mußte sicherstellen, daß die Arbeiter ihre Kinder dazu erziehen, selbst einmal Arbeiter zu werden. Es war ein großer Vorteil, wenn der Mann als Arbeiter für den Profit schaffte, die Frau sich ganz und gar der unbezahlten Aufgabe widmete, den Mann zu versorgen, damit er wieder mit frischen Kräften arbeiten konnte und ihren Kindern beibrachte, es später genauso zu machen.
Die kapitalistische Familie hatte noch einen großen Vorteil für das System. Die Frauen, die auf ihr Heim beschränkt waren und von der Last der Hausarbeit erdrückt wurden (auch wenn sie selbst noch arbeiten gingen) hatten geringe oder gar keine Möglichkeit, in Kontakt mit sozialen Bewegungen zu kommen und über „umstürzlerische“ Ideen zu diskutieren. Die Familie sorgte dafür, daß die Frauen konservativer blieben als die männlichen Arbeiter, obwohl sie nicht nur unter der wirtschaftlichen Ausbeutung ihrer Männer, sondern zusätzlich noch unter der Unterdrückung innerhalb der Familie litten.
Es wäre jedoch falsch anzunehmen, daß Frauen und Männer nur unter Zwang in der kapitalistischen Familie bleiben. Frauen und Männer, die in die Städte hineingezwungen wurden, fanden das Leben dort ziemlich erdrückend. Der Mann mußte sich irgendwo ernähren und erholen, wenn er nach 14 oder 16 Stunden Arbeit am Abend die Fabrik verließ. Für die vereinzelte Arbeiterfrau waren die Verhältnisse sogar noch schwieriger. Sie erhielt weniger Lohn als der Mann und wenn sie schwanger wurde, lief sie Gefahr zu verhungern.
Trotzdem kann die Familie keine befriedigenden Beziehungen gewähren. Das Leben der Menschen ist zu sehr belastet, körperlich belastet durch beengte Wohnverhältnisse, gefühlsmäßig überlastet durch den Zwang, die Gemeinschaft auch dann fortzusetzen, wenn sich die beiden Teile schon auseinandergelebt haben, belastet vor allem durch die widersprüchlichen Bedürfnisse von Mann und Frau, die entstehen, wenn der Mann Tag für Tag an eine Maschine gefesselt ist und die Frau zu Hause in gähnender Langeweile isoliert lebt. Es ist nicht überraschend, wenn Menschen, die sich zur Familienbildung getrieben sehen, sich allzu häufig nur mit Verzweiflung und Gewalt begegnen.
Zuletzt aktualisiert am 29.12.2011