Duncan Hallas

 

Die Rote Flut

 

Vorwort

IM JANUAR 1918 schrieb Lenin: „Es ist noch ein weiter Weg, bis wir die Übergangsperiode vom Kapitalismus zum Sozialismus beendet haben werden. Wir haben niemals die Hoffnung gehegt, daß wir sie ohne Hilfe des internationalen Proletariats beenden könnten. Wir haben uns darüber niemals einem Irrtum hingegeben“ [1] ... „der endgültige Sieg des Sozialismus in einem Lande ist unmöglich.“ [2]

Im Juli desselben Jahres wiederholte er: „ ... wir haben uns aber niemals Illusionen gemacht, daß man mit den Kräften des Proletariats und der revolutionären Massen irgendeines einzelnen Landes, wie heroisch sie auch gesinnt, wie vorzüglich sie auch organisiert und diszipliniert sein mögen, daß man mit den Kräften des Proletariats eines Landes den Weltimperialismus stürzen könnte – das kann nur durch die gemeinsamen Anstrengungen des Proletariats aller Länder geschehen.“ [3]

Und nochmals, im März 1919: „Im Weltmaßstab völlig, endgültig zu siegen, ist in Rußland allein nicht möglich, das ist erst möglich, wenn zumindest in allen fortgeschrittenen Ländern, oder auch nur in einigen der größten fortgeschrittenen Länder, das Proletariat den Sieg erringt. Dann erst können wir mit voller Überzeugung sagen, daß die Sache des Proletariats gesiegt hat, daß unser erstes Ziel, die Niederwerfung des Kapitalismus, erreicht ist.“ [4]

Der Internationalismus ist das Fundament des Sozialismus, nicht einfach oder hauptsächlich aus gefühlsmäßigen Gründen, sondern, weil der Kapitalismus eine Weltwirtschaft geschaffen hat, die nur auf Weltmaßstab umgewandelt werden kann. Alles andere ist Utopie. Die aus der russischen Revolution von 1917 hervorgegangene Kommunistische Internationale war kein möglicherer Zusatz, sondern ein zentraler, unverzichtbarer Bestandteil jener Revolution, die ihrerseits Teil einer internationalen revolutionären Umwälzung war.

Und umgekehrt waren die Ereignisse, die zehn Jahre später folgen sollten und die Komintern – wie sie inzwischen genannt wurde – zu einem Werkzeug der russischen Außenpolitik machten, Bestandteil der Erwürgung der Arbeitermacht innerhalb der UdSSR durch die aufsteigende Bürokratie unter Stalin.

Es gibt eine umfangreiche Literatur über die Komintern, die Dritte oder Kommunistische Internationale. Ein Teil davon ist stalinistisch; ein weiterer Teil ist sozialdemokratisch; der überwiegende Teil ist in verschiedenen amerikanischen Universitäten entstanden, gefördert durch die CIA im Interesse der US-Außenpolitik – von der ohne Zweifel auch wiederum ein großer Teil von der CIA finanziert wird. Es gibt natürlich einige ernsthafte akademische Literatur zu dem Thema, von der aber der größte Teil nur schwer zugänglich ist.

Zwei Bücher – C.L.R. James’ World Revolution, 1936 herausgegeben, und K. Tilaks Rise and Fall of the Comintern (1947) – machten einen Anfang in diese Richtung. Beide sind aber unzulänglich und quasi unerhältlich. Claudins Die Krise der kommunistischen Bewegung (1975) ist informativ, aber politisch schwach, wenn nicht geradezu schlecht. Pierre Franks Geschichte der Kommunistischen Internationale ist zwar als Materialsammlung sehr informativ, aber die politische Wertung verliert sich in der Fülle der Informationen. Das hier vorliegende kleine Buch setzt sich zum Ziel, vom revolutionären sozialistischen Standpunkt aus eine Einführung in die Geschichte der Komintern von ihrer Gründungskonferenz 1919 bis zu ihrer Auflösung durch Stalin 1943 zu geben.

1932 schrieb Trotzki, damals ein machtloser und verfolgter Verbannter aus Rußland, eine Stellungnahme, die als politische Grundlage für eine internationale linke Opposition zu den Kommunistischen Parteien unter Stalin dienen sollte. Darin schrieb er:

Die Internationale Linke Opposition stellt sich auf die Grundlage der ersten vier Kongresse der Komintern. Das heißt nicht, daß sie sich vor jedem Buchstaben ihrer Entscheidungen beugt, von denen viele lediglich einen zeitbedingten Charakter trugen und durch spätere Ereignisse widerlegt wurden. Aber alle grundlegenden Prinzipien (bezüglich des Imperialismus und des bürgerlichen Staates; der Demokratie und des Reformismus, der Diktatur der Proletariats; der Bauernschaft und der unterdrückten Nationen; der Sowjets; der Arbeit in den Gewerkschaften; des Parlamentarismus; der Einheitsfrontpolitik) bleiben sogar bis heute der höchste Ausdruck proletarischen Strategie in der Epoche der allgemeinen Krise des Kapitalismus. [5]

Die Socialist Workers Party in Großbritannien und die anderen Gruppen dieser Tendenz stehen ebenfalls auf diesem Boden – und das ist der Grund, warum die Betonung dieses Buches auf der revolutionären Periode der Komintern liegt, auf der Periode der ersten vier Kongresse und unmittelbar danach.

Ich bin insbesondere Nigel Harris zu Dank verpflichtet, der mich überredete, dieses Buch zu schreiben, und Tony Cliff, der die erste Fassung einer strengen und wertvollen Kritik unterzog, sowie Alex Callinicos, Peter Goodwin, Peter Marsden, Steve Pepper, Dave Sherry, Ahmed Shawky und Steve Wright, die alle zum endgültigen Produkt beigetragen haben, obwohl ich nicht immer ihrem Rat gefolgt bin.

Duncan Hallas, April 1985

 

Anmerkungen

Mit * versehene Zitate konnten aus Zeitgründen nicht endgültig;ltig in deutschen Originaltexten geortet werden. Sie sind also aus dem Englischen übersetzt worden.

1. Lenin: Werke (1974-1978), Dietz Verlag, Berlin-Ost, Bd.26, S.465.

2. Lenin: Werke, Bd.26, S.471.

3. Lenin: Werke, Bd.28, S.9.

4. Lenin: Werke, Bd.29, S.42.

5. Trotzki: Die internationale Linke Opposition, Taktiken und Methoden* 1932 oder Januar 1933 (Writings 1932-33, S.51-2).

 


Zuletzt aktualisiert am 21.1.2004