Lieber Genosse,
ich beende diese Notizen auf der Reise nach Afrika, in dem Wunsch,
mein Versprechen, wenn auch verspätet, zu erfüllen. Ich
möchte gern auf das Thema der Überschrift eingehen. Ich
glaube, das könnte für die uruguayischen Leser von Interesse
sein.
Gewöhnlich hört man aus dem Mund der
kapitalistischen Sprecher als Argument im ideologischen Kampf gegen
den Sozialismus die Behauptung, dieses Gesellschaftssystem oder
die Periode des Aufbaus des Sozialismus, in die wir eingetreten
sind, kennzeichne sich durch die Opferung des Individuums auf den
Altären des Staates.
Ich beabsichtige nicht, diese Behauptung auf
einer rein theoretischen Basis zu widerlegen, sondern ich möchte
die Tatsachen feststellen, so wie sie in Cuba erlebt werden, und
Kommentare allgemeiner Art anfügen.
Zunächst werde ich in großen Zügen
die Geschichte unseres revolutionären Kampfes vor und nach
der Machtübernahme skizzieren.
Bekanntlich war das genaue Datum, an dem die
revolutionären Gefechte einsetzten, welche dann im 1. Januar
1959 dem Sieg der Revolution gipfelten, der 26. Juli 1953. Eine
Gruppe Männer unter Führung Fidel Castros griff im Morgengrauen
dieses Tages die Kaserne "Moncada" in der Oriente-Provinz an. Der
Angriff wurde ein Mißerfolg, der Mißerfolg verwandelte
sich in eine Katastrophe und die Überlebenden wanderten ins
Gefängnis - um, kaum amnestiert, den revolutionären Kampf
wieder aufzunehmen.
Während dieses Prozesses, in dem es nur
Keime von Sozialismus gab, war der Mensch ein grundlegender Faktor.
Au ihn vertraute man, den vereinzelten, den eigenartigen, mit Vor-
und Zunamen, und von seiner Aktionsfähigkeit hing Sieg oder
Scheitern der aufgetragenen Tat ab.
Dann kam die Etappe des Guerrillakampfes. Dieser
entfaltete sich in zwei unterschiedlichen Milieus: im Volk, eine
noch schlaftrunkenen Masse, die es zu mobilisieren galt, und in
seiner Avantgarde, der Guerrilla, dem treibenden Motor der Mobilisierung,
dem Generator revolutionären Bewußtseins und kämpferischer
Begeisterung. Diese Avantgarde wurde zum Katalysator, der die für
den Sieg notwendigen subjektiven Bedingungen schuf. Auch hier, im
Rahmen des Proletarisierungsprozesses, den unser Denken durchmachte,
im Rahmen der Revolution, die sich in unseren Gewohnheiten, unserer
Gesinnung vollzog, war das Individuum der grundlegende Faktor. Jeder
der Kämpfer der Sierra Maestra, der einen höheren Grad
in den revolutionären Streitkräften erwarb, verzeichnete
eine Geschichte bemerkenswerter Taten. Auf deren Grundlage erhielt
er seine Ernennungen.
Es war die erste heroische Etappe, in der man
sich um einen Auftrag von größerer Verantwortung, von
größerer Gefahr stritt, ohne eine andere Befriedigung
als die Erfüllung der Pflicht. In unserer revolutionären
Erziehungsarbeit kommen wir oft auf dieses lehrreiche Thema zu sprechen.
Denn in der Haltung unserer Kämpfer kündigte sich der
Mensch der Zukunft an.
Bei anderen Anlässen in unserer Geschichte
wiederholte sich dieses Ereignis der völligen Hingabe an die
revolutionäre Sache. Während der Oktoberkrise und in den
Tagen des Zyklon "Flora" erlebten wir Taten von außerordentlichem
Mut und Opfer, welche ein ganzes Volk vollbrachte. Die Formel zu
finden, um jene heroische Haltung auch im alltäglichen Leben
zu verewigen, ist vom ideologischen Standpunkt aus eine unserer
Hauptaufgaben.
Im Januar i959 wurde mit der Beteiligung verschiedener
Mitglieder aus der übergelaufenen Bourgeoisie die revolutionäre
Regierung eingesetzt. Die Gegenwart der Rebellenarmee garantierte
als Hauptpfeiler der Stärke die Macht. Sofort entwickelten
sich ernste Widersprüche, die zum Teil im Februar 1959 aufgehoben
wurden, als Fidel Castro mit dem Amt des Premierministers die Regierungsführung
übernahm. Seinen Höhepunkt fand dieser Prozeß im
Juli des gleichen Jahres, als Präsident Urrutia unter dem Druck
der Massen zurücktrat. Damit tauchte in der kubanischen Revolution,
bereits in klaren Umrissen, eine Person auf, die sich systematisch
bemerkbar machen wird: die Masse.
Dieses vielgesichtige Wesen ist nicht, wie behauptet
wird, die Summe von Elementen ein und derselben Kategorie (sie werden
allerdings durch das aufgezwungene System auf eine einzige Kategorie
reduziert), die wie eine zahme Herde handelt. Es ist wahr, daß
die Masse ohne zu wanken ihren Führern folgt, vor allen Fidel
Castro, doch der Grad an Vertrauen, den dieser sich erwarb, entspricht
genau dem richtigen Ausdeuten der Wünsche des Volkes, seiner
Sehnsüchte, und dem aufrichtigen Kampf für die Erfüllung
der gegebenen Versprechen. Die Masse beteiligte sich an der Landreform
und dem schwierigen Unternehmen der Verwaltung der staatlichen Betriebe;
sie durchlief die heroische Erfahrung von Playa Giron; sie wurde
gestählt in den Kämpfen gegen die vom CIA bewaffneten
Banditenbanden; sie erlebte in der Oktoberkrise eine der wichtigsten
Weichenstellungen der modernen Zeit und arbeitet heute weiter am
Aufbau des Sozialismus.
Von einem oberflächlichen Standpunkt aus
gesehen könnte es tatsächlich scheinen, als hätten
jene recht, die von der Unterwerfung des Individuums unter den Staat
sprechen; die Masse verwirklicht mit Begeisterung und Disziplin
ohnegleichen die Aufgaben, welche die Regierung festsetzt, seien
sie nun wirtschaftlicher, kultureller, verteidigungstechnischer,
sportlicher oder anderer Natur. Die Initiative geht im allgemeinen
von Fidel oder vom Oberkommando der Revolution aus und wird dem
Volke erklärt, das sie dann als seine eigene aufgreift. Manchmal
werden auch örtliche Erfahrungen durch die Partei und die Regierung
aufgegriffen, um sie demselben Prozeß gemäß zu
verallgemeinern. Jedoch der Staat irrt sich bisweilen. Und sobald
einer dieser Irrtümer vorkommt, wird ein Abfall der kollektiven
Begeisterung spürbar als Folge des quantitativen Abfalls jedes
einzelnen Elements, das sie ausmacht, und die Arbeit erlahmt, bis
sie auf unerhebliche Ausmaße zusammenschrumpft; das spätestens
ist der Augenblick, wo man berichtigen muß. Dies eben geschah
im März 1962 angesichts der sektiererischen Politik, die der
Partei von Anibal Escalante aufgebürdet worden war.
Offenkundig ist, daß dieser Mechanismus
nicht ausreicht, um eine Folge besonnener Maßnahmen zu gewährleisten,
und daß es an strukturierter Verbindung mit der Masse fehlt.
Das müssen wir im Lauf der nächsten Jahre verbessern.
Gegenwärtig benutzen wir im Fall von Initiativen, die auf höheren
Regierungsebenen ausgegeben werden, noch die gleichsam intuitive
Methode, allgemeine Reaktionen gegenüber den gestellten Problemen
zu erlauschen. Meister darin ist Fidel, dessen besondere Art, mit
dem Volk eins zu werden, man nur würdigen kann, wenn man ihn
handeln sieht. Bei den großen öffentlichen Zusammenkünften
bemerkt man so etwas wie den Dialog zweier Stimmgabeln, deren Vibrationen
beim Gesprächspartner andere, neue hervorrufen. Fidel und die
Masse beginnen in einem Dialog von wachsender Intensität zu
schwingen bis zum Höhepunkt in einem jähen Finale, das
gekrönt wird durch unseren Kampf- und Siegesruf.
Das schwer Begreifliche für den, der die
Erfahrung der Revolution nicht durchgemacht hat, ist die innige
dialektische Einheit, die zwischen dem Individuum und der Masse
herrscht, in der beide miteinander in Wechselbeziehung stehen und
die Masse ihrerseits, als Gesamtheit von Individuen, in Wechselbeziehung
zu den Führern steht.
Im Kapitalismus lassen sich einige Erscheinungen
dieser Art beobachten, wenn Politiker auftauchen, die fähig
sind, das Volk wirklich zu mobilisieren. Doch sofern es sich dabei
nicht um eine echte Gesellschaftsbewegung handelt - in deren Fall
man nicht mehr einfach von Kapitalismus sprechen dürfte -,
wird die Bewegung nur so lange dauern wie das Leben dessen, der
sie antreibt, oder bis die Illusionen des Volks unter dem Zwang
der kapitalistischen Gesellschaft verfliegen. In dieser wird der
Mensch durch eine kalte Ordnung gelenkt, die sich gewöhnlich
dem Begreifen entzieht. Der sich entfremdende Mensch hat eine unsichtbare
Nabelschnur, die ihn an die Gesellschaft als Ganzes fesselt: das
Wertgesetz. Dieses greift in alle Bereiche seines Lebens ein, prägt
seinen Weg und sein Schicksal.
Die Gesetze des Kapitalismus, unsichtbar für
die meisten Leute und blind, wirken auf das Individuum, ohne daß
es dessen gewahr wird. Es sieht nur einen weiten Horizont, der ihm
unendlich dünkt. So stellt es auch die kapitalistische Propaganda
hin, die aus dem Fall Rockefeller - ob nun der Wahrheit entsprechend
oder nicht - eine Lektion über die Möglichkeiten des Erfolgs
ableiten will. Das Elend, das notwendigerweise angehäuft werden
muß, damit ein solches Paradebeispiel entsteht, und die Summe
von Bankrotterklärungen, auf der ein Vermögen dieser Größe
beruht, erscheinen nicht in dem Gemälde, und nicht immer ist
es den Volkskräften möglich, diese Entstellungen aufzudecken.
(Man müßte hier eigentlich darauf eingehen, wie in den
kapitalistischen Ländern die Arbeiter mehr und mehr ihren internationalen
Klassengeist verlieren unter dem Einfluß einer gewissen Komplizenschaft
an der Ausbeutung der abhängigen Länder, wie dadurch der
Kampfgeist der Massen im eigenen Land untergraben wird - doch das
ist ein Thema das über die Absicht dieser Notizen hinausreicht.)
Jedenfalls erweist der Weg sich voller Klippen,
die anscheinend nur ein Individuum mit den nötigen Eigenschaften
zu überwinden vermag, um sein Ziel zu erreichen. Der Preis
winkt in der Ferne; der Weg ist einsam. Außerdem handelt es
sich um eine Wolfskarriere: man gelangt nur über das Scheitern
der andern zum Erfolg.
Ich möchte nun das Individuum - Handlungsträger
in diesem seltsamen und mitreißenden Drama, das der Aufbau
des Sozialismus darstellt - definieren in seiner doppelten Existenz
als Einzelwesen und Mitglied der Gemeinschaft.
Ich glaube, es ist das Einfachste, wenn man zunächst
einmal seine Eigenschaft als etwas noch Unfertiges, als unvollkommenes
Produkt zugibt. Die erblichen Belastungen aus der Vergangenheit
schlagen sich in der Gegenwart im individuellen Bewußtsein
nieder, und es bedarf einer unablässigen Arbeit, um sie zu
jäten. Dieser Prozeß vollzieht sich in doppelter Weise:
auf der einen Seite wirkt die Gesellschaft mit ihrer unmittelbaren
und mittelbaren Erziehung ein, auf der anderen Seite unterwirft
sich das Individuum von sich aus einem bewußten Prozeß
der Selbsterziehung.
Die neue Gesellschaft im Werden muß sehr
hart mit der Vergangenheit abrechnen. Diese macht sich nicht nur
im individuellen Bewußtsein bemerkbar, auf dem die Rückstände
einer systematisch auf die Isolierung des Individuums ausgerichteten
Erziehung lasten, sondern auch im Charakter dieser Übergangsperiode
selbst, besonders in ihren Handelsbeziehungen. Die Ware ist die
ökonomische Zelle der kapitalistischen Gesellschaft; solange
sie besteht, werden sich ihre Auswirkungen in der Organisation der
Produktion und demzufolge im Bewußtsein spüren lassen.
Im Marxschen Schema wurde die Übergangsphase
verstanden als Ergebnis der explosiven Umformung des kapitalistischen
Systems, das durch seine eigenen Widersprüche zerrissen wird;
in der späteren Wirklichkeit sah man, wie sich vom imperialistischen
Stamm einige Länder lösen, die gerade seine schwachen
Äste bilden - ein von Lenin übrigens vorausgesehenes Phänomen.
In diesen Ländern hat der Kapitalismus sich soweit entfaltet,
daß seine Auswirkungen in der einen oder anderen Form auf
das Volk spürbar werden, doch es sind nicht seine eigenen Widersprüche,
die nach Ausschöpfen aller Möglichkeiten das System sprengen.
Der Befreiungskampf gegen einen Unterdrücker von außen,
das durch ungewöhnliche Ereignisse wie Krieg hervorgerufene
Elend, in deren Gefolge die privilegierten Klassen noch stärker
über die Ausgebeuteten herfallen, die Befreiungsbewegungen,
die auf den Sturz der neokolonialen Regime zielen, sind gewöhnlich
die auslösenden Faktoren. Die bewußte Aktion tut das
übrige.
In diesen Ländern hat es noch keine umfassende
Erziehung zur gesellschaftlichen Arbeit gegeben, und der Reichtum
wird den Massen nicht zugänglich durch den einfachen Aneignungsprozeß.
Die Unterentwicklung einerseits und die übliche Kapitalflucht
in "zivilisierte" Länder andererseits, machen eine rasche und
von Opfern freie Veränderung unmöglich.
Es gilt eine große Strecke zu überwinden
bis zum Aufbau der wirtschaftlichen Basis, und die Versuchung, den
ausgetretenen Pfaden des materiellen Interesses als antreibender
Hebelkraft für eine raschere Entwicklung zu folgen, ist sehr
groß.
Doch läuft man dann Gefahr, vor lauter Bäumen
den Wald nicht zu sehen. Dem Hirngespinst nachjagend, man könne
den Sozialismus mit den morschen Waffen verwirklichen, welche der
Kapitalismus uns vererbt (die Ware als ökonomische Zelle, die
Rentabilität, das individuelle materielle Interesse als Hebelkraft
usw.), kann man sich leicht in einer Sackgasse verfangen. Und man
landet unweigerlich in ihr, nachdem man eine große Strecke
zurückgelegt hat, auf der die Wege sich oftmals kreuzen und
es schwerfällt, den Augenblick zu erkennen, da man sich in
der Richtung irrte. In der Zwischenzeit hat die angepaßte
ökonomische Basis ihre Wühlarbeit in der Entwicklung des
Bewußtseins vollbracht. Um den Kommunismus aufzubauen, müssen
wir mit der materiellen Basis zugleich den neuen Menschen schaffen.
Daher ist es so wesentlich, das Instrument für
die Mobilisierung der Massen richtig auszuwählen. Dieses Instrument
muß grundsätzlich moralischer Art sein - worüber
man keineswegs den richtigen Einsatz des materiellen Anreizes, vor
allem gesellschaftlicher Natur, außer acht lassen sollte.
Wie ich bereits angedeutet habe, fällt es
in Augenblicken äußerster Gefahr leicht, den moralischen
Ansporn wirken zu lassen. Doch um ihn auch weiter wachzuhalten,
gilt es, ein Bewußtsein zu entwickeln, in dem die Werte sich
nach neuen Kategorien ordnen. Die Gesellschaft als Ganzes muß
sich in eine riesige Schule verwandeln.
In groben Zügen entspricht dieses Ereignis
dem Bildungsprozeß des kapitalistischen Bewußtseins
in seiner ersten Phase. Der Kapitalismus greift zur Gewalt, doch
darüber hinaus erzieht er die Leute im System. Die direkte
Propaganda wird von jenen betrieben, welche die Unvermeidlichkeit
der Klassenherrschaft zu predigen haben, sei sie nun göttlichen
Ursprungs oder von der Natur als mechanischem Wesen aufgezwungen.
Das lähmt die Massen, die sich von einem Übel unterdrückt
sehen, gegen das kein Kampf hilft.
Dem folgt die Hoffnung, und in diesem Punkt unterscheidet
der Kapitalismus sich von den früheren Kastenregimen, die keinerlei
Möglichkeit des Auswegs ließen. Für einige bleibt
dabei die Kastenformel weiterhin in Kraft: die Belohnung für
die Gehorsamen besteht im Eingehen nach dem Tode in andere wunderbare
Welten, wo die Guten entschädigt werden - und damit setzt die
alte Tradition sich fort. Für andere gibt es eine Neuerung:
die Trennung in Klassen ist unabwendbar, doch können die einzelnen
Individuen sich lösen aus jener, der sie zugehören, mittels
Arbeit, Initiative usw. Dieser Prozeß und jener der Selbsterziehung
auf den Erfolg hin sind reiner Betrug: die eigennützige Demonstration,
daß eine Lüge Wahrheit sei.
In unserm Fall gewinnt die unmittelbare Erziehung
eine weit größere Bedeutung. Die Aufklärung überzeugt,
weil sie wahr ist; Ausflüchte hat sie nicht nötig. Sie
wird geleistet durch den Erziehungsapparat des Staates im Dienst
der allgemeinen, technischen und ideologischen Kultur, mit Hilfe
von Organismen wie dem Erziehungsministerium und dem Verbreitungsapparat
der Partei. Die Erziehung verwurzelt sich in den Massen, und die
verkündete neue Haltung neigt dazu, eine Gewohnheit zu werden.
Die Masse macht sie sich allmählich zu eigen und übt Druck
aus auf jene, die noch nicht erzogen sind. Das ist dann die mittelbare
Form, die Massen zu erziehen, und sie ist ebenso wirkungsvoll wie
die andere.
Dieser Prozeß ist bewußt; das Individuum
empfindet ständig den Einfluß an neuer gesellschaftlicher
Macht und merkt, daß es ihr nicht ganz gewachsen ist. Unter
dem Druck, den die mittelbare Erziehung ausübt, versucht es,
sich auf eine Situation einzustellen, die es als richtig empfindet,
und deren mangelnde Entwicklung ihn bisher daran gehindert hat,
es zu tun. Es erzieht sich selbst.
In dieser Periode des Aufbaus des Sozialismus
können wir miterleben, wie der neue Mensch entsteht. Sein Bild
ist noch nicht ganz vollendet, kann es gar nicht sein, weil der
Prozeß parallel läuft zur Entwicklung neuer ökonomischer
Formen. Abgesehen von denen, deren mangelnde Erziehung sie auf den
Weg des Einzelgängers treibt, zur Selbstbefriedigung ihrer
Ambitionen, gibt es solche, die auch in diesem neuen Rahmen gemeinsamen
Voranschreitens dazu neigen, isoliert von der Masse zu gehen, welche
sie begleitet. Entscheidend ist, daß die Menschen jeden Tag
mehr Bewußtsein erlangen von der Notwendigkeit ihrer Eingliederung
in die Gesellschaft und zugleich von ihrer eigenen Bedeutung als
Triebkräfte derselben.
Sie gehen nicht mehr völlig allein auf Irrpfaden
fernen Sehnsüchten entgegen. Sie folgen ihrer Avantgarde, die
aus der Partei besteht, aus den fortschrittlichen Arbeitern, aus
den fortschrittlichen Menschen, die den Massen verbunden und in
enger Gemeinschaft mit ihnen vorwärts marschieren. Die Avantgarden
haben ihren Blick auf die Zukunft gerichtet und auf ihrer Lohn,
doch dieser wird nicht als etwas Individuelles erhofft. Der erstrebte
Preis ist die neue Gesellschaft, in der die Menschen andere Züge
tragen: die Gesellschaft des kommunistischen Menschen.
Der Weg ist lang und voller Schwierigkeiten.
Manchmal werden wir umkehren müssen, weil wir von der Route
abkamen; ein andermal trennen wir uns von den Massen, weil wir zu
schnell vorrückten; gelegentlich auch, weil wir zu langsam
sind, spüren wir den nahen Atem jener, die uns auf die Fersen
treten. Unserem Ehrgeiz als Revolutionäre gemäß
versuchen wir, so rasch wie möglich voranzukommen und Wege
zu bahnen, doch dabei zu berücksichtigen, daß wir uns
der Masse nähern müssen und daß diese nur dann schneller
vorwärtsgehen kann, wenn wir sie mit unserem direkten Beispiel
ermutigen.
Soviel Bedeutung den moralischen Antrieben zukommt,
an der Tatsache, daß eine Trennung in zwei Hauptgruppen herrscht
(ausgenommen natürlich die Minderheitenfraktion derer, die
aus dem einen oder anderen Grund gar nicht am Aufbau des Sozialismus
teilnehmen), zeigt sich die noch relativ ungenügende Entwicklung
gesellschaftlichen Bewußtseins. Die Avantgarde-Gruppe ist
ideologisch fortgeschrittener als die Masse; diese kennt zwar die
neuen Werte, aber nur unzulänglich. Während sich bei den
zuerst genannten eine qualitative Veränderung vollzieht, die
es ihnen ermöglicht, sich in ihrer Funktion als Vorhut aufzuopfern,
kommen die zweiten nur mittelbar voran und müssen Ansporn und
Druck von gewisser Intensität erfahren. Das ist die Diktatur
des Proletariats, die nicht nur über die besiegte Klasse, sondern
auch individuell über die siegreiche Klasse ausgeübt wird.
All dies birgt für einen umfassenden Erfolg
die Notwendigkeit einer Reihe von Mechanismen in sich, von revolutionären
Institutionen. Zum Bild der Volksmengen, die der Zukunft entgegen
marschieren, gehört die Idee von der Institutionalisierung
zu einem harmonischen Ganzen von Kanälen, Stufen, Staudämmen,
gut geölten Apparaten, die diesen Vormarsch ermöglichen,
die eine natürliche Auslese derer gestatten, die dazu bestimmt
sind, in der Avantgarde zu schreiten, und Belohnung oder Bestrafung
erteilen an jene, die der Gesellschaft im Aufbau dienen oder sich
an ihr vergehen.
Diese Institutionalisierung der Revolution ist
bis heute nicht erreicht. Wir suchen nach etwas Neuem, das die vollkommene
Identifizierung zwischen der Regierung und der Gemeinschaft in ihrer
Gesamtheit erlaubt, dabei in Einklang steht mit den besonderen Bedingungen
des Aufbaus des Sozialismus und möglichst weit entfernt ist
von den Gemeinplätzen der bürgerlichen Demokratie, die
auf die werdende Gesellschaft aufgepfropft wurden (wie zum Beispiel
die Parlamente). Es hat einige Versuche gegeben mit dem Ziel, bedachtsam
und ohne Überstürzung die Institutionalisierung der Revolution
zu schaffen. Dabei war unsere stärkste Bremse die Furcht, daß
irgendein formaler Aspekt uns von den Massen und vom Individuum
trennen und wir die letzte und wichtigste revolutionärste Bestrebung
aus den Augen verlieren könnten: den Menschen von seiner Entfremdung
befreit zu sehen.
Ungeachtet des Mangels an Institutionen, der
stufenweise überwunden werden muß, wird die Geschichte
heute von den Massen gemacht als einer bewußten Gesamtheit
von Individuen, die für eine gleiche Sache kämpfen. Der
Mensch im Sozialismus ist trotz seiner scheinbaren Standardisierung
vollkommener: obwohl der perfekte Mechanismus dazu noch fehlt, ist
seine Möglichkeit, sich zu äußern und im gesellschaftlichen
Apparat bemerkbar zu machen, unendlich viel größer.
Noch müssen wir seine bewußte, individuelle
oder kollektive Beteiligung an allen Führungs- und Produktionsmechanismen
verstärken und sie verbinden mit der Idee von der Notwendigkeit
der technischen und ideologischen Erziehung, so daß er spürt,
wie eng diese beiden Prozesse miteinander verknüpft und wie
parallel sie im Fortschritt sind. Damit wird er zum vollen Bewußtsein
seines gesellschaftlichen Seins gelangen, was seiner vollen Verwirklichung
als menschlichem Wesen entspricht - wenn erst einmal die Ketten
der Entfremdung zerbrochen sind. Konkret wird sich das niederschlagen
in der Wiedergewinnung seiner Natur - vermittels der befreiten Arbeit
- und in der Äußerung seines eigenen menschlichen Zustandes
- vermittels der Kultur und Kunst.
Damit er sich im Ersten [der Wiedergewinnung
seiner Natur] entfaltet, muß die Arbeit einen neuen Charakter
erhalten: die Ware Mensch hört auf zu existieren, und es bildet
sich ein System heraus, das eine Quote verteilt für die Erfüllung
der gesellschaftlichen Pflicht. Die Produktionsmittel gehören
der Gesellschaft, und die Maschine ist nur wie der Schützengraben,
in dem die Pflicht erfüllt wird. Der Mensch beginnt, sein Denken
zu befreien von der ärgerlichen, ihm durch Notwendigkeit aufgezwungene
Tatsache, vermittels der Arbeit seine tierischen Bedürfnisse
befriedigen zu müssen. Er beginnt, sich in seinem Werk wiederzuerkennen
und seine menschliche Größe mit Hilfe des geschaffenen
Gegenstandes, der verwirklichten Arbeit, zu erfassen. Diese Arbeit
bedeutet nicht mehr, einen Teil seines Seins aufzugeben als verkaufte
Arbeitskraft, die ihm nicht mehr gehört; sie wird statt dessen
zum Ausfluß seiner selbst, zu einem Beitrag für das gemeinsame
Leben, in dem er sich spiegelt: zur Erfüllung seiner gesellschaftlichen
Pflicht.
Wir unternehmen alles nur Mögliche, um der
Arbeit diesen neuen Charakter der gesellschaftlichen Pflicht zu
verleihen, sie auf der einen Seite mit der Entwicklung der Technik
zu verbinden, welche die Bedingungen zu größerer Freiheit
bieten wird, und auf der anderen Seite mit der freiwilligen Arbeit.
Dabei stützen wir uns auf die marxistische Bestimmung, daß
der Mensch seinen vollen menschlichen Zustand erst dann wirklich
erreicht, wenn er produziert ohne den Zwang der physischen Notwendigkeit,
sich als Ware verkaufen zu müssen.
Natürlich gibt es weiter Zwangsaspekte in
der Arbeit, selbst wenn sie freiwillig ist; der Mensch hat noch
nicht alle Nötigung, die ihn umgibt, in einen bedingten Reflex
gesellschaftlicher Natur verwandelt, er produziert noch in vielen
Fällen unter dem Druck der Umwelt (moralischen Zwang nennt
Fidel es). Noch gelingt ihm die völlige geistige Erfreuung
an seinem eigenen Werk nicht - frei vom direkten Druck der gesellschaftlichen
Umwelt, jedoch in enger Verbindung mit ihr durch die neuen Gewohnheiten.
Das wird dann der Kommunismus sein.
Der Wandel im Bewußtsein vollzieht sich
nicht automatisch, ebensowenig wie in der Wirtschaft. Die Veränderungen
sind langsam und unrhythmisch; es gibt Perioden der Beschleunigung,
der Verlangsamung und auch des Rücklaufs. Darüber hinaus
müssen wir, wie bereits bemerkt, berücksichtigen, daß
wir nicht vor einer reinen Übergangsperiode stehen, wie Marx
sie in der Kritik des Gothaer Programmes entwickelte, sondern vor
einer neuen, von ihm nicht vorausgesehenen Phase: der vorzeitigen
Periode des Übergangs zum Kommunismus oder des Aufbaus des
Sozialismus.
Diese verläuft inmitten von heftigen Klassenkämpfen
und trägt noch Elemente von Kapitalismus in sich, die das richtige
Verständnis ihres Wesens verdunkeln.
Wenn wir dazu noch die Scholastik bedenken, welche
die Entwicklung der marxistischen Philosophie bremste und eine systematische
Beschäftigung mit dieser Periode verhinderte, so daß
deren politische Ökonomie sich nicht entfalten konnte, dann
müssen wir eingestehen, daß wir vorerst noch in den Kinderschuhen
stecken und uns daran machen müssen, alle Grundzüge zu
untersuchen, bevor wir eine ökonomische und politische Theorie
von größerer Tragweite erarbeiten.
Die daraus hervorgehende Theorie wird unweigerlich
den beiden Pfeilern des Aufbaus Vorrang einräumen; der Bildung
des neuen Menschen und der Entwicklung der Technik. Auf beiden Seiten
bleibt uns noch viel zu tun; doch weniger entschuldbar ist der Rückstand
im Verständnis für die Technik als Grundlage, weil es
hier nicht darum geht, sich blindlings vorzutasten, sondern wir
ein gutes Stück lang dem Weg folgen können, den die fortgeschritteneren
Länder der Welt gebahnt haben. Deswegen beharrt Fidel mit so
viel Hartnäckigkeit auf der Notwendigkeit der technischen und
wissenschaftlichen Ausbildung des ganzen Volkes und insbesondere
seiner Avantgarde.
Im Bereich der Ideen, die zu nicht produktiven
Tätigkeiten führen, ist es einfacher, die Trennung zwischen
materieller und ideeller Notwendigkeit zu erkennen. Seit langer
Zeit versucht der Mensch, sich von der Entfremdung zu befreien mittels
der Kultur und der Kunst. Er stirbt täglich die acht oder mehr
Stunden, in denen er sich als Ware betätigt, um dann in der
geistigen Schöpfung wieder aufzuerstehen. Doch dieses Heilmittel
trägt in sich die Keime der Krankheit selber: es ist ein einsames
Wesen, was da die Vereinigung mit der Natur sieht. Er verteidigt
seine durch die Umwelt unterdrückte Individualität und
reagiert auf die ästhetischen Ideen als ein Einzelwesen, das
die Sehnsucht hegt, unbefleckt zu bleiben.
Es handelt sich nur um einen Fluchtversuch. Das
Wertgesetz ist längst nicht mehr ein reiner Reflex der Produktionsverhältnisse;
die Monopolkapitalisten hüllen es in ein kompliziertes Gerüst,
das es zu einem gefügigen Diener verwandelt, obwohl die Methoden,
die sie anwenden, rein empirisch sind. Dieser Überbau zwingt
einen Typ von Kunst auf, für den es die Künstler zu erziehen
gilt. Die Rebellen werden von der Maschinerie gezügelt, und
nur die außergewöhnlichen Talente können ihr eigenes
Werk schaffen. Die übrigen werden zu verschämten Lohnempfängern
oder zermalmt.
Man erklärt sich zwar für die künstlerische
Suche, die man als Definition der Freiheit ausgibt, doch diese "Suche"
hat ihre Grenzen, die unsichtbar bleiben, bis man dagegen stößt,
will sagen: bis man die realen Probleme des Menschen und seiner
Entfremdung stellt. Sinnlose Angst oder vulgärer Zeitvertreib
bilden bequeme Ventile für die menschliche Unruhe; man bekämpft
die Idee, aus der Kunst eine Waffe der Denunzierung zu schmieden.
Wenn sie sich an die Spielregeln halten, erlangen die Künstler
alle Ehren; die gleichen, die ein Affe empfängt, wenn er Pirouetten
erfindet. Die Bedingung ist nur, keinen Versuch zu unternehmen,
dem unsichtbaren Käfig zu entkommen.
Als die Revolution die Macht übernahm, vollzog
sich der Exodus all derer, die völlig domestiziert waren; die
anderen, ob Revolutionäre oder nicht, sahen einen neuen Weg
vor sich. Die künstlerische Suche empfing neuen Impuls. Jedoch
die Routen waren mehr oder weniger vorgezeichnet, und der Hang zur
Fluchtidee versteckte sich hinter dem Wort Freiheit. Selbst bei
den Revolutionären erhielt sich diese Haltung vielfach, ein
Abglanz des bürgerlichen Idealismus im Bewußtsein.
In Ländern, die einen ähnlichen Prozeß
durchmachten, versuchte man diese Tendenzen mit übertriebenem
Dogmatismus zu bekämpfen. Die allgemeine Kultur wandelte sich
fast zu einem Tabu, und zum Gipfel künstlerischen Strebens
erklärte man eine formal exakte Wiedergabe der Natur, die sich
dann verwandelte in eine mechanische Wiedergabe jener gesellschaftlichen
Wirklichkeit, die man zu zeigen wünschte: jene ideale Gesellschaft,
sozusagen ohne Konflikte und Widersprüche, die man zu schaffen
suchte.
Der Sozialismus ist jung und hat seine Fehler.
Uns Revolutionären mangelt es oft an den nötigen Kenntnissen
und an der nötigen intellektuellen Kühnheit, um die Aufgabe
anzugehen, einen neuen Menschen mit Methoden zu entwickeln, die
sich von den konventionellen unterscheiden, denn die konventionellen
Methoden leiden unter dem Einfluß der Gesellschaft, die sie
schuf. (Einmal mehr stellt sich das Problem des Verhältnisses
von Inhalt und Form.) Die Richtungslosigkeit ist groß, und
die Probleme des materiellen Aufbaus nehmen uns völlig in Anspruch.
Es gibt keine Künstler mit großer Autorität, die
zugleich große revolutionäre Autorität besäßen.
Die Männer der Partei müssen diese
Aufgabe in die Hand nehmen und das Hauptziel zu erreichen suchen:
die Erziehung des Volkes.
Man sucht dann nach Vereinfachung, nach dem,
was jedermann versteht, und das heißt, was die Funktionäre
verstehen. Die echte künstlerische Suche wird für nichtig
erklärt und das Problem der allgemeinen Kultur reduziert auf
eine Aneignung der sozialistischen Gegenwart und der toten, daher
ungefährlichen Vergangenheit. So entsteht der sozialistische
Realismus auf den Grundlagen der Kunst des vorigen Jahrhunderts.
Jedoch die realistische Kunst des 19. Jahrhunderts
ist ebenfalls klassengebunden, vielleicht noch reiner kapitalistisch
als diese dekadente Kunst des 20. Jahrhunderts, durch welche die
allen gemeinsame Angst des entfremdeten Menschen schimmert. Der
Kapitalismus hat in der Kultur alles von sich gegeben, und es bleibt
nichts von ihm übrig außer dem Vorzeigen eines übelriechenden
Kadavers: die heutige Dekadenz in der Kunst.
Warum aber in den eingefrorenen Formen des sozialistischen
Realismus das einzig gültige Rezept suchen wollen? Man kann
dem sozialistischen Realismus zwar nicht "die Freiheit" entgegenstellen,
weil diese noch nicht existiert, nicht existieren wird bis zur vollkommenen
Entfaltung der neuen Gesellschaft; aber man soll sich auch nicht
anmaßen, alle Kunstformen, die nach der ersten Hälfte
des 19. Jahrhunderts entstanden, vom päpstlichen Stuhl des
Ultrarealismus aus zu verdammen. Man verfiele dann in einen Proudhonschen
Fehler der Rückkehr zum Vergangenen, würde der künstlerischen
Äußerung des Menschen, die heute entsteht und sich aufbaut,
eine Zwangsjacke anlegen. Es fehlt an der Entwicklung eines ideologisch-kulturellen
Mechanismus, der das Suchen ermöglicht und das Unkraut jätet,
das sich so leicht vermehrt auf dem mit staatlicher Subvention gedüngten
Boden.
In unserem Land hat es den Irrtum des mechanischen
Realismus nicht gegeben, dafür einen anderen mit umgekehrten
Vorzeichen. Weil wir nämlich die Notwendigkeit nicht begriffen,
den neuen Menschen zu schaffen, der weder die Ideen des 19. noch
die unseres dekadenten und krankhaften Jahrhunderts vertritt. Es
ist der Mensch des 2 I. Jahrhunderts, den wir zu schaffen haben,
auch wenn das bisher nur als ein subjektives und nicht systematisiertes
Streben erscheint. Eben darin liegt einer der Hauptpunkte unseres
Studiums und unserer Arbeit, und in dem Maße, wie wir konkrete
Erfolge auf einer theoretischen Basis erzielen oder umgekehrt theoretische
Schlußfolgerungen von größerer Tragweite auf der
Grundlage unserer konkreten Suche ziehen, leisten wir einen wertvollen
Beitrag zum Marxismus-Leninismus, zur Sache der Menschheit.
Die Reaktion auf den Menschen des 19. Jahrhunderts
hat uns den Rückfall in das Dekadenzlertum [decadentismo] des
20. Jahrhunderts beschert; das ist kein übermäßig
schwerer Fehler, aber wir müssen ihn überwinden, sonst
laufen wir Gefahr, dem Revisionismus Tür und Tor zu öffnen.
Die breiten Massen entwickeln sich allmählich,
die neuen Ideen empfangen im Schoß der Gesellschaft den entsprechenden
Auftrieb, die materiellen Möglichkeiten für eine vollständige
Entwicklung absolut all ihrer Mitglieder machen das Arbeiten weit
fruchtbringender. Die Gegenwart gehört dem Kampf; die Zukunft
gehört uns.
Fassen wir zusammen: die Schuld bei vielen unserer
Intellektuellen und Künstlern liegt in ihrer "Ursünde"
- sie sind keine echten Revolutionäre. Man kann versuchen,
eine Ulme zu pfropfen, damit sie Birnen trägt; aber gleichzeitig
muß man eben Birnbäume pflanzen. Die neuen Generationen
werden frei von dieser Ursünde sein. Je stärker das Feld
der Kultur und der Möglichkeit zur Äußerung sich
ausdehnt, desto größer werden auch die Chancen sein,
daß außergewöhnliche Künstler erstehen. Unsere
Aufgabe besteht darin, zu verhindern, daß die gegenwärtige
Generation, durch ihre Konflikte entwurzelt, sich selber verdirbt
und auch die neuen verdirbt. Wir dürfen keine Lohnempfänger
schaffen, die dem offiziellen Denken hörig sind, und auch keine
"Stipendiaten", die unter dem Schutz des Staatsbudgets leben und
eine Freiheit in Gänsefüßchen pflegen. Es werden
die Revolutionäre kommen, die das Lied vom neuen Menschen mit
der wahren Stimme des Volkes anstimmen. Dies ist ein Prozeß,
der Zeit erfordert.
In unserer Gesellschaft spielen die Jugend und
die Partei eine große Rolle. Besonders wichtig ist die erste,
denn sie ist der formbare Ton, mit dem sich der neue Mensch ohne
alle früheren Mängel aufbauen läßt. Sie empfängt
die Behandlung, welche unseren Bestrebungen entspricht. Ihre Erziehung
wird von Mal zu Mal vollkommener, und wir vergessen nicht, sie vom
ersten Augenblick an in die Arbeit einzuweisen. Unsere Stipendiaten
leisten körperliche Arbeit in ihren Ferien oder auch neben
dem Studium. Die Arbeit ist in gewissen Fällen eine Belohnung,
manchmal auch ein Instrument der Erziehung, niemals aber eine Strafe.
Eine neue Generation entsteht.
Die Partei ist eine Organisation der Avantgarde.
Die besten Arbeiter werden von ihren Kameraden zur Aufnahme vorgeschlagen.
Sie ist minoritär, besitzt jedoch eine große Autorität
durch die Qualität ihrer Kader. Wir streben danach, daß
die Partei eine Massenorganisation wird, aber erst, wenn die Massen
den Entwicklungsgrad der Avantgarde erreicht haben, das heißt,
wenn sie zum Kommunismus erzogen sind. Und auf diese Erziehung ist
die Arbeit ausgerichtet. Die Partei stellt das lebendige Vorbild;
ihre Kader müssen Arbeitseifer und Aufopferung lehren, sie
müssen durch ihr Handeln die Massen zur Erfüllung der
revolutionären Aufgabe führen; das bedeutet Jahre harten
Kämpfens gegen die Schwierigkeiten des Aufbaus, die Klassenfeinde,
die Gebrechen aus der Vergangenheit, den Imperialismus.
Ich möchte nun die Rolle darlegen, welche
die Persönlichkeit spielt, der Mensch als Individuum und Führer
der Massen, welche die Geschichte machen. Es ist unsere Erfahrung,
nicht ein Rezept.
Fidel verlieh in den ersten Jahren der Revolution
den Impuls, gab ihr immer die Richtung, den Ton. Dahinter steht
eine ansehnliche Gruppe von Revolutionären, die sich im gleichen
Sinn wie der Anführer entwickelt, und eine große Masse,
die ihren Führern folgt, weil sie ihnen vertraut; und sie vertraut
ihnen, weil diese es verstanden, ihre Sehnsüchte zu deuten.
Es geht nicht darum, wieviel Kilogramm Fleisch
man ißt oder wieviel Mal im Jahr sich jemand am Strand tummeln
kann, auch nicht wieviel Luxusartikel aus dem Ausland man sich mit
den gegenwärtigen Löhnen leisten kann. Es geht eben darum,
daß das Individuum sich erfüllter fühlt, mit viel
größerem inneren Reichtum und mit viel größerer
Verantwortlichkeit. Das Individuum in unserem Land weiß, daß
die glorreiche Epoche, in der zu leben ihm zufiel, eine Epoche des
Opfers ist, und es kennt das Opfer. Die ersten lernten es in der
Sierra Maestra kennen, und dort hieß es zu kämpfen; später
haben wir es in ganz Cuba kennengelernt. Cuba ist die Avantgarde
Amerikas und muß Opfer bringen, weil es diesen Vorposten innehat,
weil es den Massen Lateinamerikas den Weg zur vollen Freiheit weist.
Innerhalb des Landes müssen die Führer
ihre Rolle als Avantgarde erfüllen; und in aller Offenheit
soll gesagt werden: in einer wahren Revolution, für die man
alles gibt, von der man keinerlei materielle Vergütung erwartet,
ist die Aufgabe des Avantgarde-Revolutionärs, eine großartige
und zugleich beängstigende.
Ich wage zu behaupten - auch auf die Gefahr hin,
lächerlich zu erscheinen -, daß der wahre Revolutionär
von großen Gefühlen der Liebe geleitet wird. Es ist unmöglich,
sich einen echten Revolutionär ohne diese Eigenschaft vorzustellen.
Vielleicht liegt hierin eines der großen Dramen des Führenden:
dieser muß mit einer leidenschaftlichen Seele einen kühlen
Intellekt verbinden und, ohne mit der Wimper zu zucken, schmerzliche
Entscheidungen fällen. Wir Revolutionäre der Avantgarde
müssen diese Liebe zu den Völkern, zu den heiligsten Dingen
idealisieren und sie einzig, unteilbar machen. Revolutionäre
können nicht mit ihrer kleinen Dosis täglicher Zärtlichkeit
in die Plätze hinuntersteigen, wo der gewöhnliche Mensch
sie pflegt.
Die Führer der Revolution haben Kinder,
die beim ersten Stammeln nicht den Vater nennen lernen, Frauen,
die ein Teil des allgemeinen Verzichts auf Leben sind, damit die
Revolution ihrer Bestimmung zugeführt wird. Der Kreis der Freunde
entspricht genau dem Kreis der Revolutionsgefährten. Es gibt
kein Leben außerhalb der Revolution. Unter diesen Umständen
braucht es ein großes Maß an Menschlichkeit, ein großes
Maß an Gerechtigkeits- und Wahrheitssinn, um nicht in extreme
Dogmatik, in kalte Scholastik zu verfallen, um sich nicht von den
Massen zu isolieren. Alle Tage müssen wir kämpfen, damit
diese Liebe zur lebendigen Menschheit sich in konkrete Taten umsetzt,
in Handlungen, die als Vorbild, die als Mobilisierung dienen.
Der Revolutionär, ideologischer Motor der
Revolution innerhalb seiner Partei, verbraucht sich in dieser unablässigen
Aktivität, die erst mit dem Tod ein Ende nimmt - bis zumindest
der Aufbau Weltmaßstab erreicht. Wenn sein revolutionären
Eifer abstumpft, sobald die dringlichsten Aufgaben in lokalem Maßstab
verwirklicht sind, und wenn er den proletarischen Internationalismus
vergißt, dann hört die Revolution, die er leitet, auf,
eine treibende Kraft zu sein und sinkt in eine bequeme Schläfrigkeit
ab, die von unseren unversöhnlichen Feinden, dem Imperialismus,
ausgenutzt wird, um an Boden zu gewinnen. Der proletarische Internationalismus
ist eine Pflicht, aber auch eine revolutionäre Notwendigkeit.
So lehren wir es unser Volk.
Natürlich bergen die gegenwärtigen
Umstände Gefahren. Nicht nur die des Dogmatismus, nicht nur
des Einfrierens der Beziehungen zu den Massen mitten in der großen
Aufgabe; es besteht auch die Gefahr von Schwächen, in die man
verfallen kann. Wenn ein Mensch glaubt, um sein ganzes Leben der
Revolution zu weihen, dürfe er seinen Geist nicht ablenken
mit der Sorge, daß einem Sohn ein bestimmtes Produkt fehlt,
daß die Schuhe der Kinder abgetragen sind, daß es seiner
Familie an etwas Notwendigem mangelt, dann läßt er unter
diesem Gedankengang die Keime künftiger Korruption ein.
In unserem Fall haben wir den Standpunkt verfechten,
daß unsere Kinder dasselbe besitzen und entbehren sollen,
was die Kinder des gewöhnlichen Menschen besitzen und entbehren,
und unsere Familie muß es begreifen und dafür kämpfen.
Die Revolution erfolgt mittels des Menschen, doch muß der
Mensch tagtäglich seinen revolutionären Geist stählen.
Auf diese Weise schreiten wir voran. An der Spitze
der riesigen Kolonne - wir schämen uns dessen nicht, noch haben
wir Angst es auszusprechen - erst Fidel, dann kommen die besten
Kader der Partei und unmittelbar dahinter, so nah, daß man
seine ungeheure Kraft spürt, geht das Volk in seiner Gesamtheit;
ein solider Bau aus Individuen, die einem gemeinsamen Ziel entgegen
schreiten; Individuen, die das Bewußtsein empfingen von dem,
was getan werden muß; Menschen, die kämpfen, um dem Reich
der Notwendigkeit zu entkommen und in das der Freiheit einzutreten.
Diese riesige Menge ordnet sich; ihre Ordnung
entspricht dem Bewußtsein von der Notwendigkeit derselben;
es ist keine verstreute Kraft, die wie Granatäpfel zu zerstückeln
wäre in Tausende durch den Raum irrende Bruchteilchen, wo jedermann
auf irgendwelche Weise, in erbittertem Kampf gegen seinesgleichen
versucht, eine Position zu erreichen, die ihm Halt bietet vor einer
unsicheren Zukunft.
Wir wissen, daß Opfer auf uns warten und
daß wir einen Preis zu zahlen haben für das heroische
Beginnen, eine Avantgarde als Nation aufzubauen. Wir Führer
wissen, daß wir uns das Recht erkaufen müssen, sagen
zu dürfen, daß wir an der Spitze des Volkes stehen und
daß dieses an der Spitze Amerikas steht. Alle und jeder einzelne
von uns entrichtet pünktlich seinen Beitrag an Opfern in dem
Bewußtsein, belohnt zu werden durch die Befriedigung in der
erfüllten Pflicht, mit allen gemeinsam dem neuen Menschen entgegenzusehen,
der sich am Horizont abzeichnet.
Lassen Sie mich einige Schlußfolgerungen
ziehen: Wir Sozialisten sind freier, weil wir erfüllter sind;
wir sind erfüllter, weil wir freier sind. Das Gerippe unserer
vollen Freiheit steht, es fehlt die fleischliche Substanz und die
Hülle; wir werden sie schaffen.
Unsere Freiheit und ihr täglicher Unterhalt
haben die Farbe des Blutes und sind voller Opfer.
Unser Opfer ist bewußt; ein Beitrag, um
die Freiheit zu bezahlen, die wir errichten.
Der Weg ist lang und zum Teil unbekannt; wir
kennen unsere Grenzen. Wir werden den Menschen des 21. Jahrhunderts
hervorbringen: uns selber. Wir werden uns stählen im täglichen
Handeln, um einen neuen Menschen mit einer neuen Technik zu erschaffen.
Die Persönlichkeit spielt die Rolle der Mobilisierung und Führung,
sofern sie die höchsten Tugenden und Sehnsüchte des Volkes
verkörpert und nicht von der Route abweicht. Den Weg bahnt
die Gruppe der Avantgarde, die Besten unter den Guten, die Partei.
Der Ton, aus dem wir unser Werk formen, ist die
Jugend; in sie setzen wir unsere Hoffnung, und sie bereiten wir
darauf vor, aus unsren Händen die Fahne entgegenzunehmen. Wenn
dieser stammelnde Brief einiges erhellt, hat er sein Ziel erfüllt,
das ich ihm steckte.
Empfangen Sie unseren Gruß, wie einen Händedruck
oder ein "Ave Maria Purisima".
Vaterland oder Tod!
Che
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