"Die Arbeiterklasse
ist eine produktive und schöpferische Klasse, Schöpferin
des Reichtums eines Landes. Solange nun die Macht nicht in ihren Händen
liegt, solange sie duldet, daß die politische Gewalt in den
Händen der sie ausbeutenden Arbeitgeber, der Spekulanten, der
Großgrundbesitzer, der Monopole und der ausländischen und
einheimischen Investitoren liegt, solange alle Waffen im Griff und
im Dienste dieser Interessen und nicht in Arbeiterhand sind, ist die
Arbeiterklasse zum Elend verdammt, wieviel Krumen auch immer ihr das
Interesse von der Festtafel zuwerfen mag."
Fidel Castro
Noch nie hat sich in Amerika ein Ereignis mit
so außergewöhnlichen Merkmalen, mit derart ausgeprägten
Traditionen und so weitreichenden Folgen für die Geschicke
fortschrittlicher Aufbrüche unseres Kontinents abgespielt wie
Cubas revolutionärer Krieg. Das ging so weit, daß einige
ihn sogar als Hauptereignis amerikanischer Geschichte bewertet haben,
dessen Bedeutung nur von jener Trilogie überdeckt wird, die
aus der russischen Revolution, dem Sieg über Hitlers Heere
- und den auf ihn folgenden sozialen Veränderungen - und dem
Triumph der chinesischen Revolution besteht.
Unsere in ihrer Form und in ihren Manifestationen
höchst unorthodoxe Revolution ist dennoch - wie könnte
es anders sein - der Generallinie aller großen historischen
Ereignisse unseres Jahrhunderts gefolgt, die durch den Kampf gegen
den Kolonialismus und den Übergang zum Sozialismus gekennzeichnet
ist.
Dennoch haben einige Gruppen eigennützig
oder gutgläubig behauptet, in unserer Revolution eine Anzahl
von exzeptionellen Qualitäten zu sehen, deren - im sozial-historischen
Kontext - marginale Bedeutung für Cuba sie künstlich zu
ausschlaggebenden Faktoren aufblähen. Man spricht daher von
einer Ausnahmestellung der kubanischen Revolution, verglichen mit
den Konturen anderer revolutionärer Parteien Amerikas, und
konstatiert nun, daß ihre Form und Methode unverwechselbar
sei und daß deswegen der geschichtliche Übergang der
übrigen Länder Amerikas anders verlaufen müsse.
Wir konzedieren, daß es typische Merkmale
gibt, die der kubanischen Revolution ihr eigenes Gepräge verliehen
haben; es ist doch eine fast banale Tatsache, daß jede Revolution
solche spezifischen Faktoren kennt, aber es steht nicht weniger
fest, daß alle Revolutionen gewissen allgemeingültigen
Gesetzen folgen, deren Umgehung für eine Gesellschaft gar nicht
möglich ist. Analysieren wir also diese angeblich außergewöhnlichen
Elemente der kubanischen Revolution.
Der erste und vermutlich der wichtigste und originellste Faktor
ist die Persönlichkeit Fidel Castro Ruz', dessen Ruf in wenigen
Jahren historische Größe erreicht hat. Die Zukunft wird
die Verdienste unseres Premierministers gebührend würdigen,
uns aber - seinen Zeitgenossen -scheinen sie vergleichbar mit denen
der wichtigsten historischen Persönlichkeiten Lateinamerikas.
Was nun zeichnet die Persönlichkeit Fidel Castros so besonders
aus? Es sind verschiedene Eigenschaften, die ihn weit über
seine Genossen und Anhänger hinausragen lassen: Fidel ist eine
so starke Persönlichkeit, daß er in jeder Bewegung, an
der er teilnimmt, notwendig die Leitung erringt. Das hat er während
seiner ganzen Laufbahn geleistet, seit den Tagen als Student bis
ins Amt des Premierministers unseres Landes und als Sprecher der
unterdrückter, Völker Amerikas. Er besitzt alle Qualitäten
eines bedeutenden Staatsmannes, die ihn zusammen mit seinen persönlichen
Talenten - Kühnheit, Ausdauer, Ethos und einer ungewöhnlichen
Beharrlichkeit, stets den Willen des Volkes zu ergründen -
an den ehren- und opfervollen Platz gestellt haben, den er heute
einnimmt. Er hat aber noch andere bedeutende Vorzüge, so seine
Fähigkeit, Kenntnisse und Erfahrungen rasch zu assimilieren
und eine gegebene Situation in ihrer Gesamtheit zu erfassen, ohne
darüber das Detail zu vernachlässigen. Hinzu kommt sein
unbegrenztes Vertrauen in die Zukunft und sein Weitblick, Ereignisse
vorauszusehen und Ergebnisse zu antizipieren, immer im visionären
Vorsprung zu seinen Genossen.
Mit diesen Eigenschaften, seiner Fähigkeit,
gleichzeitig zu koordinieren, zu vereinen, schwächende Spaltungen
zu bekämpfen, seiner Fähigkeit, vor allem die Aktion des
Volkes zu leiten, seiner Liebe zum Volk, seinem Glauben an die Zukunft
und seinem Scharfsinn, sie vorauszuplanen, hat Fidel Castro mehr
geleistet als irgendein anderer, um gleichsam aus dem Nichts den
gewaltigen Apparat zu stampfen, den heute die kubanische Revolution
darstellt.
Doch kann niemand behaupten, die politischen
und sozialen Gegebenheiten in Cuba seien von denen in den anderen
Ländern Amerikas total verschieden und Fidel Castro habe die
Revolution sozusagen trotz dieser Unterschiede durchgeführt.
Fidel, der große und erfahrene Führer der Revolution
in Cuba, wählte die Form und den Augenblick und verlieh damit
den subkutanen politischen Strömungen Ausdruck, die das Volk
für den großen Sprung vorwärts zur Revolution vorbereitet
hatten. Es gab allerdings auch gewisse Voraussetzungen, die keine
Spezifika für Cuba waren, die aber kaum ein anderes Mal von
anderen Völkern ausgenutzt werden können, weil der Imperialismus
- im Gegensatz zu einigen fortschrittlichen Fraktionen - aus seinen
Fehlern zu lernen pflegt.
Eine Bedingung, die man als außergewöhnlich
verzeichnen könnte, bestand darin, daß der nordamerikanische
Imperialismus verwirrt war und die inhärente Tragweite der
kubanischen Revolution nicht durchschaute. Dadurch erklären
sich zum Teil viele der offenbaren Widersprüche der nordamerikanischen
sogenannten "Vierten Gewalt". Wie in solchen Fällen üblich,
hatten die Monopole zunächst mit einem Nachfolger für
Batista spekuliert, eben weil sie wußten, daß das Volk
nicht mit ihm einverstanden war und revolutionär seinen Sturz
zu erreichen suchte. Welcher Schachzug hätte klüger und
geschickter sein können als die Absetzung des nutzlos gewordenen
kleinen Diktators, um an seinen Platz neue "boys" zu placieren,
die zu gegebener Zeit den imperialistischen Interessen gute Dienste
leisten würden? Eine Zeitlang setzte der Imperialismus in seinem
kontinentweiten Spiel auf diese Karte - und verlor damit jämmerlich.
Schon vor unserem Sieg waren wir verdächtig, aber sie fürchteten
uns noch nicht. So setzten sie auf eine zweite Karte mit der ihnen
eigenen Erfahrung in Spielen dieser Art, in denen sie gewöhnlich
nicht verlieren. Wiederholt versuchten Emissäre des State Department,
als Journalisten verkleidet, die Bauernrevolte in ihrer Bedeutung
abzustecken; sie konnten keine gefährlichen akuten Symptome
diagnostizieren. Als der Imperialismus schließlich reagieren
wollte, als ihm nämlich klarwurde, daß jene Gruppe unerfahrener
junger Männer, die im Triumph durch die Straßen Havannas
zogen, sich ihrer politischen Pflichten durchaus bewußt und
eisern entschlossen waren, diese auch zu erfüllen, war es bereits
zu spät. Und so begann im Januar 1959 in diesem Bereich der
Karibischen See die tiefgreifendste aller amerikanischen Revolutionen.
Wir glauben nicht, daß es außergewöhnlich
war, daß die Bourgeoisie - oder doch wenigstens ein großer
Teil der Bourgeoisie - dem Befreiungskrieg gegen die Tyrannei günstig
gesinnt war und doch gleichzeitig versuchte, über Lösungen
zu verhandeln, durch die das Regime Batista durch Elemente ersetzt
würde, die bereit wären, die Revolution zu hemmen. Wenn
man in Betracht zieht, unter welchen Umständen der revolutionäre
Krieg ausbrach, wenn man die Komplexität der politischen Tendenzen
betrachtet, die sich der Tyrannei widersetzten, ist es gar nicht
ungewöhnlich, daß einige Großgrundbesitzer sich
gegenüber den Aufständischen neutral oder doch wenigstens
nicht kombattant verhielten.
Es ist doch leicht verständlich, daß
die einheimische Bourgeoisie, geschröpft durch Imperialismus
und Tyrannei, deren Truppen die Kleinbesitzer ausplünderten
und Korruption zum Broterwerb machten, mit einer gewissen Sympathie
sah, daß diese jungen Rebellen aus den Bergen - die Revolutionsarmee
- die bewaffnete Gewalt des Imperialismus schlagen werden.
So trugen in der Tat auch nicht-revolutionäre
Kräfte dazu bei, der revolutionären Regierung den Weg
zu ebnen.
Will man noch weiter gehen, so kann man noch
eine andere Ausnahme hinzufügen: Fast überall in Cuba
hatten die Bedingungen der halbmechanisierten landwirtschaftlich-kapitalistischen
Großbetriebe die Bauern proletarisiert; diese hatten daher
schon einen organisatorischen Stand erreicht, der ihr Klassenbewußtsein
schärfte. Das können wir einräumen. Wir müssen
andererseits wahrheitsgemäß feststellen, daß im
ursprünglichen Territorium unserer Rebellenarmee, die aus Überlebenden
der geschlagenen Kolonne bestand, die mit der Granma gekommen
war, Bauern lebten, deren soziale und kulturelle Prägung entschieden
anders war als die, die man in den Gebieten der großen halb-mechanisierten
kubanischen Plantagen antrifft. Tatsächlich hatten sich in
die Sierra Maestra, dem Aufmarschgebiet der ersten revolutionären
Kolonnen, all jene Bauern geflüchtet, die den Großgrundbesitz
erbittert bekämpften und hier dem Staat oder anderen gierigen
Großgrundbesitzern ein neues Stück Land zu entreißen
suchten, um darauf einen bescheidenen Wohlstand aufzubauen. Sie
mußten in ständigem Kampf gegen die Forderungen der Soldaten
liegen, den natürlichen Bundesgenossen der Großgrundbesitzer,
und ihr politischer Horizont endete zunächst noch dort, wo
das Eigentum beginnt. Tatsächlich war auch der Bauernsoldat
in unserem ersten Guerrillaheer Mitglied dieser sozialen Klasse,
deren Liebe zum Land und zu dessen Besitz eine besonders aggressive
Form, d. h. eine ausgeprägt kleinbürgerliche Gesinnung
zeigte; dieser Bauer kämpft, weil er für sich und seine
Kinder Land will, um es zu bebauen, zu verkaufen und um sich durch
seine Arbeit zu bereichern.
Trotz seiner kleinbürgerlichen Mentalität
lernte der Bauer bald, daß er ohne die Beseitigung des Großgrundbesitzsystems
seinen Hunger nach Land nicht stillen kann. Die radikale Bodenreform
- die allein den Bauern Land geben kann - kollidiert mit den direkten
Interessen der Imperialisten, der Großgrundbesitzer, der Zucker-
und Viehmagnaten. Die Bourgeoisie hat Angst, diese Interessen zu
tangieren. Nicht so das Proletariat. Daher verschmilzt der Prozeß
der Revolution die Ziele von Arbeitern und Bauern. Die Arbeiter
unterstützen die Forderungen der Bauern gegen den Großgrundbesitz,
und der ausgepowerte Bauer, nachdem er mit Land ausgestattet ist,
unterstützt nun seinerseits loyal die revolutionäre Macht
und verteidigt sie gegen die imperialistischen und konterrevolutionären
Feinde.
Wir glauben nicht, daß man noch weitere
Ausnahmefaktoren anführen kann. Wir haben sie sogar etwas übertrieben;
jetzt wollen wir die Konstanten in den sozialen Phänomenen
Amerikas betrachten; die Widersprüche also, die sich innerhalb
der bestehenden Gesellschaft aufstauen und dadurch Veränderungen
provozieren, die die Mächtigkeit einer Revolution wie der kubanischen
erlangen können.
Chronologisch gesehen, wenn auch nicht der augenblicklichen
Bedeutung entsprechend, figuriert der Großgrundbesitz an erster
Stelle. Er war Grundlage der wirtschaftlichen Macht der herrschenden
Klasse in der Periode nach der großen antikolonialen Revolution
des vorigen Jahrhunderts. Im allgemeinen hinkt die in jedem Land
vorhandene Großgrundbesitzerklasse den weltbewegenden sozialen
Ereignissen nach. In einigen Ländern bemerkt jedoch der wachsame
und vorausschauende Teil dieser Klasse die Gefahr und legt sein
Kapital anders an - zuweilen in mechanisierten Plantagenbetrieben,
zuweilen steckt er es in die Industrie oder übernimmt Handelsagenturen
des Monopolkapitals. jedenfalls konnte die erste antikoloniale Revolution
nie die Grundlagen des Großgrundbesitzes zerstören, der
- stets ein reaktionäres Element -auf dem Lande das Prinzip
der Leibeigenschaft aufrechterhält. Dieses Phänomen tritt
ausnahmslos in allen Ländern Amerikas auf und ist der Kern
aller Ungerechtigkeiten seit der Zeit, als der spanische König
den hochedlen Konquistadoren Gunstbezeigungen in Form von Lehen
erwies und - im Falle Cubas - für die Eingeborenen, Kreolen
und Mestizen, nur die der Krone gehörigen Reste übrigließ,
also jene Flächen, die jeweils zwischen drei aneinandergrenzenden
kreisförmigen Grundstücken liegen.
In den meisten Ländern erkannte der Großgrundbesitz,
daß er isoliert nicht überleben könne, und alliierte
sich eilends mit den Monopolen, will sagen mit dem stärksten
und grausamsten Unterdrücker der amerikanischen Völker.
Nordamerikanisches Kapital strömte ein, dieses unberührte
Land "fruchtbar zu machen", um sich danach robust unter der Hand
alle Devisen anzueignen, die es vorher großzügig "gespendet"
hatte und darüber hinaus noch andere Gewinne, die ein Vielfaches
der Summe betrugen, die anfangs in das so "begünstigte" Land
investiert worden waren.
Amerika wurde Schlachtfeld interimperialistischer
Kämpfe: "Kriege" zwischen Costa Rica und Nicaragua, die Abtrennung
Panamas von Kolumbien, die gegen Ecuador begangene Gemeinheit, während
seiner Streitigkeiten mit Peru, der Kampf zwischen Paraguay und
Bolivien -das sind nur Indizien dieser gigantischen Schlacht zwischen
monopolistischen Weltkonzernen, einer Schlacht, die nach dem Zweiten
Weltkrieg fast ausschließlich zugunsten der nordamerikanischen
Monopole ausging. Seitdem hat der US-Imperialismus seinen Kolonialbesitz
arrondiert und möglichst starke Barrieren errichtet, um das
Eindringen alter oder neuer Konkurrenten aus anderen imperialistischen
Ländern zu verhindern. Das alles ergibt eine monströs
disproportionierte Wirtschaft, von züchtigen Nationalökonomen
des Imperialismus in einer nichtssagenden Formel umschrieben, die
ihr tiefes Mitleid mit uns, den inferioren Wesen zeigt (sie nennen
unsere erbärmlich ausgebeuteten, geplagten und bis zur Würdelosigkeit
herabgedrückten Indios verharmlosend "Indianerlein"; sie bezeichnen
alle Schwarzen oder Mulatten als "farbig", diese Diskriminierten,
die sowohl als Individuum als auch als Klasse bloße Instrumente
sind: sie splittern die Arbeitermassen in ihrem Kampf um bessere
wirtschaftliche Bedingungen auf). Sie nennen uns, die Völker
Amerikas, "unterentwickelt".
Was aber ist "Unterentwicklung"?
Ein Zwerg mit Wasserkopf und aufgeblähtem
Bauch ist unterentwickelt, vergleicht man seine schwachen Beinchen,
seine kurzen Arme mit dem Rest seines Körpers. Er ist Produkt
eines terratologischen Vorganges, der seine normale Entwicklung
zum Entgleisen brachte. Der Zwerg, das sind realiter wir - wir,
die man die "Unterentwickelten" nennt, stellen tatsächlich
derartige Gebilde dar; wir sind wirklich Halbkolonien, Kolonien
oder abhängige Länder. Wir sind Länder mit einer
durch imperiale Gewalt demolierten Wirtschaft, die nur die zur Ergänzung
ihrer komplizierten Ökonomie erforderlichen Industrie- oder
Landwirtschaftssektoren entwickelt hat, dann aber auf anomale Weise.
Die "Unterentwicklung", also eine entstellte Entwicklung, bedingt
eine gefährliche Einseitigkeit als Rohstoffproduzent, die unsere
Völker unter der ständigen Drohung einer Hungersnot hält.
Wir, die "Unterentwickelten", sind Völker mit Monokulturen,
Monoprodukten und Monomärkten. Ein einziges Produkt also, dessen
schwieriger Verkauf an einem einzigen Absatzmarkt hängt, der
Bedingungen aufzwingen und festsetzen kann. Das ist die großartige
Formel der imperialistischen Wirtschaftsdomination, die sich der
alten, aber immer noch aktuellen römischen Devise beigesellt:
"divide et impera". Aber erst durch seine Beziehungen zum Imperialismus
prägt der Großgrundbesitz die sogenannte "Unterentwicklung"
- mit ihren Konsequenzen: niedrige Löhne und Arbeitslosigkeit.
Niedrige Löhne und Arbeitslosigkeit - verschärft durch
fundamentale Widersprüche des Systems, ausgeliefert an die
zyklischen Krisen seiner Wirtschaft - bilden einen circulus vitiosus,
da daraus wieder niedrigere Löhne und größere Arbeitslosigkeit
folgen. Dieser Zustand beschreibt den gemeinsamen Nenner aller Völker
Amerikas von Rio Bravo bis zum Südpol. Dieser Nenner, den wir
mit Großbuchstaben schreiben und der allen, die sich mit diesem
sozialen Phänomen befassen, als Grundlage ihrer Analyse dient,
heißt "Das Volk hat Hunger", heißt Überdruß
an der Unterdrükkung, der Kränkung, an der profitabelsten
Ausbeutung, heißt Müdigkeit, Tag um Tag (angesichts der
Angst, in das Riesenheer der Arbeitslosen abzusinken) seine Arbeitskraft
billig verschleudern zu müssen, damit man aus jedem menschlichen
Körper ein Profitmaximum quetscht, das sogleich in den Orgien
der Kapitalherren vertan wird.
Wir sehen also, daß es zentrale und unentrinnbare
Übereinstimmungen Lateinamerikas gibt und daß wir in
Cuba keineswegs sagen können, wir wären auch nur von einer
dieser Chimären ausgenommen, die zum Schrecklichsten und Dauerhaftesten
führen: zum Hunger des Volkes. Der Großgrundbesitz, bald
als primitive Form der Ausbeutung, bald als Ausdruck eines kapitalistischen
Landmonopols, paßt sich den neuen Bedingungen an und verbündet
sich mit dem Wirtschaftsimperialismus, euphemistisch "Unterentwicklung"
genannt, mit den Folgen: niedrige Löhne, fehlende Arbeitsplätze,
Arbeitslosigkeit und Hunger der Völker. Das alles gab es auch
in Cuba. Auch hier gab es Hunger, hier existierte einer der höchsten
Prozentsätze von Arbeitslosigkeit in ganz Lateinamerika; bei
uns benahm sich der Imperialismus grausamer als in vielen Ländern
Amerikas, hier regierte der Großgrundbesitz ebenso mächtig
wie in irgendeinem anderen Bruderland.
Was unternahmen wir nun, um uns von der Anwesenheit
des Imperialismus mit seinen Zutaten von Marionettenregierungen
in jedem Land und Söldnerheeren zu befreien, die jederzeit
bereitstehen, die Marionette und das ganze komplexe Sozialsystem
der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen zu verteidigen? Wir
applizierten einige der Vorschriften, die wir schon an anderer Stelle
als Entdeckung unserer politischen Therapie gegen die großen
übel unseres Lateinamerika notiert haben, einer empirischen
Medizin also, die rasch als wissenschaftliche Wahrheit anerkannt
wurde.
Die objektiven Bedingungen für den Kampf
sind durch den Hunger des Volkes gegeben und durch die Reaktion
auf diesen Hunger; sie folgen der Angst, die entfesselt wird, um
die Reaktion des Volkes aufzuschieben, folgen der Welle des Hasses,
die durch diese Repression erzeugt wird.
Es fehlt in Amerika aber an subjektiven Bedingungen,
deren wichtigste das Bewußtsein der Möglichkeit eines
gewaltsamen Sieges über die imperialistischen Mächte und
ihre einheimischen Verbündeten ist. Solche Bedingungen entstehen
im bewaffneten Kampf, der die Notwendigkeit der Änderung und
die Notwendigkeit der Niederlage der Armee durch das Volksheer und
ihre schließliche Vernichtung - immer deutlicher macht (und
erlaubt, sie vorauszuplanen). Das ist die notwendige Bedingung für
jede wirkliche Revolution.
Nachdem wir bereits festgestellt haben, daß
diese Bedingungen durch den bewaffneten Kampf erfüllt werden,
müssen wir nochmals erklären, daß die Szene eines
derartigen Kampfes das Land sein muß und daß von dort
aus mit einem Bauernheer, das die großen Ziele verfolgt, für
die das Landproletariat kämpfen muß (vor allem die gerechte
Verteilung des Bodens), die Städte zu erobern sind. Auf der
theoretischen Position der Arbeiterklasse, deren große Ideologen
die sozialen Gesetze aufgedeckt haben, denen wir unterliegen, wird
die Bauernklasse Amerikas das große Befreiungsheer der Zukunft
stellen, wie sie es bereits in Cuba getan hat. Dies auf dem Land
formierte Heer - in dem die subjektiven Bedingungen für die
Machtergreifung heranreifen -, das von außen die Städte
erobert, sich mit der Arbeiterklasse zusammenschließt und
mit diesem neuen Zuwachs die ideologische Potenz erhöht, dies
Heer kann und muß die Armee der Unterdrücker (anfangs
in Überfällen, Scharmützeln, Überraschungsaktionen
und schließlich in offenen Schlachten) besiegen, sobald es
so stark angewachsen ist, daß es aufhört, eine Guerrillatruppe
zu sein und zu einem riesigen Volksheer der Befreiung wird. Wie
wir bereits festgestellt haben, ist die Liquidierung der alten Armee
dabei erste Etappe einer Festigung der revolutionären Macht.
Wollte man alle Bedingungen, die in Cuba vorhanden
waren, auf die übrigen lateinamerikanischen Länder, auf
andere Machtkämpfe zugunsten der Entrechteten übertragen,
was würde geschehen? Wäre das durchführbar oder nicht?
Und, falls ja, würde es leichter oder schwieriger sein als
in Cuba? Wir wollen die Schwierigkeiten aufzählen, die nach
unserem Ermessen die künftigen Revolutionskämpfe in Amerika
härter gestalten. Es gibt für alle Länder Schwierigkeiten
allgemeiner und für einige von ihnen (deren Entwicklungsstufe
oder nationale Eigenarten sie von anderen unterscheiden) solche
besonderer Art. Zu Beginn dieser Arbeit hatten wir registriert,
daß als Ausnahme-Faktoren gelten können: ein angesichts
der kubanischen Revolution desorientierter Imperialismus und eine
bis zu einem gewissen Grad gleichfalls desorientierte nationale
Bourgeoisie, desorientiert trotz einiger Sympathien, mit der sie
- infolge des imperialistischen Druckes auf ihre eigenen Interessen
(eine Situation, die übrigens in allen Ländern besteht)
- die Aktion der Rebellen beobachtete. Cuba hat aufs neue einen
Strich in den Sand gezogen und steht wieder vor demselben Dilemma
wie seinerzeit Pizarro: Auf der einen Seite stehen die, die das
Volk lieben, auf der anderen jene, die es hassen. Zwischen diesen
beiden wird die Trennung immer deutlicher, die die großen
sozialen Kräfte scheidet - Bourgeoisie und Arbeiterklasse,
die, je weiter der Prozeß der kubanischen Revolution fortschreitet,
ihre Positionen immer klarer abstecken.
Das bedeutet: Der Imperialismus hatte die Lektion
der kubanischen Revolution gründlich verdaut. Er wird sich
in keiner der zwanzig Republiken, in keiner der noch bestehenden
Kolonien, in keinem Teil Amerikas noch einmal überraschen lassen.
Denen also, die die Friedhofsruhe, die pax americana, zu stören
anstreben, stehen erbitterte Volkskämpfe gegen mächtige
Invasionsarmeen bevor. Das gilt es darum zu beachten: War nämlich
schon der kubanische Befreiungskrieg mit zwei Jahren ständiger
Kämpfe, Ängste und Unsicherheit eine bittere Bürde,
so werden die neuen Schlachten, die das Volk an anderen Orten Lateinamerikas
zu erwarten haben, unendlich viel härter sein.
Die USA beschleunigen die Waffenlieferung an
die am meisten bedrohten Handlangerregimes; sie stimulieren Abhängigkeitsverträge,
um juristisch die Entsendung von Repressions- und Mordinstrumenten
und damit ausgerüsteter Truppen zu erleichtern. Außerdem
verstärken sie die militärische Vorbereitung der Kader
in den Unterdrückungsarmeen, mit der Absicht, sie effektiv
gegen das Volk einsetzen zu können.
Und die Bourgeoisien? In vielen lateinamerikanischen
Ländern bestehen objektive Gegensätze zwischen den um
ihre Entwicklung kämpfenden einheimischen Bourgeoisien und
dem Imperialismus, der die Märkte mit seinen Waren überschwemmt
und damit die nationale Industrie im ungleichen Wettbewerb vernichtet.
Aber auch andere Formen oder Manifestationen des Kampfes um Mehrwert
und Reichtum treten auf.
Trotz dieser Widersprüche aber sind die
einheimischen Bourgeoisien im allgemeinen nicht in der Lage, dem
Imperialismus gegenüber eine konsequente Kampfposition einzunehmen.
Damit beweisen sie, daß sie die Volksrevolution
mehr fürchten als ihr Leiden unter Unterdrückung und despotischer
Gewalt eines Imperialismus, der die Nationalität erdrückt,
das patriotische Gefühl beleidigt und die Wirtschaft kolonisiert.
Die Großbourgeoisie stemmt sich eindeutig
der Revolution entgegen und wird nicht zögern, sich mit dem
Imperialismus und dem Großgrundbesitz zu verbünden, um
das Volk niederzupressen und ihm den Weg der Revolution zu verlegen.
Ein verzweifelter und hysterischer Imperialismus,
entschlossen zu jedem Eingriff, der seinen Marionetten Waffen, ja
sogar Truppen stellt, um das aufständische Volk aufzureiben;
ein grausamer und skrupelloser Großgrundbesitz, der in den
brutalsten Unterdrückungsmethoden geübt ist; eine Großbourgeoisie,
die willens ist, der Volkserhebung mit allen Mitteln den Weg zu
versperren - das sind die Mächte, deren Bündnis sich direkt
gegen die neuen Volksrevolutionen Lateinamerikas richtet.
Das sind unter den neuen Bedingungen zusätzlich
einzukalkulierende Schwierigkeiten bei Kämpfen diesen Typs,
entstanden nach der irreversiblen Verankerung der kubanischen Revolution.
Es gibt aber noch spezifischere Schwierigkeiten.
Die Länder, in denen eine mittlere und leichte Industrie entstand
oder einfach eine Konzentration der Bevölkerung in großen
Zentren stattfand, ohne daß man von einer genuinen Industrialisierung
reden könnte, haben es schwerer, einen Guerrilla vorzubereiten.
Auch hindert die ideologische Ausstrahlung großer Bevölkerungszentren
den Guerrillakrieg und begünstigt friedlich organisierte Massenaktionen.
Letzteres bedingt eine gewisse "Institutionalisierung",
bedingt, daß die Lebensvoraussetzungen des Volkes in mehr
oder weniger "normalen" Zeiten weniger harsch sind als die gewöhnlich
erlittene Behandlung.
Man könnte sogar den Gedanken fassen, daß
eine eventuelle extreme Vermehrung revolutionärer Elemente
unter den Abgeordneten eines Tages eine qualitative politische Veränderung
möglich macht.
Unter den gegebenen Umständen halten wir
es jedoch für unwahrscheinlich, daß diese Vision sich
irgendwo in Amerika verwirklichen könnte. Zwar ist es nicht
ganz ausgeschlossen, daß ein Wechsel in irgendeinem Land auf
dem Abstimmungswege vollziehbar wäre, doch lassen die herrschenden
Bedingungen diese Möglichkeit als recht abwegig erscheinen.
Revolutionäre können nicht alle abweichenden Taktiken
voraussehen, die sich im Laufe ihres Emanzipationskampfes auftun
mögen. Die Fähigkeit eines Revolutionärs wird daher
an seinem Vermögen gemessen, für jede Veränderung
der Lage die entsprechende revolutionäre taktische Antwort
zu finden, sich jede denkbare Taktik zu vergegenwärtigen und
sie aufs äußerste nutzbar zu machen. Es wäre ein
unentschuldbarer Irrtum, den Gewinn zu unterschätzen, den ein
revolutionäres Programm bei einer Wahl erzielen könnte.
Ebenso, wie es in gleicher Weise unverzeihlich wäre, wollte
man einzig auf Wahlen hoffen und die anderen oppositionellen Werkzeuge
zur Erringung der Macht - eingeschlossen den bewaffneten Kampf -
außer acht lassen, obwohl doch der bewaffnete Kampf unentbehrliches
Instrument für den Aufbau eines revolutionären Programms
ist; wird nämlich die Mach-, nicht wirklich ergriffen, bleiben
alle anderen Errungenschaften ungewiß, unzureichend und ungeeignet,
die erforderlichen Lösungen zu sichern, so fortschrittlich
sie auch scheinen mögen.
Wenn man von "Durch Wahlen zur Macht" redet,
so fragen wir uns immer: Wenn eine revolutionäre Volksbewegung
wirklich auf Grund einer großen Mehrheit die Macht erringt
und beschließt, konsequent die Umwandlungen durchzuführen,
die in ihrem Programm formuliert sind, das ihnen den Sieg sicherte,
würde sie dann nicht sofort mit den reaktionären Klassen
des Landes in Konflikt geraten? Ist die Armee nicht stets das Unterdrückungsinstrument
dieser Klasse gewesen? Wenn das aber stimmt, dann ist es logisch,
zu erwarten, daß diese Armee für ihre Klasse Partei ergreifen
und einen Konflikt mit der neu gebildeten Regierung beginnen wird.
Eine solche Regierung würde sicher durch einen mehr oder weniger
unblutigen Staatsstreich gestürzt werden, und so begänne
das endlose Spiel von neuem. Die Unterdrückungsarmee aber könnte
ihrerseits durch eine bewaffnete Aktion des Volkes zugunsten seiner
Regierung besiegt werden. Was wir aber für ausgeschlossen halten:
daß die Armee tiefgehende soziale Reformen freiwillig akzeptiert
und sich still in ihre Liquidierung als Kaste fügt.
Wir meinen, daß es auch in städtischen
Ballungszentren, (deren Bedingungen wir schon referiert haben) mit
wirtschaftlich rückständigen Konditionen ratsam sein kann,
auf lange Sicht den Guerrilla außerhalb der Stadtgrenze aufzubauen.
Genauer gesagt: die Präsenz eines Guerrillazentrums in irgendeinem
Gebirge - in einem Land mit großen Städten - schafft
einen permanenten Aufruhrherd, da die repressiven Gewalten nur schwer
den Guerrilla (rasch oder im Laufe von Jahren) liquidieren können,
wenn seine soziale Verflechtung in einem günstigen Terrain
liegt, wo Menschen leben, die Taktik und Strategie dieser Art Krieg
konsequent anwenden.
Anders liegt der Fall in den Städten; hier
kann die bewaffnete Auseinandersetzung gegen eine Unterdrückungsarmee
zwar ein unerwartetes Ausmaß annehmen, sich aber nur dann
zum frontalen Kampf entwickeln, wenn zwei starke Heere gegeneinander
kämpfen; man kann hingegen keine offene Schlacht gegen eine
mächtige und wohlausgerüstete Armee führen, wenn
man nur über kleine Truppen verfügt.
Der offene Kampf wäre unter diesen Umständen mit großen
Waffenmengen zu bewerkstelligen, und die Frage taucht auf, woher
diese Waffen kommen sollen. Waffen wachsen nicht an Bäumen,
sie müssen dem Feind abgenommen werden. Das wiederum bedeutet,
daß man zwar kämpfen muß, aber noch nicht offen
angreifen kann. Demnach muß der Kampf in den großen
Städten versteckt begonnen werden, um durch wiederholte Handstreiche
Militär-Gruppen abfangen oder um Waffen erbeuten zu können.
Im zweiten Fall wären große Erfolge
denkbar, und wir behaupten auch gar nicht, ein Volksaufstand mit
einer Guerrillabasis innerhalb einer Stadt könne keinen Erfolg
haben! Theoretisch ist die Möglichkeit nicht auszuschließen,
und wir haben das auch gar nicht vor. Wir müssen aber doch
festhalten, wie leicht es für den Feind wäre, Anführer
der Revolution durch Verrat oder einfach durch gründliches
Durchkämmen der Städte zu eliminieren. Vorausgesetzt hingegen,
daß in der Stadt alle denkbaren Manöver durchgeführt
werden, die Sabotage organisiert und vor allem die Vorstadtguerilla
(eine besonders wirksame Form der Guerrilla) eingesetzt wird, daß
aber gleichzeitig der Kern im für den Guerrillakampf günstigen
Gelände bleibt, dann besteht - falls die Unterdrückermacht
alle Volkskräfte der Stadt gänzlich vernichten sollte
- die politische Macht der Revolution unversehrt weiter, da sie
verhältnismäßig in Sicherheit ist vor den Zufällen
des Krieges. Dabei wird immer berücksichtigt, daß
sich die revolutionär-politische Macht tatsächlich relativ
in Sicherheit, aber doch nicht außerhalb des Kampfbereiches
befindet, daß sie diesen auch nicht vom Ausland oder von abgelegenen
Orten aus leitet; die Guerrilla steht kämpfend inmitten seines
Volkes. Durch diese Überlegungen kommen wir zu dem Schluß,
daß - auch in den Ländern mit vorherrschend städtischem
Charakter - der politische Mittelpunkt des Kampfes sich auf dem
Lande entwickeln kann.
Um auf die Möglichkeit zurückzukommen,
daß wir in der Armee mit Zellen rechnen, die einen Staatsstreich
unterstützen und uns mit Waffen versorgen, so bleiben zwei
Probleme zu analysieren: Erstens, wenn diese Militärs sich
zur Durchführung des Staatsstreiches wirklich dem Volksheer
anschließen, indem sie sich selbst als organisierte Kerntruppe
betrachten (fähig, selbständige Entschlüsse zu fassen),
dann wird es sich bloß um eine Erhebung eines Teils der Armee
gegen den anderen handeln, wobei die Kastenstruktur innerhalb der
Armee wahrscheinlich erhalten bleibt. Der andere Fall wäre,
daß die Heeresteile sich rasch und spontan der Volksarmee
anschließen, was sich unserer Meinung nach nur ergeben kann,
nachdem sie gegen überlegene und nachsetzende Feinde eine völlige
Niederlage erlitten haben, das bedeutet aber letztlich. nur im Falle
einer Katastrophe für die herrschende Macht. Dieses Phänomen
kann in einer besiegten Armee mit zerstörtem Kampfgeist auftreten,
doch damit dies geschieht, ist Kampf notwendig, und so kommen wir
immer wieder zu unserem Ausgangspunkt zurück: Wie ist dieser
Kampf zu verwirklichen? Die Antwort liegt in der Entwicklung des
Guerrillakrieges in günstigem Terrain, unterstützt durch
Kampf in den Städten und immer auf die möglichst große
Teilnahme der Arbeitermassen zählend und natürlich unter
der Obhut ihrer Klassenideologie.
Wir haben nun die Schwierigkeiten ausreichend
untersucht, auf die die revolutionären Bewegungen in Lateinamerika
stoßen werden. Es fragt sich nun, ob sie - verglichen mit
denen der früheren Etappe, d. h. mit Fidel Castros Kampf in
der Sierra Maestra - leichter sein werden oder nicht.
Unseres Erachtens bestehen auch hier allgemeine
Bedingungen, die den Ausbruch von revolutionären Brandstätten
erleichtern; in einigen Ländern gibt es auch besondere Umstände,
die dafür noch günstiger sind. Als wichtigste Folgen der
kubanischen Revolution müssen wir zwei subjektive Gründe
nennen: erstens, die konkrete Aussicht auf einen Sieg, denn heute
weiß man sicher, das es möglich ist, ein Unternehmen
mit Erfolg zu krönen, wie es der Schar von Visionären
der Granma nach einem zweijährigen Kampf in der Sierra
Maestra gelungen ist; hier zeigt sich unmittelbar, daß eine
revolutionäre Bewegung sich vom Lande aus durchführen
läßt, daß sie sich mit den Bauernmassen liiert,
daß sie unaufhaltsam wächst, daß sie das Heer im
offenen Kampf vernichtet, daß sie vom Lande her die Städte
einnimmt und mit ihrem Kampf die subjektiven Bedingungen für
die Machtübernahme geriert.
Wie wichtig dies ist, zeigt die momentan auftretende
Zahl von "Exzeptionalisten", jener besonderen Typen, die der Meinung
sind, die kubanische Revolution sei ein einmaliges und unnachahmliches
Weltereignis, geführt von einem Mann, der mit oder ohne Fehler
behaftet ist -je nach dem, ob ein Exzeptionalist rechts oder links
steht -, der aber deutlich der Revolution einen Weg zeigte, welcher
sich nur auftat, um die kubanische Revolution zu ermöglichen.
Das ist vollkommen falsch! Die Chance eines Sieges für die
lateinamerikanischen Volksmassen führt eindeutig über
den Guerrillakampf, gestützt auf ein Landheer, auf das Bündnis
der Arbeiter mit den Bauern, auf die Niederlage der Armee im offenen
Kampf, die Einnahme der Stadt vom Land her und auf der Auflösung
der Armee als erster Etappe der vollständigen Zerreißung
des Überbaues der bisherigen Kolonialwelt.
Als zweiten subjektiven Faktor benennen wir,
daß die Massen nicht nur die Chancen des Sieges kennen, sie
wissen sogar, daß er ihnen sicher ist. Sie sind sich immer
stärker bewußt, daß die Zukunft dem Volk gehört,
weil in der Zukunft soziale Gerechtigkeit herrschen wird, wie schwer
auch die historischen Heimsuchungen während kurzer Phasen noch
sein mögen. Dies Bewußtsein wird das revolutionäre
Ferment intensivieren, ausgeprägter als gegenwärtig in
Lateinamerika.
Wir können noch einige Feststellungen treffen,
die sich nicht in allen Ländern mit gleicher Intensität
zeigen. Besonders wichtig ist, daß die Bauern in den Ländern
Amerikas im allgemeinen stärker ausgebeutet werden als früher
in Cuba. Alle, die behaupten, die insurrektionelle Phase unseres
Kampfes habe eine Proletarisierung der Landbevölkerung bewirkt,
möge man erinnern, daß nach unserer Ansicht die Proletarisierung
der Bauern dazu diente, die Stufe der Kooperativierung und der Agrarreform
während der Machtkonsolidierung zu beschleunigen, daß
aber der Bauer, der zu Beginn des Kampfes Mittelpunkt und Rückgrat
der Rebellenarmee war, derselbe ist, der heute in der Sierra Maestra
als stolzer Herr seiner Parzelle und eingefleischter Individualist
auftritt. Natürlich gibt es in Amerika Eigentümlichkeiten:
ein argentinischer Bauer hat nicht dieselbe Mentalität wie
ein Gemeineigentums-Bauer aus Peru, Bolivien oder Ecuador, aber
der Landhunger ist ihnen allen eigen, und die ländliche Bevölkerung
ist in Amerika tonangebend. Da sie in Lateinamerika im allgemeinen
noch stärker ausgebeutet wird als damals in Cuba, steigt die
Wahrscheinlichkeit, daß diese Klasse zu den Waffen greift.
Noch ein anderer Umstand soll hier Erwähnung
finden. Das Heer Batistas war mit all seinen enormen Mängeln
ein Heer mit einer Struktur, die alle - vom letzten Soldaten bis
zum höchsten General - zu Komplicen der Ausbeutung des Volkes
machte. Es waren Söldnertruppen durch und durch, und damit
erhielt der Repressionsapparat einen gewissen Zusammenhalt. Die
Armeen Amerikas verfügen über ein Korps von Berufsoffizieren
und über periodisch eingezogene Rekruten. jedes Jahr werden
die jungen Männer einberufen; sie verlassen ihr Heim, wo sie
die täglichen Leiden ihrer Väter, das Elend und die soziale
Ungerechtigkeit miterlebt haben. Wenn sie eines Tages als Kanonenfutter
gegen die Vorkämpfer der von ihnen als gerecht empfundenen
Sache eingesetzt werden, wird ihre Kampfbereitschaft davon merklich
beeinträchtigt werden; mit einer entsprechenden Aufklärungskampagne,
die den Rekruten Gerechtigkeit und Bedeutung des revolutionären
Kampfes vor Augen führt, lassen sich ausgezeichnete Resultate
erzielen.
Nach diesem summarischen Studium der revolutionären
Gegebenheiten können wir erklären, daß die kubanische
Revolution einerseits außergewöhnliche Faktoren vorgefunden
hat, die ihr ihre Unverwechselbarkeit geben, andererseits allgemein
gültige, für alle Völker Amerikas bestehende Elemente,
die Ausdruck der Zwangsläufigkeit dieser Revolution sind. Und
wir sehen auch, daß es aktuelle Umstände gibt, die den
Ausbruch revolutionärer Bewegungen heute dadurch erleichtern,
daß sie den Massen das Wissen ihrer Bestimmung und das sichere
Bewußtsein geben, daß die Revolution erforderlich und
möglich ist. Aber gleichzeitig sind Momente vorhanden, die
das Ziel, die rasche Eroberung der Macht durch die bewaffneten Volksmassen,
erschweren werden. Zu diesen zählt das intime Bündnis
des Imperialismus mit der Bourgeoisie bei der erbarmungslosen Treibjagd
gegen die Volksmacht. Lateinamerika stehen schwere Zeiten bevor,
und die kürzlich abgegebenen Verlautbarungen der USA scheinen
anzukündigen, daß die ganze Welt schwarze Tage erwarten.
Das Martyrium Patrice Lumumbas - der grausam ermordet wurde - zeigt
tragische Irrtümer, die man vermeiden muß. Wenn der Kampf
gegen den Imperialismus einmal begonnen hat, muß man konsequent
sein und ununterbrochen dort hart zuschlagen, wo es am meisten schmerzt,
niemals auch nur einen Schritt zurückweichen, immer vorwärtsstreben,
jeden Schlag vergelten, auf jeden Angriff stets mit noch größerem
Druck der Volksmassen antworten! Nur so kann der Sieg gesichert
werden.
Bei anderer Gelegenheit wollen wir untersuchen,
ob die kubanische Revolution bei der Institutionalisierung ihrer
Macht Ausnahmefaktoren einbeziehen mußte oder ob auch jetzt
- selbstverständlich unter Berücksichtigung einiger spezifischer
Merkmale - im Grunde nur ein einziger logischer Weg offenstand:
den immanenten Gesetzen des sozialen Entwicklungsprozesses zu folgen.
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