Gustav Eckstein

Die vierfache Wurzel des Satzes
vom unzureichenden Grunde
der Grenznutzentheorie

Eine Robinsonade

(1902)


Quelle: Gustav Eckstein, Die vierfache Wurzel des Satzes vom unzureichenden Grunde der Grenznutzentheorie: eine Robinsonade, Die neue Zeit, 20.1901–1902, 2. Bd. (1902), H. 26=52, S. 810–816.
Transkription: Daniel Gaido.
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Es war einmal ein Mann, der lebte abseits von allen Verkehrsstraßen einsam im Urwald, und er hatte fünf Säcke Korn.

Der Name dieses Mannes war Robinson; da er aber in der modernen Nationalökonomie eine Rolle spielen wollte, blieb er lieber inkognito. Seinen Vorrath zu bewerthen hatte der Mann eigentlich kein Interesse; da er aber in seiner Jugend an der Wiener Universität Nationalökonomie gehört hatte, wußte er, daß ein ordnungsliebender Mann das zu thun hat. Er konstatirte daher gemäß Böhm-Bawerk, Kapital und Kapitalzins, Band II, S. 159, daß der erste Sack ihm das Bedürfniß 10 befriedige, der zweite das Bedürfniß 8, der dritte 6, der vierte 4, der letzte endlich das Bedürfniß 1.

Nach der Grenznutzentheorie, deren Anhänger Robinson war, bewerthete er also jeden Sack mit 1 und hatte so in seinen fünf Säcken einen Wert von 5 × 1 = 5 in der Hand.

Er hatte zwar seiner Zeit gehört, daß jede subjektive Werttheorie darauf verzichten müsse, das Nacheinander der Wirthschaft erklären zu wollen, da verschiedenartige Bedürfnisse überhaupt nur insoweit vergleichbar sind, als sie gleichzeitig bei demselben Individuum auftreten; er hatte auch weiterhin gehört, daß für jede relative Werttheorie die Erklärung eines Anwachsens des Gesammtwerthes des Nationalvermögens unmöglich sei, und auch der Einwand war ihm nicht fremd geblieben, daß sich die historischen Wandlungen der Wirtschaft doch kaum aus den Gesetzen der Konsumtion ableiten ließen, da doch die Bedürfnisse in ihrer Wesenheit seit Adams Zeiten so ziemlich konstant geblieben sind. Endlich war es ihm selbst schon immer merkwürdig erschienen, die Gesetze der kapitalistischen Gesellschaft aus der Psychologie des Einsiedlerthums ableiten zu wollen; aber um solche Allgemeinheiten kümmerte er sich grundsätzlich nicht und auf solche Haarspaltereien ließ er sich prinzipiell nicht ein. Vielleicht verstand er sie auch nicht.

Er folgte dem gesunden Menschenverstand, und er war stolz darauf.

Eines Tages hatte aber Robinson die verhängnißvolle Idee, jeden seiner fünf Kornsäcke in je zwei gleiche, kleinere Säcke umzufüllen, und nun stellte er nochmals eine Berechnung über den Werth seines Vermögens an. Der neunte und zehnte kleine Sack zusammen mußten ihm dasselbe Bedürfniß befriedigen wie früher der fünfte große Sack, das ist das Bedürfniß 1. Nun hatte früher jeder in der Reihenfolge vorhergehende Sack einen größeren Bedürfnißbefriedigungswerth gehabt als der folgende. Robinson bewerthete daher den neunten Sack mit ⅔, den zehnten mit ⅓, und nun fand er, daß der Gesammtwerth seines Kornes 10 × ⅓ betrage, das ist 3⅓. Durch die bloße Manipulation des Umleerens hatte er also an Werth 1⅓ verloren. Robinson war entsetzt. Er hatte zwar deshalb nicht weniger zu essen, aber die Sache ließ ihm keine Ruhe. Vor Allem schüttete er schleunigst je zwei Säcke wieder in einen, dann nahm er drei von diesen Säcken und das Fleisch seiner geschlachteten Hausthiere und machte sich auf nach Wien, um sich bei der Fakultät Rath zu holen.

Dort wurde ihm denn auch die Aufklärung zu Theil: er hätte müssen den neunten Sack so betrachten, als ob kein zehnter vorhanden wäre, und dann konnte ihm jener wohl allein ein Bedürfniß von sage ⅔ oder ⅝ befriedigen. Der zehnte Sack konnte ihm dann noch immer das Bedürfniß ½ befriedigen. Durch das Hinzukommen dieses letzten Sackes wurden ja die früheren auf dessen Werth reduzirt, und so hatte er nach der Theilung 10 × ½, also wieder 5. Robinson war befriedigt, aber er machte sich jetzt Vorwürfe. Das hätte er doch an seinen Bedürfnissen selbst erkennen müssen, wie groß die durch jeden kleinen Sack herbeigeführte Befriedigung gewesen war, und er wunderte sich, daß er nicht gleich gemerkt hatte, daß ihm der neunte Sack zum Beispiel das Bedürfniß ⅝ befriedigt hat. Was er sich unter einer Bedürfnißbefriedigung von ⅝ vorstellen solle, wußte er freilich durchaus nicht, aber das war offenbar seine eigene Schuld.

Während er noch hierüber nachsann, bemerkte er einen Mann in sehr schadhafter Kleidung, welcher Kanditen verkaufte und bei dem schlechten Wetter offenbar fror. Er fragte ihn daher, ob er kein Bedürfniß nach einem neuen Anzug hätte, was dieser eifrig bejahte. Robinson erklärte nun, ihm gleich helfen zu wollen, und er nahm ihn mit in das gegenüberliegende Herrenkleidermagazin der Anna B. Dort trat er auf die Eigenthümerin des Geschäftes zu, wies auf einen ausgestellten Anzug und fragte: „Welches Bedürfniß befriedigt Ihnen dieser Anzug?“ Die Frau war etwas erstaunt und machte Robinson darauf aufmerksam, daß sie ja keine Männerkleider trage, daher auch kein Bedürfniß nach solchen hätte; darauf fragte Robinson: „Essen Sie gerne Kanditen?“ was die Ladenbesitzerin mit etwas verwunderter Miene bejahte. „Nun“, sagte Robinson, „dann ist die Sache ja sehr einfach. Geben Sie diesem Manne hier den Auzug und er wird Ihnen zwei Bonbons geben.“ Die Kleiderhändlerin und der Kanditenverkäufer blieben beide mit offenem Munde stehen, Robinson aber fuhr in lebhaftem Tone fort:

„Die subjektiven Werthschätzungen sind der natürliche, ja sogar der einzig mögliche Kompaß unserer Handlungen. [1] Das Verhältniß der subjektiven Werthschätzungen von Waare und Preisgut bezeichnet aber für jeden Bewerber mit unerbittlicher Schärfe den Punkt, bis zu welchem sein Vortheil ihn mitzubieten heißt. [2] Ein Tausch ist nun für einen seinen Nutzen verfolgenden Wirth ökonomisch dann möglich, wenn er das zu erwerbende Gut höher schätzt als das von ihm selbst besessen. [3] Sie legen nun Ihrem eigenen Produkt einen geringen, eigentlich gar keinen, dem fremden aber einen relativ hohensubjektiven Werth bei, womit das für das Zustandekommen von Täuschen günstige Verhältniß entgegengesetzter Werthschätzungen im weitesten Umfang gegeben ist.“ [4]

„Ja“, sagte die Frau, „was Sie da gesagt haben, habe ich zwar nicht recht verstanden, aber ich will ja gar nicht tauschen. Ich will meinen Anzug verkaufen. Er kostet siebzig Mark.“

„Das heißt also“, sagte Robinson mit überlegener Miene, „Sie wollen diesen Anzug eintauschen gegen das Preisgut Geld. Welches Bedürfniß aber befriedigt ihnen das Geld?“

„Das Geld selbst“, sagte die Frau, „gar keines, aber ich kann mir ja alles darum kaufen.“

„Das heißt also“, sagte Robinson, „Sie betrachten hier nur die Größe des subjektiven Tauschwerthes welcher zu bemessen ist am Grenznutzen der für dieses Gut einzutauschenden Güter. [5] Was aber soll denn die Besitzer jener Güter dazu bestimmen, diese gegen dieses Preisgut einzutauschen, da ja das Geld selbst ihnen auch keine Befriedigung gewährt, außer vielleicht der, daß es gleichsam den neutralen gemeinsamen Nenner für die nicht unmittelbar vergleichbaren Bedürfnisse und Empfindungen verschiedener Subjekte abgiebt? [6] Ich glaube daher, daß Sie sehr gut daran thun würden, den von mir vorgeschlagenen Tausch einzugehen, denn bei den meisten Verkäufen durch berufsmäßige Produzenten und Händler wird der Marktpreis bestimmt durch die Schätzungsziffer des letzten Käufers [7], das ist also desjenigen Käufers, der bereit ist dem Verkäufer ein Gut in Tausch zu geben, welches dieser noch immer subjektiv höher schätzt als das von ihm hintanzugebende, aber niedriger als das von den übrigen Kaufwerbern angebotene.“

Leider war diese Auseinandersetzung für den Geist der Kleiderhändlerin zu hoch gegriffen. Außerdem war sich diese offenbar nicht bewußt gewesen, welch wichtige Rolle ihren Bedürfnißschätzungen und Werthkalkulationen bei der Konstituirung der Gesetze des Wirthschaftslebens von der modernen Nationalökonomie zugewiesen worden waren; und so mußten denn Robinson und der Kanditenverkäufer wieder unverrichteter Dinge abziehen.

Ueber diesen Mißerfolg war Robinson um so mehr betrübt, als er sich ihn gar nicht erklären konnte. Seine Argumentation war ja so klar und einleuchtend gewesen, daß er nicht begriff, wieso jene Frau sie nicht verstehen konnte. Insbesondere aber wußte er sich nicht zu erklären, warum sie gerade Geld hatte haben wollen, denn dessen subjektiver Gebrauchswerth bestand ja lediglich in seinem subjektiven Tauschwerth, welcher aber wieder abhängig ist von dem Grenznutzen der für dasselbe einzutauschenden Güter [8], das heißt von dem objektiven Tauschwerth. Dieser aber ist ja wieder nur die Resultante der subjektiven Werthschätzungen. Der objektive Tauschwerth des Geldes resultirt also aus seinem subjektiven Gebrauchswerth, dieser besteht in seinem subjektiven Tauschwerth, welcher wieder abhängig ist von seinem objektiven Tauschwerth. Das Schlußergebniß hat also eine ähnliche Stringenz und einen ähnlichen Werth wie der bekannte Lehrsatz, daß die Armuth von der pauvreté komme.

In diese Gedanken versunken kann Robinson zu einer Maschinenhalle, in der Dampfmaschinen zum Verkauf ausgestellt waren. Er ging in das Komptoir und wendete sich an den Eigenthümer des Geschäftes: „Welches Bedürfniß befriedigt Ihnen eine Dampfmaschine?“ Der Mann sah ihn nur verblüfft an. „Wie hoch bewerthen Sie also eine solche Maschine?“ fragte Robinson weiter.

„Zwanzigtausend Mark!“

Robinson: „Wie gelangen Sie zu dieser Bewerthung?“

Der Verkäufer: „Ich schlage zu meinen Produktionskosten den landesüblichen Profit und so ergiebt sich die ebengenannte Ziffer.“

Robinson: „Das ist eine ganz roh empirische und vollkommen unwissenschaftliche Methode der Berechnung. Ich werde Ihnen jetzt zeigen, in welcher Weise Sie nach den Grundsätzen der Wissenschaft Ihr Gut hätten bewerthen müssen.

„Diese Maschine ist ein Produktivgut, oder, um mich wissenschaftlich auszudrücken, ein Gut entfernterer Ordnung. Nun richtet sich die Größe des gemeinsamen Werthes von allen successive ineinander übergehenden Produktivmittelgruppen für alle in letzter Linie nach der Größe des Grenznutzens ihres genußreifen Schlußproduktes [9], und zwar richtet sich, genau ausgedrückt, der Werth der Produktivmitteleinheit (das ist der Gesammtheit derjenigen Produktivmittel, welche zur Erzeugung eines bestimmten Gutes, oder einer Gütergruppe jeweils zur selben Zeit in Verwendung stehen) nach dem Grenznutzen und Werth desjenigen Produktes, welches unter allen, zu deren Erzeugung die Produktionsmitteleinheit wirthschaftlicher Weise hätte verwendet werden dürfen, den geringsten Grenznutzen besitzt. [10] Jedes Element einer solchen Produktivmitteleinheit nimmt also pro rata parte an diesem Werthe Theil. Wenn Sie also Ihre Maschine richtig bewerthen wollen, müssen Sie zuerst in Erwägung ziehen, in welchen Produktivmitteleinheiten dieselbe zur Verwendung gelangen kann. Von denjenigen Erzeugnissen, welche wirthschaftlicher Weise mit Hilfe dieser Maschine direkt oder indirekt hervorgebracht oder den, menschlichen Bedürfniß angepaßt werden können, müssen Sie also dasjenige heraussuchen, welches den geringsten Greuznutzen besitzt. Dies gegeben, müssen Sie berechnen, welchen Antheil diese Maschine bei der Herstellung des betreffenden Gutes hat, wobei das Gesetz des Werthes komplementärer Güter nicht zu vergessen sein wird, welches ich Ihnen hier nicht in Kürze auseinandersetzen kann, über welches Sie aber bei Böhm-Bawerk, Kapital und Kapitalzins, Bd. II, S. 179 ff. bündigsten Aufschluß finden werden.

„Ich verkenne allerdings nicht, daß diese Berechnung angesichts des Umstandes, daß heute fast alle Güter mit Hilfe von Dampfmaschine hergestellt oder beschafft werden, einen ziemlichen Umfang wird annehmen müssen und auch noch dadurch erschwert wird, daß Sie ja nicht wissen, auf wessen subjektive Werthschätzung es dereinst bei Bewerthung der mit Hilfe dieser Dampfmaschine möglicher Weise herzustellenden Güter ankommen wird. Aber das sind eben Schwierigkeiten, mit denen der Kaufmann zu rechnen hat.

„Wenn Sie nun diese Rechnung abgeschlossen haben, müssen Sie sich die Frage vorlegen, ob nicht aus den Produktionselementen, aus welchen diese Dampfmaschine hergestellt ist, auch andere Güter wirthschaftlicher Weise hätten hergestellt werden können, welche nur einen geringeren Grenznutzen hätten. Denn jedes derartige Gut ist wegen der durch die Produktion vermittelten Substitutionsgelegenheit nicht nach seinem eigenen Grenznutzen, sondern nach dem Grenznutzen des geringwerthigsten verwandten (das heißt aus denselben Produktionselementen hergestellten) Produktes zu bewerthen. [11] So besteht zum Beispiel diese Dampfmaschine aus Eisen Stahl, Stein, Holz, Messing und anderen Materialien, und es wird sich jetzt darum handeln, in welch anderen Verwendungen noch diese vorkommen, und ob sich nicht für eines dieser Materialien oder mehrere nach dem Gesetz des Grenznutzens ein geringerer Werth ergiebt, welcher dann auf den Werth der Dampfmaschine rückwirken würde. So diktirt zum Beispiel das Eisen nicht seinen urwüchsig festgestellten Preis den als ihm hervorgehenden Produkten, sondern es empfängt seinen eigenen Preis durch die Vermittlung des Preises seiner Produkte nach dem großen Gesetz des Grenznutzens demzufolge der vorhandene Vorrath in die lohnendsten Verwendungen sich eindrängt und von der Schätzungsziffer der letzten seinen Preis erhält. [12] Der Werth der Maschine aber hängt, wie ich schon bemerkte, von dem Grenznutzen des geringwerthigsten verwandten Produktes ab.“

„Es wäre ja eine gar schöne und interessante Sache“, entgegnete nun der Maschinenhändler, „wenn das Gefüls- und Bedürfnißleben aller einzelnen Individuen so durchsichtig und zugleich so übersichtlich wäre, daß man in jedem Augenblick die Summe aller im Volke vorhandenen Bedürfnisse nach jeder Güterart ziehen könnte und zwar genau abgestuft nach den Graden ihrer absoluten und relativen Intensität; wenn man für jede in Frage kommende Größe des Angebots sofort auch die dazugehörigen Ziffern der Grenzwerthschätzungen, denen dieses Angebot bei allen Kauflustigen begegnet, und auch die Resultante dieser Ziffern wüßte. [13] Dies ist aber leider ganz unmöglich. Bei den bewußten Wirthschaftshandlungen der Einzelnen ist ja auch diesen wirklich bewußt und von ihnen bedacht nur das Stück, das sie speziell angeht und nicht der Gesammteffekt, der aus den einzelnen Stücken für das Ganze hervorgeht. [14] Aber selbst wenn diese Berechnung möglich wäre, so könnte sie dem von Ihnen angegebenen Zweck noch immer nicht dienen, denn bei der von Ihnen vorgeschlagenen Werthberechnung kommt es ja auf den geringsten Grenznutzen derjenigen Produkte an, zu deren Erzeugung die Produktivmitteleinheit wirthschaftlicher Weise hätte verwendet werden dürfen. Dafür nun, in welchen Produktionen die Anwendung dieser Maschine zum Beispiel noch wirthschaftlich zulässig wäre, ist vor Allem eben deren Werth maßgebend, denn ist dieser gering, so ist die wirthschaftliche Verwendungsmöglichkeit der Maschine natürlich viel größer, da sie zum Beispiel die Verwendung von Gasmotoren oder von Wasserkräften, etc. ersetzen könnte, so wie im entgegengesetzten Falle sie selbst durch andere Krafterzeuger verdrängt würde. Dessenungeachtet wäre eine solche Berechnung keineswegs zwecklos und thatsächlich muß ich wie jeder Händler oder Produzent eine ähnliche anstellen. Nur daß sie nicht nur Feststellung des Werthes dient, sondern dazu, die Realisirbarkeit des vorhandenen Werthes zu ermitteln, und daß sie nicht den Anspruch auf Exaktheit erhebt, sondern nur eine beiläufige Abschätzung ist.

„Bevor ich zum Beispiel an die Konstruktion solcher Maschinen gehe, muß ich vor Allem ihre voraussichtlichen Kosten berechnen, aus denen sich ihr Werth ergiebt. Denn auf die Dauer akkommodirt sich ja die unmittelbar preisbestimmende Marktfüllung selbst dem Verhältniß der Produktionskosten. [15] Dann aber muß ich auch wenigstens schätzungsweise beurtheilen, ob für eine solche Maschine zu diesem Preise die genügende wirthschaftliche Verwendungs-, daher auch Absatzmöglichkeit vorhanden ist. Nicht der Werth der Maschine richtet sich nach dieser letzteren Abschätzung, sondern sie ist für mich nur dafür maßgebend, ob ich die Maschine überhaupt herstellen und in den Handel bringen kann oder nicht. Daraus, daß diese Abschätzung immer komplizirter und unzuverlässiger wird ergiebt sich eben leider, daß allem Handel und sogar jeder Produktion immer mehr der Stempel der Spekulation aufgeprägt wird.“

„Es wiederholt sich hier eben“, entgegnete Robinson, „in einem Falle mehr die den Kennern des volkswirthschaftlichen Organismus so wohlbekannte Erscheinung, daß die Handlungen weiser und weitreichender sind als die Gedanken der Handelnden. Es fügen sich ohne Bedacht auf das Ganze unternommene, nur von buchstäblich kurzsichtigem Selbstinteresse geleitete Stückhandlungen unbeabsichtigt so ineinander, daß daraus, von sich selbst korrigirenden Schwankungen abgesehen, eine harmonische Wirkung für das Ganze entsteht, wie man sie nur von einem planvollen, durch einen einheitlichen Geist und Willen geleiteten Zusammenwirken erwarten würde. Man kann sagen: die Leute wissen nicht, was sie thun; sie thun mehr als sie wissen.“ [16]

Mit diesen Worten wandte sich Robinson zum Gehen. Er war indignirt und verstimmt darüber, daß man seinen Anschauungen in der großen Welt so wenig Verständniss entgegen brachte, und er beschloss daher, auf seine Farm zurückzukehren, denn in dieser Weltabgeschiedenheit hatte doch die Grenznutzentheorie wenigstens noch unangefochtene Geltung.

Nach mühsamer Wanderung langte er denn wieder in seinem Urwald an. In seiner Hütte fand er noch die zurückgelassenen zwei Säcke Getreide vor, und auch eine Kuh war noch da. Der eine Sack Getreide reichte gerade hin, um ihm bis zur nächsten Ernte das Leben zu fristen. Mit dem weiten Sacke konnte er die Kuh besser füttern, so daß sie ihm mehr Milch geben würde.

Er fand also, daß ihm der erste Sack das Bedürfniß 10 befriedige, der zweite das Bedürfniß 5. Da der zweite Sack also das geringere Bedürfniß befriedigte, bewerthete er gemäß der Grenznutzentheorie jeden mit 5.

Aber Robinson fühlte sich jetzt doch nicht behaglich. Er fror an Leib und Seele, denn seine Stiefel waren vollständig aufgebraucht, und andererseits ließen ihn die theoretischen ökonomischen Bedenken doch nicht zur Ruhe kommen.

Wie gerufen erschienen ihm daher zwei Männer, welche sich im Urwald verirrt zu seiner Hütte gerettet hatten. Von diesen hatte einer ein Paar neue Stiefel, der andere Böhm-Bawerks Kapital und Kapitalzins. Da keiner von ihnen mehr etwas zu essen hatte, waren sie natürlich sehr gerne bereit, ihre Güter gegen je einen Sack Getreide auszutauschen. Andererseits bewerthete Robinson jedes dieser Genußgüter, die Stiefel wie das Buch mit je 6, also höher als einen Sack Getreide. Als nun die beiden Männer auf diesen Tausch drangen, wäre Robinson sehr gern geneigt gewesen, einen seiner Säcke gegen eines der vorhin erwähnten Genußmittel umzutauschen; einen aber wollte er, weil zu seinem Lebensunterhalt nothwendig, behalten. Dies erklärte er auch den beiden Männern. Diese aber wollten beide tauschen, und es trat daher der eine vor, schlug den zweiten Band von Böhm-Bawerks Kapital und Kapitalzins auf Seite 155 auf und zeigte Robinson, daß „es doch ganz unzweifelhaft ist, daß zwei gleiche Güter, in der gleichen Lage verfügbar, auch im Werthe einander vollkommen gleich sein müssen”. Der Werth richte sich doch nach dem Grenznutzen, sei also für beide Säcke gleich und zwar 5. Noch zögerte Robinson. Er war ja von der Richtigkeit des Lehrsatzes überzeugt, er wußte nur nicht, wie er dann bis zur nächsten Ernte sein Leben fristen sollte.

Aber während er so noch schwankte, trat der Stiefelmann vor und sagte:

„Weißt du denn nicht, was unser großer Meister Menger sagt? Es sind in jedem konkreten Falle von der Verfügung über eine bestimmte Theilquantität der einer wirthschaftenden Person verfügbaren Gütermenge nur jene der durch die Gesammtquantität noch gesicherten Bedürfnißbefriedigungen abhängig, welche für diese Person die geringste Bedeutung unter diesen letzteren haben, und der Werth einer Theilquantität der verfügbaren Gütermenge ist für jene Person demnach gleich der Bedeutung, welche die am wenigsten wichtigen der durch die Gesammtquantität noch gesicherten und mit einer gleichen Theilquantität herbeizuführenden Bedürfnißbefriedigungen für sie haben.“ [17]

Jetzt konnte Robinson nicht mehr widerstehen, und er willigte in den Tausch.

Nach Verlauf einer Woche aber war Robinson todt, und die beiden Männer eigneten sich ihren früheren Besitz wieder an. In Böhm-Bawerks Kapital und Kapitalzins aber stand hinten eine Note von der Hand des Verstorbenen. Sie lautete:

Die Grenznutzentheorie ist ein sehr schönes Lehrgebäude. Sie leidet aber an einem vierfachen Mangel, den ihre Urheber doch beseitigen sollten, damit sie ganz vollkommen sei.

Erstens kann man sich unter der vergleichsweisen Bewerthung von Bedürfnißbefriedigungen mit 10, 8, 6 u. s. w. gar nichts vorstellen, da wir keinen objektiven Maßstab für Bedürfnisse haben und subjektive Schätzungen naturgemäß vag und, von momentanen Stimmungen abhängig, unzuverlässig bleiben müssen, einer ziffernmäßigen Abstufung daher nicht fähig sind.

Zweitens sinden wichtige ökonomische Kategorien, wie zum Beispiel das Geld, in der Grenznutzentheorie überhaupt keine Erklärung.

Drittens ist diese Theorie auf das entwickelte kapitalistische Wirthschaftsleben nicht anwendbar und

Viertens gelten ihre Grundsätze für den naturalwirthschaftlichen Tausch auch nicht.

* * *

Anmerkungen

1. Eugen Böhm-Bawerk, Kapital und Kapitalzins, Band II, S. 220.

2. Böhm-Bawerk, Kapital und Kapitalzins, Band II, S. 220.

3. Böhm-Bawerk, Kapital und Kapitalzins, Band II, S. 205.

4. Böhm-Bawerk, Kapital und Kapitalzins, Band II, S. 205.

5. Böhm-Bawerk, Kapital und Kapitalzins, Band II, S. 176.

6. Böhm-Bawerk, Kapital und Kapitalzins, Band II, S. 289.

7. Böhm-Bawerk, Kapital und Kapitalzins, Band II, S. 233.

8. Böhm-Bawerk, Kapital und Kapitalzins, Band II, S. 176.

9. Böhm-Bawerk, Kapital und Kapitalzins, Band II, S. 192.

10. Böhm-Bawerk, Kapital und Kapitalzins, Band II, S. 197.

11. Böhm-Bawerk, Kapital und Kapitalzins, Band II, S. 198.

12. Böhm-Bawerk, Kapital und Kapitalzins, Band II, S. 239.

13. Böhm-Bawerk, Einige strittige Fragen der Kapitalstheorie, Wien und Leipzig, 1900, S. 77.

14. Böhm-Bawerk, Einige strittige Fragen der Kapitalstheorie, S. 71.

15. Böhm-Bawerk, Einige strittige Fragen der Kapitalstheorie, S. 56.

16. Böhm-Bawerk, Einige strittige Fragen der Kapitalstheorie, S. 72.

17. Menger, Grundsätze der Volkswirthschaftslehre, S. 98.


Zuletzt aktualisiert am 18. Januar 2023