N. Bucharin u.
E. Preobraschensky

 

Das ABC des Kommunismus

 

Einleitung

Unser Programm

 

§ 1. Was ist ein Programm? – § 2. Wie war unser früheres Programm? – § 3. Warum mußte man ein neues Programm schaffen? – § 4. Die Bedeutung unseres Programms – § 5. Der wissenschaftliche Charakter unseres Programms

 

§ 1. Was ist ein Programm?

Jede Partei verfolgt bestimmte Ziele. Sei es eine Partei der Gutsbesitzer oder Kapitalisten, sei es eine Partei der Arbeiter oder Bauern – es ist ganz gleich. Jede Partei muß ihre Ziele haben, sonst ist es keine Partei. Ist es eine Partei, die die Interessen der Gutsbesitzer vertritt, so wird sie die Ziele der Gutsbesitzer verfolgen: wie man den Boden in Händen behalten soll, wie man den Bauern im Zaume halten kann; wie man das Getreide von den Gütern teurer verkaufen oder einen höheren Pachtzins erzielen kann und wie billige Landarbeiter beschafft werden können. Ist es eine Partei der Kapitalisten, der Fabrikanten, so hat sie gleichfalls eigene Ziele: billige Arbeitskräfte zu bekommen, die Fabriksarbeiter zu zügeln, Kunden ausfindig zu machen, denen man die Waren möglichst teuer verkaufen kann, möglichst viel Profit einzuheimsen, zu diesem Zwecke die Arbeiter länger arbeiten zu lassen, und hauptsächlich die Sache so einzurichten, daß es der Arbeitern nicht einfallen kann, an eine neue Ordnung zu denken, die Arbeiter sollen nur glauben, es habe immer Herren gegeben und es werde auch immer so bleiben. Dies sind die Ziele der Fabrikanten. Es versteht sich von selbst, daß die Arbeiter und Bauern ganz andere Ziele haben, weil ihre Interessen ganz andere sind. Früher pflegte man zu sagen: „Was für den Russen gesund ist, ist für den Deutschen der Tod.“ [1*] In der Tat wäre es richtiger, zu sagen: „Was für den Arbeiter gesund ist, bedeutet für den Gutsbesitzer und Kapitalisten den Tod.“ Das heißt, der Arbeiter hat die eine Aufgabe, der Kapitalist eine andere, der Landbesitzer wiederum eine andere. Doch nicht jeder Grundbesitzer denkt zu Ende, wie er den Bauern am bequemsten niederreiten soll: mancher säuft ununterbrochen und sieht nicht einmal an, was ihm sein Verwalter vorlegt. So geht es zuweilen mit den Bauern und Arbeitern. Es gibt solche, die da sagen: „Na, ja, wir werden uns schon irgendwie durchschlagen, was kümmerts uns; so haben unsere Ahnen von jeher gelebt, so werden auch wir leben.“ Solche Menschen lassen sich in gar nichts ein und begreifen sogar ihre eigenen Interessen nicht. diejenigen dagegen, die darüber nachdenken, wie man seine Interessen am besten vertritt, organisieren sich zu einer Partei. Der Partei gehört also nicht die ganze Klasse vollständig an, sondern ihr bester energischster Teil: er führt die Übrigen. Der Arbeiterpartei (der Partei der Kommunisten – Bolschewiki) schließen sich die besten Arbeiter und armen Bauern an; der Partei der Gutsbesitzer und Kapitalisten (“Kadetten“, „Partei der Volksfreiheit“) [3] die energischsten Grundbesitzer, Kapitalisten und ihre Diener: Advokaten, Professoren, Offiziere, Generäle usw. Folglich stellt jede Partei den bewußtesten Teil ihrer Klasse dar. Deshalb wird ein Gutsbesitzer oder Kapitalist, der in einer Partei organisiert ist, viel erfolgreicher den Bauern und Arbeiter bekämpfen, als ein unorganisierter. Genau so wird organisierter Arbeiter mit mehr Erfolg den Kapitalisten und Gutsbesitzer bekämpfen, als ein unorganisierter: denn er hat die Ziele und Interessen der Arbeiterklasse gut durchdacht, er weiß wie dieselben zu verfolgen sind und welches der kürzeste Weg ist.

Alle jene Ziele, welche eine Partei anstrebt, indem sie die Interessen ihrer Klasse vertritt, bilden eben das Parteiprogramm. Im Programm ist also verzeichnet, was eine bestimmte Klasse anzustreben hat. Im Programm der kommunistischen Partei wird somit gesagt, was die Arbeiter und armen Bauern anzustreben haben. Das Programm ist das wichtigste für jede Partei. Nach dem Programm kann man immer urteilen, wessen Interessen diese Partei vertritt.

 

 

§ 2. Wie war unser altes Programm?

Unser gegenwärtiges Programm wurde am achten Parteikongreß Ende März 1919 [4] angenommen.

Bis dahin hatten wir kein genaues, auf dem Papier stehendes Programm. Es gab nur das alte Programm, welches am 2. Parteikongreß 1903 [5] ausgearbeitet worden war. Als man dieses alte Programm verfaßte, bildeten die Bolschewiki und Menschewiki noch eine gemeinsame Partei und auch ihr Programm war ein gemeinsames. Die Arbeiterklasse begann erst damals, sich zu organisieren. Fabriken und Werke gab es noch wenige. Es wurde damals sogar noch darüber gestritten, ob unsere Arbeiterklasse überhaupt wachsen wird. Die „Narodniki“ [2*] (die Väter der gegenwärtigen Partei der Sozialisten-Revolutionäre) [6] behaupteten, die Arbeiterklasse könne sich in Rußland nicht entwickeln, unsere Fabriken und Werke werden sich nicht vermehren. Die Marxisten-Sozialdemokraten [A] (sowohl die künftigen Bolschewiki als auch die späteren Menschewiki) meinten dagegen, in Rußland, so wie in allen anderen Ländern, werde die Arbeiterklasse immer wachsen, und diese Arbeiterklasse werde die hauptsächlichste revolutionäre Macht bilden. Das Leben zeigte die Unrichtigkeit der Meinung der „Narodniki“ und die Richtigkeit der Ansicht der Sozialdemokraten.

Als aber die Sozialdemokraten am 2. Kongreß ihr Programm ausarbeiteten (an seiner Abfassung beteiligten sich sowohl Lenin als auch Plechanow) [7], da waren die Kräfte der Arbeiterklasse doch noch zu schwach. Darum dachte damals niemand daran, daß es möglich sein werde, unmittelbar auf den Sturz der Bourgeoisie auszugehen. Damals hatte man es bloß für gut gehalten, dem Zarismus das Genick zu brechen, den Vereinen der Arbeiter und Bauern sowie aller anderen Freiheit zu erkämpfen, den Achtstundentag zu verwirklichen und den Gutsbesitzern ein wenig auf den Leib zu rücken. Die Herrschaft der Arbeiter für die Dauer zu verwirklichen, sofort die Fabriken und Werke der Bourgeoisie zu enteignen – daran dachte noch niemand. So war unser altes Programm vom Jahre 1903.

 

 

§ 3. Warum mußte man zu einem neuen Programm übergehen?

Seit jener Zeit sind bis zur Revolution 1917 viele Jahre verstrichen und die Verhältnisse haben sich sehr stark geändert. Seither machte die Großindustrie in Rußland einen mächtigen Schritt nach vorwärts, und mit ihr wuchs auch die Arbeiterklasse. Schon in der Revolution von 1905 [8] zeigte sie sich als mächtige Kraft. Und zur Zeit der zweiten Revolution wurde es klar, daß die Revolution nur dann siegen könne, wenn die Arbeiterschaft gesiegt hat. Doch konnte die Arbeiterklasse sich jetzt nicht bloß damit zufriedengeben, was sie im Jahre 1905 befriedigt hätte. Sie wurde jetzt so mächtig, daß sie unbedingt die Übernahme der Fabriken und Werke, die Herrschaft der Arbeiter, die Zügelung der Kapitalistenklasse verlangen mußte. Das heißt, daß sich seit der Verfassung des ersten Programms die inneren Verhältnisse Rußlands gründlich geändert haben. Aber auch die äußeren Verhältnisse erlitten – was noch wichtiger ist – ebenfalls eine Änderung. Im Jahre 1905 herrschten in ganz Europa „Ruhe und Frieden“ – im Jahr 1917 mußte jeder denkende Mensch sehen, daß auf dem Boden des Weltkrieges die Weltrevolution im Entstehen begriffen sei. Im Jahre 1905 folgten der russischen Revolution bloß eine kleine Bewegung der österreichischen Arbeiter und Revolutionen in den zurückgebliebenen Ländern des Ostens: in Persien, Türkei und China. Der russischen Revolution des Jahres 1917 folgten Revolutionen nicht nur im Osten, sondern auch im Westen, wo die Arbeiterklasse unter dem Banner des Sturzes des Kapitals hervortritt. Folglich sind jetzt die äußeren und inneren Verhältnisse ganz anders als im Jahre 1903. Und es wäre lächerlich, wenn die Partei der Arbeiterklasse ein und dasselbe Programm für das Jahr 1903 und für die Jahre 1917–1919 aufrechterhalten würde, während sich die Verhältnisse ganz und gar geändert haben. Wenn uns die Menschewiki vorwerfen, wir hätten uns von unserem alten Programm „losgesagt“ und folglich auch die Lehren Karl Marx’ verlassen, so antworten wir darauf: die Lehre Karl Marx’ besteht darin, daß ein Programm nicht aus dem Kopf, sondern aus dem Leben geschaffen werden muß. Wenn sich das Leben stark geändert hat, so kann auch das Programm nicht dasselbe bleiben. Im Winter braucht der Mensch einen Pelz. Im Sommer wird nur ein Verrückter einen Pelz tragen. Dasselbe gilt auch in der Politik. Gerade Marx hat uns gelehrt, jedesmal die Lebensbedingungen zu beachten und dementsprechend zu handeln. Daraus folgt nicht, daß wir unsere Überzeugung wechseln müssen, wie eine Dame ihre Handschuhe. Das wichtigste Ziel der Arbeiterklasse ist die Verwirklichung der kommunistischen Gesellschaftsordnung. Und dieses Ziel ist das ständige Ziel der Arbeiterschaft. Doch versteht es sich von selbst, daß, je nachdem, wie weit sie von diesem Ziel entfernt ist, auch die Forderungen, die sie aufstellt, verschieden sein werden. Während der Selbstherrschaft mußte die Arbeiterklasse geheim arbeiten, ihre Partei wurde, wie eine Verbrecherpartei, verfolgt. Jetzt ist die Arbeiterschaft an der Macht – und ihre Partei ist die regierende Partei. Nur ein unverständiger Mensch kann also auf ein und demselben Programm für 1903 und für unsere Tage bestehen. Die Änderung in den inneren Bedingungen des russischen Lebens und die Änderung der ganzen internationalen Lage haben also auch die Notwendigkeit der Änderung unseres Programms hervorgerufen.

 

 

§ 4. Die Bedeutung unseres Programms

Unser neues (Moskauer) Programm ist das erste Programm einer Partei der Arbeiterklasse, die bereits seit langem an der Macht ist. Darum mußte hier unsere Partei alle Erfahrungen verwerten, die die Arbeiterschaft im Verwalten und im Aufbau des neuen Lebens gewonnen hat. Das ist wichtig nicht nur für uns, für die russische Arbeiterklasse und die russischen Landarmen, sondern auch für die ausländischen Genossen. Denn an unseren Erfolgen und Mißerfolgen, an unseren Fehlern und Mißgriffen lernen nicht nur wir selbst, sondern lernt auch das ganze internationale Proletariat. Darum enthält unser Programm nicht nur das, was unsere Partei verwirklichen will, sondern auch das, was sie zum Teil verwirklicht hat. Unser Programm muß jedem Parteimitglied in allen Punkten bekannt sein. Es ist der wichtigste Führer in der Tätigkeit jeder kleinen Parteigruppe und jedes einzelnen Genossen. Denn Mitglied der Partei kann nur derjenige sein, der das Programm „anerkannt“ hat, d.h. es für richtig hält. Für richtig kann es aber nur dann gehalten werden, wenn man es kennt. Natürlich gibt es viele Leute, die nie ein Programm gesehen haben, doch schleichen sie sich in die Reihen der Kommunisten und schwören auf den Kommunismus, weil sie bestrebt sind, irgend ein überflüssiges Stückchen zu erwischen oder ein warmes Plätzchen zu ergattern. Solche Parteimitglieder brauchen wir nicht: sie schaden uns bloß. Ohne Kenntnis des Programms kann niemand ein wirklicher Kommunist-Bolschewik sein. Jeder bewußte russische Arbeiter und arme Bauer muß das Programm unserer Partei kennen. Jeder ausländische Proletarier muß es studieren, um die Erfahrungen der russischen Revolution zu verwerten.

 

 

§ 5. Der wissenschaftliche Charakter unseres Programms

Wir sagten bereits, daß ein Programm nicht aus dem Kopf erdichtet werden dürfte, sondern aus dem Leben genommen werden müsse. Vor Marx entwarfen die Leute, welche die Interessen der Arbeiterklasse vertreten, oft Zauberbilder von dem künftigen Paradies, fragten sich aber nicht, ob es zu erreichen und welches der richtige Weg für die Arbeiterklasse und die Dorfarmut sei. Marx lehrte ganz anders handeln. Er nahm die schlechte, ungerechte, barbarische Ordnung, wie sie noch bis jetzt in der ganzen Welt herrscht, und untersuchte, wie diese Ordnung beschaffen sei. Genau so, wie wenn wir irgend eine Maschine, oder, sagen wir, eine Uhr untersuchen würden, so betrachtete Marx die kapitalistische Gesellschaftsordnung, in der die Fabrikanten und Gutsbesitzer herrschen, die Arbeiter und Bauern aber unterdrückt sind. Nehmen wir an, wir haben bemerkt, daß zwei Rädchen der Uhr schlecht zueinander passen, und daß sie mit jeder Umdrehung immer mehr ineinander eingreifen. Dann können wir sagen, daß die Uhr brechen und stehen bleiben wird. Marx untersuchte nun nicht eine Uhr, sondern die kapitalistische Gesellschaft, er studierte sie, betrachtete das Leben, wie es sich unter der Herrschaft des Kapitals darstellt. Und aus diesem Studium erkannte er klar, daß das Kapital sich selbst das Grab schaufelt, daß diese Maschine bersten wird, und zwar wird sie bersten infolge der unabwendbaren Erhebung der Arbeiter, die die ganze Welt nach ihrer Art umändern werden. Allen seinen Schülern gebot Marx vor allem das Leben, so wie es ist, zu studieren. Erst dann kann man auch ein richtiges Programm aufstellen. Es ist daher auch selbstverständlich, daß unser Programm,mit der Darstellung der Herrschaft des Kapitals beginnt.

Jetzt ist die Herrschaft des Kapitals in Rußland gestürzt. Das, was Marx vorausgesagt hat, vollzieht sich vor unseren Augen. Die alte Ordnung erlebt einen Krach. Die Kronen fliegen von den Köpfen der Könige und Kaiser herunter. Überall schreiten die Arbeiter der Revolution und der Einsetzung der Sowjetherrschaft entgegen. Um genau zu begreifen, wie all das gekommen ist, muß man gut wissen, wie die kapitalistische Ordnung war. Dann werden wir sehen, daß sie unvermeidlich zusammenbrechen mußte. Wenn wir aber erkannt haben, daß es zum Alten kein Zurück mehr gibt, daß der Sieg der Arbeiter gesichert ist, dann werden wir mit mehr Kraft und Entschlossenheit den Kampf für die neue Gesellschaftsordnung der Arbeit führen.

 

 

Literatur

1. Protokolle der April-Konferenz 1917
2. Materialien zur Revision des Parteiprogramms
3. Zeitschrift Spartakus Nr.4-9; Artikel von Bucharin
4. Artikel von N. Lenin in der Zeitschrift Prosweschtschenije Nr.1-2. Jahrg. 1917
5. Protokolle des VIII. Kongresses

Zur Frage des wissenschaftlichen Charakters des marxistischen Programms siehe Literatur über den wissenschaftlichen Sozialismus:
Golubkow: Utopischer und wissenschaftlicher Sozialismus
Marx und Engels: Das kommunistische Manifest

Zum Studium des allgemeinen Charakters des Programms siehe Broschüre von
Bucharin: Programm der Kommunistischen Bolschewiki

Von dieser Literatur ist bloß die letzte Broschüre und zum Teil die Broschüre von Golubkow populär. Die anderen Werke sind schwieriger zu lesen.

 

 

Fußnoten der Verfasser

A. Marxisten – sind Schüler Karl Marx’, des großen Gelehrten und Arbeiterführers.

 

 

Anmerkungen des Übersetzers

1*. Russisches Sprichwort. (Der Übersetzer)

2*. Partei der Volkstümler. (Der Übersetzer.)

 

 

Anmerkungen

3. Kadetten: Mitglieder der Konstitutionell-Demokratischen Partei, der führenden Partei der liberal-monarchistischen Bourgeoisie in Rußland; gegründet im Oktober 1905. Ihr gehörten Vertreter der Bourgeoisie, Semstwo-Politiker aus den Kreisen der Grundbesitzer und bürgerliche Intellektuelle an. Sie gingen nicht über die Forderung der konstitutionellen Monarchie hinaus. Während des ersten Weltkriegs unterstützten sie aktiv die räuberische Außenpolitik der zaristischen Regierung. Während der Februarrevolution 1917 versuchten sie, die Monarchie zu retten. Sie spielten eine führende Rolle in der Provisorischen Regierung bis zum Sommer 1917. – Partei der Volksfreiheit: eine andere Selbstbezeichnung für die Kadetten.

4. Der 8. Parteikongreß der Kommunistischen Partei Rußlands (Bolschewiki) fand vom 18. bis 23. März 1919 in Moskau statt.

5. Der 2. Parteikongreß der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Rußlands (SDAPR) fand vom 17. Juli bis 10. August 1903 (30. Juli-23. August) in Brüssel und London statt. Er war der erste wirkliche Kongreß der russischen Sozialdemokratie und wurde von der Zeitung Iskra unter der Leitung von Lenin maßgeblich vorbereitet. Während der Debatte über die Definition der Mitgliedschaft entstand unter den Iskristen eine Meinungsverschiedenheit, die für die weitere Entwicklung der russischen Sozialdemokraie verhängnisvoll war. Später, während der Debatte über die Zusammensetzung der Redaktion, gewann Lenin eine Mehrheit für seine Liste. Daraus entstanden die Namen Bolschewiki (von bolschinstwo = Mehrheit) und Menschewiki (von menschinstwo = Minderheit) für den revolutionären bzw. reformistischen Flügel der sozialdemokratischen Bewegung in Rußland.

6. Narodniki: Die Volkstümler waren eine kleinbürgerliche Strömung in der russischen revolutionären Bewegung, die in den 1870er Jahren entstanden war. Sie erstrebten die Abschaffung der Autokratie und die Übergabe der gutsherrlichen Ländereien an die Bauern. Zugleich verneinten sie die Notwendigkeit der Entwicklung des Kapitalismus in Rußland und betrachteten dementsprechend nicht die Arbeiterklasse als wichtigste revolutionäre Kraft, sondern die Bauernschaft, in der Dorfgemeinde sahen sie den Keim des Sozialismus. Im Bestreben, die Bauern zum Kampf gegen die Autokratie zu bewegen, gingen sie in großen Zahlen aufs Land – „ins Volk“ –, doch fanden sie dort keine Unterstützung. Nach einer Spaltung 1879 neigte die Mehrheit der Volkstümler zum individuellen Terrorismus und zum Bündnis mit der liberalen Bourgeoisie. Die ersten russischen Marxisten, z.B. Plechanow, Vera Sassulitsch, entwickelten sich aus der Bearbeitung dieser Erfahrung. – Sozialisten-Revolutionäre (auch als Sozialrevolutionäre bekannt): kleinbürgerliche Partei in Rußland; entstand Ende 1901, Anfang 1902 durch den Zusammenschluß verschiedener Volkstümlergruppen und -zirkel. Sie sahen nicht die Klassenunterschiede zwischen der Arbeiterklasse und der Bauernschaft, vertuschten die Klassendifferenzen und Widersprüche innerhalb der Dorfgemeinde und leugneten die führende Rolle der Arbeiterklasse in der russischen Revolution. Während des Ersten Weltkriegs vertraten die meisten Sozialrevolutionäre einen sozialchauvinistischen Standpunkt. Nach dem Sieg der Februarrevolution von 1917 bildeten die Sozialrevolutionäre gemeinsam mit den Menschewiki die Hauptstütze der Provisorischen Regierung und die Führer dieser Partei gehörten dieser Regierung an. In dieser Rolle lehnten sie es ab, die Forderungen der Bauern (d.h. das eigene Parteiprogramm) zu unterstützen. Sie stellten sich gegen die Oktoberrevolution. Ende November 1917 gründete der linke Flügel der Sozialrevolutionäre eine selbständige Partei.

7. Wladimir Iljitsch Lenin (geb. Uljanow) (1870-1924): Begründer des St. Petersburger Kampfbundes zur Befreiung der Arbeiterklasse 1893; Exil in Sibirien 1896; ging ins Ausland und wurde zum Mitarbeiter bei der Iskra 1900-03; Hauptführer der Bolschewiki ab 1903; Teilnehmer an der Russischen Revolution von 1905-07; nach 1907 verteidigte die revolutionäre vor dem Liquidatorentum; Vertreter der SDAPR beim Internationalen Sozialistischen Büro 1908-12; gab die Forderung für die Gründung einer neuen Internationale 1914 aus; organisierte Zimmerwalter Linke 1915-17, um dafür zu kämpfen; kehrte April 1917 nach Rußland zurück und führte die Bolschewiki im Kampf um die Sowjetmacht; Vorsitzender des Rats der Volkskommissare 1917-24; zentraler Führer der Kommunistischen Internationale ab 1919. – Georgi Walentinowitsch Plechanow (1856-1918): wichtiger Vertreter der russischen und internationalen Arbeiterbewegung; Philosoph und Propagandist des Marxismus in Rußland; gründete 1883 die erste russische marxistische Organisation, die Gruppe Befreiung der Arbeit; Delegierter des Internationalen Sozialistischen Arbeiterkongresses 1889 und anderer Kongresse der II. Internationale; kämpfte in den 1880er und 1890er Jahren gegen die Volkstümlerbewegung und trat gegen den Opportunismus und den Revisionismus auf; schloß sich später den Menschewiki an; während des Ersten Weltkrieges Sozialchauvinist und nach der Oktoberrevolution Gegner der Sowjetmacht.

8. Die russische Revolution von 1905 war die erste klassenweite Kraftprobe der russischen Arbeiterklasse. am Anfang des Jahres marschierten die Arbeiter immer noch mit einer Petition zum Zaren, der darauf mit Schüssen antwortete. Während des Jahres entwickelte sich die Bewegung durch eine Wechselwirkung von politischen und ökonomischen Kämpfen, die im Petersburger Sowjet der Arbeiterdeputierten und dem Moskauer Aufstand ihren Höhepunkt erreichte. Im nachhinein wurde das Jahr 1905 als Generalprobe für die Revolution von 1917 betrachtet.

 


Zuletzt aktualisiert am 11.10.2003