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(Bd. III, 1. Kapitel 21, 22, 23)
Geld – hier genommen als selbständiger Ausdruck einer Wertsumme, ob sie tatsächlich in Geld oder in Waren existiere – kann auf Grundlage der kapitalistischen Produktion als Kapital verwandt werden und wird dadurch aus einem gegebenen Wert zu einem sich vermehrenden Wert. Es befähigt den Kapitalisten, ein bestimmtes Quantum unbezahlter Arbeit aus den Arbeitern herauszuziehen und sich anzueignen. Damit erhält es einen neuen Gebrauchswert, nämlich eben den Gebrauchswert, Profit zu machen. In dieser Eigenschaft wird es Ware, aber eine Ware besonderer Art.
Ein Mann, der 100 M zur Verfügung hat, hält (wenn die jährliche Durchschnittsprofitrate m′= 20 Prozent), in seiner Hand die Macht, aus 100 M 120 zu machen, Überlässt dieser Mann für ein Jahr die 100 M einem andern, der sie wirklich als Kapital anwendet, so gibt er ihm die Macht, 20 M Profit zu produzieren. Wenn dieser Mann dem Eigner der 100 M am Jahresschluss vielleicht 5 M zahlt, d. h. einen Teil des mit den 100 M erzielten Profits, so zahlt er damit den Gebrauchswert der 100 M, den Gebrauchswert ihrer Kapitalfunktion. Der Teil des Profits, den er ihm zahlt, heißt Zins, was also nur ein besonderer Name, eine besondere Rubrik für einen Teil des Profits.
Es ist klar, dass der Besitz der 100 M ihrem Eigner die Macht gibt, einen Teil des durch sein Kapital produzierten Profits, den Zins, an sich zu ziehen. Gäbe er dem andern die 100 M nicht, so könnte dieser den Profit nicht produzieren.
Was gibt der Geldkapitalist dem Anleiher, dem industriellen Kapitalisten? Was veräußert er in der Tat an ihn?
Was wird beim gewöhnlichen Verkauf veräußert? Nicht der Wert der verkauften Ware, denn dieser ändert nur die Form, bleibt unter anderer Form in der Hand des Verkäufers. Was wirklich vom Verkäufer veräußert wird und daher auch in den Konsum des Käufers übergeht, ist der Gebrauchswert der Ware.
Was ist nun der Gebrauchswert, den der Geldkapitalist für die Zeit des Ausleihens veräußert und an den Borger abtritt? Eben die Fähigkeit, einen Mehrwert zu erzeugen, außerdem, dass die ursprüngliche Wertgröße gewahrt bleibt. Bei den übrigen Waren wird in letzter Hand der Gebrauchswert konsumiert und damit verschwindet die Substanz der Ware und mit ihr ihr Wert. Die Ware Kapital dagegen hat das Eigentümliche, dass durch die Anwendung ihres Gebrauchswertes ihr Wert und ihr Gebrauchswert nicht nur erhalten, sondern vermehrt wird.
Was zahlt nun der industrielle Kapitalist und was ist daher der Preis des ausgeliehenen Kapitals? Ein Teil des Profits, der damit produziert werden kann.
Wieviel von dem Profit als Zins gezahlt werden muss und wieviel als eigentlicher Profit verbleibt – mit anderen Worten: der sogenannte „Preis“ des verliehenen Kapitals – wird durch Nachfrage und Angebot, also durch die Konkurrenz reguliert, ganz wie die Marktpreise der Waren. Aber hier zeigt sich auch gleich schlagend der Unterschied. Decken sich Nachfrage und Angebot, so ist bei den gewöhnlichen Waren der Marktpreis gleich dem Produktionspreis (Kostpreis + Durchschnittsprofit). D. h. ihr Preis erscheint dann geregelt durch die inneren Gesetze der kapitalistischen Produktion, unabhängig von der Konkurrenz. Denn die Schwankungen von Angebot und Nachfrage erklären nichts als die Abweichungen der Marktpreise von den Produktionspreisen. Und diese Abweichungen gleichen sich wechselseitig aus, sodass in gewissen längeren Zeiträumen die durchschnittlichen Marktpreise gleich sind den Produktionspreisen. Ebenso beim Arbeitslohn. Decken sich Nachfrage und Angebot der Arbeitskraft, so hebt sich ihre Wirkung auf und der Arbeitslohn ist gleich dem Wert der Arbeitskraft.
Anders aber mit dem Zins vom Geldkapital. Die Konkurrenz bestimmt hier nicht die Abweichungen vom Gesetz, sondern es existiert kein Gesetz der Teilung, außer dem von der Konkurrenz diktierten, weil, wie wir noch sehen werden, keine „natürliche“ Rate des Zinsfußes existiert. Es gibt, keine „natürlichen“ Grenzen des Zinsfußes.
Da der Zins bloß ein Teil des Profits ist, der nach unserer bisherigen Voraussetzung vom industriellen Kapitalisten an den Geldkapitalisten zu zahlen ist, so erscheint als Maximalgrenze des Zinses der Profit selbst, wo der Teil, der dem fungierenden Kapitalisten zufiele = 0 wäre. Abgesehen von einzelnen Fällen, wo der Zins tatsächlich größer als der Profit sein, dann aber auch nicht aus dem Profit gezahlt werden kann, könnte man vielleicht als Maximalgrenze des Zinses betrachten den ganzen Profit abzüglich des später zu entwickelnden Teils, der in Aufsichtslohn auflösbar. Die Minimalgrenze des Zinses ist ganz und gar unbestimmbar. Er kann zu jeder beliebigen Tiefe fallen. Indessen treten dann immer wieder entgegenwirkende Umstände ein und heben ihn.
Die in einem Lande herrschende Durchschnittsrate des Zinses ist durchaus durch kein Gesetz bestimmbar. Es gibt keine natürliche Rate des Zinses in dem Sinn, wie die Ökonomen von einer natürlichen Profitrate und einer natürlichen Rate des Arbeitslohns sprechen. Das Decken der Nachfrage und Zufuhr – die Durchschnittsprofitrate als gegeben vorausgesetzt – heißt hier durchaus nichts. Es ist durchaus kein Grund vorhanden, warum das Gleichgewicht zwischen Ausleiher und Anleiher einen Zinsfuß von 3, 4, 5 Prozent usw. bewirken sollte.
Fragt man nun, warum die Grenzen des mittleren Zinsfußes nicht aus allgemeinen Gesetzen abzuleiten sind, so liegt die Antwort einfach in der Natur des Zinses. Er ist bloß ein Teil des Durchschnittsprofits. Wie sich die beiden Personen darin teilen, die Ansprüche auf diesen Profit haben, ist an und für sich eine ebenso rein zufällige Tatsache, wie die Teilung der Prozentanteile des gemeinschaftlichen Profits eines Kompaniegeschäfts unter die verschiedenen Teilhaber.
Trotzdem erscheint der Zinsfuß ganz anders als eine gleichmäßige, bestimmte und handgreifliche Größe als dies bei der allgemeinen Profitrate der Fall ist.
Soweit der Zinsfuß durch die Profitrate bestimmt ist, ist er es stets durch die allgemeine Profitrate, nicht durch die besonderen Profitraten besonderer Industriezweige, und noch weniger durch den etwaigen Extraprofit einzelner Kapitalisten.
Es ist zwar richtig, dass die Zinsrate selbst, je nach den von den Borgern gegebenen Sicherheiten und nach der Zeitdauer der Anleihe beständig verschieden ist; aber für jede dieser Klassen ist er im gegebenen Moment uniform.
Der mittlere Zinfuß erscheint in jedem Lande für längere Epochen als konstante Größe, weil die allgemeine Profitrate – trotz des beständigen Wechsels der besonderen Profitraten, deren Änderungen sich aber gegenseitig ausgleichen – nur in längeren Epochen wechselt.
Was aber die beständig fluktuierende Marktrate des Zinses betrifft, so ist sie in jedem Moment als fixe Größe gegeben, weil auf dem Geldmarkt beständig alles leihbare Kapital als Gesamtmasse dem fungierenden Kapital gegenübersteht, also das Verhältnis des Angebots von leihbarem Kapital auf der einen Seite, die Nachfrage danach auf der andern, den jedesmaligen Marktstand des Zinses entscheidet. Dies ist umsomehr der Fall, je mehr die Entwicklung und damit verbundene Konzentration des Kreditwesens das leihbare Kapital zusammenfasst und es auf einmal, gleichzeitig, auf den Geldmarkt wirft. Dagegen existiert die allgemeine Profitrate beständig nur als Tendenz, als Bewegung der Ausgleichung der besonderen Profitraten. Die Konkurrenz der Kapitalisten besteht hier darin, dass sie den Branchen, wo der Profit auf längere Zeit unter dem Durchschnitt, allmählich Kapital entziehen, und den Branchen, wo er darüber, ebenso allmählich Kapital zuführen: oder auch, dass sich Zusatzkapital nach und nach in verschiedenen Proportionen zwischen diese Branchen verteilt. Es ist beständiges Schwanken der Zufuhr und der Entziehung von Kapital, nie gleichzeitige Massenwirkung wie bei der Bestimmung des Zinsfußes.
Der Durchschnittsprofit erscheint nicht als unmittelbar gegebene Tatsache, sondern als Endresultat der Ausgleichung entgegengesetzter Schwankungen, das erst durch mühsame Untersuchung ermittelt werden muss. Anders mit dem Zinsfuß. Er ist – wenigstens lokal – allgemein gültig, allgemein feststehend und allgemein bekannt, und sogar das industrielle wie das Handelskapital setzt ihn als Posten in seine Kalkulationen ein. Meteorologische Berichte zeichnen nicht genauer den Stand von Barometer und Thermometer auf, als Börsenberichte den Stand des Zinsfußes, nicht für dieses oder jenes Kapital, sondern für das auf dem Geldmarkt befindliche, d. h. überhaupt verleihbare Kapital.
Auf dem Geldmarkt stehen sich nur Verleiher und Borger gegenüber. Die Ware hat dieselbe Form, Geld. Alle besonderen Gestalten des Kapitals, je nach seiner Anlage in besonderen Produktions- und Zirkulationszweigen, sind hier ausgelöscht. Es existiert hier in der unterschiedslosen Gestalt des selbständigen Wertes, des Geldes. Die Konkurrenz der besonderen Branchen hört hier auf: sie sind alle zusammengeworfen als Geldborger, und das Kapital steht allen auch gegenüber in der Form, worin es noch gleichgültig gegen die bestimmte Art und Weise seiner Anwendung ist. Als an sich gemeinsames Kapital der Klasse tritt es hier wirklich, der Wucht nach in Nachfrage und Angebot von Kapital auf.
Es kommt hinzu, dass mit der Entwicklung der großen Industrie das Geldkapital mehr und mehr, soweit es auf dem Markt erscheint, nicht vom einzelnen Kapitalisten vertreten wird, dem Eigentümer dieses oder jenes Bruchteils des auf dem Markt befindlichen Kapitals, sondern als konzentrierte, organisierte Masse auftritt, die ganz anders als die Produktion unter die Kontrolle der (das gesellschaftliche Kapital vertretenden) Bankiers gestellt ist. Sodass sowohl, was die Form der Nachfrage angeht, dem verleihbaren Kapital die Wucht einer Klasse gegenübertritt: wie, was das Angebot angeht, es selbst als Leihkapital en masse auftritt.
Dies sind einige der Gründe, warum die allgemeine Profitrate als ein verschwimmendes Nebelbild erscheint neben dem bestimmten Zinsfuß, der zwar seiner Größe nach schwankt, aber dadurch, dass er gleichmäßig für alle Borger schwankt, ihnen stets als fixer, gegebener gegenübertritt.
Wie kommt es, dass die rein quantitative Teilung des Profits in Nettoprofit und Zins in eine qualitative umschlägt? In anderen Worten: wie kommt es, dass auch der Kapitalist, der nur sein eigenes, kein geliehenes Kapital anwendet, einen Teil seines Bruttoprofits als Zins besonders berechnet? Und daher weiter, dass alles Kapital, geliehenes oder nicht, als zinstragendes von sich selbst als Nettoprofit bringendem unterschieden wird?
(Es wird ja nicht jede quantitative Teilung des Profits zu einer qualitativen Unterscheidung gemacht, z. B. nicht die Teilung des Profits zwischen Teilhabern in einem Kompaniegeschäft.)
Für den produktiven Kapitalisten, der mit geliehenem Kapital arbeitet, zerfällt der Bruttoprofit in zwei Teile, den Zins, den er dem Verleiher zu zahlen hat, und den Überschuss über den Zins, der seinen eigenen Anteil am Profit bildet. Welches nun auch die Größe des Bruttoprofits sei, der Zins ist durch den allgemeinen Zinsfuß fixiert und vorweg genommen (oder auch durch besondere juristische Abmachungen), bevor die Produktion beginnt und überhaupt Profit erzielt ist, sodass es von der Höhe des Zinses abhängt, wieviel vom Profit für den produzierenden Kapitalisten übrig bleibt. Dieser letztere Teil des Profits erscheint ihm also notwendig aus der Anwendung des Kapitals in Handel oder Produktion zu entspringen. Im Gegensatz zum Zins nimmt der ihm zufallende noch übrige Teil des Profits somit die Form des industriellen resp. Handelsprofits an, oder die Gestalt des Unternehmergewinns.
Nun hat man gesehen, dass die Profitrate (also auch der Bruttoprofit) nicht nur vom Mehrwert abhängt, sondern von vielen anderen Umständen: von den Einkaufspreisen der Produktionsmittel, von außergewöhnlich produktiven Methoden, von Ersparnis an konstantem Kapital usw. Und abgesehen vom Produktionspreis hängt es von besonderen Konjunkturen, und bei jedem einzelnen Geschäftsabschluss von der größeren oder geringeren Schlauheit und Betriebsamkeit des Kapitalisten ab, ob und in wie weit dieser über oder unter dem Produktionspreis ein- oder verkauft.
So gewinnt es den Anschein, als ob der Zins, den er an den Besitzer des Geldkapitals zahlt, dem Kapitaleigentum als solchem zukomme. Im Gegensatz hierzu erscheint der übrig bleibende Teil jetzt als Unternehmergewinn, entspringend ausschließlich aus der Tätigkeit des Unternehmers in Industrie oder Handel. Ihm gegenüber erscheint also der Zins als bloße Frucht des Kapitaleigentums, des Kapitals an sich, soweit es nicht „arbeitet“; während ihm der Unternehmergewinn erscheint als ausschließliche Frucht der Funktionen, die er mit dem Kapital verrichtet, also als Frucht seiner eigenen Tätigkeit im Gegensatz zur Nichttätigkeit des Geldkapitalisten.
Diese Verknöcherung und Verselbständigung der beiden Teile des Rohprofits gegeneinander, als wenn sie aus zwei wesentlich verschiedenen Quellen herrührten, muss sich nun für die gesamte Kapitalistenklasse und für das Gesamtkapital festsetzen. Und zwar einerlei, ob das vom aktiven Kapitalisten angewandte Kapital geborgt sei oder nicht. Der Profit jedes Kapitals, also auch der Durchschnittsprofit, wird zerlegt in zwei qualitativ verschiedene, gegen einander selbständige Teile, Zins und Unternehmergewinn, die beide durch besondere Gesetze bestimmt werden. Der Kapitalist, der mit eigenem Kapital, so gut wie der, der mit geborgtem arbeitet, teilt seinen Rohprofit ein in Zins, der ihm als Eigentümer (als Verleiher von Kapital an sich selbst), und in Unternehmergewinn, der ihm als fungierendem Kapitalisten zukommt. Sein Kapital selbst, mit Bezug auf die Arten von Profit, die es abwirft, zerfällt in Kapitaleigentum, Kapital außer dem Produktionsprozess, dass an sich Zins abwirft, und Kapital im Produktionsprozess, das Unternehmergewinn abwirft.
Nun existiert, aber historisch das zinstragende Kapital als eine fertige, überlieferte Form, und daher der Zins als fertige Unterform des vom Kapital erzeugten Mehrwerts, lange bevor die kapitalistische Produktionsweise und die ihr entsprechenden Vorstellungen von Kapital und Profit existierten. Daher immer noch in der Volksvorstellung Geldkapital, zinstragendes Kapital als Kapital als solches, als eigentliches Kapital gilt. Daher andererseits die lange vorherrschende Vorstellung, dass es das Geld als solches sei, was im Zins bezahlt wird. Der Umstand, dass verliehenes Geld Zins abwirft, ob wirklich als Kapital verwandt oder nicht, befestigt die Vorstellung von der Selbständigkeit dieser Form des Kapitals.
Der Zins erscheint also dem Kapitalisten als ein Mehrwert, den das Kapital an und für sich abwirft und den es auch abwerfen würde ohne produktive Anwendung. Für den einzelnen Kapitalisten ist dies praktisch richtig. Er hat die Wahl, ob er sein Kapital als zinstragendes Kapital verleihen oder als produktives Kapital selbst verwerten will. Allgemein gefasst, d. h. auf das ganze Gesellschaftskapital angewendet, wie dies von einigen Vulgärökonomen geschieht und sogar als Grund des Profits angegeben wird, ist dies natürlich verrückt. Die Verwendung des sämtlichen Kapitals als Leihkapital, ohne dass Leute da sind, die die Produktionsmittel kaufen und verwerten – dies ist natürlich Unsinn. Wollte ein ungebührlich großer Teil der Kapitalisten sein Kapital auf Zins ausleihen, so wäre die Folge ungeheure Entwertung des Geldkapitals und ungeheurer Fall des Zinsfußes; viele würden sofort in die Unmöglichkeit versetzt, von ihren Zinsen zu leben, also gezwungen, wieder industrielle Kapitalisten zu werden. Aber wie gesagt, für den einzelnen Kapitalisten ist dies Tatsache. Er betrachtet daher notwendig, selbst wenn er mit eigenem Kapital wirtschaftet, den Teil seines Durchschnittsprofits, der gleich dem Durchschnittszins, als Frucht seines Kapitals als solchen, abgesehen von der Produktion. Das zinstragende Kapital ist das Kapital als Eigentum gegenüber dem Kapital als Funktion.
Der fungierende Kapitalist leitet seinen Anspruch auf den Unternehmergewinn, also den Unternehmergewinn selbst, ab von der Funktion des Kapitals im Gegensatz zum Kapitaleigentum. Aber Repräsentant des fungierenden Kapitals sein ist keine Sinekure, wie die Repräsentation des zinstragenden Kapitals. Der Kapitalist dirigiert die Produktion wie die Zirkulation. Die Ausbeutung der produktiven Arbeit kostet Anstrengung, ob er sie selbst verrichte, oder in seinem Namen von anderen verrichten lasse. Im Gegensatz zum Zins stellt sich ihm also sein Unternehmergewinn dar als Resultat seiner Funktionen als Nichteigentümer, als – Arbeiter.
Es entwickelt sich daher notwendig in seinem Hirnkasten die Vorstellung, dass sein Unternehmergewinn – weit entfernt, irgendeinen Gegensatz zur Lohnarbeit zu bilden und nur unbezahlte fremde Arbeit zu sein – vielmehr selbst Arbeitslohn ist, Aufsichtslohn.
Indem der Zins erscheint als der Teil des Mehrwerts, den das Kapital an sich erzeugt, erscheint der Unternehmergewinn notwendig so, dass er aus der Produktion stammt. Der Unternehmer scheint also Mehrwert zu schaffen, nicht weil er als Kapitalist arbeitet, sondern weil er, abgesehen von seiner Eigenschaft als Kapitalist, auch arbeitet.
Die Vorstellung des Unternehmergewinns als Aufsichtslohns der Arbeit findet weiteren Halt darin, dass in der Tat ein Teil des Profits als Arbeitslohn abgesondert werden kann und sich wirklich absondert, oder vielmehr umgekehrt, dass ein Teil des Arbeitslohns als Bestandteil des Profits erscheint. Nämlich das Gehalt der Betriebsleiter.
Die Arbeit der Oberaufsicht und Leitung entspringt notwendig überall, wo mehrere zu einem gemeinsamen Zweck zusammenarbeiten sollen. Sie ist aber doppelter Natur.
Einerseits in allen Arbeiten, worin viele zusammenwirken, stellt sich notwendig der Zusammenhang und die Einheit des Prozesses in einem kommandierenden Willen dar und in Funktionen, die nicht die Teilarbeiten, sondern die Gesamttätigkeit der Werkstatt betreffen, wie bei dem Dirigenten eines Orchesters. Es ist dies eine produktive Arbeit, die überall verrichtet werden muss, wo überhaupt Menschen gemeinschaftlich tätig sind.
Andererseits entspringt diese Arbeit der Oberaufsicht notwendig in allen Produktionsweisen, die auf dem Gegensatz zwischen dem Arbeiter und dem Eigentümer der Produktionsmittel beruhen. Je größer dieser Gegensatz, desto notwendiger die Aufsicht. Ganz wie in despotischen Staaten die Oberaufsicht und allseitige Einmischung der Regierung beides einbegreift: sowohl die Verrichtung der gemeinsamen Geschäfte, die aus der Natur aller Gemeinwesen hervorgehen, wie die besonderen Funktionen, die aus dem Gegensatz der Regierung zur Volksmasse entstehen.
Bei den Schriftstellern des Altertums, die die Sklavenwirtschaft vor sich haben, finden sich in der Theorie, wie es denn in der Praxis der Fall war, beide Seiten der Aufsichtsarbeit ganz ebenso unzertrennlich zusammen, wie bei den modernen, die die kapitalistische Produktionsweise als ewig und unvergänglich ansehen. Dass die Herrschaft, wie im politischen, so im ökonomischen Gebiet, den Gewalthabern die Arbeit des Herrschens auferlegt, d. h. auf ökonomischem Gebiet also, dass sie verstehen müssen, die Arbeitskraft anzuwenden – sagt Aristoteles mit dürren Worten und fügt hinzu, dass kein großes Wesen mit dieser Aufsichtsarbeit zu machen fei, weshalb der Herr, sobald er vermögend genug ist, die „Ehre“ dieser Plackerei einem Aufseher überlässt.
Dass dem Gewalthaber aus der Ausbeutung der Arbeit anderer Leute die Mühe der Leitung und Oberaufsicht erwächst, ist oft genug als Rechtfertigung dieser Ausbeutung hingestellt worden. Und ebenso oft ist die Aneignung fremder unbezahlter Arbeit als der dem Kapitaleigentümer gebührende Arbeitslohn hingestellt worden. Aber nie besser, als von einem Verteidiger der Sklaverei in den Vereinigten Staaten, von einem Advokaten O’Connor in einer Versammlung zu New-York, am 19. Dezember 1859, unter dem Panier: „Gerechtigkeit für den Süden.“ [1] –
„Nun, meine Herren,“ sagte er unter großem Applaus, „die Natur selbst hat den Neger zu dieser Knechtschaftslage bestimmt. Er hat die Stärke und ist kräftig zur Arbeit; aber die Natur, die ihm diese Stärke gab, verweigerte ihm sowohl den Verstand zum Regieren, wie den Willen zur Arbeit. (Beifall.) Beide sind ihm verweigert! Und dieselbe Natur, die ihm den Willen zur Arbeit vorenthielt, gab ihm einen Herrn, diesen Willen zu erzwingen und ihn in dem Klima, wofür er geschaffen, zu einem nützlichen Diener zu machen, sowohl für sich selbst wie für den Herrn, der ihn regiert. Ich behaupte, dass es keine Ungerechtigkeit ist, den Neger in der Lage zu lassen, worin die Natur ihn gestellt hat; ihm einen Herrn zu geben, der ihn regiert; und man beraubt ihn keines seiner Rechte, wenn man ihn zwingt, dafür auch wieder zu a2]rbeiten und seinem Herrn eine gerechte Entschädigung zu liefern für die Arbeit und Talente, die er anwendet, um ihn zu regieren und ihn für sich selbst und die Gesellschaft nützlich zu machen.“
Nun muss auch der Lohnarbeiter wie der Sklave einen Herrn haben, um ihn arbeiten zu machen und ihn zu regieren. Und setzt man dies Herrschafts- und Knechtschaftsverhältnis als ewig und unabänderlich, als für die Produktion unerlässlich voraus, so ist es in der Ordnung, dass der Lohnarbeiter gezwungen wird, seinen eigenen Arbeitslohn zu produzieren und obendrein den Aufsichtslohn, „und seinem Herrn eine gerechte Entschädigung zu liefern für die Arbeit und Talente, die er anwendet, um ihn zu regieren und ihn für sich und die Gesellschaft nützlich zu machen.“ [2]
Nun ist aber die Arbeit der Oberaufsicht und Leitung, soweit sie aus der Herrschaft des Kapitals über die Arbeit entspringt, auch im kapitalistischen System nicht unmittelbar und unzertrennbar verquickt mit den produktiven Funktionen, welche aus der Natur gemeinsamer Arbeit entspringen. Der Arbeitslohn eines altgriechischen Epitropos oder eines Regisseur, wie er im feudalen Frankreich hieß, trennt sich vollständig vom Profit und nimmt auch die Form des Arbeitslohns für geschickte Arbeit an, sobald das Geschäft in hinreichend großem Umfange betrieben wird, um einen solchen Dirigenten zu zahlen. Die kapitalistische Produktion selbst hat es dahin gebracht, dass die Arbeit der Oberleitung, ganz getrennt vom Kapitaleigentum, auf der Straße herumläuft. Ein Musikdirektor braucht durchaus nicht Eigentümer der Instrumente des Orchesters zu sein, noch gehört es zu seiner Funktion als Dirigent, dass er irgendetwas mit dem „Lohn“ der übrigen Musikanten zu tun hat. Die Genossenschaftsfabriken liefern den Beweis, dass der Kapitalist als Funktionär der Produktion überflüssig geworden. Nach jeder Krisis kann man in den englischen Fabrikbezirken genug Ex-Fabrikanten sehen, die ihre eigenen früheren Fabriken jetzt als Dirigenten der neuen Eigentümer, oft ihrer Gläubiger, für einen billigen Lohn beaufsichtigen. [3]
Aus den öffentlichen Rechnungsablagen der Genossenschaftsfabriken in England sieht man, dass nach Abzug des Lohns des Dirigenten – der, ganz wie der Lohn der übrigen Arbeiter, zum variablen Kapital gehört – der Profit größer war als der Durchschnittsprofit, obgleich sie stellenweise einen viel höheren Zins zahlten als die Privatfabrikanten. Die Ursache des höheren Profits war in all diesen Fällen größere Sparsamkeit in der Verwendung der Produktionsmittel. Was uns aber dabei interessiert, ist, dass hier der Durchschnittsprofit (= Zins + Unternehmergewinn) sich handgreiflich als eine vom Verwaltungslohn ganz und gar unabhängige Größe darstellt. Da der Profit hier größer als der Durchschnittsprofit, war auch der Unternehmergewinn größer als sonst.
Dieselbe Tatsache zeigt sich in einigen kapitalistischen Aktienunternehmungen, z. B. Aktienbanken. Vom Bruttoprofit geht hier außer dem Gehalt des Dirigenten der Zins ab, der für Depositen (die Einlagen der Bankgläubiger) gezahlt wird, und doch bleibt oft noch ein recht hoher Unternehmergewinn übrig.
Die Verwechslung des Unternehmergewinns mit dem Aufsichts- oder Verwaltungslohn entstand ursprünglich aus dem äußerlichen Gegensatz zwischen dem Zins und dem überschießenden Teil des Profits. Sie wurde weiter entwickelt aus der Absicht, den Profit nicht als Mehrwert, d. h. als unbezahlte Arbeit, sondern als Lohn des Kapitalisten selbst für verrichtete Arbeit darzustellen. Dem stellten dann aber die Sozialisten die Forderung gegenüber, den Profit auch tatsächlich auf das zu bemessen, was er theoretisch zu sein vorgab, nämlich auf bloßen Aufsichtslohn. Und das war sehr unangenehm, da dieser Aufsichtslohn – wie aller andere Arbeitslohn – durch die Konkurrenz der sich anbietenden Kräfte und mit deren billigerer Ausbildung immer mehr sank. Mit der Entwicklung der Genossenschaften auf Seiten der Arbeiter und der Aktienunternehmungen auf Seiten der Bourgeoisie wurde auch der letzte Vorwand zur Verwechslung des Unternehmergewinns mit dem Verwaltungslohn unter den Füßen weggezogen.
Bei Aktienunternehmungen entwickelt sich ein neuer Schwindel mit dem Verwaltungslohn, indem neben und über dem wirklichen Dirigenten eine Anzahl Verwaltungs- und Aussichtsräte auftritt, bei denen in der Tat Verwaltung und Aufsicht bloßer Vorwand zur Plünderung der Aktionäre und zur Selbstbereicherung wird.
p>„Was Bankiers und Kaufleute gewinnen dadurch, dass sie an der Direktion von 8 oder 9 verschiedenen Gesellschaften beteiligt sind, mag man ausfolgendem Beispiel ersehen: Die Privatbilanz des Herrn Timothy Abraham Curtis, eingereicht nach seinem Bankrott beim Konkursgericht, zeigte ein Einkommen von 800–900 £ (16.000–18.000 M jährlich unter dem Posten Direktorenschaften. Da Herr Curtis Direktor der Bank von England und der Ostindischen Kompanie gewesen, schätzte jede Aktiengesellschaft sich glücklich, ihn zum Direktor gewinnen zu können.“ [4]
– Die Entlohnung der Direktoren solcher Gesellschaften für jede wöchentliche Sitzung ist mindestens eine Guinee (sprich: Ginni, = 21 M. Die Verhandlungen vor dem Konkursgericht zeigten, dass dieser Aufsichtslohn in der Regel im umgekehrten Verhältnis steht zu der von diesen angeblichen Direktoren wirklich ausgeübten Aufsicht.
1. 5. April 1861 begann zwischen den nördlichen und den südlichen Staaten der Union der große Krieg wegen Abschaffung der Sklaverei, welche die Südstaaten beibehalten wollten.
2. Anmerkung des Herausgebers: Es ist bemerkenswert, dass der Begründer der konservativen Partei in Preußen, Friedrich Julius Stahl (1802–1861), genau denselben Gedanken mit Bezug auf das moderne Proletariat ausspricht: auf sich selbst gestellt, müssten die Proletarier zu Grunde gehen; deshalb habe die Weisheit der Vorsehung Herren über sie gesetzt, denen sie sich aus Dankbarkeit und im eigenen Interesse willig unterordnen müssen, und die als Entgelt für ihre Herrschaftsbemühung Anspruch auf Entschädigung haben. Siehe Die gegenwärtigen Parteien in Staat und Kirche, 20. Vorlesung.
3. Anmerkung von Friedrich Engels: In einem mir bekannten Fall wurde nach der Krisis von 1868 ein fallierter Fabrikant zum Lohnarbeiter seiner eigenen früheren Arbeiter. Die Fabrik wurde nämlich nach dem Bankrott von einer Arbeiter-Genossenschaft weitergeführt und der ehemalige Besitzer als Dirigent angestellt.
4. Die City oder Physiologie des Londoner Geschäfts; mit Skizzen von Bank- und Kaffeefirmen. London, 1845. (Englisch.) Obige Stelle befindet sich S. 82.
Zuletzt aktualisiert am 12. Juli 2024