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(Bd. I, Kapitel 24)
Man hat gesehen, wie durch Kapital Mehrwert und aus Mehrwert mehr Kapital gemacht wird. Indes setzt die Akkumulation des Kapitals den Mehrwert, der Mehrwert die kapitalistische Produktion, diese aber das Vorhandensein größerer Massen von Kapital und Arbeitskraft in den Händen von Warenproduzenten voraus. Diese ganze Bewegung scheint sich also in einem fehlerhaften Kreislauf herumzudrehen, aus dem wir nur hinauskommen, indem wir eine der kapitalistischen Akkumulation vorausgehende „ursprüngliche“ Akkumulation unterstellen, eine Akkumulation, welche nicht das Resultat der kapitalistischen Produktionsweise ist, sondern ihr Ausgangspunkt.
Die bürgerliche Wissenschaft erzählt darüber eine Anekdote der Vergangenheit. In einer längst verflossenen Zeit gab es auf der einen Seite eine fleißige, intelligente und vor allem sparsame Elite und auf der anderen Seite faulenzende, ihr alles und mehr verjubelnde Lumpen. So kam es, dass die ersten Reichtum ansammelten und die letzten schließlich nichts zu verkaufen hatten als ihre eigene Haut. Und von diesem Sündenfall datiert die Armut der großen Masse, die immer noch, aller Arbeit zum Trotz, nichts zu verkaufen hat als sich selbst, und der Reichtum der Wenigen, der fortwährend wächst, obgleich sie längst aufgehört haben zu arbeiten. In der wirklichen Geschichte spielen bekanntlich Eroberung, Unterjochung, Raubmord, kurz Gewalt die große Rolle. In der sanften „wissenschaftlichen“ Darstellung herrschte von jeher die Idylle. Recht und „Arbeit“ waren von jeher die einzigen Bereicherungsmittel, natürlich mit jedesmaliger Ausnahme von „diesem Jahr.“ In der Tat sind die Methoden der ursprünglichen Akkumulation alles andere, nur nicht idyllisch.
Das Kapitalverhältnis setzt die Scheidung zwischen den Arbeitern und dem Eigentum an den Verwirklichungsbedingungen der Arbeit voraus. Sobald die kapitalistische Produktion einmal auf eigenen Füßen steht, erhält sie nicht nur jene Scheidung, sondern stellt sie stets von neuem und in stets wachsendem Umfange wieder her. Der Prozess, der das Kapitalverhältnis schafft, kann also nichts anderes sein als der Scheidungsprozess des Arbeiters vom Eigentum an seinen Arbeitsbedingungen. Die sogenannte ursprüngliche Akkumulation ist also nichts als der historische Scheidungsprozess von Produzenten und Produktionsmittel.
Der ökonomische Aufbau der kapitalistischen Gesellschaft ist hervorgegangen aus dem ökonomischen Aufbau der feudalen Gesellschaft. Die Auflösung dieser hat die Elemente jener freigesetzt.
Der Arbeiter konnte erst dann über seine Person verfügen, nachdem er aufgehört hatte, an die Scholle gefesselt und einer anderen Person leibeigen oder hörig zu sein. Um freier Verkäufer von Arbeitskraft zu werden, der seine Ware überall hinträgt, wo sie einen Markt findet, musste er ferner der Herrschaft der Zünfte, ihren Lehrlings- und Gesellenordnungen und hemmenden Arbeitsvorschriften entronnen sein. Somit erscheint die geschichtliche Bewegung, die die Produzenten in Lohnarbeiter verwandelt, einerseits als ihre Befreiung von Dienstbarkeit und Zunftzwang: und diese Seite allein existiert für unsere bürgerlichen Geschichtsschreiber. Andererseits aber werden diese Neubefreiten erst Verkäufer ihrer selbst, nachdem ihnen alle ihre Produktionsmittel und alle die durch die alten feudalen Einrichtungen gebotenen Garantien ihrer Existenz geraubt sind. Und die Geschichte dieser ihrer Enteignung ist in die Annalen der Menschheit eingeschrieben mit Zügen von Blut und Feuer.
Die industriellen Kapitalisten, diese neuen Machthaber, mussten ihrerseits nicht nur die zünftigen Handwerksmeister verdrängen, sondern auch die im Besitz der Reichtumsquellen befindlichen Feudalherren. Von dieser Seite stellt sich ihr Emporkommen dar als Frucht eines siegreichen Kampfes gegen die Feudalmacht und ihre empörenden Vorrechte, sowie gegen die Zünfte und die Fesseln, die diese der freien Entwicklung der Produktion und der freien Ausbeutung des Menschen durch den Menschen angelegt. Die Ritter von der Industrie brachten es jedoch nur fertig, die Ritter vom Degen zu verdrängen, dadurch, dass sie Ereignisse ausbeuteten, an denen sie ganz unschuldig waren. Sie haben sich emporgeschwungen durch Mittel, ebenso gemein wie die, wodurch der römische Freigelassene sich einst zum Herrn seines Patrons gemacht hat.
Der Ausgangspunkt der Entwicklung, die sowohl den Lohnarbeiter wie den Kapitalisten erzeugt, war die Knechtschaft des Arbeiters. Der Fortgang bestand in einem Formwechsel dieser Knechtung, in der Verwandlung der feudalen in kapitalistische Ausbeutung. Um ihren Gang zu verstehen, brauchen wir gar nicht so weit zurückzugreifen. Obgleich die ersten Anfänge kapitalistischer Produktion uns schon im 14. und 15. Jahrhundert in einigen Städten am Mittelmeer vereinzelt entgegentreten, datiert das kapitalistische Zeitalter vom 16. Jahrhundert. Dort wo sie auftritt, ist die Aufhebung der Leibeigenschaft längst vollbracht und der Glanzpunkt des Mittelalters, der Bestand souveräner Städte, seit geraumer Zeit im Erbleichen.
p>Von Bedeutung in der Geschichte der ursprünglichen Akkumulation sind vor allem die Momente, worin große Menschenmassen plötzlich und gewaltsam von ihren Unterhaltsmitteln losgerissen und als vogelfreie Proletarier auf den Arbeitsmarkt geschleudert werden. Die Enteignung des Bauern von Grund und Boden bildet die Grundlage des ganzen Prozesses. Wir schildern ihren Verlauf in England.
In England war die Leibeigenschaft im letzten Teil des 14. Jahrhunderts faktisch verschwunden. Die ungeheure Mehrzahl der Bevölkerung bestand damals und noch mehr im 15. Jahrhundert [1] aus freien selbstwirtschaftenden Bauern. Auf den größeren herrschaftlichen Gütern war der früher selbst leibeigene Vogt durch den freien Pächter verdrängt. Die Lohnarbeiter der Landwirtschaft bestanden teils aus Bauern, die ihre Mußezeit durch Arbeit bei großen Grundeigentümern verwerteten, teils aus einer selbständigen, wenig zahlreichen Klasse eigentlicher Lohnarbeiter. Auch letztere waren faktisch zugleich selbstwirtschaftende Bauern, indem sie außer ihrem Lohn zugleich Ackerland zum Belauf von 4 und mehr Acres nebst Hütten angewiesen erhielten. Sie genossen zudem mit den eigentlichen Bauern die Nutznießung des Gemeindelandes, worauf ihr Vieh weidete und das ihnen zugleich die Mittel der Feuerung, Holz, Torf, usw. bot. In allen Ländern Europas ist die feudale Produktion durch Teilung des Bodens unter möglichst viele Untersassen charakterisiert. Die Macht des Feudalherrn, wie jedes Souveräns, beruhte nicht auf der Länge seiner Rentrolle, sondern auf der Zahl seiner Untertanen, und letztere hing von der Zahl selbstwirtschaftender Bauern ab. Obgleich der englische Boden daher nach der normannischen Eroberung (1066) in riesenhafte Baronien verteilt ward, wovon eine einzige oft 900 alte angelsächsische Lordschaften einschloss, war er besät von kleinen Bauernwirtschaften, nur hier und da durchbrochen von größeren herrschaftlichen Gütern. Solche Verhältnisse, bei gleichzeitiger Blüte des Städtewesens, wie sie das 15. Jahrhundert auszeichnet, erlaubten Volksreichtum, aber sie schlossen den Kapitalreichtum aus.
Das Vorspiel der Umwälzung, welche die Grundlage der kapitalistischen Produktionsweise schuf, ereignet sich im letzten Drittel des 15. und im ersten des 16. Jahrhunderts. Eine Masse vogelfreier Proletarier ward auf den Arbeitsmärkt geschleudert durch die Auflösung der feudalen Gefolgschaften, die überall nutzlos Haus und Hof füllten. Obgleich die königliche Macht, selbst ein Produkt der bürgerlichen Entwicklung, in ihrem Streben nach absoluter Souveränität die Auflösung dieser Gefolgschaften gewaltsam beschleunigte, war sie keineswegs deren einzige Ursache. Vielmehr im trotzigsten Gegensatz zu Königtum und Parlament schuf der große Feudalherr ein ungleich größeres Proletariat durch gewaltsame Versagung der Bauernschaft von dem Grund und Boden, worauf sie denselben feudalen Rechtstitel besaß wie er, und durch gewaltsame Aneignung ihres Gemeindelandes. Den unmittelbaren Anstoß dazu gab in England namentlich das Aufblühen der flandrischen Wollmanufaktur und das entsprechende Steigen der Wollpreise. Den alten Feudaladel hatten die Feudalkriege verschlungen, der neue war ein Kind seiner Zeit, für welche Geld die Macht aller Mächte war. Verwandlung von Ackerland in Schafweide ward also sein Losungswort. Harrison (in seiner Beschreibung von England) beschreibt, wie die Verjagung der kleinen Bauern das Land ruiniert. Die Wohnungen der Bauern und die Hütten der Arbeiter wurden gewaltsam niedergerissen oder dem Verfall geweiht.
„Wenn man,“ sagt Harrison, „die älteren Urkunden jedes Rittergutes vergleichen will, so wird man finden, dass unzählige Häuser und kleine Bauernwirtschaften verschwunden sind, dass das Land viel weniger Leute nährt, dass viele Städte verfallen sind, obgleich einige neu aufblühen ... Von Städten und Dörfern, die man für Schaftriften zerstört hat, und worin nur noch die Herrschaftshäuser stehen, könnte ich etwas erzählen.“
Die Klagen jener alten Chroniken sind immer übertrieben, aber sie zeichnen genau den Eindruck der Revolution in den Produktionsverhältnissen auf die Zeitgenossen selbst.
Die Gesetzgebung erschrak vor dieser Umwälzung. In seiner Geschichte Heinrichs VII. sagt Baco:
„Um diese Zeit (1489) mehrten sich die Klagen über Verwandlung von Ackerland in Weide, leicht zu versehen durch wenige Hirten; und Pachtungen auf Zeit, auf Lebenszeit und auf jährliche Kündigung (wovon ein großer Teil der Yeomen (Freisassen) lebte) wurden in herrschaftliche Güter verwandelt. Dies brachte einen Verfall des Volks hervor und infolge dessen einen Verfall von Städten, Kirchen, Zehnten ... In der Heilung dieses Missstandes war die Weisheit des Königs und des Parlaments zu dieser Zeit bewundernswert ... Sie ergriffen Maßregeln wider diese entvölkernde Aneignung der Gemeindeländereien und die ihr auf dem Fuß folgende entvölkernde Weidewirtschaft.“
Ein Gesetz Heinrichs VII 1489, verbot die Zerstörung aller Bauernhäuser, zu denen wenigstens 20 Acres Land gehörten. Von Heinrich VIII. ward dasselbe Gesetz erneuert. Es heißt u. a., dass „viele Pachtungen und große Viehherden, besonders Schafe, sich in wenigen Händen aufhäufen, wodurch die Grundrenten sehr gewachsen und der Ackerbau sehr verfallen, Kirchen und Häuser niedergerissen, wunderbare Volksmassen außerstande gesetzt seien, sich selbst und Familien zu erhalten.“ Das Gesetz verordnet daher den Wiederaufbau der verfallenen Hofstätten, bestimmt das Verhältnis zwischen Kornland und Weideland usw. Ein Gesetz von 1533 klagt, dass manche Eigentümer 24 000 Schafe besitzen, und beschränkt deren Zahl aus 2.000. (In seinem Buche Utopia – erschienen 1516 – spricht der englische Kanzler Thomas Morus von dem sonderbaren Land, wo Schafe die Menschen auffressen.)
Die Volksklage und die seit Heinrich VII. an 150 Jahre fortdauernde Gesetzgebung wider die Enteignung der kleineren Pächter und Bauern waren gleich fruchtlos.
Einen neuen furchtbaren Anstoß erhielt die gewaltsame Enteignung der Volksmasse im 16. Jahrhundert durch die Reformation und, in ihrem Gefolge, den kolossalen Diebstahl der Kirchengüter. Die katholische Kirche war zur Zeit der Reformation Feudaleigentümerin eines großen Teils des englischen Grund und Bodens. Die Unterdrückung der Klöster usw. schleuderte deren Einwohner ins Proletariat. Die Kirchengüter selbst wurden großenteils an raubsüchtige königliche Günstlinge verschenkt oder zu einem Spottpreis an spekulierende Pächter und Stadtbürger verkauft, welche die alten erblichen Untersassen massenhaft verjagten und ihre Wirtschaften zusammenwarfen. Das gesetzlich garantierte Eigentum verarmter Landleute an einem Teil der Kirchenzehnten ward stillschweigend konfisziert.
Noch in den letzten Dezennien des 17. Jahrhunderts war die Yeomanry, eine unabhängige Bauernschaft, zahlreicher als die Klasse der Pächter. Sie hatte die Hauptstärke Cromwells gebildet und stand, selbst nach Macaulay’s Geständnis, in vorteilhaftem Gegensatz zu den versoffenen Mistjunkern und ihren Bedienten, den Landpfaffen, welche die herrschaftliche „Lieblingsmagd“ unter die Haube bringen mussten. Noch waren selbst die ländlichen Lohnarbeiter Mitbesitzer am Gemeindeeigentum. 1750 ungefähr war die Yeomanry verschwunden, und in den letzten Dezennien des 18. Jahrhunderts die letzte Spur vom Gemeindeeigentum der Ackerbauer.
Nach der Wiedereinsetzung der Stuarts setzten die Grundeigentümer einen Raub gesetzlich durch, der sich überall auf dem Festlande auch ohne gesetzliche Weitläufigkeit vollzog. Sie hoben die Feudalverfassung des Bodens auf, d. h. sie schüttelten seine Leistungspflichten an den Staat ab, „entschädigten“ den Staat durch Steuern auf die Bauernschaft and übrige Volksmasse, legten sich modernes Privateigentum an Gütern zu, worauf sie nur Feudaltitel besaßen und erzwangen schließlich jene Niederlassungsgesetze, die auf die englischen Ackerbauer ebenso wirkten, wie des Tataren Boris Godunofs Gesetz auf die russische Bauernschaft.
Die „glorreiche Revolution“ brachte mit dem Oranier Wilhelm III. die grundherrlichen und kapitalistischen Plusmacher zur Herrschaft. Sie weihten das neue Zeitalter ein, indem sie den bisher nur bescheiden betriebenen Diebstahl an den Staatsdomänen auf kolossaler Stufenleiter ausübten. Diese Ländereien wurden verschenkt, zu Spottpreisen verkauft oder auch durch direkten Raub an Privatgüter angegliedert. Alles das geschah ohne die geringste Beobachtung gesetzlicher Formen. Das so betrügerisch angeeignete Staatsgut samt dem Kirchenraub, soweit er während der republikanischen Revolution nicht abhandengekommen, bildet die Grundlage der heutigen fürstlichen Domänen der englischen Oligarchie. Die bürgerlichen Kapitalisten begünstigten die Operation, u. a. um den Grund und Boden in einen reinen Handelsartikel zu verwandeln, das Gebiet des landwirtschaftlichen Großbetriebs auszudehnen, ihre Zufuhr vogelfreier Proletarier vom Lande zu vermehren usw. Zudem war die neue Grundaristokratie die natürliche Bundesgenossin der neuen Bankokratie, der eben aus dem Ei gekrochenen hohen Finanz und der damals auf Schutzzölle sich stützenden großen Manufakturisten.
Während an die Stelle der Yeomen kleinere Pächter auf einjährige Kündigung traten, eine von der Willkür der Landlords abhängige Rotte, half, neben dem Raub der Staatsdomänen, namentlich der systematisch betriebene Diebstahl des Gemeindeeigentums jene großen Pachten anschwellen, die man im 18. Jahrhundert Kapital-Pachten oder Kaufmanns-Pachten nannte, und das Landvolk als Proletariat für die Industrie „freisetzen.“
Im 19. Jahrhundert verlor sich natürlich selbst die Erinnerung des Zusammenhangs zwischen Ackerbauern und Gemeindeeigentum. Von späterer Zeit gar nicht zu reden, welchen Pfennig Ersatz erhielt das Landvolk jemals für die 3½ Millionen Acres Gemeindeland, die ihm zwischen 1801 und 1831 geraubt und parlamentarisch den Landlords von den Landlords geschenkt wurden?
Der letzte große Enteignungsprozess der Ackerbauer von Grund und Boden endlich ist das sogenannte „Clearing of Estates“ (Lichten der Güter, in der Tat Wegfegung der Menschen von denselben). Alle bisher betrachteten englischen Methoden gipfelten im „Lichten.“ Was aber „Clearing of Estates“ im eigentlichen Sinne bedeutet, dass lernen wir nur kennen im gelobten Lande der modernen Romanliteratur, in Hochschottland.
Die Kelten Hochschottlands bestanden aus Clans, deren jeder Eigentümer des von ihm besiedelten Bodens war. Der „große Mann“ (Häuptling) des Clans war nur Titulareigentümer dieses Bodens, ganz wie die Königin von England Titulareigentümerin des nationalen Gesamtbodens ist. Als der englischen Regierung gelungen war, die inneren Kriege dieser „großen Männer“ und ihre fortwährenden Einfälle in die niederschottischen Ebenen zu unterdrücken, gaben die Clanchefs ihr altes Raubhandwerk keineswegs auf; sie änderten nur die Form. Aus eigener Autorität verwandelten sie ihr Titular-Eigentumsrecht in Privateigentumsrecht, und da sie bei den Clanleuten auf Widerstand stießen, beschlossen sie, diese mit offener Gewalt zu vertreiben. Im 18. Jahrhundert wurde zugleich den vom Land verjagten Gälen die Auswanderung verboten, um sie gewaltsam nach Glasgow und den anderen Fabrikstädten zu treiben. Als Beispiel der im 19. Jahrhundert herrschenden Methode genügen hier die „Lichtungen“ der Herzogin von Sutherland. Diese Person beschloss gleich bei ihrem Regierungsantritt eine ökonomische Radikalkur vorzunehmen und die ganze Grafschaft, deren Einwohnerschaft durch frühere ähnliche Prozeduren bereits auf 15.000 zusammengeschmolzen war, in Schaftrift zu verwandeln. Von 1814 bis 1820 wurden diese 15.000 Einwohner, ungefähr 3.000 Familien, systematisch verjagt und ausgerottet. Alle ihre Dörfer wurden zerstört und niedergebrannt, alle ihre Felder in Weide verwandelt. Britische Soldaten wurden zur Exekution kommandiert und kamen zu Schlägen mit den Eingeborenen. Eine alte Frau verbrannte in den Flammen der Hütte, die sie zu verlassen sich weigerte. So eignete sich diese Madame 794.000 Acres Land an, das seit undenklichen Zeiten dem Clan gehörte. Den vertriebenen Eingeborenen wies sie am Seegestade ungefähr 6.000 Acres zu, 2 Acres per Familie. Die 6.000 Acres hatten bisher wüst gelegen und den Eigentümern kein Einkommen, abgeworfen. Die Herzogin ging in ihrem Nobelgefühl soweit, den Acre im Durchschnitt zu 2½ Schilling Rente zu verpachten an die Clanleute, die seit Jahrhunderten ihr Blut für die Familie vergossen hatten. Das ganze geraubte Clanland teilte sie in 29 große Schafpachtungen, jede bewohnt von einer einzigen Familie, meist englische Pächterknechte. Im Jahre 1825 waren die 15.000 Gälen bereits ersetzt durch 131.000 Schafe. Der an das Seegestade geworfene Teil der Eingeborenen suchte vom Fischfang zu leben. Aber sie sollten noch schwerer ihre bergromantische Verehrung für die „großen Männer“ des Clans abbüßen. Der Fischgeruch stieg den „großen Männern“ in die Nase. Sie witterten etwas Profitliches dahinter und verpachteten das Seegestade den großen Fischhändlern von London. Die Gälen wurden zum zweiten Mal verjagt.
Endlich aber wird ein Teil der Schaftriften rückverwandelt in Jagdrevier. Man weiß, dass es keine eigentlichen Wälder in England gibt. Das Wild in den Parks der Großen ist konstitutionelles Hausvieh, fett wie Londoner Ratsherren. Schottland ist daher die letzte Zuflucht der „noblen Passion.“
„In den Hochlanden“, sagt Somers 1848, „sind die Waldungen sehr ausgedehnt worden ... Die Verwandlung ihres Landes in Schafweide trieb die Gälen auf unfruchtbaren Boden. Jetzt fängt Rotwild an, das Schaf zu ersetzen und treibt jene in noch zermalmenderes Elend ... Die Wildwaldungen [2] und das Volk können nicht neben einander existieren. Eins oder das andere muss jedenfalls den Platz räumen. Lasst die Jagden an Zahl und Umfang im nächsten Vierteljahrhundert wachsen wie im vergangenen, und ihr werdet keinen Gälen mehr auf seiner heimischen Erde finden. Diese Bewegung unter den Hochlandseigentümern ist Teils der Mode geschuldet, aristokratischem Kitzel, Jagdliebhaberei usw., teils aber betreiben sie den Wildhandel ausschließlich mit einem Auge auf den Profit. Denn es ist Tatsache, dass ein Stück Bergland, in Jagdung angelegt, in vielen Fällen ungleich profitabler ist als eine Schaftrift ... Der Liebhaber, der ein Jagdrevier sucht, beschränkt sein Angebot nur durch die Weite seiner Börse ... Leiden sind über die Hochlande verhängt worden, nicht minder grausam, als die Politik normannischer Könige sie über England verhing. Rotwild hat freieren Spielraum erhalten, während die Menschen in engen und engeren Spielraum gehetzt wur den ... Eine Freiheit des Volkes nach der anderen ward ihm geraubt... Und die Unterdrückung wächst noch täglich. Lichtung und Vertreibung des Volkes werden von den Eigentümern als festes Prinzip verfolgt, als eine landwirtschaftliche Notwendigkeit, ganz wie Bäume und Gesträuch in den Wildnissen Amerikas und Australiens weggefegt werden, und die Operation geht ihren ruhigen geschäftsmäßigen Gang.“
Der Raub der Kirchengüter, die betrügerische Veräußerung der Staatsdomänen, der Diebstahl des Gemeindeeigentums, die räuberische und mit rücksichtslosem Terrorismus vollzogene Verwandlung von feudalem und Claneigentum in modernes Privateigentum, es waren ebenso viele idyllische Methoden der ursprünglichen Akkumulation. Sie eroberten das Feld für die kapitalistische Landwirtschaft, einverleibten den Grund und Boden dem Kapital und schufen der städtischen Industrie die nötige Zufuhr von vogelfreiem Proletariat.
Die also um ihre Existenz Gebrachten konnten unmöglich ebenso rasch von der aufkommenden Manufaktur aufgenommen werden. Andererseits konnten die plötzlich aus ihrer gewohnten Lebensbahn Hinausgeschleuderten sich nicht ebenso plötzlich in die Disziplin des neuen Zustandes finden. Sie wurden massenhaft zu Bettlern, Räubern, Landstreichern. Ende des 15. und während des ganzen 16. Jahrhunderts daher in ganz Westeuropa eine Blutgesetzgebung wider Vagabundage. Die Väter der jetzigen Arbeiterklasse wurden zunächst gezüchtigt für die ihnen angetane Verwandlung in Vagabunden und Paupers. Die Gesetzgebung behandelte sie als „freiwillige“ Verbrecher und unterstellte, dass es von ihrem guten Willen abhänge, in den nicht mehr existierenden alten Verhältnissen fortzuarbeiten.
In jener Zeit, da die kapitalistische Produktion geboren ward, verwandte die aufkommende Bourgeoisie die Staatsgewalt, um den Arbeitslohn zu „regulieren“, um den Arbeitstag zu verlängern und den Arbeiter selbst in Abhängigkeit zu halten. Es ist dies ein wesentliches Moment der sogenannten ursprünglichen Akkumulation. Die Klasse der Lohnarbeiter, die in der letzten Hälfte des 14. Jahrhunderts entstand, bildete damals und im folgenden Jahrhundert nur einen sehr geringen Volksbestandteil, der in seiner Stellung stark beschützt war durch die selbständige Bauernwirtschaft auf dem Land und die Zünfte in der Stadt. In Land und Stadt standen sich Meister und Arbeiter sozial nahe. Das variable Element des Kapitals wog sehr vor über sein konstantes. Die Nachfrage nach Lohnarbeit wuchs daher rasch mit jeder Akkumulation des Kapitals, während die Zufuhr von Lohnarbeit nur langsam nachfolgte.
Nachdem wir die gewaltsame Schöpfung vogelfreier Proletarier betrachtet haben, fragt sich, wo kommen die Kapitalisten ursprünglich her? Denn die Enteignung des Landvolks schafft unmittelbar nur große Grundeigentümer. Was die Entstehung des Pächters betrifft, so können wir sie sozusagen handgreiflich verfolgen, weil sie ein langsamer, über viele Jahrhunderte sich fortwälzender Prozess ist. In England ist die erste Form des Pächters der selbst leibeigene Vogt. Während der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts wird er ersetzt durch einen Pächter, den der Landlord mit Samen, Vieh und Ackerwerkzeug versieht. Seine Lage ist nicht sehr verschieden von der des Bauern. Nur beutet er mehr Lohnarbeit aus. Er wird bald Halbpächter. Er stellt einen Teil des Ackerbaukapitals, der Landlord den andern. Beide teilen das Gesamtprodukt in kontraktlich bestimmtem Verhältnis. Diese Form verschwindet in England rasch, um der des eigentlichen Pächters Platz zu machen, welcher sein eigenes Kapital durch Anwendung von Lohnarbeitern verwertet und einen Teil des Mehrprodukts, in Geld oder in natura, dem Landlord als Grundrente zahlt. Solange, während des 15. Jahrhunderts, der unabhängige Bauer und der neben dem Lohndienst zugleich selbstwirtschaftende Ackerknecht sich selbst durch ihre Arbeit bereichern, bleiben die Umstände des Pächters und sein Produktionsfeld gleich mittelmäßig.
Die landwirtschaftliche Umwälzung im letzten Drittel des 15. Jahrhunderts, die fast während des ganzen 16. Jahrhunderts (jedoch mit Ausnahme seiner letzten Jahrzehnte) fortwährt, bereichert ihn ebenso rasch, als sie das Landvolk verarmt. Der Raub von Gemeindeweiden usw. erlaubt ihm große Vermehrung seines Viehstandes fast ohne Kosten, während ihm das Vieh reichlichere Düngungsmittel zur Bestellung des Bodens liefert. Im 16. Jahrhundert kommt ein entscheidend wichtiges Moment hinzu. Damals waren die Pachtkontrakte lang, oft für 99 Jahre laufend. Der fortdauernde Fall im Wert der edlen Metalle und daher des Geldes trug den Pächtern goldene Früchte. Er senkte, von allen anderen Umständen abgesehen, den Arbeitslohn. Ein Bruchstück desselben wurde zum Pachtprofit geschlagen. Das fortwährende Steigen der Preise von Korn, Wolle, Fleisch, kurz sämtlicher Landwirtschaftsprodukte, schwellte das Geldkapital des Pächters ohne sein Zutun, während die Grundrente, die er zu zahlen hatte, im veralteten Geldwert vereinbart war. So bereicherte er sich gleichzeitig auf Kosten seiner Lohnarbeiter und seines Landlords. Kein Wunder also, wenn England Ende des 16. Jahrhunderts eine Klasse von für die damaligen Verhältnisse reichen „Kapitalpächtern“ besaß.
Die stoßweise und stets erneuerte Enteignung und Verjagung des Landvolks lieferte der städtischen Industrie wieder und wieder Massen ganz außerhalb der Zunftverhältnisse stehender Proletarier. Der Verdünnung des unabhängigen, selbstwirtschaftenden Landvolks entsprach nicht nur die Verdichtung des industriellen Proletariats. Trotz der verminderten Zahl seiner Bebauer trug der Boden nach wie vor gleich viel oder mehr Produkt, weil die Revolution in den Grundeigentumsverhältnissen von verbesserten Methoden der Kultur, größerer Kooperation, Konzentration der Produktionsmittel usw. begleitet war, und weil die ländlichen Lohnarbeiter nicht nur intensiver angespannt wurden, sondern auch ihre Arbeit für sich selbst mehr und mehr zusammenschmolz. Mit dem freigesetzten Teil des Landvolks werden also auch seine früheren Nahrungsmittel freigesetzt. Der an die Luft gesetzte Bauer muss ihren Wert von seinem neuen Herrn, dem industriellen Kapitalisten, in der Form des Arbeitslohns erkaufen. Wie mit den Lebensmitteln, verhielt es sich mit dem durch die heimische Landwirtschaft erzeugten Rohmaterial der Industrie. Man unterstelle z. B. einen Teil der westfälischen Bauern, die zu Friedrichs II. Zeit alle Flachs spannen, gewaltsam enteignet und von Grund und Boden versagt, den andern zurückbleibenden Teil aber in Tagelöhner großer Pächter verwandelt. Gleichzeitig erheben sich große Flachsspinnereien und Webereien, worin die „Freigesetzten“ nun lohnarbeiten. Der Flachs sieht gerade aus wie vorher. Keine Fiber an ihm ist verändert. Aber eine neue soziale Seele ist ihm in den Leib gefahren. Er bildet jetzt einen Teil des konstanten Kapitals der Manufakturherren. Früher verteilt unter eine Unmasse kleiner Produzenten, die ihn selbst bauten und in kleinen Portionen mit ihren Familien verspannen, ist er jetzt konzentriert in der Hand eines Kapitalisten, der andere für sich spinnen und weben lässt. Die in der Flachsspinnerei verausgabte Extraarbeit wurde früher zu Extraeinkommen zahlloser Bauernfamilien oder auch, zu Friedrichs II. Zeit, zu Steuern. Sie wird jetzt zu Profit weniger Kapitalisten. Die Spindeln und Webstühle, früher verteilt über das flache Land, sind jetzt in wenig große Arbeitskasernen zusammengerückt, wie die Arbeiter, wie das Rohmaterial. Und Spindeln und Webstühle und Rohmaterial sind aus Mitteln unabhängiger Existenz für Spinner und Weber von nun an zu Mitteln geworden, sie zu kommandieren und ihnen unbezahlte Arbeit auszusaugen. Den großen Manufakturen sieht man es nicht an, wie den großen Pachtungen, dass sie aus vielen kleinen Produktionsstätten zusammengeschlagen und durch die Enteignung vieler kleiner unabhängiger Produzenten gebildet sind.
Die Enteignung und Verjagung eines Teils des Landvolks setzt mit den Arbeitern nicht nur ihre Lebensmittel und ihr Arbeitsmaterial frei, sie schafft den inneren Markt.
Früher erzeugte und bearbeitete die Bauernfamilie die Lebensmittel und Rohstoffe, die sie nachher größtenteils selbst verzehrte. Diese Rohstoffe und Lebensmittel sind jetzt Waren geworden; der Großpächter verkauft sie, in den Manufakturen findet er seinen Markt. Garn, Leinwand, grobe Wollenzeuge, Dinge, deren Rohstoffe sich im Bereich jeder Bauernfamilie vorfanden und von ihr zum Selbstverbrauch versponnen und verwebt wurden – verwandeln sich jetzt in Manufakturartikel, deren Absatzmarkt gerade die Landdistrikte bilden. So geht Hand in Hand mit der Enteignung früher selbstwirtschaftender Bauern und ihrer Losscheidung von ihren Produktionsmitteln die Vernichtung der ländlichen Nebenindustrie. Und nur die Vernichtung des ländlichen Hausgewerbes kann dem inneren Markt eines Landes die Ausdehnung und den festen Bestand geben, deren die kapitalistische Produktionsweise bedarf. Jedoch bringt es die eigentliche Manufakturzeit zu keiner radikalen Umgestaltung. Erst die große Industrie liefert mit den Maschinen die ständige Grundlage der kapitalistischen Landwirtschaft, enteignet radikal die ungeheure Mehrzahl des Landvolks und vollendet die Scheidung zwischen Ackerbau und häuslich-ländlichem Gewerbe, dessen Wurzeln sie ausreißt – Spinnen und Weben. Sie erobert daher auch erst dem industriellen Kapital den ganzen inneren Markt.
Die Entstehung des industriellen Kapitalisten ging nicht in derselben allmählichen Weise vor wie die des Pächters. Zweifelsohne verwandelten sich manche kleine Zunftmeister oder auch Lohnarbeiter in kleine Kapitalisten, und durch allmählich ausgedehntere Ausbeutung von Lohnarbeit und entsprechende Akkumulation in Kapitalisten schlechthin. Indes entsprach der Schneckengang dieser Methode in keiner Weise den Handelsbedürfnissen des neuen Weltmarkts, welchen die großen Entdeckungen Ende des 15. Jahrhunderts geschaffen hatten. Aber das Mittelalter hatte zwei verschiedene Formen des Kapitals überliefert: Das Wucherkapital und das Kaufmannskapital.
Das durch Wucher und Handel gebildete Geldkapital wurde durch die Feudalverfassung auf dem Land, durch die Zunftverfassung in den Städten gehindert, industrielles Kapital zu werden. (Sogar noch 1794 schickten die kleinen Tuchmacher von Leeds eine Abordnung an das Parlament zur Petition um ein Gesetz, das jedem Kaufmann verbieten sollte, Fabrikant zu werden.) Diese Schranken fielen mit der Auflösung der feudalen Gefolgschaften, mit der Enteignung und teilweisen Verjagung des Landvolks. Die neue Manufaktur ward in See-Exporthäfen errichtet oder auf Punkten des flachen Landes, außerhalb der Kontrolle des alten Städtewesens und seiner Zunftverfassung. In England daher erbitterter Kampf der privilegierten Städte gegen diese neuen industriellen Pflanzschulen.
Die Entdeckung der Gold- und Silberländer in Amerika, die Ausrottung, Versklavung und Vergrabung der eingeborenen Bevölkerung in die Bergwerke, die beginnende Eroberung und Ausplünderung von Ostindien, die Verwandlung von Afrika in ein Gehege zur Handelsjagd auf Schwarzhäute bezeichnen die Morgenröte des kapitalistischen Zeitalters. Diese idyllischen Vorgänge sind Hauptmomente der ursprünglichen Akkumulation. Auf dem Fuß folgt der Handelskrieg der europäischen Stationen mit dem Erdrund als Schauplatz. Er wird eröffnet durch den Abfall der Niederlande von Spanien, nimmt Riesenumfang an in Englands Antijakobinerkrieg, spielt noch fort in den Opiumkriegen gegen China usw.
Die verschiedenen Momente der ursprünglichen Akkumulation verteilen sich nun mehr oder minder, in zeitlicher Reihenfolge, namentlich auf Spanien, Portugal, Holland, Frankreich und England. In England werden sie Ende des 17. Jahrhunderts systematisch zusammengefasst im Kolonialsystem, Staatsschuldensystem, modernen Steuersystem und Schutzzollsystem. Diese Methoden beruhen zum Teil auf brutalster Gewalt, z. B. das Kolonialsystem. Alle aber benutzen die Staatsmacht, um die Verwandlung der feudalen in die kapitalistische Produktionsweise treibhausmäßig zu fördern und die Übergänge abzukürzen. Die Gewalt ist der Geburtshelfer jeder alten Gesellschaft, die mit einer neuen schwanger geht. Sie selbst ist eine ökonomische Kraft.
Von dem christlichen Kolonialsystem sagt ein Mann, der aus dem Christentum eine Spezialität macht, W. Howitt (Kolonisation und Christentum, London 1838):
„Die Barbareien und ruchlosen Gräueltaten der sogenannten christlichen Rassen, in jeder Gegend der Welt und gegen jedes Volk, das sie unterjochen konnten, finden keine Parallele in irgend einer Zeit der Weltgeschichte, bei irgend einer Rasse, ob noch so wild und ungebildet, mitleidlos und schamlos.“
Die Geschichte der holländischen Kolonialwirtschaft – und Holland war die kapitalistische Musternation des 17. Jahrhunderts – „entrollt ein unübertreffbares Gemälde von Verrat, Bestechung, Meuchelmord und Niedertracht.“ [3] Um sich Malagas zu bemächtigen, bestachen die Holländer den portugiesischen Gouverneur. Er ließ sie 1641 in die Stadt ein. Sie eilten sofort zu seinem Hause und meuchelmordeten ihn, um auf die Zahlung der Bestechungssumme von 21.875 Pfund Sterling zu „entsagen“. Wo sie die Füße hinsetzten, folgte Verödung und Entvölkerung. Banjuwangi, eine Provinz von Java, zählte 1750 über 80.000 Einwohner, 1811 nur noch 8.000.
Die englisch-ostindische Kompanie erhielt bekanntlich außer der politischen Herrschaft in Ostindien das ausschließliche Monopol des Teehandels wie des chinesischen Handels überhaupt und des Gütertransports von und nach Europa. Aber die Küstenschifffahrt von Indien und zwischen den Inseln, wie der Handel im Innern Indiens wurden Monopol der höheren Beamten der Kompanie. Die Monopole von Salz, Opium, Betel und anderen Waren waren unerschöpfliche Minen des Reichtums. Die Beamten selbst setzten die Preise fest und schänden nach Belieben den unglücklichen Hindu. Der Generalgouverneur nahm teil an diesem Privathandel. Seine Günstlinge erhielten Kontrakte unter Bedingungen, wodurch sie, klüger als die Alchemisten, aus nichts Gold machten. Große Vermögen sprangen wie die Pilze an einem Tage auf, die ursprüngliche Akkumulation ging von statten ohne Vorschuss eines Schillings. Die gerichtliche Verfolgung des Warren Hastings wimmelt von solchen Beispielen. Hier ein Fall. Ein Opiumkontrakt wird einem gewissen Sullivan zugeteilt, im Augenblick seiner Abreise – im öffentlichen Auftrage – nach einem von den Opiumdistrikten ganz entlegenen Teil Indiens. Sullivan verkauft seinen Kontrakt für 40.000 Pfund Sterling an einen gewissen Binn, Binn verkauft ihn denselben Tag für 60.000 Pfund Sterling und der schließliche Käufer und Ausführer des Kontrakts erklärt, dass er hinterher noch einen ungeheuren Gewinn herausschlug. Nach einer dem Parlament vorgelegten Liste ließen sich die Kompanie und ihre Beamten von 1757–1766 von den Indern 6 Millionen Pfund Sterling (ca. 120 Millionen Mark) schenken! Zwischen 1769 und 1770 fabrizierten die Engländer eine Hungersnot durch den Aufkauf von allem Reis und durch Weigerung des Wiederverkaufs außer zu fabelhaften Preisen.
Das Kolonialsystem reifte treibhausmäßig Handel und Schifffahrt. Die „Gesellschaften Monopolia“ (Lubher) waren gewaltige Hebel der Kapitalkonzentration. Den aufschießenden Manufakturen sicherte die Kolonie Absatzmarkt und eine durch das Marktmonopol potenzierte Akkumulation. Der außerhalb Europas direkt durch Plünderung, Versklavung und Raubmord erbeutete Schatz floss ins Mutterland zurück und verwandelte sich hier in Kapital. Holland, welches das Kolonialsystem zuerst völlig entwickelte, stand schon 1648 im Brennpunkt seiner Handelsgröße. Es war „in fast ausschließlichem Besitz des ostindischen Handels und des Verkehrs zwischen dem europäischen Südwesten und dem Nordosten. Seine Fischereien, Seewesen, Manufakturen übertrafen die eines jeden anderen Landes. Die Kapitalien der Republik waren vielleicht bedeutender als die des übrigen Europas insgesamt.“ Gülich vergisst hinzuzusetzen: Hollands Volksmasse war schon 1648 mehr überarbeitet, verarmter und brutaler unterdrückt als die des übrigen Europa insgesamt.
Heutzutage führt industrielle Vorherrschaft die Handelsvorherrschaft mit sich. In der eigentlichen Manufakturzeit dagegen ist es die Handelsvorherrschaft, die die industrielle Vorherrschaft gibt. Daher die vorwiegende Rolle, die das Kolonialsystem damals spielte. Es war „der fremde Gott“, der sich neben die alten Götzen Europas auf den Altar stellte und sie eines schönen Tages mit einem Schub und Bautz sämtlich über den Haufen warf. Er proklamierte die Plusmacherei als letzten und einzigen Zweck der Menschheit.
Das System des öffentlichen Kredits, d. h. der Staatsschulden, dessen Ursprünge wir in Genua und Venedig schon im Mittelalter entdeckten, nahm Besitz von ganz Europa während der Manufakturzeit. Das Kolonialsystem mit seinem Seehandel und seinen Handelskriegen diente ihm als Treibhaus. So setzte es sich zuerst in Holland fest. Die Staatsschuld, d. h. die Veräußerung des Staates – ob despotisch, konstitutionell oder republikanisch – drückt dem kapitalistischen Zeitalter ihren Stempel auf. Der einzige Teil des sogenannten Nationalreichtums, der wirklich in den Gesamtbesitz der modernen Völker eingeht, ist – ihre Staatsschuld.
Die öffentliche Schuld wird einer der energischsten Hebel der ursprünglichen Akkumulation. Wie mit dem Schlag der Wünschelrute begabt sie das unproduktive Geld mit Zeugungskraft und verwandelt es so in Kapital, ohne dass es dazu nötig hätte, sich der von industrieller und selbstwucherischer Anlage unzertrennlichen Mühewaltung und Gefahr auszusetzen. Die Staatsgläubiger geben in Wirklichkeit nichts, denn die geliehene Summe wird in öffentliche, leicht übertragbare Schuldscheine verwandelt, die in ihren Händen fortfungieren ganz als wären sie ebenso viel Bargeld. Aber auch abgesehen von der so geschaffenen Klasse müßiger Rentner und von dem improvisierten Reichtum der zwischen Regierung und Nation den Mittler spielenden Finanzleute – wie auch von dem der Steuerpächter, Kaufleute, Privatfabrikanten, denen ein gut Stück jeder Staatsanleihe den Dienst eines vom Himmel gefallenen Kapitals leistet – hat die Staatsschuld die Aktiengesellschaften, den Handel mit Wertpapieren aller Art, mit Kursdifferenzen emporgebracht, mit einem Wort: das Börsenspiel und die moderne Bankokratie.
Von ihrer Geburt an waren die mit nationalen Titeln aufgestützten großen Banken nur Gesellschaften von Privatspekulanten, die sich den Regierungen an die Seite stellten und, dank den erhaltenen Privilegien, ihnen Geld vorzuschießen imstande waren. Daher hat die Anhäufung der Staatsschuld keinen unfehlbareren Gradmesser als das allmähliche Steigen der Aktien dieser Banken, deren volle Entfaltung von der Gründung der Bank von England datiert (1694). Die Bank von England begann damit, der Regierung ihr Geld zu 8 Prozent zu verleihen; gleichzeitig war sie vom Kapital ermächtigt, aus demselben Kapital Geld zu münzen, indem sie es dem Publikum nochmals in Form von Banknoten lieh. Sie durfte mit diesen Noten Wechsel diskontieren (d. h. noch nicht abgelaufene Wechsel ankaufen), Waren beleihen und edle Metalle einkaufen. Es dauerte nicht lange, so wurde dieses von ihr selbst fabrizierte Kreditgeld die Münze, worin die Bank von England dem Staat Anleihen machte und für Rechnung des Staates die Zinsen der öffentlichen Schuld bezahlte. Nicht genug, dass sie mit einer Hand gab, um mit der anderen mehr zurückzuempfangen; sie blieb auch, während sie empfing, ewige Gläubigerin der Nation bis zum letzten gegebenen Heller. Allmählich wurde sie der unvermeidliche Behälter der Metallschätze des Landes und der Mittelpunkt des gesamten Handelskredits, Um dieselbe Zeit, wo man in England aufhörte, Hexen zu verbrennen, fing man dort an, Banknotenfälscher zu hängen. Welchen Eindruck auf die Zeitgenossen das plötzliche Auftauchen dieser Brut von Bankokraten, Finanzleuten, Rentiers, Maklern, Stockjobbers und Börsenwölfen machte, beweisen die Schriften jener Zeit.
Mit den Staatsschulden entstand ein internationales Kreditsystem, das häufig eine der Quellen der ursprünglichen Akkumulation bei diesem oder jenem Volk versteckt. So bilden die Gemeinheiten des venezianischen Raubsystems eine solche verborgene Grundlage des Kapitalreichtums von Holland, dem das verfallende Venedig große Geldsummen lieh. Ebenso verhält es sich zwischen Holland und England. Schon im Anfang des 18. Jahrhunderts sind die Manufakturen Hollands weit überflügelt und hat es aufgehört, herrschende Handels- und Industrienation zu sein. Eins seiner Hauptgeschäfte von 1701–1776 wird daher das Ausleihen ungeheurer Kapitalien, speziell an seinen mächtigen Konkurrenten England. Ähnliches gilt heute (1867) zwischen England und den Vereinigten Staaten.
Da die Staatsschuld ihren Rückhalt in den Staatseinkünften hat, die die jährlichen Zins- usw. Zahlungen decken müssen, so wurde das moderne Steuersystem notwendige Ergänzung des Systems der Staatsanleihen. Die Anleihen befähigen die Regierung, außerordentliche Ausgaben zu bestreiten, ohne dass der Steuerzahler es sofort fühlt, aber sie erfordern doch für die Folge erhöhte Steuern. Andererseits zwingt die durch Häufung nach einander aufgenommener Schulden verursachte Steuererhöhung die Regierung, bei neuen außerordentlichen Ausgaben stets neue Anleihen aufzunehmen. Das moderne Staatsfinanzsystem, dessen Drehungsachse die Steuern auf die notwendigsten Lebensmittel (also deren Verteuerung) bilden, trägt daher in sich selbst den Keim selbsttätiger Steigerung. Die Überbesteuerung ist nicht ein Zwischenfall, sondern vielmehr Prinzip. In Holland, wo dies System zuerst eingeführt, hat daher der große Patriot De Witt es gefeiert als das beste System, um den Lohnarbeiter unterwürfig, mäßig, fleißig und ... mit Arbeit überladen zu machen. Der zerstörende Einfluss, den es auf die Lage der Lohnarbeiter ausübt, geht uns hier jedoch weniger an als die durch es bedingte gewaltsame Enteignung des Bauern, des Handwerkers, kurz aller Bestandteile der kleinen Mittelklasse. Darüber bestehen keine zwei Meinungen, selbst nicht bei den bürgerlichen Schriftstellern. Verstärkt wird seine enteignende Wirksamkeit noch durch das Schutzzollsystem, das einer seiner wesentlichsten Teile ist.
Das Schutzzollsystem war ein Mittel, Fabrikanten zu fabrizieren, unabhängige Arbeiter zu enteignen, die nationalen Produktions- und Lebensmittel zu Kapital zu machen, den Übergang aus der altertümlichen in die moderne Produktionsweise gewaltsam abzukürzen. Die europäischen Staaten rissen sich um das Patent dieser Erfindung, und einmal in den Dienst der Plusmacherei eingetreten, brandschatzten sie zu jenem Behuf nicht nur das eigene Volk, indirekt durch Schutzzölle, direkt durch Exportprämien usw. In den abhängigen Nebenlanden wurde alle Industrie gewaltsam ausgerodet, wie z. B. die irische Wollmanufaktur von England. Auf dem europäischen Festlande ward nach Colbert’s Vorgang der Prozess noch sehr vereinfacht. Das ursprüngliche Kapital des Industriellen fließt hier zum Teil direkt aus dem Staatsschatz.
Kolonialsystem, Staatsschulden, Steuerwucht, Schutzzoll, Handelskriege usw., diese Sprösslinge der eigentlichen Manufaktur, schwellen riesenhaft während der Kinderzeit der großen Industrie.
So großer Mühe bedurfte es, die Scheidung zwischen Arbeiter und Arbeitsmitteln zu vollziehen, auf der einen Seite die gesellschaftlichen Produktions- und Lebensbedingungen in Kapital zu verwandeln, auf der anderen Seite die Volksmasse in Lohnarbeiter. Wenn das Geld, nach Augier, „mit natürlichen Blutflecken auf einer Backe zur Welt kommt“, so das Kapital von Kopf bis Zeh, aus allen Poren blut- und schmutztriefend. [4]
1. Macaulay, Geschichte Englands. 10. Ausl., London 1854. Bd. I, S. 333–334. Noch im letzten Drittel des 17. Jahrhunderts lebten ⅘ der englischen Volksmassen von der Landwirtschaft. (Ebenda, S. 413).
2. Die „Wildforsten“ in Schottland enthalten keinen einzigen Baum. Man treibt die Schafe weg und die Hirsche hin auf die nackten Berge und nennt das einen „Wildforst“. Also nicht einmal Waldkultur!
3. Thomas Stamford Raffles, ehemaliger Vizegouverneur von Java, Java und seine zugehörigen Gebiete, London 1817.
4. „Kapital sticht Tumult und Streit und ist ängstlicher Natur.“ Das ist sehr wahr, aber doch nicht die ganze Wahrheit. Das Kapital hat einen Abscheu vor Abwesenheit von Profit oder vor sehr kleinem Profit, wie die Natur vor der Leere. „Mit entsprechendem Profit wird Kapital kühn. 10 % sicher und man kann es überall anwenden; 20 %, es wird lebhaft; 50 % positiv waghalsig; für 100 % stampft es alle menschlichen Gesetze unter seinen Fuß; 30 0%, und es existiert kein Verbrechen, das es nicht riskiert, selbst auf die Gefahr des Galgens. Wenn Tumult und Streit Profit dringen, wird es sie beide ermutigen. Beweis: Schmuggel und Sklavenhandel.“ (T. J. Dunning, Gewerkschaften und Streiks, London 1800, S. 36.)
Zuletzt aktualisiert am 12. Juli 2024