Julian Borchart

Das Kapital: Zur Kritik der politischen Ökonomie
von Karl Marx

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8. Methoden zur Steigerung
es Mehrwerts

(Bd. I, Kapitel 8, 9, 10. 4)

Mehrwert wird erzeugt durch Anwendung der Arbeitskraft. Das Kapital kauft die Arbeitskraft und zahlt dafür den Lohn. Indem dann der Arbeiter arbeitet, erzeugt er neuen Wert, der nicht ihm, sondern dem Kapitalisten gehört. Eine gewisse Zeit muss er arbeiten, um nur den Wert des Arbeitslohns wieder zu erstatten. Aber, nachdem dies geschehen, hört er nicht auf, sondern arbeitet noch einige Stunden des Tages. Der neue Wert, den er jetzt erzeugt, und der also den Betrag des Arbeitslohns übersteigt, ist der Mehrwert. Das Kapital erzwingt demnach die Erzeugung von Mehrwert zunächst einfach durch Verlängerung des Arbeitstages über die „notwendige“ Arbeitszeit hinaus („notwendig“ zum Ersatz des Wertes der Arbeitskraft). Das Kapital ordnet sich zunächst die Arbeit unter mit den technischen Bedingungen, worin es sie historisch vorfindet. Es verändert daher nicht unmittelbar die Produktionsweise. Die Erzeugung von Mehrwert durch einfache Verlängerung des Arbeitstages war in der altmodischen Bäckerei nicht minder wirksam als in der modernen Baumwollspinnerei. Jedoch hat der Arbeitstag eine Schranke. Er ist über eine gewisse Grenze hinaus nicht verlängerbar. Diese Schranke ist doppelt bestimmt. Einmal durch die körperlichen Bedürfnisse der Arbeitskraft. Ein Mensch kann während 24 Stunden nur ein bestimmtes Quantum Lebenskraft verausgaben. So kann ein Pferd Tag aus Tag ein nur 8 Stunden arbeiten. Während eines Teils des Tages muss die Kraft ruhen, schlafen, während eines anderen Teils muss der Mensch sich nähren, reinigen, kleiden usw. Außer dieser rein körperlichen Schranke stößt die Verlängerung des Arbeitstages auf moralische Schranken.

Der Arbeiter braucht Zeit zur Befriedigung geistiger und sozialer Bedürfnisse, deren Umfang und Zahl durch den allgemeinen Kulturzustand bedingt sind. Beide Schranken sind aber sehr elastischer Natur und erlauben den größten Spielraum. So finden wir Arbeitstage von 8, 10, 12, 14, 16, 18 Stunden, also von der verschiedenster Länge. Das ständige Streben des Kapitals, den Arbeitstag zu verlängern, rief den Widerstand der Arbeiterklasse hervor, und führte in England – dem Lande, wo zuerst die kapitalistische Produktion Fuß fasste – zu erbitterten sozialen und politischen Kämpfen, die Jahrhunderte lang dauerten. Indessen gibt es noch andere Methoden, den Mehrwert zu steigern. Vor allem die schärfere Anspannung der Arbeitskraft, so dass sie in gegebener Zeit mehr leisten muss. Sodann die Herabdrückung des Lohns unter den Wert der Arbeitskraft. Trotz der wichtigen Rolle, welche diese Methode in der wirklichen Bewegung des Arbeitslohns spielt, muss sie hier außer Betracht bleiben wegen unserer Voraussetzung, dass die Waren, also auch die Arbeitskraft, zu ihrem vollen Wert gekauft und verkauft werden. Bleibt endlich noch die Steigerung des sogenannten „relativen“ Mehrwerts. Damit hat es folgende Bewandtnis. Wenn der Arbeitstag, sagen wir, 10 Stunden lang ist, wovon 6 Stunden den Wert der Arbeitskraft ersetzen, so wird in den übrigen 4 Stunden eine bestimmte Menge Mehrwert erzeugt. Gelingt es, den Arbeitstag auf 11 Stunden zu verlängern oder während der 10 Stunden eine größere Leistung aus den Arbeitern herauszuholen, oder gar beides zugleich, so wird die Menge des Mehrwerts entsprechend vergrößert. Es tritt eine absolute Steigerung des Mehrwerts ein.

Ist es dagegen unmöglich, den Arbeitstag über 10 Stunden hinaus zu verlängern, und ebenso unmöglich, die Arbeiter zu größerer Intensität zu zwingen, so mag man vielleicht die „notwendige“ Arbeitszeit verkürzen können. Sie betrug in unserm Beispiel 6 Stunden, weil diese Zeit notwendig war, um die Lebensmittel zu produzieren, welche die tägliche Erhaltung der Arbeitskraft erfordert. Können diese Lebensmittel in geringerer Zeit, mit geringerem Arbeitsaufwand produziert werden, dann genügen statt der 6 Stunden vielleicht 5, und von dem 10-stündigen Arbeitstag blieben statt 4 Stunden 5 übrig zur Erzeugung von Mehrwert; dieser wäre „relativ“ zum Arbeitstag gesteigert.

Um solche „relative“ Steigerung des Mehrwerts zu verwirklichen, müssen die Waren, welche zum Konsum der Arbeiter dienen, in geringerer Zeit produziert werden. Dies bedeutet mit anderen Worten: die Produktivkraft der Arbeit muss gesteigert werden, sodass zur Produktion derselben Warenmengen ein geringeres Quantum Arbeit erheischt ist. Hierfür genügt es keineswegs, dass das Kapital sich des Arbeitsprozesses in seiner historisch überlieferten Gestalt bemächtigt und nur seine Dauer verlängert. Es muss die technischen und gesellschaftlichen Bedingungen des Arbeitsprozesses, also die Produktionsweise selbst, umwälzen, um die Produktivkraft der Arbeit zu erhöhen, dadurch den Wert der Arbeitskraft zu senken und so den zum Ersatz dieses Wertes notwendigen Teil des Arbeitstages zu verkürzen. Um den Wert der Arbeitskraft zu senken, muss die Steigerung der Produktivkraft Industriezweige ergreifen, deren Produkte den Wert der Arbeitskraft bestimmen, also entweder gewohnheitsmäßige Lebensmittel sind oder sie ersetzen können. Dazu gehören nicht nur die Industrien, welche die Lebensmittel selbst produzieren, sondern auch die, welche ihnen die Produktionsmittel liefern. Ist ja der Wert eines Stiefels z. B. nicht nur durch die Schusterarbeit bestimmt, sondern auch durch den Wert von Leder, Pech, Draht usw. In Produktionszweigen dagegen, die weder notwendige Lebensmittel liefern, noch Produktionsmittel zu ihrer Herstellung, lässt die erhöhte Produktivkraft den Wert der Arbeitskraft unberührt. Wenn ein einzelner Kapitalist durch Steigerung der Produktivkraft der Arbeit z. B. Hemden verwohlfeilert, schwebt ihm keineswegs notwendig der Zweck vor, den Wert der Arbeitskraft zu senken; aber nur soweit er schließlich zu diesem Resultat beiträgt, trägt er bei zur Erhöhung der allgemeinen Rate des Mehrwerts. Es ist daher der innere Trieb und die beständige Tendenz des Kapitals, die Produktivkraft der Arbeit zu steigern, um die Ware und durch die Verwohlfeilerung der Ware den Arbeiter selbst zu verwohlfeilern.

Da also derselbe Vorgang die Waren verwohlfeilert und den in ihnen enthaltenen Mehrwert steigert, löst sich das Rätsel, dass der Kapitalist, dem es nur um die Produktion von Tauschwert zu tun ist, den Tauschwert der Waren beständig zu senken strebt. Die Steigerung der Produktivkraft der Arbeit, innerhalb der kapitalistischen Wirtschaft, bezweckt, den Teil des Arbeitstages, den der Arbeiter für sich selbst arbeiten muss, zu verkürzen, um gerade dadurch den andern Teil des Arbeitstages, den er für den Kapitalisten umsonst arbeiten kann, zu verlängern.

 


Zuletzt aktualisiert am 12. Juli 2024