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(Bd. I, Kapitel 4 Nr. 3)
Nachdem wir gesehen haben, dass der Wert der Waren nichts anderes ist, als die in ihnen enthaltene menschliche Arbeit, kehren wir zu der Frage zurück, wie es kommt, dass der Fabrikant aus der Produktion seiner Waren einen größeren Wert herausziehen kann, als er in sie hineingetan hat.
Wir wiederholen die Fragestellung: Für Produktion einer bestimmten Ware braucht der Kapitalist eine bestimmte Summe, sagen wir 100 M. Nachher verkauft er die fertige Ware für 110 M. Da die Untersuchung gezeigt hat, das; der überschießende Wert von 10 M nicht in der Zirkulation (d. h. im Umsatz der Waren) entstanden sein kann, muss er in der Produktion entstanden sein. Und nun handelt es sich darum, nachzuweisen, wie das zugegangen ist.
Zwar ist das Problem zum Teil gelöst, sobald man weiß, dass Wert durch gesellschaftlich notwendige Arbeit entsteht. Um aus den vorhandenen Produktionsmitteln, z. B. Spinnmaschinen und Baumwolle nebst Zubehör, Garn zu machen, wird in der Spinnerei Arbeit geleistet. Soweit diese Arbeit gesellschaftlich notwendig ist, erzeugt sie Wert. Sie setzt also den vorhandenen Produktionsstoffen – in diesem Fall der rohen Baumwolle – einen neuen Wert zu, indem sie zugleich den Wert der vernutzten Maschinen usw. auf das Garn überträgt. Es bleibt jedoch die Schwierigkeit, dass der Kapitalist auch die neu geleistete Arbeit in seinen Selbstkosten bezahlt zu haben scheint. Denn neben dem Wert der Maschinen, Gebäude, Rohstoffe und Zutaten figuriert in seinen Selbstkosten auch der Arbeitslohn. Und den zahlt er doch eben für die geleistete Spinnarbeit. Es scheint also, dass alle nach der Produktion vorhandenen Werte auch schon vor der Produktion vorhanden gewesen seien.
Indessen leuchtet ein, dass der Wert, welcher durch die Spinnarbeit neu erzeugt wird, nicht unbedingt übereinstimmen muss mit dem Wert, welchen der Kapitalist als Arbeitslohn bezahlt. Er kann größer oder kleiner sein. Ist er größer, so hätten wir hier den Ursprung des Mehrwerts gefunden.
Aber haben wir denn nicht die Voraussetzung gemacht, dass bei allen Käufen und Verkäufen der richtige Wert gezahlt wird? Haben wir uns nicht überzeugt, dass Abweichungen der Preise von den Werten zwar oft vorkommen, dass sie uns aber nichts erklären? Es kann deshalb auch der Fall, dass der Kapitalist den Arbeiter unter seinem Wert bezahlt – mag dieser Fall noch so oft vorkommen – hier nur als Ausnahme betrachtet werden. Die Entstehung des Mehrwertes muss auch für den normalen Fall erklärt werden, dass der Kapitalist den vollen Wert dessen bezahlt, was er für den Arbeitslohn kauft. Es muss deshalb dieser besondere Kauf und Verkauf, der zwischen Kapitalist und Arbeiter vor sich geht, näher betrachtet werden.
Was der Kapitalist durch Zahlung des Lohns in seinen Dienst stellt, was er also dem Arbeiter abkauft, ist dessen Arbeitsvermögen oder Arbeitskraft. Damit jedoch der Geldbesitzer die Arbeitskraft kaufen kann, müssen verschiedene Bedingungen erfüllt sein. Die Arbeitskraft kann als Ware auf dem Markte nur erscheinen, sofern und weil sie von ihrem eigenen Besitzer zum Verkauf angeboten wird. Damit ihr Besitzer sie als Ware verkaufe, muss er über sie verfügen können, also freier Eigentümer seines Arbeitsvermögens, seiner Person sein. Er und der Geldbesitzer begegnen sich auf dem Markt und treten in Verhältnis zueinander als ebenbürtige Warenbesitzer, nur dadurch unterschieden, dass der eine Käufer, der andere Verkäufer, also beide juristisch gleiche Personen sind. Die Fortdauer dieses Verhältnisses erheischt, dass der Eigentümer der Arbeitskraft sie stets nur für eine bestimmte Zeit verkaufe. Denn verkauft er sie in Bausch und Bogen, ein für alle Mal, so verkauft er sich selbst, verwandelt sich aus einem Freien in einen Sklaven, aus einem Warenbesitzer in eine Ware.
Die zweite wesentliche Bedingung, damit der Geldbesitzer die Arbeitskraft auf dem Markt als Ware vorfinde, ist die, dass ihr Besitzer, statt Waren verkaufen zu können, worin sich seine Arbeit vergegenständlicht hat, vielmehr seine Arbeitskraft selbst, die nur in seiner lebendigen Leiblichkeit existiert, als Ware feilbieten muss. Dies ist der Fall, wenn er keine Produktionsmittel besitzt, z. B. Rohstoffe, Arbeitsinstrumente usw., deren er zur Herstellung von Waren bedarf, und auch keine Lebensmittel, um bis zur Fertigstellung und bis zum Verkauf der Waren sich erhalten zu können.
Der Geldbesitzer muss also den freien Arbeiter auf dem Warenmarkt vorfinden, frei in dem Doppelsinn, dass er als freie Person über seine Arbeitskraft als seine Ware verfügt, und dass er andrerseits andere Waren nicht zu verkaufen hat, los und ledig, frei ist von allen zur Betätigung seiner Arbeitskraft nötigen Sachen.
Die Frage, warum dieser freie Arbeiter ihm auf dem Warenmarkt gegenübertritt, interessiert den Geldbesitzer nicht. Und einstweilen interessiert sie uns ebenso wenig. Eins jedoch ist klar: die Natur produziert nicht auf der einen Seite Geld- oder Warenbesitzer, und auf der anderen bloße Besitzer der eigenen Arbeitskräfte. Dieses Verhältnis ist kein naturgeschichtliches, und ebenso wenig ein gesellschaftliches, das allen Geschichtsperioden gemein wäre. Es ist offenbar selbst das Resultat einer vorhergegangenen historischen Entwicklung, das Produkt vieler ökonomischer Umwälzungen, des Unterganges einer ganzen Reihe älterer Formationen der gesellschaftlichen Produktion.
Diese eigentümliche Ware, die Arbeitskraft, ist nun näher zu betrachten. Gleich allen anderen Waren besitzt sie einen Wert. Wie wird er bestimmt?
Der Wert der Arbeitskraft, gleich dem jeder anderen Ware, ist bestimmt durch die zu ihrer Produktion, also auch Reproduktion (Neuherstellung) notwendige Arbeitszeit. Die Arbeitskraft existiert nur als Anlage des lebendigen Individuums, setzt also seine Existenz voraus. Ist das Individuum vorhanden, so wird die Arbeitskraft erzeugt durch seine eigene Erhaltung. Zu seiner Erhaltung bedarf das lebendige Individuum einer gewissen Summe von Lebensmitteln. Die zur Produktion der Arbeitskraft notwendige Arbeitszeit löst sich also auf in die zur Produktion dieser Lebensmittel notwendige Arbeitszeit, oder der Wert der Arbeitskraft ist der Wert der zur Erhaltung ihres Besitzers notwendigen Lebensmittel.
Die Summe der Lebensmittel muss hinreichen, das arbeitende Individuum in seinem normalen Lebenszustand zu erhalten. Die natürlichen Bedürfnisse selbst, wie Nahrung, Kleidung, Heizung, Wohnung usw. sind verschieden je nach der natürlichen Beschaffenheit eines Landes. Andrerseits hängt der Umfang der sogenannten notwendigen Bedürfnisse wie die Art ihrer Befriedigung großenteils von der Kulturstufe eines Landes ab, unter anderem auch wesentlich davon, unter welchen Bedingungen und daher mit welchen Gewohnheiten und Lebensansprüchen die Klasse der freien Arbeiter sich gebildet hat. Im Gegensatz zu den anderen Waren enthält also die Wertbestimmung der Arbeitskraft ein historisches und moralisches Element. Für ein bestimmtes Land, zu einer bestimmten Zeit jedoch ist der Durchschnitts-Umkreis der notwendigen Lebensmittel gegeben.
Der Eigentümer der Arbeitskraft ist sterblich. Soll seinesgleichen dauernd auf dem Markt erscheinen, wie es die dauernden Bedürfnisse des Kapitals verlangen, so müssen die durch Abnutzung oder Tod dem Markt entzogenen Arbeitskräfte zum allermindesten durch eine gleiche Zahl neuer Arbeitskräfte beständig ersetzt werden. Die Summe der zur Produktion der Arbeitskraft notwendigen Lebensmittel schließt also die Lebensmittel der Ersatzkräfte ein, d. h. der Kinder der Arbeiter. – Ferner gehören dazu die Ausbildungskosten zum Erlernen der für einen bestimmten Arbeitszweig erheischten Geschicklichkeit und Fertigkeiten. Kosten, die allerdings für die gewöhnliche Arbeitskraft verschwindend klein sind.
Der Wert der Arbeitskraft besteht aus dem Wert einer bestimmten Summe von Lebensmitteln. Er wechselt daher auch mit dem Wert dieser Lebensmittel, d. h. mit der Größe der zu ihrer Produktion erheischten Arbeitszeit. Ein Teil der Lebensmittel, z. B. Nahrungsmittel, Heizmaterial usw., werden täglich verzehrt und müssen täglich ersetzt werden. Andere Lebensmittel, wie Kleider, Möbel usw. verbrauchen sich in längeren Zeiträumen und sind daher nur in längeren Zeiträumen zu ersetzen. Waren einer Art müssen täglich, andere wöchentlich, vierteljährlich usw. gekauft oder gezahlt werden. Wie sich die Summe dieser Ausgaben aber während eines Jahres z. B. verteilen möge, sie muss gedeckt sein durch die Durchschnittseinnahmen. Tag ein. Tag aus. Der wirkliche Tageswert der Arbeitskraft wird also herauskommen, wenn man den Wert aller notwendigen Lebensmittel, die der Arbeiter das Jahr über verbraucht, zusammenzählt und diese Summe durch 365 teilt. Angenommen, in dieser für den Durchschnittstag nötigen Warenmenge steckten sechs Stunden gesellschaftlicher Arbeit, so vergegenständlicht sich in der Arbeitskraft täglich ein halber Tag gesellschaftlicher Durchschnittsarbeit, oder ein halber Arbeitstag ist zur täglichen Produktion der Arbeitskraft erheischt. [1] Dies zu ihrer täglichen Produktion erheischte Arbeitsquantum bildet den Tageswert der Arbeitskraft oder den Wert der täglich reproduzierten Arbeitskraft. Wenn sich ein halber Tag gesellschaftlicher Durchschnittsarbeit ebenfalls in einer Goldmenge zum Werte von 3 M oder einem Taler darstellt, so ist ein Taler der dem Tageswert der Arbeitskraft entsprechende Preis. Bietet der Besitzer der Arbeitskraft sie feil für einen Taler täglich, so ist ihr Verkaufspreis gleich ihrem Wert, und nach unserer Voraussetzung zahlt der Geldbesitzer diesen Wert.
Die eigentümliche Natur der Ware Arbeitskraft bringt es mit sich, dass mit der Abschließung des Kontrakts zwischen Käufer und Verkäufer ihr Gebrauchswert noch nicht wirklich in die Hand des Käufers übergegangen ist. Ihr Gebrauchswert besteht erst in der nachträglichen Kraftäußerung. Die Veräußerung der Kraft und ihre wirkliche Äußerung fallen daher der Zeit nach auseinander. Bei solchen Waren aber, wo die formelle Veräußerung des Gebrauchswerts durch den Verkauf und seine wirkliche Überlassung an den Käufer der Zeit nach auseinanderfallen, geschieht die Zahlung meist auch erst nachträglich. In allen Ländern kapitalistischer Produktionsweise wird die Arbeitskraft erst gezahlt, nachdem sie bereits funktioniert hat, z. B. am Ende jeder Woche. Überall schießt daher der Arbeiter dem Kapitalisten den Gebrauchswert der Arbeitskraft vor; er lässt sie vom Käufer konsumieren, bevor er ihren Preis bezahlt erhält. Überall kreditiert daher der Arbeiter dem Kapitalisten.
1. Es wird gebeten, dies recht aufmerksam zu lesen. Herr Dr. juris Friedrich Kleinwächter, k. k. österr. Hofrat und Professor der Staatswissenschaften an der Franz-Josefs-Universität zu Czernowitz, hat dies so verstanden, dass Marx behauptet, der Arbeiter produziere in etwa 6 Stunden das, was er zur Fristung seines Lebens braucht! (Siehe des Herrn Professors Lehrbuch der Nationalökonomie, S. 153). D. H.
Zuletzt aktualisiert am 12. Juli 2024