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(Bd. I, Kapitel 1 und 2)
Die Ware ist zunächst ein äußerer Gegenstand, ein Ding, das durch seine Eigenschaften menschliche Bedürfnisse irgendeiner Art befriedigt. Jedes nützliche Ding, wie Eisen, Papier usw. ist unter doppeltem Gesichtspunkt zu betrachten, nach Qualität (Beschaffenheit) und Quantität (Menge). Jedes solche Ding hat viele Eigenschaften und kann daher nach verschiedenen Seiten nützlich sein. Die Nützlichkeit eines Dings macht es zum Gebrauchswert. Aber diese Nützlichkeit schwebt nicht in der Luft. Durch die Eigenschaften des Warenkörpers bedingt, existiert sie nicht ohne denselben. Der Warenkörper selbst, wie Eisen, Weizen, Diamant usw. ist daher ein Gebrauchswert oder Gut.
Der Tauschwert erscheint zunächst als quantitative Verhältnis, worin sich Gebrauchswerte einer Art gegen Gebrauchswerte anderer Art austauschen. Eine bestimmte Menge von einer Ware wird regelmäßig ausgetauscht gegen so und so viel von einer anderen Ware: das ist ihr Tauschwert – ein Verhältnis, das beständig mit Zeit und Ort wechselt. Der Tauschwert scheint daher etwas Zufälliges und rein Relatives zu sein, d. h. (wie Condillac es ausdrückte) er scheint „bloß in der Beziehung der Waren auf unsere Bedürfnisse zu bestehen.“ Ein den Waren innewohnender Tauschwert scheint ein Widersinn zu sein. Betrachten wir die Sache näher.
Eine gewisse Ware, ein Zentner Weizen z. B. tauscht sich mit so und so viel Stiefelwichse, oder mit so und so viel Seide, oder mit so und so viel Gold usw., kurz mit anderen Waren in den verschiedensten Proportionen. Mannigfache Tauschwerte also hat der Weizen. Aber da diese bestimmten Mengen Stiefelwichse, Seide, Gold usw. der Tauschwert von einem Zentner Weizen sind, müssen sie gleich große Tauschwerte sein. Es folgt daher erstens: die gültigen Tauschwerte derselben Ware drücken ein Gleiches aus. Zweitens aber: es muss überhaupt hinter dem Tauschwert ein Gehalt stecken, den er nur ausdrückt. Nehmen wir ferner zwei Waren, z. B. Weizen und Eisen. Welches immer ihr Austauschverhältnis, es ist stets darstellbar in einer Gleichung, worin ein gegebenes Quantum Weizen irgend einem Quantum Eisen gleichgesetzt wird. Z. B. ein Zentner Weizen ist gleich zwei Zentner Eisen. Was besagt diese Gleichung? Dass ein Gemeinsames von derselben Größe in zwei verschiedenen Dingen existiert, in einem Zentner Weizen und ebenfalls in zwei Zentnern Eisen. Beide sind also gleich einem Dritten, das an und für sich weder das eine noch das andere ist. Jedes der beiden, soweit es Tauschwert, muss also auf dieses Dritte reduzierbar sein. Dieses Gemeinsame kann keine natürliche Eigenschaft der Waren sein. Ihre körperlichen Eigenschaften kommen überhaupt nur in Betracht, soweit selbe sie nutzbar machen, also zu Gebrauchswerten. Im Tauschverhältnis wird augenscheinlich vom Gebrauchswert der Waren gerade abgesehen. Da gilt ein Gebrauchswert gerade so viel wie jeder andere, wenn er nur in gehöriger Proportion vorhanden ist. Oder, wie der alte Barbon (1696) sagt:
„Die eine Warensorte ist so gut wie die andere, wenn ihr Tauschwert gleich groß ist. Es existiert keine Verschiedenheit oder Unterscheidbarkeit zwischen Dingen von gleich großem Tauschwert ... 100 M Blei oder Eisen sind von ebenso großem Tauschwert, wie 100 M Silber und Gold.“
Als Gebrauchswerte sind die Waren vor allem von verschiedener Qualität, als Tauschwerte können sie nur von verschiedener Quantität sein. Sieht man nun vom Gebrauchswert der Warenkörper ab, so bleibt ihnen nur noch eine Eigenschaft, die von Arbeitsprodukten. Jedoch ist uns auch das Arbeitsprodukt bereits in der Hand verwandelt.
Sehen wir von seinem Gebrauchswert ab, so sehen wir auch von den körperlichen Bestandteilen und Formen ab, die es zum Gebrauchswert machen. Es ist nicht länger Tisch oder Haus oder Garn oder sonst ein nützliches Ding. Alle seine sinnlichen Beschaffenheiten sind ausgelöscht. Es ist auch nicht länger das Produkt der Tischlerarbeit oder der Bauarbeit oder der Spinnarbeit oder sonst einer bestimmten produktiven Arbeit. Sondern es ist nur noch ein Produkt menschlicher Arbeit schlechthin, abstrakt menschlicher Arbeit, d. h. ein Produkt der Verausgabung menschlicher Arbeitskraft ohne Rücksicht auf die Form ihrer Verausgabung, ohne Rücksicht darauf, ob sie von einem Tischler, einem Maurer, einem Spinner usw. verausgabt ist. Diese Dinge stellen nur noch dar, dass in ihrer Produktion menschliche Arbeitskraft verausgabt, menschliche Arbeit aufgehäuft ist. Ein Gebrauchswert oder Gut hat also nur deshalb einen Wert, weil abstrakt menschliche Arbeit in ihm vergegenständlicht ist. Wie nun die Größe seines Wertes messen? Durch das Quantum der in ihm enthaltenen „wertbildenden Substanz“, der Arbeit. Die Quantität der Arbeit selbst misst sich an ihrer Zeitdauer, und die Arbeitszeit besitzt wieder ihren Maßstab an bestimmten Zeitteilen, wie Stunde, Tag usw. Wenn der Wert einer Ware durch das während ihrer Produktion verausgabte Quantum Arbeit bestimmt ist, so könnte es scheinen, dass, je fauler oder ungeschickter ein Mann, desto wertvoller seine Ware, weil er desto mehr Zeit zu ihrer Verfertigung braucht. Die Arbeit jedoch, welche die Substanz der Werte bildet, ist gleiche menschliche Arbeit, Verausgabung derselben menschlichen Arbeitskraft. Die gesamte Arbeitskraft der Gesellschaft, die sich in den Werten der Warenwelt darstellt, gilt hier als eine und dieselbe menschliche Arbeitskraft, obgleich sie aus zahllosen individuellen Arbeitskräften besteht. Jede dieser individuellen Arbeitskräfte ist dieselbe menschliche Arbeitskraft wie die andere, soweit sie eine gesellschaftliche Durchschnitts-Arbeitskraft ist und als solche gesellschaftliche Durchschnitts-Arbeitskraft wirkt, also in der Produktion einer Ware auch nur die im Durchschnitt notwendige oder gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit braucht. Gesellschaftlich notwendig ist nur diejenige Arbeitszeit, welche erforderlich ist, um irgendeinen Gebrauchswert mit den vorhandenen normalen Produktionsbedingungen und dem gesellschaftlichen Durchschnittsgrad von Geschick und Intensität der Arbeit herzustellen. Nach der Einführung des Dampfwebstuhls in England z. B. genügte vielleicht halb so viel Arbeit als vorher, um ein gegebenes Quantum Garn in Gewebe zu verwandeln. Der englische Handweber brauchte zu dieser Verwandlung in der Tat nach wie vor dieselbe Arbeitszeit, aber das Produkt seiner individuellen Arbeitsstunde stellte jetzt nur noch eine halbe gesellschaftliche Arbeitsstunde dar und fiel daher auf die Hälfte seines früheren Wertes.
Es ist also nur das Quantum gesellschaftlich notwendiger Arbeit oder die zur Herstellung eines Gebrauchswertes gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit, welche seine Wertgröße bestimmt. Die einzelne Ware gilt hier als Durchschnittsexemplar ihrer Art. Waren, worin gleich große Arbeitsquanta enthalten sind, oder die in derselben Arbeitszeit hergestellt werden können, haben daher dieselbe Wertgröße. Der Wert einer Ware verhält sich zum Wert jeder anderen Ware, wie die zur Produktion der einen notwendige Arbeitszeit zu der für die Produktion der anderen notwendige Arbeitszeit. „Als Werte sind alle Waren nur bestimmte Masse festgeronnener Arbeitszeit.“ [1]
Die Wertgröße einer Ware bliebe daher unverändert, wäre die zu ihrer Produktion erheischte Arbeitszeit immer dieselbe. Letztere wechselt aber mit jedem Wechsel in der Produktivkraft der Arbeit. Die Produktivkraft der Arbeit ist durch mannigfache Umstände bestimmt, unter anderen durch den Durchschnittsgrad des Geschickes der Arbeiter, die Entwicklungsstufe der Wissenschaft und ihrer technologischen Anwendbarkeit, die Art, wie der Produktionsprozess geregelt ist, den Umfang und die Wirkungsfähigkeit der Produktionsmittel, und durch Naturverhältnisse. Dasselbe Quantum Arbeit stellt sich z. B. mit günstiger Jahreszeit in doppelt so viel Weizen dar wie mit ungünstiger. Dasselbe Quantum Arbeit liefert mehr Metalle in reichhaltigen als in armen Minen usw. Diamanten kommen selten in der Erdrinde vor, und sie zu finden kostet daher im Durchschnitt viel Arbeitszeit. Folglich stellen sie in wenig Produkt viel Arbeit dar. Mit reichhaltigeren Gruben würde dasselbe Arbeitsquantum sich in mehr Diamanten darstellen und ihr Wert sinken. Gelingt es, mit wenig Arbeit Kohle in Diamant zu verwandeln, so kann sein Wert unter den von Ziegelsteinen fallen. Allgemein: je grösser die Produktivkraft der Arbeit, desto kleiner die zur Herstellung eines Artikels erheischte Arbeitszeit, desto kleiner die in ihm enthaltene Arbeitsmasse, desto kleiner sein Wert. Umgekehrt, je kleiner die Produktivkraft der Arbeit, desto größer die zur Herstellung eines Artikels notwendige Arbeitszeit, desto größer sein Wert.
Ein Ding kann Gebrauchswert sein, ohne Wert zu sein. Es ist dies der Fall, wenn sein Nutzen den Menschen ohne Arbeit zur Verfügung steht. So Luft, jungfräulicher Boden, natürliche Wiesen, wildwachsendes Holz usw. Ein Ding kann nützlich und Produkt menschlicher Arbeit sein, ohne Ware zu sein. Wer durch sein Produkt sein eigenes Bedürfnis befriedigt, schafft zwar Gebrauchswert, aber nicht Ware. Um Ware zu produzieren, muss er nicht nur Gebrauchswert produzieren, sondern Gebrauchswert für andere, gesellschaftlichen Gebrauchswert. Endlich kann kein Ding Wert sein, ohne Gebrauchsgegenstand zu sein. Ist es nutzlos, so ist auch die in ihm enthaltene Arbeit nutzlos, zählt nicht als Arbeit und bildet daher keinen Wert.
1. Karl Marx, Zur Kritik der politischen Ökonomie, Berlin 1859. Neue Ausgabe, Stuttgart 1897, Seite 5.
Zuletzt aktualisiert am 12. Juli 2024