Julian Borchart

Das Kapital: Zur Kritik der politischen Ökonomie
von Karl Marx

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2. Profit und Warenumsatz

(Bd. III, 1. Teil, Abschnitt 1 u. 2; Bd. I, Kapitel 4, Nr. 2)

Wie kann denn aber „von selbst" ein Profit aus dem Kapital erwachsen? Zur Produktion einer Ware braucht der Kapitalist eine bestimmte Summe, sagen wir 100 M. Darin sollen seine ganzen Selbstkosten enthalten sein, also Rohstoffe, Zutaten, Arbeitslöhne, Abnutzung von Maschinen, Apparaten, Gebäuden usw. Er verkauft nachher die fertige Ware für 110 M. Annehmen, dass die fertige Ware wirklich 110 M wert sei, hieße annehmen, dass dieser ihr zugewachsene Wert während der Produktion aus nichts entstanden sei. Denn die Werte, die der Kapitalist mit den 100 M bezahlt hat, waren alle schon vor der Produktion dieser Ware vorhanden. Eine solche Schöpfung aus nichts widerstrebt allem gesunden Menschenverstände. Deshalb ist man von jeher und ist man auch heute noch meist der Ansicht, dass während der Produktion der Wert der Ware sich nicht vergrößert, sondern dass auch nach Fertigstellung der Ware der Kapitalist nur denselben Wert in Händen hat wie vorher – in unserem Beispiel also 100 M.

Wo sind aber dann die überschießenden 10 M hergekommen, die er beim Verkauf der Ware kriegt? Durch den bloßen Umstand, dass die Ware aus der Hand des Verkäufers in die des Käufers übergeht, kann ihr Wert ja auch nicht größer werden; denn auch dies wäre eine Schöpfung aus nichts.

Zwei Wege werden gewöhnlich eingeschlagen, um aus dieser Schwierigkeit herauszukommen; die einen sagen: die Ware ist in der Hand des Käufers wirklich mehr wert als in der des Verkäufers, weil sie dem Käufer ein Bedürfnis befriedigt, das der Verkäufer nicht hat; die anderen sagen: die Ware hat in der Tat nicht den Wert, den der Käufer zahlen muss, der Überschuss wird dem Käufer ohne Gegenwert abgenommen.

Betrachten wir beide Wege. Der französische Schriftsteller Condillac schrieb 1776 (in einer Abhandlung über Handel und Regierung):

„Es ist falsch, dass man im Warenaustausch gleichen Wert gegen gleichen Wert gibt. Umgekehrt. Jeder der beiden Kontrahenten gibt immer einen kleineren Wert für einen größeren ... Tauschte man in der Tat immer gleiche Werte aus, so wäre kein Gewinn zu machen für irgendeinen Kontrahenten. Aber alle beide gewinnen oder sollten doch gewinnen. Warum? Der Wert der Dinge besteht bloß in ihrer Beziehung auf unsere Bedürfnisse. Was für den einen mehr, ist für den andern weniger, und umgekehrt ... Wir wollen eine uns nutzlose Sache weggeben, um eine uns notwendige zu erhalten; wir wollen weniger für mehr geben ...“

Ein sonderbares Rechenexempel in der Tat! Wenn zwei Leute etwas miteinander austauschen, soll jeder dem andern mehr geben als er kriegt? Das hieße: wenn ich vom Schneider einen Rock für 20 M kaufe, ist der Rock im Besitze des Schneiders weniger als 20 M wert, in meinem Besitze aber 20 M! Aber auch die Ausflucht, dass der Wert der Dinge bloß in ihrer Beziehung auf unsere Bedürfnisse besteht, hilft nicht weiter. Denn (abgesehen von der Verwechslung zwischen Gebrauchswert und Tauschwert, worauf später zurückzukommen) wenn auch der Rock dem Käufer nützlicher ist als das Geld, so ist doch dem Verkäufer das Geld nützlicher als der Rock.

Wird statt dessen angenommen, dass die Waren allgemein zu einem höheren Preise verkauft werden, als sie wert sind, so ergeben sich noch sonderbarere Konsequenzen. Gesetzt, es sei durch irgendein unerklärliches Privilegium dem Verkäufer gegeben, die Ware über ihrem Werte zu verkaufen, zu 110 M, wenn sie nur 100 M wert ist, also mit einem Preisaufschlag von 10 Prozent. Der Verkäufer kassiert also einen Mehrwert von 10 M ein. Aber nachdem er Verkäufer war, wird er Käufer. Ein dritter Warenbesitzer begegnet ihm jetzt als Verkäufer und genießt seinerseits das Privilegium, die Ware 10 Prozent zu teuer zu verkaufen. Unser Mann hat als Verkäufer 10 M gewonnen, um als Käufer 10 M zu verlieren. Das Ganze kommt in der Tat darauf hinaus, dass alle Warenbesitzer ihre Waren einander 10 Prozent über dem Wert verkaufen, was durchaus dasselbe ist, als ob sie sie zu ihren Werten verkauften. Die Geldnamen, d. h. die Preise der Waren würden anschwellen, aber ihre Wertverhältnisse unverändert bleiben.

Unterstellen wir umgekehrt, es sei das Privilegium der Käufers, die Waren unter ihrem Wert zu kaufen. Hier ist es nicht einmal nötig zu erinnern, dass der Käufer wieder Verkäufer wird. Er war Verkäufer, bevor er Käufer ward. Er hat bereits 10 Prozent als Verkäufer verloren, bevor er 10 Prozent als Käufer gewinnt. Alles bleibt wieder beim Alten.

Man mag einwenden, dass dieser Ausgleich des Verlustes durch nachfolgenden Gewinn nur für solche Käufer gilt, die später wieder verkaufen, dass es doch aber auch Menschen gibt, die nichts zu verkaufen haben. Die konsequenten Vertreter der Illusion, dass der Mehrwert aus einem nominellen Preisaufschlag entspringt, oder aus dem Privilegium des Verkäufers, die Ware zu teuer zu verkaufen, unterstellen daher eine Klasse, die nur kauft, ohne zu verkaufen, also nur konsumiert ohne zu produzieren. Aber das Geld, womit eine solche Klasse beständig kauft, muss ihr beständig ohne Austausch, umsonst, auf beliebige Rechts- und Gewaltstitel hin von den Warenbesitzern selbst zufließen. Dieser Klasse die Waren über dem Wert verkaufen heißt nur, umsonst weggegebenes Geld sich zum Teil wieder zurückschwindeln. So zahlten im Altertum die kleinasiatischen Städte jährlichen Geldtribut an Rom. Mit diesem Gelde kaufte Rom Waren von ihnen und kaufte sie zu teuer. Die Kleinasiaten prellten die Römer, indem sie den Eroberern einen Teil des Tributs wieder abluchsten auf dem Wege des Handels. Aber dennoch blieben die Kleinasiaten die Geprellten. Ihre Waren wurden ihnen nach wie vor mit ihrem eigenen Gelde gezahlt. Es ist dies keine Methode der Bereicherung oder der Bildung von Mehrwert.

Natürlich soll hiermit keineswegs bestritten werden, dass der einzelne Warenbesitzer sich durch Übervorteilung bei Kauf oder Verkauf bereichern kann. Warenbesitzer A mag so pfiffig sein, seine Kollegen B oder C übers Ohr zu hauen, während sie trotz des besten Willens die Revanche schuldig bleiben. A verkauft Wein zum Wert von 40 M an B und erwirbt im Austausch Getreide zum Wert von 50 M. A hat seine 40 M in 50 M verwandelt, mehr Geld aus weniger Geld gemacht. Aber sehen wir näher zu. Vor dem Austausch hatten wir für 40 M Wein in der Hand von A und für 50 M Getreide in der Hand von B, Gesamtwert 90 M. Nach dem Austausch haben wir denselben Gesamtwert von 90 M. Der umgesetzte Wert hat sich um kein Atom vergrößert, nur seine Verteilung zwischen A und B hat sich verändert. Derselbe Wechsel hätte sich ereignet, wenn A ohne die verhüllende Form des Austausches dem B 10 M direkt gestohlen hätte. Die Summe der umgesetzten Werte kann offenbar durch keinen Wechsel in ihrer Verteilung vermehrt werden. So wenig, wie ein Jude die Masse der edlen Metalle in einem Lande dadurch vermehrt, dass er eine Kupfermünze aus dem 18. Jahrhundert für ein Goldstück verkauft. Die Gesamtheit der Kapitalistenklasse eines Landes kann sich nicht selbst übervorteilen.

Man mag sich also drehen und wenden, wie man will, das Fazit bleibt dasselbe. Werden gleiche Werte ausgetauscht, so entsteht kein Mehrwert, und werden ungleiche Werte ausgetauscht, so entsteht auch kein Mehrwert. Die Zirkulation oder der Warenaustausch schafft keinen Wert.

Jedenfalls kann die Wertvergrößerung, die nach dem Verkauf der Ware sichtbar wird, nicht durch den Verkauf entstanden sein. Sie kann nicht aus der Abweichung der Warenpreise von den Warenwerten erklärt werden. Weichen die Preise von den Werten wirklich ab so muss man sie erst auf die letzteren reduzieren, d. h. von diesem Umstande als einem zufälligen absehen, um nicht durch störende Nebenumstände verwirrt zu werden. Übrigens geschieht diese Reduktion nicht nur in der Wissenschaft. Die beständigen Schwankungen der Marktpreise, ihr Steigen und Sinken, heben sich wechselseitig auf und reduzieren sich selbst zum Durchschnittspreis als ihrer inneren Regel. Diese bildet den Leitstern z. B. des Kaufmanns oder des Industriellen in jeder Unternehmung, die längeren Zeitraum umfasst. Er weiß also, dass, eine längere Periode im ganzen betrachtet, die Waren wirklich weder unter noch über, sondern zu ihrem Durchschnittspreis verkauft werden. Demgemäß muss die Entstehung des Profits, die Wertvergrößerung erklärt werden unter der Voraussetzung, dass die Waren zu ihren wirklichen Werten verkauft werden. Dann aber muss offenbar der Mehrwert schon in der Produktion entstanden sein. Die Ware muss schon in dem Augenblick, wo sie fertig wird und sich noch in der Hand ihres ersten Verkäufers befindet, soviel wert sein, wie der letzte Käufer, der Konsument, schließlich dafür zahlt. Mit anderen Worten: ihr Wert muss die Selbstkosten des Fabrikanten übersteigen, es muss während der Produktion der Ware neuer Wert entstanden sein.

Dies führt uns auf die Frage, wie denn der Wert der Waren überhaupt entsteht.

 


Zuletzt aktualisiert am 12. Juli 2024