MIA > Deutsch > Marxisten > Bauer
Der Kampf, Jg. 4 11. Heft, 1. August 1911, S. 528.
Transkription u. HTML-Markierung: Einde O’Callaghan für das Marxists’ Internet Archive.
In der Wiener Freien Staatswissenschaftlichen Vereinigung hat Professor Karl Brockhausen sechs Vorträge über Oesterreicische Verwaltungsreformen gehalten, die ein bescheidenes Bändchen einem weiteren Kreise zugänglich macht. [1] Wer Brockhausens ältere Schriften kennt, wird in diesem Büchlein manches Bekannte wiederfinden. Aber Brockhausens Darstellungskunst lässt uns auch das uns schon Vertraute immer wieder in neuer Beleuchtung sehen. Und neben dem Alten finden wir auch hier wieder nicht wenig neue Gedanken.
Brockhausen will von der „Politik des zurzeit Erreichbaren“ sprechen. Die Verwaltungsreform soll innerhalb der Grenzen bleiben, wo sie noch nicht Staatsreform, Verfassungsreform ist; es soll angestrebt werden, was durchgeführt werden kann, „ohne den Schwebezustand zu ändern, in dem die nationalen Kräfte sich befinden“. Aber nur zwei Kapitel des Schriftchens, – das über Beamtentum und Protektion und jenes über Verwaltungstechnik – bleiben diesem Programm treu. So wenig sie ihren Gegenstand erschöpfen und so viel man gegen einzelne Vorschläge einwenden könnte, so enthalten sie doch ein Reformprogramm, dessen Durchführung im Rahmen der heutigen Staatsorganisation denkbar ist. Freilich, nicht mehr als denkbar! Denn wir halten es für sehr unwahrscheinlich, dass die von einer impotenten Gesetzgebung gelähmte, durch die Nationalisierung des Beamtenkörpers zersetzte österreichische Bureaukratie die Kraft zu einer Verwaltungsreform aufbringen wird, wenn nicht eine wirkliche Staatsreform sie dazu zwingt. In der Tat bleibt auch Brockhausen nichts anderes übrig, als, seiner Absicht entgegen, in das Gebiet wirklicher Staatsreformen überzugreifen. Das tut er in seinen Kapiteln über die Kreiseinteilung und über die Organisation der Selbstverwaltungskörper. Denn die von ihm hier geforderten Reformen kämen in ihren Folgeerscheinungen wirklicher Staatsreform gleich und sie liessen das nationale Kräfteverhältnis keineswegs unberührt. Es sind Reformen, deren Durchführung nicht anders als im Rahmen eines „nationalen Ausgleiches“ gedacht werden kann. So mündet die Analyse unserer Verwaltung stets und unvermeidlich in das nationale Problem.
Brockhausens Schrift ist nicht nur denen, die sich für die Probleme unserer Verwaltung interessieren, sie ist allen österreichischen Politikern zu empfehlen. Nicht nur darum, weil die grossen nationalen und sozialen Probleme mit dem Verwaltungsproblem eng verknüpft sind, sondern auch deshalb, weil in diesem Rahmen auch viele aktuelle Fragen der Tagespolitik in breiterem Zusammenhänge erscheinen. Der böhmische Ausgleich, die Sanierung der Landesfinanzen, das Landtagswahlrecht, die Gemeindeverfassung, die Dienstpragmatik der Staatsbeamten, die Frage der Beamten- und Richterernennung werden mit kurzen, aber zu politischem Denken anregenden Bemerkungen gestreift. Wie Brockhausens Büchlein über das österreichische Gemeinderecht, gehört auch diese Schrift in die Hausbücherei jedes österreichischen Politikers.
1. Brockhausen, Oesterreichische Verwaltuagsreformen, Wien 1911. Franz Deuticke. 85 Seiten.
Leztztes Update: 6. April 2024