Victor Adler

Das Wahlrecht und das Wahlunrecht in Oesterreich

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Die Altersgrenze für die Wahlfähigkeit


In Österreich beginnt das wahlfähige Alter mit dem vollendeten 24. Jahre. Hierin ist nur die deutsche Gesetzgebung und die schwedische noch rückständiger als Österreich. In Deutschland bildet das 25., in Schweden das 30. Jahr die Vorbedingung der Wahlfähigkeit. Das sozialdemokratische Programm verlangt das Wahlrecht vom 20. Lebensjahr an und hat hiezu seine guten Gründe. Vor allem sagen wir mit Recht, daß der Mann, welcher klug genug dazu ist, um die Flinte zu tragen, der reif genug dazu ist, sich „für das Vaterland“ zum Krüppel schießen zu lassen, auch reif sein muß, sein Bürgerrecht auszuüben. Zweitens aber ist vielleicht das Bourgeoissöhnchen, das verwöhnt und verweichlicht aufwuchs und den Ernst des Lebens nicht kennenlernte, mit 20 Jahren nicht reif und wird es vielleicht mit 24 ebensowenig sein. Der Proletarier jedoch, der Arbeiter, der junge Bauer, der von Kindesbeinen mitten im harten Kampfe steht, welcher sich von Jugend auf seiner Haut wehren muß, ist tatsächlich mit zwanzig Jahren ein erwachsener Mann. Und schließlich konsumiert die Arbeiterklasse ihr Leben in einer viel schnelleren Zeit als die Besitzenden. Mit dem 20. Jahr ist der Arbeitende erwachsen, mit dem 40. ist er ein Greis. Man bedenke, daß alle Staatswerkstätten und die meisten großen Fabriken im Privatbesitz Arbeiter nicht mehr aufnehmen, die 36 Jahre alt sind; sie sind ihnen „zu alt“, und nicht mehr leistungsfähig. In einer jüngst veröffentlichten Broschüre Zur Lage der deutschen Drechslerarbeiter, welche die Verhältnisse von 2200 Arbeitern umfaßt, wird festgestellt, daß von ihnen nicht weniger als 73 Prozent unter 30 Jahre alt sind, daß weitere 18 Prozent zwischen 30 und 40 Jahren stehen, und nur die restlichen 9 Prozent ein höheres Alter erreichen. Die englische Berufsstatistik hat festgestellt, daß das durchschnittliche Lebensalter in den höheren Klassen 44 Jahre, in den arbeitenden Klassen aber nur 22 Jahre beträgt, und Caspar [1] hat gezeigt, daß von 1000 zu gleicher Zeit geborenen Menschen 695 das 40. Jahr erreichen, wenn sie wohlhabend sind, aber nur 396 Arme; das 50. Jahr 557 Wohlhabende, aber nur 283 Arme. Das Proletariat muß also mit der Ausübung der politischen Rechte zeitlich beginnen, denn später fällt sein Leben der Ausbeutung jener zum Opfer, die ihm nicht nur das Leben, sondern auch sein Recht verkürzen.

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Fußnote

1. Diese Statistik zitiert Adler nach G. Fr. Kolb, Statistik der Neuzeit, Leipzig 1883, Seite 403.


Zuletzt aktualisiert am 19. Dezember 2020